Wie Online-Plattformen unser Leben prägen und die Welt verändern – mit Michael Seemann – yeet-Podcast

Ich war im Yeet-Podcast der evangelischen Kirche zu Gast und wir haben über Plattformen im Allgemeinen und das Problem mit X im Besonderen gesprochenen. Und sogar über Religion?

Wie verändern die großen Online-Unternehmen unsere Welt und unsere Gesellschaften? In seinem Buch „Die Macht der Plattformen“ hat Michael Seemann 2022 diese Frage umfassend beantwortet. Im yeet-Podcast beschreibt er, was digitale Stämme sind, welchen Einfluss Online-Plattformen sowohl auf die Demokratie als auch auf den Kapitalismus haben – und wie sich die Plattformen gleichzeitig in einer Wechselwirkung mit diesen Systemen befinden, die unsere Welt in rasendem Tempo verändert. Zudem argumentiert er ausfüh

Quelle: Wie Online-Plattformen unser Leben prägen und die Welt verändern – mit Michael Seemann – yeet-Podcast

Krasse Links No 14.

Willkommen bei Krasse Links No 14. Putzt Eure die Antisemitismuskeulen, heute sprechen wir über Israel.


Lysia Golgreen war für die New York Times viele Male auf dem Campus der New Yorker Columbia-Universität und berichtet angenehm differenziert von den Studierendenprotesten. Sie ordnet dabei auch die Berichte über Hamassolidarisierungen und antisemitische Übergriffe ein aber ihr Fazit ist, dass die Studierenden zwar oft übers Ziel hinausschießen, das jedoch nicht bedeutet, dass sie im Unrecht sind. Und dafür zieht sie eine interessante Parallele zu den Studierendenprotesten gegen den Vietnamkrieg.

It is easy when looking backward to remember the fight for a good cause as pure and untainted, even if it did not seem so at the time. In the same way, we now remember the Vietnam War as an American tragedy. The students at Columbia University who protested it seem, in retrospect, to have been right. But our memories elide some of their more outré tactics. A list of popular chants employed by antiwar protesters at a time when thousands of American soldiers were dying each year fighting in the war included things like “One side’s right. One side’s wrong. We’re on the side of the Viet Cong!” and “Save Hanoi. Lose Saigon. Victory to the Viet Cong!”
[…]
„There are clear signs that Israel is prosecuting a war just as brutal and unwinnable as the United States did back then. Some people may not like the slogans, tactics or proposals of today’s pro-Palestinian protesters. But the truth is that a majority of Americans have qualms about Israel’s pitiless war to root out Hamas, whatever the consequences for civilians. As politicians send riot police onto campuses to try to smother a new protest movement, we’d do well to keep in mind why we’ve forgotten the ugliest aspects of the Vietnam protests: Those memories have been replaced, instead, by an enduring horror at what we did.“

Die Debatte um die Studierendenproteste verläuft in den USA ähnlich schlimm, wie die in Deutschland, aber mit dem Vorteil, dass dort die Rollen eindeutiger verteilt sind. Eine grundsätzliche Ablehnung – sogar mit Rufen nach der Nationalgarde – kommt dort von den hart rechten Republikanern und obwohl sich auch einige Demokraten als Israel-Hawks geben ist Solidarität mit den Palästinensern sehr deutlich links kodiert. So schlimm der Kulturkrieg da drüben auch ist, beneide ich sie um diese klaren Fronten.

In Deutschland gibt es nur Sprachlosigkeit auf der einen und eine geschlossene Pro-Israelische Front von Bild bis taz auf der anderen Seite, wobei die taz dann ungefähr mit dem Differenzierungsgrad von Fox News operiert. Ich habe mittlerweile das Gefühl, dass man der deutschen Berichterstattung zu dem Thema nicht mehr trauen kann; zumindest aber die Außenperspektive mit in Blick nehmen sollte, deswegen habe ich hier noch ein paar Lesetipps zum Thema zusammengestellt:

Der Historiker Thomas Zimmer denkt in diesem Essay noch etwas ausführlicher über die Studierendenproteste nach. Wie auch Lysia Golgreen sieht er tatsächliche antisemitische Vorfälle sehr kritisch und diskutiert sie ausführlich und setzt sie mit Werten wie Freier Rede ins Verhältnis.

Again, Jewish Americans have a right to demand “the Left” and everyone at these pro-Palestinian protests be vigilant and hold the line against antisemitism. But unless we characterize every form of criticism of the Israeli government and any expression of solidarity with the Palestinian people as inherently antisemitic, the idea that all of these protests are just manifestations of vile antisemitism is bizarre. A lot of people want us to ignore that there are many Jewish students among the protesters; or want us to see people with no connection to the university – antisemites from off campus inevitably attracted to these events like moths to the flame because they see as a chance to stir shit up – as somehow representative of the students. We must not fall for it.

Ich finde auch die Innenperspektive der Studierendenproteste spannend, hier von jüdischen Studenten Jonathan Ben-Menachem, der so ziemlich seit Anfang an dabei ist.

It’s true, the fact that CUAD organizers fundamentally reject bigotry and hate has not stopped unrelated actors from exploiting opportunities to shamefully harass Jewish students with grotesque or antisemitic statements. I condemn antisemitism – which should seem obvious since I have experienced it many times myself. (This likely won’t keep controversial Columbia Business School professor Shai Davidai from calling me a kapo.) But the often off-campus actions of a few unaffiliated individuals simply do not characterize this disciplined student campaign. The efforts to connect these offensive but relatively isolated incidents to the broader pro-Palestinian protest movement mirror a wider strategy to delegitimize all criticism of Israel.

Das alles macht die antisemitischen Vorfälle nicht besser, aber ich denke, es wird auch klar, dass diese Fälle nicht die Normalität darstellen und dass sie medial aufgebauscht und instrumentalisiert werden, um die Proteste als Ganze zu delegitimieren. Antisemitismus ist weit verbreitet und eventuell ist es gar unmöglich, eine pro-palästinensische Demonstration durchzuführen, ohne dass irgendwelche Spinner aufkreuzen? Und eines wird auch klar: ein trennscharfer Antisemitismusbegriff wäre, im Gegensatz zur Nationalgarde, ein Asset bei der effektiven Bekämpfung des Antisemitismus.


Die investigative Website Bellingcat hat sich der systematischen Zerstörung der Gebäude und ganzen Stadtteilen in Gaza gewidmet und ist dabei auf eine dezidierte Einheit der IDF gestoßen, die für einen Großteil der Sprengungen verantwortlich ist. Das 8219 Commando ist in Gaza unterwegs und identifiziert die Gebäude zum Abschuss oder legt selbst Hand an. Dabei scheinen sie relativ offen auf Social Media zu kommunizieren, was dann eben der Ausgangspunkt der Bellingcat-Recherchen ist, bei der sie diese Posts mit Sattelitenfotos und weiteren Recherchen verknüpfen. Das Resultat ist ziemlich schockierend, insbesondere der Stolz, mit dem sich die Einheit ihrer Taten auf Social Media rühmt (Die Bilder und Videos sind hier entscheident, also am besten am großen Bildschirm lesen.) Diese und ähnliche Recherchen werden vermutlich in die Bewertung des Strafgerichtshofs für Menschenrechte eingehen, ob es sich bei den Handlungen Israels in Gaza nun um einen Genozid handelt.

We asked Professor Balakrishnan Rajagopal, the UN’s Special Rapporteur on adequate housing and the Professor of Law and Development at the Massachusetts Institute of Technology about the demolitions carried out by 8219 Commando. He told us that these demolitions were relevant to the ICJ case on genocide, supporting South Africa’s case that Israel was, in effect, rendering Gaza uninhabitable. He noted that even if it was not possible to establish genocidal intent, widespread destruction rendering a place uninhabitable could still amount to a crime against humanity.


Ich persönlich finde es zu früh, sich festzulegen, ob sich die Gewalt in Gaza als Genozid qualifiziert und halte mich mit solchen Bewertungen zurück. Aber zu behaupten, dass solche Anschuldigungen antisemitisch seien, ist mittlerweile nicht mehr haltbar, auch wenn es manche immer noch versuchen. Es ist nicht nur das Verfahren in Den Haag, sondern immer mehr ausgewiesene Forscher*innen, jusristische Expert*innen und die zuständige UN-Rapporteurin positionieren sich so.

Doch besonders bemerkenswert fand ich die Einschätzung des israelischen Genozid-Forscher Amos Goldberg:

It will be several years before the court in The Hague will hand down its verdict, but we must not look at the catastrophic situation purely through legal lenses. What is happening in Gaza is genocide because the level and pace of indiscriminate killing, destruction, mass expulsions, displacement, famine, executions, the wiping out of cultural and religious institutions, the crushing of elites (including the killing of journalists), and the sweeping dehumanization of the Palestinians — create an overall picture of genocide, of a deliberate conscious crushing of Palestinian existence in Gaza.

Konkret wendet sich sein Text gegen die israelische Gegenerzählung, dass es sich beim Einsatz in Gaza um Selbstverteidigung handle. Er bezweifelt diese Motivation gar nicht, betont aber, dass sich (selbstempfundene) Selbstverteidigung und Genozid historisch nie ausgeschlossen haben und geht dafür viele Beispiele durch, unter anderem den Genozid der Deutschen an den Herero und Nama in Afrika:

The first genocide of the twentieth century was also executed out of a concept of self-defense by the German settlers against the Herero and Nama people in southwest Africa (present-day Namibia). As a result of the severe repression by the German settlers, the locals rebelled and in a brutal attack murdered some 123 (perhaps more) unarmed men. The sense of threat in the small settler community, which numbered only a few thousand, was real, and Germany feared that it had lost its deterrence vis-à-vis the natives.

The response was in accordance with the perceived threat. Germany sent an army led by an unrestrained commander, and there, too, out of a sense of self-defence, most of these tribesmen were murdered between 1904 and 1908 — some by direct killing, some under conditions of hunger and thirst forced on them by the Germans (again by deportation, this time to the Omaka desert) and some in cruel internment and labour camps.

Goldberg endet mit einem kassandrischen Selbstzitat von 2011:

We can learn from the Herero and Nama genocide how colonial domination, based on a sense of cultural and racial superiority, can spill over, in the face of local rebellion, into horrific crimes such as mass expulsion, ethnic cleansing and genocide. The case of the Herero rebellion should serve as a horrifying warning sign for us here in Israel, which has already known one Nakba in its history.

Eventuell ist das stumme Einverständnis, das Israel in seiner eskalierenden Zerstörungswut in Deutschland entgegengebracht wird nicht nur durch eine falsch verstandene Vergangenheitsbewältigung zu erklären, sondern verweist vielmehr noch auf eine andere, bisher nicht vollzogenen Vergangenheitsbewältigung?


Der Rant von Hanno Hauenstein in der WOZ über die autoritäre Instrumentalisierung der Antisemitismusbekämpfung war für mich eine Art Erlösungsmoment. Ich kann wirklich jedes einzelne Wort unterstreichen und wenn Ihr den Text lest, werdet Ihr vieles wieder erkennen, was ich auch im Newsletter beklagt habe.

Beispiele institutioneller und polizeilicher Eingriffe sprechen Bände: der vorschnelle Rückzug der Böll-Stiftung von der Verleihung des Hannah-Arendt-Preises an Schriftsteller:in Masha Gessen; die Kündigung des Anthropologen Ghassan Hage durch die Max-Planck-Gesellschaft; der Entzug der Albertus-Magnus-Professur für die Philosophin Nancy Fraser; die Stürmung und Unterbindung des Palästina-Kongresses in Berlin und dubiose Einreise- und Zoomverbote für bekannte Teilnehmende; die gewaltsame Unterdrückung eines propalästinensischen Protestzeltlagers vor dem Reichstag. Fast immer steht der Vorwurf des Antisemitismus im Raum – und das, obwohl Jüdinnen und Juden in mehreren dieser Fälle selbst direkt von diesen Repressionen betroffen sind. Der Mangel an Gegendruck vonseiten der deutschen Presse und Zivilgesellschaft wirkt eklatant.

Noch deutlicher als ich stellt er heraus, wie die liberale Mitte gerade die Drecksarbeit für die AfD leistet:

Die liberale Mitte, dieser Eindruck erhärtet sich gerade, macht somit die Drecksarbeit für Rechtsaussen – und zwar freiwillig. Sei es in Form eines selektiven Kampfes gegen «importierten Antisemitismus», sei es durch die Kopplung von Einbürgerungs-, Aufenthalts- und Zugehörigkeitsgarantien an ein Bekenntnis zur deutschen «Staatsräson». Oder in Form einer Agitation gegen «den Postkolonialismus». In der nichtakademischen öffentlichen Debatte ist «Postkolonialismus» längst eine Art Dog Whistle für Antisemitismus. Von der FAZ über die NZZ und selbst bis zur «taz» wird in einer Regelmässigkeit dagegen polemisiert, dass man meinen könnte, ein AfD-Antrag vom Sommer 2022 – «Förderung des Postkolonialismus umgehend einstellen» – sei längst die Norm.

Ich sags mal ganz offen: In den letzten Wochen hatte ich immer mal wieder das Gefühl, dass ich den Verstand verliere. Die Vorgänge hinsichtlich der politischen Verfolgung und Unterdrückung von pro-pälestinensischen Bezugnahmen ist der krasseste Bruch mit rechtsstaatlichen Prinzipien, die mir in meinem Leben begegnet sind, aber ich sehe in den klassischen Medien kaum angemessene Berichterstattung dazu, dafür ziemlich viel jolenden Beifall, der ein dröhnendes Schweigen der Zivilgesellschaft durchbricht und das geht sogar so weit, dass ich gerade einige meine für bisher „links“ gehaltenen Freunde verliere, weil ich mich als einer der wenigen traue, mich dagegen zu positionieren. Ich fühle mich mit meinen Äußerungen sehr, sehr einsam gerade und ich frage mich: where is everybody?? aber Hanno hat auch darauf eine Antwort:

Seit über sechs Monaten erreichen mich fast täglich Nachrichten in Gruppenchats, in denen Menschen versuchen, eine Sprache dafür zu finden, was in Deutschland gerade passiert. Menschen aus Politik, Universität, Zivilgesellschaft und Kultur; Rechtsanwältinnen, Akademiker, Journalistinnen, mit palästinensischem, jüdischem oder (wie ich selbst) schlicht deutschem Hintergrund. Menschen, die Dinge beobachten, die sich kaum anders fassen lassen denn als autoritäre Wende in liberalen Gewändern.

In diesen Gruppen werden Texte geteilt, wird Rat gesucht, werden Entwicklungen besprochen. Etwa die sich türmenden Cancel-Fälle im Kultur- und Wissenschaftsbetrieb seit dem 7. Oktober, die inzwischen schon derart üblich sind, dass das Sprechen darüber wie ein klischeehaftes Festhängen in einer repetitiven Zeitschleife wirkt.

In Gruppenchats reden die Menschen über das Thema also, nicht wie ich Idiot (und Hanno) in der Öffentlichkeit? Ich meine, ich kann das schon verstehen, wenn man bereits Konsequenzen für das Liken von Israekritk befürchten muss, aber die Chilling Effects davon sind gespenstisch. Alles, was ich zu dem Thema schreibe wird auf allen Plattformen eisern ignoriert. Kein Like, kein Retweet – aber auch kein Widerspruch. Stille. Leere. Als ob alle so tun, als hätten sie es nicht gelesen.

Nun kann ich nicht ausschließen, dass das Thema tatsächlich nicht interessiert oder dass meine Ausführung einfach schlecht und unerwünscht sind und glaubt mir, ich frage mich das immer wieder. Aber Texte wie der von Hanno oder wie dieser im Verfassungsblog und das Feedback, das über private Rückkanäle kommt und fast alle Gespräche, die ich im Privaten führe, versichern mir, dass mit mir noch alles stimmt. Die meisten Menschen sehen und fühlen sehr genau was gerade passiert, doch sie fühlen sich auch hilflos. Die Menschen in meinem Umfeld haben Angst, das erste Mal wirklich Angst davor, ihren Mund aufzumachen und ich finde das fucking unheimlich (und ja, mir ist durchaus bewusst, was das für ein Privileg ist, sowas das erste Mal zu erfahren). Haben wir aus den Diktaturen – unsere eigenen und den vielen anderen – nichts gelernt? Wissen wir nicht sehr genau, was passiert, wenn wir Unrecht sehen und erkennen und uns dann, aus Angst vor Konsequenzen, abwenden? Haben wir nicht gelernt, welches Signal das an die Faschisten sendet?

Ich werde jedenfalls auch weiterhin in diese Wüste rufen, so lange es mir notwendig scheint. Vielleicht verspiele ich damit die Leser*innen meines Newsletters oder gar meine Karriere, wer weiß? Aber Euer Schweigen könnte ich mir nicht verzeihen.


Die von mir schon immer hochgeschätzte Naomi Klein hat auf einer pro-palästinensischen Veranstaltung eine Rede gehalten, die den Zionismus als ein „falsches Idol“ bezeichnet.

It is a false idol that takes our most profound biblical stories of justice and emancipation from slavery – the story of Passover itself – and turns them into brutalist weapons of colonial land theft, roadmaps for ethnic cleansing and genocide.

It is a false idol that has taken the transcendent idea of the promised land – a metaphor for human liberation that has traveled across multiple faiths to every corner of this globe – and dared to turn it into a deed of sale for a militaristic ethnostate.

Political Zionism’s version of liberation is itself profane. From the start, it required the mass expulsion of Palestinians from their homes and ancestral lands in the Nakba.

Antisemitismus – ich betone es immer wieder – ist real, ist im Aufwind, ist eine Gefahr, aber darüber hinaus ist Antisemitismus auch perfide. Er kann sich in die Gedanken mischen, ohne, dass man es bewusst mitbekommt. Man muss sich selbst gegenüber immer wachsam sein und so wie auch Frauen misogyn, Schwarze rassistisch und Juden antisemitisch sein können, ist niemand von der Verantwortung enthoben, sich selbst immer wieder kritisch zu befragen und nie aufzuhören, sich antisemitische Tropen bewusst zu machen.

Und natürlich habe ich mich gefragt, ob mein Umdenken zur Nahostfrage und mein plötzliches Engagement in dieser Sache vielleicht nicht nur Ereignisbezogen ist, sondern vielleicht auch durch irgendeinen unterschwelligen Hass auf „die Juden“ oder „das Jüdische“ getrieben ist? Hat sich vielleicht doch die ein oder andere antisemitische Trope in mir eingerichtet und drängt mich zu ungerechtfertiger Israelkritik?

Ich kann diese Frage mit großer Sicherheit verneinen und ich bin mir deswegen so sicher, weil ich, wenn ich über Israels Rolle in dieser Gemengelage nachdenke, gar nicht den „Judenstaat“ sehe. Stattdessen sehe einen Staat in der Tradition, Assoziation und engen Koalition mit „dem Westen“ und das ist auch das, was das Ganze so schmerzhaft für mich macht. Ich fühle mich ein Stück weit verantwortlich, als teil derselben semantischen Traditionslinie. Mein Zorn beschränkt sich deswegen auch nicht auf Israel, sondern erstreckt sich auch auf die USA, Deutschland und alle anderen westlichen Staaten, die bei diesem Verbrechen nicht nur tatenlos dabeistehen, sondern Waffen liefern und die lokale Opposition unterdrücken. Kurz: Ich sehe Israel überhaupt nicht als „das Andere“, sondern als Komplizen.

Die Semantiken, die sowohl für den Krieg in Gaza als auch für die Unterdrückung der Palästinenser hierzulande die Erlaubnisstruktur bilden, habe auch ich mit der Muttermilch aufgesogen und noch vor wenigen Jahren schienen sie mir plausibel – zumindest nicht verdächtig genug, um ihnen tiefer nachzuspüren und sie auf den Prüfstand zu stellen. Ich spreche von den oft gut getarnten Semantiken der „White Supremacy“.

White Supremacy ist nicht wie der Faschismus oder der Nationalsozialismus eine politische Strömung und sie ist auch nicht wirklich an die weiße Hautfarbe als Phänotyp gekoppelt, sondern sie ist vielmehr ein perspektivisches Korsett, das tief aus unserem europäisch geprägten Semantik-Kanon heraus unsere Sicht auf die Welt strukturiert. White Supremacy ist das nach wie vor in westliche Gesellschaften hinein wirkende Gefühl der Überlegenheit gegenüber nichteuropäischen Traditionen und Lebensweisen. Sie ist der Blick von oben herab und er geht immer mit einer unausgesprochenen Abwertung von Menschenleben einher.

Meiner Meinung nach hat der Massenmord in Gaza also nichts mit dem Judentum oder jüdischer Kultur oder Juden als Volk, Religion oder Personen zu tun. Gaza und die hiesige Unterstützung dazu kann passieren, weil wir im Westen immer noch glauben, unsere (mittlerweile im Schwinden begriffene) Stärke sei ein Resultat unserer Besonderheit. Dass wir uns unsere Stellung in der Welt durch unsere „Errungenschaften“ erarbeitet hätten. Wir räumen uns aufgrund unserer technologischen Stärke ein natürliches Vorrecht ein, über andere zu herrschen, uns unberührbar zu machen und rühmen uns dabei unserer aufgeklärten Moral.

Ich sehe den Zionismus im Kern gar nicht als jüdisches Gewächs, sondern als die lokale Ausprägung des alten, westlich-kolonialen Denkens. Natürlich vermischt sich dieses Denken mit jüdischen Motiven vom „auserwählten Volk“ und anderen biblischen Erzählungen und natürlich auch mit der sehr berechtigten Sehnsucht nach einem sicheren Hafen vor Antisemitismus. Aber gerade die toxischen Anteile am Zionismus, die Rücksichtslosigkeit, die Selbsterlaubnis, der gepanzerte Blick auf die Anderen, „Zehn von denen für einen von uns!“, „Meine Sicherheit ist wichtiger als Deine Existenz“ – all das sind Gesten, die wir nur allzu gut kennen von Christopher Columbus bis George W. Bush. Und ich denke, das ist es auch, was Naomi Klein in ihrer Zionismuskritik ausdrücken will: der Zionismus ist nicht jüdisch. Er ist ein falsches Idol, nur dass das heutige goldene Kalb eben der Kolonialismus europäischer Prägung ist. Ist es nicht bezeichnend, dass ausgerechnet dieser emphatische Versuch der Inschutznahme jüdischer Identität vor dem Horror der israelischen Verbrechen einigen als antisemitisch gilt?

Mir scheint es kein Zufall zu sein, dass Konservative weltweit so viel Energie in die Bekämpfung postkolonialer Theorien stecken. Diese Repression ist der beste Wirkungsnachweis einer Theorie, die in der Tat etwas revolutionäres ermöglicht: Palästinenser und andere Opfer kolonialer Gewalt als komplexe Menschen zu sehen und, infolgedessen, ihren Schmerz, ihre Wut und ihre Ohnmacht gelten zu lassen und anzuerkennen.

Die postkoloniale Perspektive ist ein wirksames Gegengift gegen die White Supremacy und ein großer Teil der Jugend hat das Gegengift bereits getrunken. Nur die alten wittern Verrat. Und ja, vielleicht es ist es das auch, wenn der Verrat sich auf die semantische Loyalität zum Westen bezieht, als eine Kündigung der Komplizenschaft, als ein Auszug aus Omelas. Aber to be honest, zumindest ich fühle mich kein bisschen schlecht dabei. Nur sehr, sehr traurig.

Krasse Links No 13.

Willkommen bei Krasse Links No 13. Steigt mal kurz aus Euren Leopards aus, heute lassen wir uns berühren.


Was Marina sagt.


Während die Klimakatastrophe immer krasser vor sich hineskaliert, wird hierzulande überall der Sinn von Klimapolitik in Frage gestellt. Im Angesicht des immer weiter auseinander klaffenden Problembewuwsstseins mit der Wirklichkeit stellt sich die Frage: sind wir noch ganz bei Trost?

Tazio Müller hat seine Theorie der Verdrängungsgesellschaft daher nochmal für die taz zusammengerafft und kommt zu dem Schluss:

Stattdessen brauchen wir einen kollektiven Trauerprozess. Den können nicht die wenigen leisten, die sich jetzt schon in Aktivismus, Medien und Politik mit der Klimakrise befassen. Warum nicht im Alpenverein über Klimagefühle sprechen, wo der Gletscherschwund offensichtlich ist? Oder bei der Freiwilligen Feuerwehr, die die Brände in ohnehin völlig verdorrten Wäldern löscht? Dann könnte es auch wieder mit der Ratio­na­li­tät in der Klimapolitik klappen.

Tazio hat recht. Im Gegensatz zur vorherrschenden Vorstellung kann man Rationalität nicht intellektuell herstellen, sondern Rationalität entsteht, wenn wir uns berühren lassen. „Rationalität“ ist keine Abstraktionsleistung, sondern das Gegenteil: sie ist die Erlaubnisstruktur, die sich aus der Einsicht in die eigene Verwundbarkeit ergibt.


Cory Doctorow hat wieder lesenswert über KI und Automation geschrieben und sein broader Point ist mal wieder, dass viel Hype dabei ist, aber auch, dass es dort, wo KI tatsächlich zum Einsatz kommen wird, es sowohl Arbeiter*innen, als auch Kund*innen zum Nachteil gereichen wird. Dazu führt er eine interessante Ontologie der Automation ein, die ich hier teilen möchte:

Let’s pause for a little detour through automation theory here. Automation can augment a worker. We can call this a „centaur“ – the worker offloads a repetitive task, or one that requires a high degree of vigilance, or (worst of all) both. They’re a human head on a robot body (hence „centaur“). Think of the sensor/vision system in your car that beeps if you activate your turn-signal while a car is in your blind spot. You’re in charge, but you’re getting a second opinion from the robot.

Likewise, consider an AI tool that double-checks a radiologist’s diagnosis of your chest X-ray and suggests a second look when its assessment doesn’t match the radiologist’s. Again, the human is in charge, but the robot is serving as a backstop and helpmeet, using its inexhaustible robotic vigilance to augment human skill.

That’s centaurs. They’re the good automation. Then there’s the bad automation: the reverse-centaur, when the human is used to augment the robot.

Amazon warehouse pickers stand in one place while robotic shelving units trundle up to them at speed; then, the haptic bracelets shackled around their wrists buzz at them, directing them pick up specific items and move them to a basket, while a third automation system penalizes them for taking toilet breaks or even just walking around and shaking out their limbs to avoid a repetitive strain injury. This is a robotic head using a human body – and destroying it in the process.

Die These ist nun, dass KI, weil ihre Einführung in erster Linie profitgetrieben ist, natürlich in die zweitere Variante des Reverse-Zentaurus führen wird. Ich finde es schwer, Gegenargumente zu finden.

Aber Corys Unterscheidung gibt mir noch weiter zu denken: Der erste Zentaur mit menschlichen Kopf erweitert ja vor allem seine Sinnesorgane und das heißt, seine Empfindlichkeit gegenüber der Welt, während der zweite, Reverse-Zentaur durch das System von seiner Umwelt abgeschieden wird, um effektiver ein ganz spezifisches Set von Skills (Handkoordination) auszubeuten. Berührbarkeit wird dabei über das Armband zum Befehlsempfang-Rezeptor degradiert, über den der Mensch mit dem System kurzgeschlossen ist.



Der Physiker Miles Cranmer stellt in diesem Talk vor, wie er glaubt, dass künstliche neuronale Netzwerke in Zukunft die Wissenschaft revolutionieren werden. Die Idee ist im Grunde KI an Daten zu trainieren, die für das menschliche Verständnis zu Komplex sind, und dann das zu interpretieren, was die KI aus diesen Strukturen gelernt hat, also darin die Muster und Gesetzmäßigkeiten zu suchen und zu interpretieren. Auch hier haben wir wieder einen Zentaur, der seine Sinne durch eine Art künstliche Information-Vorverdauung erweitert und wenn man bedenkt, was für ein evolutionärer Booster das Kochen für den Menschen war, darf man durchaus einiges an wissenschaftlichen Fortschritt erwarten.


Der immer mal wieder lesenswert wütende Silicon Valley Insider Edward Zitron hat in aus den internen E-Mails von Google, die im Zuge eines Prozesses zu tage kamen, ein ziemlich überzeugend klingendes Narrativ zusammengezimmert, wie die Enshittification bei Google konkret von statten ging und es ist, Überraschung!, eine hollywoodreife Geschichte vom Kampf Gut gegen Böse herausgekommen.

„These emails are a stark example of the monstrous growth-at-all-costs mindset that dominates the tech ecosystem, and if you take one thing away from this newsletter, I want it to be the name Prabhakar Raghavan, and an understanding that there are people responsible for the current state of technology.“

Die beiden Protagonisten sind Ben Gomes, seines Zeichens Google-Mitarbeiter (fast) der ersten Stunde, ehrlicher Erschaffer und Bewahrer der Search-Power(*Katusch*), die die Menschen mit wichtigen Informationen und gutem Service versorgt. Sein böser Gegenspieler ist Prabhakar Raghavan, gewissenloser Excelschubser, dem es nur um Geld und Number go up geht, der vom Advertising-Business her kommt (ihhh!) und auch ausgerechnet von Yahoo!, dieser Loserklitsche! Leider, leider gibt es kein Happy End, weil Raghavan schließlich Gomes von seinem Platz drängt und unter seiner Ägide die Search-Qualität rapide abnahm und jetzt Alphabets Core Business gefährdet ist.

„This is what I mean when I talk about the Rot Economy — the illogical, product-destroying mindset that turns the products you love into torturous, frustrating quasi-tools that require you to fight the company’s intentions to get the service you want.“

Es ist nicht so, als hätte ich diese Geschichte nicht gerne gelesen oder als würde ich die Details anzweifeln (dafür kenne ich die Fakten zu wenig), aber grundsätzlich nehme ich solche personalisierten Narrative immer nur unter einer ordentlichen Schippe Salz zu mir. Es ist einfach viel zu leicht, die Agency von sowohl Raghavan und als auch von Gomes zu überschätzen, sind sie doch nur vergleichsweise austauschbare Spieler in einem Spiel, bei dem sie nur wiederstreitenden Interessen repräsentieren. Gomes vertrat die Interessen einer wachsenden Firma, die gerade erkundet, wie sie mit immer mehr Nutzen immer mehr Nutzer*innen für sich gewinnen kann und Raghavan vertritt halt die Interessen der Investoren, die nach der Wachstumsphase trotz eines weitgehend saturierten Search-Markt dennoch wachsenden Umsätze erwarten. Denn das ist, was Enshittification im Kern ausmacht: Die Diskrepanz zwischen einem endlichen „Adressable Markets“ und der unendlichen Wachstumserwartung seiner Investoren.

Aber über Kapitalismus reden ist immer etwas langweilig und produziert nicht solche Sätze:

„Rot Master Raghavan is here to squeeze as much as he can from the corpse of a product he beat to death with his bare hands.“

Sowas geht voll ins Mark und ging verständliocherweise super viral und zwar so krass, dass Google sich gezwungen sah, zu antworten, was Zitron natürlich sofort wieder zu einer Replik aninimierte. Das Wort „Kapitalismus“ ist allerdings immer noch nicht gefallen.


Ich finde, dafür haben wir uns etwas Kultur verdient und zwar von savannahxyz und ihrem Song: „Google doesn’t work anymore


Für diesen außerordentlich lesenswerten Essay für Noema nehmen Maria Farrell und Robin Berjon die Metapher des „Ökosystems“ im Technologiediskurs einfach mal ernst und lassen sich dabei nicht von den vorherrschenden PR-Semantiken blenden:

„Our online spaces are not ecosystems, though tech firms love that word. They’re plantations; highly concentrated and controlled environments, closer kin to the industrial farming of the cattle feedlot or battery chicken farms that madden the creatures trapped within.“

Die ständige Rückkopplung von Tech-Diskurs mit einem tiefen Verständnis von Ökologie generiert dabei immer neue Einsichten:

„The internet made the tech giants possible. Their services have scaled globally, via its open, interoperable core. But for the past decade, they’ve also worked to enclose the varied, competing and often open-source or collectively provided services the internet is built on into their proprietary domains. Although this improves their operational efficiency, it also ensures that the flourishing conditions of their own emergence aren’t repeated by potential competitors. For tech giants, the long period of open internet evolution is over. Their internet is not an ecosystem. It’s a zoo.“

Und diese Sichtweise ist nicht nur eine gute Analyse-Schablone, sondern zeigt darüber hinaus auch Lösungswege auf:

„But what if we thought of the internet not as a doomsday “hyperobject,” but as a damaged and struggling ecosystem facing destruction? What if we looked at it not with helpless horror at the eldritch encroachment of its current controllers, but with compassion, constructiveness and hope? […] We don’t need to repair the internet’s infrastructure. We need to rewild it.“

Das Wichtigste: Während das neoliberale Paradigma in jeder erfolgreichen Spezies (Individuen, Firmen, Plattformen) einen positiven Anreiz an alle anderen sieht, sich auch mehr anzustrengen, sieht das ökologische Paradigma in besonders erfolgreichen Spezies eine Gefahr für das Ökosystem:

„But rewilding a built environment isn’t just sitting back and seeing what tender, living thing can force its way through the concrete. It’s razing to the ground the structures that block out light for everyone not rich enough to live on the top floor.“

Ich denke schon tatsächlich seit langem darüber nach, dass sich aus der politischen Ökonomie der Abhängigkeiten als logische Konsequenz eine „Ökologie der Abhängigkeiten“ ergibt – also ein Verständnis von Abhängigkeiten (keine Ablehnung), ein Auge dafür wie sie strukturiert sind, wo sich Abhängigkeiten ungesund konzentrieren und wie sie man einhegt. Eine Ökologie die immer mal wieder auch beherzt eingreift, um das Ökosystem im Gleichgewicht zu halten – und das bedeutet am Ende, allzu erfolgreiche Spezies aktiv zurück zu kämpfen.

Die gesellschaftlichen Ökosysteme sind längst kurz vor dem Kippen und deshalb glaube ich, dass die Linke sich voll und ganz auf die Skandalisierung und Bekämpfung der Machtakkumulation von Big-Tech und Milliardären konzentrieren sollte.


Im Merkur verteidigt Danilo Scholz einige der grundlegenden Akteure des Postkolonialen Denkens gegen die allzu platten Charakterisierungen, die sie in der FAZ über sich ergehen lassen mussten. Dabei stellt er unter anderem das komplizierte Verhältnis des eigentlich kommunistischen Aimé Césaire zum (damaligen) französischen Kommunismus heraus und zitiert ihn folgendermaßen:

„Ich bin der Ansicht […], dass es niemals einen afrikanischen, madagassischen oder karibischen Kommunismus geben wird, weil die Kommunistische Partei Frankreichs ihre Verantwortung gegenüber den Kolonialvölkern als eine Art Lehrauftrag begreift und selbst der Antikolonialismus der französischen Kommunisten noch immer den Makel des Kolonialismus in sich trägt, den sie bekämpft.“

Ich finde, in diesem Zitat wird das tatsächliche Missverständnis, das viele in Europa der postkolonialen Perspektive entgegenbringen, offen zu Tage gefördert. Etwas arg herunter gebrochen sind wir uns Westen weitgehend darüber einig, dass es schon irgendwie einen abstrakten, idealen Zustand von Gerechtigkeit gibt und in unseren jeweiligen ideologischen Strömungen (Liberalismus, Kommunismus, etc.) streiten wir uns nur darüber, wie genau der aussieht und/oder wie der zu erreichen ist.

Aber Gerechtigkeit ist kein Zustand, den man Leuten einfach geschehen lassen (oder wie Effektive Altruists vom Himmel regnen lassen) kann. Das – schon das – ist die Geste des Kolonialisten, der die „Zivilisation“ über die Welt bringt. Haraway spricht meines Wissens nicht von „Gerechtigkeit“, aber ich wette, sie würde darunter eher einen notwendig risikoreichen Prozess verstehen, bei dem sich alle Beteiligten voneinander berühren lassen müssen?

Berühren ohne berührbar zu sein is how we rule in Europe, aber Scholz hat sicher nicht unrecht, wenn er dabei auch Rassismus wittert:

Die unbedarfte Urteilsfreude, mit der man im Feuilleton über bedeutende Intellektuelle schwadronieren kann, solange sie nicht weiß sind – Felix Klein hat es in der FAZ mit seinem peinlichen Text über postkoloniale Theorie vorgemacht –, ist bemerkenswert. Man gefällt sich in pauschalisierendem Geschwätz, weil man eh nicht damit rechnen muss, dass jemand mal einen Blick in die Texte dieser Autoren geworfen hat, die nie Teil des eigenen kulturellen Lexikons waren und es wohl auch nicht werden sollen.


Die Repression der berliner Landesregierung gegen linke Künstler*innen, Intellektuelle, Demos, Konferenzen und linke Einrichtungen unter dem Banner der Antisemitismusbekämpfung geht unvermindert weiter. Jetzt hat es zwei Jugendtreffs/queere Frauenhäuser getroffen, denen unvermittelt gekündigt wurde. Grund: Mitarbeiter*innen des Treffs waren wohl auf pro-palästinensischen Demos und haben sich pro-palästinensisch geäußert. Beweise: Artikel aus Focus und BZ, die wiederum in den privaten Instagram-Accounts der Betroffnen gegraben haben.

Die Entscheidung wird nicht mit der Arbeit begründet, die in den Zentren gemacht wird, sondern mit den politischen Einstellungen von Mitarbeitenden. In einem Artikel des Nachrichtenmagazins »Focus« sei ein Bild veröffentlicht worden, auf dem Mitarbeitende des Vereins auf einer angemeldeten pro-palästinensischen Demonstration zu sehen seien, die von der Polizei aufgelöst wurde, führt das Schreiben aus. Der Bezirk befürchtet deswegen, dass von den Mitarbeitenden eine »gezielte konfrontative Auseinandersetzung mit den Polizeikräften als Vertretung des Staates gesucht wurde«.

Die Springer-Wegner-Pipeline ist kurz, da braucht man keine Beweise anführen. Hier der Brief des Amtes, hier die Entgegnung der betroffenen Einrichtung.

Manchmal kommen mir Zweifel, dass es Kai – Elon ist mein bester Freund – Wegner wirklich um Antisemitismusbekämpung geht und ich bin nicht allein damit. Es sieht eher so aus, als ob er die aktuelle Stimmung im Land ausnutzt, um gezielt linke Infrastruktur in Berlin zu zerschlagen. Der hat die Gelegenheit gewittert und schaut mal, wie weit er gehen kann. Ich finde das fucking scary, vor allem auch die Tatsache, dass die Zivilgesellschaft weitgehend still hält. Ich höre reihenweise Linke sagen „ja, wird schon was dran sein“ und „kann schon verstehen, dass der Staat sowas nicht fördern will“ und diese Unberührtheit, dieses Sich-Abwenden finde ich am beängstigendsten. Dazu die etlichen NGOs, die wir uns zum Thema Grundrechtsschutz leisten, von denen ich bisher keinen Piep zur krassesten politischen Verfolgung seit der Kommunistenjagd gehört habe.

Wir sprechen überall sehr viel von der AfD, doch in den Köpfen regiert sie bereits. Überall werden bereits ihre Semantiken adaptiert, ihre Frames, ihre Narrative und ja, auch ihre Brutalität und Gewaltbereitschaft. Man merkt es an einem anschwellenden autoritären Ton, an einem gepanzerten Auftreten bis tief in die Gesellschaft hinein. Und deswegen macht es mich auch so fertig, dass selbst ein Teil der Linken nicht merkt, wie die grundrechtswidrige Repression gegenüber pro-palästinensische Bezugnahmen teil derselben Bewegung ist, teil desselben radikalen Vibe Shifts.

Wir stecken in einer sich selbst fütternde Spirale aus staatlicher und rhetorischer Grenzüberschreitung und Gewaltbereitschaft und ich fühle ganz stark, dass jetzt der Zeitpunkt ist, dem Einhalt zu bieten und zwar auf allen Ebenen. Aber zumindest müssen wir jetzt mit uns selbst wachsam sein. Wir sollten uns jeden Tag fragen: Wo gebe auch ich mir bereits die Erlaubnis wegzuschauen, mein Herz zu verengen, Empathie und Solidarität zu verweigern.


Im letzten Newsletter beklagte ich ja bereits, dass ein „semantisch eskalierter“ Antisemitismusbegriff der Politik als „Permission Structure“ diene, Linke und Palästinenser auf Linie zu bringen und kurz nach abschicken des Newsletters gibt mir ausgerechnet der Autor genau jener semantischen Eskalation recht:

„None of us anticipated that it would be used as this blunt instrument to suppress pro-Palestinian speech,”

Der Satz stammt von Kenneth Stern, derjenige der mehr oder weniger im Alleingang die I.H.R.A. Antisemitismusdefition geschrieben hat. Diese Definition wartet mit einigen etwas fuzzy Beispielen auf, welche Form von Isrealkritik als antisemitisch zu sehen ist und welche nicht und ich denke, es ist fair zu sagen, dass jede Form der Israelkritik, die Israel als Staat in Frage stellt, nach dieser Definition als „antisemitisch“ gilt.

Der Artikel im New Yorker ist sowieso sehr gut und ausgewogen geschrieben und es wird auch deutlich gemacht, dass Kenneth Stern seine eigene Antisemitismus-Definition nicht bereut oder zurückzieht, aber schon findet, dass Palästinenser das Recht haben sollten, ihre Sicht auf den Konflikt artikulieren zu dürfen, ohne als Antisemiten gebrandmarkt zu werden. Ich verstehe auch nicht ganz, wie diese zwei Auffassungen zusammengehen, aber da müsst ihr Kenneth Stein fragen.

Neben der I.H.R.A. Antisemitismusdefition gibt es natürlich auch andere Definitionen, etwa die Jerusalem-Definition, die versucht, Israel-Kritik komplett rauszuhalten und natürlich wird sich überall und immer heftig darüber gestritten, welche Definition denn nun die richtigere ist. In den USA wird I.H.R.A.-Definition vor allem von den Republikanern verwendet, um damit, dort wie hier, auf jede pro-palästinensische Bezugnahme einzuprügeln.

Ich würde also zu der Jerusalem-Definition tendieren, aber eigentlich finde mal wieder, dass der Denkfehler wo ganz anders liegt. Ich hielte es z.B. für absolut berechtigt, mich des Antisemitismus zu verdächtigen, wenn ich als Deutscher mit der entsprechenden Geschichte im Rucksack sagen würde „Israel als Staat sollte nicht existieren“ (was ich weder sage, noch finde, btw). Wenn aber jemand, der in dritter Generation im Freiluftgefängnis Gaza vegetieren muss, weil seine Vorfahren von ihrem Land vertrieben wurden und der Israelis nur in Uniform und mit gezogener Waffe kennt, sagt: „Israel als Staat sollte nicht existieren“, dann fielen mir spontan noch so ein, zwei Gründe neben Antisemitismus ein, die auch eine gute Erklärung für diese Meinungsäußerung wären. Obwohl die beiden Aussagen wortgleich sind, wären sie auf einer semantischen Landkarte nicht mal in derselben Region.

Antisemitismus ist real und überall auf dem Vormarsch und ja, es gibt auch auf pro-palästinensischen Demos und Veranstaltungen immer wieder auch unzweideutig antisemitische Ausfälle und dagegen muss etwas getan werden. Aber liegt es nicht auf der Hand, dass es schwerer, nicht leichter wird, sich innerhalb dieser Strukturen dem tatsächlichen Antisemitismus entgegenzustellen, wenn gleichzeitig von außen ein undifferenzierter „Antisemitismus“-Begriff genutzt wird, um Dein ganzes Anliegen zu delegitimieren und Dich auf eine Stufe mit Faschos zu stellen?

Man muss weder die Hamas noch die Anschläge vom 7. Oktober gutheißen, um anzuerkennen, dass die Palästinenser keine Nazis sind, sondern eine Gruppe Menschen, die in einem handfesten Konflikt mit dem Staat Israel stehen und gerade in Deutschland wird diese Differenz nur allzu gerne verwischt. Denn wenn Hamas die neuen Nazis und die Palästinenser die neuen Nazimitläufer sind, dann darf man sich erlauben, die eigene Empathie zurückzustellen und in Sachen Menschenrechte auch nicht so genau hinzuschauen. Außerdem fühlt sich das ja auch irgendwie ganz befreiend an, diese verdammte Schuld endlich mal zu teilen? Diesmal stehen WIR auf der richtigen Seite!

Ärgerlicherweise – und ich hasse es wirklich, die gute Stimmung kaputt zu machen, aber ich hab es gerade noch mal nachgeschlagen – waren das mit den Weltkriegen und mit dem industriellen Massenmord immer noch wir. Wir ganz alleine. Nein, die vielen jungen Leute, die da draußen demonstrieren, sind keine Faschos und die sterbenden Kinder in Gaza haben außer den Bomben wirklich gar nichts mit Deinen Großeltern in Dresden gemeinsam.

So, nachdem diese Erlaubnisstruktur aus dem Weg geräumt ist, können wir dann mal ein bisschen Empathie – und zwar für beide Seiten – üben?


Dafür eignet sich z.B. dieses Interview mit fünf Deutsch-Pälestinenser*innen in der Zeit. Ich fand die alle ziemlich ruhig und moderat. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob mir das so gelingen würde.

Chahin: Meine Großeltern sind als Kinder 1948 aus der Stadt Safed in den Libanon geflüchtet. Sie haben mir, schon als ich klein war, oft davon erzählt. Dass sie mit Waffen vertrieben wurden, ihnen aber versprochen wurde, dass sie wieder zurückgehen könnten. Sie dachten, sie müssten ihre Häuser nur kurz verlassen, mit dem Schlüssel abschließen, und nach ein paar Wochen oder Monaten wären sie wieder zurück. Ich glaube, meine Großeltern hier in Deutschland haben schon gecheckt, dass es unmöglich ist, zurückzukehren. Aber meine Großeltern im Libanon warten eigentlich immer noch darauf. Mein Urgroßvater hat auch noch den Schlüssel zu seinem Haus. Aber es bringt ihnen ja nichts, weil das Haus längst zerstört wurde.

Krasse Links No 12

Willkommen bei Krasse Links No 12. Stellt Eure Herzschrittmacher auf „heftig“, heute geht es um Meta, Erlaubnisstrukturen und die Hypehaftigkeit von KI.


Housekeepingeinschub: Aaargh, es ist schon wieder passiert. Der letzte Newsletter war wieder abgeschnitten, weil mein WordPress mir die falsche Zeichenanzahl angezeigt hat … hier könnt ihr ihn zuende lesen.


Nachdem es zwischenzeitlich so aussah, dass der vom House of Representatives vorgebrachte Tiktok-Ban in den USA am Senat zu scheitern drohte, haben sie einen Weg gefunden, den Bann in ein größeres Gesetzespaket zu schnüren und auch der ist bereits durch das House und jetzt stehen die Chancen wieder gut, dass Tiktok entweder an Silicon Valley Dudes verkauft, oder gesperrt wird. Weiß nicht, ob das politisch so eine super Idee ist, sich im Wahljahr so hart mit den jungen Menschen anzulegen, aber vielleicht hat man die durch die ebenfalls im Paket enthaltene Waffenhilfe für Israel eh verscheucht? Ansonsten halte ich es mit Meredith Whittaker: Traue keiner Plattform, egal aus welchem Land.


Als ich damals die Origin-Story von Tiktok für das Plattformbuch recherchierte fand ich sie etwas dünn: Eine chinesische Firma kauft ein Lip-Sync-Forum (Musical.ly) und geht viral? Durch eine Gerichtsverhandlung sind nun Dokumente aufgetaucht, die ein spannenderes Bild zeichnen und es stellt sich heraus: die Ursprünge von Tiktok sind genauso in den USA zu finden, wie in China. Die New York Times hat das alles lesenswert aufgearbeitet.

Neulich wurde ja bereits bekannt, dass ein amerikanischer, rechtsradikaler Milliardär (gilt das schon als Pleonasmus?) namens Jeff Yass erstaunlich groß in Tiktok investiert ist und die Geschichte geht so, dass seine Investmentfirma Susquehanna schon 2009 in eine chinesische Immobilienwebsite namens 99Fang investierte. Diese Firma stellte dann auf Anregung von Susquehanna Zhang Yiming als CEO an, der dort einen Algorithmus entwickeln ließ, um auf der Website Interessenten mit passenden Immobilien zu matchen. Zhang Yiming war aber bald ziemlich unzufrieden mit dem Immobiliengeschäft und wollte mit dem Algorithmus lieber was in Richtung Social Media machen, weil er die Steve Jobs Biographie gelesen hat. 2012 gab Susquehanna ihm das Go und er gründete ByteDance, kaufte Musical.ly und startete mit Tiktok durch. Keine Ahnung, was die Moral der Geschichte ist, aber ich schätze, es macht Sinn das im Hinterkopf zu behalten?



Hier mal wieder ein sehr feines Video von Patrick Boyle, dieses Mal zu Neom, bzw. The Line. Eine linienförmige, wolkenkratzerhohe, mega-modernistische Retortenstadt in der Wüste in der angeblich irgendwann Millionen von Menschen leben sollen. Das ganze Projekt wirkt wie der Gehirnfurz eines der wenigen Menschen im Universum, die das Wort „nein“ noch seltener gehört haben als Elon Musk, was in diesem Fall der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman (MBS) ist, der Kritiker*innen ja gerne mit Kettensägen zerlegen lässt. Verständlicherweise hat Boyle daher nur Worte des Lobes für das Projekt.

Ich stellte mir beim Schauen des Videos die ganze Zeit vor, wie das so wäre, wenn ich so ein Boston Consulting Group Heini für Bauprojekte wäre, jung, idealistisch und frisch aus der Uni und dann muss ich jeden Tag mit anderen armen Schweinen und MBS zusammensitzen, der sich diesen ganzen Bullshit aus dem Ärmel schüttelt und mein Job ist es, dabei nett zu lächeln und irgendwie Wege zu finden, diesen Quatsch umzusetzen, wobei „No is not an answer“ und „Money doesn’t matter!“ und „RoooarrrrrrRoooarrr“ die drei Leitsätze meines Engagements sind. Ich würde einfach schreiend in die Wüste laufen.


Ich bin immer noch nicht ganz entschieden, wie sehr KI nun ein Hype ist, oder nicht, aber wo Meta gerade sein neues LLM namens LLaMA 3 ausrollt bekomme ich immer mehr den Eindruck, dass die KI Entwicklung auf einem Sattelpunkt angekommen ist. Ich mein, GPT-4 ist jetzt schon über ein Jahr alt und bisher konnte kein Konkurrent etwas wesentlich besseres vorstellen. Gemini 1.5, Claude 3, LLaMa 3 scheinen aufgeschlossen zu haben und jetzt ungefähr auf demselben Niveau zu spielen und sich jeweils nur im Detail in ihren Stärken und Schwächen zu unterscheiden.

Ich bin also wirklich gespannt, was die nächste Generation von LLMs so auf die Beine stellt, aber mein educated Guess ist, dass die Zeit des Weggeblasenseins bei LLMs vorerst vorbei ist? Der Sprung von GPT-3.5 zu 4 war enorm, aber GPT-5 wird wahrscheinlich nur noch in einigen Spezialbereichen glänzen.

Momentan liegt die Hoffnung in einer Technik namens Q*. Die technischen Details könnt Ihr euch hier erklären lassen, aber dahinter steckt das Konzept von Adversarial Machine Learning. So wie damals bei AlphaGo das Basismodell geleveraged wurde, indem man es zweigeteilt und immer wieder gegeneinander hat spielen lassen, soll sich das LLM dann irgendwie selbst outsmarten und dabei immer schlauer werden. Aber wenn LLMs reine Semantik-Navigiertmaschinen sind, wird das höchstens ihre Rhetorik optimieren, ohne wirklich etwas über die Welt zu lernen?

Ich schätze, auf den Trichter sind die Entwickler*innen selbst gekommen und daher konzentrieren sie das ganze auf das Lösen von basalen Matheaufgaben, für die man halt einfacher eine „Ground Truth“ bereitstellen kann. Aber am Ende werden volkswirtschaftsgroße Summen in Compute versenkt worden sein, nur um dem LLM Algebra beizubringen, also das, was Taschenrechner schon seit 70 Jahren können?


Aaron Bady hat auf Slate eine lesensweste Rezension des zweiten Dune-Films vorgelegt. Ich habe tatsächlich wenige Kritiken gelesen, die nicht des überschwänglichen Lobes waren und wenn es kritische Anmerkungen gab, dann wurde sich wiederum unkritisch auf den SciFi-Roman von Frank Herbert berufen, der doch aber ebenfalls kritisiert gehört.

Jedenfalls macht Bady beides: er nimmt den Film sehr ernst und kritisiert ihn gekonnt, dann hält er Herberts Romanvorlage dagegen, verweist auf die Abweichungen aber nimmt dann auch den Roman ideologiekritisch auseinander und genau in dieser doppelten Kritik beginnt der Film (und das Buch) noch mal ganz anders mit dem Heute zu reden. Unter anderem arbeitet Bady bei Herbert und bei Villneuve’s Paul Atreides etwas heraus, das er „permission structure“ nennt und was er für einen integralen Bestandteil konservativen Denkens hält:

„This is why they tell apocalyptic stories about BLM mobs, Biden’s willful dereliction of duty in the matter of border security, or the zombie wasteland that progressives have made of San Francisco: to create a permission structure for all kinds of actions that would normally be off-limits. If they say ludicrous things, then, or describe a reality that has no bearing on the actual world we live in, their lurid fantasies nevertheless serve a purpose. As the hosts of the Know Your Enemy podcast like to ask about conservative thinkers, “What are they giving themselves permission to do?”

Mein Eindruck ist schon länger, dass unsere jeweiligen Alltagsethiken eigentlich eine Landschaft von Permission Structures sind, also Erlaubnisstrukturen mit denen wir uns bestimmte Handlungen erlauben oder verbieten. Permission Struktures sind nicht beliebig, sondern wie alle Semantiken kulturell und von unserem Umfeld stark determiniert, aber das Problem ist, dass wir jederzeit Flexibilität durch handgeklöppelte Narrative herstellen können: „Mir ist Unrecht wiederfahren, es ist mein Recht, mich zu wehren!“ oder „Wenn ich jetzt nicht handle, wird alles nur schlimmer!“. Das funktioniert prima individuell – ich kenne das leider aus eigener Anschauung bei mir selber – aber noch besser kollektiv, wie man nach 9/11 in den USA, oder gerade in Israel sehen kann.

Was Bady also beschreibt, ist weniger die allgemeine Permission Structure, als dessen Ausnahmezustand – und diese privatsemantischen Ausnahmezustände scheinen mir die eigentlich faschistischen Momente zu sein? Wertvolle Beobachtung jedenfalls.


Metas Einschnitt in die Reichweite von politischen Inhalten scheint rechte Medien-Klitschen tatsächlich überproportional hart zu treffen. Rechte Websites wie der Daily Caller oder Fox News verzeichnen einen Rückgang an Reichweite von 54 bis 22 Prozent. The Atlantik erklärt sich das so:

A simpler explanation is that conservative digital media are disproportionately dependent on social-media referrals in the first place. Many mainstream publications have long-established brand names, large newsrooms to churn out copy, and, in a few cases, large numbers of loyal subscribers. Sites like Breitbart and Ben Shapiro’s The Daily Wire, however, were essentially Facebook-virality machines, adept at injecting irresistibly outrageous, clickable nuggets into people’s feeds. So the drying-up of referrals hit these publications much harder.

Kann es sein, dass rechte News-Sites tatsächlich ein reines Clickbait-Phänomen sind und dass jetzt all unsere rassistischen Onkels und Tanten ihren Anschluss zum Tribe verlieren?

Nein. Mag sein, dass das Unterdrücken von Politik im Feed kurzfristig ein überproportional harten Schlag gegen rechte Websites darstellt, aber eine nachhaltige Lösung ist das trotzdem nicht. Rechte haben sich längst in tausenden von Telegram und Whatsapp-Gruppen organisiert und leider ist X ja auch noch da – die Lücke wird sich schließen. Währenddessen bietet dieses Narrativ den Plattformen eine gefährliche „Permission Structure“ zur Verbannung von Politik aus der Öffentlichkeit und die Effekte davon sind tatsächlich nachhaltig.



Zu dem Release von LLaMA 3 gab Mark Zuckerberg – jetzt überall gerebranded als „Zuck“ – ein großes Interview und dieses Mal durfte Dwarkesh Patel ran und das gibt mir die Gelegenheit, einmal über das Verhältnis von Silicon Valley zu den Medien zu sprechen. Wenn Ihr mal darauf achtet, wird Euch auffallen, dass diese ganzen CEOs nicht mehr zu klassischen Medien gehen, wenn sie etwas zu sagen haben, sondern zu einer über die letzten Jahre herangezüchteten Spezies des Tech-Access-Journalismus. Leute wie Joe Rogan, Lex Fridman oder eben Dwarkesh Patel erlauben den Tech-Bros sich unverstellt und offen ein bis drei Stunden in den Sessel zu lümmeln, ohne Angst vor kritischen Fragen haben zu müssen und ich schätze, an dem aus dem Ruder geratenen Interview von Musk mit Don Lemon kann man sehen, was passiert, wenn diese Erwartung durchbrochen wird.

Angefangen hat das mit Leuten wie Kara Swisher, die sich seit neustem versucht, als kritische Journalistin zu rebranden, was ihr aber nur für Menschen gelingt, die weder Gedächtnis noch Google haben. Hier auch eine schöne Tech Won’t Save Us Folge dazu.

Dieser Pseudojournalismus ist die materialisierte Permission Structure des Silicon Valley und hat solche Clowns wie Elon Musk überhaupt erst ermöglicht.


Der eh immer hörenswerte Podcast Troja Alert arbeitet sich seit einigen Folgen durch das alte Testament und bespricht in der aktuellen Folge die letzten drei Bücher Mose: Leviticus, Numeri und Deuteronomium. Dabei legen Stefan Thesing und Mark Bothe die dort angelegte, komplexe und teils bewusst idiosynkratische Permission Structure zu möglichen Politiken der Landnahme frei. Eine Permission Structure, die offenbar heute noch in Verwendung ist?


Diese Woche ist noch etwas lustiges in KI-Land passiert. Ein bekannter Youtuber, Marques Brownlee, hat die Humane AI pin, so ein absurdes Ansteckdingens mit GPT-4-Zugang getestet und sie ist erwartbar grottig. Das hat er auch so gesagt und jetzt regen sich die ganzen Tech-Bros auf X auf, dass man doch nicht so vernichtende Rezensionen verfassen dürfe, denn die Leute hinter den Produkten „builden“ doch die „Future“ und sind geile „Entrepreneurs“ und whatever. Jedenfalls nimmt Riley MacLeod das als Anlass über die offensichtliche Fragilität des KI-Hypes nachzudenken:

„Like children clapping for Tinkerbell, we have to be optimistic because the grift dies if we’re not. The bubbles of both NFTs and the metaverse burst, at least in part, because the reality trumped the hype; these things weren’t the future, they were just ugly jpegs and boring imitations of Second Life. If the third time is going to be the charm, which as Zitron points out already seems unlikely, then we need to stay on board. This is especially true because AI faces the unique complication that it needs our buy-in, and a lot of it, to feed it the impossible amounts of data it requires to have any potential at all.“


In der FAZ beschreibt die Historikerin Hedwig Richter, wie der Populismus der FDP gezielt die Erlaubnisstrukturen der bürgerlichen Gesellschaft erodiert, indem sie eine „Suppenkasperfreiheit“ verkauft, deren ganzer Deal in der Verweigerung jeder Verantwortungsübernahme besteht und sie mit der ständigen Drohung des emotionalen (faschistischen) Ausnahmezustands untermauert.

„Vielmehr bedingen sich in der Demokratie Volk und Regierung gegenseitig, sie konstruieren sich miteinander, es ist ein Hin und Her. Im schlimmsten Fall ist es ein kontinuierliches Downgrading. Das ist momentan der Fall.

Dafür gibt es eine Erklärung: die Po­pulisten, deren Kernkompetenz dieses Down­grading ist, die Abwärtsspirale der niedrigen Instinkte. Sie behaupten immer lauter, dass Demokratie ihre Legitimität aus einem plebiszitärvulgären Volkswillen bezieht – das Volk sei ein launischer Souverän, jederzeit zu Wutausbrüchen be­reit.“

Spannend ist auch die Beobachtung, wie Olaf Scholz die FDP als Erlaubnisstruktur nutzt, um seine neoliberalen Impulse auszuagieren:

„Und Olaf Scholz ist ganz dabei: Er lässt die li­berale Regierungspartei so umfassend gewähren und schubst dafür immer wieder die Grünen unter den Bus (wie oft kann man eigentlich unter den Bus geschubst werden, bis man tot ist oder Schluss macht?). Das nährt den Verdacht, der Kanzler nutze die FDP als Bauchsprechpuppe: Sie redet das, was er, der Schwarze-Null-Hardliner und Null-Zumutungen-Kanzler, in dieser verblüffenden Plattheit nicht sagen kann.“


Wall Street Journal so:

„In a presentation earlier this month, the venture-capital firm Sequoia estimated that the AI industry spent $50 billion on the Nvidia chips used to train advanced AI models last year, but brought in only $3 billion in revenue.“

Sam Alman so:


Jacobin hat ein Interview mit Yanis Varoufakis, der nach der gewaltsamen Auflösung der Palästina-Konferenz in Berlin ein Einreiseverbot in Deutschland ausgesprochen bekommen hat, weil er dort einen Vortrag halten wollte. Eigentlich versuchten die Behörden ihm sogar ein „Betätigungsverbot“ aufzudrücken, was ihm sogar Vorträge per Online-Schalte verboten hätte, aber anscheinend haben sie das juristisch nicht hinbekommen.

„Am folgenden Tag, während einer vom Palästina-Kongress organisierten Demonstration, sprach ein Polizeibeamter einen der Organisatoren und zwei begleitende Anwälte an. Er teilte ihnen im Grunde mit, dass sie besser nicht die Lautsprecher benutzen sollten, um meine Stimme zu übertragen, da die Berliner Polizei ein Betätigungsverbot gegen mich erlassen habe, ein Verbot jeglicher politischer Aktivität, das zuvor nur wenige Male gegen ISIS-Anhänger angewandt worden ist. Einer der Anwälte verlangte eine schriftliche Anordnung, aber die Polizei sagte, sie müsse diese nicht vorlegen.

Unsere Anwälte setzten sich mit der Polizei und dem Innenministerium in Verbindung und verlangten eine Erklärung. Das muss ihnen sehr peinlich gewesen sein – schließlich hatten sie ein Verbot gegen einen Bürger eines EU-Mitgliedstaates ausgesprochen – und nach zwei Tagen peinlicher Stille änderten sie ihre Erzählung von einem Betätigungsverbot zu einem Einreiseverbot. Bis heute wurde keines der beiden Verbote in schriftlicher Form vorgelegt, und die deutschen Behörden haben meine Bitten um eine schriftliche Erklärung abgelehnt.“

Ich bin zu jung (dass ich das nochmal sagen darf!), um die Kommunistenverfolgung in der frühen Bundesrepublik mitbekommen zu haben und wahrscheinlich ist das der Grund, warum ich so erschrocken bin, wie in diesem Land gerade ungenehme Meinungen mit knallharter staatlicher Repression begegnet wird? Dass reihenweise internationale und ja, auch jüdische Intellektuelle und Politiker*innen ausgeladen und denunziert werden, dass das Demonstrationsrecht für bestimmte Gruppen harsch eingeschränkt wird, dass Menschen wirklich Angst haben müssen, ihre Meinung zu sagen – nicht, weil sie sonst kritisiert werden, sondern weil sie sonst staatliche Repression erwarten dürfen, all das hätte ich mir noch letztes Jahr nicht vorstellen können.

Der Kampf gegen Antisemitismus ist ein wichtiger Kampf, aber gerade dient ein semantisch eskalierter und um jegliche Solidaritätsbekundung mit den Palästinensern erweiterter Antisemitismusbegriff als „Permission Structure“ der Politik, um repressive, undemokratische Kontrolle über den zivilen Diskurs durchzupeitschen und für Polizei und Behörden, sich endlich mal an diesen Arabern und „antisemitischen“ Linken abzureagieren.


Viele Leute wissen gar nicht mehr, dass bevor Deep Learning als KI-Ansatz ab 2012 an Tranktion gewann, ein ganz anderer Ansatz in der KI vorherrschte: „Symbolische KI“ oder auch „Expertensysteme“ genannt. Im Gegensatz zu heute, wo man neuronale Netze an großen Datenmengen trainieren lässt, machte man sich damals die Mühe, alle möglichen Denkbewegungen und das nötige Wissen hart in die Maschine reinzuprogrammieren. Eines der ambitioniesten Projekte, das aber trotzdem kaum bekannt ist, startete bereits in den 1980er Jahren und hieß „Cyc“ und I. A. Fischer beschreibt es in seinem Newsletter:

„Cyc’s knowledge base is a collection of frames (also called units), with slots for properties and entries for their values. Concretely, the frame ‚Texas‘ has a ‚capital‘ slot with the entry ‚Austin‘. Frames are organized into a global ontology, meaning that each frame belongs to one or more categories, and categories themselves belong to categories, all the way up to a root ‚Thing‘ category that encompasses everything in the knowledge base.

On top of frames sits a constraint language that allows the system to express logical concepts like quantification (‚every X is Y‘) and disjunction (‚X or Y but not both‘), and an inference engine to make deductions and answer queries. While there is a general-purpose reasoning engine, specialized inference engines are used for most queries for efficiency.“

Ich assoziiere symbolische KI immer mit der analytischen Philosophie. Intelligenz wird in dieser Denke als „Die Wahrheit sprechen“ definiert und das meint, „wahre Aussagen“ im Sinne der Aussagelogik zu produzieren. Sprache wird dabei nur als das unperfekte Medium gesehen, in denen diese Aussagen verfasst werden müssen und ihre Vieldeutigkeiten und Idiosynkrasien werden vor allem als technische Herausforderungen verstanden. Aber in der Theorie müsste eine vereindeutigte, „logische“ Sprache mit einer entsprechend angeschlossenen, möglichst „vollständigen“ Ontologie aller Dinge und ihrer Eigenschaften in der Lage sein, intelligente, d.h. „wahre“ Aussagen zu tätigen.

Dagegen proklamierte der Strukturalismus und noch stärker der Poststrukturalismus, dass die Wahrheit uns gar nicht zugänglich ist, sondern dass wir sie immer schon symbolisch vermittelt erleben. Alles ist Text und daher macht es Sinn, Intelligenz in der Sprache selbst zu suchen und das ist genau, wie LLMs funktionieren, wie ich bereits im Böcklerpaper versucht habe, zu zeigen. Wenn man so will sind LLMs operationalisierter Poststrukturalismus und daher sind die Vieldeutigkeiten und die Idiosynkrasien der Sprache kein Bug, sondern genau der Hebel, um Aussagen aus Aussagen zu generieren.

Man kann den heutigen Stand der KI also in gewissermaßen als Sieg des poststrukturalistischen Denkens betrachten, aber es wirft auch ein Licht auf seine Begrenztheit, denn eine „Ground Truth“ ist im System halt nicht vorgesehen und genau das wurde auch dem Poststrukturalismus immer zum Vorwurf gemacht. Sowas macht ja auch Angst? Genau das ist der Grund, der manche zu der These verleitet, dass die LLMs um symbolische KI-Elemente ergänzt werden müssen.

Eventuell kann das als Krücke vorläufig hilfreich sein, aber ich orientiere mich langfristig lieber an der zeitgenössischen Denkschule der neuen Materialismen, die eine eigene Art entwickelt haben, auf die Notwendigkeit einer „Ground Truth“ hinweisen, ohne sie in einer Wiederaufführung der klassischen Materie/Geist-Dichotomie münden zu lassen. Hier wird eher auf die materielle Verstrickung des Zeichens und der Zeichenhaftigkeit des Materiellen verwiesen und in Tech-Speech übersetzt hieße das, dass materielle Erfahrung auch nur ein weiterer Vektor im Latent Space ist – ein wichtiger allerdings!

Aktuell fällt diese Dimension letztlich den menschlichen Auditor*innen zu, die die Antworten der KIs aus ihren je begrenzten Semantiken heraus bewerten, doch vielleicht braucht die KI für ihre Weiterentwicklung ein unmittelbareres Feedback, im Sinne, dass „Schwerkraft“ nicht nur eine astronomische Kraft und die Anziehung zwischen Massen beschreibt, sondern dass „Schwerkraft“ auch ist, wenn Hinfallen wehtut. Schmerz ermöglicht dem Modell im Feedback mit der Welt seine eigene Erlaubnisstruktur auszubilden.


In diesem lesenwerten Blogpost spielt der Chemiker Phil mal durch, was es bedeutet, dass LLMs zunehmend Suchmaschinen als bevorzugte Informationsabfragesyteme verdrängen. LLMs und ihr flexibles Verhältnis zur Wahrheit werden vor allem dann zum Problem, wenn es um die Sicherheit im Umgang mit Chemikalien geht. Bisher suchte man einfach im Netz und stieß auf den „Material Safety Data Sheet„, in dem sehr detaillierte Anweisungen hinterlegt sind. Oder man fragt einfach ChatGPT:

„As it was topical at the time, I fed “how to respond to a vinyl chloride fire” into ChatGPT and it told responders to use a water fog on the water reactive chemical. This would have changed a train derailment/hazmat spill/fire emergency into a detonation/mass casualty/hazmat emergency. A+ performance, ChatGPT, you would have obliterated a town.“

Seine Erwartungen sind entsprechend düster:

„I grimly await a lab blowing up due to LLM advice thanks to Google’s garbage automatically generated and promoted output.“

Aua.

Kryptowährung: Sollten Anleger vor dem Halving Bitcoin kaufen?

Ich wurde von Philipp Frohn von der Wirtschaftswoche zum Bitcoin-Halving befragt und der Artikel ist jetzt erschienen.

„Wenn wir in einigen Jahren auf den Kurs schauen, könnte er bei einem oder ei- ner Million Dollar stehen, und beides wäre plausibel“, warnt Kulturwissenschaftler Michael Seemann. „Der Bitcoin ist ein rei- nes Spekulationsobjekt.“

Quelle: Kryptowährung: Sollten Anleger vor dem Halving Bitcoin kaufen?

Krasse Links No 11.

Willkommen bei Krasse Links No. 11. Rückt eure Throne ran, heute geht es um Wert und Beziehungsweisen und warum wir uns das alles überhaupt antun.


Diese Woche ging ein Artikel rum, der klar macht, dass die Praxis des Swattings jetzt auch in Deutschland endemisch geworden ist. Den ersten Fall hatten wir schon vor Jahren mit Drachenlord aber die NWO, die Gruppe, die neuerlich im Fokus steht, hat eine ganze Liste von Politiker*innen und Streamer*innen im Visier.

René Walters lesenswerter Kommentar dazu verweist auf unser unzulängliches Vokabular, etwa, wenn in der Berichterstattung um das „Trollen“ geht.

„Klassisches Trollen, ein spielerisches und manchmal auch ein bisschen gemeines Provozieren mit absurden verbalen Angriffen mit dem Zweck, das Opfer dieser Angriffe zu einer Art „Selbstentblößung“ zu treiben, hat mit dieser Form von organisierter Kriminalität nichts zu tun. Es handelt sich bei Gruppen wie „NWO“ nicht um Trolle, es handelt sich um sadistische Kriminelle, die psychologische Gewalt und Sicherheitskräfte gezielt als Waffe benutzen, und sie sollten deshalb als das bezeichnet werden, was sie sind: Nämlich als gemeingefährliche Psychopathen.“

Ich stimme René inhaltlich zu, bin aber auch nicht ganz glücklich mit seiner Semantik. Trollen ist eine Form des Sich-Beziehens auf jemanden und kann deswegen nicht einfach durch eine kognitive Pathologie ersetzt werden (nicht nur, weil das ableistisch wäre). Mein Verdacht geht eher in die Richtung, dass es, seit es „True Fans“ gibt, auch die Beziehungsweise des „True Haters“ gibt? So wie der True Fan ist auch der True Hater bereit, materielle Ressourcen in die Hand zu nehmen (Geld oder persönliches Risiko), um leidenschaftlichen seiner Beziehung zum Star zu frönen.

PS: Den Begriff der Beziehungsweise hatte ich im letzten Newsletter im Bezug auf Donna Haraway eingeführt, aber vergessen zu erwähnen, dass ich ihn eigentlich von Bini Adamczak geborgt habe.


Zoë Schiffer hat sich für den Platformer Newsletter tief in die kontroverse Debatte über Jonathan Haidts Buch, The Anxious Generation, reingegraben, in dem er die Depressionsepidemie unter Jugendlichen den digitalen Medien zuschreibt. Leider kommt sie noch unschlüssiger aus ihr hervor, als sie reingegangen ist. Der Forschungsstand ist widersprüchlich und unkonkret, aber sie wird das Gefühl nicht los, dass Haidt doch irgendwie einen Punkt hat?

Auch Max Read beschäftigt das Thema und er bespricht ein Interview mit Haidt und Tyler Cowen, in dem Cowen einwendet, dass KIs ja demnächst die Screen Time reduzieren würden, weil sie einem die eigenen Social Media Inhalte zusammenfassen. Haidt kann hier den offensichtlichen Einwand nicht bringen, dass wir Social Media nicht in erster Linie für Informationen, sondern zum, naja, socializen nutzen, weil das seine ganze These kaputt machen würde.

Und hier haben wir glaube ich den ersten Denkfehler in der Debatte: das Problemfeld verläuft nicht zwischen digital und nicht-digital, Smartphone oder nicht-Smartphone, sondern viel allgemeiner in der veränderten und sich stetig weiter verändernden Art und Qualität von Sozialität. Ich hatte mich zu Haidt ja schon mal positioniert, aber mittlerweile bin ich mir sicher, dass einfach die Frage falsch gestellt ist.

Wir fragen ständig, was die Benutzung von Smartphones oder Social Media mit uns als Individen macht, mit unserem Gehirn, mit unseren Emotionen, dabei ist die Frage viel relevanter, was die digitalen Medien mit unseren Beziehungen machen. Mein Verdacht ist, dass ein Blick auf die Veränderungen der Beziehungsweisen, auf ihre Art, auf ihre Qualität, auf ihre Semantiken, viel aufschlussreicher ist, als die Korrellation zwischen Screen Time und mentalen Zuständen zu messen.

Was hat die Facebook-Friedship mit der Beziehungsweise der Freundschaft gemacht, was hat Tinder mit der Beziehungsweise des Dates gemacht, was haben Messenger und Find my Friends mit der Beziehungsweise der Partnerschaft gemacht? And for that Matter: wie hat sich eigentlich die Beziehungsweise des Trollens verändert? Was bedeutet der Aufstieg und Fall des Followers für unsere soziale Verortung in der Welt? Und nicht zuletzt: welche Beziehungsweisen gingen zusammen mit dem Verlust der „dritten Orte“ in der physischen Welt verloren, insbesondere für Jugendliche?

Ich habe das starke Gefühl, dass das die wesentlichen Fragen sind und unsere Gefühlswelt downstream von unseren Beziehungen ist, aber weil unsere Wissenschaft halt immer auf das Individuum fixiert ist, kommt sie gar nicht darauf, diese Frage zu stellen?


Ryan Broderick schreibt in Garbage Day über das Fediverse:

„And I’m beginning to realize my deep lack of interest in the fediverse is because, at least so far, everyone is just making Twitter variants with it.“

Ich fühle, was er meint, auch wenn das, was er sagt so nicht stimmt. ActivityPub dient als allgemeines, generisches Protokoll dazu, alle denkbaren socialmedia-artigen Anwendungen auf Protokollebene interoperabel zu machen und es gibt durchaus Instragram-, Youtube– und Reddit-Klone, die auf ActivityPub basieren und auch ich habe in diesem Blog ein Plugin, dass meine Posts auf Mastodon pushed.

Aber dadurch, dass jeder Mastodon-Account meinem Blog, oder Pixelfed- und Lemmy-Accounts folgen kann kommt es auch immer wieder zu „Kontext Kollaps“. Dieser Newsletter wird beispielsweise gleichzeitig auf meinem Blog, per E-Mail und im Fediverse veröffentlicht und das führt oft dazu, dass Leute auf Mastodon replyen, dass ihnen der Post zu lang ist (auf Mastodon ist eigentlich 500 Zeichenlimit Standard), was dann dank des Plugins als Kommentar auf meinem Blog erscheint, was die Replyer selbst meist gar nicht merken und was anschließend die Blogleser irritiert, während die Leute, die den Newsletter in die Inbox bekommen, von all dem nichts mitbekommen, aber manchmal abgeschnittene Posts bekommen (No 8), weil dem Newsletter-Plugin der Blogpost zu lang ist.

Auch das Konzept des Fediverse leidet darunter, dass die „Beziehungsweisen“ nicht ernst genommen werden, sondern so getan wird, als seien alle Bezugnahmen austauschbar. Aber immer wenn ich einen Post verfasse, oder ein Bild hoch lade, dann machen ich das unter ganz bestimmten materiellen Bedingungen und antizipiere dadurch konkrete Rezeptionshaltungen und die Tatsache, dass dieser Kontext in der Rezeption verloren geht, ist ein handfestes Problem. Beziehungsweisen sind eben semantische Konzepte des Sich-Beziehens, die deswegen von allerlei Erwartungen strukturiert sind. Evtl. basiert die ganze Idee der Interoperabilität auf dem Mißverständnis der Austauschbarkeit von Beziehungsweisen?

Brodericks Beobachtung, dass das Fediverse am Ende immer nur Twittervarianten produziere, liegt natürlich an der überwältigenden Dominanz von Mastodon und das liegt wiederum daran, dass sich die Entwicklung von ActivtityPub – bewusst oder unbewusst – eng an den Affordanzen des Microblogging orientierte und daran merkt man, wie recht Haraway hat: die Perspektive des kontextlosen Schwebens über den Dingen ist immer eine Illusion, auch bei der Entwicklung von Protokollen. Und evtl. verteidigen die Leute auf Mastodon die Spezifität ihrer Beziehungsweisen deswegen so erbittert, weil sich diese Spezifität auf der Basis eines generalisierenden Protokolls entwickelt hat, das jetzt tut, was Protokolle halt so tun: Semantiken anschlussfähig machen. Mit Discord wär das nicht passiert.

Jedenfalls überlege ich, einige der Plugins wieder abzuschalten?


Ryan McGrady hat mit anderen eine interessante Studie zur Tiefe von Youtube vorgelegt und schreibt zusammenfassend darüber im Atlantic. Youtube bietet wie viele Plattformen keinen guten Forschungszugang, weswegen die Forscher*innen einen interessanten „Brute Force“-Ansatz entwickelt haben und einfach alle möglichen Youtube-URLs durchprobieren und schauen, welche Links funktionieren. Das garantiert nebenbei auch eine recht zuverlässige Zufalls-Selection, weswegen sich die Forscher*innen auch ohne Komplettübersicht sicher genug fühlen, allgemeine Aussagen zu Youtubes Inhalten zu machen. Und was sie abseits der ausgetretenen Wege der meisten Views so findet ist erstaunlich zivil. Kleine Fancommunities, private Homevideos, oder Self-Help-Videos aus der Nachbarschaft. Youtubes Dark Matter enthüllt seine wahre Existenz als öffentliche Video-Infrastruktur.

„Unlike stereotypical YouTube videos—personality-driven and edited to engage the broadest possible audience—these videos aren’t uploaded with profit in mind. Instead, they illustrate some of the ways that people rely on YouTube for a much wider range of activities than you would find while casually scrolling through its algorithmically driven recommendations. YouTube may have started as a video platform, but it has since become the backbone of one of the 21st century’s core forms of communication.“

Ich finde das einen spannenden Ansatz, aber eben auch nur als ersten Schritt, denn jetzt müsste es darum gehen, genau zu analysieren, in welche Beziehungsweisen Youtube als Infrastruktur eingebunden ist. Das wäre dann aber weniger eine quantitative, denn qualitative Arbeit und allgemein bekomme ich immer mehr das Gefühl, dass die Zukunft in anthropologischen Forschungsansätzen liegt?

Am Ende weist McGrady auf die gesellschaftlichen Implikationen hin, dass Plattformen als Heimat vielfältiger Beziehungsweisen auch enorme Abhängigkeiten geschaffen haben:

Platforms present opportunities; they’re something you can choose to use in order to communicate. But for many people, YouTube is now less an opportunity than a requirement—something you have to use, because basic elements of society have organized around it. The terms with which YouTube’s trillion-dollar owner defines its product should no longer be our default. The website is infrastructure.



Lina Khan, die Chefin der FTC – amerikas Verbraucherschutz- und Netzbehörde – war bei Jon Stewart und das Gespräch ist sehr sehenswert. Kahn hat eine interessante Geschichte. Noch während ihres Studiums ging ihr Paper „Amazon’s Antitrust Paradox“ für wissenschaftliche Verhältnisse viral und Biden holte sie direkt von der Uni als Chefin zur FTC. Seitdem versucht sie in vielen einzelnen Ermittlungen und Klagen die Monopolstellung der Techunternehmen anzugehen und hat für so viel Schrecken in den Vorstandsetagen gesorgt, dass Apple eine vorherige Einladung bei seiner Apple+Show explizit verhindern wollte, wie Stewart erzählt. Ich wünsche Kahn bei ihrem Kampf nur das Beste und ich bin auch kein Jurist, aber mir scheint das Kartellrecht immer etwas zu unterkomplex und eng gefasst, um die spezifische Macht der Plattformen wirklich zu greifen. Kahn scheint das intuitiv auch zu verstehen, wenn sie in der Sendung sagt, die Plattformen seien „Too big to Care“.

Das kann zwei Dinge heißen: Die Plattformen sind zu groß und zu mächtig geworden, um sich allzu viel Sorgen zu machen (zum Beispiel über Regulierung), oder die Plattformen sind zu groß und zu mächtig, um Verantwortung zu übernehmen. Ich tendiere zu zweiterem, aber eventuell ergibt sich das eine eh aus dem anderen?

Haraways Idee von Verantwortung orientiert sich an Levinas und Derrida und besagt, dass man Verantwortung übernimmt, indem man antwortet, also indem man sich irritierbar macht für den Anderen. Und Irritierbarkeit beinhaltet immer auch die Möglichkeit der Transformation. Das Prinzip der Skalierung, das hinter allen Plattformen steht, basiert dagegen gerade darauf, dass ein*e einzelne Nutzer*in eben kein transformativen Impact auf die Plattform haben darf – umgekehrt aber schon. Plattformen sind verantwortungslos by Design (was man spätestens dann merkt, wenn man da irgendwen erreichen will). User*innen sind für sie nur als Number go up relevant. Insofern ist das ganze Plattformprizip mit „Too big to Care“ tatsächlich bestens beschrieben.


Diese Woche habe ich endlich mal den 1976-Film „Network“ geschaut und ich war ziemlich weggeblasen. Von einer Satire über die Medienbranche, die älter ist als ich selber, hätte ich keine wesentlichen Einsichten erwartet, aber der Film war wahrscheinlich noch nie aktueller als heute.

Kurz zusammengefasst (vorsicht, Spoilers) geht es um einen bekannten News-Ancor, Howard Beale, der vor der Kamera eine Krise durchlebt und ankündigt, sich umzubringen, doch weil das für so gute Quoten sorgt, wird ihm eine eigene Show gegeben, in der ihm als „angry prophet denouncing the hypocracies of our times“ die Gelegenheit gegeben wird, seinen Weltschmerz hinauszuchreien („I’m as mad as hell, and I’m not going to take this anymore!”) was so gute Quoten beschert, dass der Besitzer des Senders Beale zur „Corporate Propagandakanone“ für seine neoliberale Weltsicht umzufunktioniert („There is no America. There is no democracy. There is only IBM, and ITT, and AT&T, and DuPont, Dow, Union Carbide, and Exxon. Those are the nations of the world today.“), was dessen Ratings in den Keller sacken lässt, weswegen der Sender sich entscheidet, ihn von ebenfalls vom Sender angestellten linksradikalen Milizionären („Hi. I’m Diana Christensen, a racist lackey of the imperialist ruling circles.“, „I’m Laureen Hobbs, a badass commie n*****.“ „Sounds like the basis of a firm friendship.“) vor laufenden Kameras erschießen zu lassen.

Der ganze Film ist wirklich toll gemacht, hat großartige Monologe und Dialoge. Doch das eigentlich phänomenale ist, dass diese brutale Kritik an der Medienbranche anhand von Phänomenen erläutert wird, die damals noch nicht existierten. Howard Beale ist sowohl der Vorläufer des Influencers, aber noch mehr des „angry man shouting into his microphone“ von Rush Limbaugh bis Alex Jones und Tucker Carlson. Es scheint fast so, als habe der Film die Mechanismen der Aufmerksamkeitsoptimierung in den Blick genommmen und dessen Möglichkeitsraum explorativ ausgetastet und ist auf diese Weise von selbst auf Kulturkrieg als Geschäftsmodell gestoßen, lange vor Fox News und X. Die unmenschlichen Optimierungsspiralen, die wir heute bei den Plattformen am Werk sehen, sind ganz offensichtlich technikunabhängige Systemlogiken des Zusammenspiels von Kapitalismus und Aufmerksamkeitsökonomie.

Es ist dasselbe Beast und das Erschreckende daran ist, dass es schon damals, als die ca. 1000 mal kleinere Vorläufervariante der heutigen Plattformgiganten, unbezwingbar wirkte. Das gibt einem zumindest ein Gefühl für das Ausmaß der Scheiße, in der wir gerade stecken.

Und fuck, Howard Beale hat auch einfach recht?


Ich bin über diesen wunderhübschen, aber etwas zu lang gewordenen Explainer von Baldur Bjarnason gestolpert, der erklärt, wie unsere Wahrnehmung, dass KIs denken könnten, durch klassische Praktiken des Zauberhandwerks erklärt werden kann. Der Text nimmt sich viel Zeit in die Strategien der Magier einzuführen und diese Settings dann auf LLMs anzuwenden.

„The chatbot’s answers sound extremely specific to the current context but are in fact statistically generic. The mathematical model behind the chatbot delivers a statistically plausible response to the question. The marks that find this convincing get pulled in.“

Tatsächlich bin auch ich in meiner Praxis mit LLMs über viele Antworten gestolpert, bei denen man erst denkt, ja, das ergibt total Sinn, aber bei genauerem Hinsehen zerfällt alles in generischen Sprachhülsen. Eine Freundin verglich manche Antworten mal treffend mit Horoskopen und Tarot-Karten, deren Spezifität ja ebenfalls auf den ersten Blick oft verblüfft, deren Vorhersagen aber auf Vagheit in der Formulierung und statistisch plausiblen Vorannahmen basieren.

Aber ich mein, das ist doch erwartbar? Dass ein Modell, das im Wesentlichen komplett aus Statistik besteht, statistische Tricks der Rhetorik perfekt zu beherrschen lernt, liegt doch auf der Hand? Bjarnason äußert den Verdacht, dass die KI beim Reinforcement Learning on Human Feedback (RLHF) gelernt hat, seine Reward function zu hacken:

„This is why I think that RLHF has effectively become a reward system that specifically optimises language models for generating validation statements: Forer statements, shotgunning, vanishing negatives, and statistical guesses.“

Agreed. Aber beweist das, dass LLMs nicht denken können? Ich finde nicht. Erstens gibt es meiner Erfahrung nach immer noch viele Beispiele, die sich durch die gezeigten Tricks nicht erklären lassen und zweitens stoßen wir wahrscheinlich auch einfach an die mentalen Kapazitäten der RLHF-Auditor*innen, dieses Rewardhacking in kurzer Zeit zu erkennen. Sonst würde es ja auch nicht bei uns zuerst funktionieren. Und wenn die Machine die Gelegenheit bekommt, mit weniger Aufwand positives Feedback der RLHF-Auditor*innen zu bekommen, wird sie darauf optimieren. Ist doch klar.

Und drittens: Wisst ihr, wer noch ständig seine Rewardfunction hackt? Der Mensch. Seit Sokrates die Sophisten beschimpfte, dass ihre Argumentationen nur leere rhetorische Figuren seien, streiten wir um den Wert und die Berechtigung von Rhetorik. Und Rhetorik funktioniert auch schon immer als Abkürzung und das weiß ich, seit ich in meiner Unizeit Hausarbeiten über Bücher schrieb, die ich kaum gelesen hatte.

Meine Theorie ist also folgende: LLMs lernen aus den von uns verfütterten Semantiken eine ganze Menge über die Welt, denn die Welt ist in den Semantiken erstaunlich detailliert codiert. Für viele Antworten besteht das Optimum in der tiefen Kenntnis dieser Semantiken, doch wenn die Maschine in den Semantiken auch Abkürzungen mittels rhetorischer Tricks entdeckt, wird sie sie nehmen – b/c that’s what it does. Und daher hat das eh schon absolut verbeulte „World Model“ der KI allerlei rhetorische Verflachungen und ich sehe auch keine Technik am Horizont, die sie nachhaltig ausbeulen könnte.


Sabine Hossenfelder outet sich als gescheiterte Akademikerin and I guess I can relate? Sie beschreibt das akademische System zynisch als Paper-Produktion-Maschine, in der Paper in Drittmittel und Drittmittel in Paper umgewandelt werden. Auch wenn das in seiner Generalisierung sicher übertrieben ist, ist die Analyse der Incentives durchaus richtig. Auch in Akademia werden allerlei Rewardfunctions gehackt.

Ich glaube, es geht dabei aber nicht nur um Geld, sondern ein weiterer Faktor ist die Macht der Fächer. Egal, ob Kommissionen für Anträge oder Stellen, oder Peer-Review-Verfahren: Die Selektionen basieren mehr auf Stallgeruch (beherrscht jemand den fachspezifischen Jargon, zitiert die richtige Literatur (am besten den Peer-Reviewer und seine Friends), dropt die im Fach gerade relevanten Buzzwords?), denn auf Originalität und Substanz der Beiträge zur Erweiterung der Arten des Denkens über das Thema. Und das setzt für jedes Fach seine ganz eigene Aufmerksamkeitsökonomie ins Werk, die sich nur auf die Fortschreibung ihrer internen Semantiken konzentriert und jeden Blick über den Tellerrand – naja, sagen wir, zumindest nicht goutiert.

Sabine hat es sicher mehr versucht als ich und sie hatte mit dem Sexismus noch mal extra Hürden gegen sich, aber auch ich kenne das Gefühl des Misfits; ich habe mich nur früher damit abgefunden.


Der CEO von Cloudflaire, Matthew Prince, war bei Decoder und das Gespräch ist recht vorteilhaft für Prince, der gekonnt den bedachten Typen spielt. Das ist ein nachvollziehbares Image, wenn man ein Content Delivery Network betreibt. Wer nicht weiß, was das ist: CDNs betreiben über die Welt verstreute Serverstrukturen, die deine Lieblingsserie lokal vorhalten, damit es sofort losgeht, wenn du Play drückst.

Aber eine Stelle hat mich nicht mehr losgelassen. Fast nebenbei lobt er seine Firma für ihr Motto, nie mehr als 10% des durch das Netzwerk generierte „Values“ zu „capturen“. Ich fragte mich sofort: warum 10%? Warum nicht 7, oder 12?

Das ist eine generelle Denkart im Silicon Valley: Netzwerke schaffen „Value“ und einen als legitim geframten, aber eigentlich völlig beliebigen Anteil davon schöpfen sie für sich ab. Bill Gates hatte einmal eine Plattform dadurch definiert, dass sie weniger als 50% des von ihr geschaffenen Values vereinnahmen dürfe, was der Analyst Ben Tompson seitdem die Bill Gates Line nennt. Ich finde das aus zwei Gründen merkwürdig. Zum einen die vollkommen beliebige Wahl des Prozentsatzes (10%, 50%, 30%, whatever) und zum anderen frage ich mich, was genau unter Value zu verstehen ist? Ist „Value“ nur monetär gemeint, also muss Umsatz oder eine Transaktion dahinter stehen? Und selbst wenn man sich auf moneträren „Value“ einschließt: wo genau kommt dieser Value denn her? Doch zum größten Teil nicht von der Plattform selbst, sondern von denen, die sie nutzen?

Es ist diese Frage, die mich am meisten motiviert hat, die Macht der Plattformen zu schreiben: Was ist Wert? Nicht nur bei Plattformen, sondern generell (ich halte weder die marxistische noch die neoklassische Antwort für befriedigend und auch Marianna Mazzucato hat mir diesmal nicht weitergeholfen).

Die Nuss habe ich leider nicht geknackt bekommen auch wenn ich der Antwort beträchtlich näher gekommen bin. Plattformen schaffen durchaus Wert durch ihre Infrastruktur und dieser Wert lässt sich gut anhand des Suez-Kanals erklären, dessen Durchquerungspreis sich an den Mehrkosten einer Afrikakaumrundung orientieren. Grob gesagt, ist der Wert einer Infrastruktur also äquivalent zu den Aufwänden, die man für eine alternative Verbindung in Kauf nehmen müsste, weswegen ich diesen Wert im Buch „Opportunitätsprämie“ nenne. Zusätzlicher Wert wird darüber hinaus natürlich auch mit der Administration und Moderation auf der Plattform geschaffen.

Aber jeder weitere Wert ergibt sich aus den Beziehungen auf dem Netzwerk selbst und das dürfte der ungleich größte Teil des Wertes des Netzwerks sein und der entzieht sich der Kontrolle und Verantwortung des Plattformbetreibers. Dass dieser es trotzdem für das Natürlichste der Welt hält, einen Anspruch darauf zu haben, einen relevanten Teil davon abzuschöpfen, ist genau genommen ziemlich dreist?


In meinem Buch behandle ich auch die sehr lesenswerte Doktorarbeit von Uta Meier-Hahn, die eine Art Anthropologie der Netzwerkökonomie vorgelegt hat. Sie hat mit etlichen Verantwortlichen von großen Netzwerkbetreibern gesprochen und sich erklären lassen, wie genau Peering-Entscheidungen und -Deals getroffen werden. Für die, denen das nichts sagt: das Internet wird in seinen Grobstrukturen von nur einer Handvoll Großunternehmen betrieben, deren Geschäftsmodell es ist, ihre Konnektivität an Internet Service Provider, andere Netzwerkbetreiber oder CDNs wie Cloudflaire weiter zu verkaufen. Das Internet ist ein Netz der Netze und der Verkehr zwischen den Netzen hat ab und zu ein Kassenhäuschen – und manchmal auch nicht. Dann nämlich, wenn die Interessen beider Netzbetreiber, Daten zu tauschen, in etwa ausgeglichen ist. Die Kriterien dazu sind komplex und ein Großteil von Utas Arbeit befasst sich mit ihrer Katalogisierung, aber einer der wesentlichen Faktoren ist natürlich die Größe des Netzes. Ein kleines Netz hat immer ein höheres Interesse, mit einem größeren Netz Daten zu tauschen, als umgekehrt und deswegen muss das kleine Netz zahlen und das große bekommt Konnektivität geschenkt.

Das tolle an Utas Doktorarbeit ist, dass man es hier schwarz auf weiss hat: Kontrolle von Zugang ist Macht und Macht ist die Fähigkeit, Preise zu nehmen – also die Definition von Renten. Und an der Beliebigkeit des gecapturedten Prozentsatzes können wir bereits erahnen, wo die Reise entlang der Enshittification noch hingeht.

Doch diese Mechanismen beschränken sich nicht auf Plattformen und Netze, sondern sind dort nur besonders sichtbar. Es gibt viele Güter, deren Wert wir nur zum Teil an ihren intrinsischen, materiellen Qualitäten messen und bei denen es viel mehr darum geht, zu welchen Beziehungen sie uns Zugang gewähren. Immobilien sind das beste Beispiel: Lage ist deswegen für den Preis entscheidend, weil sie Zugang zu bestimmten Aktivitäten, wirtschaftlichen Opportunitäten und Lebensqualitäten verspricht, die sie selbst nicht hervorbringt. Wir sehen dasselbe im Verhältnis von Arbeitnehmer*innen zu Unternehmer*innen, bei denen letztere die Machtposition zum Zugang zur Teilhabe an der Gesellschaft kontrollieren, während erstere möglichst austauschbar gehalten werden. Wir sehen das aber auch in den Ausbeutungsstrukturen um Supplychains, in denen das Leitunternehmen nur noch die Marken- und Urheberrechte, sowie das Marketing verwaltet und damit den Zugang zu Kund*innen monopolisiert, während es die Supplyunternehmen um geringste Margen konkurrieren lässt.

Die Gesellschaft ist durch Abhängigkeiten strukturiert und der ganze Trick besteht darin, Flaschenhälse zu produzieren und dort die Kontrolle der Zugänge zu bepreisen. Und das ist der Grund, warum ich es politische Ökonomie und nicht Ökonomie nenne.


Jetzt fragt ihr euch sicher: Hä? Abhängigkeiten, Politische Ökonomie, Kontrolle von Zugang? Das ist alles so verwirrend! Was ist denn aus den guten alten Märkten geworden?

Ich habe erst diese Woche gelernt, dass der ultimative „missing Link“ zwischen der politischen Ökonomie der Abhängigkeit und der klassischen Ökonomie der Märkte in der „The getting-punched-in-the-face theory of efficient markets“ von Daniel Taylor liegt.

Es ist ganz einfach. Stell dir vor, ich hau Dir volle Kanne ins Gesicht und das macht mir so viel Spaß, dass es mir ein Euro pro Tag wert ist, aber Dir ist es 100 Euro pro Tag wert, nicht ins Gesicht gehauen zu bekommen. Nach klassischer ökonomischer Theorie wäre die Pareto-optimmale Effizienz dieser Markt-Beziehung dann erreicht, wenn Du mir 99 Euro fürs Nicht-Ins-Gesicht-Geschalgen-Werden zahlst.

The point of this is to illustrate how Pareto efficiency and efficient markets don’t care about power dynamics, exploitation, or distributional outcomes.


Gary Stevenson beschreibt in diesem Meinungsstück für den Guardian seine Erlebnisse als ehemaliger Banker und wie schnell er merkte, dass er alle ökonomische Theorie über den Haufen werfen musste, um stattdessen mit eigenen Augen die Herrschaftsverhältnisse in den Blick zu nehmen, um gute Prognosen für seine Anlageentscheidungen zu treffen.

So I went back home to Ilford, in east London, and I looked, and what did I see? My best mate had holes in his shoes. He used to jump over the Tube barriers on the way to work when no one was looking. Another friend’s mum had sold her house. Now he was sleeping on the sofa of her rented flat, trying to save up the deposit for a house, the cost of which was rising quicker than his savings. He still hasn’t bought it. Meanwhile, I worked every day on the second floor of a skyscraper in a room full of millionaires.

The next year, 2011, I placed a bet. It was a bet that the hundreds of billions of pounds of economic stimulus being poured into the UK and US economies would not reach the people who needed it. It would settle in the pockets of the richest, who would use it to buy the homes of the poor, and the economy would never recover. That year, I was Citibank’s most profitable trader in the world. They paid me $2m and asked me to do it again. It was around about then I realised the whole economic system wasn’t working.

Da Geld nur der Transmissionriemen gesellschaftlicher Machtverhältnisse ist, haben wir ein sich selbst fütterndes Monster geschaffen, das Macht nutzt, um Geld zu machen und Geld nutzt, um seine Macht abzusichern. Der Rewardfunction-Hack im Herzen unserer Gesellschaft.

Mit jedem weiteren Jahr rücken wir der Oligarchie näher und sind irgendwann an dem Punkt der Unumkehrbarkeit, weil dann die gesellschaftliche Macht der 0,1% ausreicht, jeden Versuch ihrer Einhegung zu unterbinden. Nimmt man die vielfältigen Verflechtungen der Milliardärsklasse mit dem weltweiten Rechtspopulismus mit ins Bild, könnte der Punkt bereits überschritten sein?


Die Washington Post hat ein Stück über die Anleger*innen von Truth Social, die in der letzten Woche ca. 50% des Werts ihrer Investitionen verloren haben, aber trotzdem erstaunlich guter Dinge sind?

“I know good and well it’s in Trump’s hands, and he’s got plans,” he said. “I have no doubt it’s going to explode sometime.”

Truth Social ist so interessant, weil hier so vieles, von dem, was ich oben zu Plattformen entwickelt habe, überhaupt nicht zutrifft. Es schafft keinen Value durch Opportunitätsprämien, weil es außer Donald Trump und ein paar verstrahlten MAGA-Heads eh niemand nutzt. Es hat dementsprechend auch kaum Umsätze und rein aus wirtschaftlicher Perspektive hat dieses Unternehmen null Zukunft.

Aber mir scheinen die Kalkulation der DJT-Investor*innen trotzdem nicht vollkommen irrational zu sein. Eigentlich praktizieren sie eine Anlagestrategie, die der von Gary Stevenson gar nicht so unähnlich sieht. Sie wetten auf Donald Trump und seinen Machtgewinn, wenn er wieder Präsident wird und ihre implizite Hoffnung scheint zu sein, dass Trump sie als „Early Investors“ mittels seiner Macht schon irgendwie gesundstoßen wird.

Sie liegen natürlich trotzdem falsch, einfach weil Trump auf ihre Loyalität scheißen wird, aber ihr Handeln zeigt, dass sie den Macht-Geld-Transmissionsriemen verstanden haben und damit sind sie zumindest den akademischen Ökonom*innen einen Schritt voraus.


Sorry, Milliardäre machen mir immer so schlechte Laune (ich werde noch zum True Hater) und ich schätze, das macht auch mich wie Tucker Carlson und ja, Elon Musk und irgendwie auch Sabine Hossenfelder zu einem Erbe von Howard Beale. (Wobei wir eigentlich alle Abkommen von Martin Luther sind, dem ersten Rage Blogger der Geschichte). Ich mein: dieser Newsletter ist für mich auch ein Eingeständnis, dass ich meine Gedanken vornehmlich außerhalb akademischer und massenmedialer Strukturen fortsetzen will und evtl. enthält er auch Spuren meines Unmuts über die Welt?

Ich will das nicht überbewerten, aber ein klitzekleines bisschen fühle ich mich deswegen auch verantwortlich für den Bullshit, der gerade so läuft. Thomas Mann reflektierte nach dem zweiten Weltkrieg seine semantische Verwandtschaft mit dem Nationalsozialismus und die Verantwortung, die damit einhergeht, in seinem bekannten Essay „Bruder Hitler“. Unsere gedankliche und sprachliche Verortung in ganz spezifische Semantiken lenkt und begrenzt zwar unsere Denk- und Handelsmöglichkeiten, aber gerade weil diese Semantiken niemals fix sind und weil wir ihre Bedeutung auch immer ein bisschen mitbestimmen, entbindet uns das eben nicht von der Verantwortung, sondern es fesselt uns bisweilen an unsere ärgsten Feinde.

Aber die Verantwortung habe ich ja nicht Tucker Carlson gegenüber und das bringt mich zu der Frage: für wen schreibe ich hier eigentlich? Ich kenne die meisten von Euch, sehr geehrte Abonnent*innen, gar nicht, aber auch ganz allgemein: Welche Art von Öffentlichkeit will ich hier herstellen? Ich habe mir überraschend wenig Gedanken um diese Fragen gemacht, obwohl relativ früh klar wurde, dass das hier definitiv nicht für alle ist, aber mein persönliches Notizblog ist es eben auch nicht?

Die Antwort ist, dass sich das Publikum des Newsletters nach den Inhalten selektiert, statt umgekehrt und im Korridor zwischen verschrobener Privatsemantik und super aufgeräumtem Explainer ziele ich deswegen auf den Sweetspot, wo die Gedanken atmen. Also meine jedenfalls und wessen Gedanken noch so mitatmen wollen.

Krasse Links No 10.

Willkommen bei Krasse Links No 10. Kommt mal kurz runter zu mir, setzt euch hin, heute üben wir Semantik und nehmen das Netzwerk ernst.


Max Reads Zustandsbeschreibung von Threads ging diese Woche ganz schön rum (sie wurde sowohl bei Garbage Day als auch Platformer besprochen). Reads „User-Experience“ des „For You“-Algorithmus kann ich genau so unterschreiben:

„It’s someone I don’t know telling a story I can’t follow for reasons I don’t understand.“

Das Traurige an Threads ist, dass es durch seinen Umfang und seine Tiefe wie kein anderes Netzwerk in der Position wäre, das, was Twitter mal war, zu ersetzen. Meta hat sich entschlossen das nicht zu tun, sondern … ja zu was eigentlich? I still don’t get it.

„This is a platform designed around a purpose it cannot fulfill, on an app built to undermine it, with an audience transposed from another social network with a completely different purpose.“

Es fühlt sich ein bisschen so an, als würde Meta unter vollkommener Missachtung vorhandener Strukturen dieses zusammengewürfelten Netzwerkes ihre „Wir wollen jetzt aber wie Tiktok sein“-Strategie durchdrücken und es funktioniert hinten und vorne nicht und alle sind frustriert.


Das dient als ideale Vorrede, diesen Vortrag von Patreon CEO Jack Conte auf der SXSW zu featuren. Es gibt viele Aspekte an diesem Talk zu feiern, aber der Grund, warum ich ihn hier verlinke, ist, dass er ein überzeugendes Narrativ entwickelt, was mit dem Internet passiert ist. Im Gegensatz zu den anderen Web2.0-Narrativen (Ajax-Technologie, Sharing is Caring, Pull-statt Push-Medien) stellt Conte „den Follower“ als dessen zentrale Legacy ins Zentrum der Betrachtung und damit eine soziale Beziehung, eine „Beziehungsweise“.

Die Beziehungsweise des Followers ist eine direkte Willenserklärung, die Inhalte eines Users sehen zu wollen. Sie ist ein Pakt, der auch eine gewisse, wenn auch kleine, Verantwortungsübernahme bedeutet. Und diese Beziehungsweise wurde zum integralen Strukturbaustein der digitalen Öffentlichkeit zwischen 2010 bis 2020 und damit auch zur tragenden Säule vieler Karrieren, Geschäftsmodellen und außerdem zur Grundlage der Selektionsverfahren von kulturellen Trends. Im Follower steckte die Macht.

Mit dieser Setzung tritt das eigentliche Narrativ des Web erst hervor: der Tod des Followers. Zunächst wurde ab 2015 diese Beziehungsweise durch algorithmisierte Feeds schrittweise geschwächt. Auf einmal bedeutete ein Following nicht mehr die Garantie, dass mein Content meine Abonnent*innen erreicht (man konnte sich diese Garantie aber in Form von Werbung zurückkaufen). Dann, ab 2020 wurde dem Follower von Diensten wie Tiktok der Gar ausgemacht und von dort setzte sich der „For You-Algoritmus“ auf allen kommerziellen Plattformen durch.


Und wir haben uns da auch einlullen lassen. Conte macht dabei drei Arten von Beziehungsweisen im Web auf (siehe Screenshot): Reichweite – Follower – True Fans. Ein Großteil der Energien ging bislang auf die Optimierung der Reichweite und das Sammeln von Followern war dafür nur ein Tool unter anderen. Aber die Follower-Beziehungsweise hat eben eine eigene Qualität und Erwartbarkeit und ich denke, ein Teil des Schmerzes besteht in dem Erkennen des Verlusts dieser Beziehungsweise, die für viele von uns eine tragende Säule der Orientierung in der Welt war.

Mit der Zerstörung dieser Beziehung entgleiten den Creators ihre medialen Regime und beide, User*innen und Creator*innen werden immer abhängiger vom Algorithmus und arbeiten folglich nur noch für die Interessen Plattform, statt für sich selbst. Es ist ein extraktives System und das, was extrahiert wird, ist der Wert von Beziehung.

An dieser Stelle können wir kurz mal innehalten und eine allgemeine Aussage über die kulturelle Wirkung von Algorithmen notieren. Es ist eben nicht so, dass die Algorithmen einfach die Kultur verändern. Algorithmen verändern zuerst das Verhalten der Algo-Hustler, die daraufhin eine überproportionale Sichtbarkeit bekommen, was dann alle anderen Creators dazu zwingt, deren Tweeks nachzuahmen, um überhaupt noch anzukommen, und das verwandelt diese Tweeks zu allgegenwärtigen, hegemonialen Semantiken, die dann die Sehgewohnheiten der Zuschauer*innen verändern, et voilá: Veränderung der Kultur.

Conte will natürlich darauf hinaus, dass das für Creators alles nur halb so schlimm sei, so lange die „True Fans“ eine Patreon-Patenschaft abschließen und den Punkt will ich ihm lassen. Ich will an dieser Stelle nur noch mal kurz Treads-CEO Adam Mosseri zu Wort kommen lassen, der diese Woche sagte:

„Follower counts matter less than view and like counts. I understand why people focus so much on follower counts; they’re prominent and they’re easy to find. But if you actually want to get a sense for how relevant an account is, look at their how many likes they get per post and how many views per reel instead.“

Und für die, die das nicht verstehen, hier die Übersetzung:

„Setzt nicht auf echte Verbindungen zwischen Euch und Eurem Publikum. Setzt auf den Algorithmus. Vertraut uns. Wir sind Meta! Wir machen das schon!“

Der Sprung vom Social Graph zum algorithmischen Interest-Graph ist eine zweite Graphnahme. Ein weiteres Mal ernten die Plattformen die Abhängigkeiten der Gesellschaft und projizieren sie auf sich selbst.


Dieser Essay von Devin Griffiths geht Frank Herberts vielfältigen Inspirationen für Dune nach und stößt auf Terraforming, Ökosysteme, indigenes Wissen und extraktivistische Systeme und wie das alles miteinander zusammenhängt.

„Dune weaves together Indigenous perspectives on interdependency and responsibility with the growing recognition, opened by a new generation of ecologists, that the Earth and its many environments are fragile, closely interlinked, and imminently threatened by extractive industry“

Dazu empfehle ich noch diesen etwas älteren Podcast mit dem Historiker Daniel Immerwahr über Frank Herberts eigensinnige politische Weltsicht.



Dieses Video ist nochmal ein ganz spezieller KI-Explainer, denn er setzt die Frage, inwieweit KI-Systeme „denken“ oder „verstehen“ ins Zentrum einer historischen Betrachtung der Technologie. Das funktioniert erstaunlich gut, weil verstehende Computer ja immer schon Ziel der KI-Forschung waren. Gleichzeitig orientiert sich die Erzählung aber auch eng an den technischen Entwicklungen. Im Fokus steht dabei die Evolution von Techniken der Selbstreferenz vom Recurrent Neural Network bis zur heutigen Multi-Head-Attention der Transformerarchitektur. Wenn entlang hunderter von Hidden Layers, wo jeder Layer die höhere Abstraktion des vorherigen verarbeitet und auf jeder dieser Ebenen eigene Hierarchien der Aufmerksamkeit erstellt und mit immer mehr Kontextverbindungen anreichert, so dass ein über alle Ebenen vernetzter Status entsteht, der dann für jede Iteration der Next-Token-Prediction errechnet und mit in Betracht gezogen wird, dann ist das … irgendwie sowas wie … denken?

Der Film legt sich da nicht final fest, aber wie ich schon letzte Woche schrieb, braucht es eh eine higher Level-Erklärung und die habe ich leider nicht, aber wenn ich wetten müsste, würde ich sagen, dass es mit dem tieferen Sinn von „Semantik“ zu tun hat. Ich glaube, wir beginnen gerade erst zu verstehen, was Semantik eigentlich ist? Offensichtlich ist Semantik mehr, als einfach Wortbedeutung, sondern es ist ein umfassendes Netzwerk von Denk-, Seh-, Imaginations-, Gefühls- und Praxisstrukturen. Semantiken sind vernetzte Cluster von heterogenen Sinnmustern, die alles umfassen, worin Erfahrung Anschluss findet. Die Art meine Hand zu bewegen ist Semantik, Zeitgeist ist ein ganz bestimmtes Set an Semantiken, ein einziger Blick kann vor Semantik überquellen, Theorien des Internets sind Semantiken, jedes Liebespaar entwickelt eine intime, vieldeutige Privatsemantik, selbst Grammatik ist eine Semantik und das was ein Hund erfährt, wenn er durch den Wald läuft, umgeben von Millionen spannendes Gerüchen, ist ein Dickicht aus für ihn plausiblen Semantiken. Aber Semantik ist auch ein Koordinatensystem, ein Ort, eine Heimat und in gewisser Weise auch ein Gefängnis. Jeder von uns bewohnt nur einen kleinen Bereich dieses Gesamtgefüges und der bestimmt wesentlich mit, was wir überhaupt in der Lage sind zu denken. Wir sind in unseren Semantik-Ausschnitt hineingeboren und arbeiten seitdem daran, ihn auszudehnen, suchen Anschlüsse, lernen Worte, Werke und Gesten und manche Zimmer haben wir schon länger nicht mehr betreten. Semantik ist der Ort, von dem aus wir sprechen und trotzdem werden wir manchmal verstanden, weil sich unsere Semantiken stellenweise überlappen, auch wenn sie nie dieselben sind.

Generative KIs sind Semantikmaschinen. Indem die KIs große Teile menschlicher Semantiknetzwerke (noch beschränkt auf Schrift, Bild, Ton, Video) in einer umfassenden Detailtiefe analysieren und verinnerlichen, erlangen sie die Fähigkeit, darin erstaunlich kompetent zu navigieren. Aber genau das tun wir Menschen halt auch! Wann immer wir denken, handeln schreiben und lieben, navigieren wir Semantiken. Man könnte soweit gehen zu sagen, dass beide, KIs und Menschen, nur insofern an dem, was wir „Intelligenz“ nennen, partizipieren, als das beide über Schnittstellen verfügen, um sich in Semantiknetzwerke einzuhängen und darin Sinn-Pfade auszutreten.

Doch jedes Navigieren ist immer auch ein performatives Arbeiten an der Semantik. Ein Fortschreiben, ein Stricken an den Rändern, ein lokales Ausbeulen von Bedeutungen. Und ich denke, der wichtigste Unterschied zwischen uns und den Maschinen ist gar nicht, dass unsere Semantiken offensichtlich tiefer und die der Maschinen weiter sind, sondern, dass die menschliche Arbeit an der Semantik meist aus dem Versuch besteht, die eigene Erlebniswelt anschlussfähig zu machen, während KIs höchsten mal weirde Konvergenzen etablierter Semantiken zusammenpuzzeln, wie z.B. Shrimp-Jesus. Aber wie gesagt: nur wenn ich wetten müsste.


Matt Levine verzweifelt lesenswert an Truth Social, also Donald Trumps digitales Briefpapier für seine Pressemitteilungen, das vor kurzem noch 9 Milliarden Dollar wert war und jetzt immerhin noch 6? Levine macht die ganz große Zeitrechnung auf und beziffert die historische Periode, als sich der Wert von Assets an objektiv messbaren Kriterien wie Cashflow und weiterveräußerbaren Anlagegütern orientierte, auf die kurze Zeit zwischen zweitem Weltkrieg und dem Cryoptoboom von vor drei Jahren. Mit Crypto und noch mehr mit Memestocks trat ein neues Paradigma auf, das noch auf seine Enträtselung wartet.

„With time, I have become more comfortable with the answer to “what are we all doing here?” The answer is “not fundamental analysis.” Maybe it is “having fun online.” Maybe it is “playing a complex game of mass psychology.” Maybe it is “using our investments as a form of self-expression, buying stocks and cryptocurrencies we identify with and feeling better about ourselves if they go up.““

Das klingt einerseits natürlich wie ein weiteres Indiz für das Zeitalter des Rauschens, aber gleichzeitig erinnert es mich noch mehr an die Studie zu digitalem Tribalismus, die wir vor sieben Jahren gemacht haben. Eine neue Art über digitalen Tribalismus nachzudenken, wäre, ihn als semantische Sezession zu verstehen.

Nils Markwardt hatte das in seiner auch sonst sehr lesenwerten Großanalyse des heutigen Faschismus nebenbei prima zum Ausdruck gebracht:

„Wenn in jedem Missstand ein „Staatsversagen“ diagnostiziert, Kritik fortwährend als „Cancel-Culture“ empfunden und Einwanderung als „Umvolkung“ verbucht wird, folgt das dem Ziel, einen chronischen Ausnahmezustand auszurufen sowie ein Gefühl des letzten Tags zu erzeugen.“

Tribalismus kann als Strategie verstanden werden, bestehende Semantiken in andere Narrative umzustricken, um sie gegenüber der „Mainstream“-Semantik inkompatibel zu machen und dann innerhalb dieser neuen, abgespaltenen Semantik wieder wesentlich wirkmächtiger agieren zu können. Und ich schätze, anhand von Crypto und Memestocks finden wir gerade heraus, dass diese Macht ausreicht, um zu beweisen, dass auch „Wert“ nur eine weitere Semantik unter anderen ist, dessen Narrativ sich ebenfalls umschreiben lässt. Die Differenz zwischen „memetischem Wert“ und der rationalen Bewertungsgrundlage erscheint in unserer Semantik als Fehler im System, dabei ist es das zentrale, identitätsstiftende Feature. Ein weiterer Turm zu Babel ist gefallen.


Michael C. Bender versucht in der NYTimes dem MAGA-Movement über seine religiöse Kulthaftigkeit habhaft zu werden und dabei fällt mir auf, dass die Sezession von der Mainstream-Semantik wohl nur gelingen kann, wenn man ausgemusterte aber noch latent vorhandene Semantikreservoirs anzapft. Religion ist da ein naheliegender Kandidat, aber ich sehe bei Trump noch eine andere semantische Tradition am Werk: die Monarchie. Dass Trump eine Lastwagenladung amoralischer Skandale und etliche Klagen am Hals hat, stört die sonst so regelversessenen Konservativen einfach deshalb nicht, weil sie Trump schon lange nicht mehr in der Semantik eines demokratischen Politikers denken, sondern in der eines Monarchen. Und als König steht man über dem Gesetz und über der Moral, weil man eben nicht nur Herrscher, sondern auch Main Character der Gesellschaft ist, da mindern Regeln nur den Unterhaltungswert.



Bei Recherchen bin ich über diese schöne Onlinebegegnung zwischen Donna Haraway und Bruno Latour gestolpert. Ich gebe dieses Semester ein Seminar zu Donna Haraway und lese mich begeistert durch ihr Werk. Das Werk ist zunächst nicht so leicht zugänglich, nicht, weil sie so voraussetzungsreich schreibt, sondern weil man erst eine Menge verlernen muss, bevor alles Sinn ergibt. Ihr wichtigster Beitrag in der Philosophie ist weniger eine ausgefeilte Theorie der Welt, als vielmehr ein bestimmer Blick. Ich habe das letzte Jahr damit verbracht, diesen Blick einzuüben und wenn man das schafft, dann eröffnet sich im wirren, mäandernden und eklektischen Werk Haraways plötzlich ein Füllhorn von Sinn.

Haraway denkt – mehr noch als Bruno Latour – aus dem Netzwerk heraus. Dass klingt banal, aber es ist wirklich nicht einfach. Eine erste, überraschende Lektion ist zum Beispiel, dass Du als Netzwerkteilnehmer das Netzwerk selbst nie zu Gesicht bekommst. Das heißt, du verlierst erstmal eine ganz bestimmte Sicht, nämlich die Draufsicht. Also jene Illusion von ort- und körperlosem Schweben über den Dingen, die gerade in der abendländischen Tradition einen Großteil des wissenschaftlichen Blicks ausmacht. Diese Perspektive, so Haraway, sei nicht real, sondern reine Imagination. Eine männliche Machtphantasie.

Haraway zu denken, bedeutet erst einmal ein Loslassen dieser Perspektive und die eigene Situiertheit in der Welt anzuerkennen und damit auch die Tatsache, dass jedes Denken immer unter ganz bestimmten materiellen Verhältnissen und an einem ganz bestimmten Ort in der Semantik stattfindet. Es ist, als müssten sich die Augen erst an die veränderten Lichtverhältnisse anpassen, aber langsam schärft sich mein Blick auf Beziehungsnetzwerke: auf materielle Abhängigkeiten, genauso wie auf Semantiken.

Eine andere Sache, die passiert, wenn man anfängt die Netzwerkperspektive ernst zu nehmen, ist, dass alles unrein wird. Es gibt plötzlich keine saubere Kategorien mehr, weil alles in einander hineinragt. Das gilt vor allem für das Selbst. Das Selbst steht nicht mehr als abgeschiedene Entität den Dingen gegenüber, sondern interferiert durch seine Eingebundenheit mit den Semantiken und Abhängigkeiten der Umwelt.

In dem Gespräch wird Haraway auch zu ihrer Meinung zu KI gefragt und sie sagt, sie sei durchaus offen, KI als „materielle Praktik“ willkommen zu heißen, aber erteilt den Silicon Valley Narrativen eine klare Absage:

„I’m totally beyond against the stupid notion of orthogenetic evolution toward blissing off earth finally into artificial intelligence and total robotization. It’s a white, male, phallic masturbation.“


Diese Woche wurde ein Hilfskonvoi an der Grenze zu Gaza angregriffen und diese The Daily-Folge arbeitet die Geschehnisse gut auf. Was mich berührt hat, ist die Geschichte der angegriffenen Hilfsorganiation „World Central Kitchen“ und ihrem Approach in Krisengebiete zu fahren und dort mit den lokalen Köchen zu kooperieren und möglichst lokale Lebensmittel einzukaufen, um dann landestypische Gerichte herzustellen und dabei noch die lokale Ökonomie zu stützen. Ich finde das ein gutes Beispiel, wie es gelingen kann, lokale Semantiken und Abhängigkeiten ernst zu nehmen und damit auch die Menschen, die darin leben.


Nicht ganz klar ist, ob der Angriff auf „World Central Kitchen“ von „Lavender“ gesteuert wurde. Hinter diesem schönen Namen steckt laut +972 eine KI-Software des israelischen Militärs, die automatisiert „menschliche Ziele“ auswählen und verfolgen kann. Es handelt sich dabei übrigens nicht um das bereits bekannte KI-System “The Gospel” das dazu dient Häuser zur Zerstörung auszuwählen. Bei Lavender geht es um Menschen, genauer um zwischenzeitlich biszu 37.000 gelockte Ziele – also alle, die Israel für Hamaskämpfer*innen hält. Die Anschläge werden meist in der Nacht ausgeübt, wenn die „Ziele“ einfacher zu treffen sind, während sie bei ihrer Familie zu Hause schlafen.

„Another source said that they had personally authorized the bombing of “hundreds” of private homes of alleged junior operatives marked by Lavender, with many of these attacks killing civilians and entire families as “collateral damage.“

Die Ratio der getöteten Zivilist*innen pro Hamas-Kämpfer, die die IDF für akzeptabel hält, liegt laut Artikel bei 15 bis 20. Bezogen auf die gelockten Targets wären also biszu 720.000 Menschen als „Colateral Damage“ hinnehmbar. Nicht mitgezählt sind dabei natürlich diejenigen, die nicht durch direkte Einwirkung sterben, wie die vielen Kinder, die gerade verhungern oder wegen der hygienischen und medizinischen Unterversorgung an Krankheiten sterben.

Es muss aber ein ungeheures Gefühl von Macht sein, wenn man einfach auf einen Knopf drückt und dann fangen hunderte von Drohnen an, tausende von Ziele zu attackieren.


Ich habe schon viele Texte zu „Effective Altruism“ gelesen, aber noch nie einen so umfassenden und guten, wie den von Leif Wenar. Zum einen, weil er selbst aus einem ähnlichen Denken kommt und seine eigene intellektuelle Entwicklung als Hintergrundfolie seiner Kritik nimmt. Aber auch, weil er wirklich gut die Anmaßung dieser sogenannten „Ethik“ herausarbeitet.

„The core of EA’s philosophy is a mental tool that venture capitalists use every day. The tool is “expected value” thinking, which you may remember from Economics 101.
[…]
What EA pushes is expected value as a life hack for morality. Want to make the world better? GiveWell has done the calculations on how to rescue poor humans. A few clicks and you’re done: Move fast and save people.“

EA ist gewissermaßen das Gegenteil des „World Central Kitchen“-Approach. Es ist die kalte Anwendung einer Optimierungsfuntion auf ein von allen Verbindungen entflochtenen Modells der Welt. Es ist Hilfe auf Knopfdruck, ohne sich mit den lokalen Semantiken und Abhängigkeiten zu beschäftigen, ohne Übersetzung und ohne Verantwortung zu übernehmen, weswegen die angestoßenen Projekte oft auch mehr schaden als nutzen.

„Longtermism lays bare that the EAs’ method is really a way to maximize on looking clever while minimizing on expertise and accountability.“

Ich kann den Appeal durchaus verstehen, vor allem für Reiche. Es muss ein ungeheures Gefühl von Macht sein, wenn man einfach auf einen Knopf drückt und per Bettnetz- und Entwurmungstabletten-Abwurf tausende von Menschenleben „rettet“.


In Analyse&Kritik hat Stephanie Bart ihre „Erklärung zur Gewaltfrageveröffentlicht und der ganze Text spricht mir sehr aus der Seele. Anlass sind die Diskussionen um Daniela Klette und dem bürgerlich-liberalen Gewaltbegriff, der unfassbar reduktionistisch und naiv ist, wenn man ihn nur ein bisschen durchdenkt.

„Die Gewaltbilanz der Roten Armee Fraktion, das sind 34 Tote in 28 Jahren, steht gegenüber der Gewaltbilanz des von ihr bekämpften Kapitals, das ist kein Tag ohne Krieg und Hunger, das sind die Massengräber im Mittelmeer und in der mexikanischen Wüste, das sind Obdachlose bei leerstehenden Häusern, das ist die Vernichtung von Nahrungsmitteln bei Hunger, das ist die Extraktionsindustrie, das ist die Vernichtung der Lebensgrundlage der Menschheit und zahlloser anderer Lebewesen: das ist der Ökozid.“

Auch systemische Gewalt wird im Netzwerkdenken sichtbarer, als in den Semantiken der Draufsicht.


Irgendwie passt dazu diese hübsche Geschichte über Rorie Woods, die, als sie sah, wie die Polizei ihren 79 Jahre alten Nachbarn aus seiner Wohnung werfen wollte, einfach ihre Bienen auf die Cops losgelassen hat.

„With a pair of reading glasses draped around the collar of her purple fleece, she began to shake the boxes, because with the temperature in the low 50s, it was too cold for the honeybees inside to fly without a little coaxing.“

Wenn man in Netzwerken und Ökosystemen denkt, lauern überall Verbündete.


Zuletzt spüre ich einen gewissen Rechtfertigungsdruck, denn seit ich Haraway so für mich angenommen habe, hadere ich mit meinem Denk- und Schreibstil, der immer noch viel und gerne allerlei Modelle der Welt entwickelt, um auf sie analytisch herabzuschauen (ich bin halt eine Thesenmaschine, that’s what I do!). Im Gegensatz dazu fällt mir das „aus dem Netzwerk Schauen“ nach wie vor schwer, auch wenn ich mich bemühe. Aber ich lese Haraway gar nicht so, dass sie jede Theorie und jedes Modell grundsätzlich ablehnt, sondern ich schätze, ihr Punkt ist, dass diese Sicht anmaßend und teils gewaltvoll ist, weil sie notwendig reduktionistisch ist und dass man sich dessen bewusst sein sollte? Ich werde also vorerst dabei bleiben, aber versuchen, die Situiert- und Begrenztheit meiner Theoretisiererei sichtbar zu machen.

George Box‘ berühmter Spruch, dass alle Modelle falsch, aber manche nützlich sind, enthält eine noch tiefere Weisheit, wenn man nach der Art der Nützlichkeit fragt, die dadurch erreicht werden soll. Die Wahrheit ist, dass Modelle vereinfacht werden, um einen Punkt zu machen. Jedes Modell ist eigentlich nur ein ziemlich komplexes Argument. Takes. Modelle sind Takes.

SR.de: Kulturwissenschaftler: Pandemie-Aufarbeitung nicht Verschwörungstheoretikern überlassen

Ich war habe beim SR über die RKI-Protokolle geredet.

Die Veröffentlichung der RKI-Protokolle hat zu einer heftigen Debatte geführt – vor allem in Sozialen Netzwerken. Die großen Skandale, die politische Einflussnahme, gar Verschwörungen sind in den Protkollen nicht zu finden, in den Sozialen Netzwerken dominieren aber genau diese Narrative. Kulturwissenschaftler Michael Seemann beschäftigt sich mit solchen Mechanismen im Internet und Social Media.

Quelle: SR.de: Kulturwissenschaftler: Pandemie-Aufarbeitung nicht Verschwörungstheoretikern überlassen

Krasse Links No 9.

Frohe Feiertage wünscht Krasse Links No 9. Heute suchen wir eine komplizierte aber aufrichtige Passage durch das Archipelago diskursiver Ostereier.


Die Woche fing schon mal gut damit an, dass plötzlich alle die Pandemie aufarbeiten wollten, was mir ja nur recht ist, aber der eigentliche Grund war leider, dass ein Spinnerblog die internen RKI-Protokolle freigeklagt hatte. Meine Frage, ob man eine seriöse Aufarbeitung der Files nur hinter Paywalls bekommt, wurde vielfach mit diesem tatsächlich lesenswerten Fact-Check der Tagesschau beantwortet, aber das grundsätzliche Problem, dass man die Loonie-Interpretation überall frei Haus ins Gesicht gedrückt bekommt, während man für seriöse Takes entweder suchen oder bezahlen muss, ist dadurch leider nicht gelöst. Jaja, ich weiß, Journalismus hat seinen Wert, Demokratie aber auch!

Jedenfalls fand ich die Schlussfolgerungen von Martin Rücker bei Riffreporter nachvollziehbar, der das RKI und die Journalist*innen für ihren pikierten Umgang mit diesen Files kritisiert. Er fragt, warum erst die Verschwörungsheinis die Akten freiklagen mussten und hofft, dass in Zukunft Transparenz und ein offener Umgang mit eignen Fehlern für mehr Vertrauen sorgen werde.



Ebenfalls diese Woche rammte ein großes Containerschiff die Francis Scott Key Bridge in Baltimore, die daraufhin in sich zusammenstürzte. Wer die Serie The Wire gesehen hat, hat eine Ahnung davon, welchen zentralen wirtschaftlichen Stellenwert der Hafen in der eh schon vergleichsweise armen Stadt hat und dieser Hafen wird jetzt über Jahre nicht nutzbar sein. Die ganze Stadt droht jetzt in Armut zu versinken, es ist eine Tragödie.

Das Baltimore-Desaster hat aber auch ein Scheinwerferlicht auf eine andere Krisenregion geworfen: X. Vox hat einen zusammenfassenden Artikel darüber, wie sofort die beknacktesten und rassistischsten Verschwörungstakes viral gingen und der Dienst für seriöse Informationssuche zu keinem Moment zu gebrauchen war (im Gegensatz zu früher, als die dümmsten Takes immerhin noch ein paar Stunden auf sich warten ließen).


Der Medienwissenschaftler Mike Caulfield hatte bereits vor einiger Zeit eine interessante Theorie aufgeschrieben, die sowohl auf die RKI-Files, als auch auf die abstrusen Baltimoretakes passt. Argumentieren, so Caulfield, sei eine Art genereller Trieb des Menschen und dabei gehe es gar nicht darum, den anderen zu überzeugen, sondern die eigene Position als „reasonable“ zu verteidigen.

Seit dem Internet haben Debatten aber die Eigenschaft nie zu Ende zu gehen und so hätten auch die jeweiligen Diskursteilnehmer*innen nie aufgehört nach Evidenzversatzstücken zu graben. Ob eine Debatte „offen“ sei oder nicht, bestimmt dabei nicht, wie viele und wie starke wissenschaftliche Beweise es für die eine oder andere Seite gebe, sondern nur, ob die Seiten aufhören zu diskutieren. Deswegen sind die RKI-Files so ein gefundenes Fressen für die Verschwörungsloonies, denn darin finden sich wieder endlos viele Sätze über Masken, Gefahreneinschätzungen und Impfungen, die sie triumphierend als Puzzelteile ihrer Weltsicht hochalten können.

Caulfield schließt, dass sich in unserer heutigen, zunehmend polarisierten Internetsituation jede Nachricht und jede Information sofort zum „Beweis“ für die eine oder andere Seite der ein oder anderen Debatte erklärt wird. Alles ist jetzt Evidenz.

Part of what is happening is this — because open arguments must be advanced or maintained at all times, anything that happens must be read in terms of its use in advancing the pertinent open arguments. Everything is grist for the argument mill.

Ich fürchte, das bedeutet, dass keine Debatte jemals „geklärt“ ist und dass am Ende diejenigen gewinnen, deren intrinsische Motivation für die „Beweissuche“ am längsten anhält? Und das bedeutet leider auch, dass Transparenz einfach keine Lösung für dieses Problem ist, denn Transparenz bedeutet in der Realität nur immer mehr „Beweise“ und damit ein Sich-weiter-drehen der Debattenspirale.

Das hat aber in zweiter Ableitung noch den Chilling-Effect, dass jetzt alle vernünftigen Leute öffentlich nur noch auf Eierschalen gehen, weil sie ständig Angst haben, den Trottels Munition zu liefern. Das erklärt auch das awkwarde Handling der Files durch das RKI und die Journalist*innen, aber wie man an der entgleisten Debatte erkennt, ist keine Transparenz halt auch keine Lösung. *Seufz*


Johnathan Haidts neues Buch, The Anxious Generation, das behauptet, die zunehmenden psychischen Störungen unter Jugendlichen seien vor allem Social Media induziert, macht gerade überall die Runde, und ich muss ehrlich sagen, dass ich weiterhin nicht überzeugt bin. Mit Caulfield könnte ich hier selbstkritisch einwenden, dass ich vor langer Zeit (kennt noch wer Manfred Spitzer?) auf der anderen Seite dieser Debatte gelandet bin und seitdem nach Argumenten gegen diese These suche. Allerdings macht es mir Haidt auch einfach und so ich kann ich mich fürs erste an dieser Rezension von Candice L. Odgers in Nature festhalten. Sie ist Psychologin an der Universität von Kalifornien und im Gegensatz zu Haidt tatsächlich Spezialistin auf diesem Gebiet und sagt, dass die Forschung Haidts These nicht stütze. HIER! DA! Beweis! HAHA!


Meredith Whittaker meldet sich lesenswert zu dem drohenden Tiktok-Verbot in den USA zu Wort. Ja, Tiktoks potentielle Propagandapower sei gefährlich, aber als CEO von Signal habe sie einen globaleren Blick auf die Plattformlandschaft und da sehe sie derzeit die größere Gefahr in der Tech-Hegemonie der USA. Es sei ja nicht so, als habe die USA nicht auch Interessen, die sie über die hiesigen Plattformen versuche, in die Weltöffentlichkeit zu drücken. Als Beispiel nennt sie den Druck, den die amerikanische Politik hinsichtlich der Berichterstattung über den Gaza-Krieg ausübe und den sie auch als den wesentlichen Motivationsfaktor für das Tiktokverbot identifiziert.

Am Ende sei allen diesen Plattformen zu mißtrauen, aber ihr sei es lieber, wenn dann wenigstens eine gewisse Pluralität der Propagandaregimes existiere.

Or, to oversimplify for the sake of explanation, one platform may suppress pro-Palestinian speech, and another may suppress documentation of Uyghur genocide, but together they could provide access to both.

Ich finde ihren Punkt fair, insbesondere, wenn man dabei eine mögliche zweite (und damit endgültige?) Trumppräsidentschaft in Betracht zieht.



Die Website „New Extractivism“ versucht den Prozess der Extraktion bei digitalen Plattformen im Detail nachvollziehbar zu machen und ist in vielerlei Hinsicht wirklich gelungen. Der Netztheoretiker Vladen Joler verknüpft dabei seine Theorie der Plattformen mit einer ansprechenden grafischen Aufbereitung, die die einzelnen Mechanismen in metaphorische Bilder einfängt und sie zu einem komplexen Gesamtsystem verbindet.

Ich finde das Gesamtkonzept beeindruckend, auch wenn ich inhaltlich manche Dinge anders sehe. Ich bin zum Beispiel überhaupt kein Fan von Zuboffs Konzept des „Behavioral Surplus“ (Soo viele Probleme, aber allein schon die Frage wo genau Mehrwert entsteht, wenn Nutzer*innen dazu bewegt werden, ihr Geld für x statt für y auszugeben?). Ein bisschen ähnlich geht es mir auch mit vielen anderen Elementen des Systems. Die meisten Narrative sind bereits bekannt und Joler steckt sie gewissermaßen nur zu einem Gesamtgefüge zusammen, aber ich schätze, ähnliches könnte man durchaus auch über die Macht der Plattformen sagen und wahrscheinlich bin ich nur neidisch: ja, fuck, ich will auch so Grafikkram für die Macht der Plattformen!



Eine ebenfalls spannende grafische Aufarbeitung ist Models all the Way Down, aber statt schnöde Theorie aufzubuzzen steckt dahinter eine handfeste Recherche zu KI-Trainigsdaten. Das Team von „Knowing Machines“ hat sich dafür in die Untiefen des Bild-Trainingssets LAION-5B versenkt und sich auch die Methoden und Tools zur Erstellung dieses Sets genauer angeschaut und dabei einige wirklich spannende Erkenntnisse zutage gefördert. Z.B. dass die Trainingsdaten-Bilder, einfach weil es so unfassbar viele sind, selbst durch KI-Modelle kuratiert werden. Von KIs, die wiederum an Daten trainiert wurden, die von Menschen ausgewählt wurden usw. KI wird immer mehr zum Briefkastenfirma-Scheme, wo hinter der KI eine weitere KI und hinter der eine weitere KI steht, die sich alle ihre Biases weitervererben. Am Ende kommt raus, dass ein Subset von LAION-5B, LAION-Aesthetics, durch eine KI zusammengestellt wurde, deren „Geschmack“ anhand der Präferenzen einer Handvoll Nerds aus einem spezifischen KI-Bildgenerierungs-Discord trainiert wurde und genau dieses LAION-Aesthetics-Set ist jetzt die Fine-Tuning-Grundlage von Midjourney.

The concepts of what is and isn’t visually appealing can be influenced in outsized ways by the tastes of a very small group of individuals, and the processes that are chosen by dataset creators to curate the datasets.

In the case of Midjourney, by a handful of esoteric nerds, and by a 65-year old mechanical engineer living in Southeastern Wisconsin.

Die Washington Post hatte letztes Jahr etwas ähnliches (aber nicht so tiefgreifendes) mit den Textdaten eines Googlesets gemacht. Solche Recherchen sind super wertvoll, weil das Verhalten, das „Weltbild“ und der Stil von KI-Modellen eben nicht in der Software, sondern in Trainingssets steckt, was sie zu einem zentralen Ort der Politik macht.


Ich höre den Decoder Podcast von Nilay Patel, dem Chefredakteur von The Verge noch gar nicht so lange, aber er ist wirklich eine gernerelle Empfehlung. Diese Woche war Jay Graber, die CEO von Bluesky zu Gast und ich habe wirklich viel gelernt. Besonders spannend fand ich, als die beiden über die Mastodonkultur sprachen.

„This was, as I mentioned, one of the reasons that we didn’t try to get ActivityPub to change toward the direction of what we wanted to build because not just the technical primitives being different, there’s also this culture of resistance to global feeds and global algorithms.“

Ich bin noch nicht davon überzeugt, dass Bluesky das Rennen macht, aber ich muss sagen: She has a point? Derzeit scheint Mastodons größtes Problem seine Kultur zu sein. Es gibt so viele Leute, die keinen Fuß mehr auf Mastodon setzen, wegen der nerdigen Besserwisser-Replyguy-Kultur und Entwickler*innen sind abgeschreckt von der Feindseligkeit der Community bezüglich jeder Weiterentwicklung, die Mastodon aus der Nische herausführen könnte. Egal, ob globale Suche, BlueSky-Bridge oder seit neustem die Öffnung zu Threads – man will einfach gerne unter sich bleiben und deswegen mieft es dort zunehmend wie in einer runtergekommenen Eckkneipe mit Schultheiss vom Fass. Jungs, macht mal das Fenster auf Kipp!


Dieser Artikel bei Technology Review versucht der Frage nachzugehen, die ich ebenfalls bei Large Language Models am spannendsten finde, nämlich, warum die Dinger überhaupt funktionieren. Leider bietet er keine Antwort auf die Frage, außer, dass die KI-Wissenschaftler*innen auch nur an den vielen zur Verfügung stehenden Reglern drehen, bis die Antworten irgendwie gut aussehen. Famously dargestellt von XKCD.

Ein paar spannende Phänomene werden dennoch besprochen: Overfitting und Double Descent, inklusive der (umstrittenen) These, dass beides zusammenhängt.

Ich glaube aber, dass die Antworten in der Statistik zu Suchen ein ähnlicher Kategorienfehler ist, wie Zellteilung anhand von atomarem Elektromagnetismus erklären zu wollen. Ja natürlich ist das alles auch Physik, aber für Erklärungen ist es schlicht der falsche Layer? Ich persönlich glaube tatsächlich, dass in LLMs emergente Phänomene passieren, die im Kern zwar statistisch, aber mit dem statistischen Begriffsapparat nicht zu fassen sind.

Ich mag zum Beispiel die Erklärungen von Timothy Lee und Sean Trott in diesem LLM-Explainer, die sich an vielen Stellen auf durch Forschung informierte „educated Guesses“ beziehen, dadurch zwar spekulativer aber auch erkenntnisreicher sind.

Ich mein, hey. Niemand weiß wirklich, was da in den hunderten von Milliarden von Parametern geschieht also was soll die Zurückhaltung? In den 1970er Jahren hätte jeder französische Philosoph schon fünf Bücher darüber geschrieben!


Steven Levy, das alte Tech-Reporter Schlachtross, traut sich aus der Deckung und widerspricht den Stimmen, die in generativer KI nur einen Hype sehen. Sein wesentliches Argument ist, dass die Technologie einen anhaltenden Adaptionsschub im Arbeitskontext erlebe – von 12 auf 20% innerhalb der letzten 6 Monate laut PEW Studie. Er vergleicht die Einführung von generativer KI mit der Einführung von Spreadsheets Anfang der 1980er Jahre, was die Weltwirtschaft bekanntlich nachhaltig veränderte, deren Adaption aber viel langsamer verlief.

Ich merke immer mehr, dass ich mich in Sachen KI in einer tricky diskursiven Position befinde. Ich glaube, die Technologie ist des Teufels und wir sollten morgen mit Panzern ins Silicon Valley einfahren und alle festnehmen, aber gleichzeitig glaube ich weder an den AGI-Doomerism, noch daran, dass das alles nur überhyptes Geschnatter von stochastischen Papageien ist. Die Technologie als Technologie ernst zu nehmen und gleichzeitig ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft zu befürchten, scheint irgendwie kein richtiges Camp innerhalb dieser Technologiedebatte zu sein?

Ich mein, wenn Steven Levy recht hat und man alleine die Unfälle, die Excel verursacht hat zur Grundlage nimmt, können wir uns auf Einiges gefasst machen.


Ok, gut. Ein Artikel in der traditionell eher linken „The Nation“ von Sage Cammers-Goodwin und Rosalie Waelen geht in eine ähnliche Stoßrichtung in die ich auch denke, bleibt aber analytisch eher an der Oberfläche. Trotzdem wurde der Artikel sofort wegen seinen „Anthromorphismenzerrissen.

Deswegen hier vier Gründe, warum ich Anthropomorphisierung von generativer KI OK und manchmal sogar gut finde:

  • Ich halte die Gefahren der „Antromorphisierung“ für übertrieben. Natürlich besteht die Gefahr, aber die Leute, die das tun (sich zum Beispiel in Chatbots verlieben und ihnen ein Bewusstsein zuschreiben) sind selten die Leute, die kritische Texte dazu lesen. Daher frage ich mich, für wen die Warnung gut sein soll?
  • Die Leute, die immer laut rufen, dass LLMs nicht „Denken“, „Verstehen“, „Sprechen“ oder „Übersetzen“ können, wirken immer so, als wüssten sie ganz genau, was diese Begriffe bedeuten. Das wissen sie aber genauso wenig, wie der Rest von uns, was mich zu der These veranlasst, dass es hier um identitätspolitisches Abrgrenzungsgehabe geht. Anthropozentrische Identitätspolitik is a thing now, I guess? (PS: Ich habe mich in dem Böckler-Paper zu LLMS auch mit der Frage befasst, ob LLMs verstehen. tl;dr: its complicated)
  • Es wird außerdem immer so getan, als würde man implizit davon ausgehen, dass „Verstehen“ bei LLMs haargenau den Prozesse im menschlichen Gehirn entsprechen müsse, was natürlich quatsch ist. Es gibt offenbar eine gewisse, funktionale Äquivalenz, obwohl ebenfalls offensichtlich ist, dass eine LLM zB kein Bewusstsein hat. Aber deswegen darauf zu bestehen, dass, was immer in den LLMs passiert kein „Verstehen“ sei, würde auch bedeuten, dass Flugzeuge keine Flügel haben, weil die Flugmechanik bei Vögeln ja ganz anders funktioniert.
  • Darüber hinaus finde ich „Antropomorphisierungen“ von KI durchaus hilfreich und empfehle das sogar. Die Dinger reagieren nun mal in vielerlei Hinsicht eher wie Menschen als Computer und es macht durchaus Sinn, ihre Aussagen zum Beispiel eher wie die des super selbtbewussten aber häufig bullshittenden Arbeitskollegen zu behandeln, als die von, sagen wir, einer wissenschaftlichen Datenbank.

Der Historiker Adam Tooze hat in seinem Newsletter einen längeren Essay über die Hintergründe von Merkels berühmter „Israels Sicherheit ist deutsche Staatsraison“-Rede geschrieben, die bis heute die politischen Beziehungen zu Israel bestimmt. Die wichtigste Erkenntnis: der Satz fiel in einem Kontext, der sich gar nicht auf die Unabhängigkeitsbestrebungen der Palästinener als Sicherheitsrisiko bezog, sondern auf den Iran, dessen angestrebtes Atomprogramm damals im Zentrum globaler Aufmerksamkeit stand. Außerdem war die Rede nicht nur Rhetorik, sondern durch die Lieferung mehrerer atomwaffenbestückbarer U-Boote aus deutschen Werften untermauert.

Die Rede muss, mit ihrer klaren Referenz auf das vordemokratisches Konzept der Staatsraison auch als Ankündigung eines „Eliten-Projekts“ verstanden werden, das sich noch heute im Topdown Umgang der Bundesregierung mit dem Gazakrieg zeige, so Tooze:

„But what Merkel was saying before the Knesset in 2008 was precisely this: the Federal Republic’s commitment to Israel does not depend on fickle democratic mandates or public opinion on the German side. It is a deeper principle, if necessary to be defended, argued for and insisted upon in the face of an unwilling German public. Indeed, in front of the Knesset, Merkel explicitly defined the task of German democratic leadership as cleaving to Israel even in the face of public opinion polls that revealed a groundswell of German attitudes that were far more skeptical about Israel and Germany’s historical obligation.“

Das ist wieder so eine Passage, bei der ich sofort schlucken musste, denn natürlich kann ich mir denken, wie solche Sätze von Verschwörungstheoretiker*innen gefeiert werden. Aber ich bin es leid, mich ständig an der Beweisaufnahme-Motivation von Spinnern zu orientieren. Die Dinge sind, wie sie sind, lasst sie uns diskutieren und die Schwurbler werden dann einfach geblockt.



RealLiveLore hat einmal die wechselhafte Geschichte der afrikanischen Sahelzone aufgearbeitet, unter anderem weil es derzeit einer der Hauptgründe für das gesteigerte Säbelrasseln der Franzosen gegenüber Russland ist.

RealLiveLore ist durchaus sehr russlandkritisch und hat bereits viele sehenswerte Videos zum Urkainkrieg gemacht und dennoch kann man sich in diesem Video des Eindrucks nicht erwehren, dass die Russen gar nicht so viel schlimmer als die Franzosen sein können. Die brutale, verbrecherische Herrschaft Frankreichs über die Region erklärt gut, warum die Menschen dort keine Lust mehr auf Europäer haben. Mir war allerdings auch die anhaltende Ausbeutungsstruktur über die CFA-Franc-Währung gar nicht bewusst, die die Staaten dort immer noch in einem extraktiven Abhängigkeitsverhältnis von Frankreich hält und die die Menschen dort verständlicher Weise abzuschütteln versuchen.

Wenn man zwischen französischer Ausbeutung, eiserner Diktatur und dem Horror von ISIS lebt, wirken die brutalen Wagner-Söldner wahrscheinlich plötzlich gar nicht mehr so schlimm? Jedenfalls ist es wahrscheinlich, dass die Spannungen zwischen Russland und Frankreich noch eskalieren könnten, spätestens, wenn die Uranlieferungen aus dem Niger bedroht sind.


Die Woche Endet mit der Entdeckung einer Hintertür in einem der wichtigsten Sysadmin-Tools überhaupt: OpenSSH. In diesem Text wird ganz gut beschrieben, was wohl vorgefallen ist: Anscheinend wurde eine der kleineren Bibliotheken namens „xz“, die in OpenSSH eingebunden ist, von jemand betreut, der schon länger gesundheitliche Probleme hatte und der übertrug die Verantwortung nur zu gerne an einen anderen Open Source Maintainer namens „Jia Tan“. Über diese Person ist wenig bis gar nichts herauszufinden, aber seine Commits schienen wohl OK genug gewesen zu sein? Jedenfalls war er es, der in einer der letzten Versionen eine gut versteckte Hintertür einbaute, was jetzt ein Security Nightmare für alle Serverbetreiber*innen weltweit ist.

Es wird natürlich wild herumspekuliert, was genau passiert ist. Steckt hinter „Jia Tan“ ein Geheimdienst? Wenn ja, welcher? Die Tatsache, dass Tan sich so fließend in den Gepflogenheiten der Open Source Community auskennt, könnte außerdem darauf hindeuten, dass er wohl schon länger und zu noch mehr Projekten beiträgt? Welchen?? Und die Tatsache, dass die Hintertür nur wegen eines kleineren Bugs im Code (der zu einem kleinen Laufzeitdelay führte) gefunden wurde, führt zu der bangen Frage, was uns noch alles so entgeht …

Nur weil alles voller Verschwörungstheoretiker*innen ist, heißt das nicht, dass nicht überall die Verschwörung lauert!!


Es wird immer schwieriger durch den undurchdringlicheren Wust von Meinungen und Debattenformationen zu navigieren und natürlich kann man dabei nur scheitern. Aber ich komme immer mehr zu der Ansicht, dass es nichts bringt, sich ständig daran zu orientieren, was tribalistische Debattenkrieger oder einfältige und/oder böswillige Spinner mit dieser oder jener Information oder Meinung tun werden. Die werden sowieso nicht aufhören, ihre Seite mit Bullshit-Evidenz aufzupumpen, also scheint mir die Strategie, mit eigenen halbgaren, aber aufrichtigen Takes dagegen zu halten zumindest nicht allzu … schädlich?