Krasse Links No 23.

Willkommen bei Krasse Links No. 23. Setzt eure Preise fest, heute versenken wir die Öffentlichkeit im Trommelfeuer des Marktes.


Vivian Jenna Wilson ist Elon Musks Trans-Tochter und nachdem er sie in einem Interview mit dem rechtsradikalen Pseudointellektuellen Jordan Peterson als den Hauptgrund für seine faschistische Wende benannt hatte und dabei offenbar allerlei Quatsch über sie verbreitete, fühlte sie sich gezwungen, in einem Thread zu antworten und das Ergebnis ist eine Verbrennung dritten Grades für Musk.

This entire thing is completely made up and there’s a reason for this. He doesn’t know what I was like as a child because he quite simply wasn’t there, and in the little time that he was I was relentlessly harassed for my femininity and queerness. Obviously he can’t say that, so I’ve been reduced to a happy little stereotype f*g-ing along to use at his discretion. I think that says alot about how he views queer people and children in general.

Es ist wahrscheinlich das erste Ereignis überhaupt, das aus Threads heraus in die weltweite Medienwelt diffundierte. Wenn ihr nach Anhaltspunkten sucht, dass Threads gegenüber X an Relevanz gewinnt, dann ignoriert die Nutzenden-Zahlen. Das hier der erste Hinweis.


Mich hatte das Trumpattentat und die daraus hervorgegangene Ikonographie kalt erwischt und ich war nicht der einzige. Axios zitierte einen ranghohen Demokraten, wie die Wahlkampfbemühungen unter einem enormen Motivationsverlust litten, seit Trump nach dem Attentat so gut wie unstoppbar erschien.

Jacob Birken nahm die Ingefangennahme der Öffentlichkeit durch das Bild zum Anlass, einen lesenswerten Essay in 54Books über die „wilde Ikonologie“ (Roland Meyer) zu veröffentlichen, in die wir uns alle haben treiben lassen.

Pragmatisch betrachtet wird der ‚ikonische‘ Status dieses Fotos nur dadurch belegt, dass es in der diesen Status behauptenden Presse immer wieder abgedruckt wird. Zynisch betrachtet handelt es sich um eine Machtdemonstration der Medien, gewissermaßen autopoietisch ein Ereignis zu schaffen, hinter das selbst das reale Attentat zurücktreten muss.

Bilder erhalten erst in der Auslegung ihre Bedeutung, weswegen die bildverliebte Journalistenschaft das Ereignis selbst schafft, über das sie berichtet. Birken macht sich aber auch die Mühe, die instrumentalisierbare Wirkung von Ikonographie zu erklären:

Der englische Schriftsteller Geoff Dyer fragt im New Statesman zurecht danach, wann die Bilder vom Attentat auf Trump zu entstehen begannen, wenn ihre Bedeutung durch den Nachhall Jahrzehnte oder Jahrhunderte ältere Bilder erzeugt wird. Diese Verdichtung von Vergangenheit und Zukunft ist strategisch. Indem Reichelt Vuccis Foto als ‚ikonisch‘ in die Reihe anderer US-amerikanischer, heroischer Flaggenbilder stellt, spekuliert er in mehrerlei Hinsicht auf die Wirkung dieser Bilder – zum einen darauf, dass die früheren Bilder US-amerikanischer Unbeugsamkeit auch im neuen wiedererkannt werden, zum anderen darauf, dass letzteres selbst auf gleiche Weise relevant bleibt. Vor dem Hintergrund des Wahlkampfs zieht es seine Bedeutung nicht aus dem überlebten Attentat, sondern aus dem vorausgesagten Wahlsieg – den dieses Foto in diesem Sinne zugleich symbolisch bezeugen wie performativ einleiten soll.

Jedes Bild versucht in seiner Komposition bekannte und bereits mit Bedeutung aufgeladene Bildelemente aufzugreifen (die Geste der gereckten Faust vor dem Hintergrund der Flagge, etc.) und sich so in Traditionen einzuschreiben, deren Geschichten wir alle kennen.

Der Mechanismus geht so, dass, wenn wir den Pfad einer alten Geschichte mit dem neuen Ereignis verbinden, wir sie bis zum unumgänglichen Wahlsieg Donald Trumps zu Ende erzählen können. Das Bild im Kontext des Attentats machte das Heldennarrativ von Trump plötzlich für viele plausibel und selbst wenn man – wie ich – es nicht plausibel fand, wurde doch plausibel, warum es für andere plausibel wurde.

Narrative versprechen, die Entropie der Zukunft zu entstören, indem sie die Gegenwart entlang von populären Pfaden weitererzählen. Narrative sind wie Beats, sie ordnen die Zeit und sind dabei sozial ansteckend. Man lernt den Rhythmus, übt ihn ein und führt ihn fort.

Und deswegen halte ich das, was Birken über die Ikonographie schreibt, auf die Mechanismen des Wahlkampfs im Allgemeinen anwendbar. Jede der beiden Seiten versucht eine überzeugende Geschichte zu erzählen, die sich in bekannte Narrative und etablierte Semantiken einschreibt, alles, um uns Pfade zum Sieg plausibel zu machen.

Das Attentat und das Bild dazu war ein Paukenschlag, der perfekt in den Beat der Republikaner hineinpasste und zudem in eine awkwarde Stille auf demokratischer Seite reinplatzte.

Und wir haben das alles fast schon wieder vergessen, weil die Demokraten mit einem noch größeren Paukenschlag – dem Bidenverzicht und der Harris-Kandidatur – einen neuen Beat gesetzt haben.

In einem anderen Zusammenhang hatte ich bereit über die mediale und die „vernetzte Öffentlichkeit“ reflektiert, doch mir wird immer klarer, dass Öffentlichkeit immer vernetzt ist.

Stellen wir uns 1000 Trommelnde vor, jeder trommelt seinen eigenen Beat: Ein großes Krachkonzert. Jeder hört den Beat seiner jeweiligen Nachbar*innen und wird unwillkürlich versuchen, sich zu synchronisieren. Es bilden sich kleinere und größere Beat-Cluster, die einen gemeinsamen Rhythmus gefunden haben. Und nach noch etwas mehr Zeit wird sich ein hegemonialer Beat herauskristallisieren, also das, was Bruce Sterling das „Major Consensus Narrative“ nennt. Nebenher gibt es viele ähnliche, aber abweichende Rhythmen und einige echt schräge Töne; doch der Hauptbeat übertönt alles.

Das hat natürlich auch damit zu tun, dass die 1000 Trommeln unterschiedlich groß sind. Nur die wenigsten verfügen über die Möglichkeit eines Paukenschlags. Die meisten trommeln auf ihren Bongos den Rhythmus der Pauken nach oder versuchen, durch einen besonders originellen oder geschmeidigen Beat viral zu gehen. Doch unter dem Strich wird der „Major Consensus Beat“ in 8 von 10 Fällen durch diejenigen mit den großen Trommeln vorgegeben.


JD Vance bekommt Feuer von allen Seiten und der Höhepunkt war die heißdiskutierte Frage, ob er nun mit seiner Couch geschlafen hat oder nicht? Die Geschichte wird in dem Newsletter von Brooke Binkowski unterhaltsam erzählt:

Irgendein X-User setzte das Gerücht in die Welt, dass Vance in „Hillbilly Elegy“ davon erzählt, wie er Sex mit einer Couch hatte, indem er zwei Couchkissen zusammenschob … was sich – „Confirmation Bias“-sei dank – sofort viral verbreitete.

Soweit so lustig, aber der eigentliche Turningpoint begann, als Associated Press dieses Gerücht in einem Fact-Check Artikel aufgriff und als falsch deklarierte, was viele Internetnutzende dazu animierte, nach Beweisen zu fragen, dass JD Vance NICHT mit einer Couch geschlafen hat. Wer es nicht wiedererkennt: es ist Donald Trumps gegen Obama gerichtete „Birther Kampagne“ all over again, nur diesmal humorvoll von links.

Aber so wohltuend es sich anfühlt, wenn Rechte mit ihren eigenen medialen Strategien geschlagen werden, so bleibt doch der Eindruck hängen, dass die mediale Öffentlichkeit eine Vulnerability in der Größe eines Scheunentors hat.

Der Hack ist einfach: Man muss einfach immer weiter trommeln!


Im Zuge des Trump-Attentats und dem Biden-Verzicht wurden Stimmen laut, die die Unvermeidbarkeit von X beschrien und The Atlantics‘ Charlie Warzel trommelte den Beat:

It’s still a rat’s nest of reckless speculation, angry partisans, and toxicity, but it’s also alive in a way that’s hard to quantify. Joe Biden’s shocking performance at the presidential debate in late June set my timeline ablaze in a way it hadn’t been since 2021. When a gunman shot at Donald Trump eight days ago, the platform did what it does best, offering a mix of conspiracy theorizing, up-to-the-second hard-news reporting, and, perhaps most crucial, a notion of communal spectating (which, despite the awfulness, is genuinely addictive). The past three weeks have been extraordinarily chaotic, full of the kind of infighting, violence, and spectacle that X was built to help document and even fuel. All of that culminated this afternoon when Biden announced that he was withdrawing from the presidential race with a series of posts on the platform. X has always been in the doomscrolling business, and business is booming.

Casey Newton will nicht ganz einstimmen und widerspricht im Platformer Newsletter:

The only force that explains why X felt vibrant on Monday is inertia: most people (and political reporters more than most) have no interest in mastering a new platform and rebuilding their audience there, no matter how many indignities X and its owner subject them to. It’s the sunk-cost social network.

Die Ironie steckt nun darin, dass selbst wenn Newton recht hat, auch Warzel recht hat. Jeder Plattform-LockIn ist eine tautologische Geschichte: Man kann nicht weg, weil andere nicht wegkönnen, die (unter anderem) wegen einem selbst nicht wegkönnen. Politische Journalist*innen und Politiker*innen halten sich auf X gegenseitig als Geisel.


Dieuwertje Luitse legt eine, wie sie es nennt, „evolutionary platform technographydes KI marktes vor. Dafür hat sie etliche Firmen-Blogposts, Marketing-Material und sonstige öffentliche Unternehmenskommunikation der großen Cloudanbieter ausgewertet und kann so die über die Zeit gewachsenen Pfade nachzeichnen, über die die Tech-Riesen ihren Griff um das KI-Thema umschlossen haben.

The evolutionary technographic analysis of AWS, Microsoft Azure, and Google Cloud’s AI infrastructures and services demonstrates that these major cloud providers operationalise infrastructural power in three substantial and complementary ways. First, the consistent vertical integration of AI infrastructures and services that are operated across the multi-layered stack of cloud architectures (Iaas, PaaS, and AIaas) shows that cloud providers attempt to exercise infrastructural power over entire AI systems and application development pipelines. This includes data storage and processing to model production, training, evaluation, deployment, and the integration of systems for the production of specific applications.


The American Prospect hat eine ganze Ausgabe über den Preismeachnismus online. Die Frage, wie Preise wirklich entstehen ist vor allem seit der Inflation ein wieder breiter diskutiertes Thema. Der neoklassischen Schule nach, wo Angebot und Nachfrage den Preis bestimmen, werden Preise nicht „gesetzt“, sondern „entdeckt“ und wenn sie doch „gesetzt“ werden, dann hat ein böses Monopol seine Finger im Spiel.

Die Prospect-Artikel machen klar, dass Preissetzung zumindest heute etwas alltägliches ist und beschäftigen sich im Detail mit konkreten Strategien mächtiger Unternehmen, von Shrinkflation, Drip Pricing, Surge Pricing, Personalized Pricing bis Algorithmic Price-Fixing.

Today, everywhere consumers turn, whether they are shopping for groceries at the local Kroger or for plane tickets online, they are being gouged. Landlords are quietly utilizing new software to band together and raise rents. Uber has been accused of raising the price of rides when a customer’s phone battery is drained. Ticketmaster layers on additional fees as you move through the process of securing seats to your favorite artist’s upcoming show. Amazon’s secret pricing algorithm, code-named “Project Nessie,” was designed to identify products where it could raise prices, on the expectation that competitors would follow suit. Companies are forcing you into monthly subscriptions for a tube of toothpaste. Banks have crept up the price of credit, so customers who cannot afford price-gouging in their everyday transactions get a second round of price-gouging when they put purchases on credit. Expedia is using demographic and purchase history data to set hotel pricing for an audience of one: you.

Ich finde das alles sehr lesenswert und relevant, bleibe aber bei der „administered Price Theory“ von Frederick E. Lee, die sagt, dass alle Preise immer schon „gesetzt“ sind.

Hier die Grundlinien einer vernünftigen Preistheorie:

  1. Untergrenze des Preises für ein Gut sind immer die Reproduktionskosten, denn Unternehmen wollen als oberstes Ziel auch morgen noch existieren.
  2. Die Obergrenze des Preises ist durch die Betweenness-Zentralität des Anbieters innerhalb des Abhängigkeits-Netzwerkes bestimmt, also seine relative Macht seinen Kund*innen gegenüber, denn übersteigt der Preis die Möglichkeiten des Unternehmens, Schmerzen zu verursachen, finden die Kund*innen alternative Abhängigkeitspfade.
  3. Dazwischen spricht Lee von „Price Leadern“, also Unternehmen an dem sich Wettbewerber in ihrer Preisgestaltung orientieren. Und hier sind wir wieder bei den Drums.

„Märkte“ (wenn man sie überhaupt noch so nennen will) sind spezifische, netzwerklokale Anbieter-Öffentlichkeiten, die sich durch lokal dominante Price-Leader-Pauken koordinieren. Das eine Unternehmen bietet sein Produkt zu 30% günstiger an, weil es Marktanteile (Betweenness-Zentralität) wachsen lassen will. Ein anderes Unternehmen positioniert sich 30% über dem Marktführer, weil es das Premium-Segment bedient, etc.

Den Einfluss, den wir glauben als „Nachfrager“ zu haben, ist größtenteils eingebildet. Natürlich werden auch Wünsche in diesem Koordinations-Spiel berücksichtigt – solange sie in die eigene Strategie passen, denn, wie gesagt, Abhängigkeiten haben Breaking-Points – aber die grundsätzliche Marschrichtung wird wo anders festgelegt.

„Der Markt“, das sind ein paar hundert Oligarchenpauken, die der Gesellschaft den Beat vorgeben.


Matt Levine bespricht den Fall eines promminenten Short-Sellers (das ist, wenn man auf sinkende Kurse von Unternehmen wettet), Andrew Left, der jetzt von der SEC (die Börsenaufsicht) wegen „Marktmanipulation“ belangt wird. Left ist dadurch bekannt, medial aufsehenerregende Dossiers zu erstellen, die ein düsteres Bild von Unternehmen zeichnen und dann mit Short-Selling einen Reibach zu machen.

Ich will gar nicht groß auf die Details des Falles eingehen (obwohl lesenswert), denn das grundsätzliche Muster ist uns ja längt bekannt: Egal ob der Wert von Tesla, die Irren Meme-Stock Heinis, die ganze Crypto Blase und natürlich die endlose Kette an Pyramidensystemen, Multi Level Marketing Schemes, Kettenbriefe und die unzähligen Aktienhypes und Crashs verweisen immer auf einen einzigen Tatbestand:

Der „Wert“ von gehandelten „Assets“ wird durch Öffentlichkeitsmechanismen bestimmt.

Zentrale Handelsmärkte für Anlagegüter sind in Infrastruktur gegossene Ideologie. Anders als der Markt für bsw. Waschmaschinen sind Handelsplätze keine gewachsenen infrastrukturellen Gegebenheiten, sondern dem künstlich dem Idealbild des neoklassischen Marktes nachempfunden, alle Anbieter und alle Nachfrager kommen zusammen finden einen Preis. In der Theorie werden „Signale“ dadurch „verarbeitet“, dass sich alle Akteure gegenseitig versuchen „outzusmarten“, doch in der Praxis geht es meist darum, wer die größere Trommel hat.

Hier, wie ich glaube, dass der Aktienmarkt wirklich funktioniert: Unternehmen präsentieren sich der Öffentlichkeit als Projekte, die davon erzählen, wie sie ihre bereits vorweisbaren Infrastrukturen dazu leveragen werden, um noch mehr Abhängigkeiten zu schaffen oder zu konzentrieren. Mit anderen Worten: Am Aktienmarkt werden Geschichten gehandelt, also getrommelt.

Und natürlich gibt auch es hier die übermäßig großen Pauken, die den Beat vorgeben und eine wilde Schaar von kleinen bis mittelkleinen dazu improvisierenden Percussions. Wenn Goldman Sachs mit einem von den Erwartungen abweichenden Preis in ein Projekt reingeht, sortiert das die Karten neu und die Percussions passen ihren Beat an. Die Finanz-Oligarchie gibt mehr oder weniger die Shots vor, und alle anderen Wetten nur darauf, welche Geschichten sich ein paar ultrareiche Männer auf dem Golfplatz erzählen.

Insofern kann man das ganze Memestock-Gerede getrost beiseite legen, denn, turns out: Jede „Stock“ ist ein Memestock. It’s storys all the way down. Insofern ist an der Robinhood/Memestock-Selbsterzählung etwas dran: Die organisierten Kleinanleger-Trommler, die sich auf Reddit zusammengetan haben, mischten die Rich Mens Memes auf und schafften es, zumindest temporär, einen eigenen Beat zu setzen und durchzuhalten.

Doch im Gegensatz zu ihrer Selbsterzählung bilden sie damit keinen echten Wert ab, sondern legen offen, wie das System wirklich funktioniert.

Man muss nur immer weiter trommeln: Hodl, Hodl, Hodl, buy the dip! Und achtet auf den Beat, den Beat! Diamond Hands! FOMO! Und der Beat, der Beat, der Beat! Do your Own research! Einfach immer weiter trommeln, FUD! FUD! FUD! Don’t trust, verify! Im Trommeln liegt die Wahrheit, we all gonna make it!, etc.


Donald Trump sprach bei einer großen Bitcoinkonferenz in Nashville und die Crypto-Bros sind jetzt endgültig mit MAGA alignt.

Adam Tooze hatte im Vorfeld dieses Alignment unter die Lupe genommen:

At a deep level, crypto ideology shares some elements with the current Republican mood. It is a cocktail mixed of arcane tech, strange futurism, libertarianism, phobic attitudes towards the state and a dark view of human nature. It does not make for a good mix with American liberalism. You might say that it belongs in the broad church of “weird” that clusters around the Republican party today.

Trump versprach, dass im Falle seines Sieges nicht nur die Regulierung cryptofreundlicher werde, sondern auch, dass der Staat eine eigene „Cryptoreserve“ halten würde. Die US-Bundesbehörden sitzen derzeit auf ca. 210.000 Bitcoins und der Preis würde sofort crashen, wenn diese Bitcoins auf den Markt träfen. Gleichzeitig erhofft man sich, dass das Beispiel Schule macht und alle Staaten anfangen, Cryptoreserven zu bilden.

Es ist wirklich erstaunlich, wie die unterschiedlichen Strukturelemte unserer Gesellschaft hier ineinandergreifen, so dass man nicht mehr weiß, was noch mediale Öffentlichkeit, „Markt“ oder politische Macht ist. Hier verschmilzt alles in eins. Die Cryptobros trommeln sich den Preise hoch und die Politik gefügig, welche sie nun unter Einsatz von Steuergeldern von Milliardären zu Multimilliardären befördern soll.

Bei der Aussicht auf den Staat als Beute synchronisieren Faschisten und Tech-Oligarchen ihren Beat. Aber anders als Tooze meint, steckt ganz Silicon Valley mit drin. Man darf sich durch das angebliche „Rebellentum“ der Cryptoszene nicht täuschen lassen: das ist ein materiell-semantischer Komplex; tief über die Pauken der Venture Capital-Szene verbunden.


Die deutsch-albanische Philosophin Lea Ypi hat der taz ein lesenswertes Interview gegeben.

In Albanien und den postkommunistischen Ländern ging die Unterdrückung vom Staat und der Partei aus. Das war eine vertikale Art von Unfreiheit. Die wurde in den 1990er Jahren durch eine horizontale Unfreiheit ersetzt, denn im Neoliberalismus ist das Leben der Menschen strukturell stark eingeschränkt. Wenn man seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten kann, weil man keine Arbeit hat oder prekär beschäftigt ist, dann lebt man in keiner freien Welt.

Ich mag die Bild von vertikaler und horizontaler Freiheit lieber als die Rede von positiver und negativer Freiheit. Was der Kapitalismus tut, ist einem Freiheit (als Abwesenheit von direktem Zwang) zu geben, den man nur im engen Korridor seiner finanziellen und zeitlichen Möglichkeiten ausnutzen kann.

Ypi plädiert für für einen „moralischen Sozialismus“, der aus den realsozialistischen Experimenten des 20. Jahrhunderts gelernt hat, doch ihre Mutter hat sie damit nicht überzeugt:

Und sie denkt, dass die Fähigkeit zur moralischen Freiheit, von der ich spreche, nicht existiert, dass wir nicht dazu in der Lage sind, moralisch frei zu handeln, sondern immer einen Herrscher brauchen. Im Kapitalismus ist das der Markt. Das ist für sie in Ordnung.

Der Markt hat im Kapitalismus die semantische Funktion, die im Feudalismus Gott inne hatte. Er legitimiert die gesellschaftliche Ordnung. Du bist reich oder arm, weil der Markt das bestimmt hat. Der Markt ist die Theologie einer sich für meritokratisch haltenden Gesellschaft, die nicht merkt, wie sie zum Beat der Oligarchen tanzt.


Der Philosoph Rainer Forst hat in der Zeit einen lesenwerten Essay über die Krise der progressiven Politik geschrieben. Zunächst wirft er der gesellschaftlichen Linken vor, auf die Agenda der rechten reinzufallen, wenn sie versucht dem Unsicherheitsgefühl der Menschen mit eigenen Sicherheits-Agenden begegnen zu wollen. Am Ende kommt man dann im kleinsten gemeinsamen Nenner gegen Rechts zusammen: die Verteidigung der Demokratie. Aber das ist eine Sackgasse.

Der Fehler liegt aber in der Auffassung, dass die Ordnung, die nun gefährdet ist, genau die Demokratie ist, die angestrebt werden sollte. Wer so in vermeintlich progressiver Absicht denkt, reproduziert unversehens einen Status-quo-Bias, der sich die Frage verbaut, woran denn die Demokratie krankte, die diese autoritären Aggressionen erst hervorgebracht hat.

Wer die Demokratie verteidigen will, darf nicht ihren Status-Quo verteidigen. Stattdessen muss man die grundlegenden Gerechtigkeitsfragen stellen und neue, demokratische Antworten darauf finden. Erst dann überzeugt die Demokratie wieder.

Im gesellschaftlichen Leben hieße wirkliche, an der Gerechtigkeit sich orientierende Sicherheit, unter Gleichen „ohne Angst verschieden“ (Adorno) sein zu können, und es hieße auch, in einer Gesellschaft zu leben, die gerade dort zu einer wirklichen Verbesserung der Lebensverhältnisse führt, wo die Ressourcen knapp sind und knapper zu werden drohen. Dann ist nicht „soziale Sicherheit“ der erste Imperativ, sondern eine transformative Politik der Gerechtigkeit, der bewusst ist, dass es keinen guten Grund dafür gibt, dass sich das Vermögen der einen beständig anreichert, während das Auskommen der anderen immer schwieriger wird. Eine Gesellschaft, in der dies nicht strukturell verändert wird, begibt sich auf einen Pfad jenseits der Gerechtigkeit. Dann verfallen die Rechtfertigungsverfahren einer Demokratie und münden in den egoistischen Kampf. Diese Rechtfertigungsleere ist das Grundübel von Gesellschaften, die seit Dekaden Ungleichheitsverhältnisse zugelassen haben, die nicht hinzunehmen sind.

OK, hier eine Idee für demokratisches Projizieren:

Der Staat soll einen Investitionsfond aufsetzen – riesig! So eine Billion Euro pro Jahr – und alle Wahlberechtigten dürfen einen Anteil davon verwalten. Das Geld landet in gemeinnützigen Projekten, die sich um das Geld bewerben. Es ist wie ein Finanzmarkt, nur dass das eingesetzte Geld keine Rendite jagt, sondern Lebensqualität und eine bessere Welt für alle.