Krasse Links No 26

Willkommen bei Krasse Links No 26. Heute verprechen wir den Dipshits Sicherheitsgarantien in unserer Privatsprache und navigieren die Gen-Z an Männlichkeits-Zentralitäten vorbei.


Die französischen Behörden haben Pavel Durov, den Gründer und CEO von Telegram festgenommen und auch wenn noch nicht ganz klar ist, was ihm vorgeworfen wird, begrüße ich das. Telegram ist das Phantom unter den Social Media Plattformen. Es ist ohne frage reichweitenstark und relevant, aber wir wissen so gut wie nichts darüber und es entzieht sich wo es kann jeder Form von Kontrolle und Regulierung. Ich hoffe, wir werden in den nächsten Wochen sehr viel über das Netzwerk erfahren.


Carole Cadwalladr bringt im Guardian die Gefahr, die derzeit von den Social Mediaplattformen für die Demokratie ausgeht, auf den Punkt.

In Britain, the canary has sung. This summer we have witnessed something new and unprecedented. The billionaire owner of a tech platform publicly confronting an elected leader and using his platform to undermine his authority and incite violence. Britain’s 2024 summer riots were Elon Musk’s trial balloon.

He got away with it. And if you’re not terrified by both the extraordinary supranational power of that and the potential consequences, you should be. If Musk chooses to “predict” a civil war in the States, what will that look like? If he chooses to contest an election result? If he decides that democracy is over-rated? This isn’t sci-fi. It’s literally three months away.

Bemerkenswert ist auch ihre Beobachtung, dass die Plattformen für die Destabilisierung der Demokratien gar keine aktiv bösartige Rolle einnehmen müssen. Es reicht im Zweifel ja auch aus, die Hände hochzuwerfen?

All this has provided the perfect cover for the platforms to step back. Twitter, now X, has sacked at least half its trust and safety team. But then so has every tech company we know about. Thousands of workers previously employed to sniff out misinformation have been laid off by Meta, TikTok, Snap and Discord.

Just last week, Facebook killed off one of its last remaining transparency tools, CrowdTangle, a tool that was crucial in understanding what was happening online during the dark days before and after the 2020 inauguration. It did this despite the pleas of researchers and academics, just because it could.

Im Plattformbuch schrieb ich noch:

Sicherheit zu garantieren, war schon immer eine der wichtigsten geopolitischen Mechanismen in den internationalen Beziehungen. Auf Sicherheitsgarantien sind Weltordnungen gebaut. Und die Erkenntnis aus diesem Kapitel ist deswegen: Es kann keine Weltordnung mehr ohne die Macht der Plattformen geben.

Keine Ahnung, ehrlich, ob das so ist, aber Silicon Valley juckt es offensichtlich in den Fingern, das mal auszuprobieren?


Ein aufschlussreicher Bericht bei CNN über die „Inner Workings“ der Harris-Campaign. Das Pollster Team von Biden hatte „weird“ an Fokusgruppen getestet und der Harris-Campaign davon abgeraten:

Some of their suggestions included a focus on the future, and to lay off the “weird” talk.

Harris’ advisers listened. They considered the arguments. They decided to stick with what the crowds were chanting in the arenas.

Richtige Entscheidung. Umfragen geben vor zu messen, was die Öffentlichkeit so findet und verstehen nicht, das „die Öffentlichkeit“ ein gemeinsam belebter, semantischer Raum ist, in dem sich alle aneinander orientieren. Wer diesen Raum erfolgreich bespielen will, darf sich nicht (nur) an den Musikwünschen orientieren, sondern muss selbst den Beat vorgeben. Niemand hat das so (intuitiv) verstanden, wie Donald Trump, der sich 2016 einfach von Schlagzeile zu Schlagzeile ins weiße Haus getrommelt hat. Auch die Harris-Campaign hats gecheckt und schon nickt die vernünftige Hälfte der US-Bevölkerung bereits heftig zu ihrem Beat.


Das Plattformbuch war auch der Versuch, die Mechanik digitaler Geschäftsmodelle als Politische Ökonomie der Abhängigkeiten zu fassen.

Die grundlegende Erkenntnis war schließlich, dass die Plattform zwischen mir und sich selbst eine wechselseitige Abhängigkeitsbeziehung herstellt, die extrem ungleich organisiert ist: Die Plattform ist viel, viel weniger von mir abhängig (wohlgleich nicht unabhängig), als ich von der Plattform, weil meine Abhängigkeit von der Plattform den akkumulierten Abhängigkeiten zu den Menschen entspricht, mit denen ich dort interagiere (klingt kompliziert ist aber eigentlich ganz einfach). Diese Diskrepanz ist die Quelle der Plattformmacht und befähigt die Plattform unter anderem, die auf ihr versammelten Verbindungen ökonomisch auszubeuten.

Seit dem Buch arbeite ich weiter an diesem Framework, weil ich glaube, dass darin eine grundlegend andere Art steckt, über wirtschaftliche Zusammenhänge zu sprechen und nachzudenken. Diese andere Sprache stellt Abhängigkeiten in den Mittelpunkt und kann daraus ableiten, wie Akteure es schaffen, Macht zu organisieren, um Renten abzuschöpfen.

Deswegen war es ein kritisches Manöver, diese Sprache auf andere wirtschaftliche Zusammenhänge anzuwenden und letztes Jahr ist mir das beim Supply-Chain-Kapitalismus gelungen und daraus ist der Text „Materialität und Austauschbarkeit“ entstanden.

Wenn wir dieses einfache Framework auf die Zulieferketten anwenden, ergibt sich ein klares Bild: Um einen Nike-Schuh herzustellen, sind alle Akteure (das Leitunternehmen sowie alle Zulieferfirmen) wechselseitig voneinander abhängig. Jedoch gibt es Unterschiede: Jeder Einzelne der Zulieferer – egal ob er Stoffe, Plastik oder Kordeln herstellt – ist aus Sicht des Leitunternehmens recht einfach austauschbar (Balanceakt 2). Es gibt viele konkurrierende Unternehmen und selbst wenn es sie nicht gäbe: das Wissen um Stoffe, Plastik und Kordeln herzustellen ist schnell ins Werk gesetzt.

Das Leitunternehmen hingegen, Nike, betreut zwar nur die Marke und andere Rechte, aber diese Rechte sind dank internationaler Abkommen wie TRIPS und durch die WTO global geschützt (Balanceakt 4). Die Leitunternehmen kontrollieren daher monopolistisch den Zugang zur Wertschöpfung. Für die Zulieferer ergibt sich dadurch eine enorme Abhängigkeit, denn ohne den Zugang zu­ Nikes Verkaufsnetzwerk und seiner »Brand-Recognition« sind die Produktivitätskapazitäten der Zulieferer völlig nutzlos. Dadurch ist Nike der einzige Akteur in diesen wechselseitigen Beziehungen, der weniger von den anderen abhängig ist, als diese von ihm.

Beide, Plattformen und Supplychains verwenden „den Markt“, um eine Macht-Hierarchie zu etablieren. Plattformen eröffnen einen „propietären Markt“ (Staab 2020), der die Nutzenden einlocked und Leitunternehmen versetzen ihre Zulieferer in kompetitive Wettbewerbssituationen, um ihre Margen zu frühstücken.

KI ist ein Coup“ kann ebenfalls in diese Reihe gestellt werden, denn, das, was ich im Text versuche zu zeigen, ist dass KI in seiner Struktur darauf angelegt ist, Abhängigkeiten in einem Ausmaß zu Konzentrieren, das jede Demokratie sprengen würde.

Ich bin seitdem ein ganzes Stück weitergekommen. Erst letztens fiel mir auf, dass all die Beobachtungen über Strategien der Austauschbarmachung, die ich in den drei Texten untersuche, in Wirklichkeit Netzwerk-Shaping-Operationen sind. All die Plattformen, Leitunternehmen von Supplychains und KI-Start-Ups arbeiten daran, das Netzwerk der Abhängigkeiten so zu strukturieren, dass sie sich selbst unersetzbar, die anderen aber ersetzbar machen. Netzwerktheoretisch ausgedrückt, versucht jeder Akteur seine relative Netzwerkzentralität zu erhöhen (ich tippe auf Betwenness-Zentralität, aber die anderen Arten könnten auch relevant sein).

Denken wir uns Abhängigkeiten als beliebig komplexes Netzwerk, in das man mit unterschiedlichen Zoomstufen reinschauen kann. Auf der Ebene des Haushalts kennen wir uns alle aus. Wir können die Spülmaschine nicht anstellen, weil wir erst noch Essen machen müssen, was aber nicht geht, weil die Teller nicht abgespült sind. Abhängigkeiten sind vernetzt und vertrackt und einen Haushalt (Oikos) zu führen, bedeutet in erster Linie, materielle Abhängigkeiten zu managen.

Man kann sodann raus-zoomen und stellt fest, dass die Haushalte an allerlei Infrastrukturen gekoppelt sind. Straßen, Schulen, klar, aber eben auch Geschirrspülmittelhersteller und Obstplantagen. Das Netzwerk der Abhängigkeiten wird in kapitalistischen Ökonomien entlang allerlei privater aber auch öffentlicher Infrastrukturen organisiert und diese Infrastrukturen nehmen jeweils relativ netzwerkzentrale Stellungen im Abhängigkeitsnetzwerk ein, sind aber selbst wieder in ein Netz von Abhängigkeiten verstrickt, ect. Netzwerkzentralität ist im Netzwerk als Schmerz spürbar, z.B. wenn mal eine zentrale Infrastruktur ausfällt (wie Strom, Wasser, oder wenn die Lieblingseissorte ist im lokalen Supermarkt vergriffen), oder eben beim Bezahlen, denn Netzwerkzentralität ist auch die Macht, Preise zu nehmen.

Im Alltag erleben wir Netzwerkzentralität als Attraktivität und schwierige „Bypassbarkeit“. Wenn ich eine andere Eissorte genauso gerne mag und sie im Supermarkt gegenüber bekomme, ist der Schmerz vertretbar und wenn der Nachbar Strom hat, kann ich ein Kabel rüber legen. Zentralität drückt also einerseits die netzwerkweite Relevanz eines Ressourcenzugangs aus (wie viele andere Knoten sind davon abhängig?), andererseits aber auch seine Subsitutierbarkeit (wie leicht kann der Zugang durch einen anderen ersetzt werden?).

Ich habe einiges davon hier im Newsletter entwickelt und einiges steht noch in meinen Notizen. Ein Buch ist noch zu früh, aber ich denke an ein wissenschaftliches Paper. Ich bin leider in diesen Feldern wenig orientiert und kaum vernetzt, deswegen die Frage an meine klugen Leser*innen:

Kennt ihr ein wissenschaftliches Journal, das international einigermaßen rezipiert und angesehen ist, aber trotzdem crazy enough wäre, diese Theorie bei sich abzudrucken? (englischsprachig, gerne links-heterodox, kapitalismuskritisch, etc., aber bitte auch nicht zuu fringe?)


Beim Hören von „Haken Dran“ nennt Gavin bei der Vorstellung von Jan Skudlarek (den ich vorher nicht kannte) dessen Dissertationstitel: „Relationale Intentionalität“ und weil ich das so spannend fand, hab ich statt den Podcast zu hören, seine Diss ganz begeistert gelesen.

Skudlarek will zunächst rausfinden, wie man gut über Gruppenhandlungen reden kann und stellt dabei fest, dass unser aufs Individuum zugeschnittenes Vokabular daran scheitert und dabei entdeckt er, dass Handlungen eigentlich gar nicht individualistisch denkbar sind.

Ausgehend von Wittgensteins Argument der Unmöglichkeit einer Privatsprache („Alleine kann man keinen Regeln folgen – subjektiv-private Regeln sind keine Regeln“) dekonstruiert er mit Franz Kannetzky die Cartesianische Meditation von Decartes (Ihr wisst schon: „Ich denke, also bin ich“) und kommt zu dem Schluss:

Denn erst, wenn man die Handlungsmuster, die eine Gemeinschaft bereitstellt, berücksichtigt, kann man individuelle Handlungen adäquat verstehen; vor dem Hintergrund, dass sie notwendigerweise Aktualisierungen bestimmter sozialer Schemata sind; nur in diesem Sinne kann die „individuelle“ Intentionalität (die, wie deutlich wird, im Kern dialogische, gemeinschaftliche Intentionalität ist), über die ein einzelner Akteur Auskunft gibt, bedeutsam sein.

Ich kann nur „Ich denke“, sagen (oder denken), weil ich in der Interaktion mit meiner Umwelt und anderen Sprechenden gelernt habe, was „denken“ und was „ich“ ist und wie man Sätze konstruiert. Der Einsatz von Sprache verweist immer schon auf ein „Wir“. Sie bettet uns in ein Geflecht der Bedeutungen ein, das eben nicht in unseren Köpfen, sondern zwischen ihnen residiert.

Willkommen im Poststrukturalismus! Wir haben hier noch genügend Platz für analytische Philosophen, komm rein, nimm dir nen Keks, fühl dich wie zu hause und erzähl mal: Wie fühlt man sich, nachdem man mal eben 400 Jahre Philosophiegeschichte in Frage gestellt hat?

Aus dem Verschwinden der „Trennwand“ zwischen individueller Intentionalität und kollektiver Intentionalität folgt, dass man nicht mehr das eine verwenden kann, um das andere zu beschreiben. Auch der methodologische Individualismus als Bewältigungsstrategie sozialphilosophischer Probleme fällt weg – ihm wird die Grundlage entzogen. In der Konsequenz des Privathandlungsarguments verschwindet zudem der cartesianische Geist- Welt-Dualismus, weil der Geist als ausschließlicher Ort intentionaler Unterscheidungskriterien wegfällt; an seiner Stelle entsteht das Bewusstsein von Intentionalität als Versatzstück gemeinsamer sozialer Praxen.

Aber der eigentlich spannende Teil kommt erst noch, denn was da in Trümmern liegt, muss neu aufgebaut werden und dafür iteriert Skudlarek verschiedene Denker*innen durch und landet schließlich bei Andy Clark und David Chalmers Idee des „aktiven Externalismus“. Die beiden versuchen zu zeigen, dass Denken nicht an den eigenen Schädelwänden endet, sondern dass schon die Verwendung eines einfachen Notizblocks als Denk-Externalisierung gedacht werden muss und sprechen in Folge von „Akteur-Umwelt-Kopplungen“.

Damit im Gepäck macht sich Skudlarek auf die Suche nach „Akteur-Akteur-Kopplungen“, auf die er situativ zwar stößt (etwa zwei Leute, die gemeinsam eine Couch durchs Treppenhaus hiefen), doch für wirklich stabile Akteur-Akteur-Kopplung fehlt es seiner Meinung nach am dauerhaft „verlässlichen Zugang“ der Akteure zueinander und da möchte ich rufen: aber dafür gibts doch die Sprache?

Also, hier mein Vorschlag:

Das was Du suchst, ist Sprache. Sprache ist jener zuverlässige, externe Zugang zum Denken anderer Menschen. Die einzelnen Sprechenden mögen Feierabend machen, die Sprache tut das nicht. Sie steht 24/7 zur Verfügung und ihre inhärenten Regeln sind durch Millionen Menschen in tausenden Generationen entwickelt worden, und diese künstliche Intelligenz zapfst Du an, wann immer Du den Mund aufmachst. Wenn du Sprache hast, bist Du nie allein: „Ich denke, also sind wir!“

Das kann man noch viel breiter denken. Luhmann sprach von Semantik als „Bedeutungsvorrat der Gesellschaft“. Und seit den LLMs wissen wir, dass wir uns Semantik als riesiges tausendimensionales Netzwerk von Bedeutungs-Vektoren vorstellen können. Es finden sich alle Sprachen, Umgangsformen, Kulturelle Praktiken, Malstile, Männlichkeitskonzeptionen, sowie allerlei makrosemantische Strukturen wie Narrative, Theorien, Sichtweisen, aber auch Omas Kuchenrezept, die typische Handbewegung der Jungs auf dem Schulhof und das Verwenden von Notizbüchern darin.

Und diese Struktur ist, ja, etwas externes, aber auch etwas, das wir jeden Tag in etlichen „Sprachakten“ beglaubigen und reaktualisieren. Wir sind Teil davon. Aber hier müssen wir mit Haraway wieder mehr in Richtung Privatsprache gehen und eingestehen, dass wir nur jeweils einen engen Ausschnitt davon bewohnen. Aber auch den kann man sich als zerklüftete Landschaft mit unendlich vielen wahrscheinlichen und weniger wahrscheinlichen Straßen vorstellen, in der es Schleichwege, Irrwege und breit befahrene Highways gibt, die sich aber dennoch als Irrwege herausstellen können.

Und jetzt kann man, wenn man will, die Intention wieder reinlassen, aber nicht mehr als eine aus sich selbst heraus sprechende Stimme, die sagt „ich will“, sondern als Navigator, Surfer, oder Trommler.

Navigator, weil wir zu jedem Zeitpunkt immer an einem konkreten semantischen Ort im Raum stehen, wann immer wir handeln. Das heißt, wenn wir irgendwo hinwollen (etwas sagen oder denken), müssen wir Schritt für Schritt von dort nach da hin-navigieren und unsere Fähigkeit zu Sprechdenken besteht, wie bei der LLM, vor allem aus allerlei gemerkten Weganweisungen.

Man kann das auch Surfen, wenn man etwas firmer mit einer bestimmten Semantik ist. Dann verknüpft man die vorbeifliegenden Sinn-Ereignisse wie Wellen, auf denen man reitet. (yeah!)

Und zuletzt drücken wir auf „Play“ und nehmen die Zeit mit dazu und dann beginnt sich dieses Netzwerk langsam aber stetig auf uns zuzubewegen. Semantiken verschieben sich, verwandeln sich, werden größer oder kleiner, zentraler, peripherer, mutieren, streuen, sterben, etc. Und wir sehen immer neue Ereignisse eintreffen, die immer neue Narrative aufs Gleis setzen. Die Narrative wiederholen sich, referenzieren sich, zitieren sich und in stetiger Wiederholung und Bekräftigung werden sie erwartbar und strukturieren wie ein Beat unsere Zeit und geben uns Orientierung nach vorn.

Jedenfalls glaube ich nicht, dass es eine neue „Theorie der Intention“ braucht. Es braucht eine neue Sprache zur Beschreibung des jeweiligen Eingebettetseins und des Sich-Bewegens im semantischen Raum.


Alle reden über Tim Walz und ich kann nachfühlen wieso. Seine Rede auf dem Demokratenkongress war gut, aber wenn ihr wirklich eine historisch gute Rede sehen wollt, guckt Euch lieber Michelle Obama an. Bei Tim Walz geht es weniger um Talent (das er ohne Frage hat), als um Sichtbarkeit. Er ist gewissermaßen der identitätspolitische DEI-Pick, aber ein sehr effektiver, denn alte, weiße Männer mit gewissem Hinterwäldler-Charme, die dennoch anständig sind, ist genau das, was fehlte?

Nicht, dass es nicht genügend anständige Männer gibt (wobei, wahrscheinlich weniger als man denkt?), aber ihre Sichtbarkeit ist … übersichtlich? Und wenn es sie gibt, dann sind sie meist nicht sehr anschlussfähig. Barack Obama fällt zum Beispiel nicht nur wegen seiner Hautfarbe für viele mittelamerikanische, weiße Männer als Rolemodel aus, sondern auch, weil er verdammt gut aussieht, gebildet ist und extrem eloquent ist. Viele finden Obama toll, ich in vielerlei Hinsicht auch, aber ich verstehe, dass sich viele nicht mit ihm identifizieren können. (Und das ist auch der Denkfehler derjenigen, die ausgerechnet in Robert Habeck den deutschen Tim Walz ausmachen. Nein, Habeck ist eher der deutsche Obama minus Pigmente. Er wird immer nur Bildungsbürger*innen wie Euch (und mich) ansprechen.)

Tim Walz ist dagegen wie viele sind. Er ist ein nicht besonders gut aussehender, betont unintellektuell auftretender, weißer Typ, der Dich null irritieren würde, wenn er bei Hornbach an dir vorbeigeht. Donald Trump füllt Stadien mit Leuten wie Walz und genau deswegen fühlt es sich so an, als füllte Walz ein identitätspolitisches Vakuum, dessen Leerstelle erst mit seiner Präsenz spürbar wurde.

Man muss sich den weißen, mittelamerikanischen Durchschnittstyp wie alle Menschen als Navigatoren ihrer Identität vorstellen. Sie leben wie wir in ihrer angestammten Semantik und blicken daraus auf die Welt und aus dieser Perspektive gibt es nur eine handvoll plausible Pfade vorwärts und erschreckend viele führen zu Trump.

Und daher fungiert Tim Walz als strategische Identitätsressource, die im Herzen der MAGA-Kultur einen Fluchtweg aufmacht. Aber wie alle Ressourcen muss auch ein Rolemodel individuell erschlossen, d.h. in diesem Fall imaginiert werden. Imaginieren bedeutet, eigene plausible Pfade zu finden, von dem Ort an dem man ist, zu einem Ort, der Näher an Tim Walz ist. Doch selbst wenn der Pfad dahin vorstellbar ist, stellt sich die Frage der Kosten, denn Pfade können unterschiedlich lang und mühsam sein: Wie stark muss ich mich ändern, um mehr wie Tim Walz zu sein? Wie viele von meinen Gewohnheiten bin ich bereit zu opfern? Wie viel bin ich bereit, dazuzulernen? Identität ist Arbeit!

Die semantischen Pfade sind vom mittelständischen, weißen männlichen Amerikaner zu jemandem wie Trump und seinen Jüngern sehr viel kürzer, als zu jemandem wie Hillary Clinton oder Barack Obama. Aber Tim Walz ist noch viel näher als Trump und als Vance sowieso. Tim Walz macht nicht nur neue Pfade zur Anständigkeit plausibel, er macht „Wokeness“ für viele überhaupt erst affordable.


Max Read identifiziert einen Schlag öffentlicher (Podcast/Influencer)-Dudes, die in letzter Zeit erfolgreich prominente, rechtsradikale Politiker wie Trump und Vance interviewen als „Dipshits“. Er umschreibt sie so: „who like “edgy,” trollish, hedonistic, attention-seeking personalities“ und da fiel mir ein, dass Joko und Klaas eigentlich auch ganz gute männliche Rolemodels sind.

Liest man Reads Taxonomie, fällt auf, wie kurz und plausibel der Weg vom „Prank“-Commedian zum rechten Dipshit ist. Der Shitstorm, der Joko und Klaas 2012 wegen der als Prank inszenierten sexuellen Belästigung ereilte, hätte sie leicht in diese Richtung kippen können.

Sie haben sich dagegen entschieden, haben einen anderen Pfad gesucht und sind deswegen, wer sie heute sind. Sie sind nicht perfekt und es gibt etliches zu kritisieren (keep it coming!), aber für junge Männer sind sie als sichtbarer, plausibler Pfad vom Proto-Dipshit zu einem reflektierten Männlichkeitsentwurf semantisch wertvoll.


Charlie Warzel erklärt die Affinität der Rechten zu KI-generiertem Slop:

That these tools should end up as the medium of choice for Trump’s political movement makes sense, too. It stands to reason that a politician who, for many years, has spun an unending series of lies into a patchwork alternate reality would gravitate toward a technology that allows one to, with a brief prompt, rewrite history so that it flatters him. Just as it seems obvious that Trump’s devoted followers—an extremely online group that has so fully embraced conspiracy theorizing and election denial that some of its members stormed the Capitol building—would delight in the bespoke memes and crude depictions of AI art. The MAGA movement has spent nine years building a coalition of conspiratorial hyper-partisans dedicated to creating a fictional information universe to cocoon themselves in. Now they can illustrate it.

Ein Grund, warum mich die Pfade zur nicht-toxischen Männlichkeit gerade so interessieren, ist, weil wir einen wichtigen Kampf um die Köpfe der Jungs führen müssen. Alle Siege, die wir heute gegen die Boomer- und GenX-Faschos erringen, könnten durch eine Faschisierung der Generation Z wieder zunichte gemacht werden.

Nun wissen wir, dass diese Generation sehr verwirrt und gespalten ist und gerade männliche Jugendliche immer mehr nach rechts kippen und das ist nicht verwunderlich, denn es liegen für sie so viele öffentliche Dipshit-Pfade aus wie noch nie?

Dipshitterei ist heute ein dezentrales multilevel Marketing-Geschäftsmodell und der Laden brummt. Dabei ist es egal, ob man Steroide, Crypto, Pickup- oder Lebensratgeber, oder Hass verkauft, Hauptsache man ist erfolgreich beim Ausbeuten der Jungs, die einen deswegen anhimmeln. Das ist nicht nur anschlussfähig nach rechts, das ist rechts.

Und deswegen erfüllt es mich mit Hoffnung, dass die rechte Blase voll auf Gen-KI abfährt. Denn wenn sie sich jetzt im Spiegelkabinett ihrer eigenen klischeetriefenden Imagination verliert, wird sie das nur weiter in Richtung „weirdness“ treiben und die Pfade dahin werden immer länger und unattraktiver.

Krasse Links No 25.

Willkommen bei Krasse Links No 25. Sorry, war letzte Woche krank, aber jetzt migriert Eure Publikumsjoker aus Happyland, heute vereinfachen wir die Zusammenhänge bis zur Kenntlichkeit.


Im letzten Newsletter hatte ich darauf hingewiesen, dass man etwas gegen die Macht der Milliardäre machen sollte, bevor es zu spät ist und das einfachste, was man sofort jetzt machen kann (ja, noch vor dem weiterlesen), ist diese Petition zu unterschreiben.

Einführung einer Vermögenssteuer zur Finanzierung des ökologischen und sozialen Wandels


Btw, ein wirklich toller Name für die Tech-Milliardäre ist Broligarchs. Den Begriff benutzt Brooke Harrington in ihrem tollen Stück über die durchgeknallte Silicon Valley Elite im Atlantic.

This mindset comes through in a 1997 book that Thiel has listed among his favorites of all time: The Sovereign Individual, by James Dale Davidson and William Rees-Mogg. The text unironically likens the ultrarich to “the gods in Greek myth,” and assures readers that they deserve no less than world domination: “Commanding vastly greater resources and beyond the reach of many forms of compulsion, the Sovereign Individual will redesign governments and reconfigure economies.” In describing why he included the book, Thiel said that it offered a “prophecy” of “a future that doesn’t include the powerful states that rule over us today.” Thiel has famously argued that freedom and democracy are incompatible.

Harrington führt dieses Mindset auf das Selbstverständnis der „Unverwundbarkeit“ zurück, das Menschen mit derart großem Ressourcenzugriff zwangsläufig ereilt. Sie können ihre rechtslibertären Politexperimente an der Gesellschaft nur deshalb durchführen, weil sie sich auf deren Funktionieren nicht mehr angewiesen fühlen.

And if the nation becomes a crumbling ruin, with cratering health and education levels, or roads and bridges falling to pieces, then what of it? In the short term, broligarchs can adapt to local anarchy as the ultrarich of Brazil and Mexico have done, using helicopters to commute a few blocks to work or to ferry their children to school, high above the crime-ridden streets where their fellow citizens must struggle to survive as best they can. In the long term, when their adaptations cease to protect them, they can retreat to luxury underground bunkers—complete with bowling alleys!—or even to outer space.

Eventuell sollte man „Reichtum“ endlich als psychisches Krankheitsbild anerkennen und allein zum Schutz der Betroffnen Maßnahmen zur Heilung veranlassen?


Ganz ehrlich? Ich weiß nicht mehr, was ich zu X und zu Musk noch sagen soll?

Mein Plattformbuch beginnt mit der Feststellung, dass die Tatsache, dass Plattformen viel Macht haben, ein absoluter Gemeinplatz geworden ist. Damit meinte ich nicht nur die Forschung. Jedes Provinz-Feuilleton und der Tagesschau ihre Mutter nervte jahrelang mit großen Aufmachern vor den Gefahren, die von der Macht der Plattformgiganten ausgingen.

Und irgendwie bin ich deswegen davon ausgegangen, dass, wenn so eine Plattform in die Hände von … sagen wir, einem durchgeknallten Rechtsradikalen … fällt, alle – wirklich alle – die Gefahr der Situation erkennen und gesellschaftsweit dazu mobilisieren, die Plattform in Scharen zu verlassen?

Das hat sich … nur zum Teil bestätigt, einem nach wie vor viel, viel zu geringen Teil. Und ich weiß ehrlich gesagt nicht, auf welches Ereignis die verbleibenden User noch warten? Ist der im Ansatz bereits gelungene Versuch einen Rassenkrieg in Europa anzufachen noch nicht genug?

Wer sich immer noch einredet, dass er/sie durch seine Präsenz auf X irgendwas zum Positiven bewegen kann, betreibt olympische Verdrängungsleistung. Jeder, der dort schreibt und liest, macht sich zum Teil des Problems. X mag als soziales Netzwerk an Bedeutung verlieren, aber es ist nachwievor die größte und mächtigste Nazipropagandawaffe, die es je gab. Unsere einzige Chance ist, sie irrelevant zu machen.

Wer elaboriertere Argumente braucht, darf sich gerne durch diese Links klicken.

Ich bin fertig mit dem Thema.


Es gibt etliche Regalmeter, die versuchen den überall aufpoppenden Rechtsradikalismus zu erklären und an den elaborierten Theorien wird hier und da etwas dran sein, aber manchmal beschleicht mich das Gefühl, dass wir die Sache komplizierter machen als sie ist?

Jedenfalls schafft es James Risen im Intercept praktisch die gesamte Politik des MAGA/Trump-Movements auf schlichten Rassismus zurückzuführen. Konkreter meint er die Angst der weißen amerikanischen Mehrheitsgesellschaft vor der sich abzeichnenden demographischen Verschiebung.

Dominated by Trump, the Republican Party adheres to policies designed both to maintain white political power and increase the white percentage of the nation’s population.

Once you understand that it is all about white power — especially white male power — the Trump-Republican agenda begins to make sense.

In der Tat:

  • Pro-Natalism (mehr weiße Babys)
  • Anti-Immigration, pro Deportation (gegen braune Babys)
  • Abtreibungsverbot (für mehr weiße Babys)
  • Anti-LGBTQ (mehr LGBTQ = weniger weiße Babys)
  • Pro Putin (Verteidiger des weißen Christentums)
  • Pro Israel (Vorposten gegen die Islamische Welt)

Und irgendwas sagt mir, dass das in Deutschland auch nicht so viel anders ist?


Wenn es Euch so geht wie mir, fragt ihr Euch nachwievor täglich, warum Kamala Harris‘ „weird“ so viel besser funktioniert als Joe Bidens „Democracy is on the ballot“. Ist letzteres nicht die viel größere Bedrohung?

Es gibt viele kluge Explainer, warum „weird“ funktioniert (zum Beispiel den von Jonas Schaible, dessen Newsletter sowieso in jede Inbox gehört), aber mir scheint, dass die oben gestellte Frage bereits eine Antworten enthält: „Gefahr für die Demokratie“ ist einfach eine Hausnummer zu groß?

Tupoka Ogette hatte vor einigen Jahren den Begriff „Happyland“ im Bezug auf Rassismus geprägt (Danke Susann für die Inspiration).

Fragt man die Bewohner*innen Happylands, wie es denn so um Rassismus steht in dieser Welt, wird er*sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sagen, dass das kein großes Thema mehr ist. Mehr noch, Happyländer*innen sind überzeugte Nicht-Rassisten. Nichts läge ihnen ferner, als jemanden bewusst auszugrenzen. Jedenfalls ist das nicht Teil ihres Selbstverständnisses. Sie halten sich für offen und tolerant. Das liegt daran, dass nicht nur das Wort, sondern auch die Gedanken daran aus Happyland verbannt wurden.

Die gute Nachricht ist, dass wir gar nicht in Deutschland, Frankreich oder den USA leben, sondern alle gemeinsam in Happyland, wo alles schön und fluffig ist. Und Happyland kann gar nicht durch Rassismus bedroht sein, denn den gibt es in Happyland ja nicht. Entsprechend entlädt sich die Wut der Happylandbewohner*innen nur selten gegen Rassist*innen, sondern meist gegen Menschen, die ihre Rassismuserfahrungen öffentlich machen, diese Miesepeter!

Etwas ganz ähnliches sieht man in der Kriminalisierung des Klimaaktivismus, denn es ist ja längst wissenschaftlich erwiesen, dass Happyland weder vom Klimawandel betroffen ist noch dazu beiträgt.

Meine These wäre also: „Democracy is on the ballot“ passt genauso wenig in den Happyland-Briefkasten, wie Rassismuserfahrungen oder Klimaklebstoff. Waaas? UNSERE superduper Demokratie bedroht? Ihr spinnt doch!

Aber „weirde“ Leute passen da eben auch nicht hin? Mit denen wollen wir jedenfalls nichts zu tun haben!


Google wurde erstmals von einem Gericht als Monopol verurteilt und das wird Silicon Valley im Mark erschüttern. Es gibt dazu viel zu sagen (vielleicht ein andermal mehr), aber ich finde hier vor allem die Preissetzungsmechanismen spannend.

Googles Preisschraube setzt bei den Werbekund*innen an, die ihre Anzeigen über einen intransparentes, automatisiertes Versteigerungsverfahren buchen. Aus dem Urteil:

Google can affect the final price paid for an ad through so-called “pricing knobs” or “pricing mechanisms.” Id. at 779, 783. Google has used three primary pricing knobs to influence prices: (1) squashing, (2) format pricing, and (3) randomized generalized second-price auction.

Die „Knöpfe“ sind nicht direkt Preissetzend, aber erhöhen künstlich den Wettbewerbsdruck um die gebuchten Keywords, was dann wiederum den Endpreis erhöht. Aus Sicht der Werbekund*innen ist das natürlich null nachvollziehbar.


Alistair Barr rantet im Wallstreet Journal lesenswert über die Legacy von Silivon Valley:

Streaming is now just as expensive and confusing as cable. Ubers cost as much as taxis. And the cloud is no longer cheap.

Ich seh das so: Ab etwa 2010 fing das Silicon Valley an, das Plattformgeschäftsmodell wirklich zu verstehen. Welche Dynamiken Netzwerkeffekte entfalten, wie Graphnahmen funktionieren, welche strategische Rolle Skalierung spielt, und wie und welche Leute man zum Bezahlen bekommt und wie man dann langsam per Enshittyfication an den „Pricing Nobs“ dreht, um den Druck auf der Cashflow-Pipline beliebig zu erhöhen.

Am Ende war es ein gesellschaftsweiter Enkeltrick: „Cut out the Middlemen“, hieß es, also ersetze etablierte Infrastrukturen durch diese „shiny new“ Infrastrukturen, die viel, viel zentralisierter sind und uns durch ihren ungleich stärken LockIn immer abhängiger gemacht haben, während wir die Alternativen haben verrotten lassen. Und jetzt werden wir halt ausgequetscht.


Large Language Models sind scheißekomplexe Systeme und es hat mich sehr viel Zeit und Anstrengung gekostet auch nur eine grobe Vorstellung davon zu bekommen, wie sie funktionieren. Auf der anderen Seite gibt es immer wieder super praktische Explainer und dieser hier ist deswegen bemerkenswert, weil man da einfach direkt mit rumspielen kann.


Ein in der KI-Diskussion immer wieder auftauchender Begriff ist der der „Emergent Abilities“ und jetzt hat ein Paper wahrscheinlich die Nuss geknackt, was dahintersteckt.

Kurz zusammengefasst beziehen sich Emergent Abilities auf die Beobachtung, dass LLMs ab einer bestimmten Skalierung neue, vorher nicht gekannte Fähigkeiten zeigen, etwa „In Context Learning“, „Step-by-step reasoning“ und die Fähigkeit, bestimmte Benchmarks zu erreichen. Der Begriff stammt aus einem Google-Paper, wurde aber kurz danach von anderen Forscher*innen als Mirage bezeichnet und seitdem geht die Diskussion.

Zusammen mit den „Scaling Laws“ stehen die „ermergent Abilities“ im Zentrum der Debatte, in wie weit LLMs fähig sind zu „denken“, oder ob sie eben doch nur stochsatische Papageien sind. Ich positionierte mich neulich ja (endlich) auf der Papageien-Seite und fand die Beschreibung der „Reasoningfähigkeiten“ als semantische „Programme“ plausibel, die Francois Chollet aufgebracht hat. Aber wie genau funktioniert das?

Dieses Paper kommt der Auflösung des Rätsels m.E. ein ganzes Stück weit näher (danke Julian). Um ihren Ansatz zu verstehen muss man wissen, dass es neben dem Basistraining der LLMs, bei dem ihnen die riesigen Textkorpora eingeprügelt werden, noch weitere Schritte des Trainings gibt, die man „Fine-Tuning“ nennt. Grob gesprochen erhalten die Modelle im Basistraining ihr Wissen und ihre Sprachfähigkeiten und im Fine-Tuning bekommen sie beigebracht, sich auf eine bestimmte Art zu verhalten, z.B. ein hilfreicher Chatbot zu sein.

Ein wichtiger Teil des Fine-Tuning ist wiederum das Instruction-Tuning, das ist, wo die Modelle beigebracht bekommen, wie man gut auf Prompts reagiert und entsprechend bestehen die Trainingsdaten aus etlichen Prompt-Antwort-Beispielen.

Die (experimentell unterfütterte) These der Forscher*innen ist nun, dass es diese Instruction-Tuning-Beispiele sind, auf die die LLMs als „semantische Programme“ zurückfallen, wenn sie „In Context Learning“ (ICL) praktizieren.

We propose that instruction-tuning enables models to map instructions to the form required for ICL, thus allowing instruction-tuned models to solve tasks using some implicit form of ICL. Importantly, during this process, models could be directly making use of the same underlying mechanism that makes ICL possible, just in a different way than when the model explicitly makes use of ICL from examples provided in the prompt. We call this use of ICL ‘implicit’ in-context learning. Performing such a mapping would be relatively straightforward for a very large model, especially given that this task format aligns closely with the training process carried out during instruction-tuning.

Ich weiß, das ist alles furchtbar kompliziert und verwirrend und der „stochastische Papagei“ erklärt dabei herzlich wenig, deswegen hier die kürzeste LLM-Erklärung, die mir bisher eingefallen ist:

LLMs funktionieren wie der Publikumsjoker bei Wer wird Millionär: Es gibt immer einen Satz, der vervollständigt werden muss, und die Mehrheitsentscheidung des Publikums bestimmt wie.

Und der Grund, warum LLMs funktionieren, ist derselbe, warum der Zuschauerjoker überraschend oft funktioniert. Das Publikum teilt eine gemeinsame Landkarte des Wissens, aber jede einzelne Person hat einen leicht anderen Ausschnitt. Die meisten Teile überschneiden sich, doch der eine kennt sich eher im Gartenbau aus, die andere in der Philosophie, der nächste in Technik und wieder eine andere ist viel gereist. Einzeln haben sie große Wissenslücken, aber gemeinsam decken sie ziemlich viel Territorium ab und wo sich ihr Wissen überschneidet, akkumuliert sich eine hohe Treffsicherheit.

Bei LLMs besteht das Publikum aus den Millionen Trainings-Texten und die Mehrheitsentscheidung passiert als Wahrscheinlichkeitsrechnung, aber das grobe Prinzip ist tatsächlich dasselbe.

Nun kann man das Ergebnis des Publikumsjokers erheblich verbessern, indem man das Publikum von 10 auf 100 vergrößert, wahrscheinlich auch noch, wenn man weiter auf 1000 skaliert, aber ein Publikum von einer Millionen wird nur homöopathisch besser sein als die Tausend. Kurz: Wir stoßen – wie bei den LLMs – auf „deminishing Returns“ und die Idee, dass ein Milliardenpublikumsjoker eine Superintelligenz triggert, wirkt ziemlich abwegig?


Die Leute bei OpenAI haben eine Methode gefunden, wie man Watermarks in LLM-generierte Texte integrieren kann, also die Texte so produzieren kann, dass man sie als LLM-Output automatisiert erkennen kann.

ChatGPT is powered by an AI system that predicts what word or word fragment, known as a token, should come next in a sentence. The anticheating tool under discussion at OpenAI would slightly change how the tokens are selected. Those changes would leave a pattern called a watermark.

The watermarks would be unnoticeable to the human eye but could be found with OpenAI’s detection technology. The detector provides a score of how likely the entire document or a portion of it was written by ChatGPT.

The watermarks are 99.9% effective when enough new text is created by ChatGPT, according to the internal documents.

Natürlich weigert sich OpenAI die Methode auszurollen. Den Grund dafür brachte Ethan Mollick schon vor einem Jahr auf den Punkt:

„Much of the value of AI use comes from people not knowing you are using it.“

Hey EU, ich hätte da eine Idee für eine Regulierung?


Die KI-Blase ist immer noch nicht geplatzt, obwohl praktisch alle nicht gehirngewaschenen Menschen „Bullshit“ gecalled haben und es macht Sinn sich zu fragen, wieso?

Ein offensichtlicher Grund scheint zu sein, dass Silicon Valley einfach die Alternativen fehlen. Das Plattformgeschäftsmodell hat grob von 2008 bis 2018 immer neue lukrative StartUps produziert, ist aber spätestens mit der fraglichen Wirtschaftlichkeit von WeWork, Uber und AirBnB outgefizzelt. Und seitdem rudern sie: Crypto, Metaverse und nun eben generative KI. Platzt KI, steht Silicon Valley ziemlich nackt da. Brian Merchant:

That’s what makes this such a wild moment. Because *despite all that* big tech has absolutely convinced itself that generative AI is the future, and thus far they’re apparently unwilling to listen to anyone else—even, so far, the money!—who pretty clearly thinks otherwise. Maybe they just don’t have any other viable ideas as to what to hype next if generative AI doesn’t pan out. Maybe they consider the sunk costs too high to jump ship. Maybe they’re genuinely worried that if they don’t crack the code and make an AI that can reliably do all the stuff they’ve promised AI can do someday, a competitor will. Maybe they’re seeing something most of us aren’t seeing. Who knows.

Nun ist das Plattformgeschäftsmodell für die Techfirmen nach wie vor unfassbar lukrativ und füllt zuverlässig ihre Geldspeicher.

The largest tech companies in the world are also the richest. Apple increase; Amazon, Microsoft and the parent companies of Google and Facebook now collectively sit on a little more than $570 billion in cash, short-term and long-term investments. That is more than double the collective pile of the next five richest nonfinancial companies on the S&P 500 index, according to data from S&P Global Market Intelligence.

Was sollen sie sonst mit dem Cash tun? Sinnvolle Produkte bauen? In ETFs anlegen? Den Welthunger besiegen?

Dazu kommt noch das viele Geld von Saudi Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Die Washington Post hat einen sehr lesenswerten Artikel dazu:

Microsoft last month announced a $1.5 billion investment in G42, the United Arab Emirates’ flagship tech firm, which also has an agreement to use AI language models from Sam Altman’s OpenAI. Prominent venture capital firm Andreessen Horowitz is in talks to raise $40 billion from Saudi Arabia for a dedicated AI fund.

Mit ihren fast 2 Billionen („Trillions“ im Englischen) verfügbaren Reserven haben sich die beiden Öl-Dikaturen zu den größten nicht-US-basierten Finanziers Silicon Valleys im Allgemeinen und generativer KI im besonderen gemausert und es wird immer schwieriger, sich daran zu erinnern, dass Menschenrechte – zumindest in der Öffentlichkeitsarbeit der Tech-Konzerne – einmal eine Rolle spielten.

Some tech entrepreneurs and venture firms once shunned Middle Eastern funding, driven by concern for human rights abuses, the region’s ties to China and industry disdain for what were once considered lucrative, but unsophisticated, investments, deemed “dumb money,” from oil states. The 2018 killing of Saudi journalist and Washington Post contributor Jamal Khashoggi caused some firms to explicitly step away from the country’s cash.

But Middle Eastern money has become the most powerful geopolitical force in the tech industry virtually overnight. “The Khashoggi era is over,” said a prominent venture capitalist.

Der eigentliche Twist der Story besteht aber darin, dass auch Washington seine Finger im Spiel hat. Generative KI ist derzeit das Hauptargument, mit dem die USA China aus dem neuen Technologie-Mekkah „outcrowden“ will:

Given the state of technology competition with China, “it’s going to be hard to coexist in both systems,” officials told their UAE counterparts, according to a senior administration official. ‘Look, you’re going to have to choose if you want to access that technology.‘

Before Microsoft invested in G42, the Biden administration won assurances the UAE company would divest from Chinese firms, remove Chinese technology from its data centers and would work to prevent advanced capabilities from leaking to China.

Nicht nur Silicon Valley ist davon abhängig, den KI-Hype aufrecht zu halten, sondern auch die Biden-Administration. Künstliche Intelligenz ist derzeit der wichtigste Motor westlich-geopolitischer Korruption.


John Oliver hat einen Beitrag über die Zustände im Westjordanland gemacht und international anerkannte Mainstream-Commedians und ihre gut recherchierten Beiträge sind meine letzte Hoffnung gegen die deutsche Staatsraison.


Das Israelische Magazin +972Mag, das bereits einige der KI-Programme, mit denen der Massenmord in Gaza durchgeführt wird, enttarnt hat, berichtet über die Nutzung kommerzieller Cloud-Infrastrukturen durch das israelische Militär.

But the “most important” advantage that the cloud companies provided, Dembinsky said, was their advanced capabilities in artificial intelligence. “The crazy wealth of services, big data and AI — we’ve already reached a point where our systems really need it,” she said with a smile. Working with these companies, she added, has granted the military “very significant operational effectiveness” in the Gaza Strip.

Gaza wird mit einer Intensität und Lückenlosigkeit überwacht, die wahrscheinlich einzigartig ist auf der Welt und das braucht einfach ne Menge Computerpower?

Military sources emphasized to +972 and Local Call that the scope of intelligence collected from the surveillance of all Palestinian residents of Gaza is so large that it cannot be stored on military servers alone. In particular, according to intelligence sources, much more extensive storage capabilities and processing power were needed to keep billions of audio files (as opposed to just textual information or metadata), which compelled the army to turn to the cloud services offered by tech companies.

Und alle sind mit dabei: Google, Amazon, Microsoft. Die Cloud ist jetzt eine Kriegswaffe und eventuell liegt dein Facebook-Profilbild auf demselben Server wie die Zielkoordinaten eines palästinensischen Krankenhauses.


Das betrifft auch Social Media. Der EFF veröffentlichte einen Appell an die Tech-Unternehmen, Israels staatlicher „Cyber Unit“ keinen präferierten Zugang mehr für Moderationsanfragen mehr zur Verfügung zu stellen, mit dem sie sehr erfolgreich Jagd auf Pro-Palästinensische Meinungsäußerungen macht.

This is not new. The Cyber Unit has long boasted that its takedown requests result in high compliance rates of up to 90 percent across all social media platforms. They have unfairly targeted Palestinian rights activists, news organizations, and civil society; one such incident prompted Meta’s Oversight Board to recommend that the company “Formalize a transparent process on how it receives and responds to all government requests for content removal, and ensure that they are included in transparency reporting.”


Nirgends sieht man die Verschmelzung von Silicon Valley mit dem Industriell-Militärischen Komplex schneller voranschreiten, als im Gravitationsfeld von Palantir.

Palantir Technologies Inc. (NYSE: PLTR) and Microsoft Corporation (NASDAQ: MSFT) announce today a significant advancement in their partnership to bring some of the most sophisticated and secure cloud, AI and analytics capabilities to the U.S. Defense and Intelligence Community. This is a first-of-its-kind, integrated suite of technology that will allow critical national security missions to operationalize Microsoft’s best-in-class large language models (LLMs) via Azure OpenAI Service within Palantir’s AI Platforms (AIP) in Microsoft’s government and classified cloud environments.

I keep telling you: Gaza ist nur der Testfall.

Krasse Links No 24.

Willkommen bei Krasse Links No 24. Stachelt Eure Weirdness durch den Algo, heute zertrommeln wir die Schwerlosigkeit der Macht.


Die Financial Times berichtet, dass die Techbranche alleine dieses Jahr über hundert Milliarden Dollar in KI-Infrastruktur investiert.

Microsoft, Alphabet, Amazon and Meta all revealed massive increases in spending in the first six months of 2024 — totalling $106bn — in their latest quarterly earnings reports, as their leaders brushed off stock market jitters to pledge further investment hikes over the next 18 months.

Und das ist erst der Anfang.

Analysts at Dell’Oro Group now expect as much as $1tn could be channelled into infrastructure such as data centres within five years, even though the companies have so far failed to convince investors that their customers are prepared to spend big on AI products and services.


Edward Zitron, der schlecht gelaunte Silicon Valley Insider, nahm die Nachricht, dass OpenAI auf dem Weg ist, dieses Jahr 5 Milliarden Dollar Miese zu machen, zum Anlass einen seiner ellenlangen Blogposts (mit ehrlich gesagt extrem viel Redundanz) zu schreiben und dem Unternehmen den Untergang vorherzusagen. Er gibt OpenAI höchstens ein bis zwei Jahre, bevor es unter der einen oder anderen unerfüllbaren Erwartung zerbricht. Um dem zu entgehen, muss OpenAI mindestens ein paar dieser Dinge schaffen:

  • OpenAI’s only real options are to reduce costs or the price of its offerings. It has not succeeded in reducing costs so far, and reducing prices would only increase costs..
  • To progress to the next models of GPT, OpenAI’s core product, the company would have to find new functionality
  • OpenAI is inherently limited by GPT’s transformer-based architecture, which does not actually automate things, and as a result may only be able to do „more“ and „faster,“ which does not significantly change the product, at least not in such a way that would make it as valuable as it needs to be.
  • OpenAI’s only other option is to invent an entirely new kind of technology, and be able to productize and monetize said technology, something that the company has not yet been able to do.

Zitron und andere trommeln seit Monaten diesen Beat, ich ja auch seit einiger Zeit, und seit Wallstreet und Massenmedien eingestiegen sind, ist er eigentlich kaum mehr überhörbar und wird durch immer mehr Indizien gedeckt, und ja, die Tech-Werte wackeln schon, aber das oben erwähnte 100 Milliardenloch wird trotzdem weitergeschaufelt?

Meine Vermutung: Man kann dem „Markt“ gerade beim Denken zuschauen. Und weil er Informationen ganz zufällig so langsam verarbeitet, wie ein sich enorm überschätzt habender Tech-Oligarch, der getrieben von der allzumenschlichen „Sunk Cost“-Fallacy immer noch auf ein Wunder hofft, braucht er halt ein bisschen?


Max Read stellt die sehr berechtigte Frage: „Why is Bitcoin even a campaign issue in 2024?“ und seine Betrachtungen sind lesenswert. Denn tatsächlich sollten sich auch die Cryptokritiker eingestehen, dass die These, die erhöhten Leitzinsen würden Crypto den Gar ausmachen, nicht aufgegangen ist. Irgendwie haben es die Crypto-Bros geschafft, Bitcoin in die Welt der Schwerkraft zu transferieren, auch wenn die Stimmung nun eine ganz andere ist, als zu „Web3“-Zeiten:

The residual, streamlined, post-FTX, post-web3 crypto culture is interesting. It’s mostly divested itself of the pretense of non-speculative utility that served as a cover for the web3 bubble; you don’t really hear many start-ups pitching blockchain solutions anymore. What’s left is a core group of ideologically and financially committed young men, a mix of hustlers and marks (almost everyone in this scene is both at once), who buy deeply into crypto’s promise of financial independence, if not always the full anarcho-capitalist program that spawned the tech.

Bitcoin ist jetzt jetzt zwar kein Tool mehr, um irgendein Problem zu lösen, aber ein „anerkanntes“ spekulatives Anlageobjekt und hat damit eine zweite Gruppe von Trommlern akquiriert, die in ihren Beat einstimmen:

This base is joined in the current crypto coalition by a collection of somewhat more pragmatic, often institutional investors–think Larry Fink of the immense investment management firm BlackRock–who have less of an ideological commitment and simply like crypto (and especially Bitcoin) as a speculative “non-correlated” asset.

Es ist vielleicht ein historischer Zufall, dass just in dem Moment, in dem das ganze Crypto-Scheme zusammenbrach, die SEC die Freigabe von Bitcoin-ETFs bekanntgab. Die Riesenpauken von Jericho Wallstreet machen eine Menge her. Für Wallstreet ist Bitcoin zwar nur ein „uncorrelated asset“, dass sie zum „Hedgen“ (also zum Risikoausgleich) von strukturierten Portfolios verwenden können. Sie geben nicht mal mehr vor, dass ein Bezug zur materiellen Realität in ihren Modellen eine Rolle spielt. „Number Go UP“ plus ein bisschen Zahlenwoodoo reicht vollkommen.

Crypto ist angetreten den Finanzmarkt zu ersetzen, und hat ihn stattdessen als zynische Clownveranstaltung enttarnt. Das wäre alles furchtbar lustig, aber leider bestimmen diese Clowns unsere materielle Realität und lenken die Ressourcenströme, die unsere Zukunft bauen.


Threads hat die 200 Millionen Usermarke durchbrochen und das ist ein guter Take:

Zumindest, wenn man das irreführende Wort „Monopol“ mit „hoher Netzerwerkzentralität“ tauscht und dazu versteht, dass das kein Ausrutscher ist, sondern dass Kapitalismus immer so funktioniert.

Mir wurde übrigens auch klar, warum Threads so schlecht darin ist, trotz dieser User-Zahlen öffentliche Relevanz zu erzeugen. Der Threads-Algorithmus arbeitet dezidiert a-rhytmisch und zerlegt jeden Beat in zusammenhangslose Soundfetzen.


Alle reden davon, dass die Kamala Harris-Kamapagne das Wort „weird“ als effektive Waffe gegen Trump/Vance entdeckt hat und alle lieben es. Die Argumentation geht so, dass Trump und Vance sich kaum gegen den Vorwurf wehren können, schließlich ist er so vage, dass man ihn nicht widerlegen kann und die Beteuerung, man wäre gar nicht „weird“ klingt wie eine Bestätigung der These.

Ich will das Manöver auch gar nicht auf taktischer Ebene kritisieren. Es sieht so aus, als würde der Ausdruck tatsächlich gut auf Trump und Vance im aktuellen, kulturell-politischen Moment passen und könnte einen mehrheitsfähigen Beat gegen den Faschismus anstimmen.

Ich will aber auf strategische Untiefen hindeuten, in die man sich mit der Rede von der „weirdness“ begibt. Denn „weird“ bleibt eine Ausgrenzungsgeste des Andersartigen und passt damit grundsätzlich auf alle (noch) nicht-etablierten Semantiken. Mit „weird“ wird kein Problem beschrieben, sondern eine Abweichung konstatiert und diszipliniert und deswegen fällt es mir schwer, dabei einzustimmen.

Let’s face it: ich bin weird. Dieser Newsletter hier ist weird. Ihr alle seid „weird“ weil ihr das hier lest.

Im Gegenzug schreibe ich den Newsletter nur deswegen, weil mir die Welt „weird“ geworden ist. Ich habe die Ungleichzeitigkeit zwischen materieller Realität und etablierten Erzählungen nicht mehr zusammenbekommen und meine weirdness ist nur die Spiegelung dieser Entfremdung.

Und auch wenn ihr der festen Meinung seid, dass ich hier eh nur quatsch erzähle und es kein Verlust wäre, wenn Leute wie ich einfach ausgegrenzt werden: die Gesellschaft braucht weirdness, um aus angestammten Semantiken auszubrechen und sich weiter zu entwickeln.


Das Schöne an dem Bild mit dem Beat ist ja, dass es auch die Öffentlichkeitsstruktur der AGI-Debatte gut erklärt. Da haben wir zum einen die Leute, die vor den existentiellen Gefahren vor AGI warnen (Longtermists) und dann gibt es die Leute, die meinen, man muss AGI mit allem was geht und gegen alle Bedenken durchdrücken (e/acc), aber wenn man ein bisschen in die Debatte reinhört, dann merkt man schnell: es ist derselbe Beat, nur phasenverschoben.

In diese Psydodebatte hat sich nun auch Vatlik Buterin eingeschaltet und ich kann nicht anders, als seinen Text zu empfehlen. Meine persönliche Theorie zu Buterin ist, dass er eigentlich zu intelligent und mitfühlend ist, um mit den Cryptobros rumzuhängen, aber irgendwie ist er in diese Strukturen materiell und semantisch zu sehr verstrickt, als dass er daraus ausbrechen kann und man merkt seinem Text an, wie sehr er sich müht, von diesem toxischen Startpunkt aus einen einen Weg in die Vernunft zu finden und dabei scheitert.

Der Text ist aber vor allem deswegen lesenswert, weil Buterin so intellektuell aufrichtig ist, nicht nur die apokalyptischen AGI-Szenarien auszumalen, sondern auch mal deren „utopische“ Gegenerzählung auszubuchstabieren:

It seems very hard to have a „friendly“ superintelligent-AI-dominated world where humans are anything other than pets.

Ich glaube ja nicht an AGI, aber wenn selbst die Tech-Bros mit nichts besserem kommen können, als einer Zukunft, in der wir all unsere materielle Handlungsmacht verlieren und als endgültig atomisierte und entkörperlichte „Individuen“ den Hitzetod der Gesellschaft im Metaverse feiern, zusammen mit unseren KI-Freund*innen, deren Haustiere wir eigentlich sind, dann liegt die Frage auf der Hand:

Kann ich das Extinction-Szenario noch mal sehen?


Lewis Waller hat in seinem empfehlenswerten Channel „then & now“ eine sehr überzeugende Historie und Kritik der Massenmedien und damit der medialen Öffentlichkeit vorgelegt.

Wie Euch vielleicht aufgefallen ist, ist es fast unmöglich, heute eine Fundamentalkritik der Medien auszusprechen, die weder in die Falle tappt, der rechten Semantik des Elitenbashings auf den Leim zu gehen, noch den weit schlimmeren Fehler begeht und die Elitenverbundenheit der Massenmedien leugnet.

Waller aber schafft das, indem er sich die Zeit nimmt, die Geschichte der Massenmedien von der Druckerpresse bis Jordan Peterson zu erzählen ohne dabei den Blick auf die politische Ökonomie der Branche zu verlieren.

Dabei kommt er zu dem sehr nachvollziehbaren Schluss, dass, ja, die Mainstreammedien Elitenmedien und Biased as Shit sind (aber eben anders als die rechten erzählen), aber die rechten „alternativen“ Medien eben auch Elitenmedien und noch viel biaseter as Shit sind. Ihr Trommeln dient nur einem Eliten-internen Machtkampf.


Andreas Knie, der Leiter der Forschungsgruppe Digitale Mobilität hat einen Gastbeitrag in der Frankfurther Rundschau über den Zustand der Bahn geschrieben und greift darin vor allem die Idee der Trennung von „Netz und Betrieb“ an. Im Gegensatz zu Straße und Auto, so Knie, müsse man Schiene und Bahn als operationale Einheit verstehen.

Die Eisenbahn dagegen funktioniert nur als integriertes System unter einer Leitung. Züge und Schienen sind ein geschlossenes, aufeinander abgestimmtes Gebäude: Trasse und Traktion ist eine Produktionseinheit.

Das Chaos bei der Bahn ist ein anschauliches Beispiel dafür, wie die eisenharte Durchsetzung der Ideologie des Marktes funktionierende Systeme an den Rand des Zusammenbruchs bringen kann.

Betrachten wir das ganze einmal mit der Brille der Ökonomie der Abhängigkeiten: Auf die Bahn sind viele Menschen angewiesen aber auf unterschiedliche Weise. Der eine pendelt beruflich zwischen München und Berlin, die andere besucht jeden Sonntag ihren Bruder in der Nachbarstadt und alle sind irgendwie ein bisschen davon abhängig, mehr oder weniger spontan an jeden Ort in Deutschland kommen zu können. Die Bahn hat damit eine enorm hohe Netzwerkzentralität im gesellschaftlichen Gesamtgefüge.

Der „Markt“ ist in dieser Theorie nur der Umstand, dass es mehre unabhängige Infrastrukturen zur Befriedigung einer bestimmten Abhängigkeit gibt, was die relative Netzwerkzentralität der Anbieter reduziert. Das ist nicht nichts und kann zu einer gewissen Preis- und Produktdisziplin führen, aber die Frage ist: trifft das auf den Bahn-Wettbewerb überhaupt zu?

Mehrere Bahnunternehmen, die auf einem „neutralen“ Netz operieren schaffen in den wenigsten Fällen alternative Verbindungen mit alternativen Preisen. Meist ist es so, dass Strecken aufgeteilt werden: Strecken in die ein kleinerer Anbieter reingeht, wird für die Bahn unwirtschaftlich und wird geschlossen, bzw. Ressorceninputs dahin werden reduziert.

Doch Abhängigkeiten sind immer relational zwischen zwei Akteuren und die Strecke München – Berlin subsituiert nun mal nicht die Regionalbahn in die Nachbarstadt und umgekehrt und so kommt es, dass durch den angeblichen „Wettbewerb“ gar keine Netzwerkzentralität reduziert, sondern nur umgeschichtet wird. Die Preise geben dann höchstens kurzfristig nach, aber sobald jedes Bahnunternehmen seine jeweiligen Strecken monopolisiert hat, muss Rendite erwirtschaftet werden. Gleichzeitig muss aber für den Betrieb der Bahn immer mehr organisatorische Apparate einbezogen werden, die das Gesamtsystem instabiler werden lassen.

Der Wettbewerb hat gigantische Zentrifugalkräfte entstehen lassen, die keiner mehr überblickt, die vermeintlichen Wettbewerbsvorteile sind nur zulasten der unteren Beschäftigtengruppen erreicht worden, während Overhead und beteiligte Anwaltskanzleien gut verdient haben. Es gibt komischerweise auch nur einen Fachkräftemangel bei Busfahrerinnen und Busfahrern, nicht bei Zweckverbänden. Innovationen kommen in diesem Wettbewerbsverfahren auch nicht vor, da nur die Kosten betrachtet werden und die Angebote für Jahrzehnte nicht verändert werden können, sonst drohen Klagen der Unterlegenen.

Knie schlägt Radikalmaßnahmen vor:

Es muss sofort notoperiert werden. Alles, was nicht zum Eisenbahngeschäft gehört, wird verkauft, die Länder geben den SPNV wieder zurück an eine neu gegründete „Deutsche Eisenbahn Gesellschaft“, die vom Eisenbahnbundesamt kontrolliert und überwacht wird. Hier können dann die Länder ihre Interessen einbringen, diese werden aber alleine einer bundesweiten Systemlogik unterstellt.


Der Chefkomentator der Financial Times, Martin Wolf, appelliert an die Milliardäre, Trump nicht zu unterstützen und sein Hauptargument besteht darin, sie darauf hinzuweisen, dass ihr Reichtum von eben jenem System abhängt, das sie durch ihre Trumpunterstützung angreifen.

The plutocrats who support Trump may remain safer than Berezovsky. But can they really be as free as they want? Yes, a further erosion of democracy might protect them from interference by the elected politicians they detest. But the men they put in power, in their stead, have a tendency to turn themselves into absolute rulers. Nobody can then be truly safe.

Der Verweis auf „Berezovsky“ bezieht sich auf eine Anekdote, die Wolf am Anfang erzählt.

In 1999, the late Boris Berezovsky had lunch with the editor and senior journalists of the FT. I had already met him in Moscow on several occasions. Berezovsky had just played a role in persuading those close to Boris Yeltsin to appoint Vladimir Putin, then head of the FSB, Russia’s security service (whom Berezovsky had known when Putin was deputy mayor of St Petersburg), to be prime minister and his successor as president. “Why”, I asked, “did you trust a former KGB agent with power?” I have long remembered his reply: “Russia”, he said, was “now a capitalist country. In capitalist countries, capitalists hold power.”

My jaw metaphorically dropped. Berezovsky was an intelligent, ruthless and cynical man, who had lived much of his life in the Soviet Union. He was also a Russian, who knew Russia’s brutal history. Yet he appeared to believe Marxist claptrap about where power would lie in supposedly “capitalist” Russia. Of course, he was wrong. Power lay in the hands of the man in the Kremlin, where it always had. Perhaps I am too harsh on him. Western leaders seem to think that sanctions on Russian oligarchs might influence Putin. I have no idea why.

Was Berezovsky damals noch nicht verstand und was Wolf bis heute nicht zu verstehen scheint, ist, dass es in Putins Russland keinen Unterschied zwischen Politik und Wirtschaft gibt. Das Oligarchensystem funktioniert kurzgesagt so, dass Du wirtschaftlich nicht gegen den Willen Putin existieren kannst, aber in der Politik mitreden darfst, wenn Du dem Chef „Gefallen“ tust.

Damit wird aber nur ungeniert vorgetragen, was auch im Westen hinter dem Vorhang passiert. Der ganze Witz an Donald Trump ist doch, dass er sich seinen Oligarchenstyle in den Jahrzehnten des unbehelligtem Betrügen und Belügen als „Geschäftsmann“ angewöhnt hat. Ab einer bestimmten wirtschaftlichen Macht sind Gesetze nur noch teuer verstellbare Hindernisse und Politik ein lästiges Ritual.

Der größte Trick, den der Teufel je gepulled hat, war uns weis zu machen, dass Ökonomie etwas von der Politik abgrenzbares ist. Das war die entscheidende, ideologische Pfadentscheidung, die im Neoliberalismus und von dort in der heutigen Oligarchie gipfelt. Die „Ökonomie“ dient als Wissensobjekt nicht der Erkenntnis, sondern der Verschleierung. Sie ist der ideologische Vorhang, der uns die Sicht auf essentielle Eigenschaften der Wirtschaft verwehrt:

  • Dass alles, was in der Privatwirtschaft passiert, von der materiellen, rechtlichen und semantischen Infrastruktur des Staates abhängig ist. Ohne Staat kein Eigentum, keine Sicherheit von Vermögen, keine Transportinfrastruktur, etc.
  • Dass all diese materiellen, semantischen und rechtlichen Infrastrukturen grundsätzlich änderbar sind.
  • Es fällt aus dem Blick, dass der Staat auch der stärkste wirtschaftlicher Akteur ist, der, sobald er Abhängigkeiten durch öffentliche Infrastrukturen bedient, das ganze Marktgeschehen komplett umstrukturieren kann.
  • Am deutlichsten grenzt dieser Blickwinkel den riesigen Anteil an Wertschöpfung aus, der in Form von Carearbeit in den Haushalten die Gesellschaft reproduziert.
  • Umgekehrt macht diese Trennung unsichtbar, dass Infrastrukturen politisch sind. Es ist nicht egal, wie ein Unternehmen geführt wird, wie die Infrastrukturen beschaffen sind und wie sie unsere Gesellschaft reproduzieren.
  • Und die Trennung macht unsichtbar, dass unsere Zukunft als Gesellschaft und als Menschheit von Projekten der Oligarchen gestaltet wird. Und habt ihr diesen Leuten in letzter Zeit mal zugehört?

Im Guardian hat George Monbiot einen Kommentar über den Vorschlag Brasiliens geschrieben, eine weltweite 2% Milliardärs-Vermögenssteuer einzuführen.

Radical? Not at all. According to calculations by Oxfam, the wealth of billionaires has been growing so fast in recent years that maintaining it at a constant level would have required an annual tax of 12.8%. Trillions, in other words: enough to address global problems long written off as intractable.

Monbiot hat viele Zahlen zusammengetragen, die, wenn man sie auf sich wirken lässt, ein Gefühl der einsetzenden Ohnmacht aufkommen lassen.

In the two years following the start of the pandemic, the world’s richest 1% captured 63% of economic growth. The collective fortune of billionaires rose by $2.7bn a day, while some of the world’s poorest became poorer still. Between 2020 and 2023, the five richest men on Earth doubled their wealth.

Und er macht klar, dass das alles direkt auf unsere Kosten geht:

Billionaire wealth impoverishes us all: astonishingly, each of them produces, on average, a million times more carbon dioxide than the average global citizen in the bottom 90%. Billionaires are a blight on the planet.

Ich sag jetzt mal etwas „weirdes“:

Wir müssen der Macht der Milliardäre eine Grenze setzen, bevor es zu spät ist!

Was meine ich mit zu spät? Auf dem Weg vom demokratischen Kapitalismus zum Neofeudalismus gibt es einen „Point of no Return“. Es ist der Punkt, an dem die Netzwerkzentralität der Milliardäre so unangreifbar geworden ist, dass wir ihre Macht mit demokratischen Institutionen nicht mehr eingrenzen könnten, selbst wenn wir wollten. Und dieser Punkt ist viel, viel früher, als der, an dem wir alle merken, dass wir nicht mehr frei sind.

„I think we are all either vaguely or painfully aware that, regardless of changes of government, our needs will be met only if they coincide with the demands of capital. If they run directly counter to those demands, however great and consistent our wishes might be, they scarcely stand a chance.“

Meine Vermutung: Der Zeitpunkt ist jetzt. Die Machtakkumulation beschleunigt sich immer weiter und führt bei einigen (Musk, Thiel, Ackman, Sachs, Mercer, ect) bereits zu einem erwachenden „Klassenbewusstsein“.

Wer die Serie „The Boys“ verfolgt, sieht diesen Prozess präzise im Charakter des Homelander verkörpert, den der eingeübte Blick von Oben in jene Schwerelosigkeit befördert, in der Menschen nur noch lästige zu managende Hindernisse sind. Es geht schon lange nicht mehr um Geld, sondern um die Aussicht auf unantastbare Macht.

Attac und Occupy Wallstreet sind ne Weile her und die Linke scheint unfähig, sich noch auf irgendwas zu einigen. Doch hier wäre doch die Gelegenheit, einmal mit einem breiten Bündnis, möglichst auch international vernetzt, die große Trommel zu rühren.

So here’s the test the G20 governments face: 3,000 versus 8 billion. Do their loyalties lie with 0.00004% of the world’s population, or with the rest? If your government seeks to block the Brazilian proposal, you will have your answer.

Wenn wir es schaffen würden, Hunderttausende auf die auf die Straße zu bringen, nur für diese Forderung und dadurch die bereits vorhandene, deutliche Mehrheit für eine Vermögenssteuer in einen unleugbaren Wunsch des Wahlvolkes verwandelten, dann könnte man den G20 Gipfel im November als Test verstehen: Leben wir noch in einer Demokratie, oder ist der Zug schon abgefahren?

Kryptoindustrie: Die Ideologie hinter Krypto | ZEIT ONLINE

Ich wurde von Zeit Online zu dem zunehmenden Verschmelzen von rechter Ideologie und Crypto befragt.

Es ist kein Zufall, dass die Branche mit den Republikanern sympathisiert. Beide stünden sich ideologisch nahe, sagt der Kommunikationswissenschaftler Michael Seemann. Er hat ein Buch über den Plattformkapitalismus geschrieben und saß im Bundestagsausschuss zu digitalen Themen. „Kryptoassets sind die kapitalistische Erzählung auf Speed“, sagt Seemann. „Kryptoassets sind die kapitalistische Erzählung auf Speed“, sagt Seemann.

In der Welt der Libertären sei jeder für sein Geld selbst verantwortlich, es brauche keine Staaten oder Banken mehr. „Diese Leute wollen das Recht des Stärkeren einführen, einen neuen Neofeudalismus“, sagt Seemann. Ein aktuelles Beispiel für diese Nähe von Politik und Krypto: Der Investor David Sacks vermittelte J. D. Vance im März 2024 bei einer Spendengala ein Dinner mit Donald Trump. „Das hat ihm mit zur Kandidatur für die Vizepräsidentschaft verholfen“, sagt Seemann.

Quelle: Kryptoindustrie: Die Ideologie hinter Krypto | ZEIT ONLINE