Newsletter

Eine Art über Newsletter nachzudenken, ist, in ihnen einen evolutionären Rückschritt von Blogs zu sehen. Diese Perspektive ist mir besonders nah, weil meine Netzsozialisation mit Blogs angefangen hat und tatsächlich ist es schwer einzusehen, warum das, was Newsletter tun, etwas anderes ist, als das was wir mit Blogs schon vor 20 Jahren gemacht haben. Außer natürlich, dass Blogs öffentlicher sind und mit RSS einen eigens entwickelten, sehr slicken Standard zur Distribution des Contents mitbringen. Blogs, hach! <3

Warum also einen Newsletter?

Newsletter haben meiner Wahrnehmung seit rund 10 Jahren einen stetigen, man könnte meinen, organischen Aufstieg erlebt. Auch ich wunderte mich zu Anfang und wehrte mich innerlich gegen diesen Trend. Doch ich muss sagen, dass spätestens seit dem Tod von Twitter, Newsletter auch für mich zu einer meiner zentralen Informationsressourcen wurden (dazu später mehr). Und seit sich einerseits die für mich relevanten Wissenscommunities über die Netzwerke verstreuten und auch meine eigenen Aktivitäten immer noch auf der Suche nach einem neuen Schwerpunkt sind – und, das kommt erschwerend hinzu – seit vor allem die Algorithmen der kommerziellen Netzwerke Links pauschal downranken, kam bei mir der Wunsch auf, ebenfalls sowas wie eine Newsletter-Homebase zu entwickeln. Eine Homebase in Form eines Blogs hatte ich zwar immer beibehalten, doch – so ist mein Eindruck – Blogs erreichen nur ein winziges Subset der Leute, die ich erreichen will.

Eine andere Art über Newsletter nachzudenken, ist sie als die immer schon verwirklichte Utopie des dezentralen Wissens- und Kommunikationsnetzwerkes anzusehen, dem wir seit Jahrzehnten als Ideal hinterher hecheln. Turns out: ein Eingabefeld für Text und ein protokollbasierter Mechanismus diesen Text zu beliebigen Empfängern zu distribuieren – mehr braucht es gar nicht! Blogs, RSS, ActivityPub, AP-Protokoll, whatever! – sind aus dieser Perspektive nur eitler, over-engineerter Nerdkram, den niemals jemand wirklich brauchte. E-Mail kann alles, was nötig ist und die „Installed Base“ von E-Mail ist einfach nahe 100%. So, here we go!

Ich persönlich kann beiden Perspektiven etwas abgewinnen und mein Kompromiss besteht nun darin, dass meine Newsletter auch auf meinem Blog erscheinen und somit via RSS als auch ActivityPub ausgeliefert werden.

Es kam natürlich auch sofort die Frage auf, worum es denn in meinem Newsletter gehen soll und was soll ich sagen, ihr kennt mich doch! Mir ging es immer darum, die Welt zu verstehen und so sehr ich mich auch bemühe, mich auf ein Thema festzulegen – es geht einfach nicht. Ich habe nun mal einen transdisziplinären Blick auf die Welt und es gelingt mir nicht, Technologie von Politik, Politik von Gesellschaft, Gesellschaft von Wirtschaft und Wirtschaft von Kultur abzutrennen und mich auf ein Thema zu konzentrieren. Alles erklärt alles!

Doch eine Selbstbeschränkung muss sein: Eine meiner Lieblingsbetätigungen beim Twittern war es, Links zu empfehlen. Ich kann mich sehr für Texte, Videos, Paper oder Podcasts begeistern, die mir die Welt erklären. Wenn mir ein Link das Gefühl gibt, jetzt habe ich die Welt ein Stück weit mehr verstanden, dann habe ich das unbändige Bedürfnis, dieses erlangte Wissen zu teilen. Und das soll jetzt – auch – hier geschehen.

Eine dritte Möglichkeit, wie man Newsletter betrachten kann, ist, sie schlicht als eigenständige Medienform anzuerkennen. Newsletter mögen sich zwar formal und technisch in ihren Affordanzen kaum von Blogs unterscheiden, aber die Art der Distribution (der Newsletterautor kennt immerhin die E-Mailadressen) und die Art der Rezeption (im Mail-Posteingang, gleich neben der persönlichen Korrespondenz) schafft doch noch mal eine andere Verbindlichkeit und damit Rezeptionshaltung. Newsletter fühlen sich ein Stück weit intimer an, man fühlt sich von ihnen persönlicher angesprochen und – das wäre zumindest eine Hypothese, die ich hier testen möchte – man schreibt für die eigene Newslettercrowd auch anders, als für irgendwelche anonymen Blogleser*innen?

Also. Das Setup wird folgendes sein: die zwei, bis sieben wichtigsten, interessantesten – also krassesten – Links der Woche werden kommentiert und eingeordnet und jeden Sonntag Abend über diesen Kanal verschickt. Leute, die mir auf verschiedenen Plattformen folgen, könnten dann manche der Links schon kennen (vor allem auf Mastodon, wo ich die meisten Links teile). Aber ich werde mir mühe geben, sie nochmal etwas anders, wahrscheinlich ausführlicher aufzubereiten. Wer damals meine Arbeit bei Piqd mitbekommen hat, wird eine leise Ahnung davon haben, was ihn oder sie erwartet.

Nach dieser langen Vorrede möchte ich Euch, liebe Leser*innen, natürlich auch meine krassen Links nicht vorenthalten und ich dachte, ich empfehle als erste Tat schon ein paar der Newsletter, die meine Informationsdiät seit dem Twittertod wieder auf ein menschenwürdiges Niveau gehieft und die mich natürlich auch für diesen Newsletter inspiriert haben.

  • Für einen morgentlichen Welt-News-Überblick nutze ich den Daily Brief von Quartz. Er ist wirklich kurz und prägnant und die Auswahl der Themen hat zum einen eine sehr wirtschaftliche aber auch geopolitische Schwerpunktsetzung. Guter Service. Erscheint jeden Werktag.
  • Europazentrierter sind die Themen bei Eurotopics aufbereitet, wobei sich das vor allem auf die Perspektiven bezieht, denn es handelt sich um eine europäische Presseschau, die europaweit Tageszeitungen zusammenfassend zu den aktuellen, internationalen Aufregerthemen aufbereiten. Eine nützliche Perspektivenbereicherung und eine Art europäisches Stimmungsbarometer. Kommt ebenfalls Werktags.
  • Garbage Day ist einer von diesen Newsletter, auf die ich aktiv warte und sie sofort lese, wenn sie eintreffen. Ryan Broderick macht meines Erachtens den besten Job als Internet Feuilletonist und zwar in der gesamten Bandbreite dessen, was ein gutes Feuilleton ausmacht: er weist auf Trends hin und erklärt sie auch für kulturell abgehängte Altnerds wie mich, er gibt interessante Einschätzungen zu Technologie und Gesellschaft ab, Plattformen, KI, alles dabei. Er berichtet aber auch über Skandale, Kontroversen und Dramen in den etlichen Subkulturen des Netzes, was immer wieder faszinierende Einblicke in aktuelle kulturell-mentale Konfigurationen erlaubt, die schon durch ihre pure Existenz das eigene Mind blown. Dabei werkelt er immer wieder zitierwillige Absätze zusammen, die die Bizarrerie der heutigen Netzwelt in buntscheckigen Pointen aufleuchten lässt. Kurz: er nimmt Internetkultur ernst, hat interessante Themen und Meinungen und schreibt lustig darüber. Garbage Day kommt drei mal die Woche, zwei Ausgaben pro Woche sind frei aber es ist auch einer der wenigen Newsletter, für die ich bezahle, um auch den dritten Take zu bekommen.
  • Money Stuff ist der viel zitierte Newsletter von Matt Levine von Bloomberg. Er schreibt über Finanzkram und wer jetzt denkt, Finanzkram ist erstens super kompliziert und zweitens total öde, sollte Money Stuff erst recht abonnieren. Matt Levine gibt sich jeden Tag aufs neue Mühe, seine komplizierten Themen von den Grundprinzipien her aufwärts durchzuerklären und man merkt ihm dabei an, dass Erklären wirklich sein Ding ist. Ich zumindest habe fast genauso viel Spaß beim Lesen, wie er beim Schreiben, was ne Menge ist. Wer schon immer verstehen wollte, wie Merger & Acquisitions funktionieren und warum SPACs meist Scams sind und wie Banken wirklich arbeiten, sollte den Newsletter abonnieren. Money Stuff kommt immer Werktags. Ich bin schon sehr lange Abonnent und bekomme ihn umsonst, aber habe auch schon gehört, dass er mittlerweile nur noch mit Bloombergabo zu lesen ist? Das wär schade.
  • Citation Needed ist der Newsletter von Molly White. Wer ein bisschen der cryptokritischen Berichterstattung der letzten Jahre gefolgt ist, wird mit Sicherheit auf ihr Projekt Web3isgoinggreat gestoßen sein, wo sie die ganzen Fails der Cryptowelt sammelt und damit wesentlich zum Untergang dieses Pyramidensystems aus Pyramidensystemen beigetraten hat. Sie ist aber auch sonst ein vielseitig interessiertes Netzgewächs mit Wurzeln in der Wikipedia-Community und im Bloggen allgemein. Auch ihre nicht-kryptobezogenen Themen sind jedenfalls für mich immer interessant. Zuletzt hat sie mit ihrer eigenen Newsletter-Umzugsgeschichte eine sehr nützliche Anleitung geliefert, die auch mich bei einigen meiner Schritte inspiriert hat. Citation Needed kommt meistens wöchentlich.
  • In Adam Tooze‘ Chartbook schaue ich nur manchmal rein, denn sein Veröffentlichungstakt ist für mich etwas überfordernd. Wer Adam Tooze nicht kennt, sollte sich schlau machen, denn er ist wirklich einer der relevantesten Stimmen in Zeiten der Polykrise – ein Begriff, den er selbst erst populär gemacht hat. Er ist ein in England und Deutschland aufgewachsener, amerikanischer Wirtschafts- und Kriegshistoriker, mit einem umfassenden Blick auf die globalen Zusammenhänge. Bei seinen kulturgeschichtlich informierten, jedoch datengetriebenen Betrachtungen unterschiedlichster Phänomene, blitzen immer wieder überraschende Zusammenhänge auf, die einem Welt nochmal in neuem Licht erscheinen lassen. Wer für Chartbook, wie ich, nicht bezahlt, bekommt eine reduzierte Version, die aber meistens trotzdem interessant genug ist. Chartbook erscheint viel zu oft in der Woche.

Ich könnte hier noch etwa vier bis fünf KI-Newsletter empfehlen, aber ich dachte mir, das behalte ich mir für eine andere Ausgabe vor.

So, das wäre der erste Krasse Links Newsletter. Die weiteren werden wesentlich kürzer und prägnanter und mit aktuellerem Bezug, versprochen! Darüberhinaus habe ich noch kein festen Plan und ein kaum festgezurrtes Konzept, wie es hier weitergeht. Ich habe Lust, das hier on the fly zu entwickeln, das heiß:, Dinge auszuprobieren und das Format und meinen Schreibstil Schritt für Schritt über die Zeit zu finden. Es freut mich, dass so viele von Anfang an dabei sind. Bis nächste Woche!