Wulff’s frohe Botschaft

Heute ist Gauck nicht zum Präsidenten gewählt worden. Ich glaube, er wäre der bessere Präsident gewesen, allerdings würde ich das in Gegenüberstellung zu Wulff im Zweifel auch von einer angematschten Tomate mit angeklebten Propellerhut behaupten.

Ich habe aber vor allem auf einen Wahlsieg von Gauck gehofft, weil ich hoffte, dass dies die ungeliebte Schwarz-Gelbe Koalition vom Platz fegen würde, wie ich hier und hier ja hoffnungsfroh äußerte. Das ist jetzt nicht der Fall gewesen – ich habe mich geirrt.

Die Koalition ist jetzt seit einigen Runden bereits angezählt, viele sehen und sahen sie bereits kurz vor ihrem Ende. Vor allem auch ich. Wir alle hofften, dass die Bundespräsidentenwahl dem Trauerspiel ein Ende machen würde, weil sie die implizite und seit Wochen schwelende Vertrauensfrage endlich deutlich auf das Tapet bringen würde. Wenn Gauck gewählt worden wäre, wäre Merkel am Ende gewesen, da bin ich immer noch sicher.

Und nun ist die Situation folgende: Ja, Merkel ist immer noch – zumindest konzeptionell – am Ende, das hat das alles gezeigt. Sie hat keine Vision, sie hat keine Leute, sie hat keinen Plan und keine Inspiration. Vor allem zeigt die Wahl auch, wie unglaublich saturiert die Regierung handelt und wie wenig Gespür sie für Stimmungen und vor allem für politische Integrität besitzt. Das alles hat nur einen Haken, denn seit heute wissen wir: sie kommt damit durch.

Das ist die wirkliche Botschaft dieses dann doch noch im dritten Wahlgang durch gepeitschten Präsidenten Wulff:

„Ja, wir sind zwar am Ende, aber das ist uns völlig egal. Seht her, da seht ihr es, wir haben gewonnen, gewonnen haben wir, wir haben uns wieder mal erfolgreich durch gemogelt. HAHA, ihr kriegt uns nicht klein, unser Raumschiff hier oben ist außerhalb eurer Reichweite. Wir kommen damit durch, wie wir bisher mit allem durch gekommen sind und diesmal wissen wir es noch viel deutlicher als zuvor, nämlich, wie doll wir auf eure Meinung scheißen können.“

Ja, das ist die Botschaft, die ich daraus lese und sie bedeutet nichts gutes. Sie bedeutet eine gewisse Dauerhaftigkeit dieses Statuses, dass man sich seitens der Regierung mit ihm angefreundet hat, jedenfalls irgendwie arrangiert hat. Dass man so noch lange weiter regieren zu denken pflegt und dass wir – das Volk, der Souverän – noch eine gewaltige Durststrecke vor uns haben könnten. So kohlschen Ausmaßes, oder so.

COALITION OF THE WILLING

Warum auf die Politiker warten? Lasst uns den Klimawandel einfach selbst bekämpfen!

Ein unfassbar reichhaltiges kollaboratives Meisterwerk, ist dieser Film:

Coalition Of The Willing from coalitionfilm on Vimeo.

Mein Freund Mate hat daran mit gebastelt und er wird auch morgen bei dem Screening in Berlin sein. Ich leider nicht. Ihr wisst ja, wär ein bisschen weit.

30. Juni – um 19:30 in der CSA Bar, Karl Marx Allee 96, 10243 Berlin

4 : 1

Mit Klose und Podsky ist das ja so:

Lukas Podolski ist ein Ausnahmeschütze. Außerdem hat er einen guten Torinstinkt.

Der Klose ist zwar kein so unglaublicher Schütze, wie Podolski, dafür hat er aber gleich zwei Torinstinkte: einen für sich und dann noch einen zweiten, einen Podolski-Torinstinkt.

Klose spürt nicht nur intuitiv, wann er ein Tor machen kann, sondern auch wann Poldi eines machen wird und liefert den Pass. Klose hat einen Torinstikt zweiter Ordnung. Beachtlich.

* * *

Der Müller scheint ja auch ganz gut zu sein. Beim Fußball finde ich es immer schön, dass dieser Sport keine bestimmten körperlichen Kriterien erfordert. So ein dünner Schlacks wie Müller kann genau so gut sein, wie ein Rooney-Panzer. Ein kleiner Poldi, so wichtig wie ein langer Mertesacker. Fußball ist Größe- und Statur-Blind. Bzw. hat für alle eine Position, in der man sie als Vorteil einsetzen kann.

* * *

Ich finde das richtig, welchen Weg die deutsche Mannschaft jetzt eingeschlagen hat. 54, 74, 90, 2014 würde schließlich nicht passen, so vom Versmaß.

Archäologie des zerschlagenen Porzellans

Grundsätzlich steht in der Stellungnahme der FAZ nichts falsches und sie schließt sich ja auch Punkt-für-Punkt meiner Darstellung an.

Dass es „persönliche“ Konflikte gegeben haben soll, ist mir allerdings entgangen. Ich jedenfalls hatte keine mit niemandem. Mir ging es von Anfang an um die Sache, nämlich zunächst um einen Text und schließlich um mein ganzes Blog. Wenn jemand in der Redaktion die Auseinandersetzung, als „persönlich“ gesehen haben sollte, dann würde das die Überreaktion zwar erklären, aber ich fände das extrem unprofessionell.

Interessant ist noch dieser Absatz:

„Entgegen redaktioneller Absprache hat Herr Seemann diesen Beitrag kurze Zeit später durch eine Version ohne Fotos ersetzt und ohne Rücksprache auf der Homepage von FAZ.NET publiziert. Daraufhin hat die Redaktion sein Blog vorübergehend gesperrt. Sie sah sich gezwungen, die Bildrechte an sämtlichen Fotos zu überprüfen und etwaige nachträgliche Veränderungen für den Fall zu verhindern, dass der Verlag der F.A.Z. mit Rechteansprüchen konfrontiert werden würde.“

Die ersten beiden Sätze entsprechen vollkommen meiner Darstellung und mir wurde auch per Mail genau dieser Grund angegeben. Der zweite Satz schafft es, eine andere Begründung aufscheinen zu lassen, ohne sie wirklich als Grund anzugeben. Das Blog ist natürlich nicht zur Klärung der Bildrechte vom Netz genommen worden. Nur falls da Missverständnisse entstehen sollten: ich bin im Besitz der Mail des Redakteurs, in der nur die erste Begründung steht.

Sehr froh bin ich natürlich, dass ich die Texte wieder veröffentlichen kann. Denn das war es, worum es ja ging. Diese Texte bedeuten mir schon sehr viel. Ich habe da einiges an Arbeit rein gesteckt und mich überwunden, Ideen und Diskurse, die ich seit ein paar Jahren im Kopf entwickelt hatte, endlich aufzuschreiben. Diese Texte sind für mich und meine theoretische Arbeit sehr kostbar und eben so kostbar ist ihre Präsenz im Netz um weiterhin darauf Bezug nehmen zu können – und zwar nicht nur von mir. Ich weiß allerdings noch nicht, was ich damit machen werde. Sie hier einfach zu veröffentlichen, fände ich irgendwie nicht angemessen. Ich wäre für Ideen dankbar.

Natürlich bin ich immer noch nicht befriedigt, was diese Sache angeht. Ich kann immer noch nicht nach vollziehen, was da bei einigen in der Redaktion im Kopf abging, als sie den Button drückten. Ich weiß aber mittlerweile, dass zumindest Schirrmacher mit der Sache nichts zu tun gehabt hatte. Das hätte mich schon schwer enttäuscht. Ich sage das aber auch, weil Vermutungen geäußert worden sind, dass es um inhaltliche Differenzen zwischen mir und ihm gegangen sei. Dem ist augenscheinlich nicht so.

Insgesamt ist es wohl ein absolutes Lehrstück in Sachen Kontrollverlust. Irgendwer in der Redaktion wollte anscheinend seine „Kontrolle“ mal so richtig zur Geltung kommen lassen. Mit der „Blogsperrung“, die nach außen hin eine Löschung ist, wurde aber eine Grenze überschritten, bei der ich sehr empfindlich reagiere und die ich nicht hinnehmen konnte. Manch einer mag das als Überreaktion interpretieren, aber für mich war das zu dem Zeitpunkt eine brachiale Kriegserklärung. Ach ja, und der Rest ist Streisand.

Ich bin jedenfalls überwältigt, was die Reaktionen anging, auf Twitter und in den Blogs. Klar, da wird immer viel spekuliert und einige Verschwörungstheorien waren nicht mehr feierlich, aber insgesamt fand ich es wieder interessant, wie das Netz solche Dinge „verdaut“. Zunächst treffen die empörten Reaktionen ein, nach und nach kommen die Mahner, die den Hype flach halten wollen, dann werden nach und nach die Interpretationen der Ereignisse geliefert. Jeder stürzt sich auf das Detail, dass ihm wichtig erscheint und in nullkommanix sind alle Sichtweisen zu dem Thema erreichbar, die man sich nur vorstellen kann. Auch die kritischen und die ganz bösen, die sich einfach nur freuen, dass ich jetzt nicht mehr bei der FAZ bin.

All diese Leute: die Empörer, die Interpreten, die Mahner und die Kritiker schaffen zusammen eine vollständige Aufschlüsselung aller möglichen Sichtweisen auf ein Thema. Eine vollständige Verarbeitung. Jeder, der will, kann sich zu dem Vorfall ein komplettes Bild machen, wie man das Thema sehen kann. Ich bin jedes mal wieder fasziniert und würde am liebsten sofort einen Kontrollverlust darüber … ach ja.

Für mich ist die Sache jedenfalls erst mal gegessen. Ich bin immer noch traurig und enttäuscht und werde mir erst mal in Ruhe überlegen müssen, wie es weiter geht. Ich danke noch mal allen, die mich unterstützt haben, das hat mir sehr geholfen.

FAZ

Heute ist mein Blog bei der FAZ „gesperrt“ worden. Es gibt viele Fragen überall und einige Spekulationen. Ich verstehe auch nicht alles. Aber um die Gerüchte mal ein bisschen einzugrenzen, hier die Faktenlage:

1. Es gab wohl insgesamt Ärger mit einigen Bildern, die in Blogs verwendet werden, zum Beispiel auch in meinen. Deswegen ging eine Rundmail an einige der Blogger herum, man möge dort doch besser aufpassen und ein paar Tipps, wie man Bilder richtig einsetzt.

2. Gestern schrieb ich einen Artikel über Apple und den Computer an sich, den ich für heute früh (MEZ) für die Veröffentlichung einstellte. Als ich aufwachte, hatte der Artikel zwar schon recht viele Klicks für den Tag (ca. 1000), aber er war im Redaktionssystem nicht mehr frei geschaltet. Statt dessen eine Mail aus der Redaktion: Man habe den Artikel wegen mangelnder Bildrechte offline genommen. Was war passiert? Ich hatte Bilder verwendet, die zwar unter CC-Lizenz, aber nicht für die kommerzielle Verwendung erlaubt waren. Mein Fehler.

3. Auf die Frage, warum man den Artikel nicht ohne Bilder veröffentlicht, kam ein (mir wurde untersagt, wörtlich aus der Mail zu zitieren, deswegen sinngemäß): „Entscheidung“. „Redaktion“. „Basta“.

4. Nun habe ich normaler Weise nichts weiter mit der Redaktion zu tun. Ich mache mein Blog-Ding parallel – von denen höre ich eigentlich nie etwas. Das ist auch die (mündliche) Absprache mit Frank Schirrmacher: Ich kann dort jederzeit alles veröffentlichen, was ich lustig bin, so auch mein Auftrag.

Und da ich in der bilderlosen Variante meines Textes keinerlei Probleme mehr sah – es wurde ja auch nichts anderes beanstandet – habe ich also den Beitrag einfach noch einmal veröffentlicht. Mit einem kleinen Hinweis, dass dies eine wieder veröffentlichte Version ist, weil bei der anderen die fehlenden Bildrechte beanstandet wurden.

5. Die Reaktion von FAZ.net darauf war die sofortige, komplette Sperrung und Verbannung des Blogs aus dem Redaktionssystems. Das Blog ist also nicht mehr aufrufbar. (dass es hier und dort doch ab und zu klappte, einige Artikel aufzurufen, liegt an dem Servercache.)

Der Grund: Ich hätte mich mit dieser Wiederveröffentlichung der Redaktion widersetzt

Epilog: Nach ein paar Mails und einem Telefonat ist der Stand nun folgender: Das Blog bleibt gesperrt und es wird innerhalb der Redaktion eine Diskussion darüber geben, wie mit dem ganzen Blogprojekt weiter verfahren wird. Unter anderem auch mit meinem.

Meine Sicht der Dinge:

1. Ich habe Fehler gemacht, ohne Frage. Aber ob es richtig oder falsch war, den Blogeintrag wieder zu veröffentlichen, ist eine Frage, welche Absprache denn nun gilt. Um ehrlich zu sein: ein Blog, bei dem ich ohne sachlichen Grund gehindert werde, Beiträge zu veröffentlichen, würde sich nicht wie mein Blog anfühlen. Das tat es aber bisher. Es war mein Blog – zwar bei der FAZ – aber mein freier Bereich. Ich glaube nicht, dass ich so geschrieben und mich so gefühlt hätte, wenn ich gewusst hätte, dass man mir den Mund verbieten darf.

2. Ich bin erschrocken und wütend über die Maßlosigkeit der Reaktion von FAZ.net. Klar, ich habe eine Reaktion heraus gefordert. Aber wenn es Meinungsverschiedenheiten gibt, vor allem, was Weisungsbefugnisse angeht, sollte man die nicht lieber klären, anstatt gleich das ganze Blog zu löschen?

Ich kann diese Überreaktion beim besten Willen nicht nachvollziehen und ich protestiere dagegen schärfstens. Nicht nur, weil ich unbedingt da weiter machen möchte, sondern vor allem auch, weil die Beiträge verschwunden sind. Informationsvernichtung – egal, ob digital oder analog – schnürt mir jedes mal die Kehle zu.

3. Ich glaube übrigens nicht, dass es daran lag, dass ich fast immer entgegen der Redaktionslinie geschrieben habe. Zwar habe ich eigentlich nie Feedback aus der Redaktion bekommen und meine Artikel wurden zu Letzt auch nicht mehr auf der Startseite gefeatured. Aber ich habe meinen Auftrag immer auch darin gesehen, etwas Kontra zu geben und zur redaktionellen Vielfalt der FAZ beizutragen.

Fazit Der ganze Vorgang bleibt auch mir weiterhin ein Rätsel. Glauben kann ich das alles auch noch nicht so ganz. Es gibt viele Fragezeichen und eine tiefe, sehr tiefe Enttäuschung, die jetzt erst mal verarbeitet werden will.

NACHTRAG: Weil so viele Nachfragen kamen.

1. Zu der Veröffentlichung dieses Vorgangs ließ mir FAZ.net keine Alternative. Die Redaktion hat den Blog gelöscht und hunderte Menschen klickten in’s Leere. Die Leute fragten sich was los ist. Die Bloglöschung war also bereits der Gang an die Öffentlichkeit und er wurde nicht von mir beschritten. Mein Text ist nur die Erklärung meinerseits dazu, die absolut notwendig war – alleine um Spekulationen und Gerüchte einzudämmen.

2. Ich habe Thomas Thiel von der Redaktion per Mail ausdrücklich gefragt, ob es eine Stellungnahme seitens FAZ.net zu dem Vorfall geben wird. Die Antwort war ein eindeutiges „Nein“. Thomas Thiel hat mir leider untersagt aus unserem Schriftwechsel zu zitieren. Ihr müsst mir das schon so glauben.

Fickt euch! – oder: was ist Freiheit für mich?

Ich halte mich für einen freiheitsliebenden Menschen. Ja, ich halte mich sogar für einen nahezu freiheitsfanatischen Menschen. Nur bin ich mir bewusst, dass es verschiedene Arten gibt, den Begriff „Freiheit“ zu verstehen.

Es ist immer leicht, den einen Begriff der Freiheit gegen den anderen zu verteidigen. Es ist immer leicht zu zeigen, dass dieser oder jener Begriff von Freiheit „richtiger“, „wahrer“, „ursprünglicher“ oder irgendwie „besser“ ist. Ich finde das nicht schlimm, sogar einen Vorzug des Begriffs, dass er sich so verschieden auslegen lässt. „Freiheit“ ist – so weit werden sich alle einigen können – auch immer ein Diskurs. Er ist lebendig und er bleibt es, so lange der Begriff keine endgültige Festschreibung widerfährt.

Aber, bei all den Verschiedenheiten des Freiheitsbegriffs, habe ich auch einen eigenen. Einen persönlichen. Vielleicht ist es sogar zu viel, dass ich sage, dass ich ihn habe. Er ist vielmehr dabei, sich ein wenig zu entwickeln. Oder nochmal anders: ich bin gerade dabei, ihn zu entdecken oder zu verstehen.

Vor einiger Zeit schrieb ich, dass Freiheit ein Gefühl sein. Also ein spezifisches Gefühl, eines, dass man tatsächlich fühlen kann, wie man Schmerz fühlen kann, Trauer oder Freude. Im Endeffekt kam ich darauf, durch eine Selbstbeobachtung. Ich merkte dieses Gefühl und ich merkte seine Korrelation zum Ereignis der Freiheit – oder das, was ich dafür hielt.

Ich spüre aber auch – und darum soll es mir hier gehen – auch das Gegenteil dessen, was ich für Freiheit halte. Ein dumpfes Grimmen in der Magengegend. Eine sich sofort einstellende Übellaunigkeit – oft weiß man nicht sofort woher und ja, auch Aggressivität. Eine böse, aggressive Grundstimmung. Schlimm.

Es ist schwierig, das Gefühl zu beschreiben. Aber darum geht es mir nicht. Ich finde interessanter, wann mich dieses Gefühl einnimmt. Ich bin nämlich darauf gestoßen, dass ich es immer genau dann fühle, wenn ich im Begriff bin, beurteilt zu werden. Wenn ich antrete – vor allem wenn ich antreten muss, um irgendwen davon zu überzeugen, dass ich diesen oder jenen Kriterien genüge. Kriterien – und das ist wichtig, die ich als Unsinnig empfinde.

Ich habe keine besondere Prüfungsangst, das nicht. Ich bin einigermaßen prüfungsangstfrei durch die Schule und die Universität gekommen und habe auch eigentlich – wo immer Anforderungen an mich gestellt wurden – bestanden.

Es gibt aber andere Fälle. Bei dem Prozedere, dem ich mich für das US-Visum unterwerfen musste – habe ich innerlich gekotzt. Dieses mit Prüfenden Blick gegängelt werden, ist ein sehr unangenehmes Ding, vor allem wenn man darauf angewiesen ist, zu bestehen.

Hier in den USA sind fast alle Clubs und sogar viele Kneipen – so fern sie auch nur etwas hip sind – mit Türstehern versehen. Ich hasse Türsteher. Ich hasse die Situation so abgrundtief, dass ich innerlich Gewaltphantasien entwickle. Ich hasse es, wenn mir andere Menschen vorschreiben können so oder so zu sein, dass ich mich anpassen muss und absurden Maßstäben genügen muss (schicke Schuhe), um irgendwo willkommen zu sein.

Insgesamt habe ich (unbewusst) immer mein Leben danach ausgerichtet, von anderen nicht beurteilt werden zu können. Ich bin zum Beispiel kein Wettkampftyp. Das kann man als „feige“ titulieren, wenn man mag. Aber insgesamt ist eine Strategie Beurteilungen, bei denen andere den Maßstab vorgeben, aus dem Weg zu gehen.

Das setzt sich fort. Ich kann mir nicht mehr vorstellen, in einer Firma zu arbeiten, denn sofort verliert man die Deutungshoheit über sein eigenes Tun. Jede Firma ist darauf erpicht, die „Leistungen“ ihrer Mitarbeiter vergleichbar zu machen. Jeder Mitarbeiter wird sofort zum Konkurrenten und die allgemeine Facetime der Firma zum Maßstab meiner eigenen Zeitaufwendungen. Ich will mich aber nicht mit anderen in Dingen messen, die mir nichts bedeuten.

Ich verweigere mich einem solchen Rattenrennen. Überhaupt „Leistung„. Eines der Lieblingswörter der FDP. Es ist für mich eines der unfreiheitlichsten Wörter überhaupt. „Leistung bringen“ bedeutet in meinem Verständnis: sein eigenes Tun einem (völlig beliebigen) Maßstab zu unterwerfen, den andere für einen definieren. Wenn es ein Gegenteil meines Verständnisses von Freiheit gäbe, wäre die FDP nahe dran.

Ich kann deswegen die Ängste der Datenschützer schon nachvollziehen. Nichts finde ich schlimmer, als Scoring-Unternehmen oder Profiling-Agenturen, die meinen, mich beurteilen zu können, anhand von Dingen, die kaufe, wo ich wohne, aus welchem Elternhaus ich komme und wie viel Geld ich zur Verfügung habe. Aber schlimmer finde ich die Unternehmen, (Vermieter und potentiellen Arbeitgeber), die auf diese Beurteilungen tatsächlich zurückgreifen und mein Leben zum Spielball dieser Daten machen. Ich habe nichts dagegen, dass Menschen Daten über mich sammeln, ich habe etwas dagegen, dass mich Menschen danach beurteilen dürfen. Eigentlich auch nichts dagegen dass sie das tun, sondern, dass ich mich von denen beurteilen lassen muss, weil ich irgendwo wohnen muss, einen Handyvertrag brauche und Geld verdienen muss. (Das ist der Skandal und das ist es, wogegen ich mich jederzeit aufzulehnen bereit bin und weswegen ich einen Kampf für das, was ich Plattformneutralität nenne, viel wichtiger und Erfolgversprechender finde, als jede Datenschutzanstrengung.)

Der Maßstab der anderen lauert vor allem aber auch im Web.

Mir ist nicht egal, wie viele Klicks Artikel von mir bekommen, aber ich versuche es, mir so egal wie möglich sein zu lassen. Denn wenn man sich einem Quotendiktat erst mal unterwirft, wird man aufhören, die Texte zu schreiben, die man schreiben will. Ich definiere Freiheit aber genau als das: tun zu können, was man wirklich tun will, aus innerster Überzeugung, nicht, um fremden Ansprüchen zu genügen.

Ähnlich geht es mir mit Twitter. Ich habe früh erfahren, dass Twitter vollgestopft mit kompetitiven Elementen ist. Ich bin schon aus so vielen Rankings und Charts rausgeflogen, dass ich sie nicht mehr zählen kann. Ist man in sowas aber erstmal drin: Follower, Listen, Favs – kann es passieren, dass man aufhört das zu twittern, was einem wichtig ist, nur um seinen Status nicht zu verlieren. Es ist anfangs reizvoll und streichelt natürlich das Ego igendwo als „relevant“ zu gelten und ich habe auch immer so lange dabei mitgespielt, wir ich irgendwo da oben vertreten war. Aber man darf das auf gar keinen Fall irgendwie ernst nehmen. Die Zeiten ändern sich und man wird irgendwann nicht mehr dort auftauchen. Wenn man verlernt, aus Lust an der Mitteilung zu twittern, hat man was falsch gemacht.

Auch die Erwartungen an Themen, Stile und Inhalte können einen gefangen nehmen. Ich twittere zum Beispiel ab und zu gerne Dinge, die ich selber für witzige Sprüche oder sowas halte. Ich hätte aber etwas dagegen, zum Sprüchekönig zu mutieren. Ich habe größten Respekt vor dem Humor und der Kreativität eines @diktator. Aber in dem Erwartungskorsett, der durch seine Follower vorgegeben ist, möchte ich nicht stecken. Ich versuche immer das ganze Spektrum von Twitter abzudecken, dass mir wichtig ist: Links sharen, aus meinem Leben berichten, meine Leidenschaften und Ansichten teilen, Diskutieren, Informationen erfragen, Provozieren, Unterhalten und hier und da was lustiges schreiben. Jeder einzelne Posten ist mir wichtiger, als mein „Image“ oder mein „Markenkern„. Und auf meine Followerzahl schaue ich wirklich nur zwei mal im Monat!

Ja, verdammt, es stecken auch Gefahren für die Freiheit in diesen Dingen. Ich war einmal kurz davor, einen Text darüber zu schreiben, wie man damit umgeht, dass man im Web schnell in solchen solchen Massenkommunikativen Prozessen steht. Das ist nämlich alles andere als leicht, damit umzugehen. Manche hat es ziemlich aus der Bahn geworfen. Ich will hier nur kurz auf Christian Spannagel eingehen, der irgendwann aus völliger Ich-Erschöpfung all seine Social Media Aktivitäten aufgab. Digitaler Selbstmord, wie man das ja heute nennt. Er brach zusammen, aber nicht weil er süchtig wurde nach neuen Follower oder Favs, sondern weil er die Hoheit über sein eigenes Kommunikationsverhalten verlor. Er beschreibt sein vormaliges „Ich“ als „Hub“; als jemand, der wie ein Relay Informationen filterte und weiterleitete. Das ist etwas, an dem man zerbrechen kann. Nicht an der Tätigkeit selbst, sondern an dem Erwartungsdruck, die ein solches Selbstbild vermittelt. Die Follower und Friends mutieren – zumindest im Kopf – zu enttäuschten Massen mit herunter gezogenen Mundwinkeln, wenn man seiner Aufgabe als „Hub“ nicht nachkommt. Ist natürlich Quatsch, aber wenn man erst angefangen hat, Erwartungen zu erfüllen, kann man sich da schnell rein steigern. Deswegen muss man immer Herr darüber bleiben, wann und wo und wie und mit wem man kommuniziert.

Manche Menschen werfen mir mein Kommunikationsverhalten vor. Ich sei arrogant, heißt es, weil ich nicht oder selten auf Replies reagiere. Vielleicht stimmt das. Vielleicht bin ich arrogant. Aber ich glaube, dass man eine gewisse Arroganz braucht, um sich im sozialen Netz nicht zu verschleißen. Es darf keine Automatismen geben, jede Kommunikation braucht eine Entscheidung. Mein Ideal ist es, immer und überall der Souverän meiner Kommunikation zu sein. Dass mich zum Beispiel per Twitter jeder zu allem anquatschen kann, heißt nicht, dass ich darauf dann auch reagieren muss. Ich reagiere, wenn ich Zeit und Lust dazu habe, nicht weil ich mich dazu verpflichtet fühle. Ich sträube mich auch dagegen, Regeln dafür aufzustellen. Regeln, denen ich mich danach selbst unterwerfen müsste. Die Unfreiheiten lauern an jeder Ecke.

Und dann gibt es noch das eigene Image. Man ist sehr schnell in dem definiert, was man tut. Man sagt dies und das und gilt sofort als Derjenige der. Ich liebe es deswegen Erwartungen zu brechen. Ich muss immer wieder die Ansprüche an mich „trollen“, ich muss immer wieder Menschen enttäuschen, überraschen und vor den Kopf stoßen. Immer wenn irgendwer ein bestimmtes Bild von mir hat, spüre ich den Wunsch es zu durchbrechen. Ich lasse keine Schublade für mich gelten. Menschen sind nicht so einfach gestrickt.

Rollen, Status, Image und die Erwartungen dritter sind die Feinde dessen, was ich als Freiheit verstehe. Die Marke „mspro“, sie möge brennen – in den buntesten Farben.

Man muss aber aufpassen. Wenn man anfängt, immer Ansprüchen nicht zu genügen, nur um Ansprüchen nicht zu genügen, wird man in der spiegelverkehrten Unfreiheit enden, der man entkommen wollte. Es kann erfrischend und hilfreich sein, bewusst Maßstäbe zu unterwandern und Erwartungen zu brechen. Wenn man es aber aus Prinzip tut, dann steckt man schnell in der selben Tretmühle, nur dass sie sich in die andere Richtung dreht. (Überhaupt sollte man nichts aus „Prinzip“ tun.)

Freiheit ist für mich, die Freiheit die Kriterien meiner Beurteilungen selbst aussuchen zu können. Deswegen mache ich fast alles, was ich tue, außerhalb der Wertung. Alles muss neu sein und ich hasse Redundanz. Wenn ich Dinge tue, die jemand schon vor mir getan hat, vergleiche ich mich mit dem anderen. Ich habe nie einen Sinn darin gesehen, Klassenbester zu sein. Klassenbester ist etwas völlig austauschbares. Sollen andere „gut“ sein, in dem, was sie tun, ich vergleiche mich nicht mit ihnen. Nur dann, wenn ich etwas Neues schaffe, eine neue Idee oder eine neue Art ein Problem zu betrachten fühle ich mich frei. Frei von der Wertung, weil es nichts gibt, dass man damit vergleichen könnte.

Das Neue ist für mich der Inbegriff und der Weg zur Freiheit, denn das Neue ist das einzige, zu dem es noch keine Maßstäbe gibt.

Walter Benjamin hat mal gesagt, dass das jedes große Werk sein eigenes Genre schafft. Es schafft also erst die Kategorie, die einen Vergleich zwischen zukünftigen Werken überhaupt ermöglicht. Doch niemals werden sie sich mit dem Initialwerk messen können. Mögen die kommenden Werke des Genres noch so gut sein, das genreschaffende Werk, wird immer außerhalb der Wertung laufen. Fuck you!

Wenn ich diesen, meinen Freiheitsbegriff in kantscher Vermessenheit zum Maßstab und Gesetz erheben dürfte, so würde ich die Vergleichbarkeit grundsätzlich abschaffen wollen. Ich würde das ganze Firma, Genre, Leistungdings einfach in die Tonne treten. Ich würde die Quantifizierung der Welt und er Menschen durchbrechen und die Menschen dazu erziehen, sich nicht mehr vergleichen zu wollen, sondern sich immer nur selber als Maßstab zu setzen.

Und wenn das alles nicht klappt, würde ich immerhin noch die Plattformneutralität einführen. Als Schutz gegen aufgezwungene Beurteilungen und für ein Grundrecht auf den Mittelfinger.

Neu…

… ist zum Beispiel die Software dieses Blogs. WordPress Dreipunktnull, alter! Automatisches Upgrade. Alles ohne Probleme. Ich liebe Standardkonfigurationen!

… ist aber auch dieser Text auf dem FAZ-Blog. Ich weiß, das ist nicht allzu leichter Stoff. Um so wichtiger ist er mir aber. Also seht zu, quält euch durch!

… ist hingegen dieser Podcast nicht, den ich mit Erlehmann (eher: er mit mir) aufgenommen habe. Das war bereits vor meiner Abreise nach New York. Der Podcast ist aber empfehlenswert und ich hab die ganze Zeit verpasst, ihn hier mal zu verlinken.

… sind weiterhin nicht die Klagen, die mich erreichen, dass ich mal endlich was über New York schreiben soll. Ach, das hat doch auch Gründe.

… ist New York schließlich nicht für mich. Ich war vor etwa drei Jahren schon mal hier und habe da alles Abzufotografierende abfotografiert. Die Bilder finden sich hier und hier und hier. Und was soll ich denn machen, wenn ich schon wieder vor dem Empire State Building stehe? Es noch mal fotografieren? Eben.

… sind auch nicht mehr die Bilder in dem ersten New York related Blogpost im FAZ-Blog. Aber da geht es ja aber auch irgendwie eher um Internet.

… sind in Wirklichkeit nur sehr wenige Bilder. Aber ein, zwei gibt es schon:


Zu sehen sind: Manhattan von vorn, Manhattan von unserer Dachterasse bei schlechtem Wetter, ein Jungelgelöt von der Dachterasse, einen hässlichen Klotz ohne Fenster, in dem AT&T seine Mitarbeiter gefangen hält, ein hübscher Klotz mit Fenstern, eine der beiden Katzen, die wir hüten, auf Literatur stehend und eine „social media party“ in Manhattan, wo bestimmt alle mehr Follower hatten als ich.

Das Ende der FDP

Ich hoffe, ich bin recht unverdächtig mit der FDP zu sympathisieren. Es wäre eine der letzten Parteien, die ich jemals wählen würde. Und doch: sie tut mir Leid. Wirklich!

Wie sie sich gefreut hatten, als sie ihr donnerndes Wahlergebnis bei der Bundestagswahl einfuhren und wie Guido Westerwelle weit erhobenen Hauptes in eine unsympathische Siegerpose nach der anderen verfiel. Natürlich musste man sie hassen. Aber um so mehr tun sie mir heute Leid. Das muss ein schlimmer Kater sein.

Man darf ihnen für ihre Situation nämlich nicht die alleinige Schuld geben. Sie sind mitten in der Krise mit einem fast Einpunktewahlkampf angetreten, die Steuern zu senken. Natürlich schlägt man sich die Hände vor den Kopf, bei so viel – ich sag mal – Courage. Aber Spinner gibt es immer und eine Demokratie soll und darf auch die größten Spinner beherbergen. Es darf keine Denkverbote geben nicht mal Denkgebote!

Das schlimme ist nicht die Dummheit der FDP, sondern dass sie tatsächlich gewählt worden ist. Ich habe mich immer gefragt, was in den Köpfen von FDP-Wählern vorgeht. Entweder ist es tatsächlich dieses unsympathische nur auf seinen Vorteil bedacht sein, oder es ist, ich sag mal: ökonomische Verblendung. Da ich an das Gute im Menschen durchaus glaube, nehme ich Zweiteres an.

Der neoliberale Diskurs wurde in Deutschland so lange und verbittert geführt und bis zu Letzt so dogmatisch verteidigt – auch von den Medien, dass ich mir durchaus vorstellen kann, dass genug Menschen derart verblendet sein können, um die FDP zu wählen. Nicht mal heute sind die Köpfe, die immer öffentlich auf Lohndumping, Sozialabbau und Steuersenkung setzten überall so diskreditiert, wie die Realität es eigentlich gebieten würde. Vermutlich, weil sie sich in Positionen befinden, die sowieso wenig Realitätskontakt vorsehen.

Jedenfalls haben sehr viele Menschen die FDP nun in die Verlegenheit gebracht… nein, ich fang‘ nochmal an: Jedenfalls haben sehr viele Menschen die FDP nun in die Realität gebracht – was ungefähr das selbe ist. Eine Realität in der Steuersenkungen das Absurdeste sind, was überhaupt machbar scheint, wo im Gegenteil alles danach schreit zumindest die Spitzensteuersätze herauf zu setzen. Eine Realität also, in der es sozusagen eine Art Anti-FDP braucht.

Vernünftiger Weise sollte es die FDP in einer solchen Situation nicht mal in den Bundestag geschafft haben, aber die Wähler meinten es nun mal anders und nun ist sie auch noch an der Regierung. Das ist etwa so, als würde die Linke gezwungen werden, den Finanzmarkt zu deregulieren oder die Grünen, neue Atomkraftwerke zu bauen.

Kurz: die FDP wird an dieser Realität politisch zerbrechen. Das ist gut, denn mit ihr wird eine ganze Schule wirtschaftspolitischer Denke zu Grunde gehen, die tatsächlich keiner mehr braucht. Schlecht ist das aber für die Handlungsfähigkeit der Regierung. Die FDP wird sich so lange gegen Steuererhöhungen sperren, wie es nur geht. Vermutlich wird sie sogar zunächst weiteren Raubbau bei den untersten Schichten durchsetzen, bevor sie überhaupt über Steuererhöhungen reden. Das ganze wird zäh wie Kaugummi und vielleicht sogar ein volkswirtschaftliches Desaster – zumindest eine durchaus gefährliche Durststrecke, sollte die FDP die ganze Distanz gehen wollen.

Meine einzige Hoffnung ist der Stolz des Halluzinierenden, der auf seinem Phantasma beharrt. Der die Realität Realität sein lässt und sich beleidigt von ihr abwendet. Ein freiwilliger Rückzug aus der Regierung, also. Vielleicht sogar Neuwahlen. Klar, sie wären dann erledigt, aber sie hätten sich dann nicht selbst verraten.

Wie sehr hatte Westerwelle doch gegen die Große Koalition gewettert und sich bei jedem Abweichen von den Wahlprogrammen der Regierungsparteien auf die Hinterpfoten gestellt. Wie sehr hatte er immer wieder betont, dass die FDP im Gegensatz zu den anderen Parteien „zu ihrem Wort stehe“ und sich „daran messen lasse“? Wie oft hat sich die FDP auf die Brust geschlagen und von „Wahlbetrug“ gezetert?

Es wird Zeit, Westerwelle und die FDP an ihr Wort zu erinnern. Nicht, damit sie es einhalten, sondern damit sie in den Elfenbeinturm der Opposition zurück kehren, um sich vom Realitätsschock ordentlich auszukurieren – oder einfach in der politischen Irrelevanz zu verschwinden.

Der Chronistenpflicht nachkommend

…muss ich meine Spekulationen – auf die ich mich gestern nun mal eingelassen habe – widerufen. Denn alles ist natürlich anders gekommen. In NRW sind die Sondierungsgespräche zur Ampel geplatzt und heute hat die SPD nochmal unmissverständlich klar gemacht, dass es mit ihr weder eine Große Koalition noch eine Minderheitsregierung geben werde. Mit anderen Worten: Alle Optionen sind erschöpft.

Michael Spreng könnte recht gehabt haben, Hannelore Kraft eine Hidden Agenda zu unterstellen. Sie spiele auf Neuwahlen, so seine Mutmaßung. Und tatsächlich könnte das Umfeld derzeit nicht besser dafür aussehen, schließlich haben sich CDU und FDP innerhalb kürzester Zeit in Berlin selbst deklassiert. Aber auch für Neuwahlen braucht es die absolute Mehrheit im Parlament und es ist fraglich, wen sie sich dafür noch in’s Boot holen will. CDU und FDP dürften, vor allem der schlechten Stimmung aus Berlin wegen kein Interesse daran haben. Bleiben also nur die Linken. Ob die von Neuwahlen profitieren würden, ist fraglich.

Aber so oder so: allein die nur so halb realistische Möglichkeit von Neuwahlen im bevölkerungsstärksten Bundesland wird so ziemlich alles auf bundespolitischer Ebene komplett über den Haufen werfen. Mit anderen Worten, meine Spekulationen sind Makulatur, denn in Berlin wird sich die nächsten Wochen nichts, aber auch gar nichts mehr rühren. Jedenfalls werden eben keine neuen Steuern kommen und ich würde sogar wetten, dass sogar das bisher beschlossene Sparpaket auch erst mal wieder auf Eis gelegt wird.

Wenn in NRW gewählt wird, sind alle im Wahlkampf. So war das dieses Frühjahr, so wird das auch diesen Sommer sein.

Klar, der Bundespräsident wird so oder so gewählt. Man kann davon ausgehen, dass die NRW-Situation disziplinierend auf die Wahlmänner und Frauen wirkt.

Und ja, jetzt ist erstmal WM und schaun wir mal. Aber ich glaube dennoch, dass es auf FDPseite einen enormen Handlungsdruck gibt. Sie sehen scheiße aus im Bund und die Perspektiven verdüstern sich zunehmend. In NRW würde sie – laut derzeitigen Umfragen – um den Einzug in’s Parlament kämpfen müssen. Im grunde kann sie durch Disziplin derzeit keinen Blumentopf gewinnen. Im Gegenteil: sie würde sehenden Auges voll gegen die Wand fahren.

Ob das besser ist, als der Graben? Angenommen, sie würde aus der Koalition im Bund ausscheren, könnte sie die CDU nachträglich für das ganze Schlamassel verantwortlich machen, was ihr nicht wenige glauben dürften. Die anderen würden das aber als Flucht vor der Verantwortung geißeln. Fraglich, ob die FDP sich also dadurch retten kann. Im Grunde ist sie völlig im Arsch, so oder so. Ihre Art der Politik ist derzeit einfach nicht… ich wollte „opportun“ schreiben, aber eigentlich meine ich „unmöglich„.

Ich glaube, es ist derzeit eine okaye Option für alle Regierungsparteien depressiv zu werden.