Krasse Links No 15.

Willkommen bei Krasse Links No 15. Stellt Eure Phaser auf Betäubung, wir müssen über Star Wars reden.



Apple hat zum Start seines neuen iPad-pro einen Werbespot veröffentlicht, in dem sie eine Menge Musikinstrumente und Kreativtools in einer riesigen Presse zu dem neuen iPad schmieden und die Reaktionen sind so aufgebracht, dass Apple sich entschuldigen musste.

Ich finde das deswegen interessant, weil ich glaube, dass der Spot vor zwei Jahren nickend durchgegangen wäre, denn eigentlich bringt er nur die altbekannte Selbsterzählung des Silicon Valley auf den Punkt: Wir disruptieren etablierte Praktiken, Tools und Institutionen, indem wir eine komprimiertere, kompaktere, zugänglichere Version davon anbieten. Das ist das Bild, das Apple von sich in seinem popkulturell ikonischen Werbespot von 1984 entwarf, und damit die Semantiken des rebellischen Selbstentwurfs lieferte, die von großen Teilen des Valleys adaptiert wurden.

Apple scheint aber gar nicht bemerkt zu haben, wie schal diese Selbstzählung heute wirkt und war daher blind für die offensichtliche Möglichkeit, dass sich viele Menschen – und ganz besonders Kreative seit dem Aufkommen von generativer KI – mit den zerquetschten Intrumenten in der Presse identifizieren würden. Man kann nicht besser auf den Punkt bringen, wie out of touch Silicon Valley mittlerweile ist.


Mike Pounds bespricht in einem neuen Video die Grenzen der Skalierbarkeit von aktuellen KI Ansätzen. Grundlage ist dieses Paper, das durch experimentelle Datenerhebung zeigt, dass die Performance von derzeitigen KI-Ansätzen bei zunehmenden Datenmengen abflacht, sich also asymptotisch verhält. Mit anderen Worten: Der Ansatz skaliert ab einem bestimmten Punkt nicht mehr.

Ich hatte ja auch schon die These aufgestellt, dass LLMs auf einem Sattelpunkt angekommen sind und auch Gary Marcus sieht das so. Es wird spannend sein zu sehen, was passiert, wenn alle aus ihren AGI-Träumen aufwachen und die hunderte von Milliarden Dollar Investitionen in Rechenzentren irgendwie abgeschrieben werden müssen, während KI immer noch für kaum etwas gut genug ist.


Der Deal, den Star Trek in seiner Zukunftserzählung unterbreitet, ist ja, dass wir unglaublich geilen und mächtigen technologischen Shit haben werden, aber im Gegenzug – weil große Macht auch große Verantwortung bedeutet (großes Spidyehrenwort!) – auch eine viel krassere Ethik. Wir sind klüger, reifer, weiser, abgewogener, weniger rassistisch, mit besseren Institutionen und höheren Idealen.

Und ich glaube, diese Grunderzählung war zumindest für die technooptimistischeren Menschen wie mich immer auch eine plausible Schneise der Erwartung, in die man sich selbst, das Silicon Valley, den Westen und schließlich die ganze Welt in eine positive Zukunft hinein-imaginieren konnte. Ich finde diese Erzählung immer noch ganz hübsch, aber auch etwas … cringe?

Ethik skaliert halt nur, wenn man sie als Suchbewegung nach einer unendlich optimierbaren Formel für Gerechtigkeit konzeptionalisiert. Wenn man sie dagegen nach Haraway als echte Verantwortungsübernahme denkt, wird Ethik eine asymptotische Funktion mit deminishing Returns, deren Horizont durch den Menschen limitiert bleibt.

Mir kam es schon immer komisch vor, dass der Captain der Enterprise ständig alle Probleme selber löst und mit jedem Alien in der Galaxis persönlich redet. Umgekehrt frage ich mich, wo ich als eines von dröfzigtrilliarden Aliens, das im von der Föderation kontrollierten Bereich der Galaxie lebt, bei der Sternenflotte anrufen kann, wenn ich ein konkretes Problem habe? Geht da eine Hotline ran? Sitzt da dann ein Mensch dran? Hat der ein Verständnis für meine Bedürfnisse? Hat er überhaupt eine Sprache, in der ich meine Probleme formulieren kann? Und kann ich auch etwas in der Sternenflotte bewegen? Ist also jemand verantwortlich, im dem Sinne, dass er oder sie Antworten kann, nicht wie ein Chatbot, sondern als jemand, der oder die im Zweifel bereit und fähig ist, sich selbst zu verändern oder gar die Sternenflotte oder die Föderation?

Ich würde gerne sagen, dass ich wegen solchen Widersprüchen lieber Star Wars geguckt habe, aber die Wahrheit ist wohl eher, dass ich einfach mehr auf Laserschwerter stehe? Doch je lauter um mich herum unsere super fortschrittlichen, westlichen Werte kollabieren, desto plausibler wird mir die Star Wars-Zukunftsvision und desto mehr fühle ich mich bereits als Bewohner des Galactic Empire, statt der Föderation.

Jedenfalls. Wenn ihr wie ich fast alle aktuellen Star Wars Serien todlangweilig findet, dann schaut Euch trotzdem Andor an. Andor erzählt gewissermaßen die Anfänge der Rebellion, als sich der Widerstand formt und wo normale Menschen plötzlich in Situationen kommen, in denen sie feststellen, dass „Sich wehren“ die einzige Option ist. Die Serie befasst sich sehr intensiv mit den sozialen Dynamiken des Widerstands, aber auch mit hintergründigen, strategischen Überlegungen, dazu Überlegungen zur Rolle von Technik, von Solidarität und Freundschaft, von Aufopferung, Moral und Gewalt. Rebellion ist der Versuch, das Imperium zum Antworten zu zwingen.

Aber auch das Empire ist so plausibel und plastisch in Szene gesetzt, wie ich es noch nie gesehen habe. Wie dort Menschen auf allen Ebenen des Apparats einfach ihren Job machen und sich dabei einreden, das Richtige zu tun. Wie die Spitze durch Kämpfe, Intrigen und Ränkespiele bestimmt wird und das Empire auch intern immer Opfer produziert, dazu Karrieristen und sich stapelnde Widersprüche.

Aber das Wichtigste, was wir lernen ist, dass die entscheidende Schwachstelle des Empire nicht ein ungesicherter Lüftungsschacht am Todesstern ist, sondern seine eigene, bräsige Arroganz und seine Verachtung, mit der es auf die von ihm Beherrschten schaut.

Andor gibt es natürlich auf Disney Plus, aber hier verlinke ich vor allem auf diesen großartigen Video-Essay von Just Write „Andor: Anti-f*scist Art“


Der Guardian berichtet über das Ende des „Future of Humanity“ Institut in Oxford, das von dem Gründungsphilosophen der Longtermist-Bewegung Nick Bostrom geführt wurde und versammelt noch mal die vielen Probleme dieser Ideologie. Schon die Effective Altruists verschrieben sich ganz der Skalierbarmachung von Ethik, indem sie rationale Kriterien und Infrastrukturen schaffen, mit dem jeder per Knopfdruck Gutes tun kann. Der Longtermism nimmt diesen Impuls auf und skaliert die Ethik noch darüber hinaus, indem er die Probleme skaliert, mit denen er sich befasst: Astereoideneinschläge, außer Kontrolle geratene KI, das geistige Degenerieren der Weltbevölkerung … äh, ja, genau, richtig gehört. Gaanz wichtiges Thema auf Nick Bostroms Agenda:

“Currently it seems that there is a negative correlation in some places between intellectual achievement and fertility. If such selection were to operate over a long period of time, we might evolve into a less brainy but more fertile species, homo philoprogenitus (‘lover of many offspring’).”

Das ist natürlich rassistischer und im Grunde auch antifemistischer Bullshit, wenn man bedenkt, dass ein Geburtenrückgang an bestimmten sozialdemographischen Faktoren geknüpft ist, wie Bildung bei Frauen und ein gewisses Wohlstandsniveau. Die dahinterstehende Ideologie führt direkt in die Eugenetik und zum Projekt einer biopolitisch gezüchtete Intelligenz, die dann aber sicher auch zu einer noch viel höher skalierten Herrenrassenethik fähig sein wird?


Balaji Srinivasan ist ein gut vernetzter Tech-Bro der außerordentlich tief in das im Silicon Valley vorherrschende Coolaid-Glas geschaut hat. Er hat ein Buch darüber geschrieben, dass die Tech-Oligarchen einen neuen Staat bauen sollen (The Network State), was im Valley in in dessen erweiterten kulturellem Kosmos ziemlich abgefeiert wird, und wenn er Laune hat, sagt er Dinge wie:

“What I’m really calling for is something like tech Zionism,” he said, after comparing his movement to those started by the biblical Abraham, Jesus Christ, Joseph Smith (founder of Mormonism), Theodor Herzl (“spiritual father” of the state of Israel), and Lee Kuan Yew (former authoritarian ruler of Singapore). Balaji then revealed his shocking ideas for a tech-governed city where citizens loyal to tech companies would form a new political tribe clad in gray t-shirts. “And if you see another Gray on the street … you do the nod,” he said, during a four-hour talk on the Moment of Zen podcast. “You’re a fellow Gray.”

Aber wo wir gerade bei Serientipps waren, hier etwas Aktuelles, wovon ihr aber wahrscheinlich eh schon gehört habt: Fallout (Amazon) spielt wie das Computerspiel in einer parallelen Realität des 21, 22. und 23. Jahrhunderts, in dem der kalte Krieg nicht so kalt geblieben ist, wie bei uns. Die Erdoberfläche ist radioaktiv verseucht und die Zivilisation weitgehend kollabiert und unterschiedliche Gruppen verfolgen unterschiedliche Überlebensstrategien. Manche leben seit Generationen in Star Trek ähnlichen Bunkersystemen und Sozialstrukturen unter Tage, andere versuchen als militaristische Organisation alle anderen zu unterwerfen, wieder andere sind in der Rebellion, aber die meisten Menschen versuchen einfach nur in den Ruinen und fernab des Gesetzes so gut wie möglich zu überleben. Die Handlung ist kurzweilig, die Gewalt ist absurd splatterig, der Humor ist Dirk Gently-artig und es gibt viele vollkommen absurde aber auch interessante Plottwists und natürlich erfahren wir erst zum Schluss, wie diese Welt letztlich zu Stande gekommen ist.

Ich will nicht spoilern, aber die Serie hat eine ziemliche auf-die-12 Botschaft, die ich vor noch fünf Jahren gar nicht so ernst genommen hätte, weil zu absurd und comic-haft. Aber in einer Zeit, wo halb Silicon Valley mit einer ähnlichen Energie über Gesellschafts- und Bevölkerungsplanung nachdenkt, fühlt sich die enthaltene Gesellschaftskritik plötzlich ziemlich relevant an?


Trotz meines generellen Interesses für Kultur halte ich mich nicht für einen „Kulturmenschen“ und fühle mich im deutschen Feuilleton eigentlich nicht sehr zuhause. Ich schätze, das ist ein Teil der Erklärung, warum ich die vielen Antisemitismusdiskussionen, die es in den letzten Jahren gab, immer nur aus den Augenwinkeln beobachtet habe. Sei es die Ausladung von Achille Mbembe, die Diskussionen um angeblichen Antisemitismusskandal bei der Bienale, die Ausladung von Nancy Fraser und im Dezember letzten Jahres die versuchte Cancellation der Verleihung des Hannah Arendt-Preises an Masha Gessen.

Letzterer Fall ist deswegen besonders interessant, weil der Anlass Gessens außerordentlich lesenswerter Essay im NewYorker war, In the Shadow of the Holocaust, in dem sie diese deutsche Cancelpolitik detailliert auseinandernimmt und den Deutschen Institutionen vorwirft, den Holocaust politisch zu instrumentalisieren. Den Essay sollte wirklich jeder gelesen haben.

There are now dozens of antisemitism commissioners throughout Germany. They have no single job description or legal framework for their work, but much of it appears to consist of publicly shaming those they see as antisemitic, often for “de-singularizing the Holocaust” or for criticizing Israel. Hardly any of these commissioners are Jewish. Indeed, the proportion of Jews among their targets is certainly higher. These have included the German-Israeli sociologist Moshe Zuckermann, who was targeted for supporting the B.D.S. movement, as was the South African Jewish photographer Adam Broomberg.
[…]
The B.D.S. movement, which is inspired by the boycott movement against South African apartheid, seeks to use economic pressure to secure equal rights for Palestinians in Israel, end the occupation, and promote the return of Palestinian refugees. Many people find the B.D.S. movement problematic because it does not affirm the right of the Israeli state to exist—and, indeed, some B.D.S. supporters envision a total undoing of the Zionist project. Still, one could argue that associating a nonviolent boycott movement, whose supporters have explicitly positioned it as an alternative to armed struggle, with the Holocaust is the very definition of Holocaust relativism. But, according to the logic of German memory policy, because B.D.S. is directed against Jews—although many of the movement’s supporters are also Jewish—it is antisemitic. One could also argue that the inherent conflation of Jews with the state of Israel is antisemitic, even that it meets the I.H.R.A. definition of antisemitism. And, given the AfD’s involvement and the pattern of the resolution being used largely against Jews and people of color, one might think that this argument would gain traction. One would be wrong.

Meine persönliche Haltung zu B.D.S. ist: sowas unterstützt man nicht als Deutscher. „Kauf nicht bei Juden“ ist semantisch einfach zu nah dran. Aber grundsätzlich finde ich eine solche Protestform hart aber legitim? Außerdem denke ich, dass, wenn man den Palästinensern ihre Demos, ihre Konferenzen, ihre Parolen und auch noch ihren Boykott – also jede legale Ausdrucksform delegitimiert, könnte das auch nach hinten losgehen?

Trotzdem habe ich mir 2019 erlaubt, die Ächtung mit einem gewissen Schulterzucken zu begleiten. Wie gesagt: ich habe das Thema bisher eher aus den Augenwinkeln verfolgt und es kam mir etwas sinnlos vor, mich da tiefer mit zu beschäftigen. Es ist alles immer so furchtbar kompliziert, die Positionen sind so verfahren und irgendwie wird schon auch was dran sein, an den Vorwürfen? Zudem habe ich mir erlaubt, wegzuhören, wenn Menschen „Cancel-Culture“ rufen oder die Meinungsfreiheit bedroht sehen, einfach weil so viele rechte Spinner die letzten Jahre nicht damit klar kamen, für ihren Bullshit outgecalled zu werden.

Was mir dabei entging, war, dass durch die offizielle Adelung des entgrenzten Antisemitismusbegriffs eine Struktur entstand, die die staatlichen Kulturförderungsprogramme als Hebel nutzt, um in tief in die Kultur hinein zu regieren und so das heutige Klima der Verdächtigung und der Angst etablierte, das sich inzwischen auf die gesamte öffentliche Sphäre ausgedehnt hat.

Part of what has made the resolution peculiarly powerful is the German state’s customary generosity: almost all museums, exhibits, conferences, festivals, and other cultural events receive funding from the federal, state, or local government. “It has created a McCarthyist environment,” Candice Breitz, the artist, told me. “Whenever we want to invite someone, they”—meaning whatever government agency may be funding an event—“Google their name with ‘B.D.S.,’ ‘Israel,’ ‘apartheid.’ ”

Ich betone, dass es sich hier nicht um eine Verschwörung handelt. Ich denke, die Akteure agieren größtenteils unkoordiniert und aus Überzeugung, das Richtige zu tun. Der entgrenzte Antisemitismusbegriff ist eine semantische Verschiebung, die viele bereitwillig mitgegangen sind und die Erwartungsstrukturen haben sich bereits gesellschaftsweit angepasst.

Das macht sie aber nicht richtig, denn diese Verschiebung nimmt gerade den Palästinensern ihre Grundrechte. Sie macht sie zu einer politisch verfolgten Minderheit in diesem Land und jeder, der darauf aufmerksam macht, droht ebenfalls mit unter die Räder zu kommen.


Um kurz die Geschichte von Masha Gessens Hannah Arendt-Preis zusammenzufassen: Nachdem der NewYorker-Artikel herauskam, gab es einen Aufschrei, weil Gessen darin auch die Lage der Menschen in Gaza mit den Juden im Warschauer Ghetto in Beziehung setzt. Daran kann man sicher Anstoß nehmen, ich würde jetzt aber auch nicht ausschließen, dass die im Artikel so klar umrissene Struktur sich etwas angefasst fühlte?

Jedenfalls zogen sich sowohl die Heinrich Böll-Stiftung, als auch die Stadt Bremen aus der Preisverleihung zurück, was eine himmelschreiende Absurdität ist, wenn man sich auch nur mal fünf Minuten mit Hannah Arendt beschäftigt hat. Ich persönlich kenne wenige Denker*innen, die so unerschrocken und unagepasst ihre Gedanken formuliert haben, wie Arendt und auch wenn sie heute als unantastbare Säulenheilige herumgereicht wird, befand sie sich zu ihrer Zeit recht regelmäßig im Auge des ein oder anderen Shitstorms. Im heutigen Klima würde man Arendt wahrscheinlich die Einreise nach Deutschland verwehren, wie Masha Gessen ebenfalls in ihrem Essay andeutet:

In 1948, Hannah Arendt wrote an open letter that began, “Among the most disturbing political phenomena of our times is the emergence in the newly created state of Israel of the ‘Freedom Party’ (Tnuat Haherut), a political party closely akin in its organization, methods, political philosophy, and social appeal to the Nazi and Fascist parties.” Just three years after the Holocaust, Arendt was comparing a Jewish Israeli party to the Nazi Party, an act that today would be a clear violation of the I.H.R.A.’s definition of antisemitism.

Dementsprechend fand in der Kulturszene endlich ein angemessener Aufschrei statt, der die Organisator*innen dazu zwang, die Preisverleihung dennoch auszurichten und so fand sie schließlich in einem Privathaus statt, wo nur 50 Gäste zugegen sein durften. Gessen nahm trotz dieses demütigenden Theaters die Reise aus den USA auf sich, um, wie sie sagt, dann doch noch eine Debatte zu ermöglichen und die Böllstiftung gab dem statt, aber in einer gesonderten Veranstaltung in Berlin. Hier das Video, einmal mit englischer und mit deutscher Synchro.

Vor allem Gessens Redeteile sind relevant, aber auch Böll-Vorstand Jan Phillip Albrecht hat seinen Moment, wenn er Masha Gessen versucht weiß zu machen, dass wir in Deutschland überhaupt kein Problem mit Meinungsfreiheit hätten, schließlich stehe Meinungsfreiheit ja im Grundgesetzt und außerdem sitze man ja gerade zusammen und rede, womit er sie zwang, die ganze demütigende Behandlung noch mal für alle zu rekapitulieren, um klarzustellen, dass, nur weil der Versuch, sie zum Schweigen zu bringen scheiterte, es ja trotzdem ein Versuch bleibt?

Neulich auf einer Mastodon-Diskussion wurde jemand, der grundsätzlich den Krieg Israels verteidigt, gefragt, ob ihn denn das krasse Leid und die vielen Toten in Gaza nicht zu Herzen gingen und er entgegnete in etwa: doch doch, das kritisiere er auch. Das kritisiere ja auch die Bundesregierung.

Mich erschrak der Kommentar, aber ich musste erst drüber nachdenken warum. Zunächst ist es natürlich diese kalte Sachlichkeit, doch im nächsten Schritt kommt man drauf, dass sich diese Kälte im zweiten Satz erklärt: Sein Denken scheint beim Beantworten dieser Frage offenbar nicht, wie man es erwarten würde, in das eigene Empathiezentrum gesprungen zu sein, sondern … zur Bundesregierung?

Ich will das gar nicht zu sehr skandalisieren, denn ich glaube, wir alle funktionieren so. Wir können nicht jeden Tag über jede ethische oder politische Frage im Detail selbst nachdenken (da kommt man in teufels Küche kann ich euch sagen!), deswegen outsourcen wir eine ganze Menge Moral an allerlei Erlaubnisstrukturen, die uns ermöglichen, halbautomasiert Positionen zu schwierigen Fragen zu triangulieren. Und auch ganz normal scheint es mir, sich dabei am Urteil von Autoritäten zu orientieren, denn Autoritäten sind schließlich selten umsonst Autoritäten, sie sind gewählt, oder verfügen über ein besseres Wissen oder beides.

Doch eine solche Antwort bleibt halt eine Nicht-Antwort, denn der Bypass über die externen Erlaubnisstrukturen panzert davor, sich erschüttern zu lassen.

Ziemlich kurz vor Schluss der Diskussion meldete sich Hartmut Bäumer zu Wort, der viele Jahre selbst im Aufsichtsrat der Heinrich Böll-Stiftung tätig war und sagte, dass er sich in all der Zeit noch nie so für diese Stiftung geschämt habe,

„eine Organisation die für Menschenrechte und Meinungsfreiheit steht. Jan, was Du eben über Meinungsfreiheit gesagt hast, das zieht mir den Boden unter den Füßen weg. Die fängt bei jedem einzelnen an und auch bei einer Organisation wie der Böllstiftung. Du kannst dich nicht auf den Staat berufen, und sagen, wir haben Meinungsfreiheit. Die stirbt hier! Und die stirbt dort, wo Gesellschaften nicht mehr dafür eintreten.“

Ich kenne Jan Phillip Albrecht seit vielen Jahren persönlich und weiß, dass er ein lieber Kerl ist, der sicher glaubt, das Richtige zu tun und gerade deswegen bin ich mittlerweile davon überzeugt, dass Star Wars schlicht erzählt, was früher oder später auch aus der Vereinigten Föderation der Planeten geworden wäre.


Und dann war da noch dieses merkwürdige Interview mit Jack Dorsey. Er preist seine Idee einer zensurresistenten Twitter-Infrastruktur an, sieht sie aber nicht in Bluesky, aber Nostr erfüllt. Außerdem verteidigt er Musk und X und kommt auf die komische Idee, dass Musk der Redefreiheit irgendwie zuträglich wäre, obwohl er im selben Interview erklärt, wie dem nicht so ist:

Yeah. Elon has taken a different tack. Our principle was around free speech on the internet as a general rule, and that we would fight governments on that. His is free speech as determined by local law, and that means if India says you have to take these accounts down, you have to take those accounts down, because they’re against the law.

Noch interessanter finde ich, wie Jack hier den Tech-Rebellen gibt, der es dem Corporate Internet mit dezentralen Crypto-Protokollen zeigen will. Man braucht nicht ins technische Detail zu gehen, um zu erklären, dass dieser ganze techno-libertäre Ansatz der Versuch ist, das Problem der Unskalierbarkeit von Verantwortung zu adressieren, indem man die Möglichkeit der Verantwortungsübernahme technisch aus der Gleichung streicht. Kein Anschluss unter dieser Nummer, aber als Feature.

Es gibt zwei Arten von Sith-Lords: diejenigen, die sich für Sternenflottenoffiziere halten (Tim Cook, Mark Zuckerberg, Sundar Pichai und Satya Nadella) und diejenigen, die sich als Teil der Rebellion inszenieren (Elon Musk, Peter Thiel, Marc Andreeson und Jack Dorsey). Zwischen ihnen gibt es machmal Showkämpfe, aber an Deiner Rebellenbasis werden sie früher oder später zusammen anklopfen.

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