Hilfe, ich werde entfolgt!

Wir kennen es alle: den Schmerz auf Twitter entfolgt zu werden. Einige schauen bibbernd alle paar Sekunde wieder auf die Followerzahl, ob wieder einer abgesprungen ist. Mir glaubt das immer keiner, aber ich schau vielleicht 2 bis 3 Mal im Monat auf meine Followerzahlen. Aber ich kenne das Gefühl. Ich kenne das, wenn ich jemandem eine Direct Message schreiben will und dann merke, dass mir dieser total $§%“&!! §%“!!;Ö§%&§!! – aber dennoch irgendwie geschätzte Twitterer – gar nicht -oder schlimmer – nicht mehr folgt. Ich kenne euren Schmerz, wirklich.

Aber ich bin ebenso überzeugt davon, dass wir ihn aushalten müssen. Dass wir uns dagegen immun machen müssen, denn alles andere schränkt die Freiheit des anderen ein. Seine Freiheit, sich für oder gegen unseren Stream zu entscheiden, nämlich. Und wenn man mal ehrlich ist: will man Leute, die einem aus Mitleid folgen?

Ich will gerne nur Leuten folgen, die für mich einen hohen Informationenswert haben. Die entweder lustig sind, deren Privatleben mich interessiert oder die tolle Links twittern oder irgendwas anderes. Jedenfalls irgendwas, was mich interessiert. Und das wollen wir doch alle: uns einen Weg durch die Informationsmassen bahnen, der unserem Weltbild, unseren Interessenlagen, unserem Zeitmangement, unseren Sympathien und unserem Vertrauen entgegen kommt. Wir wollen Filtersubjekte sein.

Wenn ich bei Twitter also entfolgt werde, dann ist das kein Angriff auf meine Person und meist überhaupt nicht persönlich gemeint (manchmal doch, aber auch das halte ich aus). Ich muss mir dann denken, dass das alles richtig so ist. Dass nämlich seine Freiheit, mich zu entfolgen, meine Freiheit ist, zu schreiben, was ich will. Nur weil meine Timeline zu jederzeit zur Disposition steht, habe ich die volle Publikationsfreiheit. Wer was anderes will, soll eben Journalist werden.

Ennomane hatte nun letztens eine lustige „Situation“ ausfindig gemacht. Als er auf der Website der Bild war, sah er anhand des Facebookbadges, wer von seinen Facebook-Freunden die Bild „liked“. Das ist ein recht normales Feature und man kennt das, aber es gewinnt bei Bild natürlich gleich eine politische Dimension. BILD findet man schließlich scheiße in unseren Kreisen und so kam Enno darauf, dass es ja ein super Kriterium sei, die Freundschaften auszusortieren.

Ich twitterte daraufhin etwas ähnliches und schon ging es los:

[Link]

Ich bekam sehr viel Feedback. Jeder versuchte mich zu unterbieten. Es waren sicher mehr als 20 Replys und einige Retweets. Ein lustiges Spiel, eigentlich. Aber es kamen gleich auch Antworten, dass man die Betreffenden natürlich sofort entfreunden wolle und dass man froh sei, das diejenigen welchen eh entbehrlich seien. (Ich persönlich habe niemanden entfreundet oder entfollowt wegen eines Bildgelikes.) Einige fragten mich sogar, was sie denn nun mit diesen Leuten machen sollten. Schon komisch, die Leute.

Enno war sichtlich erschrocken, ob dieser Dynamik und hat dazu einen nachdenklichen Blogpost verfasst, in dem er die Vorgänge als „Hexenjagt“ bezeichnet und gleich auf das Thema Postprivacy bezog. Ich kann das zu einem gewissen Teil nachvollziehen, denn zu merken war auch, wie viel Hass es gibt, gegenüber Leuten, die Bildzeitung lesen. Das hat auch mich erschrocken. (Wobei ich solche Hasstriaden gegenüber mir und meinen Texten durchaus auch kenne und deswegen vielleicht nicht umbedingt als so bedrohlich wahrnehme.)

Aber dennoch: Jemanden zu entfolgen ist eben keine Hexenverbrennung. Jemanden zu entfreunden ist kein Angriff auf seine Würde oder seine Integrität. Leute nicht zu lesen ist keine Gewalt! Es ist wichtig, sich das bewusst zu machen.

Wenn jemand für sich das Filterkriterium „ich will keine Bildleser“ festgelegt hat, muss man das respektieren. Es gibt kein Recht darauf gelesen zu werden. Und welche Kriterien jemand für seine Lektüre heranzieht, ist alleine die eigene Sache. Das ist der tiefere Sinn der Filtersouveränität.

Aus dem selben Grund kann ich es nicht nachvollziehen, dass Sascha Pallenberg nach dem wochenlangen Rumgetröte jetzt die Bloggernamen nicht herausrücken will. Ich kann es mir zwar denken: die kamen alle angekrochen und weinten ihm den Posteingang voll, dass er ihr Leben zerstören würde und so ein Quatsch! Sascha hat sicherlich ein weiches Herz. Aber an der falschen Stelle.

Reputation, Vertrauen und Leserschaft sind nichts, was man einfordern kann und zu dessen Bewahrung Pallenberg – oder Stefan Niggemeier – verpflichtet ist. Sie sind nichts, was ich kontrollieren kann oder sollte. „Informationelle Selbstbestimmung“ kann und darf nicht heißen, dass ich bestimme, was über mich im Netz zu stehen hat oder was jemand von mir denkt, oder ob jemand aufhört mir zu vertrauen.

Hätte ich die Namen, wäre Bloggergate für mich nicht in jedem Fall ein Grund sie auszusortieren, sicherlich aber ein nicht unwichtiges Kriterium. Es gibt eine Menge Leute, die empfindlicher darauf reagieren, verarscht zu werden, als ich. Sie würden gerne ihre Konsequenzen ziehen können und ich finde, sie haben ein Recht darauf.

Aber egal, wie die Leute auf die Namen reagieren werden, ob wir sie aus unseren Feedreadern schmeißen oder nicht oder sie sogar abonnieren: das ist allein jeweils unsere Entscheidung und genau deswegen haben wir auch ein Recht auf diese Information. Ich fordere keine Konsequenzen und vor allem keine bestimmten, sondern für uns alle die Möglichkeit überhaupt Konsequenzen ziehen zu können. Kein Tribunal und nein, auch keinen Mob. Nur die stille, persönliche Konsequenz, die jeder für sich selber zieht: die Rekonfiguration der eigenen Query.

Der nächste Medientermin

Samstag, den 29. werde ich so ab 14:00 in einer Talkrunde bei Antenne Bayern über Datenschutz und Krams streiten.

Und dann habe ich bereits im September oder so ein Interview gegeben, das erst gerade wohl auf ARD EinsPlus ausgestrahlt wurde und vom @presseschauer entdeckt wurde, danke dafür. Die Sendung heißt „Es geht um mein Leben„, ich weiß aber leider gar nicht, wann das lief (oder laufen wird?). (Ab Minute 5:28 argumentiere ich gegen Benimmregeln im Netz):

Stijlroyal: New York ownen

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Ich habe für die Ausgabe XIV des Stijlroyal Magazins einen Text über New York geschrieben und versucht meine dreimonatige Annäherung an diese Stadt zum Ausdruck zu bringen. Ich hoffe, es treibt Huck nicht in den Ruin, wenn ich den Text hier crossposte.
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(mit Dank an Else Buschheuer)

„Du musst die Stadt ownen!“ sagte mir ein Freund, der zwei Jahre in New York gelebt hat. „Ownen“, also einen ganz eigenen Zugang zu der Stadt entwickeln und auf ihrer Klaviatur virtuos zu spielen lernen. Über „mein“ New York soll ich auch hier schreiben, also das spezielle, unique New York, das ich entdeckt habe, und das dem Diskurs noch etwas hinzufügt.

Ich hab’s mit dem Fahrrad probiert und es hat nicht so geklappt. Und dass obwohl in den letzten drei Jahren hier die Fahrradmania ausgebrochen ist und es jetzt überall Radwege gibt. Aber ich glaube, dafür ist die Stadt einfach zu vertikal. Spiderman hat die Stadt geowned. Ich glaube, sich an Spinnfäden von Hochaus zu Hochhaus schwingen ist die einzige akzeptable Fortbewegungsform hier. Oder Klettern. King Kong hat New York auch „geowned“, naja, jedenfalls kurz.

Manchmal glaube ich, Gewalt ist eine Lösung. So, wie Robert DeNiro in Taxi Driver am Schluss ja auch der Held war. Ein anerkannter Bürger der Stadt. Ich kann jedenfalls nachvollziehen, dass diese Stadt einen auch krank machen kann. Der Dreck, die Lautstärke, die Enge. Überall fühlt man sich zu viel, weil Platz so kostbar ist in den engen übervollen Straßenschluchten von Manhattan. Besonders in den U-Bahnstationen, wo einem die Backofenhitze entgegenschlägt, dass man sich fragt, ob das tatsächlich realistisch ist, wenn Al Pacino und Keanu Reeves als die verdammt gut verdienenden „Devil’s Advocats“ aus reinem Understatement die U-Bahn nutzen. Und sobald man in die Bahn einsteigt, fühlt man sich wegen der krassen Air-Condition wie Dennis Quaid, als er in „The Day after Tomorrow“ seinen Sohn durch meterdicke Eisschichten aus der Public Libary befreite. Hitze/Kälte, Hitze/Kälte. Jede Bahnfahrt eine Kneiptour.

Aber was soll ich erzählen von vergeblichem Taxigewinke, rauchenden Gullideckeln und Kindern, die in illegal geöffneten Hydrantenfontainen herumspringen? Ja, die Bilder hat jeder im Kopf und ja, es gibt sie tatsächlich! Und wenn ich hochfahre zur Upper Westside wo Walter Matthau im „Odd Couple“ sein Appartment hat, dann ist auch das „Dakota“ nicht weit, jenes Haus, in dem „Rosemarie’s Baby“ zur Welt kam und John Lennon mit Yoko Ono knutschte, dann habt ihr wieder dieses Kopfkino vom Kinofilm und das ist ja alles gar nicht falsch. Klar, man fragt sich, wie Macaulay Culkin in „Home Alone II“ sich nur so heftig im Central Park verlaufen konnte – ich fand ihn recht übersichtlich. Und klar hab ich nachgeguckt: die Puertoricaner aus der West-Side Story sind längst weggentrifiziert und weiter unten in „Hells Kitchen“ gibt’s das Ghetto aus „Sleepers“ auch schon lange nicht mehr. Dafür Künstlerateliers und Partyschiffe und viel mondänes Volk. Hier in der Upper West-Side und auch im Osten auf der 5th Avenue, wo Holly Golightly bei Tiffany’s frühstückte, war ich in jeweils einem Apple Store. Beeindruckend! Alle beide!

Wenn man dann wieder Richtung Süden über den Broadway am Times Square vorbei kommt und sich durch diese unfassbaren Menschenmengen kämpft, wünscht man sich, man sei Tom Cruise in Vanilla Sky wie er ganz allein und verlassen über den Platz läuft (was das wohl gekostet hat?). Irgendwann weiter südwärts kommt man dann noch am Madison Square Park vorbei, wo der Flatiron steht, jenes berühmte, sich nach vorne zuspitzende Gebäude in dem der „Daily Bugle“ verlegt wird, bei dem Peter Parker seine Fotos von Spiderman abliefert und das einmal von der US-Army zerstört werden musste, um Godzilla aufzuhalten. Das Büro meiner Freundin war genau hier. Dann kommt auch gleich der Union Square, wo Clive Owen bei „The International“ zurecht den Überblick verloren hat und Al Pacino und Michelle Pfeiffer Hot Dogs aßen. Ich hingegen bin da meist nur umgestiegen oder hab den einen oder anderen „Smoothie“ getrunken. So ein aus frischem Obst und Gemüse und Jogurt zubereiteter Drink, sehr zu empfehlen. Außerdem hat das Media Markt-Equivalent „Best Buy“ hier 24 Stunden am Tag auf. Für den Nerdfall.

Dann weiter Richtung Süden lässt man den Washington Square Park rechts liegen, wo einst die „Kids“ aus dem gleichnamigen Firm rumhingen bevor … ihr wisst schon. Aber genau dort gegenüber am Broadway residiert ein japanisches Modelabel mit dem superdämlichen Namen „Superdry“, wo ich mir eine unfassbar tolle Jacke gekauft habe, die ich bis heute aber nicht einmal tragen konnte, weil es konstant viel zu warm dafür ist. Seit drei Monaten ununterbrochen.

Und jetzt ist es ja eh nicht mehr weit bis zur Houston Street. Wenn man die überquert, wird es wirklich gemütlich. South of Houston (SoHo) gibt’s all die schönen Cafés, Bars und Galerien und diesen dunklen, etwas schäbbingen Stahl und Backsteinstyle wie man es aus „Mean Street“ oder „When Harry met Sally“ kennt. Das New York, zu dem man sich immer hingezogen fühlte ist genau hier. Mein Freund hat hier in einer Agentur gearbeitet, denn Agenturen finden das hier natürlich auch total „posch“. Die „Ghostbusters“ haben dagegen ihre Einsatzzentrale schon lange nicht mehr offen. Vielleicht konnten sie die Miete nicht mehr zahlen.

Nebenan im West-Village ist es angenehm ruhig, ganz New York untypisch. Fast dörflich. Man fühlt sich heimelig und will sich sofort mit den Mädels von „Sex in the City“ zum Kuchenessen und Rumgiggeln treffen. Ähh, nee, lieber doch nicht. Vor dem Laden, an dem Carrie ihre Kuchen kauft, standen wir zwar, aber wir waren nicht drin. Dafür saßen wir vier Stunden lang in einem netten Café am West-Broadway mit Wi-Fi (so nennt man W-Lan hier) und haben im Internet gesurft. Der Kaffee war auch toll.

Und im Osten ist von den Five Points aus „Gangs of New York“ auch nur die Bowery übrig geblieben und was jetzt mehr in so China Town ist, wo man zwar nicht Mickey Rourke aus „The Year of the Dragon“ mit gezogener Waffe durch die engen, dunklen Gassen laufen sehen kann, aber wo wir oft sehr gut und sehr günstig Dumplings gegessen haben. Satt und Glücklich für 5 Dollar, das ist echt nicht zu schlagen. Hier: Greenwitch Village, China Town, Lower East Side, Soho, West Village und das alles, da kann man es aushalten. Habe hier einige Kneipen besucht, lustige Abende gehabt und immer wieder gut gegessen. Aber zum wohnen ist es hier echt zu teuer.

Deswegen hab ich in Brooklyn gewohnt. Genauer: East-Williamsburg. Das ist etwa dort, wo in Annie Hall mit Woody Allen – dem alten Stadtneurotiker – im Käfer unter dem Expessway drunter her gesaust ist. Noch relativ nahe bei Manhattan, auf höhe der Williamsburg Bridge, die ich sicherlich rund fünf mal zu fuß überquert habe und westlich von „East New York“, wo die „Goodfellas“ ihr Unwesen trieben. Aber noch nördlich von „Brooklyn Cigar Co“, wo Harvey Keitel in „Smoke“ heimlich seine cubanischen Zigarren verkaufte. Eher noch ein kleines Stück ostwärts, sehr nah an Bushwick, an der Stelle wo Gene Hackmanns Verfolgungsjagt in „French Connection“ endete. So richtig ist die Gegend, wo ich wohne, nie verfilmt worden (wäre mir jedenfalls nicht bekannt), aber vielleicht kommt ja noch ein Film, der Eigenheiten der US-Ökoszene auf die Leinwand bringt – der Film würde sicher hier spielen. Die sind echt viel strenger als die deutschen Ökos, aber auch stylischer, irgendwie. Und unentspannter. Als müssten sie die Nachhaltigkeitsdefizite der ganzen Geschichte ihres Landes jetzt im Hauruckverfahren wieder gut machen.

Am meisten hat mich Brighton Beach gefreut. Ein toller Strand direkt in der Stadt. Vergesst Barcelonavergleiche, viel näher und viel besser. Hier kommen vor allem die unteren Schichten her und das sind in diesem Teil von Brooklyn, nämlich Cony Island, vor allem Russen. Wer das echte New York kennen lernen und dabei schwimmen und etwas braun werden will, der sollte hier her kommen. Und obwohl man überall draußen kein Bier trinken darf, verkaufen hier herumlaufende Händler Corona direkt vor Ort und es scheint keinen zu stören. Ein rechtsfreier Raum! Harry aus „Requiem for a Dream“ trug etwas weiter östlich den Fernseher seiner Mutter zum Pfandleiher – für das Heroin. Wir wissen ja wie das endete. Wir haben dagegen unsere Strandtage immer mit einem Teller Stroganoff beendet, was man hier günstig überall bekommt. Da hatte ich aber auch mal Bauchschmerzen nach.

Wenn man mich aber fragt, was das tollste an New York ist, dann, dass diese Stadt tatsächlich niemanden gehört. Nicht mal eine Bevölkerungsgruppe owned hier etwas. Hier ist nämlich jeder eine Minderheit. Wenn man in der Ubahn sitzt, dann ist man als weißer Europäischstämminger in der Minderheit. Um einen herum gibt es alle Hautfarben der Welt und viele unterschiedliche Sprachen. Und doch kann man keinen Nachmittag durch Manhattan laufen, ohne drei mal im Vorbeigehen deutsche Wortfetzen aufzuschnappen. Man sollte sich hüten nicht über Anwesende in irgendeiner Sprache – sei sie auch noch so exotisch – zu lästern.

Edward Norton jedenfalls befand sich in der sicheren Intimität seines Badezimmers, als er im Film „25th hour“ vor dem Spiegel stand und mit einem herzhaften „Fuck you!“ beginnt, bevor er anfängt jede signifkant sichtbare Bevölkerungsgruppe in New York einzeln zu beschimpfen. Alle bekommen sie ihr Fett weg: Pakistani, Coreaner, Italiener, Juden, Chinesen, Iren, Schwarze, geliftete Upperclass-Omas, Investment Banker, Jesus himselft und viele mehr. Und doch merkt man in dieser postrassistischen Entgleisung des Films instinktiv, dass es sich eigentlich um eine Liebeserklärung handelt. An diese Stadt, die „unownbar“ ist, weil sie so vielfältig ist, so ethnisch durchmischt, so international. Sie gehört nicht mal richtig zu Amerika (sagen jedenfalls die Amerikaner selbst) und sie gehört auch ihren Einwohnern nicht. Es ist völlig unmöglich einen eigenen, unverstellten Blick auf diese Stadt zu werfen, denn sie ist in uns allen bereits lebendig, bevor wir sie das erste mal betreten und sie referenziert sich dann hunderttausendmal selbst und wenn man in ihr herumläuft, dann ist man im Film, dem einen oder anderen. New York ist die einzige Weltstadt, tausend mal gespiegelt etliche Male zerstört. Aber das wisst ihr ja alle.

Fünf Facebookanwendungsfälle eines Facebookhassers

Da ich mich heute der hackr fragte und ich die ganze Zeit schon mal drüber schreiben wollte: hier ein paar Anwendungsfälle zu Facebook von mir, dem Facebookhasser.

Wie einige Leser ja wissen, habe ich bereits ein paar Anläufe mit Facebook hinter mir. Dies ist mein dritter. Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich Social Networks, insbesondere Facebook nicht mag. Also nicht nur auf der Sympathieebene, sondern tatsächlich vom Handling als Tool her.

Das Konzept „Freund“ finde ich klasse. So allgemein. Als bidirektionales Newsabonnement von Leuten ist das Freund-Konzept eher eine schlechte Metapher, als ein gutes Tool. Natürlich ist diese eingängige Metapher gleichzeitig der Grund für Facebooks Erfolg, aber einer effizienten Nutzung steht sie queryologisch im Wege. Ich habe mittlerweile verschiedene Variationen durch, die Facebookfreundschaft als Tool dennoch sinnvoll einzusetzen.

Beim letzten Versuch habe ich schlicht und einfach jeden „befriendet„, der danach fragte. Das Ergebnis war, dass meine Timeline unlesbar war und ich von allen Seiten mit Einladungen, Like-doch-mal-die-Seite-Scheiß und den ganzen anderen Crap zugemüllt wurde. Als Facebook meinen Account löschte, habe ich innerlich etwas aufgeatment.

Bei dem jetzigen Versuch betreibe ich das ganze ernsthafter. Ich nehme nur Leute rein, die mir auf die eine oder andere Art geläufig sind und/oder ich mich wirklich für ihren Content interessiere. Ich halte dadurch die Timeline „sauber“ und werde nicht mehr von so viel „Gedöns“ genervt. Ideal ist dennoch was anderes.

Vor allem aber versuche ich durch Facebook mit den Leuten in Kontakt zu bleiben, die kein Twitter haben. Als Twitterer vernachlässigt man alte Freunde zu schnell. Da mittlerweile auch diese alten Freunde fast alle auf Facebook sind und dort auch recht aktiv, klappt das sogar ganz gut. Das wäre der sinnvolle Usecase Nr. 1.

Zurück zu Facebook bin ich übrigens gekommen, weil ich nicht mehr eingeladen wurde. Alle wussten immer wo am Abend was stattfindet, außer mir. Ich wurde sogar bei mehr oder minder guten Freunden nicht zum Geburtstag geladen, weil die Einladungen in manchen Kreisen nur noch über Facebook laufen. Und dass ich der eine bin, der halt nicht bei Facebook … das vergisst man gerne mal. Das klappt jetzt wieder ganz gut. Obwohl unter den Invites immer noch so 50 Prozent Müll ist, lohnt es sich schon für einige Termine dabei zu sein. Das wäre Anwendungsfall Nr. 2.

Ein weiterer Grund heißt Marcel Weiß. Er – der Facebookfan – richtete eine Gruppe zu einem Projekt ein, bei dem ich auch immer dabei bin. In so einer Gruppe kann man relativ bequem innerhalb eines begrenzten Kreises kommunizieren. Gruppen sind im Grunde für alles gut, für das man sonst eine Mailingliste betreiben würde. Nur besser. Dadurch dass es die Kommunikation strukturiert, hat man immer im Überblick, wer zu welchem Thema was sagt. Mittlerweile läuft auch zum Beispiel die Twitkritredaktion in einer Facebookgruppe, was sich als sehr praktisch erwiesen hat. Das wäre also Anwendungsfall Nr. 3.

Bei Anwendungsfalls Nr. 1 erwähnte ich meine Nichttwitterfreunde. Natürlich versuche ich auch sie über mein vielfältiges Webtreiben auf dem Laufenden zu halten. Dafür leite ich mittlerweile via RSS.Graffiti alle Feeds aller meiner Projekte in meine Timeline. Das hat aber noch einen Grund. Redundanz. All die Webinhalte bekommen da ein zweites Datenbankzuhause. Beispielsweise meine Twitpics. All die Fotos, die ich so nebenbei bei Twitter poste könnten schnell verloren gehen, wenn Twitpic mal pleite geht. Bei Facebook werden Bilder und Text noch mal seperat gespeichert. Ich habe nichts gegen Datensilos, so lange man sie nur als Backup nutzt. Das wäre Anwendungsfall 4.

Bei Twitkrit haben wir Facebook fest in die Seite integriert. Bei einigen populären Posts habe ich doch gemerkt, dass da auch einiges an Traffic über Facebook kommen kann. Deswegen bin ich am überlegen, hier und bei anderen Projekten neben dem Twitter- und Flattr-Button auch einen Facebook-like Button zu integrieren. Ich sträube mich noch, aber es scheint doch recht sinnvoll zu sein. Wenn ich mich überwinde, könnte das also mein Anwendungsfall Nr. 5 werden.

Bei all dem schwindet allerdings nicht meine tiefe Abneigung gegen Facebook und sein Regime. Ich fühle mich unwohl, mich allzu sehr auf Facebook verlassen zu müssen und ich finde es bedenklich, wie unersetzbar es sich macht. Ich kenne sehr viele, für die ist ihr Facebookprofil die zentrale Anlegestelle ihrer Identität im Netz. Ich weiß, wie schnell und willkürlich einen Facebook verbannen und wie wenig man dagegen tun kann. Zudem führt sich Facebook immer mehr als Zensor auf. Man kann dort bestimmte Links nicht posten, Worte werden in Chats und Messages zensiert und so weiter. Ich versuche alle Dinge, die ich auf Facebook tue, nicht essentiell werden zu lassen. Aber wie man allein an meiner Rückkehr zu dem Dienst sehen kann, ist die soziale Gravitation schon groß genug.

Euroweb und der Ruf nach Informationskontrolle

Ich bekam vor einigen Monaten einen Brief von Martin Steinkamp. Er fühlt sich durch meinen Beitrag hier einer Geschäftsschädigung ausgesetzt. Mein Mitleid, dass seine dubiose Masche Subdomains von co.de zu verkaufen, aufgrund verhagelter Suchergebnisse nicht mehr so zieht, hielt sich, naja, in Grenzen. Er betreibt dieses Geschäft nämlich noch heute und ich hoffe, ich konnte mit dem Öffentlichmachen ein paar Menschen davor bewahren, unnötig viel Geld auszugeben.

Der Ruf nach digitalem Vergessen ist ein gefährlicher. Wir reden hier über Werkzeuge der Informationskontrolle. Sind solche Werkzeuge erstmal in der Welt, entscheidet allein die größe des Hebels, wer sie erfolgreich einsetzt. Stefan Niggemeier hat diesen Umstand – vermutlich aus eigener schmerzhaften Erfahrung – in einem lesenwerten und sehr differenzierten Beitrag leider nur am Rande erwähnt, obwohl ich ihn für zentral halte:

Die merkwürdigen technischen Konstruktionen, mit denen dem Internet das Vergessen beigebracht werden soll, werden nicht funktionieren — außer, womöglich, für diejenigen, die die schlechtesten Motive und die größten Mittel haben.

Digitale Radiergummivisionen sind nicht umsonst DRM-Methoden sehr ähnlich: Informationskontrollstrukturen werden sich immer als Werkzeuge der Mächtigen entpuppen.

Das Wettbewerbs- und Pesönlichkeitsrecht sind derzeit die weitreichensten Konstruktionen der Informationskontrolle. Wir kennen sie über das Abmahnwesen, das regelmäßig über deutsche Blogs hinweg fegt, zu genüge. Sehr erfahren im Umgang mit diesen Werkzeugen ist seit jeher die Firma Euroweb.

Es gibt wenig gutes über Euroweb zu berichten und so fiel der Internetdienstleister 2006 das erste mal dadurch auf, dass er gegen negative Berichterstattung rechtlich anging.

Dabei weckte Euroweb allerdings schon damals schlafende Hunde. Es waren diverse Shitstorms, die Euroweb seitdem durchmachen musste und immer wieder wählte das Unternehmen rechtlichen Druck gegen Blogger als Mittel der Wahl. Julio Lambing von Axonas machte sich damals die Arbeit und verstieg sich in detaillierte und akribische Recherchen zu dem Unternehmen und seinem europaweiten, umfangreichen Netzwerk aus Neben-, Haupt-, Partner-, Tocher- und Briefkastenfirmen. Und vor allem zu den „Machenschaften“ in Sachen Neukundenakquise. (Ich kann aus Abmahngründen nicht weiter in’s Detail gehen.)

Euroweb hat es tatsächlich geschafft, all diese umfangreichen Rechercheergebnisse aus dem Netz zu klagen. Sogar so ein wehrhafter Blogger wie Julio konnte gegen den juristischen Druck auf Dauer nicht an. Ein Sieg gegen den Kontrollverlust?

Nun hat es also Nerdcore.de erwischt und damit eines der größten und bekanntesten Blogs in Deutschland. Es mag formal und juristisch alles korrekt gelaufen sein – René hat anscheinend aus irgendeinem Grund verpasst, sich um die Abmahnung von Euroweb zu kümmern – aber es könnte dennoch sein, dass sich Euroweb diesmal verkalkuliert hat.

All die jahrelange, kostenintensive Abmahnarbeit und Säuberung des Internets von Kritik gegen das Unternehmen könnte nun umsonst gewesen sein. Nämlich dann, wenn die Rechercheergebnisse von Julio auf anderen Wegen wieder auftauchen, vielleicht mehrfach auftauchen, Streisandmehrfach. Ich bin mir sicher, dass der eine oder andere ein Backup von Julios Artikeln noch irgendwo auf der Platte hat und dass dies seine Besitzer nun anschreit, veröffentlicht zu werden. Hunderfach? Tausendfach?

Gibt es ein Recht auf eine weiße Weste? Sollen wir Strukturen schaffen, die Westen rein halten sollen auch gegen den Willen desjenigen, der die Flecken öffentlich macht, oder der, der sie als Kopie auf der Festplatte lagert? Auch gegen das Interesse der Öffentlichkeit? Wie interpretieren wir „Informationelle Selbstbestimmung„? So wie das Hamburger Landgericht, als das Recht, zu entscheiden, was über mich gesagt werden soll? Sollen sich Euroweb, ehemealige Bildredakteuere und Gewinnspielmoderatoren immer und überall „informationell selbst bestimmen“ dürfen? Ich finde: nein!

Vielleicht braucht es ein neues Vergeben, ja. Aber dringender braucht es einen Kampf gegen die Unterdrückung von Information und gegen all die Instrumente der Informatinskontrolle. Und da man das Gesetz nicht so schnell geändert bekommt, sollte es durch den realen Kontrollverlust schleunigst zur Makulatur degradiert werden.

Ich für meinen Teil wäre enttäuscht, wenn in zwei Wochen auf den ersten 5 Ergebnisseiten der Googlesuche nach „Euroweb“ etwas anderes als massive Kritik an dem Unternehmen zu finden wäre.

Mediensituationen

So, ich hab mich etwas erholt. War tatsaächlich ein anstrengendes Wochenende.

Aber bevor ich das alles haarklein erzähle, noch schnell ein Hinweis. Direkt nach der Talksenung war ich nämlich noch zu einem Interview verabredet. Auch West.Art, aber eben nicht Talk, sondern Magazin und das wird Dienstag ausgestrahlt.

Also bitte noch mal morgen, 18. Janauar, WDR einschalten, diesmal etwas später, um 22:30 Uhr. Lohnt sich bestimmt.

Aber zurück zum Wochenende. Am besten gleich zum Samstag. Mein Medienwochenende begann schließlich mit einem Radiotalk auf dradio.wissen. Dort kloppte ich mich live mit Falk Lüke um die Notwendigkeit des digitalen Vergessens und über den Sinn und Unsinn von Datenschutz. Ich bin etwas unzufrieden mit meiner Perfomance. Ich hatte wenig geschlafen und war ziemlich müde und fahrig, aber hey, so ist das manchmal.

Hier zum Nachhören:Vorsätzliches Vergessen & digitaler Radiergummi

Was mir aber im Gedächtnis geblieben ist, ist eine ganz spezifische Mediensituation, die es vermutlich nur im Radio gibt. Jeder sitzt da also vor seinem Mikro und hat dabei diese großen Kopfhörer auf. Und zwar alle: Falk, Markus Heidmeier und ich und die Regie im Nebenzimmer auch. Und das alles ist frei konfigurierbar. Die Regie kann nur mit Markus, nur mit Markus und mir, oder nur mit Falk und Markus reden und umgekehrt. Und da dachte ich so bei mir: das muss diese „informationelle Selbstbestimmung“ sein, von der Datenschützer so gerne reden. 😉

Danach hatte ich nur wenig Zeit, bevor mein Flieger nach Köln ging (das ist so großartig, wie die Leute beim WDR alles so minutiös durchplanen, wenn sie einen einladen. Man wird tatsächlich auf Händen in’s Studio getragen). Ich hab mich noch hingesetzt und versucht mir den einen oder anderen Satz (Punshline) zurecht zu legen. Diesen Ratschlag gab mir übrigens Talkshowgott Sascha Lobo persönlich. Leider kam ich nicht weit, denn im Flugzeug hatte ich zwischen Start und Landung nur ca. 45 Minuten Zeit zum arbeiten (das nächste mal fahr ich wieder Bahn).

Kaum angekommen musste ich dringend Kölsch, Steak und Cocktails und so, weil, ja nun. (Dabei übrigens auch @function getroffen, der hatte die aktuelle RollingStone dabei, also die Januarausgabe. Da hab ich auch einen Text über Wikileaks uns StreetView drin. Falls jemand und so)

Ich kam aber glücklicherweise früh genug in’s Bett um – zumindest theoretisch -ausgeschlafen zu sein. Ich kam dann aber doch eher mühsam aus dem Bett, weil ich die Zeit zwischen 3:30 bis 5 Uhr aus irgendeinem Grund wach verbrachte. Vom Hotel wurden wir (Christian Schertz und ich) die 600 Meter zum WDR wieder per Limousine gefahren. Dann erstmal großes Treffen im Konferenzraum mit Redakteuren, Gästen, Moderator und Schnittchen. Ich kippte mir den Kaffee in rauen Mengen rein, um nicht wieder so verschnarcht zu sein, wie am Samstag. Es war eine entpannte Atmosphäre, fast familär.

Dann wurden wir einer nach dem anderen in die Maske geführt. Bei mir wurden die Augenringe wegretuschiert und ansonsten das Gesicht abgedeckt und gepudert. Hab ich ja auch nicht alle Tage, sowas. Danach Mikrofon befestigen und Fotos schießen (was aus denen geworden ist, weiß ich gar nicht) und dann ging es auch schon los.

Wir saßen direkt im Foyer des WDR, so im linken Bereich gleich neben dem Eingang. Das ist alles recht klein. Dort, wo das Studiopublikum säße (es gab ja keins) war nur die Außenwand des WDR mit einem Ferseher, der die Einbettung unserer Sendung in’s Programm illustrierte und die Einspielfilmchen zeigte. Davor fuhren drei Kameras hin und her. Ich einigte mich mit Frau Thiemann, welches Wasserglas (das vordere oder das hintere) auf dem Tisch zwischen uns ich benutzen würde und dann schrie eine von der Produktion „ZEHN„. Ich suchte nach einer bequemen Sitzposition – „FÜNF“ – Holger Noltze sagte uns, in welche Kamera wir zu lächeln hatten, wenn er uns vorstellt – und los.

Ich war als erstes etwas irritiert, dass es gleich mit mir losging, hab mich aber dann gefangen. Der Rest ist Geschichte und kann hoffentlich bald irgendwo angekuckt werden ist unten verlinkt. Ich bin recht zufrieden mit meinen Auftritt. Ich hatte mir jedenfalls schlimmere Szenarien ausgemalt. Klar, das ist alles noch lange nicht perfekt, noch nicht sicher genug, noch nicht Ähm-frei genug, noch nicht auf den Punkt genug, aber für den ersten Fernsehauftritt völlig Ok. Kein großer Patzer, kein dummes Verlabern, keine unsouveränes Irgendwas.

Hier erstmal der großartige Einspielfilm zu meiner Person über den ich mich sehr gefreut habe:

Und hier die ganze Sendung:

Untitled from ms pro on Vimeo.

Die Sendung. Naja, die wurde ja eher zerrissen. Ich kann das zum teil verstehen. Aber ganz ehrlich: ich habe mich da nicht schlecht behandelt gefühlt. Natürlich sind das Fernsehmenschen und die haben einen anderen Blick auf das Internet als ich. Und natürlich ist die Zielgruppe eine noch viel Internetfremdere als diejenigen, die auf den Sesseln saßen. Wenn man der Sendung etwas vorwerfen kann, dann, dass zu viele heterogene Themen abgehandelt wurden: von Promis, über Castingshows über die Stasi bis hin zum Internet ist ein verdammt großer Bogen. Da hätte es auch bei anderthalb Stunden gut getan, sich etwas mehr zu fokussieren.

Besonders beeindruckt hatte mich Frau Thiemann. Nicht nur, dass sie von Anfang an klar machte, dass ihre schlimmen Erfahrung mit der Stasi keinesfalls auf die neuen Technologien übertragbar seien, sondern auch ihre Haltung insgesamt. Ihre Offenheit, trotz alledem. Eine Offenheit, die viel gutes hat.

Die Logik der Privatheit und der Intimität sind dann doch viel komplexer, als wir das oft wahrhaben wollen und vor allem, als es in einer Fernsehsendung verhandelbar ist. So war ich berührt – und zwar einerseits mitfühlend, als auch etwas peinlich – als Frau Thiemann von den heftigen Erfahrungen ihrer Haft erzählte. Das sind schon sehr intime Details und ich bin mir sicher, dass diese Schilderungen in ihren Büchern noch detaillierter sind. Ich glaube nicht, dass ich jemals intimere Details von mir preis gegeben hätte. Und dennoch war genau dieser Umstand – diese Öffentlichkeit – zu keiner Zeit Thema in der Runde. Es ging bei Frau Tiemann nur um die Überwachung und die Kontrolle durch die Stasi und nicht dessen nachträgliche mediale Aufarbeitung.

Das ist schade, denn diese andere Situation ist ja viel eher vergleichbar mit dem, was man so im Internet tut. Wir leben Transparenz und nicht Überwachung. Wir teilen Erfahrungen und ziehen alle Nutzen daraus, sowohl derjenige, der teilt, als auch die anderen. Wenn man die Wirkung von Thiemanns medialer Aufarbeitung ihrer Vergangenheit zum Anlass genommen hätte, über den Wert von Öffentlichkeit zu sprechen, dann hätte man gut zeigen können, wie die Preisgabe und das Teilen von Informationen viel Gutes hat. Wie es dazu führt, Gerechtigkeit herzustellen, wie es die Menschen über Gefahren eines Unrechtsstaats aufklärt, wie es hilft Geschichte einzuordnen. Nicht auzudenken, wie viel es den anderen Opfern der Stasi geholfen haben mag, dass Frau Thiemann ihre Erinnerungen und Gedanken teilt und so auch ihr eigenes Schicksal auf die gesellschaftliche Agenda setzt. Man hätte da so viele Aspekte rausholen können, wenn man nach der Großartigkeit von „Öffentlichkeit“ gefragt hätte, statt nur nach dem Verschwinden der Privatheit.

Nach den anderthalb Stunden der Sendung musste ich speedentkabelt werden, denn ich musste gaaaanz dringend auf’s Klo. Klar, der Kaffee, einen mspro pullen und so. Danach saßen wir alle wieder in dem Konferenzraum und diesmal hatte ich ein unfassbaren Heißhunger. Ich konnte mich kaum an den Diskussionen beteiligen, weil ich mir ein Schnittchen nach dem anderen reindrückte. Ich vermute, dass so eine mediale Situation ganz schön zehrend wirkt und der Stoffwechel dabei einiges verbrennt. Und dann mußte ich auch schon wieder los, wegen des Interviews (siehe oben). Zusammen übrigens mir Frau Dietz. Die Interviews sollten im Hotel stattfinden, wo ich auch genächtigt hatte und Frau Dietz und ich entschieden uns den Weg diesmal zu fuß zu gehen. Auf dem Weg diskutierten wir noch recht heftig die Themen Postprivacy und Kontrollverlust, was mir nicht so recht behagte, weil eh ich schon so erschöpft war und ich alle Kraft für das Interview brauchte.

Die Redakteurin der West.Art-Magazin-Sendung hatte bereits alles minutiös vorbereitet. Kamera, Ton, Beleuchtung. Also wieder verkabelt werden, diesmal noch viel genauer sitzen, Kragen herrichten, in die Kamera schauen, wieder Kragen richten. Eine echte, genau durchdefinierte mediale Situation, also. MJir war das alles egal. Ich bekam es zu meinem erstaunen tatsächlich hin, mich noch einmal eine Stunde lang sehr zu konzentrieren und alle Fragen zu beantworten. Die Redakteurin hatte sich sehr gut vorbereitet, hatte meine Blogs gelesen und schon sehr genaue Vorstellung von meinen Themen. Ich glaube sogar, dass ich – vielleicht durch das Intensivtraining der Talksendung – noch viel besser und pointierter formulieren konnte, als vorher. Ich bin wie gesagt, auf das Resultat sehr gespannt.

Auf dem Heimweg war ich dann ziemlich erschöpft. Ich musste dauernd Wasser nachtrinken und irgendwie war mein Hunger kaum zu stillen. Erstaunlich ist, von wie vielen alten Freunden und Bekannten man angerufen oder bei Facebook angechattet wird, wenn man im Fernsehen war. „Du warst im Fernsehen!!!11einself„. Irgendwie ist das Fernsehen in den Augen der meisten Leute immer noch das Medium der Öffentlichkeit schlecht hin. Obwohl ich nur am Sonntagmorgen in einer Kuzltursendung eines Regionalsenders aufgetreten bin, wird das als das große Ding wahrgenommen. Vielleicht sogar zu recht, ich weiß es nicht.

Ich schreibe hier ja immer für eine Queryöffentlichkeit, nicht für eine klassisch massenmediale Öffentlichkeit. Hier geht es nicht um Reichweite, Quote und Klicks (naja ein bisschen auch), sondern um Vernetzung. Darum, dass die richtigen Leute hier lesen. Es geht darum, teil einer oder vieler speziefischer Querys zu sein, statt im Sichtfeld von jedem.

Es ist aber natürlich verdammt spannend zu sehen, wie so eine massenmediale Öffentlichkeit funktioniert. Und wie sehr man sich, seine Thesen und alles verbiegen muss, ihr zu genügen. Meine Queryöffentlichkeit sucht sich ihr Publikum – sie wird ausgesucht oder nicht und das ist die große Freiheit hier im Netz. In der Massenöffentlichkeit muss man alles einem gegebenen Publikum unterwerfen. Und vielleicht ist ja eigentlich schon diese strukturelle Gewalt das „unmenschliche“, dass uns nur in seiner vollen Rohheit bei Sendungen wie DSDS noch wirklich erschrickt.

Queryology, die nächste Fuhre

Das hat mich noch mal ein bisschen mehr Kraft gekostet.

Hier, im zweiten Teil der Queryology versuche ich also den wirklichen Paradigmenwechsel zu beschreiben, der auf das Konzept der Medien folgt. Es ist also auch der Versuch eine Sichtweise zu umschreiben, die sich von der gewöhnlichen Sichtweise unterscheidet. Ich will nicht behaupten, dass diese Sichtweise neu ist. Ich glaube, wer einige Zeit online gelebt hat, bekommt ein gewisses Gefühl dafür, was ich beschreibe. Ich habe es nur versucht zu formalisieren.

Die Queryology ist der Versuch die Gegenwart aus einer historischen Perspektive zu betrachten. Das ist gar nicht so einfach, wie es sich anhört. Man muss sich, seine Welt und vor allem seine Daten aus der Perspektive eines zukünftigen Anderen betrachten, von dem man nichts weiß. Einer, der einen ausgraben wird, mit neuen Tools, neuen Queries, neuen Fragestellungen und Diskursen. Ich nenne das Konzept deswegen auch Echtzeitarchäologie.

Ich weiß, das ist alles furchtbar lang und schwierig. Aber ihr habt ja das Wochenende. 🙂

Und noch ne Ankündigung

Relativ kurzfristig reingekommen (eben gerade) ist eine Anfrage von dradio.wissen. Allerdings nicht zu meinem nicht gesendeten Verlegerrant, sondern zum leidigen Radiergummi-Thema.

Ich soll dort eine Stunde lang mit Falk Lüke streiten und da wir immer schon mal vor hatten, uns zu prügeln, habe ich da mal spontan zugesagt. Außerdem ist es eine gute Übung für Sonntag und ist sogar themenverwandt.

Also, Samstag, 15. Januar – 11:05 dradio.wissen einschalten.

Demente Argumente

Ich habe mich ein bisschen erschrocken. Nicht über Ilse Aigner und ihr Radiergummi – das ist normal, die ist Politikerin – sondern darüber, wie ernsthaft über ihre Ideen diskutiert wird. Also auch hier in der Blogszene.

Beispielsweise Netzpolitik.org. Dort wird zwar das DRM-Dings von dem Professor da zu genüge auseinander genommen, aber von der Idee des „digialen Vergessens“ wird sich nicht distanziert. Im Gegenteil!

Versteht mich bitte nicht falsch. Ich halte das Vergessen – also das normale, kognitive Vergessen – für einen Segen. Wir wären in kürzester Zeit verrückt, wenn es das nicht gäbe. Denn das Vergessen ist – anders als es in dieser Diskussion dargestellt wird – nämlich kein Anrecht des Produzenten einer Information, sondern ein Filtersystem des Erinnernden. Es selektiert relevante von irrelevanten Informationen und ist somit ein Werkzeug des Erinnerns.

Oder Christoph Kappes. Er argumentierte heute auf Twitter, dass ja mündliche Kommunikation eben so flüchtig sei, wie es die Ilse nun für’s Internet fordert. Und er hat recht, ich kann mich nach einem Gespräch kaum an den Wortlaut erinnern. An was ich mich aber erinnere, ist genau die Information, die ich für relevant erachtet habe.

Wenn mir Christoph also in einer Bierlaune von seinem Ilse Aigner-Fetisch (Sie, ganz in Radiergummi gekleidet … ) erzählt, dann werde ich mich auch noch am nächsten Tag daran erinnern und vermutlich mein ganzes Leben. Dass er mir vielleicht auch erzählt hat, dass er in seinem Wagen eben noch den Ölstand gemessen hat, wird mein Gehirn dagegen vermutlich dem Vergessen anheim geben.

Was man mit dem „digitalen Vergessen“ also fordert, ist nicht ein Vergessen in dem Sinne, wie wir es kennen, sondern eine fremdbestimmte Demenz! Ich soll vergessen, was mir Christoph erzählt hat, weil er das halt so will. Er soll mir in meinen Erinnerungen rumkramen und rauslöschen können, was ihm da nicht gefällt. Oder von Anfang an bestimmen, wie lange ich es erinnern darf. (Ich kann schon verstehen, dass Politiker diese Möglichkeiten als sehr nützlich erachten)

Nein, meine Lieben. Das würde ich mir nicht bieten lassen. Ihr habt gefälligst mir zu überlassen, was ich mir merke und was nicht. Und so soll es auch bitte im Internet bleiben. Filtersouveränität, alter!

Und überhaupt finde ich, dass das Internet noch viel zu viel vergisst. Alleine Twitter. Ich finde es eine Unverschämtheit, dass ich nicht mein ganzes Twitterarchiv durchsuchen kann. Eher würde ich auf Pflicht für Anbieter pochen, mir meine Daten jederzeit zugänglich zu halten.