Das Technikjahr 2024 – Ki, Klima, Crypto (mspr0 & Ali Hackalife) Auch-interessant! – 38C3

Ali Hackalife hat mich wieder eingeladen, dieses mal auf dem CCC-Congress, wo wir live auf der Sendezentrumsbühne das vergangene Jahr verpodcasten werden.

Auf dem 38c3 treffen sich Ali und mspr0 um auf das vergangene Technikjahr zurück zu schauen. Wie geht es Alis Technik-Optimismus nach diesem Jahr. Und was lief anders als erwartet.

Quelle: Das Technikjahr 2024 – Ki, Klima, Crypto (mspr0 & Ali Hackalife) Auch-interessant! – 38C3

Krasse Links No 37

Willkommen zu Krasse Links No 37 und frohes Fest für alle, die feiern. Und jetzt nehmt Eure Geschenke entgegen, heute realisieren wir die Kosten der Sprechakt-Waffen für die Konnektivitätsökonomie der Hyperrealität.


In den Blättern für Internationale Politik fleht Michael Tomaskyfleht seine Mitmenschen an, die materielle Realität der Medienlandlandschaft endlich ernst zu nehmen.

Ich flehe Sie an: Denken Sie darüber nach. Wenn Sie ein gewisses Alter haben, haben Sie noch lebhafte Erinnerungen an Revolutionen in der sogenannten Dritten Welt. Frage: Was hat jede Guerillaarmee, ob links oder rechts, als Erstes getan, nachdem sie den Palast erobert hatte? Sie haben den Radio- oder Fernsehsender übernommen. Als Erstes. Dafür gibt es einen Grund. Es ist derselbe Grund, aus dem Viktor Orbán der rechtskonservativen Konferenz CPAC 2022 sagte: „Habt eure eigenen Medien.“


Arte hat gerade eine wundervolle, knapp vierstündige Doku in vier Teilen über die Intellektuelle Zeitenwende von 1827 – 1871 in Paris, die man wohl auch „Französische Romantik“ nennt.

„Die Legenden von Paris“ ist eine komplett in Zeichentrick umgesetzte Doku und folgt den Protagonisten Victor Hugo, Alexandre Dumas, Eugène Delacroix, George Sand, Honoré de Balzac, Charles Baudelaire und vielen anderen durch ihre miteinander eng verstrickten Biographien.


Stuart Thompson berichtet in der New York Times über den Selbstversuch, sich mehrere Tage lang über die rechte Videoplattform Rumble zu informieren.

As soon as President-elect Donald J. Trump won the presidential race, influencers on Rumble, the right-wing alternative to YouTube, flooded the platform with a simple catchphrase: “We are the media now.”

The idea seemed to capture a growing sense that traditional journalists have lost their position at the center of the media ecosystem. Polls show that trust in mainstream news media has plummeted, and that nearly half of all young people get their news from “influencers” rather than journalists.

Ich glaube, wir machen uns tatsächlich keine Vorstellung von der Größe und dem Einfluss der semantischen Sezession und ihren Infrastrukturen. Natürlich ist „Rumble“ nicht „die Medien“, aber in der Gesamtschau – X, Truth Social, Rumble, Telegram, Fox News, die Brocaster-Szene sowie die durchgeknallte Milliardärsriege – ist es safe to say, dass rechte Medien zumindest in den USA das erlangt haben, was Gramscy die „Kulturelle Hegemonie“ nannte.

Antonio Gramsci führt den Begriff der „kulturellen Hegemonie“ ein, um zu erklären, warum der Kapitalismus selbst von denen verteidigt wird, die unzweideutig unter ihm leiden. Kulturelle Hegemonie ist ein Set allgemein akzeptierter, nicht aufgezwungener Erzählungen, die die soziale Ordnung gewaltlos zusammenhält. Schon Gramsci wusste, dass Hegemonie etwas materiell Hergestelltes ist und spricht von “Hegemonie-Apparaten”, worunter er vor allem das Bildungs- und Mediensystem, aber auch Vereinigungen, Parteien und andere Institutionen fasst, die meinungsbildend wirken.

Netzwerkperspektivisch ist Hegemonie das, was David Sigh Grewal als „Threshold of Inevitability“ bezeichnet, also den Schwellenwert, wenn ein Standard so allgegenwärtig wird, dass man sich aktiv gegen ihn entscheiden muss, wenn man ihn nicht nutzen will. Hegemonie hast Du dann, wenn Deine Pfadangebote die semantischen Choice Architectures aller anderen strukturieren und die das meist nicht mal merken.

Es braucht ein paar Tage bis Thompson merkt, wie die semantischen Choice Architectures von Rumble seine Weltsicht beeinflussen.

After just a week, this alternate reality started shifting how I instinctively reacted to the world outside Rumble. I would catch a stray story on the local news radio about something innocuous, like train delays or traffic jams, and wonder: “Can I really trust this?”

It’s true that listening to any single news source long enough will shift your perspective.

Weil Thompson kein Indviduum ist, das die Welt beobachtet, sondern ein Dividuun, das Rumble-Tröten dabei beobachtet, die Welt zu beobachten, kann er sich kaum erwehren, ihre Perspektive in Betracht zu ziehen. Der Unterschied zwischen ihm und den vielen anderen, die sich unrettbar in der semantischen Sezession verstricken, ist die ihm zur Verfügung stehende Infrastruktur. Er hat Zugriff andere Newsquellen, auf Kolleg*innen, Freund*innen, also Zugriff auf andere semantische Pfadgelegenheiten, auf die er von Rumble zurückkehren kann.

Weil wir alle keine Individuen sind, ist diese Erkenntnis wichtig für den aufkommenden Sturm, denn Widerstand kann man nie alleine leisten. Jede Semantik braucht Anschluss an eine Community of Practice und diese Community wird mit dem Verlust der Hegemonie rapide kleiner werden. Wenn es in immer mehr Alltagssituationen nicht mehr „nützlich“ ist, an Menschlichkeit, Rücksicht, Toleranz, Aufrichtigkeit, Gerechtigkeit, Solidarität oder Verletzlichkeit zu glauben, werden die Kosten, diese Semantiken am Laufen zu halten, steigen. Antifaschismus wird noch mehr als früher: materiell.

Though I listened to an hour of Mr. Bongino’s opinions each day, it seemed like I learned mostly what various progressive or mainstream media figures had said about different culture war topics, and Mr. Bongino’s predictable reactions to them.

Hier die gute Nachricht: Sobald sie ihre Triumpfrunde beendet hat, wird die rechte Medienszene in den USA sich selbst zerlegen. Das gesamte Ökosystem ist auf Gegenhegemonie zu den traditionellen Medien ausgelegt und intern eigentlich ziemlich heterogen und wenn ihnen nun der Feind ausgeht, werden sie genügend Gründe finden, übereinander herzufallen.


In der Wired called Gary Marcus noch mal das Ende der Fahnenstange für den Transformeransatz bei Künstlicher Intelligenz und weist dabei auch auf die dürftige wirtschaftliche Ausbeutbarkeit des aktuellen Technologiestandes hin.

Furthermore, essentially every big company seems to be working from the same recipe, making bigger and bigger language models, but all winding up in more or less the same place, which is models that are about as good as GPT-4, but not a whole lot better. What that means is that no individual company has a “moat” (a business’s ability to defend its product over time), and what that in turn means is that profits are dwindling. OpenAI has already been forced to cut prices; now Meta is giving away similar technology for free.

Im Netzwerk der Abhängigkeiten verhindert die immer leichtere Verfügbarkeit von immer günstiger zu betreibenden Modellen die Schaffung von ausbeutbaren Netzwerkzentralitäten. Oder wie es ein Google Engineer bereits vor ein anderthalb Jahren prognostizierte: We have no Moat.


Im Harpers Magazine hat Liz Pelly sich tief in das Phänomen der „Ghost Artists“ bei Spotify gewühlt. Schon 2017 war herausgekommen, dass ein nicht geringer Teil der in populären Playlists vertretenen Künstler*innen gar keine Künstler*innen sind, sondern Fakeprofile hinter denen versteckte Tarnfirmen stecken, die mit günstig produziertem Hintergrundgeklimper die dicke Spotify-Kohle abgreifen (World Wide Web hatte darüber einen Beitrag). Doch wie groß und systematisch ist das Problem und vor allem: wie tief hängt Spotify mit drin?

Then, in 2022, an investigation by the Swedish daily Dagens Nyheter revived the allegations. By comparing streaming data against documents retrieved from the Swedish copyright collection society STIM, the newspaper revealed that around twenty songwriters were behind the work of more than five hundred “artists,” and that thousands of their tracks were on Spotify and had been streamed millions of times.

Dass Grifter versuchen, das System zu gamen ist erwartbar, doch wie kommt das Billiggeklimper in Spotifys Playlists? Pelly hat mit etlichen Slop-Produzent*innen gesprochen, interne Chats und Emails ausgewertet und dabei die systematische Ausbeutung der Künstler*innen herausgearbeitet, an der sich Spotify gerade gesundstößt.

Spotify, I discovered, not only has partnerships with a web of production companies, which, as one former employee put it, provide Spotify with “music we benefited from financially,” but also a team of employees working to seed these tracks on playlists across the platform. In doing so, they are effectively working to grow the percentage of total streams of music that is cheaper for the platform. The program’s name: Perfect Fit Content (PFC).
[…]
PFC eventually began to be handled by a small team called Strategic Programming, or StraP for short, which in 2023 had ten members. Though Spotify denies that it is trying to increase PFC’s streamshare, internal Slack messages show members of the StraP team analyzing quarter-by-quarter growth and discussing how to increase the number of PFC streams.
[…]
In a Slack channel dedicated to discussing the ethics of streaming, Spotify’s own employees debated the fairness of the PFC program. “I wonder how much these plays ‘steal’ from actual ’normal’ artists,” one employee asked.

An einer Stelle zitiert sie einen Künstler, der für eine der FPC-Agenturen komponiert und eingespielt hat.

A typical session starts with a production company sending along links to target playlists as reference points. His task is to then chart out new songs that could stream well on these playlists. “Honestly, for most of this stuff, I just write out charts while lying on my back on the couch,” he explained. “And then once we have a critical mass, they organize a session and we play them. And it’s usually just like, one take, one take, one take, one take. You knock out like fifteen in an hour or two.”

Und das ist erst der Anfang, denn jetzt tritt generative KI auf den Plan.

“I’m sure it’s something that AI could do now, which is kind of scary,” one of the former Spotify playlist editors told me, referring to the potential for AI tools to pump out audio much like the PFC tracks. The PFC partner companies themselves understand this. According to Epidemic Sound’s own public-facing materials, the company already plans to allow its music writers to use AI tools to generate tracks. In its 2023 annual report, Epidemic explained that its ownership of the world’s largest catalogue of “restriction-free” tracks made it “one of the best-positioned” companies to allow creators to harness “AI’s capabilities.”

Ich hatte hier ja neulich die materielle Geschichte der Musikindustrie erzählt und im Kern führt Spotify nur die Strategie der „relationalen Dematerialisierung“ weiter, die hinter jeder Form skalierbarer Ausbeutung steckt. Ich hatte sie im Supplychaintext so beschrieben:

Die Herstellung von Austauschbarkeit erweist sich als wesentliches Basiselement kapitalistischer Wachstumskonzeptionen. Und diese Austauschbarkeit wird über das Abkapseln von Verbindungen und das Reduzieren von Abhängigkeiten hergestellt.

Es geht bei Rationalisierung nicht nur um Kostenreduktion, sondern darum, die Abhängigkeiten der Dinge zur materiellen Realität zu reduzieren, um sie austauschbarer zu machen. Es ist andersherum: Gesunkene Kosten sind Ausdruck gelungener Entflechtung von der Realität. Im Falle der Kulturindustrie heißt das: von der materiellen Realität der Künstler*innen.


Cory Doctorow hat in seinem Jahresendpost unter anderem mit dem Verweis auf den Harpers-Artikel das Problem der Kreativen so zusammengefasst.

Movie studios, record labels, publishers, games studios: they all know that they are in possession of a workforce that has to make art, and will continue to do so, paycheck or not, until someone pokes their eyes out or breaks their fingers. People make art because it matters to them, and this trait makes workers terribly exploitable. As Fobazi Ettarh writes in her seminal paper on „vocational awe,“ workers who care about their jobs are at a huge disadvantage in labor markets. Teachers, librarians, nurses, and yes, artists, are all motivated by a sense of mission that often trumps their own self-interest and well-being and their bosses know it.

Das Gute: Weil die Semantiken aus uns Menschen eh nur so raussprudeln, werden wir den KIs auch in Zukunft Konkurrenz machen.


Ihr könntet natürlich auch einfach den Youtube-Channel von Then & Now abonnieren, aber wozu, wenn ich Euch eh jede Folge empfehle? Diesmal ein 5-Stunden-Brett über die Geschichte des Kapitalismus, in dem er nicht nur die materiellen, sondern auch die semantischen Vorraussetzungen seines Entstehens analysiert.


In Teil drei seiner lesenwerten Reihe „Slop Infrastructures“ geht der Künstler Eryk Salvaggio der weirden Instrumentalisierung von politischen Deepfakes von rechts nach und behandelt dabei vor allem die gefakten Taylor-Swift-Endorsments, von denen Trump sogar eins persönlich teilte.

I’m not convinced Trump’s post was meant to convince anyone that it was true. Instead, it seems to be an invitation to a cartoonish „imaginary world“ in which Swift, a virtual character, endorsed Trump. This imaginary character – the icon of Swift – is entirely distinct from Swift herself. Through AI, Swift becomes „a floating signifier,“ an image with newly contested meaning that can be captured and incorporated to support and bolster any ideas a person might desire.

In putting Swift into this position, you don’t say, „Swift endorsed us,“ which nobody believed. Instead, you encourage others to enjoy the control over what Taylor Swift signifies. AI-generated deepfake images offer the power to shape meaning in a world where people fear powerlessness and meaninglessness by inviting them to make others powerless and meaningless. That is the second fakery: the myth that AI manipulation is fun, because it’s just celebrities, when deepfakes can and have been used to target young women and activists.

AI-generated images of celebrities or disasters are not meant to suggest reality. They diminish the value of reality in constructing opinions or informing decisions. To post this image is, of course, a manipulation of Swift’s image, a violation of her agency, and to be very clear, I’m talking about this specific „Uncle Sam“ image, not the pornographic content with her in it. All of it points to the idea that if we share an illusion, that illusion matters in ways that are just as valid as any political reality. It is about controlling the symbols of the world, and it buys into a purely symbolic structure of power

Generative KIs sind Spreachakt-Waffen.

Wann immer wir den Mund aufmachen oder uns sonst irgendwie äußern, begehen wir Sprechakte. Sprechakte sind die materielle Basis der Semantiken – ja, auch der Bildsemantiken. Jeder Sprechakt beeinflusst das Netzwerk der Semantiken für alle, die der Sprechakt erreicht. In der Folge adaptieren, ignorieren oder kritisieren die Erreichten den Sprechakt. Das hört sich abstrakt ab, ist aber der ernste Hintergrund von Sprache ansich, sowie jedes Kulturkampfes und im Endeffekt auch jeder politischen Kampagne.

Salvaggio nimmt Rene Walters Beobachtung des „swarm gaze“ auf und zeigt an der Instrumentalisierung von Taylor Swift, wie der automatisierte „Male Gaze“ quasi als Sprechakt-Waffe des Patriarchats alle popkulturellen Symboliken mit männlich-hegemonialer Horniness vollsprizt.

The swarm-gaze is a result of badly mediated (or deliberately weaponized) social media infrastructures, fused with an unregulated infrastructure for AI image generation that is powered by pornography – including deepfakes and CSAM, a point acknowledged in internal Slack messages leaked to 404 Media in December 2023. This is fused with a political infrastructure that now includes, quite literally, the same guy who funds Civitai – Marc Andreessen, who is slated to be part of Elon Musk’s DOGE effort. Musk, of course, runs X. Donald Trump posted fake, AI-generated images of Taylor Swift endorsing him online.


Die Tatsache, dass der Kapitalismus einfach eine Organisationsform von Macht ist, wurde mir das erste Mal beim Lesen der Doktorarbeit von Uta Meier Hahn plausibel, in der sie die Konnektivitätsökonomie des Internets untersucht. In Krasse Links 11 fasste ich ihre Arbeit so zusammen:

In meinem Buch behandle ich auch die sehr lesenswerte Doktorarbeit von Uta Meier-Hahn, die eine Art Anthropologie der Netzwerkökonomie vorgelegt hat. Sie hat mit etlichen Verantwortlichen von großen Netzwerkbetreibern gesprochen und sich erklären lassen, wie genau Peering-Entscheidungen und -Deals getroffen werden. Für die, denen das nichts sagt: das Internet wird in seinen Grobstrukturen von nur einer Handvoll Großunternehmen betrieben, deren Geschäftsmodell es ist, ihre Konnektivität an Internet Service Provider, andere Netzwerkbetreiber oder CDNs wie Cloudflaire weiter zu verkaufen. Das Internet ist ein Netz der Netze und der Verkehr zwischen den Netzen hat ab und zu ein Kassenhäuschen – und manchmal auch nicht. Dann nämlich, wenn die Interessen beider Netzbetreiber, Daten zu tauschen, in etwa ausgeglichen ist. Die Kriterien dazu sind komplex und ein Großteil von Utas Arbeit befasst sich mit ihrer Katalogisierung, aber einer der wesentlichen Faktoren ist natürlich die Größe des Netzes. Ein kleines Netz hat immer ein höheres Interesse, mit einem größeren Netz Daten zu tauschen, als umgekehrt und deswegen muss das kleine Netz zahlen und das große bekommt Konnektivität geschenkt.

Das eigentlich spannende ist der Edgecase, den diese Art der Ökonomie darstellt. Es ist eine Ökonomie, in der es nur einmalige Investitionskosten, aber keine Grenzkosten gibt. Für das, was verkauft wird, gibt es keine Inputlinien.

Um zwei Netzwerke miteinander zu verbinden, muss meist nur ein Schalter umgelegt oder im schlimmsten Fall ein Serverrack installiert werden.

Doch das verblüffendste: Es entstehen nicht nur keine Kosten, sondern es entsteht sogar für beide Wert beim Zusammenschalten ihrer Netzwerke.

Wenn zwei Netze peeren, also Daten austauschen, dann erhöht sich die Summe der Pfadgelegenheiten für die eigene Kundschaft entsprechend der Größe und Qualität des jeweils anderen Netzwerks. Und umgekehrt! Für beide ist es ein Gewinn, für niemanden entstehen Kosten.

Und dennoch entstehen Preise? Der Edgecase besteht darin, dass die Konnektivitätsökonomie ein „Markt“ ohne das Fleisch der Kosten ist, so dass wir eine Art Röntgenaufnahme des Kapitalismus sehen. Der Befund: Preise werden genommen, wenn Preise genommen werden können und Margen sind Ausdruck von Macht.

Im Plattformbuch hatte ich diesen Zusammenhang in Form der Interdependenz-Bilanz nur auf die Plattformökonomie bezogen, doch ich denke, er ist universal anwendbar.

Alle Margen bestehen aus abgeschöpften Abhängigkeit-Dividenden.


Vielen dank, dass Du Krasse Links liest. Da steckt eine Menge Arbeit drin und bislang ist das alles noch nicht nachhaltig finanziert (ich bin jetzt bei € 326,42 – von eigentlich notwendigen € 1.500,-). Mit einem monatlichen Dauerauftrag kannst Du helfen, die Zukunft des Newsletters zu sichern. Genaueres hier.

Michael Seemann
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In letzter Zeit stolpere ich immer wieder über Referenzen zu Jean Baudrillard. Ich habe ein kompliziertes Verhältnis zu ihm. „Der symbolische Tausch und der Tod“ was my first post-structural Love, aber als ich Derrida entdeckte, konnte ich ihn nicht mehr ernst nehmen, aber das ändert sich gerade wieder.

Zum Beispiel bin ich über diesen interessanten Thread von Paul Soetaert gestoßen, der Baudrillards Stadien der Simulakren auf Geld anwendet. Die Stadien beschreibt er so:

Und wendet sie auf Geld an:

Ich finde das eine interessante Überlegung und gebe Soetaert von der Stoßrichtung her recht, aber leider hat er ein etwas outdated Verständnis von Geld, weswegen seine Analogien unschön in alle Richtungen hinken.

Aber mit unseren bisher diskutierten politisch ökonomischen Beobachtungen können wir die „relationale Dematerialisierung“ des Preises in Simulakrumsstufen einsortieren.

  1. Der Preis entspricht den Kosten. Man tut etwas, das kostet, man verlangt eine entsprechende Entschädigung. Ich weiß, aussterbendes Konzept.
  2. Der Preis entspricht den Kosten plus Macht. Marge ist Ausdruck von relationaler Dematerialisierung und somit bereits teil des zweiten Stadiums der Sumulakren – siehe das Supermarktbeispiel aus dem letzten Newsletter, aber hier würde ich das gesamte, traditionelle kapitalistische Wirtschaften einordnen.
  3. Der Preis ist nur noch Ausdruck der Macht und hat keinen reellen Bezug mehr zu Kosten. Das haben wir gerade in Reinform bei der Konnectivitätsökonomie des Internets behandelt, gilt aber auch für die gesamte Kulturindustrie und praktisch alle digitalen Geschäftsmodelle.
  4. Der Preis ist das Produkt. Endgültige Hyperrealität. Die relationale Dematerialisierung ist mit Bitcoin zum logischen Endpunkt geraten, wo eine technisch symbolisch hergestellte Knappheit den Bezug zur Realität austauscht.

Charlie Warzel versucht im Atlantic den wahren Nutzen von Crypto zu fassen.

Crypto is a technology whose transformative product is not a particular service but a culture—one that is, by nature, distrustful of institutions and sympathetic to people who want to dismantle or troll them. The election results were at least in part a repudiation of institutional authorities (the federal government, our public-health apparatus, the media), and crypto helped deliver them: The industry formed a super PAC that raised more than $200 million to support crypto-friendly politicians. This group, Fairshake, was nonpartisan and supported both Democrats and Republicans. But it was Donald Trump who went all in on the technology: During his campaign, he promoted World Liberty Financial, a new crypto start-up platform for decentralized finance, and offered assurances that he would fire SEC Chair Gary Gensler, who was known for cracking down on the crypto industry.

Ich fand die Diskussionen über „Money in Politics“ immer ein bisschen naiv, wenn man sich die Summen anschaut, um die es geht. Obama gab in 2008 etwas mehr als eine Milliarde Dollar aus und war damit sehr lange unangefochtener Spitzenreiter. Aber was ist eine Milliarde für Musk, Thiel. Bezos oder Gates?

Weil Trump sowieso an nichts glaubt, shoppt sich gerade die Oligarchie die Brieftasche wund und für die Crypto-Milliardäre gibts halt den Staat als Bagholder of Last Resort.

Der Trick ist, beim nächsten Cryptocrash „too Big to fail“ zu sein, d.h. bis dahin so viele finanzialisierte Abhängigkeiten auf sich vereint zu haben, dass Andreesen, Thiel und Co sich wie 2008 die Banken vom Steuerzahler „retten“ lassen können.

Wie der Adel im Feudalismus sind Cryptobros dann nur noch wichtig, weil sie wichtig sind und deswegen müssen wir anderen für ihren Reichtum schuften. Von der Hyperrealität direkt ins Mittelalter – oder wie wir hier sagen: der libertäre full circle.

Krasse Links No 36

Willkommen zu Krasse Links No 36. Schöpft den Wert aus der materialistischen Freiheit, heute busten wir die Netzwerkzentralitäten der Food Deserts.


Fast alle Kinder in Gaza glauben demnächst zu sterben, die Hälfte hofft darauf.

“The psychological toll on children was severe, with high levels of stress manifested in symptoms such as fear, anxiety, sleep disturbances, nightmares, nail biting, difficulty concentrating and social withdrawal,” the report said. “Children have witnessed the bombing of their homes and schools, experienced the loss of loved ones, and have been displaced or separated from their families while fleeing for safety.”


Ali Alkhatib schlägt vor, Unterscheidungen zu „Künstliche Intelligenz“ anders zu ziehen, als nach dem technischen Jargon seiner Entwickler*innen.

I think we should shed the idea that AI is a technological artifact with political features and recognize it as a political artifact through and through. AI is an ideological project to shift authority and autonomy away from individuals, towards centralized structures of power. Projects that claim to “democratize” AI routinely conflate “democratization” with “commodification”. Even open-source AI projects often borrow from libertarian ideologies to help manufacture little fiefdoms.

Wir brauchen situierte Begriffe, um die materielle Realität zu navigieren, ganz besonders bei so inhärent gewaltvollen Technologien wie KI. Wir brauchen eine Sprache der Technologie, die an den Schmerzerfahrungen ihrer Barrieren geschult ist.

Whether you subscribe to this way of defining AI or you totally reject it, I hope I’ve made it more salient to you that you can judge frameworks entirely according to how well it helps you navigate a space you’re trying to navigate. You can reject a definition that isn’t helping you, and I would encourage you to reject mine just as readily as I rejected AI Snake Oil’s if it’s not serving your purposes.


Nachdem es für den CCCongress nicht gereicht hat, werde ich eine etwas ernsthaftere und weniger technische Version meines Vortrags im Rahmen der Reihe MoMo Berlin am 20.01.2025 um 20:00 im Kino Babylon, Rosa-Luxemburg-Straße 30 halten. Weitere Infos hier.

Semantik für Fortgeschrittene. Wie mir Donna Haraway und ChatGPT wieder Lust auf eine menschliche Zukunft machten

Der Berliner Kulturwissenschaftler Michael Seemann hat im vergangenen Jahr über eine Menge grundlegender Dinge seine Meinung geändert. Es kam auch viel zusammen: Das allgemeine Pandemietrauma, seine Dissertation zu der Macht der Plattformen, sein Weggang von Twitter nach der Übernahme durch Elon Musk und dessen Umfunktionierung zur Nazipropagandawaffe, der Rechtsruck, die sich konzentrierenden reaktionären Strömungen im Silicon Valley, vor allem rund um Crypto und Künstliche Intelligenz und die Tatsache, dass er jetzt einen Hund hat.

Doch dann passierten noch zwei weitere Dinge: Er las sich in die Philosophie Donna Haraways ein (siehe hier auch einen Aufsatz von 1988 von ihr) und gleichzeitig, aber unabhängig davon, vertiefte er sich in die Funktionsweise von Large Language Models wie ChatGPT. In der Verbindung dieser beiden Neuverdrahtungen rejustierte sich sein Beobachten zu einer neuen Praxis des Sehens, die er seither in seinem Newsletter „Krasse Links“ einübt.

In seinem Vortrag möchte Michael Seemann versuchen, den zurückgelegten, gedanklichen Pfad zu rekonstruieren und plausibel zu machen, warum er sich lohnt. Zum weiteren Austausch nach dem Ende der Veranstaltung ziehen wir gegenüber in die BAR internazionale.


Ken Klippenstein hat immer alles, was sich andere nicht trauen zu veröffentlichen. Diesmal das Manifest des CEO-Shooters Luigi Mangione.

Überwältigt war ich nicht, es ist eher ein nüchterner Beipackzettel zum Mord als ein Manifest. Wichtig scheint mir der letzte Satz:

It is not an issue of awareness at this point, but clearly power games at play. Evidently I am the first to face it with such brutal honesty.”


Robert Evens sieht „Schmerz“ als den tieferen Grund von Mangione Radikalisierung. Zum Einen, weil er tatsächlich chronische Schmerzen hat, die er seit einem Unfall an der Wirbelsäule durchgehend mit Schmerzmitteln behandeln muss. Trauma verändern Menschen und in der Ausgeliefertheit, in der sich chronische Schmerzpatient*innen befinden, kann sich eine Menge Wut bahn brechen.

I know many people who suffer with chronic pain and ongoing medical issues. I will tell you that it is not uncommon in dark moments, after fruitless hours-long calls about dropped medications or receiving surprise bills, for them to joke about what they’d like to do to the executives who run these companies.

Zum anderen ist Schmerz auch Teil von Mangiones Goodreads-Rezension zum Unabombermanifest.

Der dort zitierte Reddit-Post liest sich in seiner vollen Länge wie ein wirkliches Manifest.

Evens folgert:

If you read this post in its entirety, as Luigi did, you can’t miss the pain there. Anxiety and horror at the inevitability of climate change, and the looming knowledge that everything good and green on this earth is being fed into the bloody maw of an industry concerned only with maximizing profit.

In more ways than one, Luigi Mangione was radicalized by pain.

Der ganze Newsletter ist sehr lesenswert, auch weil Evans einen plausiblen semantischen Pfad von den anderen Shootern, von Columbine über Christchurch bis zu Mangione zieht. Denn unabhängig von der Auswahl der Opfer und den politischen Motiven gibt es eben eine pfadrelevante Eigenlogik in der Semantik des Amoklaufs, speziell des politischen Amoklaufs seit Breivik, und diese Eigenlogik ist eine mediale.

In the wake of this shooting every media organization commenting on it has had to grapple with the waves of public enthusiasm for Luigi’s actions. Right-wing media figures condemning the left for celebrating this assassination have been criticized by their own readers and listeners. Insurance companies have pulled down lists of their executives from the Internet.

This is because they too understand the shooter culture of the United States. Like anyone else, they know that any mass shooting that meets with massive media coverage and interest will spawn copycats. The assassination Luigi is believed to have carried out was new and exciting; it demanded the public’s attention in a way most mass shootings don’t.

At almost the exact same time the United Healthcare CEO was assassinated, a gunman walked into a religious school near Oroville California and shot two young children before killing himself. This shooting drew almost no national attention. It was entirely drowned out by the execution of an insurance industry CEO. The armed and disaffected young men who are most drawn to this sort of thing will not miss this fact.

I believe Luigi Mangione was radicalized by pain. The shooters who follow him will all have their own reasons for what they do, their own journeys to that violent end. But ultimately, they’ll do what they’ll do because Luigi proved it’s what gets attention.

For now.

Damit haben sich mE. die ganzen Debatten, ob Mangione jetzt ein Rechter ist, weil er Rogan hört oder die falsche Meinung zu irgendwas hat, erledigt; er ist ein Kollege vom Schmerzlabor. Die von ihm aufgezeigte Pfadmöglichkeit, den eigenen Schmerz gegen die Eliten zu richten, hat für einen kurzen Moment eine andere Demarkationslinie am Horizont aufblitzen lassen und jetzt sind alle erschrocken.


Stacy Mitchell geht im Atlantic einem Phänomen nach, das man in den USA „Food Desert“ genannt hat. Das sind Gebiete, in denen es im Umkreis von 10 Meilen auf dem Land oder eine in der Stadt keine Supermärkte oder sonstige Food-Shops gibt, man also erhöhten Aufwand treiben muss, um an Nahrungsmittel zu kommen.

Wer jetzt glaubt, dass es Food Deserts immer schon gab, täuscht sich:

Although poverty and ruralness have been with us forever, food deserts arrived only around the late 1980s. Prior to that, small towns and poor neighborhoods could generally count on having a grocery store, perhaps even several. (The term food desert was coined in 1995 by a task force studying what was then a relatively new phenomenon.)

Der Grund für die strukturelle Unterversorgung ist Macht.

Dass Macht eine reale Sache in der Wirtschaft ist, mit der man umgehen muss, wusste man Anfang des letzten Jahrhunderts noch und so geriet im Lebensmittelsektor die Kette A&P in den Blick der Politik.

Congressional hearings and a federal investigation found that A&P possessed an advantage that had nothing to do with greater efficiency, better service, or other legitimate ways of competing. Instead, A&P used its sheer size to pressure suppliers into giving it preferential treatment over smaller retailers. Fearful of losing their biggest customer, food manufacturers had no choice but to sell to A&P at substantially lower prices than they charged independent grocers—allowing A&P to further entrench its dominance.

Im Zuge des New Deals wurde der Robinson-Patman Act geschaffen, der die Preisdiskrimierung großer Unternehmen gegenüber ihren Zulieferern untersagte, was die Machtkonzentration tatsächlich über viele Jahre in Schach hielt. Die Regulierung wurde wie so vieles in 1980ern unter Regan einfach nicht mehr enforced. Das Resultat waren Walmart und Co.

Walmart was the first to fully grasp the implications of the new legal terrain. It soon became notorious for aggressively strong-arming suppliers, a strategy that fueled its rapid expansion. By 2001, it had become the nation’s largest grocery retailer. Kroger, Safeway, and other supermarket chains followed suit. They began with a program of “self-consolidation”—centralizing their purchasing, which had previously been handled by regional divisions, to fully exploit their power as major national buyers. Then, in the 1990s, they embarked on a merger spree. In just two years, Safeway acquired Vons and Dominick’s, while Fred Meyer absorbed Ralphs, Smith’s, and Quality Food Centers, before being swallowed by Kroger. The suspension of the Robinson-Patman Act had created an imperative to scale up.

Preisdiskrimierung führt zu Konzentration, weil kleine Läden mit großen nicht mehr mithalten können. Von 1982 bis 2017 sankt der Anteil unabhängiger Retailer von 53 auf 22 Prozent. Der Wegfall der Konkurrenz eröffnet den großen Supermarktketten dann noch mehr Pfadgelegenheiten zur Ausbeutung.

In the 1960s, if a chain like Safeway wanted to compete for the grocery dollars spent by Deanwood residents, it had to open a store in the neighborhood. But once the independent stores closed, the chains no longer had to invest in low-income areas. They could count on people to schlep across town to their other locations. Today, in fact, many Deanwood residents travel to a Safeway outside the neighborhood to shop. This particular Safeway has had such persistent issues with expired meat and rotting produce that some locals have taken to calling it the “UnSafeway.” Yet, without alternatives, people keep shopping there.

Neben sinkender Qualität, steigenden Preisen und steigenden Aufwand für die Konsument*innen sind „Food Deserts“ das natürliche Ergebnis dieser Konzentration.

In rural areas, the same dynamic means that Walmart can capture spending across a wide region by locating its supercenters in larger towns, counting on people in smaller places that no longer have grocery stores to drive long distances to shop for food. An independent grocer that tries to establish itself in a more convenient location will struggle to compete with Walmart on price because suppliers, who can’t risk losing Walmart’s business, will always give the mega-chain a better price.

Hier eine evtl. empirisch falsifizierbare These:

Die Macht eines Unternehmens liest sich nicht an Marktkapitalisation, Marktanteil, Umsatz oder Gewinn ab, sondern an der Marge.

Margen sind grob gesagt die Differenz zwischen dem Produktpreis und seinen Beschaffungs- oder Herstellgungskosten.

Man kann sich das bildlich so vorstellen, dass auf ein Unternehmen im Netzwerk der Abhängigkeiten viele bepreiste Inputlinien einströmen, während bepreiste Outputlinien zu den Konsument*innen führen. Grundsätzlich gilt auch für einen Supermarkt, dass die Einnahmen langfristig die Ausgaben übersteigen müssen, aber ansonsten hat das Unternehmen viel Spielraum in dieser Situation.

Meistens kann man die Inputlinien drücken: Lohndumping, Gewerkschaften zerschlagen, Wage Theft, Druck auf Supplyer ausüben, vertikale Integration, Zahlungen zurückhalten, etc. Oder man schraubt an den Outputlinien: Preise erhöhen, Verkaufsmengen reduzieren, Qualität reduzieren, Regulierungen missachten, Filialen schließen, Enshittyfication, etc.

Das ist jeweils ein Balanceact, weil die Ausgebeuteten ab einem bestimmten Schmerzpunkt den Kanal kappen und versuchen werden, um das Unternehmen herumzurouten, doch über Herstellung entsprechender Netzwerkzentralitäten lassen sich Schmerzpunkte fast beliebig nach oben verschieben. Wo einem die Pfadgelegenheiten ausgehen, ist man gefangen.

Ausbeutung ist nicht etwas, das auschließlich zwischen Kapitalist*innen und Arbeiter*innen passiert, wobei diese Form der Ausbeutung nachwievor sehr zentral ist. Ausbeutung findet überall statt, wo in ungleichen Beziehungen Machtreservoires zu heben sind und erfolgreiche Unternehmen zeichnen sich darin aus, Zugriff auf viele solcher Reservoirs zu haben.

Beim Handeln des Unternehmens geht es immer darum, von anderen weniger abhängig zu sein, als die anderen vom Unternehmen, also eine unausgesprochene Austauschbarkeits-Hierarchie zu etablieren. Dann muss man sich nur noch die Erlaubnis geben, sie abzuschöpfen.

Aber wenn Macht Netzwerkzentralität im Netzwerk der Abhängigkeiten ist, dann geht das ganze Spiel des Kapitalismus darum, durch geschicktes Platzieren von Infrastrukturen, die Margen der anderen zu frühstücken. Und dann kommt die präziseste Kapitalismustheorie nicht von Marx, Keynes oder Hayek sondern von einer Feministin des frühen 20. Jahrhunderts: Lizzy Magie.


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Michael Seemann
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In der Finantial Times malt Rana Foroohar eine düstere Zukunft für Europa. Sie macht die einfache Rechnung auf, dass die Trump-Regierung, um ihre Ideen zum Handelskrieg gegen China inflationsfrei verfolgen zu können, wahrscheinlich den Dollar schwächen wird.

As Mario Draghi’s report on European competitiveness has noted, “China depends on the EU to absorb its industrial overcapacity” in areas such as EVs and clean tech. Add to this a devalued dollar (which would bolster American exports relative to European outputs) and the EU’s dependence on China for things like critical minerals, and Europe might quickly find itself in a uniquely weak position relative to both the US and China.

Wie man im Nachklapp der Pandemie, zur Gaskrise nach Putins Ukraineüberfall, zur im Suezkanal festgesteckten Ever Given und der Bedrohung der kommerziellen Schiffahrt durch die Houthi sehen konnte, sind Handelswege kritische Netzwerkzentralitäten im Abhängigkeitsnetzwerk unserer Wohlstandsgesellschaft und so lässt die verschlankte Makroperspektive der Geopolitik auf das Netzwerk einige Dynamiken viel deutlicher und konturierter erscheinen, als im Gewusel unseres Kapitalismusalltags.

Durch den Rückzug der USA wird China für Europa zur noch größeren Netzwerkzentralität: Für weniger Pfadgelegenheiten sind wir noch abhängiger. Trump, Xi, Musk und Silicon Valley wissen, wie man solche Machtreservoire melkt.

This brings me to the final point, which is about power. Europe today is like a well-dressed flâneur who is unaware he’s about to be attacked in an alley by a couple of street thugs. On one side are Trump, Musk and the big tech titans who have built and increasingly own Europe’s technology infrastructure. On the other is Beijing, which may end up hollowing out Germany’s car industry even as it holds out promises of better market access for German exporters.


Matt Pearce, der Präsident der „Media Guild of the West“, einer Journalistengewerkschaft, war im Decoder Podcast um über die aktuelle Situation im amerikanischen Medienmarkt zu berichten. Nilay Patel kam auf ihn, weil er diesen sehr lesenwerten Blogpost schrieb:

The dominant social media platform form for news, Twitter, was purchased and turned into a right-wing mobilization engine for an emotionally unstable federal contractor. Meta, under Mark Zuckerberg, has driven its monopolistic social media platforms as far away from hard news as possible, to the point of explicit hostility. I am genuinely unsure if Google cares whether we live in a democracy or not as long as the feds let them keep spamming AI slop about glue pizza to keep OpenAI away from its Search monopoly. TikTok is a casino whose amazing success at circulating mindless content may come at the expense of “sleep, and eating, and moving around the room, and looking at someone in the eyes,” according to one of its own executives. These are gigantic companies with far larger consumer audiences than any traditional media company that was covering the election, and some of these platforms are taking on the characteristics of becoming publishers themselves in terms of shaping content decisions and producing content of their own via AI. There are too many billionaires and CEOs in charge of too few information chokepoints, which are powered by too much surveillance over too many users who have too few viable alternatives.


Kurzer Zwischenruf von Carl Sagan.

 


Der Decoder-Podcast mit Pearce ist ebenfalls interessant, denn Nilay Patel ist einer der wenigen Journalist*innen im Techbereich, die verstehen, dass Medien ein Machtproblem haben. Im Podcast versucht er es so zu fassen:

But there’s also an economic angle here that goes beyond just the raw numbers of website traffic. It’s about how journalists create value today and how that value moves through the information ecosystem because so many other people can just take that value for free.

[…]

But I look at it now and I’m like, well that’s just a huge value exchange, right? Like I, we make the work, we pay for the reporters and then the people on TikTok read our stories. TikTok makes a bunch of ad revenue, the creators might get some creator fund revenue or whatever and we get nothing. And I, I don’t know how to reconcile that because there’s a part of me that says, well I want our stories to spread. I want people to see that there’s The Verge logo and that means it’s real Journalism and you can trust it and go ahead and talk about it as much as you want.

Die Semantik des „Wertes“ ist eine der ältesten Versuche zu fassen, was in der Wirtschaft so passiert und ich bin nicht glücklich damit. Jon law, Adam Smith, David Ricardo, Marx und Porter versuchten alle den Wert an die Ware/das Gut zu heften. Das kann nur schief gehen, denn Wert ist keine Eigenschaft eines Objektes, sondern ein Effekt im Netzwerk der Pfadmöglichkeiten.

Ein Schraubenschlüssel hat für mich deswegen Wert, weil er mir in Kombination mit meinen anderen Werkzeugen eine Pfadgelegenheit bietet, die Waschmaschine zu reparieren. Die Waschmaschine wiederum bietet mir ständig Pfadgelegenheiten, meine Wäsche zu waschen, aber ist dabei auf die Pfadgelegenheiten Strom- und Wasseranschluss angewiesen. Saubere Klamotten beherbergen die Pfadgelegenheit, sozialverträglich durch den Alltag zu kommen, etc.

Wo residiert der Wert des Schraubenschlüssels? In dem Metalldings selbst? In der heilen Waschmaschine? In Wasser und Stromanschluss? In der Konvention nicht zu sehr zu stinken?

„Wert“ ist ein ständiger und nie abgeschlossener Aufschub im Netzwerks der Pfadgelegenheiten. Materialisieren tut sich der Wert immer nur im Schmerz, zum Beispiel im Schmerz einer kaputten Waschmaschine oder im Schmerz der Reperatur.

Wo die Rede vom „Wert“ aber gefährlich wird, ist, wenn man den Ort, an dem der Wert geschaffen wird, mit dem Ort verwechselt, wo er abgeschöpft wird, denn diese Orte fallen fast nie in eins.

Ein plakatives Beispiel ist der Immobilienmarkt. Der „Wert“ einer Immobilie wird weniger von ihrer materiellen Substanz bestimmt, als vielmehr von den Pfadgelegenheiten, die die Lage der Immobilie bietet. Der Immobilienmarkt ist der Ort, an dem der Wert von Nachbarschaft, Öffis, Stadtreinigung, Parkanlagen, Schulen, Cafés, Galerien und Veranstaltungen abgeschöpft wird.

Seit Influencer*innen sich – wie vor ihnen schon die Plattformen – als Netzwerkzentralität zwischen Journalismus und Publikum positioniert haben, frühstücken sie die letzten, übriggebliebenen Margen der traditionellen Medien.


Ach fuck it, was soll ich machen, ich bin ein Liberaler.

Als europäischer 20th Century-Guy bin ich ein Kind der Aufklärung und es wäre albern das abzustreiten und auch wenn ich mit ihr immer mal wieder ein ernstes Hühnchen zu rupfen habe, fühle ich mir ihr doch verpflichtet. Dazu gehört neben dem Streben nach Wissen auch das Streben nach Freiheit als Praxis und als politischer Wert. Freiheit war immer mein größter Antrieb und meine wichtigste Inspiration und das lass ich mir weder von Elon Musk noch von Christian Lindner nehmen.

Allerdings bin ich ein „materialistischer Liberaler“. Im Unterschied zum klassischen Liberalen nehme ich nicht die Freiheit des Individuums in den Blick, sondern die des Dividuums.

Einem Individuum gibt man Freiheit durch das Zugestehen von „Rechten“, einem Dividuum gibt man Freiheit, in dem man die Anzahl und Qualität der ihm zugänglichen Pfadgelegenheiten erhöht. Als materialistischer Liberaler weiß ich, dass das, was die klassisch Liberalen immer „Chancen“ nennen, materiell sein müssen.

Das ist nicht nur ein Mandat für zugängliche, öffentliche, materielle Infrastruktur in Richtung Universal Basic Services und für das aktive Bekämpfen von Machtkonzentrationen, möglichst bevor es zu spät ist, sondern auch ein Mandat für semantische Vielfalt.

Im semantischen Raum bedeutet Freiheit – also mehr und bessere Pfadgelegenheiten – zum Beispiel eine möglichst breite und vielfältige Bildung und das Zugänglichhalten von Bildungspfaden für jedes Alter. Es bedeutet aber auch ein Streben nach Vielfalt an Lebensentwürfen, Geschlechtern, Sexualitäten und anderen Identitäten. Freiheit ist Vielfalt, denn nur Vielfalt ermöglicht es, woanders hingehen zu können.

Kurz: Ich möchte wegkommen von einer Freiheit, die man sich nimmt, hin zu einer Freiheit, die wir uns gegenseitig schenken.

Krasse Links No 35

Willkommen zu Krasse Links No 35. Holt die Elefanten aus der Matrix, heute challengen wir mit Rogannomics die Vibesession der Gilded Age.


Zeynep Tufekci reflektiert in der New York Times den Mord an dem United Heathcare CEO Brian Thompson und vor allem die einhellig enthusiastischen die Reaktionen darauf (jedenfalls außerhalb von Elitenzrikeln).

But this was something different. The rage that people felt at the health insurance industry, and the elation that they expressed at seeing it injured, was widespread and organic. It was shocking to many, but it crossed communities all along the political spectrum and took hold in countless divergent cultural clusters.

Even on Facebook, a platform where people do not commonly hide behind pseudonyms, the somber announcement by UnitedHealth Group that it was “deeply saddened and shocked at the passing of our dear friend and colleague” was met with, as of this writing, 80,000 reactions; 75,000 of them were the “haha” emoji.

Unser historischer Moment erinnert sie an die „Gilded Age“.

The Gilded Age, the tumultuous period between roughly 1870 and 1900, was also a time of rapid technological change, of mass immigration, of spectacular wealth and enormous inequality. The era got its name from a Mark Twain novel: gilded, rather than golden, to signify a thin, shiny surface layer. Below it lay the corruption and greed that engulfed the country after the Civil War.

The era survives in the public imagination through still-resonant names, including J.P. Morgan, John Rockefeller, Andrew Carnegie and Cornelius Vanderbilt; through their mansions, which now greet awe-struck tourists; and through TV shows with extravagant interiors and lavish gowns. Less well remembered is the brutality that underlay that wealth — the tens of thousands of workers, by some calculations, who lost their lives to industrial accidents, or the bloody repercussions they met when they tried to organize for better working conditions.

Damals wie heute ist der wesentliche Treiber die Konzentration von Macht und damals wie heute führte die Unfähigkeit der Politik darauf zu antworten zu politischer Gewalt. Doch während sich damals die Politik gegen die Oligarchie einigermaßen zurückkämpfte und Reformen durchsetzen konnte, sieht es heute nicht danach aus.

The concentration of extreme wealth in the United States has recently surpassed that of the Gilded Age. And the will among politicians to push for broad public solutions appears to have all but vanished. I fear that instead of an era of reform, the response to this act of violence and to the widespread rage it has ushered into view will be limited to another round of retreat by the wealthiest. Corporate executives are already reportedly beefing up their security. I expect more of them to move to gated communities, entrenched beyond even higher walls, protected by people with even bigger guns. Calls for a higher degree of public surveillance or for integrating facial recognition algorithms into policing may well follow. Almost certainly, armed security entourages and private jets will become an even more common element of executive compensation packages, further removing routine contact between the extremely wealthy and the rest of us, except when employed to serve them.


Die moralische Dimension des Attentats als Trolleyproblem.


Der endgültige Release von OpenAI o1 ist endlich passiert und as predicted ist der Q*Ansatz bereits auserzählt. Die mit o1-preview bereits underwhelming tiny Boosts in manchen Benchmarks werden kaum übertroffen, teilweise sogar untertroffen.

Stattdessen hat man jetzt ein neues Dings namens „ChatGPT Pro„, vom sie nicht sagen wollen, wie es funktioniert, aber da es nicht relevant besser ist (außer in wenigen Spezialbenchmarks) als o1 und preview, kann man die 200 Dollar pro Monat auch stecken lassen, die es extra kostet. OpenAI bewirbt es interessanter Weise so:

ChatGPT Pro provides a way for researchers, engineers, and other individuals who use research-grade intelligence daily to accelerate their productivity and be at the cutting edge of advancements in AI.

Mit „Research-grade intelligence“ zielen sie nicht auf Wissenschaftler*innen, sondern sexuell frustrierte STEM-Bros, die sich dafür halten, weil sie Sam Altman stanen und auf jeder Party alle mit dem „Alignmentproblem“ nerven. Entscheidend ist der letzte Halbsatz:

„and be at the cutting edge of advancements in AI.“

Verkauft wird ein „Front Seat“ für den „Ride“ gen „AGI“. OpenAI goes fully „Crypto“ und verscherbelt ab jetzt nur noch FOMO.


Taylor Owen kommentiert in der Tech Policy Press die sich ankündigende Fusion von Plattform- und Staatsmacht in den USA.

Look at Elon Musk’s growing empire. Tesla, Starlink, X, and Neuralink all stand to benefit substantially from this new alignment. They won’t be alone. Peter Thiel’s Palantir and Palmer Luckey’s Anduril are perfectly positioned to collect expanded defense contracts, while major venture capital cryptocurrency investments are likely to see favorable regulatory treatment. The concentration of power in these companies‘ hands isn’t just about market dominance, it’s about shaping the very rules of our digital future.

But this realignment also creates clear winners and losers. Tech companies seen as oppositional to this new order are already facing challenges. Musk’s expansion of his lawsuit against OpenAI to include Microsoft is just the beginning. Meta and Amazon’s futures remain uncertain, shaped by President-elect Trump’s long-standing antagonism toward Mark Zuckerberg and Jeff Bezos. The tech landscape is being redrawn along political lines, with profound implications for innovation and competition.

Dabei geht es nicht nur um regulatorische Befreiung von Big Tech, sondern nebenher wird auch ein Kampf gegen alle Institutionen, die sich zum Beispiel an Universitäten zur kritischen Forschung zu Plattformen gebildet hatten.

Marc Andreessen and Musk have both called for research working on election interference and misinformation to be prosecuted, and President-elect Trump has called for the suspension of non-profit status to universities that have housed this work. Faced with this kind of existential threat, universities are very likely to abandon these scholars and their labs.

Das wird auch für uns in Europa absehbar drastische Folgen haben.

Europe, with its robust regulatory framework, is very unlikely to enforce Digital Services Act obligations against X. The chilling effect on digital governance could last for years, leaving a regulatory vacuum filled only by US corporate interests.

Owen kommt zu dem Schluss

For those of us who have long studied the relationship between tech and political power, the path ahead is daunting but clear. This merger of state and tech power isn’t just another shift in the landscape. It’s a fundamental challenge to democratic governance in the digital age. The work of protecting democratic values in this new landscape has only just begun.

Schon alles richtig, ich fürchte nur, die „Challenge“ ist bereits vorbei?


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Patrick Boye geht der Frage nach, was denn jetzt stimmt: Ist die US-Wirtschaft wirklich schlecht, wie so viele sagen, sogar viele Demokraten, oder ist das nur eine Vibesession und alles in Wirklichkeit tutti? Boyle kommt dann doch zu einem überraschend eindeutigen Ergebnis:

Nach fast allen relevanten Zahlen: Jobs, Produktivität, Einkommen, Inflation etc, gabs zumindest die letzten zwei Jahre wenig an der ökonomischen Entwicklung zu meckern.

Das ist schon ziemlich merkwürdig, denn die gefühlte wirtschaftliche Lage war zwar nie wirklich identisch mit den Kennzahlen, aber es ergab sich eine deutliche Korrelation, doch diese Korrelation so Boyle, sei seit der Pandemie durchbrochen.

When the pandemic first struck the economy tanked and sentiment collapsed with it – so far that’s totally normal. But the strange thing is that when the economy bounced back, sentiment didn’t. The relationship between economic statistics and surveys of public sentiment broke down entirely at that point – and this was totally new – there is no history of a similar divergence looking back through economic history.

Was die Pandemie gemacht hat, ist die Welt neu zu verdrahten. Die materielle Mediengeschichte der Pandemie kann man an vielen Daten ablesen, etwa wie das Öffentliche Leben zum Stillstand kam und sich nie wieder ganz erholte, weil Dritte Orte – Orte jenseits von Arbeit und Zuhause – ebenfalls mehr und mehr verschwunden sind.

Die Menschen sind seither einsamer, aber haben ihre Sozialität auch verstärkt ins Internet verlagert, wo sie „Influencer*innen“ folgen, eine Menge Podcasts abonniert haben, und ihre Informationen vermehrt aus Social Media beziehen. Als sie dann noch Aktien-Trading-Apps luden und Crypto kauften, richteten sich auch ihre Aufmerksamkeitskanäle auf die boomende Investment- / Cryptoinfluencer*innen-Szene aus und sie wurden empfänglich für deren Botschaften des baldigem Kollaps, usw.

Das ist nicht nur ein Shift von „Aufmerksamkeit“ und „Medienkonsum“, als wäre das sowas wie Süßigkeiten Essen. Es ist eine völlig andere Informations-Kanalisation entstanden, die sich seit der Pandemie nicht nur verfestigt hat, sondern auch pfadopportunistisch gewachsen ist. Und das betrifft nicht nur die Kanäle, sondern auch die Frage, wem ich vertraue. Bei der Neuverdrahtung spielte weniger eine Rolle, wer das plausibelste Deutungsangebot hat, sondern, bei wem ich mich verstanden fühle. All das Vertrauen, dass damals zu Bruch gegangen ist, hat sich andere Wege gesucht und empfängt jetzt eben auch andere Vibes.


Schon ein bisschen amüsant, wie sich gerade all die Rich-Guys ein Bein ausreißen, um Pfade in Trumps Ohr zu finden.

To break into the unusual circle of influence that surrounds Trump, chief executives are discussing whether to try to secure an appearance on Joe Rogan’s podcast. They are buying the Trump family’s cryptocurrency token and emailing tips about spending cuts to Vivek Ramaswamy. Some lobbyists are instructing companies to scrub their websites and corporate policies of language that favors Democrats and instead tout GOP-friendly issues such as job creation.

[…]

If the Rogan podcast proves too difficult to book, several similar but smaller podcasts like the Jordan B. Peterson Podcast have piqued interest. There is less desire to talk to traditional mainstream media, one public-relations executive said.


Apropos Joe Rogan, er ist ja nur die Spitze eines Bro-Podcast-Eisberges im Spotify-Ozean. Sam Wolfsohn hält diese Szene im Guardian für das Fox News der jüngeren Generation.

But Fox News is watched by older people – the median age is 68. Now, a Fox News for the young has been established. It’s not on one channel on a DirectTV box, but its audience is far bigger, potentially reaching 10 times as many people. It’s an amorphous network of podcasts, YouTubers, Twitch streamers and meme accounts from Kill Tony to Joe Rogan to Dilley Meme Team. They encompass entertainment, comedy, sport, health, relationships – but a distrust of the Democrats and the mainstream media permeates them all.

[…]
The top three podcasts in the week of the election – with audiences bigger than those of every news outlet, every true crime show, every wellness blogger – were from Joe Rogan, Tucker Carlson and Theo Von. The rest of the top 25 is made up mostly of other conservative and “anti-establishment” commentators, a combination of veterans of Fox News and young upstarts: the Turning Point USA co-founder Charlie Kirk, Candace Owens, Ben Shapiro, Megyn Kelly, the former navy Seal Shawn Ryan, the former NYPD officer Dan Bongino. Some of these hosts are partisan but most don’t say they are Republican or even rightwing in focus; they say they are independent and challenge talking points from both the left and the right. All have endorsed or shown qualified support for Donald Trump.

Trump gewann junge Männer unter dreißig um 14% vor Harris auch deswegen, weil Podcasts an Orte reichen, an denen das „Groundgame“ der Demokraten gar nicht hinkommt.

Before the election Democrats talked about having a strong ground game. They might be better than Republicans at reaching people within communities – Black communities, LGBTQ+ communities, labor unions – but they have not recognised that many young people, mostly men, exist almost entirely without community. They might not ever go to a Trump rally, but when they listen to him on a show like Von’s or Rogan’s, they’ve got a friend.

Wir erinnern uns: einer der befragten jungen Männer, die für Trump gestimmt hatten, erzählte als Begründung für seine Wahl das Märchen, dass Kalifornien wirtschaftlich am Ende sei – eine Volkswirtschaft, die die fünft größte Ökonomie der Welt wäre, wäre sie ein eigener Staat.

Ich höre kein Rogan, habe aber letztens in die Folge mit Peter Thiel reingehört, wo dieser genau das einem wild nickenden Rogan erzählen darf und da hab ich mich natürlich gefragt, ob der junge Mann das aus diesem Podcast hat, oder direkt von der Quelle, dem ALL IN Podcast von Peter Thiels reaktionären Investor-Freunden, wo David Sacks nicht aufhören kann, über dieses Thema rumzuheulen.

So oder so: Im audiotiven Broversum zwischen Rogan, Musk, Thiel, Sacks und den Crypto- und Fiananz-Influencern ist eine neue, einflussreiche Ökonomische Schule entstanden: Die Rogannomics. Libertäre Wirtschaftsexpertise in wiederholbaren Slogans – direkt von Deinem Lieblings-Milliardär auf Deine Ohren.


Isabeller Weber hatte bereits kurz nach der Trumpwahl eine spannende Analyse geliefert und findet noch eine andere Erklärung für die „Vibesession“ in den USA seit der Pandemie.

Weber macht den Haraway-Turn und versucht sich in die Menschen und ihre situierten, heterogenen Lebenssituationen hineinzudenken und verweist auf den Unterschied zwischen gemessener und erlebter Inflation.

Es macht einen großen Unterschied, ob man mietet oder nicht, ob man eine Familie hat. Familien geben in der Regel sehr viel mehr Geld für Essen aus als Alleinstehende. Wenn man vor der Inflation systematisch Güter im Angebot gekauft hat und die Rabatte nun verschwunden sind, hatte man auf einmal eine enorm hohe Inflationsrate im Lebensmittelbereich, noch weit über der gemessenen Inflation. Bei der Inflation reden wir immer nur über Durchschnitte, wo einerseits ein durchschnittlicher Preisanstieg und andererseits ein repräsentativer Warenkorb angenommen wird. Aber auf beiden Seiten gibt es große Heterogenität.

Erlebte Inflation begegnet uns nur punktuell. Oft fällt sie uns gar nicht auf, aber es gibt dann immer doch so ein zwei Güter im eigenen Warenkorb, deren Verteuerung wir als Schmerzhaft empfinden. Weil der Mensch kein kalkulierender Homo Oekonomikus ist, sondern ein dividueller Pfadopportunist in der Schmerzarchitektur des Kapitalismus, wird zwar der Schmerz erinnert und die Kanäle justiert, aber ein Saldo wird nie gezogen.

„Wie es der Wirtschaft geht“, war immer schon einfach das, was man sich halt so erzählt, wie es der Wirtschaft geht. Die Daten, die man als Einzelner zur Verfügung hat, diese Erzählungen zu verifizieren sind eh rar und unvollständig und können im Laurel/Yanny-Sinne Pfadgelegenheiten für sehr unterschiedliche Erzählungen bieten, weswegen die Zuhandenheit von Deutungsangeboten wichtiger ist, als die eigene Erfahrung.

Weil wir keine Individuen sind, die die Welt beobachten, sondern Dividuen, die ihre Beobachtungen dazu nutzen, aufgeschnappte Erzählungen zu plausibilisieren, tragen Milliarden Schmerzerinnerungen als verteilte Privatempirie die Thesen der Rogannomics.


Alice Marwick bestätigt auf der Website des Niemanlab das Gefühl, dass redaktionelle Nachrichten und nicht-rechte Perspektiven nicht mehr durchsickern.

“The gap between mainstream media readers, people who get most of their news through influencers or partisan social media, and people who barely think about news at all will create a fundamental schism in how Americans see the world.”

Das hat auch mit unterschiedlichen materiellen Bedingungen der Fundig-Struktur zu tun.

Young talent is found in spaces like TikTok, developed and incubated in spaces like PragerU, promoted by other influencers, and amplified by social media spaces that prioritize conservative content. As Taylor Lorenz recently pointed out, their leftist equivalents are often stuck working on a shoestring. No matter how liberal they are, left-wing billionaires are unlikely to support creators who advocate for socialism or the abolition of wealth hoarding.

Der Begriff „Desinformation“ habe ausgedient.

2024 was the year “disinformation” outlasted its usefulness. Moving forward, we should not be concerned with isolated incorrect facts, but with the deeply-rooted stories that circulate at all levels of culture and shape our points of view. The challenge for 2025 is to confront these deeper epistemic divides that shape how Americans understand the world; in other words, the ways we arrive at the knowledge that forms our perspective.

Das Internet hat ein bisschen Anlauf gebraucht, aber ich halte es für safe to say, dass der „Major Consensus Narrative“ endgültig ad Akta liegt. Journalistische Wahrheit und demokratische Politik ist jetzt nur noch eine absteigende Subkultur unter vielen und könnte als Ganzes nicht mal mit Mr. Beast mithalten.

Es war am Ende die Mischung aus allem: Das endgültige Ende der Hegemonie der Massenmedien und der Switch in die Realität der Vernetzungsmedien, die Neuverdrahtung der Informations-Perkulationskanäle durch den Pandemie-Shock, die Ausweitung der Paywalls gegen journalistische Angebote, die willentliche Ausdünnung von News und Politik aus den Meta-Newsfeeds und natürlich die Übernahme von Twitter durch Elon Musk und die Zersprengung des Newsnerd-Tibes.

Hier stehen wir, die versplitterten Reste des Newsnerd-Tribes und langsam dämmert es uns, dass wir nur noch zu uns selbst reden. Unsere Echokammer ist umwickelt mit einem algorithmischen Isolierband, das uns vom Restnetzwerk trennt, aber immerhin haben wir noch Fensterplätze und können von hier live dabei zusehen, wie die Semantische Sezession das Ruder übernimmt.

Lasst uns Christian Linder den Schiedsrichter machen. Wenn er innerhalb der nächsten zwei Wochen zurücktritt, dann werten wir das, als hätte der „Major Consensus Narrative“ stärke gezeigt und die alten Institutionen der Öffentlichkeit sind doch noch mal durchgedrungen. Wenn nicht, dann leben wir bereits in der Matrix.


Die queere und schwarze Kinderbuchautorin Jacqueline Woodson ist Ziel vieler Zensurmaßnahmen von Republikanern und radikalisierten School-Boards und laut diesem Interview ist das gar nicht mehr so glamourös, wie es sich anhört.

I remember back in the day when people would talk about book bans, people would say “Oh, you must be excited! Because the minute they ban a book everybody’s running to get the book and read it.” But now we’re living in a different time, where it’s legislated. If books are banned, and people try to put them into the hands of young people, they lose their jobs. Librarians are scared, teachers are scared. And for me, it’s heartbreaking.

Das ganze Interview ist lesenswert, aber ich fand vor allem die Stelle spannend, in der sie über „Race“ nachdenkt.

And… is race is hard? Race is a Tuesday in my family. We’re an interracial family, we’re dealing with all kinds of stuff all the time. And folks of color talk about race. It’s inevitable. What’s hard for us is that other people don’t. And I think that in talking to young people about The Now—it’s part of a conversation. Like, yes this is devastating for some of us. Why is it devastating? Let’s talk about where it lives in your body, and what you can do with what you have to make it a little bit better. So much of what This Now is trying to do is make us feel powerless. And I don’t think we are. I don’t think any individual is.

Eine andere materielle Realität erfordert eine andere Semantik, das Sein bestimmt schon zu einem Großteil das Bewusstsein. Weil Wahrheit Schmerz ist, gibt es Dinge in unseren Leben, die wir nicht wegignorieren können, für die wir eine Sprache brauchen, um uns mit ihnen auseinanderzusetzen oder an ihnen vorbeizunavigieren.

Lasst Euch das mal von mir altem weißen Mann whitesplainen: Ich kenne die materielle Realität des Rassismus nicht aus persönlichem Schmerz heraus, aber seit ich mich mit dem Thema beschäftigt habe und mich mit vielen Menschen, die diese Form der Realitätserfahrung betrifft, ausgetauscht habe, fühle ich mich partiell fähig, Rassismus zu sehen. Ich stoße nicht selbst dagegen, aber ich sehe Menschen an dieser Barriere abprallen und ich sehe sie Umwege um sie herum suchen. Ich sehe, wie Menschen Pfadgelegenheiten verwehrt werden, die selbstverständlich für mich sind, ich sehe die überall eingeschränkte nominelle Freiheit und schließlich sehe auch den Schmerz, den das auslöst.

Ich musste beim Lesen aber auch an die Parabel von Idries Shah denken: „The Elephant in the Dark„. Wikipedia fasst sie so zusammen:

The parable of the blind men and an elephant is a story of a group of blind men who have never come across an elephant before and who learn and imagine what the elephant is like by touching it. Each blind man feels a different part of the animal’s body, but only one part, such as the side or the tusk. They then describe the animal based on their limited experience and their descriptions of the elephant are different from each other. In some versions, they come to suspect that the other person is dishonest and they come to blows.

Die Geschichte soll Toleranz für unterschiedliche Sichtweisen plausibilisieren, aber ich würde es größer machen: So funktioniert Sprache.

Wir tasten uns alle durch die Welt und machen Vorschläge für Unterscheidungen, die entweder angenommen, in Frage gestellt oder ignoriert werden und dann murmeln wir so vor uns hin und während dein Murmeln mein Murmeln korrigierte und umgekehrt, entwickelte sich daraus im Laufe von ein paar tausend Jahren die bis heute krasseste Künstliche Intelligenz, die die Menschheit je gesehen hat: Semantik.

Semantik ist nicht nur die Infrastruktur des Denkens, sie ist auch Realitäts-Sensor. Durch die Einübung eines neuen Begriffs aquirieren wir immer auch eine neue Form von Aufmerksamkeit.

Krasse Links No 34

Willkommen zu Krasse Links No 34. Ertastet Eure Netzwerktopologien im Algorithmus, heute kollabieren wir den Informational Capitalism in der Graphnahme der Öffentlichkeit.


Stefan Rahmstorf schreibt über die Krise der Desinformation mit Bezug auf die Klimakrise und kommt zu dem Schluss:

Wir rutschen vom Zeitalter der Aufklärung in einen trügerischen Sumpf von Falschinformation, Desinformation, Mikrotargeting. Wir waten durch stinkende Informationsabwässer, und Trump ist ein Bazillus, aber das tiefere Problem dahinter sind die Kanäle.


Auch die Internetforscherin Joan Donovan kommt im Guardian zu einem ähnlichen Ergebnis wie Rahmstorf und ich im letzten Newsletter. Die digitalen Öffentlichkeiten wurden weitgend von rechts gecaptured und algorithmisch übernommen: sie sieht darin eine Form des Technofaschismus.

Over the past decade, we have watched social media platforms warp public opinion by deciding what is seen and when users see it, as algorithms double as newsfeed and timeline editors. When tech CEOs encode their political beliefs into the design of platforms, it’s a form of technofascism, where technology is used for political suppression of speech and to repress the organization of resistance to the state or capitalism.

Auch sie durchschaut Zuckerbergs sneaky Rolle in dem Spiel:

For example, Meta has limited the circulation of critical discussions about political power, reportedly even downranking posts that use the word “vote” on Instagram. Meta’s Twitter clone, Threads, suspended journalists for reporting on Trump’s former chief of staff describing Trump’s admiration of Hitler. Threads built in a politics filter that is turned on by default.


Steven Miller, bald Trumps stellvetretender Chief of Staff, ließ nach Zuckerbergs Spontanbesuch auf Trumps Sofa in Mar-A-Largo verlauten:

Mr. Zuckerberg “has been very clear about his desire to be a supporter of, and a participant in, this change we’re seeing all around America and the world, with this reform movement that Donald Trump is leading.”


Vielen dank, dass Du Krasse Links liest. Da steckt eine Menge Arbeit drin und bislang ist das alles noch nicht nachhaltig finanziert (ich bin jetzt bei € 153,42- von eigentlich notwendigen € 1.500,-). Mit einem monatlichen Dauerauftrag kannst Du helfen, die Zukunft des Newsletters zu sichern. Genaueres hier.

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Mein Lieblings-Tiktoker, Etymology Nerd aka Adam Aleksic, hatte einen Gastbeitrag im Newsletter der geschätzten Tylor Lorenz und verknüpft sein linguistisches Wissen mit seiner direkten Erfahrung und Selstbeobachtung im Umgang mit Algorithmen.

Whenever I post videos on TikTok or Instagram, I can’t trust the platforms to show you my content. Modern social media doesn’t allow for a direct link between creators and followers. Instead, the apps use algorithms to recommend curated content, which means that I have to modify my communicative style to fit their constraints. I talk faster, with less nuance. I hyperbolize and exaggerate my natural voice, because I know that’s what the algorithm wants.

Als Linguist versteht er den Einfluss der materiellen Entstehungsbedingungen auf die öffentlichen Semantiken.

The implications, needless to say, are concerning. Research is already indicating that politicians are engaging in greater online incivility than before because they know that civil content garners less engagement. Other analyses suggest that the deliberate exaggeration of online opinions causes increased polarization, normalizing extreme views while damping moderate views. Marjorie Taylor Greene is always going to get more clicks than my rank-and-file congressman, Paul Tonko.

Sein Punkt ist, dass wir gerade den endgültigen Kipppunkt von dem Konzept der Massenmedien in den der viralen Medien erlebt haben, in der nicht mehr Reichweite, sondern Verbreitungsvorteil die Varialble ist, mit der man arbeiten muss.

Unlike broadcasting, viral communication initially reaches a much smaller audience. A TikTok only gets views if it generates enough algorithmic engagement to be recommended to more user feeds, and a tweet only goes viral if it gets enough retweets. Each post reaches a different audience, so politicians can’t expect their messaging to be consistent, or heard at all, unless they can make it go viral.

As such, candidates are reshaping their communication to perform better on algorithmic platforms. This means getting more likes, more shares, and more retention—which in turn means exaggerating and hyperbolizing, since less exciting content simply doesn’t go far on those platforms.

Schöne Dystopie, in die wir uns da reingelacht haben, HAHAHA.

Everything you’ve seen in recent elections—the jokes, the extremism, the misinformation—is here to stay, all because we switched from one style of communication to another.


Dazu passend diese aktuelle Studie zu Desinformation:

Compared with trustworthy news sources, posts from misinformation sources evoked more angry reactions and outrage than happy or sad sentiments. Users were motivated to reshare content that evoked outrage and shared it without reading it first to discern accuracy. Interventions that solely emphasize sharing accurately may fail to curb misinformation because users may share outrageous, inaccurate content to signal their moral positions or loyalty to political groups.


Wir erinnern uns: 2017 gab es ein riesen Theater um Facebooks Rolle bei der Trumpwahl und im Zentrum stand der Skandal um Cambridge Analytica. Weil das zufällig Zeitgleich mit Zuboffs populärer Gegenwartsanalyse des „Überwachungskapitalismus“ zusammenfiel, entstand nicht nur ein riesiger Backlash gegen Facebook, sondern auch ein sehr schiefes Bild über die Macht der Plattformen und eine weirde Vorstellung, wie Manipulation funktioniert.

Ich finde weder Zuboffs Theorie des „Verhaltensmehrwerts“, noch die Erzählung um Cambridge Analytica plausibel, weswegen ich irgendwann einen frustrierten Essay über die Manipulation der Manipulationserzählung schrieb.

Das Narrativ von der großen Manipulation ist also erstens erfolgreich weil sie eine gute Geschichte erzählt und wir prädispositioniert sind, darauf anzuspringen. Hinzu kommt zweitens, dass die Erzählung von der Manipulation eine einfache Erklärungen für das Unbegreifliche liefert. Eine Erklärung, die, drittens, ganz nebenbei die Verantwortung für unschöne, gesellschaftliche Ereignisse von uns weglenkt – hin zu einem großen Strippenzieher, als dessen Marionetten wir uns – oder alle anderen – wähnen. Doch es gibt noch einen weiteren, einen vierten Grund, warum ausgerechnet dieses Genre der großen Erzählungen alle anderen überflügelt: Es ist eine merkwürdige Allianz zwischen dem vermeintlichen Manipulator und demjenigen, der vor ihm warnt.

Weil wir keine Individuen sind, deren „Mind“ über psychologische Stimuli „manipulierbar“ ist, sondern Dividuen, die sich aneinander orientieren, funktioniert echte Manipulation nicht als Operation am Individuum, sondern über Modifikation der Öffentlichkeit. Manipuliert wird nicht die „Psyche“, sondern die Ereignisse des öffentlichen Sprechens und nicht spontan, sondern stetig über einen langen Zeitraum und nicht durch technopsychologischen Hokuspokus, sondern über den materiellen Umbau der medialen Orientierungslandschaft. Das ist alles so offensichtlich und so völlig ungeheim, dass es fast langweilig ist, das zu erzählen und gibt keine so sexy Geschichte ab, wie die Big-Data-Psychovodoo-Waffe.

Während wir über das „Ende der Privatsphäre“ stritten, ereignete sich vor unseren Augen die Graphnahme der Öffentlichkeit durch eine rechtsradikale Tech-Oligarchie und wir haben bis heute keine Sprache gefunden, das angemessen zu skandalisieren.


Ich bin ja nicht so ein Welzer-Fan, aber es tut gut, dass hier jemand sich mal traut, die Tragweite unseres historischen Moments klar auszusprechen.

Der 6. November 2024 ist der 30. Januar unserer Zeit. Denn an diesem Tag hat eine Mehrheit der amerikanischen Wählerinnen und Wähler ihren Staat einer Gruppe von Superreichen überlassen, die weder an Demokratie noch an Recht, weder an sozialer Gerechtigkeit noch an Emanzipation oder der Erhaltung der natürlichen Überlebensressourcen das geringste Interesse haben. Diese Leute besitzen jetzt nicht mehr nur unfassbar viel Geld und die machtvollsten Kommunikationsmittel der Welt. Jetzt besitzen sie auch den Staat. Weder der Senat noch das Repräsentantenhaus noch der Supreme Court werden ihnen bei irgendetwas im Weg stehen, was sie nun umzusetzen gedenken.

Natürlich wird aus der USA jetzt kein nationalsozialistischer Staat nach dem Vorbild des dritten Reiches, aber es wird etwas gebaut werden und es wird nicht schön. Und selbst wenn sich der Techfaschismus nur ein zehntel so brutal geriert wie das dritte Reich, ist der potentielle Schaden, den der amerikanische Staat in den Händen der Plattform-Oligarchie anrichten kann, potentiell ebenso beängstigend.

Man darf zu dieser wenig ermutigenden Aufzählung ergänzen, dass der Trump-Regierung – übrigens im Unterschied zum durch die Weltwirtschaftskrise stark angeschlagenen Deutschland der 1930er Jahre – die militärisch stärksten Streitkräfte der Erde zur Verfügung stehen, die größte Volkswirtschaft der Welt, und dazu die mächtigsten Internetkonzerne des Planeten. Welche kumulierte Macht dies in den Händen von libertären Antidemokraten bedeutet, die sich einen Dreck für Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit oder Klimapolitik interessieren, lässt sich leicht ermessen; wie die wenigen verbliebenen Demokratien der Welt, insbesondere jene der Europäischen Union, sich angesichts dieser Macht positionieren werden, ebenso. Es werden sich viel schneller, als man heute noch meinen sollte, Kippmomente in ohnedies schwachen Überzeugungen, Einstellungen und Werten einstellen und Entscheidungen getroffen werden, die rapide Anpassungen an den neuen Zeitgeist bedeuten. Gründe dafür finden sich in der Politik immer.

Am Anfang des Textes hatte Welzer anhand von Sebastian Haffners Schilderungen während der Machtübernahme 1933 die damals vorherrschende Naivität geschildert und kommt am Ende nochmal auf ihn zurück:

Um zu Sebastian Haffner zurückzukommen: Es war die Fortsetzung des Normalbetriebs, der Alltag, schreibt er, „gerade das mechanisch und automatisch weiterlaufende tägliche Leben, was es verhindern half, dass irgendwo eine kraftvolle, lebendige Reaktion gegen das Ungeheuerliche stattfand.“ Alles, und das ist das wiederkehrende Verhängnis, geht so seinen normalen Gang weiter, bald ist Weihnachten, und vielleicht gibt es sogar ein anständiges Weihnachtsgeschäft. Und ein paar schöne Tage zwischen den Jahren. Währenddessen entscheidet sich nur, ob die Welt von gestern, das war die des langsamen zivilisatorischen Fortschritts in den westlichen Demokratien, verschwindet. Oder ob wir das zivilisatorische Projekt gegen alle Widerstände fortsetzen können.

Ich stelle mir kurz vor, wie Welzer zusammen mit Robert Habeck das „zivilisatorische Projekt“ mit bauchschmerz-verzerrten Gesicht gegen die rechten Horden verteidigt und komme zu dem Schluss, dass wir auch nicht schlauer sind, als die Menschen 1933. Wir fallen nur anders.


Ein interessantes Paper über die Rolle der Netzwerkeffekte bei Aufstieg und Fall von Social Networks stellt gleich zu Anfang klar, dass Gegenstand der Forschung keine Indivuduen, sondern Dividuen sind.

Social contagion like adoption of opinions, behavioural patterns, emotions or innovations can be considered as growth of a network of adopters on the top of an underlying network namely that of social interactions. Under some circumstances this process is surprisingly rapid. Social pressure plays a pivotal role in this context: People are influenced in their decisions by the opinions of their peers. This effect is captured in the so called threshold models, which assume that a person becomes adopter, when the ratio of her already adopting, related peers have reached a critical level characteristic to her sensitivity.

Was aber vorwärts funktioniert, funktioniert auch rückwärts. Die „soziale Ansteckung“ ein Netzwerk zu verlassen, hat ihrerseits Netzwerkeffekte und kann ab einem bestimmten Threashold zum plötzlichen Kollaps von Erwartungsstrukturen und damit zum Tod des Netzwerks führen.

The existence of thresholds in the decision to leave the service may lead to collective phenomena of avalanches or cascades. Indeed, we find such cascades in the data; for an example see Fig. 4(a). A user was chosen who left the service in March 2011. Arrows are plotted between friends if they left the service in the given order (tail first) within one week.

Der Verfall setzt immer erst bei den wenig vernetzten User*innen ein und frisst sich dann immer tiefer in die Vernetzungsstrukturen hinein, bis alles ins Rutschen gerät.

The spontaneous churning due to endogenous influence dominates the early phase of the OSN, however, gradually cascades occur and finally they become dominant. From that time any effort to damp spontaneous churning (e.g., by advertisement) is in vain. The apparent stability of the OSN was only due to the relatively large characteristic time for cascading users.


Benjamin Sandofsky ist Blogger und war bis vor 10 Jahren Twittermitarbeiter und hat den meines erachtens besten Text zu Twitter und seinem Ende geschrieben. Sandofsky macht dabei ein paar allgemeine Beobachtungen über den Aufstieg und Fall von Social Networks und denkt Netzwerkeffekte mit unterschiedlichen Netzwerktopologien zusammen. Soziale Graphen zeichnen sich durch ihre lose verknüpfte Gruppenhaftigkeit aus.

In computer science, we call this a Sparse Network and it has serious implications around the strength of your network. If you lose key connectors in the graph, the network fragments into smaller, weaker, subnetworks. Compared to moving the world off telephones or email, it’s pretty easy to move your closest friends and family from Facebook to private group chats.
[…]
So we have WhatsApp, which is a pure network; Facebook, which is sparse; and then we have interest graphs like Digg and Twitter which are not only sparse, but one-way. Big yikes.
Many connections on these networks are lopsided, with single accounts followed by tens of thousands to millions of followers. To put this in terms even a VC can follow, these people are super-connectors.

Super-connectors are unavoidable in interest graphs, and while they’re boon for growth, they also present a risk. If these connectors go elsewhere, their followers… well… follow. That’s all to say that losing Taylor Swift would be catastrophic.

Und diese Topologien sind eben auch entscheidend dafür, wie auf Social Networks Aufmerksamkeit organisiert wird.

In January of 2009, the Miracle on the Hudson defined Twitter as the platform for breaking news. It was no longer just a website for nerds to live-tweet to each other as LOST aired. It was now part of the global conversation. It was the moment I knew I had to work at Twitter.
This moment happened two and a half years into the company, and it could only happen thanks to millions of users, with super-connectors helping spread the story round the world in seconds.

Sandofsky sieht X bereits kurz vor dem Kollaps.

I could keep listing examples of terrible Twitter moves, such as burning bridges with advertisers, ill-planned layoffs, and personal meddling with algorithms. It doesn’t have to be that complicated. For many people, myself included, Twitter just stopped being fun.

Ich will dem gar nicht widersprechen, warne nur davor, sich allzufrühe Hoffnung zu machen. Bis Twitter wirklich in seiner Relevanz kollabiert, müssen noch sehr viele Superconnectors abspringen.


Felix Stalder hatte sich bereits vor ein paar Jahren hellsichtig der Frage zugewendet, wie die Verfallsprozesse, die wir damals in der Sowietunion beobachten konnten, auf unsere heutige Situation zutreffen. Dazu nimmt er Emanuell Castells Analyse der strukturellen Unfähigkeit der sozialistischen Planwirtschaften in den 1970er/80er Jahren, sich an die veränderte Produktionsverhältnissen anzupassen und sucht vergleichbare Anzeichen in unserem System, das er „Neoliberal Informationalism“ nennt:

The idea to use general competition expressed by numbers (price or rank) to organize society was deeply informed by a type of thinking that was first laid out in Hayek’s famous essay “The Use of Knowledge in Society” (Hayek, 1945). Through the fluctuation of prices, the invisible hand would guide individuals who would voluntarily follow it out of self-interest. From this, as Hayek put it elsewhere, “spontaneous order” would follow, too complex, too dynamic for any single social actor, no matter how large, to comprehend.

Die Bruchstellen dieses Systems sind bereits deutlich sichtbar.

First, contrary to the ideology of competitive opportunities for everyone, the rising share of appropriation of profits by the owners of capital resulted, predictably, in stagnant or falling wages or income for the majority of workers. Inequality increased under neo-liberal informationalism sharply and hardened structurally (Piketty, 2014), undermining the fundamentals of liberal democracy. Second, contrary to the ideology of immateriality of digital technologies, informationalism has always been based on massively increased resource extraction. First, because the material basis of IT itself is dirty and resource-intensive (Jones, 2018), second, because new technologies have enabled higher and more extensive rates of extraction (e.g., hydraulic fracking, deep-sea drilling), and third, because it enabled a massive expansion of wasteful consumerism.

Und wie damals in der Sowjetgesellschaft der 1980er wird die Drift zwischen den Kontrollprozeduren des informationellen Kapitalismus und den drohenden materiellen Realitäten immer größer:

Informational capitalism, and the extractivism that underlies it, has reached hard social and ecological reproduction limits. This seriously undermines its capacity to address the needs of its citizenry, threatening its very survival. While many technological and organizational innovations could help to address some aspects of this problem, from renewable energy to resource-efficient social organization and recycling (Rifkin, 2019), the exclusive focus on the price signal produces the wrong incentives because the externalized costs simply disappear from the calculation, even if it is widely understood that this way of organizing the world is nonsensical. The ubiquity of competition—enforced through “aloof” financial markets working on ever-higher levels of abstraction with an exclusive focus on the price signals—rewards inefficiency (high waste output). It also makes it impossible for managers, even if willing, to develop new production methods to consider the increased range of human and non-human actors and their complex demands, which would be necessary to organize the economy at a sustainable distance from these hard limits.

Weil sich aber auch die Öffentlichkeit immer mehr entlang der Macht strukturiert, werden auch die nichtkapitalistischen Institutionen in den Strudel gezogen.

However, the crisis of the liberal order goes more profound than the political institutions of democracy. Instead, it extends across the entire institutional landscape, even to those institutions which were historically understood to be at a distance from the political system, in particular science and news media, which were long seen as following the ideal (albeit imperfectly) of making sense of the world outside the pursuit of power or profit. Their subjugation to the profit motive (science becoming dependent on industry funding and aimed at producing intellectual property in the form of patents, the media becoming dominated by profit-maximizing conglomerates) has eroded their always-contested position as arbiter of facts and interest-free knowledge. Consequently, their expertise and narratives have become de-legitimized, even in the face of existential crises where science and an informed public would be much needed to address them.

Václav Havel famously spoke about the split between public lies and private truths, meaning that the public sphere was permeated with lies, while in the private sphere, people could speak truthfully (Havel, 1979). Yurchak (2006), however, argues that separation between the two spheres was never so clear and that the crises of epistemology permeated the entire culture in the former Soviet Union. This blurring of public and private speech is a constitutive part of social media which turn—to various degrees—all communication, even the supposedly most private messages, into strategic communication aimed at gaining status within epistemic communities, destabilizing meaning across the board (Stalder, 2018).

Ich teile die grundsätzliche Einschätzung, glaube aber, dass es bis zum endgültigen Kollaps des System noch eine ganze Weile hin ist. Was wir erleben, ist das Ende der Republik, aber noch lange nicht das Ende des Empires und wir haben noch keine Vorstellung davon, wie breit ausgerollte, digitale Gewalt jeden Widerspruch überspachteln kann.


Zum Ende was Aufmunterndes. Die Neurobiologin Kelly Lambert beschreibt ihre Arbeit mit Ratten, denen sie Autofahren beibringt. Dabei beobachtet sie nicht nur die erstaunliche Lernfähigkeiten der Ratten, sondern auch wie sich auch ihre Laune hebt, wenn sie wieder Autofahren dürfen.

Behaviors associated with positive experiences are associated with joy in humans, but what about rats? Was I seeing something akin to joy in a rat? Maybe so, considering that neuroscience research is increasingly suggesting that joy and positive emotions play a critical role in the health of both human and nonhuman animals.

With that, my team and I shifted focus from topics such as how chronic stress influences brains to how positive events – and anticipation for these events – shape neural functions.

Und weil nicht nur Ratten, sondern auch wir Menschen infrastrukturelle Wesen sind, sind die Forschungsergebnisse für uns alle relevant.

When animals are housed in their favored environments, the area of the nucleus accumbens that responds to appetitive experiences expands. Alternatively, when rats are housed in stressful contexts, the fear-generating zones of their nucleus accumbens expand. It is as if the brain is a piano the environment can tune.

As animals – human or otherwise – navigate the unpredictability of life, anticipating positive experiences helps drive a persistence to keep searching for life’s rewards. In a world of immediate gratification, these rats offer insights into the neural principles guiding everyday behavior. Rather than pushing buttons for instant rewards, they remind us that planning, anticipating and enjoying the ride may be key to a healthy brain. That’s a lesson my lab rats have taught me well.