Keine Frage: Der Anraunzer von der Seite, den die Verlage kürzlich ihren werbeblockenden Lesern entgegenbrachten war peinlich, wahrscheinlich sogar kontraproduktiv.
Werbebblocker sind eine der reinsten Ausformungen dessen, was ich mal Filtersouveränität genannt habe und zu dessen allgemeiner Nützlichkeit ich mich nach wie vor bekenne. Jedoch gibt es einen Aspekt in der Diskussion, der mich auf Seiten der Netzgemeinde etwas verstört. Und das ist der Ruf nach der Abkehr vom Werbegeschäftsmodell für Verlage und für Dienste im Allgemeinen.
„Wenn Du nicht für das Produkt bezahlst, bist du das Produkt„, ist einer dieser vielzitierten Sprüche, die weismachen sollen, wie furchtbar böse Werbung als Geschäftsmodell doch ist. Und klar, der aufgeklärte Bürger will kein Produkt sein, wo kämen wir denn da hin? Und so wird in der FAZ für App.net geschwärmt, weil es einen eben nicht zum Produkt macht und wird mit dem Hashtag #ichwillzahlen Kampagne für Bezahlinhalte im Internet gemacht.
Werbung ist nervig, für Werbung werden Daten gesammelt, Werber sind sowieso doof und überhaupt ist Werbung mindestens eine der schlimmsten Ausformungen des Kapitalismus. Einself.
Was dabei aber keiner bedenkt: Werbung ist sozial. Ich habe nicht viel Geld. Meinen App.net Account habe ich damals gespendet bekommen, sonst hätte ich ihn mir nicht leisten können. Und wenn die Geschäftsmodelle der Verlage auf einen Schlag auf Bezahlung umgestellt würden, wäre ich von Informationen ausgeschlossen. Und eben nicht nur ich. Es gibt in diesem Land Millionen Menschen, die noch weniger haben als ich. Ich halte den Ruf nach Bezahlmodellen für eine Lobbybewegung der monetär Privilegierten und unsolidarisch gegenüber denen, die dann aus dem gesellschaftlichen Diskurs einfach ausgeschlossen würden.
Es lohnt sich, sich die Struktur des Werbemarktes vor Augen zu führen: Es ist richtig: in der Werbung sind wir das Produkt: jedenfalls unsere Aufmerksamkeit und zunehmend auch unsere Daten sind es. Mithilfe der gesammelten Daten kann man nämlich die Erfolgsaussichten unserer Aufmerksamkeit erhöhen, indem man uns zu uns passende Produkte bewirbt. Das nennt man Targeting.
Nun sind die Daten und die Aufmerksamkeit des Einzelnen eben nicht gleich viel wert. Meine Aufmerksamkeit und meine Daten sind beispielsweise wesentlich weniger wert, als die von jemandem mit festem und hohem Einkommen. Denn das, was erreicht werden soll ist schließlich, dass der Empfänger der Werbung sein Geld für die beworbenen Produkte ausgibt. Je mehr Geld er hat, desto mehr wert ist seine Aufmerksamkeit. Daraus folgt: die Daten und die Aufmerksamkeit der Besserverdienenden quersubventionieren zu einem nicht unwesentlichen teil meinen Medienkonsum. Und den von vielen anderen Leuten mit wenig Geld. Ich finde das gut.
Auf globaler Ebene ist es sogar noch krasser: Facebook, Twitter und Google sind für alle Menschen auf der Welt für den selben Tarif zu haben: Aufmerksamkeit und Daten. Bedenkt man, dass der Preis für die Daten und die Aufmerksamkeit aufgrund der vielfach höheren Kaufkraft in der „westlichen Welt“ ebenfalls um ein vielfaches höher ist, ergibt sich eine globale Umverteilung. In Schwellenländern wie Ägypten und Peru kann man all diese Dienste nur deswegen unentgeltlich (und das heißt hier meistens: überhaupt) nutzen, weil sie mithilfe der Daten und der Aufmerksamkeit aus den Industrienationen finanziert werden.
Wer eine Abkehr der Internet- und Contentwirtschaft von den Werbegeschäftsmodellen fordert, sollte sich darüber bewusst sein, dass er damit diese globale wie lokale Umverteilung von Reich nach Arm stoppen würde und so vielen Leuten, die es sich sonst nicht leisten könnten, den Zugang zu Diensten und Informationen abschneiden würde. Ich halte diese Position für extrem selbstgerecht und unsolidarisch. Aber vermutlich ist es einfach nur die übliche Privilegienblindheit.