Vodafone und die „Generation Transparenz“

Ach, da hat jemand einen schlechten Werbespot gedreht. So what?

Ach, da hat einer eine bullshittige Pressekonferenz zur Markeneinführung gegeben. So what?

Und dennoch. Ich ärgere mich auch.

Es ist exakt das Gefühl, dass ich gegenüber dem Wahlkampfgetöse im Netz empfinde. Man scheint bei Vodafone genau so wie bei den Parteien zu glauben, man könne mit genau NICHTS in der Hand ankommen, mir zuzwinkern, eine kleine (auch noch schlechte, aber wie gesagt, mir ist das egal) Showeinlage performen, und schon hätte man mich im Sack?

Das was man uns aber bietet, ist immer nur leeres Geklingel. Die SPD meint, sich ranschleimen zu müssen, und bietet uns in ihrem Feld, das worum es geht, der Politik eben, nur Arschtritte an. Arschtritte mit Anlauf. Und sie winken uns dabei lächelnd zu, von ihren Facebookprofilen aus. Wir sollen sie wählen, rufen sie uns zu. Das muss man sich mal vorstellen!

Vodafone hat noch nicht gesagt, was sie denn nun konkret anzubieten haben. Bisher haben sie sich nur als freiwilliger Zensurvorreiter einen Namen gemacht. Die wenigen Netzaffinen, die sich in den konkurrenzlos schlechten Tarifen von Vodafone verfangen haben und jetzt mit halbtot gebrandeten Handys rumlaufen müssen, wurden vermutlich nachts besoffen in der Kneipe zur Unterschrift genötigt.

Ehrlich? Ich erwarte da konkret gar nix. Wenn man tatsächlich etwas in der Hand hätte, hätte man das schon gesagt. Dann müsste man auch nicht so viel Geld in eine Kampagne stecken.

Was einige Leute anscheinend immer noch nicht kapiert haben: das Internet schafft Transparenz. Internetcommunitybenutzer vergleichen mehr, schneller und besser, was man anzubieten hat. Weil sie die Tools dafür haben. Die Genration Upload ist in Wirklichkeit die „Generation Transparenz„.

Und die einzige Möglichkeit, die „Generation Transparenz“ zu erreichen, ist ein gutes Angebot. Das braucht man dann nicht mal bewerben. Man kann es getrost irgendwo in der hinterletzen Ecke seiner Website verstecken. Keine Sorge, wir finden das schon. Dann zerren wir es heraus und stellen es neben die anderen Angebote. Und wenn es gut ist, dann schlägt es durch. Von ganz allein und in und mit brachialem Erfolg.

Kommunikation im Internet ist doch so einfach: ehrlich sein und ein gutes Angebot machen. Das gilt für Produkte genau so, wie für Politik.

Stattdessen entscheidet man sich aber immer noch lieber dafür, unsere Intelligenz zu beleidigen. Aber ich mach mir keine Sorgen. Da wird schon noch jemand kommen, der es ernst meint. Und dann werden sie alle sterben. Endlich.

Rasen betreten verboten!

Was mich nachhaltig irritiert, ist die Verbohrtheit, mit der in den Blogs derzeit diskutiert wird. Ich hab in der letzten Zeit für alle möglichen Äußerungen viel Prügel einstecken müssen. Das fing bereits auf dem Politcamp an (Gut, Verbohrtheit war von Politikern zu erwarten) und hat in meinem letzen Posting seinen vorläufigen Höhepunkt gefunden.

Ich will mich nicht beklagen, ich kann das einstecken. Nein, ich finde das sogar gut. Ich mag kontroverse Diskussionen und natürlich hab ich sie auch bewusst lanciert. Nein, die Heftigkeit der Reaktionen hat mich zwar überrascht, aber es ist nicht das, wovon ich ein Unwohlsein bekomme.

Unwohl ist mir mit etwas anderem: Dem ständigen Insistieren auf den Status Quo.

Sobald man über das Bestehende hinaus denkt, sobald man seiner Sehnsucht Ausdruck verleiht, die Dinge, – die ohne Frage gut sind – doch bitte etwas weiter zu denken: Demokratie, Meinungsfreiheit, Emanzipation im Allgemeinen, wird man scharf abgebügelt. Mit den bestehenden Gesetzestexten Hand. ZACK! ZACK! „Wir machen das eben so, und so ist das nun mal!„.

Bin ich vielleicht anormal, dass ich mich mit dem Status Quo nicht zufrieden gebe? Natürlich erkenne ich an, dass wir eine gutes Rechtssystem haben. Es gibt eigentlich keine Länder, mit denen ich tauschen möchte. Ich bin auch ein großer Freund des Grundgesetzes.

Aber entbindet uns das von der Aufgabe, die grundlegenden Gesetze weiter zu denken? Entbindet eine mehr oder weniger gut funktionierende Demokratie davon, weiter zu gehen, die Demokratie noch mal neu zu denken? Besser zu denken? Und müssen Einschränkungen der Freiheit, die sicher zu einer Zeit mal ihre Berechtigung hatten, auf immer bestehen bleiben? Nur weil es sie gibt? Sollten wir tatsächlich glauben, dass wir der Gipfel der zivilisatorischen Bewegung sind, und dass alle Schritte weg vom Status Quo also automatisch Rückschritt bedeuten müssen?

Es wird immer wieder pathosschwanger auf auf die Generationen vor uns verwiesen, die teils unter erheblichem Druck und Leid all die Rechte erkämpft haben, an denen wir jetzt partizipieren. Es doch nicht so, als ob ich das nicht wüsste.

Aber ich frage: Wird man den Opfern, die diese Menschen gebracht haben, besser gerecht, wenn man sich über das von ihnen Erreichte freut und ansonsten mit Staatsgetöse ihre Geburtstage feiert? Oder würde man ihnen besser gerecht, wenn ihr Projekt fortsetzt. Noch mal anfängt, darüber nachzudenken, wie man noch mehr Freiheit, noch mehr Gleichheit, noch mehr Demokratie und Wohlstand erreichen kann – gerade in dem man über dasjenige hinausgeht, was die damaligen Generationen forderten und teilweise durchsetzten?

Wir wurden die letzten Jahre in einen gewaltigen Strudel hineingezogen, der alles was wir Wissen neu ordnet und neu definiert. Das Internet ist eine gewaltige Ent- und Neu-bewertungsmaschine. Es ist ein gigantisches niezscheanisches Projekt, das nur noch nicht alle erreicht hat. Aber uns. Wie kann man angesichts der Möglichkeiten und tatsächlichen Umwälzungen, die das Internet nach sich zieht, wie kann da man die Hände in den Schoß legen, auf bestehende Rechtslagen verweisen, und meinen: „Das ist nun mal so„? Wie kann man sich zum Beispiel damit zufrieden geben, was uns Kohlenstoffwelt da draußen an Partizipation bietet, wenn man doch das Internet kennt? Oder zeigt nicht das Internet, dass es keine Information gibt, die man hinter dem Berg halten kann? Ganz egal wie illegal, moralisch, falsch oder idiotisch sie ist? Und dass wir, statt den unmöglichen Kampf dagegen zu führen, lieber Wege suchen sollten, damit umzugehen? Ist es nicht auf den ersten Blick evident, dass die Gesetze von vorgestern, was die Informationshygiene angeht, im Internet sowieso nicht funktionieren können? War nicht auch das der Subtext der Zensursula-Debatte?

Was ich mir wünschen würde, ist mehr Mut, bestehendes zu hinterfragen. Und wenn man auf Gedanken stößt, die an dem Gegebenen rütteln, wünschte ich mir, dass man sachlich die Möglichkeiten und natürlich auch die Gefahren dieser Ideen diskutiert, statt erstmal herumzukreischen, dass es derzeit rechtlich alles anders aussieht.

Ich wünsche mir, dass alle mal gedanklich den Rasen betreten und jenseits der inneren Ordnungsrufe von links wie rechts vorurteilsfrei den Status Quo bewerten, und fragen, ob wir nicht gerade einen neuen Menschen bekommen, der neue Regeln braucht. Andere Regeln, vielleicht auch mal gar keine, wo vorher welche waren, weil sie heute keinen Sinn mehr machen.

Die Piraten und die richtige Meinung

HAHA! Es ist soweit. Die Netzgemeinde hat ihre Gretchenfrage stellt bekommen und ist gleich darüber gestolpert. Heroisch hatte sie sich gegen jede Form der Zensur aufgelehnt. Zu großen Teilen hat sie sich hinter die Piratenpartei geschart. Und nun, will sie gerne selber Meinungen unterdrücken.

Oh mein Gott. In der Piratenpartei sind auch Leute, die zwar die eigenen Gedanken zur Netzpolitik teilen, aber sonst komplette Spinner sind? Und dann hat er auch noch einen Posten als irgendwas völlig egales bekommen? Skandal!

Aufschrei, Gekreische. „Unwählbar!

(Sorry, die Kinder von fixmbr bekommen von mir keinen Link)

Nun. Da gibt es also auch einen Spinner in den Reihen der Piraten? Ach nee. Nur einer? Ich wette, da werden wir noch viel mehr von sehen. Ich würde von gut und gerne 5% Spinnern ausgehen. Egal ob links oder rechts oder irgendwas anderes. Das ist nicht nur völlig normal bei einer neuen Partei, das ist quasi ein Naturgesetz bei Internetleuten.

Dass der Thiesen ein Rechtsradikaler ist, kann ich aus seinen Äußerungen übrigens gar nicht herauslesen. Das scheint eher einer von diesen Verschwörungsdeppen zu sein. Ein Spinner eben, wie man sie im Netz zu Hauf findet.

Und nun ist es nicht ganz uninteressant, was in der Diskussion zu dem Thema abgeht. Am schönsten hat es Daniel Erk ausgedrückt:

dings

Natürlich haben die Leute, die meinen, dass keine Meinung verfolgt oder sanktioniert werden sollte – nicht mal die Leugnung des Holocausts – selber überhaupt gar kein Problem mit Holocaustleugnung. Sind ja quasi selber Nazis, oder? Genau so, wie Leute, die keine Zensurinfrastruktur wegen Kinderpornographie etablieren wollen, ja kein Problem mit Kinderpornographie haben. Super! Danke Daniel. CDU-Mitgliedsanträge findest du hinten links.

Aber mal ehrlich. Was sollen die Piraten denn nun mit Thiesen tun? Sollen sie ihn rausschmeißen? Soll eine Partei, die sich glaubwürdig für Meinungsfreiheit einsetzt, eines ihrer Mitglieder vor die Tür setzen, weil er spinnerte Meinungen äußert? Soll sie ihm untersagen, sich für ein Amt aufstellen zu lassen? Mit welchem Recht? Soll sie ihm den Mund verbieten?

Eine Partei mit der Programmatik der Piraten sollte nicht nur, sondern muss mehr Toleranz und Pluralität zulassen. Sonst scheitert sie an ihren eigenen Ansprüchen.

Sie muss im übrigen toleranter und pluraler sein, als ich es bin. Im Gegensatz zu dem, was Daniel Erk in seinem feuilletonistischen Weltbild zusammen denkt, würde ich mich weigern mit Holocaustleugnern überhaupt zu sprechen. Ich könnte aber auch nicht in eine Partei eintreten. Weder bei den Piraten noch bei irgendwem anderes.

Aber nicht nur, weil ich mich gezwungen sähe, mich gegenüber jedem Spinner in meiner einzeln distanzieren zu müssen, weil man in unserer Volldeppenwelt nun mal so gerne in Sippenhaft genommen wird. Nein, mir ist im Grunde egal, was die Kleingeistigen in dieser Gesellschaft über mich denken. Ich könnte es aber nicht ertragen, mich mit Menschen wie Thiesen auseinandersetzen zu müssen. Aber nicht nur mit ihm. Ich hab wahrscheinlich auf einen Großteil der Leute dort keinen Bock.

Das wiederum ist kein Argument gegen die Piraten. Das gilt für alle Parteien. Das ist ein Argument gegen das Organisationsprinzip Partei. Die Sippenhaft nach außen wie innen, die es nötig macht, um eine Partei zu einer Partei zu machen. Das Auf-Linie-bringen der Menschen und Meinungen, die es braucht, um mit sowas Politik zu machen. Das unbedingte streben noch Opportunität und die Angst vor der „öffentlichen Meinung“. Das sind alles Dinge, die das Internet an sich obsolet gemacht hat, aber denen man in unserer rückständigen Demokratieinstallation leider bis heute nicht entkommt.

Wenn also die Piratenpartei scheitern wird, dann nicht an den Piraten, sondern an dem Prinzip Partei.

Warum Piraten?

(Ein Text von @sinasein und mir. Er wird parallel noch an anderen Stellen veröffentlicht, auf die ich dann an dieser Stelle hinweisen werde.)

Es war eine Mischung aus tieferem Interesse und kann-ja-nicht-schaden, die uns (Sina und mich) zum Treffen der Piraten-Berlin trieb. Vorausgegangen sind natürlich die hin- und hers der Blogdiskussionen über den Sinn und Unsinn der Piraten. Mit diesem Interesse sind wir nicht allein. Der Treffpunkt, das Cafe Breipott wurde quasi gesprengt. Etwa 70 Neupiraten und Interessierte drängelten sich zwischen Theke und Außensitzglegenheiten. Aber eine so schnell wachsende Bewegung ereignet sich nicht einfach so. Also, warum Piraten? Was ist die politische Funktion und warum braucht es sie gerade jetzt?

Die Piraten sind derzeit enorm öffentlichkeitswirksam. Eine von Schweden ausgehende Raubkopier-Interessengemeinschaft, die freibeuterisch für Ihre ‚Rechte‘ gegen die Urheberrechts-Musik-Lobby eintritt, ist zu einer europäisch (internaltionalen) Bewegung geworden. Aus dieser Bewegung haben sich schon in vielen Ländern Parteistrukturen entwickelt. Und plötzlich passiert in Deutschland alles gleichzeitig: Petitionseuphorie, SPD-Desillusionierung, Grüne Heuchelei und die Piraten mit einem sich abzeichnenden europäischem Wahlerfolg und schon erscheint die kleine, belächelte Splitterguppe als wählbare Alternative.

Fest steht: Außer der wachsenden aber immer noch kleinen „Internetelite“ versteht niemand so richtig worum es bei den Piraten geht. Im Leben der meisten Menschen hat das Internet wenig Priorität. Auch in der klassischen Medienwelt bekommen die Themen aus dem Netz kaum Aufmerksamkeit und noch weniger im politischen Betrieb. Seit Obama wird das Internet zwar als Allzweckwaffe und Wunder-Marketing-Instrument angesehen – verstanden, wurde es allerdings nicht. Aber die paar wenigen Leute haben es in wenigen Jahren geschafft, eine kolaborative Wissenform zu etablieren die nahe an dem dran ist, was man Informationsomnipotenz nennen könnte. Sie haben Kommunikationswege erschlossen, die jegliche Einschränkung zu überwinden im Stande ist und nicht nur autokratischen Systemen das Leben schwer macht sondern ganz aktuell dabei ist, eine Diktatur zu stürzen. Wir, die wir vorne daran partizipieren und mitgestalten, wissen um den Wert dieser Möglichkeiten. Wenn aber Politiker von diesem unseren Netz reden, fühlen wir uns in ein anderes Jahrhundert eines ganz anderen Planeten versetzt. Ja, es kommt uns vor, als würden die modernen Weber, diesmal mit guten sozialen und monetären Mitteln ausgestattet, zur Konterevolution rufen. Alleine das ist Grund genug, sich zu organisieren.

Dabei ist das politische Programm der Piraten eher schmal – Nur: wie einst die Grünen, versuchen sie den Sprung in das politische Rampenlicht mit einem Thema, dessen Wichtigkeit, zwar einige wenige (uns) tiefbewegt, die Politik aber ausblendet und die breite Öffentlichkeit gar nicht wahrnimmt. Bei den Grünen war der vereinigende Impuls, die Wut darüber, dass in politische Entscheidungen, die Umwelt keine Rolle spielt. Das hat sich in der Tat etwas geändert. Auf die Piraten übertragen, könnte man sagen, es geht darum das Netz in politische Entscheidungen einfließen zu lassen. Netzpolitik eben und keine rückwärtsgewandten Antinetz-Propaganda, die auch die klassischen Medien so gerne betreiben. Oder man sieht es anders und reduziert die Piraten auf Urheber-/, Patentrecht und Datenschutz. Im besten Fall sind aber auch damit ein notwendiges Korrektiv zur ausgedruckten Parallelrealität der Politiker. Mit der Piratenpartei, so könnte man sagen, haben die Politiker die netzpolitischen Themen auf dem sprichwörtlichen Zettel. Das Phänomen Piraten führt zudem einer breiteren Öffentlichkeit vor Augen führen, dass es durchaus politisch ungeklärte Angelegenheiten gibt, in ‚diesem‘ Internet. Es ist dabei kein Übel, dass sich die Partei von vornherein provokativ geriert: vom Name, der Entstehungsgeschichte bis zu sehr spezifischen Inhalten. Denn, wie die Zensursula-Debatte gezeigt hat, haben die anderen Parteien einen massiven Nachholbedarf. Nicht nur CDU und SPD, sondern auch unsere „neuen Freunde“, die drei Oppositionsparteien sind in ihrer Netzbekuschelung nicht hundertprozentig glaubwürdig.

FDP

Die FDP vertritt die Netzpolitik wohl nicht schlechter als die SPD, aber es gibt auch berechtigte Einwände.

Es ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass Guido Westerwelle für ein Ministeramt bereit wäre, jedes Bit der Festplatte seiner Mutter persönlich zum BKA zu tragen. Die Klientelpartei von Rechtsanwälten, Ärzten und vielleicht seit neustem auch Finanzhaien fremdelt mit der Netzwelt, wie die meisten Politiker.  Das sieht man immer sofort auf den Demos. FDPler wirken da immer wie bestellt und nicht abgeholt, und das obwohl sie zum Demonstrieren extra ihre Krawatte im Büro gelassen haben. Natürlich gibt es Gegenbeispiele, aber für eine Unternehmenssteuersenkung von anderthalb Prozent, liegen die Grundrechte im Netz augenblicklich in Geschenkpapier eingewickelt bei Schäuble auf dem Schreibtisch. Mit Grußkarte!

Das ist sogar dann glaubwürdig, wenn man das hervorragende Abstimmungsergebnis der FDP (volle Breitseite Ablehnung, als einzige Fraktion) zum Zensurgesetz in die Rechnung einfließen lässt. Denn natürlich spricht man von zwei verschiedenen Parteien, wenn man sie aus der Opposition in den Kontext der Regierungsverantwortung setzt. Das gilt freilich nicht nur für die FDP. Leider zerstören Koallitionsverhandlung viele gute Vorsätze. Etwas Hoffnung macht die Basis und die scheint sich in der langen Oppositionszeit gestärkt zu haben. Es gibt Parteitagsbeschluss der Liberalen gegen die Internetzensur angestoßen von einem fast 80jährigen Intellektuellen Burkhard Hirsch (überrschend aber beides scheint es vereinzelt in der Partei zu geben, Senioren und Intellektuelle) und Maja Pfister, die im AK-Zensur mitmischt. Und plötzlich gibt es dann noch eine neue Seite, die Positionen zur Internetzensur sammelt. Sie sehen sich so gerne als Bürgerrechtspartei – Hoffnung bleibt bei den Liberalen also bestehen – nur reicht das nicht!

Die traurige Abstimmung im Bundestag zum Zensurgesetz fordert dazu auf, auch Grüne und Linke hier einer kritischen Betrachtung zu unterziehen.

Grüne

Die Grünen, das muss man ihnen zugestehen, haben sich enorm Mühe gegeben. Ihre Internetauftritte haben sicher mehr als alle anderen überzeugt. Leuten wie Bütikofer und Volker Beck ist eine wirkliche Begeisterung und tieferes Verständnis für die neuen Medien anzumerken. Auch haben sie sich die letzten Jahre Mühe gegeben, die Bürgerrechtslücke, die die FDP so kampflos hat brachliegen lassen, glaubhaft aufzufüllen. In den netzpolitischen Diskussionen der letzten Jahre stand sie – jedenfalls zu Oppsoitionszeiten – fast immer auf der richtigen Seite und warf sich mit Verve in die Bresche gegen Vorratsdatenspeicherung und Zensurgesetz.

Doch ach! Die Abstimmung im Bundestag brachte es zu Tage: Obwohl die Parteiführung einen auf superhipp macht und die neuen Technologien umarmt, ist das nicht bei allen Grünen so. 15 Enthaltungen sind ein klares Bekenntnis zum Umfallen. Es gibt eben bei den Grünen auch Menschen mit einem tief sitzenden antitechnologischen Reflex. Menschen, die sich unter Tische werfen, wenn sie mitbekommen, dass irgendwo ein W-Lan strahlt. Leute, die Handys als mindestens den Untergang des Abendlandes betrachten, weil sie mediale Kommunikation per se als entfremdet empfinden. Die es als Körperverletzung verstehen, wenn man in ihrer Nähe einen Laptop aufklappt. All das gibt es bei den Grünen zu Hauf. Und viele dieser Menschen würden mit Freuden das Internet verbieten, ob mit Kinderporno oder ohne. Sie sind sicher nicht die Mehrheit, klar, aber eine bedeutende Minderheit, die den Grünen, so sehr es die einzelnen vernünftigen Mitgliedern auch versuchen, einen Strich durch die Rechnung machen werden, die Internetpartei zu werden.

Die Linke

Die Linke hat sich während der Zensurgesetzdebatte besonders intensiv bei den Internetnutzern eingeschleimt. Keine Partei hat so gekonnt und informiert aus den wichtigsten Blogs, Mailinglisten und Wikis zitiert. Keine Partei hat so konkret und kompromisslos die Linie der Netzpublizisten vertreten. Das ist natürlich schmeichelhaft für uns, wenn Netzpolitik.org im Bundestag zitiert wird. Nur, ich glaube, hier ist das Bekenntnis zu netzpolitischen Werten noch viel vereinzelter als bei den Grünen. 17 der Abgeordneten hielten es nicht für nötig, ihre Stimme überhaupt abzugeben. Auf ihre Verlässlichkeit in Sachen Bürgerrechte mag ich nicht mal 4 Cent wetten.

Kein Wunder. Dass die Linke eine auch nur entfernt liberale Tradition pflegt, kann man aufgrund ihrer Herkunft schon mal beherzt verneinen. Dazu kommt das durchschnittliche Alter, vor allem der Basis. Natürlich weiß ich auch, dass es einen ziemlichen Zulauf von jungen Leuten in die Partei gibt, die durchaus gewillt sind, eine moderne linke Politik in die Partei hineinzutragen. Nur ist das eben noch nicht ausreichend der Fall. Auch in der Parteispitze ist niemand, dem ich abnehmen würde, dass er auf die Freiheiten im Netz auch nur einen Pfifferling geben würde. Ich bin mir sehr sicher, dass die Linke in der Regierung kein nennenswertes Hindernis wäre, sobald es darum ginge, eben all jene Freiheiten einzuschränken, die uns wichtig sind.

Neben dem natürlichen Feind des Internets, der CDU, hat die SPD ihre Totalausfallqualitäten ja zu genüge zur Schau gestellt. Und wenn man, wie wir überzeugt sind, dass man keiner der Oppositionsparteien weiter trauen kann, als die Leutheusser-Schnarrenberger Wolfgang Schäuble samt Rollstuhl werfen kann, braucht es eine unverstellte Stimme, die unsere Interessen kompromisslos formuliert, egal wie laut oder leise sie ist.

Die Piraten

So wie es Blogs braucht, weil die klassischen Medien gerade in diesem Fall versagt haben, braucht es die Piratenpartei für die Politik. Ebenso wie Blogs kann sie die Öffentlichkeit nicht direkt wandeln. Aber sie kann wie Blogs Druck auf die etablierten Strukturen verursachen. Aber das ist mehr als nichts, dieser Hebel ist nicht zu unterschätzen. Und vor allem ist er mehr als notwendig.

Nein, wir brauchen nicht einfach nur die Piratenpartei. Wir brauchen auch die Piraten in der SPD, bei den Liberalen, bei den Grünen und auch bei den Linken. (Fraglich ist, ob es die Piraten auch in der Union geben muss. Oder die Satanisten in der Katholischen Kirche) Aber es braucht eben auch die Piraten als eigene Partei. Einfach um Flagge zu hissen. Denn erst wenn die anderen Parteien diese Flagge am Horizont auftauchen sehen, werden die Mathias Richels und Björn Böhnings auch parteiinternes Gewicht bekommen. Wie so oft in der Geschichte, muss man meist „Revolution“ schreien, um zumindest eine Reform zu bekommen. Die Guillotine könnte man dieses mal ja im Keller lassen.

Die Piraten oder das Engagement in den etablierten Parteien ist keine Frage des entweder-oder, sondern des sowohl-als-auch! Also macht was ihr könnt, wo ihr wollt!

Parteien

Noch ein Kurzer Nachtrag zu dem Thema Parteien. Natürlich hat sich unsere Abneigung, die im übrigen zur Zeit von vielen Seiten vor gebracht wird. gegen parteiförmige Organisationsstruktur nicht in Begeisterung für die Piraten aufgelöst. Die Vorbehalte gelten weiterhin und vollumfänglich. Nur wissen auch wir, dass das politische System nicht von heute auf morgen geändert werden kann. (In Sachen Postparteienstaat haben wir übrigens sehr interessierte Mitstreiter unter den Piraten gefunden). Die derzeit immer heftiger werdenden Kulturkämpfe um das Internet machen es notwendig, so schnell wie möglich ein brauchbares Gerüst für eine neue Politik aufzustellen. In einem Parteienstaat wie Deutschland ist die Parteigündung nun mal der zentrale politische Akt der Willensartikulation. Die Piratenpartei dient als Referenz, mit der wir innerhalb des bestehenden Demokratieinterface unsere Interessen artikulieren können.

Doch sehen wir auch die Gefahren und Nachteile. Eine zu sehr erstarkende und sich im Anschluss institutionalisierende Partei kann – wiederum ebenso wie die Grünen – selber zum systemstablilisierenden Element verkommen. Und dabei alle die Kräfte auffressen, die sich eigentlich auch für grundlegendere „Reformen“ engagieren würden. Derzeit kann die Piratenpartei nur eine Protestpartei sein und das ist auch gut so. Sie soll das etablierte System etwas irritieren und es unter Druck setzen. Es soll Interessen bündeln und schlagkräftig vertreten. Deswegen verdienen die Piraten mindestens Sympathien und unterstützende Unterschriften für die Zulassung zur Bundestagswahl.

Favottercharts vom 02.07.09

Weil alle nölen und quengeln, wie ich öle und … ähh… bängel, hab ich mich überwunden und eine neue Version der Favottercharts gebastelt.

Ein bisschen peinlich ist mir das jetzt schon. Jetzt hab ich es jedenfalls geschafft, in den von mir erstellten Charts auf Platz eins zu landen. Frank, was ist da los bei Dir? (hehehe)

Auch interessant: Der @Vergraemer haut @HappySchnitzel-gleich die Resttwittosphäre in den Staub und schießt 10 Plätze nach oben. Die Angesprochene hat es sich derweil im Olymp der Top 3 bequem gemacht und wenn Frank und ich nicht höllisch aufpassen…

Dass Stijlroyal es hingegen nicht geschafft hat, den trottelbot zu kassieren, enttäuscht mich dann doch. Da fordere ich mehr Einsatz!

Natürlich auch raketenhaft: Hermsfarm. Ist ja auch ein Phänomen, der Typ. Letztes mal schon grandios auf Platz 30 eingestiegen zischt er nun davon und belegt einen sensationellen 14. Platz. WOW! Meine Wette: nächstes Mal ist er unter den ersten fünf.

Ansonsten hat mich besonders gefreut ennomane in die Liste aufnehmen zu können, an dessen Twitterei ich ja nicht ganz unschuldig bin. Und dann gleich auf 31! Alle Achtung! Da wird noch einiges gehen.

  1. mspro 1758
  2. frank93 1635
  3. HappySchnitzel 1374
  4. trottelbot 1337
  5. stijlroyal 1294
  6. saschalobo 1110
  7. vergraemer 1037
  8. 343max 1001
  9. sixtus 893
  10. kcpr 838
  11. kathrinpassig 779
  12. Sillium 773
  13. booldog 740
  14. hermsfarm 727
  15. kosmar 707
  16. klauseck 703
  17. fragmente 629
  18. PickiHH 574
  19. moeffju 563
  20. blogwart 538
  21. denQuer 501
  22. kumullus 499
  23. tristessedeluxe 493
  24. plomlompom 490
  25. bjoerngrau 482
  26. wondergirl 473
  27. ghostdog19 467
  28. mathiasrichel 464
  29. furukama 454
  30. Nico 450
  31. ennomane 440
  32. DonDahlmann 438
  33. gebenedeite 426
  34. textundblog 414
  35. zebramaedchen 411
  36. netzpolitik 411
  37. Zufall 406
  38. jkleske 389
  39. sebaso 383
  40. spreeblick 370
  41. holadiho 331
  42. stburnster 330
  43. isabo_ 326
  44. Euphoriefetzen 324
  45. Ibo 323
  46. svensonsan 313
  47. AF_Blog 305
  48. silenttiffy 288
  49. ankegroener 283
  50. tknuewer 279

Zur Abwechslung mal was wichtiges

so ging’s. Er hat’s getan. Danke an alle, die geholfen haben.

Warum wir die SPD einfach vergessen sollten


via: Spreeblick

Zunächst einmal eine Berichtigung. Ziemlich weit hab ich mich aus dem Fenster herausgelehnt, bei meinem letzten Blogeintrag. Eine Inszenierung solle stattfinden, für uns, wo doch schon alles ein abgekartetes Spiel sei.

Es gab eine Inszenierung, ja. Es gab ein abgekartetes Spiel, ja. Aber nicht für uns, sondern gegen uns.

Jaja, wer hat uns verraten…? Die Änderungen am Gesetzentwurf, die der Parteivorstand beschlossen hatte „Löschen vor Sperren“, waren kein Kompromiss mit dem Antrag, den Böhning eingebracht hatte, „Löschen statt Sperren“, obwohl das so kommuniziert wurde. Über diesen wurden uns hinter vorgehaltener Hand die wildesten Sachen erzählt: der sei ja so scharf, die CDU könne auf ihn unmöglich eingehen. Man wollte uns auf diese Weise vertrösten, dass das Gesetz eben nicht mehr durch ginge in dieser Legislaturperiode.
Nein, der Beschluss des Parteivorstandes war ein bereits in Hinterzimmern ausgeklügelter Kompromiss mit der CDU!

Ja, richtig. Die SPD hat uns an die CDU verkauft und uns voll auflaufen lassen. Dass man uns nicht gleich alles recht machen würde, hatte ich erwartet. Aber dass man uns derart mit Anlauf in die Fresse tritt, hat mich dann schon sehr erstaunt. Ich dachte, sie nähmen uns wenigstens ein bisschen ernst.

Nein. Ernst nehmen die etwas ganz anderes. Als Böhning seinen Antrag in Originalform dennoch abgab, hatte das keine Bewandnis mehr, so sagte man ihm, weil der Beschlusses des Parteivorstandes diesen ja überflüssig machte. Als es dann darum ging, die einzelnen Anträge abzustimmen, wurde hastig gefragt, ob denn noch wer reden wolle und noch bevor sich wirklich was regen konnte, ganz schnell der Deckel zu gemacht. Keine Diskussion, keine Möglichkeit der Rede, keine Abstimmung. Nur noch Singen.

Angstschweiß lag in der Luft. Die wollen das Thema nicht auf der Agenda haben. Zwei Tage vor dem Parteitag und einen nachdem Böhning seinen Antrag ankündigte, war er von Bild zum „Verlierer des Tages“ gekührt worden. Das ist für Böhning nicht schön aber verkraftbar als Direktkandidat in einem vor allem jungen und gebildeten Wahlkreis. Aber in der Partei kam etwas anderes an. Ein Schuß vor den Bug.

Man muss dazu sagen, dass die Bildzeitung bisher erstaunlich still gehalten hat. Und das bei einem Thema, wo ihr Standpunkt klar ist und das ihrem Kampagnenstil doch sehr entgegen kommt. Ich weiß nicht, was das ist. Vermutlich will sie nicht öffentlich gegen die Zivilgesellschaft schießen. Sie war sicher auch nicht unbeeindruckt von dem, was wir auf die Beine gestellt haben. Ich hatte jedenfalls den Eindruck, als traute sie nicht, gegen uns zu schießen, habe aber jeden Tag damit gerechnet.

Aber gegen die SPD zu schießen, das ist etwas ganz anderes. Jetzt kann man, wenn man pervers veranlagt ist, seine Phantasie mit den Wörtern: „Bild“, „Kampagne“, „SPD“ und „Kinderpornographie“ spielen lassen, und hat ein ungefähres Bild dessen, wovor den Genossen graust. Das gegen Böhning, war nur ein kleiner Stupser.

Wir haben gegen die Bildzeitung verloren.

Bildzeitung vs. Internet = 1:0

Naja, nicht ganz. Die populistische Petition zur Halbierung des Besteuerung auf Benzin, die von der Bildzeitung angestoßen und mit Kampagne begleitet wurde, ist mit ihren 128.193 Unterzeichnern seit gestern Nacht nicht mehr die erfolgreichste Petition aller Zeiten, sondern es ist die Netzsperrenpetition mit derzeit über 130.000 Zeichnern.

Bildzeitung vs. Internet = 1:1? Nein. Ich will jetzt nicht sagen, dass das Netz in diesem Thema der Bildzeitung in Kampagnenkraft ebenbürtig ist. Nein, das haben die Genossen sicher richtig eingeschätzt. Aber nicht mehr lange.

Der Hebel ist da, und wir haben ihn bereits in den Arsch der SPD gerammt. Noch ist er zu kurz, als dass er ihr wirklich schweren Schaden verursachen kann. Aber er wächst so schnell, scheller als alles sonst, dass er bereits morgen sehr weh tun wird. Und er wächst auch dann noch weiter, wenn er die Bildzeitung in seiner Macht längst hinter sich gelassen hat. Aber ob es dann noch eine SPD gibt, wage ich nicht zu prognostizieren.

Denn zwischenzeitlich werden wir die SPD in einem Sturm aus Scheiße schicken. Sie hat sich nämlich selber zum Feind des Internets gekürt. Was sie hier angestellt hat, wird nicht so schnell vergessen werden. Sie wird für eine wachsende Zahl von Menschen das Symbol für Rückschritt und Opportunismus sein. Mit der SPD wird das Netz nicht mehr so schnell verhandeln. Das wird nicht zuletzt dann unangenehm werden, wenn die Gesellschaft und das Netz eins sind. Und auf diesem Weg sind wir, darüber sollte Klarheit herrschen.

Die SPD hat ihre Zukunft verkauft, damit sie ihre jämmerliche Gegenwart ins morgen retten kann. Weit wird sie damit nicht kommen. Aber, wie gesagt: vergessen wir die SPD

Kommen wir zur mittelfristigen Perspektive. Mathias Richel beschwor mich immer, die SPD sei zwar nicht perfekt, aber mit Schwarz-Gelb, da würde über sowas ja nicht mal diskutiert werden. Da wär dann alles Protestieren vergebens.

Nun bin ich sicher kein Freund von Schwarz-Gelb und werde den Teufel tun, die zu wählen oder zu unterstützen. Aber ich habe dennoch einmal darüber nachgedacht und muss ihm in diesem Punkt deutlich widersprechen.

1. Steckt das Schwarz in der großen Koalition genauso drin, wie in Schwarz-Gelb.

2. Ist die FDP zwar sicher keine liberale Partei mehr (bürgerrechtlich gesehen) aber ist einer gewissen Tradition in dieser Hinsicht verpflichtet, die nicht unwesentlich dazu beiträgt, ihre demokratische Legitimität zu sichern. (Nur „Steuern runter“ ist zwar nachvollziehbare Klientelpolitik, aber noch keine Partei) In etwa also so, wie die SPD wenigsten den rhetorischen Eindruck machen muss, sozial zu sein, muss die FDP immer peinlich genau auf ihren liberalen Anstrich achten. Das heißt, der Hebel den wir hier hätten, wäre mindestens genau so groß wie bei der SPD, aber das Zu-Hebelnde wäre umso kleiner.

3. Diese Kleinheit bringt außerdem mit sich, dass die FDP weniger erpressbar in Sachen Bildzeitung wäre. Eine Volkspartei kann nicht gegen Bild, eine spezielle Partei wie die FDP schon eher.

Also egal was da kommen mag: Schwarz-Gelb oder Schwarz-Grün-Gelb, alles wird besser sein als die Große Koalition. Jedenfalls für netzpolitischen Dinge. (Sozialpolitisch würde ich das nicht sagen, aber auch da glaube ich kaum, dass man die SPD wirklich so deutlich unterbieten kann, wie sie es uns weismachen will.)

Wir können die SPD also getrost vergessen und in Ruhe sterben lassen. Tschüß, du loser!

Da sind wir also. Und ich hab Theaterkarten.

Da sind wir also. Sozusagen angekommen in der großen Politik. Morgen Übermorgen ist der außerordentliche Parteitag der SPD. Und dort wird ein nettes Theaterstück aufgeführt werden. Und zwar für uns. Ich habe eine persönliche Einladung dafür bekommen. Danke noch mal, Herr Wasserhövel, für die Einladung. Ich weiß sehr genau, warum ich da sein soll.

In den Medien lässt man derweil verlauten, die „Basis“ würde gegen das Gesetz rebellieren. Das ist quatsch. Ich sag mal so, wie ich – mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit – vermute, wie es abgelaufen ist: Die Parteispitze hat das alles längst mit Böhning abgekakelt. Dieser Rebell, der! Ich habe schon Tage vorher derlei raunen hören, nichts konkretes, aber etwas grundsolide vorbereitetes. Böhning und Dörmann und vielleicht ein paar andere waren also sicher aktiv und haben die Parteispitze bearbeitet. Böhning hat einen guten Draht zum Münte, wie man ja weiß (hab ich doch den Münte mit dem Wowi verwechselt). Die Parteispitze hat sich aber mitnichten gegen die Zensur gestellt. Sie hat sich von einem okayen strategischen Plan überzeugen lassen:

Böhning kandidiert ja nicht zufällig im internetaffinsten Wahlkreis Deutschlands für die SPD. Hier in Friedrichshain/Kreuzberg, wo sogar die Piratenpartei 3,4 % bei der Europawahl geholt hat, sind wir, also die Zensurgegner eine strategisch wichtige Wählergruppe, nicht zu letzt weil wir so schön multiplizieren können. Die Internetleute, so das Kalkül, könnten also Böhning über den alten und wenig technikafinen Platzhirschen Ströbele hieven.

Hinter den Kulissen wurden die Delegierten natürlich bereits eingenordet. Der Antrag wird also angenommen werden und Böning soll dann unser Held sein. Der Retter des Internets! (Und ein zusätzlicher – vor allem zweitstimmenunabhängiger – Sitz der SPD im Bundestag ab September, so hofft man.)

Sascha Lobo ruft bereits auf dem @BoehningB zu follown. Als Zeichen der Unterstützung seines Antrages. Böhning wird von uns vorgeschickt, so soll es wirken. Der SPD gegenüber. Und die SPD unterstützt Böhning, so soll es dann wirken, wenn es geklappt hat. Uns gegenüber.

Ich hab das bisher nicht getan, ihn zu follown, mein ich. Denn ich habe meine Bauchschmerzen damit. Ich habe Bauchschmerzen damit, mich in den Wahlkampf der SPD einspannen zu lassen. Es gibt noch tausend und mehr Gründe für mich die aktuelle SPD nicht nur nicht zu wählen, sondern auch nicht zu unterstützen. Nein. Ich möchte nicht Teil ihres Wahlkampfes sein.

Aber das ist ein Dilemma. Die SPD ist nun mal derzeit unsere letzte Rettung in der Sache. Nur sie kann das Gesetz aufhalten. Und die Chancen stehen gerade nicht schlecht, dass sie es auch tut. Wer möchte das schon versauen, indem er Böhning jetzt in den Rücken fällt? Dazu kommt: ich habe nichts gegen Böhning. Ich habe ihn erst letztens kennen gelernt. Er ist ein netter Kerl und dumm ist er auch nicht. Er ist im Bemühen gegen Zensursula durchaus glaubwürdig, denn das war immer schon seine Linie.

Deswegen werde ich mich wohl auch überwinden. Ich werde trotz des ganzen Getöses und dieser komischen Oper, die man Politik nennt, meinen Stolz hinter mich lassen und @BoeningB follown. Gleich. Nachher. Dann werde ich werde übermorgen auf den SPD-Parteitag fahren und ich werde mich aufrecht freuen, wenn der Antrag dort angenommen wird. Aber ich tue das nicht blind, sondern mit kritischen, leicht angewiderten Augen. Nein, ich fühle mich nicht verarscht. Politik ist nun mal so. Sie funktioniert nun mal so. Für unsere Anliegen gilt da keine Ausnahme. Und wir müssen das jetzt mitspielen, wenn wir das Zensurgesetz verhindern wollen. Aber ein Blick hinter den Vorhang verrät sehr deutlich, warum die Politik noch die besten aller Menschen versaut. Aber das werden wir wohl erst nächste Legislaturperiode ändern können.

Ja, jetzt sind wir wohl angekommen, in der Politik. Ich weiß gar nicht ob ich so genau wissen wollte, wie sie von innen aussieht.

Das Grundgesetz als Netneutralityschutz

Während sich da draußen der Juni bis auf die Knochen blamiert, sitze ich mit Sebaso im Salon Schmück und wir diskutieren das weitere Vorgehen in der Netzsperrensache. Einig sind wir uns, dass es eine grundsätzlichere Herangehensweise benötigt. Selbst, wenn wir jetzt hier bei dieser Sache noch gewinnen sollten, gibt es einige sehr große und sehr mächtige und sehr reiche Interessensgruppen, die immer wieder versuchen werden – mit welchem Wahlkampfthema auch immer – Netzzensurinfrastruktur zu installieren.

Dazu kommt, dass ja nicht nur die Rechteindustrie nach der Kontrolle des Netzes giert. Auch die Accessprovider suchen Mittel und Wege das treiben im Netz zu kontrollieren. Effektives Blocken von VoIP-Diensten, Verlangsamung von Bit-Torrenttransfers und das Privilegieren von bestimmten Durchleitungen (um dafür extra abzukassieren) stehen ganz oben auf der Wunschliste. Kurz: das übergeordnete Thema heißt Net Neutrality.

Was also tun, um all dem endgültig einen Riegel vorzuschieben. Das einzige, was uns retten kann, ist – mal wieder – das Bundesverfassungsgericht. Aber das könnte uns sehr nachhaltig retten.

Es gibt doch den schönen Verfassungsartikel 10, und der ist, trotz seines einschränkenden Absatzes 2 durchaus unser Freund:

1) Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich.

(2) Beschränkungen dürfen nur auf Grund eines Gesetzes angeordnet werden. Dient die Beschränkung dem Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes oder der Sicherung des Bundes oder eines Landes, so kann das Gesetz bestimmen, daß sie dem Betroffenen nicht mitgeteilt wird und daß an die Stelle des Rechtsweges die Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane tritt.

Die Grundlage jeder Filterung ist das Verletzen eben dieses Fernmeldegeheimnisses. Nun kann zwar eine gesetzliche Regelung erfolgen, was die Frau von der Leyen ja anstrebt, aber dass sie hier vielleicht diesen Verfassunsgartikel berühren könnte, ist ihr durchaus bewusst. In der zu dem Gesetz online gestellten FAQ schreibt das Ministerium:

Ist die Weiterleitung auf eine STOPP-Seite ein Eingriff in Artikel 10 Grundgesetz?

Nein. Auch die Weiterleitung einer Anfrage auf eine beim Zugangsanbieter geführte Stopp-Seite stellt keinen Eingriff in das Fernmeldegeheimnis dar. Bei der Weiterleitung auf eine beim Zugangsanbieter geführte STOPP-Seite kommt es zwar zum Aufbau einer Verbindung. Das Fernmeldegeheimnis schützt die Verbindung an sich, nicht aber eine Verbindung zu einem bestimmten Ziel. Wird die STOPP-Seite vom Zugangsanbieter betrieben, erhält auch niemand, der sonst keine Kenntnis von den Daten des Nutzers hätte, Kenntnis derselben.

Ob das so ist, wäre freilich noch zu klären. Ich bin der Meinung, dass nicht nur der Inhalt, sondern auch die Frage nach dem Ziel eines Verbindungsaufbaus zum Fernmeldegeheimnis gehört. Aber selbst wenn nicht, wäre also zumindest eine Inhaltsfilterung, d.h. sowas wie die Deep Packet Inspection auf jeden Fall grundgesetzwidrig. Sogar – das lässt sich aus der FAQ durchaus herauslesen – aus Sicht des Bundesfamilienministeriums.

Wenn dem so wäre, wären alle effektiven Sperrmechanismen grundgesetzwidrig. Technische Anlagen jeglicher Art, die sich den Inhalt von Datenpaketen verdachtsunabhängig anschauen, wären in Deutschland per se verboten. Und selbst wenn man die Domainsperre nicht dem Fernmeldegeheimnis zuordnen möchte, es wäre ihre einzige Möglichkeit der Sperrung von Inhalten. Es wäre also eine Internetsperre, die niemanden interessieren müsste, denn eigene DNSservereinträge würden schlicht zur Standardkonfiguration und damit arg theoretisch.

Die beste und effektivste Art der Internetzensur ein für alle Mal den Gar aus zu machen und gleichzeitig die uneingeschränkte Netneutrality zu sichern, wäre also eine klare Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Wir sollten also zusehen, diese Entscheidung so schnell wie möglich herbeizuführen.

PS: ein zweites Ding, was ich gerne vor dem Bundesverfassungsgericht geklärt haben möchte: ist es überhaupt verfassungskonform, dass Entscheidungen des Verfassungsgerichts immer anderthalb Jahre auf sich warten lassen? Und dass die die Regierung bis dahin immer fröhlich unsere Grundrechte mit Füßen treten darf? Oder ist der Staat gehalten das Verfassungsgericht seiner Auslastung entsprechend auszustatten?

„wir“

kommen wir gleich zum „wir„. Ich hatte – zu recht – einige Kloppe bekommen, weil ich diesen Begriff verwendet hab. Natürlich ist dieser Begriff Mist und natürlich weiß ich das, wo ich doch immer der erste bin, der jedes „wirnegiert und bekämpft. Ich hab mich da unten in den Kommentaren etwas damit heraus gewunden, dass es eben nicht um ein uns gemeinschaftendes „wir“ gehe, sondern darum, eine Front aufzumachen nach außen. Ein „Wir“-Interface sozusagen, mit dem ich stellvertretend den Politikern auf den Schoß kotze.

Und hier möchte ich eine kurze Überlegung anlegen, über dieses „Wir“-Interface. Johnny brachte in kleiner Runde nach der Bundestags-Anhörung ein solches „Wir“-Interface zur Sprache. Ob es denn nicht sinnvoll sei, in irgendeiner Form eine organisierte Form zu schaffen, mit der die Politiker sprechen könnten, welche unsere Interessen vertritt. Natürlich keine Partei, vielleicht nicht mal ein Verein. Jedenfalls aber nicht so monothematisch wie die Arbeitskreise, die sich gegründet haben um Zensur und Vorrat, sondern mit breiterem Spektrum an Themen. So breit es eben geht.

Ich widersprach natürlich sofort auf das heftigste. Warum schreiben wir denn ins Netz? Warum setzen wir die Dinge auf die Agenda, die uns wichtig sind? Und warum tun wir genau das immer nur und ausschließlich so, wie wir es wollen?
Weil es geht. Weil das Netz uns das machen lässt. Und weil „wir“ – weil eigentlich niemand – noch irgendjemanden braucht, der ihn vertritt. Weil wir unsere Stimme nicht mehr abgeben müssten, sondern sie dazu nutzen, für uns selbst zu sprechen und für niemanden anders.

Ich bin eigentlich immer der erste, der diese Auffassung vertritt, und doch, klar, ich hab es auch getan. Ich habe ein „Wir“ benutzt und habe in einer unangebrachten Vertretung gesprochen. Da kann man mal sehen wie tief doch noch das alte Denken aktiv ist.

Andererseits: Ich fühlte beim Schreiben ja durchaus aus eine gewisse Notwendigkeit für eine solche Geste. Ich wollte nicht nur für mich sprechen. Ich wollte an dieser Stelle ja durchaus die Emotionen und Anschauungen vieler von uns bündeln und mit dieser konzentrierten Kraft noch doller auf den Tisch hauen, als ich es alleine könnte. Ich wollte, das merkt man ja auch an der Adressierung, den Politikern ein Gesicht vorsetzen.

Nichts anderes will Johnny ja auch. Er will ein Gesicht, einen Ansprechpartner, eine Telefonnummer, eine E-Mail. Nicht für uns. Für die. Denn natürlich stehen die Politiker wie Ochs vorm Berg. „Internet? Wer ist denn da der Ansprechpartner?“ Und das sah man ja auch schön, wie viele Leute geladen waren, auf dem Treffen mit der SPD. Klar, waren da unter anderem einige der wichtigsten Figuren des Protestes gegen die Sperren zugegen. Aber da musste sicher einige Recherchearbeit für geleistet werden. Und dann saßen lange nicht alle wichtigen Leute da. All die Leute, die sich engagiert haben, im Netz, mit kleineren und größeren Aktionen, Artikeln und Verlinkungen. Und die, die da saßen waren sich ja nicht mal wirklich einig über alles. Und überhaupt hatten sie ja keinerlei Entscheidnungsbefugnis. Die SPD hätte Deals noch und nöcher auf den Tisch legen können. Wer hätte sie eingehen können? In wessen Namen? Wie soll denn ein Politiker mit sowas Politik machen? Mit wem soll er verhandeln? Wen soll er fragen, was „wir“ denn wollen? Wer könnte es ihm überhaupt sagen?

Wenn wir uns auch hier so selten einig sind, bei diesem Thema der Internetzensur, so heißt das nicht viel über unsere sonstigen Übereinstimmungen. Ja, ich geh so weit, dass nicht einmal unter eingefleischten Netzbewohnern Übereinstimmung bei der Zensursache herrscht. Und bei anderen Themen, auch netzpolitischen, bin ich noch viel skeptischer. Urheberrechet zum Beispiel. Da ist so ziemlich alles vertreten. Auch für Vorratsdatenspeicherung ließen sich unter den Netzbewohnern sicher einige Befürworter finden. Ganz zu schweigen von den ganz normalen Themen: Familie, Wirtschaft, Gesundheit, Bildung etc.

Das Netz ist ein Geflecht aus Diskursen. Und alle denkbaren Diskurse finden hier auch statt. Hier wird nicht gestritten, um sich in einem Konsens zu einigen, sondern um sich gegenseitig mit Ideen zu befruchten, Informationen zu konzentrieren und herauszusenden. Das Internet pulst und atmet diese unterschiedlichen Sichtweisen, Meinungen und Weltbilder. Man kann sie nicht verengen, auf eine wie auch immer geartete Vertretung. Denn das Netz ist nicht einfach das Netz. Es eröffnet nicht den homogenen Raum einer selbstbezüglichen Bloggergemeinde, auch wenn oberflächlich betrachtet dieser Eindruck entstehen kann. Gesellschaft passiert, wo Kommunikationen stattfinden. So definierte es Luhmann sehr treffend. Und das heißt auch, dass schlussendlich hier die Gesellschaft an sich stattfindet. Nicht ausschließlich hier, das gebe ich zu. Noch.

Und als Teil dieses Netzes fühle ich mich eben nicht in erster Linie als Teil der Netzmenschen. Sondern – auch hier – als Teil der gesamten Gesellschaft, des gesamten Diskurses, das heißt all der Kommmunikationen, die die Gesellschaft sind. Deswegen wird eine Netzlobby nicht nur mir nicht gerecht. Oder Dir. Sie wird dem Netz nicht gerecht.

Und wie und was das Netz als Meinungsbildungsstruktur für die politische Landschaft für eine Rolle spielen wird. Wie es eingebunden werden wird, das wird sich früher oder später herausstellen. Wenn die Gesellschaft hier angekommen ist, wird sie sich hier auch organisieren. Wie, darüber können wir nur spekulieren. Und das ist ja durchaus erwünscht. Vor allem hier, im Netz.