Während ich hier im ICE nach Hamburg sitze und mich langweile (die scheiß Bahnstrecke ist immer noch nicht fertig und die Fahrt ist immer noch um die 3 Stunden lang, dafür gibt es Kaffee und ein Butter… ach egal), dachte ich bei mir, ich könne ja mal das Politcamp resümieren. Denn wer weiß, ob ich nach der Next09 nicht wieder viel zu zugeschissen bin, mit anderen Eindrücken, Gesprächen etc.
Und natürlich ist es mir ein Bedürfnis, über das Politcamp zu reden, denn es hat mich tatsächlich selten eine Veranstaltung so im Griff gehabt. Nie habe derart konsequent Pannels besucht und Sessions gehalten. Dass ich durchgängig in Sessionräumen sitze, zuhöre, rede und diskutiere, kommt eigentlich nie vor. Ganz besonders nicht, bei so einem Wetter. Dazu die vielen und langen inspirierenden Gespräche, die Streits nach den Pannels bei Bier in der Abendsonne und natürlich die Begegnung mit der dritten Art: dem Politiker. Das alles hat mich doch sehr verspult und es dauert wohl noch etwas, bis ich das alles irgendwie eingeordnet habe.
Deswegen hier erstmal nur ein paar lose Gedanken:
Das Politcamp war das notwendigste und dringendste aller möglichen Barcamps. Die Zeit hat förmlich danach geschrien. *Anerkenndes Nicken in Richtung der Organisatoren*
Leider haben das nicht all zu viele Politiker auch so gesehen. Zeitweise empfand ich doch ein wenig Entsetzen, dass die Politik sich insgesamt doch so wenig interessierte. Klar, es waren einige Politiker da. Man konnte das lebende Objekt durchaus bestaunen (Man hat sie tatsächlich auch alle als Politiker erkannt. Nicht nur in Abgrenzung zu den Nerds. Nein, es scheint einen internen Politikerklamotten- und Frisurencode zu geben), aber ich hätte erwartet, dass die Parteien angesichts des aktuell agandabefindlichen Themenpottpuries (Datenschutz, Netzsperren, Onlinewahlkampf) doch ihre erste, zweite und dritte Garde schicken. Oder wenigstens eine davon. Dem war nicht so. Wer einen MdBler entdeckte, durfte ihn behalten.
Das ist schade. Ganz besonders dann, wenn man auf einem Podium zu Netzsperren sitzt und niemand zum beschimpfen da ist. Nicht, dass die Organisatoren nicht alle Hebel in Bewegung gesetzt hätten, Leute zu bekommen, nein, es hagelte aber nur Absagen. Ein ganz schwaches Bild, was meine Vorurteile gegenüber der politischen Kaste nicht gerade abbauen half.
Viel besser halfen da die Politiker vor Ort. Man muss wahrscheinlich sagen, dass niemand dort repräsentativ war, denn allein die Tatsache, dass die Leute kamen, heißt ja, dass sie aufgeschlossener sind als ihre Kollegen. Und so kann man feststellen, dass zumindest diese anwesende Garde sich zumindest bemühte, den Diskurs zu beginnen. Und die Gespräche waren manchmal durchaus ermutigend. Ich habe sogar mit einem CDUler gesprochen und er hat nicht nur kompletten Müll erzählt!
Im Mittelpunkt stand für mich natürlich die Session, die ich mit Bjoern Grau zusamen hielt – Das Netz und die Partei. Warum es Parteien nicht in die Neue Welt schaffen werden. (Eigentlich war es eine Doppelsession, bei dem der erster Faden von Sina und Moritz gehalten wurde, und den wir dann aufnahmen, weiterspannen und radikalisierten) Natürlich haben wir bewusst provoziert. Natürlich haben wir komplett in utopischen Gefilden geschippert. Und natürlich haben wir den Widerspruch gesucht (ich bin ja durchaus als Polittroll angereist). Aber mit derart heftigem Gegenwind hatten wir nicht gerechnet. Die Teilnehmer, vor allem die in Parteien engagierten, reagierten derart emotional, dass wir uns zeitweise fragten, ob wir den Eindruck machten, dass wir imstande wären, bis Mittwoch alle Parteien abzuschaffen. Aber das ist okay. Die Diskussionen waren heftig, aber gut. Sie zeigten die Bruchlinen sehr genau, die zwischen Netzbewohnern und den traditionellen Parteipolitikern verlaufen – zwar etwas überzeichnet – aber dafür deutlich. Alleine dafür hat es sich gelohnt.
Was mir nur etwas auf die Nerven geht, ist diese Einstellung einiger Politiker und einiger Politologen, dass der politisch interessierte Mensch, der mit dem vorhandenen Schnittstellen der Partizipation nicht zurecht kommt und Änderungen anmahnt, immer wieder abgebügelt wird: Das sei nun mal so. Das sei schließlich schon immer so gewesen. „Und bevor du Dich nicht reingearbeitet hast, in die Schwierigkeiten, Komplexitäten und inneren Widersprüche innerparteilicher Entscheidungsfindungsprozesse, dann hast du gefälligst auch nicht rumzumeckern„. Wenn die Jugend von heute sich gelangweilt vom politischen Geschäft abwendet und alle Parteien über Nachwuchsprobleme jammern, sollte man doch wenigstens ein Problembewusstsein dafür entwickeln. Stattdessen wird beim Wahlvolk allen ernstes angemahnt, man habe die komplexen Entscheidungsstrukturen nicht nur nicht zu akzeptieren und anzunehmen, wenn man sich politisch engagieren möchte, sondern sich als Wähler gefälligst reinzubüffeln, bevor man Kritik daran übt. Frei nach Brecht fordert da angesichts der mangelnden Partizipation ein politisches System nach einem anderen Volk. Und kommt sich dabei auch noch besonders demokratisch vor. Da möchte man den Parteipolitikern manchmal zurufen: „Ach, geht sterben!“ Denn das werden sie auf jeden Fall tun, mit dieser Haltung, früher oder später. Abwarten kann also durchaus ein Teil der Lösung sein.
Bis dahin muss aber natürlich noch einiges getan werden. Mein Ansatz war erstmal pauschal und undifferenziert zu fordern, dass wir lauter werden müssen. Wir müssen über mehr Kanäle als nur unsere Blogs kommunizieren, dass wir bereits ein anderes Leben führen als die meisten und dass auch unsere Form des Lebens, eine zu schützende ist.
Was ich meine, ist der Umstand, dass wir doch größtenteils 60 % unserer Wachzeit in dieser Wolke verbringen, welche die meisten nur für SpOn und Pornos nutzen. Und dass wir diese Tatsache auch nicht verschämt auf Nachfrage einräumen, sondern dass wir uns selbstbewusst als Netzbürger, Netcitizens, Netzbewohner whatever outen sollten. Ja, Outen! Da sollten wir von der Schwulenbewegung lernen. Und vielleicht wird man irgendwann nicht mehr versuchen, uns mit Therapieversuchen gegen „Internetsucht“ in die „normale Gesellschaft“ einzugliedern, sondern wird uns ernst nehmen und unsere Lebensweise akzeptieren. Ich bin ja auch dafür, hier und da etwas deutlicher zu formulieren, was mich die Offliner – die meinen, unseren Lebensraum regulieren zu müssen – mal können. Aber ich gebe zu, dass ist nicht der produktivste Weg.
Viel besser macht das Ennomane, der Good Cop quasi, der dann reingelassen wird, wenn ich den Parteipolitikern den Angstschweiß in’s blauweißgestreifte Oberhemd getrieben hab.
Noch viel konkreter und etwas für genau jetzt (!!!) ist aber diese Online Petition die ganz schnell und unter allen Umständen gezeichnet werden muss.