Es ist wahrscheinlich der größte und dreisteste Spin diesen Jahrhunderts, der da gerade vor unseren Augen stattfindet. Vergleichbar nur mit dem Spin, der zum Irakkrieg führte. Zumindest in Deutschland. Zumindest, wenn er glückt. Und danach sieht es aus.
Der Untersuchungsausschuß zur Spähaffaire lädt nun also die Chefs der großen Internetkonzerne vor. Eric Schmidt, Mark Zuckerberg, etc. Sie sollen jetzt helfen die Machenschaffen der NSA aufzuklären. Aha.
Zur Erinnerung: es ist eben jener Untersuchungsausschuß, der sich weigert, Edward Snowden nach Deutschland einzuladen und zu befragen. Also derjenige, von dem wir all die Informationen haben, die wir haben. Stattdessen also jetzt Zuckerberg und Co.
Wer sich aber darüber wundert hat nicht aufgepasst. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat in der FAZ diese Linie bereits vorgegeben. In einem großen, programmatischen Debattenbeitrag lobt er die FAZ für ihre publizistischen Bemühungen der letzten Zeit und macht klar, dass sie seine politische Digital-Agenda entscheidend mitgeprägt hat. Der Artikel ist online überschrieben mit „Konsequenzen aus der Googledebatte“ und hält was er verspricht: eine Ankündigung jetzt endlich was zu tun. Gegen Google.
Ebenso laut wie die Kampfrhetorik gegen Google schreit uns das an, was im Artikel keine Erwähnung findet: Die NSA. Der GCHQ. Oder Gott bewahre: der BND.
Dieser Spin der Debatte – weg von der Verantwortung der Geheimdienste, hin zur Dämonisierung der Internetkonzerne – war von der FAZ lange vorbereitet worden. Kein Artikel über den Spähskandal, der nicht von der Totalüberwachung durch „Geheimdienste und Internetunternehmen“ sprach. Kein Artikel über die Snowdenleaks, der ohne einen Seitenhieb auf Google oder Facebook auskam. Monatelang wurde versucht zu suggerieren, dass die Verantwortung des Spähskandals zumindest mit bei den Bösen Datenkapitalisten liege. Ja, dass im Grunde genau dort das eigentliche Problem liege: bei datensammelnden Unternehmen.
Zuletzt dann die endgültige Konzentration der Kampagne auf Google, in dessen Höhepunkt Spingerchef Matthias Döpfner einen wirklich erhellend ehrlichen Artikel beisteuern durfte, in dem er klar macht, worum es wirklich geht: Die unliebsame Abhängigkeit von Google und die eigenen wegschwimmenden Werbeerlös-Felle. Das ist nicht neu, das Wehklagen kennen wir aus dem Leistungsschutzrecht. Und das ist genau die Richtung, in die der Hase läuft.
Wir erinnern uns. Mit einem Trommelfeuer aus Unaufrichtigkeit und Eigenpropaganda war es den Presseverlagen gelungen, gegen die ausdrückliche Meinung aller Experten ihr Leistungsschutzrecht durchzusetzen. Doch das Ergebnis lässt zu wünschen übrig: Es bringt vor allem Rechtsunsicherheit für alle, die im Internet publizieren, aber den Verlagen bislang keinen Cent. Warum auch? Nur weil die Verlage ihre Snipplets jetzt theoretisch bepreisen dürfen, müssen Google und Facebook den Deal ja noch lange nicht eingehen. Zur Not werden die Presseangebote eben ausgelistet.
Und eben das soll sich ändern, wie Marcel Weiß analysiert. Im Koalitionsvertrag ist es schon angedeutet: Suchmaschinen sollen gesetzlich dazu gezwungen werden, jeden Deal eingehen zu müssen, den die Verlage für ihre Snipplets vorgeben.
Das Kettenrasseln mit der eh völlig unrealistische Forderung von der „Zerschlagung Googles“, ist nur die Maximalforderung, die zum Endergebnis Indexierungszwangs runtergehandelt werden soll.
Puh. Ganz schön krasser Bogen, so von Spähaffäre bis Listungszwang, wa? Und da machen die Politiker mit?
Aber mit Vergnügen! Denen ist die ganze Spähaffäre und der zugehörige Untersuchungsausschuß dreierlei: Unangenehm, peinlich und gefährlich. Unangenehm: es ist eigentlich nichts passiert, was die Regierung nicht eigentlich gut heißen würde (wenn da nicht der öffentliche Druck da wäre), peinlich: es belastet die Beziehungen mit den USA und den tollen Partnerschaften vor allem auf Geheimdienstebene und gefährlich: die eigenen Machenschaften des BND und Co. könnten dabei ebenfalls ins Tageslicht kommen und an so manchem Stuhl rütteln. (Wozu sicher eh noch die ein oder andere Bombe in den Snowden-Dokumenten steckt.)
Die Politiker sind sehr dankbar für diesen Spin. Sie dürfen sich gegen das böse, böse Google profilieren, ohne Gefahr zu laufen, dass ihre Mitschuld an der Massenüberwachung überhaupt thematisiert wird und die Presseverlage bekommen ihre Gelddrucklizenz. Eine absolute Win-Win-Situation zwischen Politik und Presseverlagen.
NSA? GCHQ? BND? Nie gehört.
Sascha Lobo hat in seiner letzten Kolumne sehr richtig davor gewarnt, dass die wirren Verschwörunstheretiker der Montagsdemo-Loonies versuchen den Überwachungsskandal in ihr antiamerikanisches Narrativ zu zwängen. So sehr ich ihm dabei zustimme, fände ich es gut, wenn er seine Mitverantwortung in dem aktuellen, nicht viel weniger schlimmen und politisch viel erfolgreicheren Spin einmal kritisch hinterfragen würde. Er hat zwar in seinem re:publica Talk angekündigt, dass er sich von nun an raushalten will, wenn in den Medien über Google und Co. wieder Dünnsinn geschrieben wird. Aber andererseits ist Google gerade genau jener bunte Pudel, auf den sich auch die Politik stürzt, um den Tyrannosaurus Rex auf Speed umso lauter ignorieren zu können. Und seine beiden Artikel in der FAZ haben einen guten Teil zu diesem Spin beitragen.
Man muss an dieser Stelle vielleicht zugeben, dass der Spin sehr geschickt gewählt ist, denn er ist gerade in Deutschland sehr anschlussfähig. So anschlussfähig, dass selbst die halbe Netzgemeinde kaum bemerkt, wie ihr ihre eigenen Narrative in einer hegemonialen Reaktualisuerung aufgetischt werden, wie Kathrin Ganz treffend bemerkt.
Dass die FAZ seit Snowden ihre Kampagnen für SchlandNet, Internetregulierung und Leistungsschutzrecht derart offen vorantreiben kann und aus der Netzszene nicht nur kaum Widerspruch, sondern sogar teilweise Unterstützung kommt, ist das eigentlich traurige an dieser Angelegenheit. Es scheint, als seien uns alle Maßstäbe und jedes kritische Denken verloren gegangen. Snowden ist der elfte September der Netzgemeinde und wir sehen zu, wie uns Schirrmacher und Gabriel in den falschen Krieg schicken.
Am Ende wird die Überwachung bleiben, aber die konservativen Beharrungskräfte haben erfolgreich ihre Agenda durchgesetzt. Was bleibt, ist ein ausgeblichener Hahnenkamm.