Wir kennen es alle: den Schmerz auf Twitter entfolgt zu werden. Einige schauen bibbernd alle paar Sekunde wieder auf die Followerzahl, ob wieder einer abgesprungen ist. Mir glaubt das immer keiner, aber ich schau vielleicht 2 bis 3 Mal im Monat auf meine Followerzahlen. Aber ich kenne das Gefühl. Ich kenne das, wenn ich jemandem eine Direct Message schreiben will und dann merke, dass mir dieser total $§%“&!! §%“!!;Ö§%&§!! – aber dennoch irgendwie geschätzte Twitterer – gar nicht -oder schlimmer – nicht mehr folgt. Ich kenne euren Schmerz, wirklich.
Aber ich bin ebenso überzeugt davon, dass wir ihn aushalten müssen. Dass wir uns dagegen immun machen müssen, denn alles andere schränkt die Freiheit des anderen ein. Seine Freiheit, sich für oder gegen unseren Stream zu entscheiden, nämlich. Und wenn man mal ehrlich ist: will man Leute, die einem aus Mitleid folgen?
Ich will gerne nur Leuten folgen, die für mich einen hohen Informationenswert haben. Die entweder lustig sind, deren Privatleben mich interessiert oder die tolle Links twittern oder irgendwas anderes. Jedenfalls irgendwas, was mich interessiert. Und das wollen wir doch alle: uns einen Weg durch die Informationsmassen bahnen, der unserem Weltbild, unseren Interessenlagen, unserem Zeitmangement, unseren Sympathien und unserem Vertrauen entgegen kommt. Wir wollen Filtersubjekte sein.
Wenn ich bei Twitter also entfolgt werde, dann ist das kein Angriff auf meine Person und meist überhaupt nicht persönlich gemeint (manchmal doch, aber auch das halte ich aus). Ich muss mir dann denken, dass das alles richtig so ist. Dass nämlich seine Freiheit, mich zu entfolgen, meine Freiheit ist, zu schreiben, was ich will. Nur weil meine Timeline zu jederzeit zur Disposition steht, habe ich die volle Publikationsfreiheit. Wer was anderes will, soll eben Journalist werden.
Ennomane hatte nun letztens eine lustige „Situation“ ausfindig gemacht. Als er auf der Website der Bild war, sah er anhand des Facebookbadges, wer von seinen Facebook-Freunden die Bild „liked“. Das ist ein recht normales Feature und man kennt das, aber es gewinnt bei Bild natürlich gleich eine politische Dimension. BILD findet man schließlich scheiße in unseren Kreisen und so kam Enno darauf, dass es ja ein super Kriterium sei, die Freundschaften auszusortieren.
Ich twitterte daraufhin etwas ähnliches und schon ging es los:
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Ich bekam sehr viel Feedback. Jeder versuchte mich zu unterbieten. Es waren sicher mehr als 20 Replys und einige Retweets. Ein lustiges Spiel, eigentlich. Aber es kamen gleich auch Antworten, dass man die Betreffenden natürlich sofort entfreunden wolle und dass man froh sei, das diejenigen welchen eh entbehrlich seien. (Ich persönlich habe niemanden entfreundet oder entfollowt wegen eines Bildgelikes.) Einige fragten mich sogar, was sie denn nun mit diesen Leuten machen sollten. Schon komisch, die Leute.
Enno war sichtlich erschrocken, ob dieser Dynamik und hat dazu einen nachdenklichen Blogpost verfasst, in dem er die Vorgänge als „Hexenjagt“ bezeichnet und gleich auf das Thema Postprivacy bezog. Ich kann das zu einem gewissen Teil nachvollziehen, denn zu merken war auch, wie viel Hass es gibt, gegenüber Leuten, die Bildzeitung lesen. Das hat auch mich erschrocken. (Wobei ich solche Hasstriaden gegenüber mir und meinen Texten durchaus auch kenne und deswegen vielleicht nicht umbedingt als so bedrohlich wahrnehme.)
Aber dennoch: Jemanden zu entfolgen ist eben keine Hexenverbrennung. Jemanden zu entfreunden ist kein Angriff auf seine Würde oder seine Integrität. Leute nicht zu lesen ist keine Gewalt! Es ist wichtig, sich das bewusst zu machen.
Wenn jemand für sich das Filterkriterium „ich will keine Bildleser“ festgelegt hat, muss man das respektieren. Es gibt kein Recht darauf gelesen zu werden. Und welche Kriterien jemand für seine Lektüre heranzieht, ist alleine die eigene Sache. Das ist der tiefere Sinn der Filtersouveränität.
Aus dem selben Grund kann ich es nicht nachvollziehen, dass Sascha Pallenberg nach dem wochenlangen Rumgetröte jetzt die Bloggernamen nicht herausrücken will. Ich kann es mir zwar denken: die kamen alle angekrochen und weinten ihm den Posteingang voll, dass er ihr Leben zerstören würde und so ein Quatsch! Sascha hat sicherlich ein weiches Herz. Aber an der falschen Stelle.
Reputation, Vertrauen und Leserschaft sind nichts, was man einfordern kann und zu dessen Bewahrung Pallenberg – oder Stefan Niggemeier – verpflichtet ist. Sie sind nichts, was ich kontrollieren kann oder sollte. „Informationelle Selbstbestimmung“ kann und darf nicht heißen, dass ich bestimme, was über mich im Netz zu stehen hat oder was jemand von mir denkt, oder ob jemand aufhört mir zu vertrauen.
Hätte ich die Namen, wäre Bloggergate für mich nicht in jedem Fall ein Grund sie auszusortieren, sicherlich aber ein nicht unwichtiges Kriterium. Es gibt eine Menge Leute, die empfindlicher darauf reagieren, verarscht zu werden, als ich. Sie würden gerne ihre Konsequenzen ziehen können und ich finde, sie haben ein Recht darauf.
Aber egal, wie die Leute auf die Namen reagieren werden, ob wir sie aus unseren Feedreadern schmeißen oder nicht oder sie sogar abonnieren: das ist allein jeweils unsere Entscheidung und genau deswegen haben wir auch ein Recht auf diese Information. Ich fordere keine Konsequenzen und vor allem keine bestimmten, sondern für uns alle die Möglichkeit überhaupt Konsequenzen ziehen zu können. Kein Tribunal und nein, auch keinen Mob. Nur die stille, persönliche Konsequenz, die jeder für sich selber zieht: die Rekonfiguration der eigenen Query.