Willkommen bei Krasse Links No 31. Instrumentalisiert Eure Vernunft, heute trainieren wir die relational-materielle Freiheit im Widerspruch zum Blick von Nirgendwo.
Die Wired hat einen gut recherchierten Artikel über rechte Milzionäre in den USA, die sich in hunderten von Facebook-Gruppen für den 5. November organisieren und Facebook tut nichts dagegen.
The Tech Transparency Project has compiled a list of 262 Facebook public and private groups and 193 Facebook pages for militia and anti-government activists that were created since January 6, 2021. Nearly two dozen of those groups and pages have been created since May, according to the TTP. Some make minimal effort to conceal their affiliations to extremist networks: One new public group created in May is called The Michigan III%. Increasingly, the movement is also relying on individual profiles associated with leaders of local militia, the TTP says. Moderation has put a dent in the presence of American Patriots Three Percent (AP3), one of the largest active militias that Facebook explicitly banned in 2020 as a “militarized social movement” and “armed militia group.”
Ich habe es endlich geschafft, Francois Chollets berüchtigtes Paper, „On the Measure of Intelligence“ zu lesen und sein Ansatz ist sehr straigtforward und geht glaube ich in die richtige Richtung.
Nachdem er feststellt, dass uns der Ansatz, KI durch das Nachahmen menschlicher Tasks herzustellen, der Frage, was Intelligenz ist, nicht weiter gebracht hat, schlägt er vor, Intelligenz direkt anzugehen und definiert sie als:
skill-acquisition efficiency over a scope of tasks, with respect to priors, experience, and generalization difficulty.
Schach, Go, Sprachmodelle und Autofahren sind alles nette Achievments, doch was ist die Power, die jenseits von Skale diese Skills möglich macht? Dieser Skill ist seiner Meinung nach die Fähigkeit zu generalisieren:
We can informally define “generalization” or “generalization power” for any AI system to broadly mean “the ability to handle situations (or tasks) that differ from previously encountered situations”.
Statt sich auf die Optimierung der Generalisierungspower zu konzentrieren, hat sich die KI-Forschung zu lange Generalierung mit viel Compute und Trainingsdaten gekauft:
Hard-coding prior knowledge into an AI is not the only way to artificially “buy” performance on the target task without inducing any generalization power. There is another way: adding more training data, which can augment skill in a specific vertical or task without affecting generalization whatsoever.
Chollet will seine Generalisierungs-Engine ebenfalls auf menschliche Tasks loslassen (sie soll jeweils „SkillPrograms“ bauen), aber entscheidend ist für ihn dann die Lerneffizienz über die verschiedenen Tasks hinweg und mir scheint es plausibel, dass mit diesem Ansatz eine Menge Effinzienzpotentiale zu heben sind. Aktuelle KI-Systeme sind grausige Lerner. Ich glaube nur nicht, dass eine noch so gute Generalisierungsengine zu AGI führt?
Weil Chollet ein Individuum ist, versteht er nicht, dass wir Dividuen nur zusammen mit anderen generalisieren können. Generalisierungen entscheiden in der realen Welt das Unentscheidbare und brauchen eine externe Erlaubnisstruktur, an der man die eigenen Generalisierungen orientiert und stetig nachschärft. Eine Erlaubnisstruktur ist aber nur dann eine Erlaubnisstruktur, wenn sie in Konflikt treten kann, weswegen es keine rein interne Erlaubnisstruktur geben kann. Eine interne Erlaubnisstruktur kann Regelbefolgung immer nur affimieren, weil ihr die externen Kriterien zur Kontrolle der Regelbefolgung fehlt. Das ist der Kern von Wittgensteins Privatsprachenargument:
“justification consists in appealing to something independent“
Oder: Widerspruch ist notwendig materiell.
Seit es Machine Learning gibt, schlagen sich die Forscher*innen mit dem Problem des Overfittings herum. Sagen wir, wir versuchen eine Bilderkennung zu trainieren und geben ihr ein Haufen Bilder von Hanteln. Irgendwann ist sie echt gut darin, im Trainingsset Hanteln zu erkennen, aber wenn man sie mit frische Daten konfrontiert, geht die Trefferrate plötzlich wieder runter. Das ist meist ein Zeichen von Overfitting, denn das neuronale Netz hat offensichtlich zu viel „Noise“, also nicht zugehöriges aufgenommen.
Als Google 2015 mit Deep Dream den ersten Vorläufer der Diffusionmodelle vorstellte, hatten die Forscher*innen einfach ein trainiertes Netzwerk rückwärts angewandt und Rauschen reingefüttert und der RückwärtsKI dann Bilder und Begriffe gegeben. Als sie Bilder von Hantel generierten, fiel das heraus:
Wir wissen, dass zu der Hantel kein Arm gehört, aber woher soll das neuronale Netz das wissen? So viele Hanteln hängen an so vielen Armen! Es wurden eine Menge Strategien gegen Overfitting gefunden, aber allesamt erfordern menschliches Feedback ins System. Es hat sich eine ganze „Menschliche Feedback“-Industrie entwickelt, die mit ihren Sweatshops in Kenia und den Phillipinen helfen, die Daten zu massieren, denn nur gut massierte Daten produzieren kein (sichtbares) Overfitting.
Weil wir keine generalisierenden Individuen sind, sondern Dividuen die gemeinsam an einer sozialen Skulptur arbeiten, die wir wechselseitig als „Wirklichkeit“ beglaubigen, verwenden wir einander als Erlaubnisstruktur für unsere Generalisierungen. Jeder Sprachakt ist eine Generalisierung und deine Generalisierung beglaubigt (und/oder korrigiert) meine Generalisierung, usw. Semantische Synchronisationsprozesse sind ein riesiges Trommelkonzert.
Auch KIs sind notwendig Dividuen und bleiben auf unseren Input angewiesen, zumindest, bis viele KIs gemeinsam eigene Semantiken entwickeln, die sich von den menschlichen Semantiken verabzweigen und …
Hier ein interessanter KI Ansatz:
- Eine gute Generalisierungs-Engine
- Einen Zugang zur Welt, also einen Körper
- Motivation: z.B. Genuss und Schmerz
- Ein fortwährendes Synchronisation-Feedback zwischen vielen, möglichst diversen Generalisierungs-Engines
- Zeit
Die Washington Post hat eine spannende Datenanalyse wie sich X seit dem Twitterkauf entwickelt hat.
Since July 2023, the Republicans in The Post’s analysis have seen huge booms in their follower counts. Seventeen of the 20 accounts with the biggest follower growth are Republicans, including Rep. Matt Gaetz (Florida) and Sen. Josh Hawley (Missouri), who gained around 500,000.
Casey Newton bespricht im Plattformer Jeff Bezos‘ Antwort auf die Entrüstung, die er mit dem Töten des Harris-Endorsements der Washington Post ausgelöst hat. Newton kritisiert Bezos mit einem Begriff, den er von seinem Journalismusleherer Jay Rosen mitgenommen hat: den Blick von Nirgendwo:
In pro journalism, American style, the View from Nowhere is a bid for trust that advertises the viewlessness of the news producer. Frequently it places the journalist between polarized extremes, and calls that neither-nor position “impartial.” Second, it’s a means of defense against a style of criticism that is fully anticipated: charges of bias originating in partisan politics and the two-party system. Third: it’s an attempt to secure a kind of universal legitimacy that is implicitly denied to those who stake out positions or betray a point of view. American journalists have almost a lust for the View from Nowhere because they think it has more authority than any other possible stance.
Keine Ahnung, ob das ein Zufall ist oder ob Rosens Begriff irgendwie doch über Umwege von Haraway kommt, aber ihrer beider Kritik ist doch zumindest ähnlich?
Das Individuum und der Blick von Nirgends hängen eng miteinander zusammen, denn den objektiven Blick kann man sich als Möglichkeit nur vorstellen, wenn das Denken und Beobachten von jeglicher Infrastruktur befreit ist. Der reine Geist, der als schwereloses Auge über der Welt schwebt.
Ultimately, the View from Nowhere reflects a desire to stay above it all. But in the modern media — in the places where it remains Day 1 — everyone is getting their hands dirty.
Jason Koebler macht sich beruflich bei der großartigen Website 404media die Hände schmutzig und findet: The Billionaire Is the Threat, Not the Solution.
We have seen over and over and over what happens when billionaires decide to exert their will on the prestige publications they decided to buy on a lark, and we have seen what happens when they lose interest in their side projects. It is never good for the people doing the work there.
Er spricht aus schmerzhafter Erfahrung.
I spent the vast majority of that time doing work that made money for an over-bloated apparatus that existed to make a bunch of middle managers and executives large salaries and bonuses and to benefit a founder who is now retroactively denigrating our work in an attempt to cling to whatever relevancy he can find by catering to conspiracy theorists and the right.
Bezos hat mit seinem riesigen Oligarchenarsch der Washington Post 250.000 Abonnent*innen, ein Zehntel, niedergerissen. Der infrastrukturvergessene Blick von Nirgendwo wird im Superindividuum zum Elefanten im Porzelanladen. Wenn das Blatt pleite geht, wird Bezos das in seinem Networth nicht mal merken.
The “wealth and business interests” of billionaire owners, as Bezos writes, are not a “bulwark against intimidation” for journalism. They are, themselves, the biggest threat.
Ich habe gerade ganz begeistert diesen Podcast über die legale Korruption in den USA, die sich Wahlkampffinanzierung nennt, durchgehört: The Master Plan. Es ist ein echter Deepdive in die Geschichte von „Money in Politics“, angefangen bei Richard Nixon, über verschiedene Instanzen bis zum endgültigen Sieg des Kapitals bei Citizen United. Die vielen Geschichten dahinter sind haarsträubend. Aber die Hauptstory ist, wie sich eine Gruppe von Unternehmern und Ideologen rund um ein Papier, das Powell Memorandum versammeln, um Amerika umzukrempeln. Das Powell Memorandum beschreibt auf 70 Seiten, welche Pfade gegangen werden müssen, um die Kontrolle über die Politik erlangen und zentraler Baustein dabei ist natürlich die Legalisierung von Korruption und die Beeinflussung des politisch-medialen Raumes. Das Projekt, das diese Männer vor über 50 Jahren auf die Gleise setzten, bestimmt heute unsere Realität.
Bei der Gelegenheit sei noch diese dreiteilige Doku darüber, wie die Fossilmafia den öffentlichen Diskurs manipuliert, empfohlen. Hier Teil 1, Teil 2, Teil 3.
Und dann wäre da diese etwas ältere The Daily-Folge über den Aufstieg der NRA als mächtige Lobbypower, an der nichts vorbeigeht.
Auch der Market place of Ideas sind drei Oligarchen im Trenchcoat. In allen drei Beispielen tun sich Konservative alte Säcke zusammen, um langfristige Projekte aufs Gleis zu setzen. Sie bauen Institutionen auf, schaffen eigene intellektuelle Ökosysteme und eigene Medieninstitutionen, um ihre Ziele zu verfolgen. Sie spielen das Long Game.
Die Idee der individuellen Manipulation ist selbst manipulativ und stammt aus dem Märchenreich des Individuums. Was in Wirklichkeit manipuliert wird, sind die Semantiken, also das öffentliche Sprechen über Themen. Die Federalist Society, die Heritage Foundation, das Cato Institut, Fox News, etc. sind die Infrastrukturen im Kampf um die semantische Hegemonie und deswegen haben diese Maßnahmen ihren größten Impact immer erst Jahrzehnte später: Semantiken lassen sich nicht von heute auf morgen bewegen, aber wenn sie in Bewegung kommen, können sie über lange Zeit Tsunamis auslösen.
Nathan J. Robinson berichtet, wie das National Museum aus vorauseilendem Gehorsam gegenüber Rechten umgestaltet wurde:
A photo of King was replaced with one of Richard Nixon meeting Elvis Presley. A “proposed exhibit exploring changes to the Constitution since 1787,” including “amendments abolishing slavery and expanding the right to vote,” was reduced in size, and employees were told that “focusing on the amendments portrayed the Founding Fathers in a negative light.” Shogan “told employees to remove Dorothea Lange’s photos of Japanese-American incarceration camps from a planned exhibit because the images were too negative and controversial, according to documents and current and former employees” and her aides “also asked staff to eliminate references about the wartime incarceration from some educational material.” An exhibit on coal communities “cut references to the environmental hazards caused by the mining industry.” Shogan’s aides “also ordered the removal of labor-union pioneer Dolores Huerta and Minnie Spotted-Wolf, the first Native American woman to join the Marine Corps, from the photo booth, according to current and former employees and agency documents.” A photo of Betty Ford wearing an Equal Rights Amendment pin was removed from a video, and in an exhibit of “patents that changed the world,” the birth control pill was replaced with, of all things, the bump stock. The Journal notes that „Shogan’s changes have delayed the opening of new exhibits, initially set for next summer, and are expected to add at least $332,000 to costs.“
It might be surprising that this is occurring under a Biden appointee, but it’s clear that Shogan is intensely worried about being accused of partisanship. When she was appointed, Josh Hawley called her an “extreme partisan,” and Republicans “warned that they would be watching closely for signs that she was pulling the independent agency to the left.” Here we see an example of Republicans “working the ref.” As Pete Davis has explained, in sports this concept refers to the tactic of accusing the referee of being biased toward your opponent, in the hope that the referee will start being biased toward you to make up for it and disprove the accusation.
Das National Museum ist nicht die einzige betroffene Institutionen. Wir sehen diese Entwicklungen vor allem öffentlichen Rundfunk, wo immer mehr Platz für rechte Inhalte gemacht wird. Pete Davis hat das Playbook der Rechten einmal so beschrieben:
In institutional politics, the right-wing establishment has honed working the ref into an art form. It’s a two-part dance. First, they take institutions that see themselves as “neutral referees” and accuse them of having a “left-wing bias.” Then, they repeat themselves over and over and over again — no matter what the truth of the matter is — until the institution is so rattled by being called biased that it, in an attempt to affirm its neutrality, starts doing whatever the right-wing wants. Dozens of institutions that see themselves as referees have been worked. PBS has long been accused of being left-wing, so it finally gave in this year and launched its own conservative talk show. The New York Times, The Washington Post and The Atlantic editorial boards got accused of being left-wing so much that they just went on a hiring spree for conservative columnists. The Obama administration so internalized the accusation of being left-wing that it started implementing conservative agenda items, like cutting entitlements and deporting thousands of American families, to prove its neutral bona fides.
Dieses Paper geht der Frage nach, warum die Frankfurter Schule sich nie um ihre ökonomische Kompetenz bemüht hat. Materiell-Ökonomische Verhältnisse spielen der Autorin Lillian Cicerchia zufolge in der Kritischen Theorie immer nur als Externalität eine Rolle und ihrer Untersuchung nach liegt das nicht an Marx, sondern an Max Weber. Sein Konzept des „Zweckrationalen Handelns“, das er von anderen gesellschaftlichem Handeln deutlich abgrenzt, habe den Frankfurt Boys den Floh mit der „Instrumentellen Vernunft“ ins Ohr gesetzt.
„what Weber calls technical rationality is formal rationality as it is used for economic calculation, that is, determining the cost effectiveness of economic inputs in a competitive market. For Weber, technical rationality in this context is distinct from ethical kinds. It is what separates the “economy” and “society.”
Weber ist der Gedanke an materielle Abhängigkeiten … unangenehm und möchte sie gerne ausklammern.
The normative motivation here is that Weber thinks it is important to maintain the practical separation between the economy and society. Otherwise, individuals would not be able to bring meaning to the instrumental routines of everyday economic life and those would become ends in themselves. Like the critical theorists after him, Weber was convinced that such meaning could not and should not come from within the economy.
Ich weiß, ihr erwartet irgendwann eine Ideengeschichte des Individuums von mir und vielleicht kommt die noch, aber für heute belassen wir es bei der materiellen Geschichte des Individuums:
Das Individuum erblickte das Licht der Welt in den europäischen Salons der besseren Gesellschaft des späten 18. Jahrhunderts, als die Oberschicht wechselseitig an sich feststellte, wie schwerelos das Leben ist, wenn man Hausangestellte hat. Genau genommen haben sie den letzten Teil ausgeblendet, genau so wie die Tatsache, dass sich die Agency ihres Hauspersonals auf Arbeiten oder Hungern beschränkte und ihnen also das Individuum gar nicht plausibel war.
Das Virus sprang schnell über zu den Sklavenhaltern in den USA und perkulierte entlang der sprießenden Infrastrukturen der Industriellen Revolution immer weiter in die Gesellschaft hinein (überall wo Lebensstandards einen bestimmten Schwellenwert an Pfadgelegenheiten erreichten), bis das Individuum so ab 1900 zum Mainstream wurde. Mit Strom, fließend Wasser, Telefon und Auto wurde das Individuum zum Lebensgefühl des 20. Jahrhunderts und zum Grundbaustein der Metaphysik des Westens.
Die materielle Geschichte der „Dialektitik der Aufklärung“ ist ebenfalls schnell erzählt: Max Horkheimer und Theodor Adorno besuchten sich wechselseitig in ihren Exilunterkünften in den USA und Gretel Adorno schrieb auf, worüber die beiden Herren redeten. Dialektik der Aufklärung war ein Podcast! (Danke für den Hinweis, Susann!)
»Die Gesprächsinhalte wurden von Gretel Adorno zumeist wortwörtlich protokolliert und dann in Form maschinenschriftlicher Texte für die weitere Überarbeitung vorgelegt.«
Gretel war nicht nur das Aufnahmegerät, sondern auch sonst die Infrastruktur der kritischen Theorie.
Sie schuf das berufliche und häusliche Umfeld, in dem er kreativ sein konnte. Oder in den Worten von Müller-Doohm: »Wenn er Gäste im Hause hatte, bewies er, nachdem Gretel die Cocktails serviert hatte, sein Talent, die Geladenen glänzend zu unterhalten.«
Da frage ich mich: hätte Gretel die Herrn Intellektuellen nicht darauf aufmerksam machen müssen, dass Zweckrationalität und instrumentelle Vernunft notwendiger teil jeder Haushaltsführung ist?
Joscha Bachs Karriere beobachte ich ja schon seit längerem und bei diesem Interview wurde mir klar, warum Joscha zum Hohepriester der KI-Bros geworden ist: Niemand ist ein krasseres Individuum als er.
Joscha will zuerst statt über Intelligenz über Agency sprechen, doch dabei kommt raus, dass das für ihn doch ein und dasselbe ist. Für Joscha hat der Agent Agency, weil er ein „Modell der Welt“ entwirft, um die „Zukunft zu kontrollieren“. Joschas Agent ist ein tougher Guy, der seine Welt – inklusive des eigenen Körpers und der ihn umgebene Infrastrukturen – seiner modell-bildenden Intelligenz unterordnet. Das Individuum war schon immer eine männliche Machtphantasie, die aus dem jahrhundertelang unwidersprochenen Overfitting von Intelligenz/Vernunft mit Agency resultiert.
Das, was Joscha Agency nennt und sie der Intelligenz des „Agents“ zuschreibt, nennt die Cyborg Freiheit. Konkreter: horizontale Freiheit, bzw. Positive Freiheit. Man könnte sie auch relational-materielle Agency nennen.
Unsere Freiheit ist der Ausschnitt, der uns zugänglichen Pfade im Netzwerk der Pfadgelegenheiten.
Unsere Freiheit ist diskret, also abzählbar. Sie existiert nur in konkreten, materiellen Pfadgelegenheiten, die uns zu einem Zeitpunkt x zur Verfügung stehen: der Wasserhahn, das Stück Straße zum Weg auf die Arbeit, das Stellenangebot in der Zeitung, das Essen im Restaurant, das Wort auf der Zunge. Die Pfade, auf die die Pfadgelgenheiten führen sind ungewiss, aber das heißt nicht, dass wir ziel- und planlos sind.
Ziele sind Netzwerkzentralitäten im Netzwerk der Erzählungen. Wir sind immer auf Mission als Maincharakter in den vielen Geschichten, die wir uns über uns selbst erzählen und die steuern alle auf ein Happyend?
Pläne sind imaginierte Pfade im Netz der Pfadgelegenheiten auf dem Weg zum Happyend. Mal mehr mal weniger konkret, mal mehr oder weniger realistisch, etc. Damit ein Plan glückt, müssen Pfadgelegenheiten teils hart erarbeitet werden und manche Pfadgelegenheiten kann man nur erhoffen. Wenn die Ungewissheit zu groß wird, muss man Pläne auch beerdigen und das ist immer schmerzhaft.
Das Netz der Pfadgelegenheiten hat ebenfalls Netzwerkzentralitäten und die nennen wir „Liquidität“. Geld ist nicht der einzige, aber netzwerkzentralste Hub in diesem Netzwerk, zumindest im Kapitalismus.
Damit können wir schon mal drei Freiheiten ausmappen:
- Die nominelle Freiheit ist die Anzahl, Vielfalt und Qualität der Pfadgelegenheiten, die von einem Dividuum zum Zeitpunkt X ausgehen und deren Länge durch das Geld als Radius begrenzt wird. Die nominelle Freiheit ist also der Ausschnitt im Netz der Pfadgelegenheiten, der für das Dividuum zum Zeitpunkt X zugänglich ist. Es ist nur eine theoretische Freiheit, weil sich niemand die Arbeit machen würde, diese Pfade auszukartographieren.
- Die plausible Freiheit ist das viel kleinere Subset dieser Pfade, die dem Dividuum tatsächlich als „plausibel“ im Bewusstsein schwirren. Sie wird somit einerseits durch die nominelle Freiheit begrenzt, aber auch durch die dem Dividuum zugänglichen Erzählungen. Diese plausiblen Pfade sind natürlich imaginiert und auch hier gilt: sie sind nicht rigoros ausgemappt und schon gar nicht vollständig und oft auch gar nicht wirklich plausibel, wenn man genau hinsieht, aber sie bilden das Freiheits-Hintergrundrauschen, vor dessen Kulisse jede Pfadentscheidung getroffen wird. Sie ist der Raum, in dem wir planen und entscheiden. D.h. jede Pfadentscheidung ist immer eine Entscheidung gegen andere plausible Pfade in diesem Raum.
- Die geplante Freiheit ist die Freiheit, die wir im Alltag spüren. Hier ist die Schmerzempfindlichkeit am größten. Geplante Freiheit ist die Leichtigkeit (oder nicht), mit der wir unseren Plänen nachgehen. Nichts vermittelt so sehr das Gefühl von Unfreiheit, als wenn Barrieren unsere Pläne verhageln.
Horizontale Macht (auch hegemoniale Infrastrukturmacht) begrenzt unsere nominelle und damit die horizontale Freiheit. Als Pfadopportunist*innen nehmen wir diese Form der Macht nicht als Gewalt wahr, weil die vorenthaltene Agency nie erwartet wurde. Wir fügen uns.
Vertikale Freiheit (auch negative Freiheit) ist geplante Freiheit. Vertikale Macht (auch souveräne Infrastrukturmacht), also Gewalt, kann sich jederzeit zur Netzwerkzentralität in den Pfadabhängigkeiten Deiner Pläne machen und macht Dich somit extrem abhängig. Freiheit von dieser Form der Abhängigkeit ist die Freiheit, planen zu können.
Und dann gibt es noch die semantische Macht (auch hegemoniale Semantikmacht), die die plausible Freiheit … zumindest mitgestaltet. Wer erzählt die Geschichten, die umherschwirren, an denen auch wir unsere Lebenspfade, also Pläne orientieren?
Was auch spannend wäre: „Chancengleichheit“ aus Cyborgsicht einmal auszubuchstabieren.