Stijlroyal: New York ownen

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Ich habe für die Ausgabe XIV des Stijlroyal Magazins einen Text über New York geschrieben und versucht meine dreimonatige Annäherung an diese Stadt zum Ausdruck zu bringen. Ich hoffe, es treibt Huck nicht in den Ruin, wenn ich den Text hier crossposte.
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(mit Dank an Else Buschheuer)

„Du musst die Stadt ownen!“ sagte mir ein Freund, der zwei Jahre in New York gelebt hat. „Ownen“, also einen ganz eigenen Zugang zu der Stadt entwickeln und auf ihrer Klaviatur virtuos zu spielen lernen. Über „mein“ New York soll ich auch hier schreiben, also das spezielle, unique New York, das ich entdeckt habe, und das dem Diskurs noch etwas hinzufügt.

Ich hab’s mit dem Fahrrad probiert und es hat nicht so geklappt. Und dass obwohl in den letzten drei Jahren hier die Fahrradmania ausgebrochen ist und es jetzt überall Radwege gibt. Aber ich glaube, dafür ist die Stadt einfach zu vertikal. Spiderman hat die Stadt geowned. Ich glaube, sich an Spinnfäden von Hochaus zu Hochhaus schwingen ist die einzige akzeptable Fortbewegungsform hier. Oder Klettern. King Kong hat New York auch „geowned“, naja, jedenfalls kurz.

Manchmal glaube ich, Gewalt ist eine Lösung. So, wie Robert DeNiro in Taxi Driver am Schluss ja auch der Held war. Ein anerkannter Bürger der Stadt. Ich kann jedenfalls nachvollziehen, dass diese Stadt einen auch krank machen kann. Der Dreck, die Lautstärke, die Enge. Überall fühlt man sich zu viel, weil Platz so kostbar ist in den engen übervollen Straßenschluchten von Manhattan. Besonders in den U-Bahnstationen, wo einem die Backofenhitze entgegenschlägt, dass man sich fragt, ob das tatsächlich realistisch ist, wenn Al Pacino und Keanu Reeves als die verdammt gut verdienenden „Devil’s Advocats“ aus reinem Understatement die U-Bahn nutzen. Und sobald man in die Bahn einsteigt, fühlt man sich wegen der krassen Air-Condition wie Dennis Quaid, als er in „The Day after Tomorrow“ seinen Sohn durch meterdicke Eisschichten aus der Public Libary befreite. Hitze/Kälte, Hitze/Kälte. Jede Bahnfahrt eine Kneiptour.

Aber was soll ich erzählen von vergeblichem Taxigewinke, rauchenden Gullideckeln und Kindern, die in illegal geöffneten Hydrantenfontainen herumspringen? Ja, die Bilder hat jeder im Kopf und ja, es gibt sie tatsächlich! Und wenn ich hochfahre zur Upper Westside wo Walter Matthau im „Odd Couple“ sein Appartment hat, dann ist auch das „Dakota“ nicht weit, jenes Haus, in dem „Rosemarie’s Baby“ zur Welt kam und John Lennon mit Yoko Ono knutschte, dann habt ihr wieder dieses Kopfkino vom Kinofilm und das ist ja alles gar nicht falsch. Klar, man fragt sich, wie Macaulay Culkin in „Home Alone II“ sich nur so heftig im Central Park verlaufen konnte – ich fand ihn recht übersichtlich. Und klar hab ich nachgeguckt: die Puertoricaner aus der West-Side Story sind längst weggentrifiziert und weiter unten in „Hells Kitchen“ gibt’s das Ghetto aus „Sleepers“ auch schon lange nicht mehr. Dafür Künstlerateliers und Partyschiffe und viel mondänes Volk. Hier in der Upper West-Side und auch im Osten auf der 5th Avenue, wo Holly Golightly bei Tiffany’s frühstückte, war ich in jeweils einem Apple Store. Beeindruckend! Alle beide!

Wenn man dann wieder Richtung Süden über den Broadway am Times Square vorbei kommt und sich durch diese unfassbaren Menschenmengen kämpft, wünscht man sich, man sei Tom Cruise in Vanilla Sky wie er ganz allein und verlassen über den Platz läuft (was das wohl gekostet hat?). Irgendwann weiter südwärts kommt man dann noch am Madison Square Park vorbei, wo der Flatiron steht, jenes berühmte, sich nach vorne zuspitzende Gebäude in dem der „Daily Bugle“ verlegt wird, bei dem Peter Parker seine Fotos von Spiderman abliefert und das einmal von der US-Army zerstört werden musste, um Godzilla aufzuhalten. Das Büro meiner Freundin war genau hier. Dann kommt auch gleich der Union Square, wo Clive Owen bei „The International“ zurecht den Überblick verloren hat und Al Pacino und Michelle Pfeiffer Hot Dogs aßen. Ich hingegen bin da meist nur umgestiegen oder hab den einen oder anderen „Smoothie“ getrunken. So ein aus frischem Obst und Gemüse und Jogurt zubereiteter Drink, sehr zu empfehlen. Außerdem hat das Media Markt-Equivalent „Best Buy“ hier 24 Stunden am Tag auf. Für den Nerdfall.

Dann weiter Richtung Süden lässt man den Washington Square Park rechts liegen, wo einst die „Kids“ aus dem gleichnamigen Firm rumhingen bevor … ihr wisst schon. Aber genau dort gegenüber am Broadway residiert ein japanisches Modelabel mit dem superdämlichen Namen „Superdry“, wo ich mir eine unfassbar tolle Jacke gekauft habe, die ich bis heute aber nicht einmal tragen konnte, weil es konstant viel zu warm dafür ist. Seit drei Monaten ununterbrochen.

Und jetzt ist es ja eh nicht mehr weit bis zur Houston Street. Wenn man die überquert, wird es wirklich gemütlich. South of Houston (SoHo) gibt’s all die schönen Cafés, Bars und Galerien und diesen dunklen, etwas schäbbingen Stahl und Backsteinstyle wie man es aus „Mean Street“ oder „When Harry met Sally“ kennt. Das New York, zu dem man sich immer hingezogen fühlte ist genau hier. Mein Freund hat hier in einer Agentur gearbeitet, denn Agenturen finden das hier natürlich auch total „posch“. Die „Ghostbusters“ haben dagegen ihre Einsatzzentrale schon lange nicht mehr offen. Vielleicht konnten sie die Miete nicht mehr zahlen.

Nebenan im West-Village ist es angenehm ruhig, ganz New York untypisch. Fast dörflich. Man fühlt sich heimelig und will sich sofort mit den Mädels von „Sex in the City“ zum Kuchenessen und Rumgiggeln treffen. Ähh, nee, lieber doch nicht. Vor dem Laden, an dem Carrie ihre Kuchen kauft, standen wir zwar, aber wir waren nicht drin. Dafür saßen wir vier Stunden lang in einem netten Café am West-Broadway mit Wi-Fi (so nennt man W-Lan hier) und haben im Internet gesurft. Der Kaffee war auch toll.

Und im Osten ist von den Five Points aus „Gangs of New York“ auch nur die Bowery übrig geblieben und was jetzt mehr in so China Town ist, wo man zwar nicht Mickey Rourke aus „The Year of the Dragon“ mit gezogener Waffe durch die engen, dunklen Gassen laufen sehen kann, aber wo wir oft sehr gut und sehr günstig Dumplings gegessen haben. Satt und Glücklich für 5 Dollar, das ist echt nicht zu schlagen. Hier: Greenwitch Village, China Town, Lower East Side, Soho, West Village und das alles, da kann man es aushalten. Habe hier einige Kneipen besucht, lustige Abende gehabt und immer wieder gut gegessen. Aber zum wohnen ist es hier echt zu teuer.

Deswegen hab ich in Brooklyn gewohnt. Genauer: East-Williamsburg. Das ist etwa dort, wo in Annie Hall mit Woody Allen – dem alten Stadtneurotiker – im Käfer unter dem Expessway drunter her gesaust ist. Noch relativ nahe bei Manhattan, auf höhe der Williamsburg Bridge, die ich sicherlich rund fünf mal zu fuß überquert habe und westlich von „East New York“, wo die „Goodfellas“ ihr Unwesen trieben. Aber noch nördlich von „Brooklyn Cigar Co“, wo Harvey Keitel in „Smoke“ heimlich seine cubanischen Zigarren verkaufte. Eher noch ein kleines Stück ostwärts, sehr nah an Bushwick, an der Stelle wo Gene Hackmanns Verfolgungsjagt in „French Connection“ endete. So richtig ist die Gegend, wo ich wohne, nie verfilmt worden (wäre mir jedenfalls nicht bekannt), aber vielleicht kommt ja noch ein Film, der Eigenheiten der US-Ökoszene auf die Leinwand bringt – der Film würde sicher hier spielen. Die sind echt viel strenger als die deutschen Ökos, aber auch stylischer, irgendwie. Und unentspannter. Als müssten sie die Nachhaltigkeitsdefizite der ganzen Geschichte ihres Landes jetzt im Hauruckverfahren wieder gut machen.

Am meisten hat mich Brighton Beach gefreut. Ein toller Strand direkt in der Stadt. Vergesst Barcelonavergleiche, viel näher und viel besser. Hier kommen vor allem die unteren Schichten her und das sind in diesem Teil von Brooklyn, nämlich Cony Island, vor allem Russen. Wer das echte New York kennen lernen und dabei schwimmen und etwas braun werden will, der sollte hier her kommen. Und obwohl man überall draußen kein Bier trinken darf, verkaufen hier herumlaufende Händler Corona direkt vor Ort und es scheint keinen zu stören. Ein rechtsfreier Raum! Harry aus „Requiem for a Dream“ trug etwas weiter östlich den Fernseher seiner Mutter zum Pfandleiher – für das Heroin. Wir wissen ja wie das endete. Wir haben dagegen unsere Strandtage immer mit einem Teller Stroganoff beendet, was man hier günstig überall bekommt. Da hatte ich aber auch mal Bauchschmerzen nach.

Wenn man mich aber fragt, was das tollste an New York ist, dann, dass diese Stadt tatsächlich niemanden gehört. Nicht mal eine Bevölkerungsgruppe owned hier etwas. Hier ist nämlich jeder eine Minderheit. Wenn man in der Ubahn sitzt, dann ist man als weißer Europäischstämminger in der Minderheit. Um einen herum gibt es alle Hautfarben der Welt und viele unterschiedliche Sprachen. Und doch kann man keinen Nachmittag durch Manhattan laufen, ohne drei mal im Vorbeigehen deutsche Wortfetzen aufzuschnappen. Man sollte sich hüten nicht über Anwesende in irgendeiner Sprache – sei sie auch noch so exotisch – zu lästern.

Edward Norton jedenfalls befand sich in der sicheren Intimität seines Badezimmers, als er im Film „25th hour“ vor dem Spiegel stand und mit einem herzhaften „Fuck you!“ beginnt, bevor er anfängt jede signifkant sichtbare Bevölkerungsgruppe in New York einzeln zu beschimpfen. Alle bekommen sie ihr Fett weg: Pakistani, Coreaner, Italiener, Juden, Chinesen, Iren, Schwarze, geliftete Upperclass-Omas, Investment Banker, Jesus himselft und viele mehr. Und doch merkt man in dieser postrassistischen Entgleisung des Films instinktiv, dass es sich eigentlich um eine Liebeserklärung handelt. An diese Stadt, die „unownbar“ ist, weil sie so vielfältig ist, so ethnisch durchmischt, so international. Sie gehört nicht mal richtig zu Amerika (sagen jedenfalls die Amerikaner selbst) und sie gehört auch ihren Einwohnern nicht. Es ist völlig unmöglich einen eigenen, unverstellten Blick auf diese Stadt zu werfen, denn sie ist in uns allen bereits lebendig, bevor wir sie das erste mal betreten und sie referenziert sich dann hunderttausendmal selbst und wenn man in ihr herumläuft, dann ist man im Film, dem einen oder anderen. New York ist die einzige Weltstadt, tausend mal gespiegelt etliche Male zerstört. Aber das wisst ihr ja alle.

2 Gedanken zu „Stijlroyal: New York ownen

  1. Pingback: Lesens- und Sehenswertes: New York » Schafott

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