Stoppschilddenken

Ich weiß! Komischerweise habe ich relativ wenig geschrieben in den letzten Wochen. Und das ausgerechnet in diesen Zeiten! Schlimm.

Zunächst einmal muss ich sagen, dass es mich tief berührt hat, was passiert ist. 50.000 Leute in vier Tagen? Es ist, als habe sich das Internet persönlich vom Sofa erhoben – die vielen Chipssplitter fallen vom Pulli wie die Eisstücke einer startenden Mondrakete, dazu spielt „Also sprach Zarathustra“ von Richard Strauss – und mit voller Wucht die Faust auf den Couchtisch gehauen. Diversen Berichten zufolge steckt der Schock noch tief bei den Politikern.

Natürlich freut mich das. Vermutlich ist diese Zeit historisch. Der Boden ist fruchtbar für mehr. Viel mehr! Die Welt wird nie wieder die selbe … Lassen wir das.

Etwas anderes, was mir seit dem Politcamp nicht mehr aus dem Kopf geht. Eine Sache, die vielleicht den ein oder anderen Freiheitskämpfer unter Euch erschrecken dürfte.

Aber fangen wir nicht bei Euch an. Nein. Fangen wir lieber bei denen an. Den anderen. Die, die Ennomane gerne mit ausgefeilten Lobbykampagnen für das Internet und unsere Belange sensibilisieren will. Die, deren Meinung grade hin und hergezerrt wird. Die aber im Endeffekt unreflektiert dort ihr Kreuzchen machen, wo irgendwas „gegen Kinderpornos“ und so. Denen mögliche Kollateralschäden in Sachen Netzfreiheit – vielleicht ja wirklich unbekannt – aber wahrscheinlich tatsächlich vollkommen egal sind. Die also im Grunde ja tatsächlich auf so eine altmodisch, demokratisch, repräsentative Art durch die Politiker im Bundestag abgebildet werden.

Es scheint fast so, als gäbe es eine gewisse Akzeptanz für Zensurgedankenspiele in unserer Gesellschaft. Es gibt ein tiefsitzendes, gesamtgesellschaftliches Einverständnis, dass einfach nicht sein darf, was nicht sein darf. Und dass, wenn es schon ist, bitte doch hinter möglichst großen Stoppschildern versteckt gehört.

Und nun zu Euch, meine lieben Brüder und Schwestern im Kampfe gegen die Netzzensur. Ihr wart ja teils zugegen, als das Politcamp seinem Höhepunkt zustrebte. Als nämlich die Elefantenrunde des Onlinecampanig aller Parteien auf dem Podium seine Gemeinplätze über die Wichtigkeit des Internets ausdünstete. Heimlicher Stargast der Runde: Kajo Wasserhövel.

Als er auf das Thema „Facebook“ kommt, erhebt sich seine Stimme und seine Haltung wird pathetisch: Die SPD sei ja nicht mehr bei Facebook präsent. Aus Protest, weil dort auch Nazis für sich werben. Sie hätten stattdessen eine Kampagne dort gestartet: Nazis raus aus Facebook!

Und dann das erstaunliche: der ganze Saal klatscht.

Natürlich bin ich gegen Nazis. So natürlich, wie ich gegen Kinderpornografie bin. Aber es ist ein und die selbe spießbürgerliche Piefigkeit den Ausschluss von Nazis aus Facebook zu fordern, wie Stoppschilder vor Kinderpornowebsites zu setzen. Das eine wie das andere löst kein Problem. Es verweigert sich lediglich seine Repräsentanz in der Öffentlichkeit anzuerkennen. Es will sich und den anderen die Augen so fest wie möglich verschließen, in der Hoffnung, das Böse möge dann weichen. Und: es setzt seine Ängste vor dem Verdammenswerten vor der freien Entfaltung von Meinung und Information.

Der klatschende Saal ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Und der ein oder andere, der sich derzeit wegen #Zensursula auf die Brust schlägt, sollte sich fragen, was seine Grenze ist. Wo er seine Stoppschilder installiert haben möchte. Nur mal so.

5 Gedanken zu „Stoppschilddenken

  1. Das erinnert mich an meinen Sozialkundelehrer, der uns damaligen Abiturienten in spe vor 30 Jahren davon erzählte, wie in den USA Bürger auf die Straße gegangen waren, und zwar wegen des Verbots einer geplanten Demo von Nazis. Nicht dass diese demonstrierenden Bürger selber Nazis waren – nein, sie empfanden es einfach nur als falsch, dass ein Gericht einfach so entscheidet, wer demonstrieren darf und wer nicht.

  2. Danke dafür. Und ebenso wie sich rein statistisch schon bei vielen Sperrbefürwortern zuhause die gesamtgesellschaftliche Katastrophe „Kindesmissbrauch“ realisieren muss, sind es auch genug SPDler bei denen sich Rassismus nicht nur im Kopf breitmacht. Weniger Symbolpolitik und mehr Kampf gegen Machtdenken und Festung Europa wäre doch hilfreicher.

  3. Facebook ist nicht das Internet. Ich will auf meinem Blog auch keine Nazis haben und ich will auch in meinen sozialen Netzen keine haben. Das finde ich durchaus legitim. Können ja ihr eigenes aufmachen.

  4. Pingback: Die Priraten und die richtige Meinung « H I E R

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