Willkommen zu Krasse Links No 64. Droht eurer Bubble Gewalt an, heute integrieren wir Algorithmic Wage Discrimination in die Schmerzarchitektur und transferieren die Abhängigkeitsdividende nach Tech Bro Topia.
Nach dem offiziell ergebnislos gebliebenen Alaska-Gipfel zwischen Trump und Putin wurden Papiere zur Vorbereitung des Treffens im Drucker des Hotels gefunden. Darunter auch eine Sitzordnung, laut NPR.
A seating chart shows that Putin and Trump were supposed to sit across from each other during the luncheon. Trump would be flanked by six officials: Secretary of State Marco Rubio, Secretary of Defense Pete Hegseth and White House Chief of Staff Susie Wiles to his right, and Secretary of the Treasury Scott Bessent, Secretary of Commerce Howard Lutnick and Special Envoy for Peace Missions Steve Witkoff to his left. Putin would be seated immediately next to his Minister of Foreign Affairs, Sergey Lavrov, and his Aide to the President for Foreign Policy, Yuri Ushakov.
Handelsminister, Finanzminsiter, dafür kein Securityberater. Da schien es weniger um Sicherheitspolitik und mehr um … Geld gegangen zu sein?
Mit der politischen Ökonomie der Abhängigkeiten lässt sich Trumps Motivationsstruktur in der Ukraine-Politik einfach erklären: Er sucht nach Pfadgelegeneheiten, die zur Einigung führen können und da er mehr Leverage gegenüber Selenskyj hat als über Putin, Selenskyj also abhängiger von ihm ist, macht er druck auf ihn. Wenn Trump zu Selenskyj sagt: „You have no cards!“ meint er damit, dass er selbst es ist, der Selenskyjs Karten in den Händen hält. Und sicher ist es so, dass Trump Putin auch persönlich lieber mag, aber ich würde behaupten, das liegt ebenfalls zu einem Gutteil daran, dass Putin die „Cards“ hat und Selenskyj halt nicht. Trump tickt sehr einfach: er verehrt Stärke und verachtet Schwäche.
Deswegen wird Trump weiter versuchen mit Putin einen Deal zu Ungunsten der Ukraine zu finden. Er hat dabei zwar gemerkt, dass er politisch nicht zu weit gehen kann, weswegen die Waffenlieferungen teilweise wieder aufgenommen werden mussten und er jetzt brav mit den Europäern redet, aber er hat sicher nicht aufgegeben, möglichst alle Kosten auf die Ukraine abzuwälzen.
Die Weltpresse spricht unisono davon, dass der Gipfel ein Reinfall gewesen sei, reine Show, schlecht vorbereitet, etc. Aber ich frage mich, was sie da so sicher macht? Die beiden verkündeten freudestrahlend, man habe sich geeinigt. Dass auf jeden fall öffentlich gemacht wird, worauf, ist eine Erwartung aus dem letzten Regime.
Die New York Times über die Entlassung der Chefin des Buro of Labor Statistics, Erika McEntarfer, weil Donald Trump die veröffentlichten Zahlen nicht gefielen.
When President Trump didn’t like the weak jobs numbers that were released on Friday, he fired the person responsible for producing them.
It was a move with few precedents in the century-long history of economic statistics in the United States. And for good reason: When political leaders meddle in government data, it rarely ends well.
Im Kontext von Trumps sonstigen Verhaltens erscheint der Vorfall nicht als besonders Berichtenswert und Personalentscheidungen des Buros scheinen nicht auf einer Stufe zu stehen, mit etwa dem Posten von Jerome Powell an der Spitze der FED. Und dennoch sind die Implikationen dieser Entlassung enorm.
Die Zahlen des Büros spielen praktisch in allen ökonomischen Modellen eine zentrale Rolle und auf der Präzision ihrer Messung basierend werden täglich viele Milliarden Dollar-Entscheidungen getroffen. Wenn diesen Zahlen auf einmal nicht mehr zu trauen ist, zerbricht auch die Aussagekraft der Modelle und die Unsicherheit aller Finanzmarkt-Entscheidungen wächst enorm.
Es wird interessant sein zu sehen, wie sich das auswirkt, aber alle sind sich sicher, dass der ökonomische Schaden enorm sein wird. Diese Tatsache zeigt, dass koordininierte Erwartung ökonomischen „Wert“ hat, der sich weder in den Gehältern der dort arbeitenden Sachbearbeiter*innen, noch an der öffentlichen Beachtung der Behörde spiegelt.
In der politischen Ökonomie der Abhängigkeiten hätte diese Behörde eine enorm netzwerkzentrale Stellung im Abhängigkeitsnetzwerk, also Macht, aber sie verwandelt diese Macht nicht in Marge. Das ist der Unterschied zwischen öffentlicher und privater Infrastruktur. Erstere leistet es sich, die Netzwerkmacht unausgebeutet zu lassen, d.h. die Marge (der Nutzen durch uneingeschränkten Zugriff) voll bei den Nutzenden zu lassen.
Daraus lassen sich drei Beobachtungen für die politische Ökonomie der Abhängigkeiten formulieren:
- Koordinierte Erwartungen sind Infrastruktur (sag ich hier ja schon lange).
- Der „Wert“ öffentlicher Infrastruktur zeigt sich erst im Zusammenbruch (der „Wert“ privater Infrastruktur ist dagegen „spürbar“, weil sie durch ihre Bezahlschranke „broken by design“ ist).
- Wie so viele versteht Donald Trump nicht den Sinn öffentlicher Infrastruktur (siehe auch Infrastrukturvergessenheit) und presst deswegen auch aus dem Buro of Labor Statistics seine Marge (hier in Form von Zahlen, die ihn gut aussehen lassen) und zerstört dadurch die Erwartungskoordination.
Wenn die Mitarbeiter*innen der Behörde jetzt schlau sind, tun sie sich zusammen und machen mit ein paar Millionen Risikokapital ein privates „Buro of Labor Statistics“ auf, wo sie einfach ihre Arbeit weitermachen, mit demselben Kowhow, nach demselben Ethos und mit derselben Akribie aber zehnfachem Gehalt.
Bin etwas spät dran, aber habe es endlich geschafft, den Tech Bro Topia Podcast von Hartwig Vens und Philipp Schnee auf DFL nachzuhören und ich bin wirklich begeistert.
Der Podcast wird vermutlich nicht die Reichweite des Thiel-Podcasts erreichen, einfach weil er sehr viel anspruchsvoller ist, aber er zeichnet auch ein viel umfangreicheres Bild, der Techbro-Landschaft und ihrer Ideologien. Ich gebe regelmäßig Uni-Seminare zum Thema und Tech Bro Topia handelt praktisch alle Aspekte ab, die ich dort auch bespreche.
Ich sehe die drei Podcasts: Die Peter Thiel Story, Bad Bromance (Musk und Thiel) und nun Tech Bro Topia aber nicht als Konkurrenten. Der eine Podcast bereitet den Boden für den anderen und ich finde wir haben hier einfach drei Einstiegstiefen in dasselbe Rabbithole.
Hab noch etwas bei Gary Stevenson rumgeklickt und fand dieses Video ist sein bestes Erklärvideo, was genau gerade ökonomisch aus dem Ruder läuft.
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Michael Seemann
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Brian Merchant ist nicht nur – wie mir – aufgefallen, dass der Launch von GPT-5 das Geschäftsmodell der Ausbeutung „emotionaler Abhängigkeit“ offensichtlich gemacht hat, sondern auch, dass OpenAI es auch ganz offiziell eröffnet hat.
Thousands of other users united online and angrily demanded OpenAI reinstate access to the older model, which it soon did, for a price. OpenAI made 4o available only to Plus subscribers, who pay $20 a month. The grimness of what this portends should be obvious, if not surprising: There is a user base so addicted to AI products that they are uniquely dependent on the platform, and thus uniquely exploitable, too. Yet another clarifying event in a launch full of them.
Nick Lichtenberg schreibt auf Fortune aus dem Wahnsinn der KI-Blase, dass KI-Investitionen mehr zum Wachstum des US-GDP beitragen haben, als der gesamte private Haushaltskonsums.
Giant tech companies have spent so much on data centers in 2025 that their spending is now contributing more to U.S. economic growth than consumer spending, long considered the nation’s economic engine.
Die Investionionen sind längst größer als bei der Dotcom-Bubble.
Apollo Global Management’s Torsten Slok, without wading into the data center capex question, has assembled research showing that the AI boom has surpassed the market value of the tech boom of the late ’90s, which became known as the “dotcom bubble” after speculative mania burst and a recession set in.
Kedrosky makes a similar point, contrasting capex booms from throughout financial history, notably the telecom boom of 2020 related to 5G/fiber technology and the railroad boom of the 19th century as the United States embraced a transportation revolution. “Capital expenditures on AI data centers is likely around 20% of the peak spending on railroads, as a percentage of GDP, and it is still rising quickly,” Kedrosky writes. “And we’ve already passed the decades-ago peak in telecom spending during the dotcom bubble.” Noah Smith, a widely read economics Substacker, asks the obvious question: “Will data centers crash the economy?”
Die Investionen verschleiern wahrscheinlich eine Rezession.
This surge in tech investment has had profound downstream consequences. Without the AI data center building spree, GDP might have actually contracted in the face of uncertain macroeconomic conditions. So data center spending may have staved off—or postponed—a recession.
Die Geschwindigkeit mit der die Bubble wächst, hat in den letzten Monaten zugenommen, berichtet Bernard Goyder auf Bloomberg, aber es wächst auch die Nervosität.
The tech-heavy Nasdaq 100 Index is up almost 40% since its early April plunge triggered by President Donald Trump’s sweeping tariffs. The rally has been propelled by big tech, with the Bloomberg Magnificent 7 Index — which contains the likes of Nvidia Corp., Meta Platforms Inc. and Microsoft Corp. — soaring nearly 50% since its April 8 bottom. […]
Traders are buying “disaster” puts on the Invesco QQQ Trust Series 1 ETF, which tracks the Nasdaq 100 Index, Jacobson said. Put options give investors the right to sell the underlying security at a certain price, and are popular as a way of protecting against a market drop. A measure showing the difference between the cost of hedging against a sharp downturn and a smaller one is at an almost three-year high, Jacobson said.
Fears of a bubble are mounting, as tech stocks follow a pattern that is “surprisingly similar” to the dot-com bubble of the late 1990s, Torsten Slok, chief economist at Apollo Management, wrote in a note to clients on Monday.
Die politische Ökonomin Aline Blankertz hat auf „Structural Integrity“ sinnvoller weise darauf hingewiesen, dass die Rede von der „KI-Bublle“ schädlich ist. Nicht nur übernimmt sie ohne Not die Sichtweise der Anleger*innen, sondern weckt auch die falsche Hoffnung, dass der Wahnsinn mit dem Platzen der Blase vorübergeht.
Zum einen lädt die Infrastruktur, wenn sie einmal steht, zur Nutzung ein, egal, wie viel Geld irgendwer verloren hat.
In order to sustain the boom, investments follow projections of endless “AI” growth, which translate into hundreds of billions currently being invested into data centre construction, alongside an expansion of energy infrastructure. And once they are built, it does not make sense to stop them, does it? Keeping them running is much cheaper than constructing them. This puts us on a path of energy-intensive technology even once these data centres are no longer needed for “AI” applications. This eradicates any incentive for resource-efficient coding or low-computation technology. At the same time, this infrastructure is not costless to maintain (to my knowledge, chips need to be replaced about every 7 years) – but possibly that cost is still lower than doing anything else, hence continuing on that trajectory will remain cheaper than alternatives for quite some time to come.
Zum anderen glaubt Aline nicht, dass die Blase bald platzen wird, einfach weil so viele mächtige Akteure so tief verstrickt sind, dass die Illusion noch so lange aufrecht gehalten wird, wie es irgendwie geht.
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First, the boom is orchestrated or arguably planned by a handful of extremely powerful companies. Being few increases the scope to act strategically. Second, these companies are very close not only to the US government, but through their start-up investments also to governments across the world, selling “AI” promises and lies to politicians. The push of small and large “AI” firms into military tech aggravates this dynamic: It is the area in which talking of an “AI race” carries quite intuitive meaning because having more destructive power translates into military power, though not necessarily into better societal outcomes. And third, the intention of reaching systematic relevance is bearing some fruit as more and more institutions are becoming financially invested into “AI success”. Not only VC investors, but large parts of society including life insurance and pension funds will bear the cost of its failure, giving them an incentive to prolong the boom at fairly high costs.
Auf Bloomberg berichtet Harry Black von einer Studie die feststellt, dass der Einsatz von KI zwar die Fähigkeit von Spezialist*innen erhöht, Darmkrebs zu erkennen, aber wenn die KI-Hilfe wieder genommen wird, reduziert sich ihre Fähigkeit um etwa 20 Prozent, verglichen mit dem Level von vor der KI-Einführung.
AI helped health professionals to better detect pre-cancerous growths in the colon, but when the assistance was removed, their ability to find tumors dropped by about 20% compared with rates before the tool was ever introduced, according to findings published Wednesday. […]
The AI in the study probably prompted doctors to become over-reliant on its recommendations, “leading to clinicians becoming less motivated, less focused, and less responsible when making cognitive decisions without AI assistance,” the scientists said in the paper.
Edward Ongweso Jr greift in seinem Newsletter einen Post vom notorischen „Contrarian“ Matthew Yglesias auf, der glaubt, an ein paar Zahlen zeigen zu können, dass Uber unterm Strich eine gute Sache ist und nimmt dabei sehr kenntnisreich und mit vielen Links zur Forschung Ubers Geschäftsmodell auseinander.
Am Ende fasst er zusammen:
- Uber is an enterprise that regularly uses accounting tricks to obscure its failure to realize profits through innovation. It has taken advantage of superficial coverage in the business press and crafted an aggressively deceptive PR campaign built on older taxi deregulation lobbying playbooks as well as company-sponsored academic research.
- Uber has realized stupendous growth by using capital as a weapon (investor subsidies), breaking the law then rewriting it (regulatory arbitrage), embracing anti-competitive business practices, and deploying incredibly successful political operations in the United States and worldwide that have codified its arbitrage efforts.
- Uber has realized profits largely through predatory behavior such as algorithmic wage discrimination and perpetual fare hikes. Expansions into other lines of business have benefited from its years of experimentation here (namely food delivery).
- Uber has offered a roadmap for other firms interested in immiserating their workers, growing via the misallocation of public subsidies. The metastasis of the so-called “gig economy” will continue unabated as Uber’s bastards proliferate.
- It is bad when a firm uses investor subsidies to distort markets such that it can realize profits through predatory behavior, even worse when it does so with public subsidies, and even worse when this allows the firm to rewrite laws to realize profits locked behind activities made illegal because they are against the public interest, and creates a model for other firms to do so. That Yglesias cannot understand this suggests he is an idiot or operating in a different moral universe.
In dem Artikel zitiert Ongweso auch einen lesenswerten wissenschaftlichen Artikel zu „Algorithmic Wage Discrimination“ von Veena Dubal in der Columbia Law Review.
“Algorithmic wage discrimination” refers to a practice in which individual workers are paid different hourly wages—calculated with ever-changing formulas using granular data on location, individual behavior, demand, supply, or other factors—for broadly similar work. As a wage-pricing technique, algorithmic wage discrimination encompasses not only digitalized payment for completed work but, critically, digitalized decisions to allocate work, which are significant determinants of hourly wages and levers of firm control. […]
As a labor management practice, algorithmic wage discrimination allows firms to personalize and differentiate wages for workers in ways unknown to them, paying them to behave in ways that the firm desires, perhaps for as little as the system determines that the workers may be willing to accept.
Given the information asymmetry between workers and firms, companies can calculate the exact wage rates necessary to incentivize desired behaviors, while workers can only guess how firms determine their wages.
Wir haben uns neulich bereits mit algorithmischer Preisdiskriminierung befasst, allerdings auf Konsument*innen-Seite. Für Arbeiter*innen, die nie wissen, welchen Lohn sie für welche Arbeit bekommen und warum, ist derselbe Mechanismus noch viel schmerzhafter. Der Wert ihrer Arbeit verschwimmt zu einem fremdkontrolliererten Glücksspielbrei.
In defining algorithmic payment structures as unfair and unjust, workers frequently complained of their low hourly wages, even though they were not paid hourly. In describing the harms they suffered, they drew on the language of antidiscrimination law, condemning the variability of their income not just over time but more specifically compared to other drivers. The fact that different workers made different amounts for largely the same work was a source of grievance defined through inequities that often pitted workers against one another, leaving them to wonder what they were doing wrong or what others had figured out. This feature of algorithmic wage discrimination—because of its divisive effects—may also undermine workers’ ability to organize collectively to raise their wages and improve their working conditions.
In addition to complaints about the unfairness of low, variable, and unpredictable hourly pay, workers made two other moral judgements about the techniques through which they were paid. First, as the techniques of algorithmic wage discrimination deployed by on-demand firms both lowered pay and became increasingly obscure, drivers described the process of attempting to earn not through the lens of gaming but through the lens of gambling. Second, they portrayed the algorithmic changes or interventions that prevented them from earning as they had hoped or expected as trickery or manipulation enacted by the firm. Vacillating between feeling possibility and impossibility, freedom and control, workers experienced algorithmic wage discrimination as a practice in which the machine boss’s structures and functions were designed to take advantage of them by providing the illusion of agency. As Dietrich, a part-time driver in Los Angeles said, “[It’s] constant cognitive dissonance. You’re free, but the app controls you. You’ve got it figured out, and then it all changes.”
Auf ihrem Blog schreibt Lowerclassjane über den NSU.
Der NSU war eine Terrororganisation. Eine „echte“. Mit Waffen. Mit Geld. Mit einem Unterstützernetzwerk. Mit festen Rückzugsorten, Tarnidentitäten, Strategien. Mit Kontakten zu Behörden, zum Verfassungsschutz, mit V-Leuten in der Szene, mit Leichen. Mindestens zehn Menschen wurden von diesem Netzwerk ermordet. Wahrscheinlich mehr. Die meisten mitten in deutschen Städten, am helllichten Tag. Jahrelang. Und keiner hielt sie auf. Im Gegenteil: Der Staat verfolgte die Angehörigen, nicht die Täter. Er schützte Akten, nicht Leben. Er schwieg, schredderte und erklärte das alles später zur „Tragödie“ – als wäre der NSU ein Unfall gewesen und nicht das, was er war: ein rassistisches Todeskommando, made in Germany.
Und jetzt steht Beate Zschäpe, eine zentrale Figur dieses Terrors, plötzlich auf der Warteliste für ein Aussteigerprogramm. Begleitet. Geschützt. Perspektivisch resozialisiert.
Die Frau, die nie geredet hat. Die sich nie erklärt hat. Die nie Verantwortung übernommen hat. Die die Szene bis heute schützt.
Und was bekommt sie? Betreuung.
In vielerlei Hinsicht ist der NSU unser Epstein-Fall. In beiden Fällen ist die einzige Person, die noch lebt und einsitzt, die weibliche Komplizin, die in beiden Fällen dicht hält. In beiden Fällen sterben Zeug*innen reihenweise unter mysteriösen Umständen und vor allem sind beide Fälle deswegen „unlösbar“, weil zu viele noch heute mächtige Personen darin verstrickt sind.
Wie die Gravitation der dunklen Materie tritt Macht selten direkt und materiell in Erscheinung, aber sie ist beobachtbar in ihren Effekten. Man erkennt die Präsenz von Macht daran, wie sich Menschen in ihrem Umfeld anfangen anders zu verhalten, wie sich das Recht beginnt beliebig zu verbiegen und die Wahrheit plötzlich „blurry“ wird.
Der Große Unterschied zu Epstein in den USA ist natürlich, dass sich hier niemand für den Fall interessiert. Was für ein Glück für die Mächtigen.
Ich bin auf Instagram auf ein populäres Reel gestoßen, in dem Vito Corleone seine politische Ökonomie zum Besten gibt, also irgendein Text, der mit der ki-geklonten Stimme Marlon Brandos vorgelesen wird.
If you hold a gun and I hold a gun, we can talk about the law. If you hold a knife and I hold a knife, we can talk about rules. If you come empty-handed and I come empty-handed, we can talk about reason; but if you have a gun and I have nothing, what you hold is not just a weapon, it is my life. The concepts of laws, rules and morality hold meaning only when they are based on equality or the balance of power. The harsh truth of this world is that when money speaks, truth goes silent; and when power speaks, even money takes three steps back. Those who create the rules are often the first to break them. Rules are chains for the weak, tools for the strong. Justice must be fought for. The masters of the game are fiercely competing for resources while only the weak sit idly waiting to be given a share.
Im oben beschriebenen Fall macht sich jemand mit einer Waffe zur absoluten (betweenness) Netzwerkzentralität im Abhängigkeitsnetzwerk desjenigen ohne Waffe. Für Letzteren gilt: Jede seiner Pfadgelegenheiten ist vom Mensch mit der Waffe abhängig. Was ist er bereit, für sein Leben und seine Freiheit zu zahlen?
Hier eine extrem kurze materielle Geschichte des Kapitalismus: Menschengruppen mit Zugriff auf viele Ressourcen fanden heraus, dass sie Gruppen mit weniger Ressourcen nicht nur umbringen, sondern auch dominieren können. So entstanden die ersten Geschäftsmodelle: Wegzoll zu wichtigen Ressourcen (Flüsse, Wälder, reichhaltiges Ackerland, Handelsrouten, etc.) und der Tribut, also regelmäßige Zahlungen für das versprechen, in Ruhe gelassen zu werden.
Daraus entwickelten sich alle anderen Geschäftsmodelle: König- und Kaiserreiche, Sklaverei, Feudalismus, Kolonialismus, Merkantilisimus bis zu unserer ausdifferenzierten Schmerzarchitektur des Kapitalismus, die aus allen Ritzen unseres modernen Lebens Abhängigkeitsdividenden presst.
Mit der politischen Ökomonomie der Abhängigkeiten kann man auch einwenden, dass die Rolle der Regeln ambivalent ist. Regeln, selbst die schlechtesten und ungerechtesten, koordinieren Erwartung und sind daher wertvolle Infrastruktur, gerade auch für die Schwächeren der Gesellschaft. Nur wenn – wie im Text angekündigt und heute überall zu sehen – die Reichen und Mächtigen die Regeln aufkündigen, ist es dann klug, die eigenen Erwartungen und Handlungen noch an ihnen zu orientieren?
Die Kosten für den Zusammenbruch werden wir so oder so zahlen.
Ich habe versucht, herauszufinden, wo der Text herkommt, aber das scheint schwierig zu sein. (Für Hinweise bin ich Dankbar).
Bei meiner Recherche fiel mir aber auf, dass der Text und das Video auch bei Rechten populär ist und ich finde das durchaus nachvollziehbar. Der Text atmet eine Carl Schmittsche Gewaltambivalenz und man kann ihn auch als rechtslibertäre Erlaubnisstruktur lesen, alle Regeln abzuschaffen und den Krieg aller gegen alle zu eröffnen. Nun ist es kein Geheimnis, dass Carl Schmitt auch von vielen Linken rezipiert wird (ich zitiere ihn ebenfalls im Plattformbuch), und an diesem Text wurde mir klar, warum.
Es ist teil der notorischen Infrastrukturvergessenheit des Liberalismus, sich selbst einzureden, dass Gewalt und Macht keine Rolle in der Gesellschaft spielen, bzw. nur als illegitimes und ausgestoßenes Anderes. Alle Selbsterzählungen, Theorien und Institutionen des Liberalismus sind darauf ausgelegt, uns weis zu machen, dass wir in „stabilen“, „sich selbst regelnden Systemen“ leben, die unterm Strich für alle Seiten „Win Win“ produzieren, aber viel zu „komplex“ sind, um sie wirklich zu verstehen („Rule of Law“, die Erzählung vom „Markt“, Systemtheorie, etc.).
Das ist die Matrix, gegen die Marx, aber eben auch Carl Schmitt angeschrieben haben. Beide zeigten auf ihre Weise, wie hinter der liberalen Fassade nach wie vor die alte Gewaltordnung operiert, in der sich immer die bereits Mächtigen auf Kosten der weniger Mächtigen durchsetzen. Sie zogen nur unterschiedliche Schlüsse daraus.
Und vielleicht ist es einfach so: Liberale leben – meist durch meterdicken Wohlstand von der Realität abgeschottet – in ihrer Matrix und denken, alles ist fein, während linke und rechte die kognitive Dissonanz irgendwann nicht mehr geparst bekommen und sich jeweils an zwei unterschiedlichen Ausgängen aus der Matrix verabschieden.
Der Text ist insofern ein Rorschachtest für Linke und Rechte: Wenn du zu dem Schluss kommst, holy, das ist ja ein ziemliches Kacksystem, wer will denn so leben, lasst uns zusammentun und das ändern, dann bist du links. Wenn du den Schluss ziehst, so ist die Welt eben, also fuck it! Ich muss jetzt härter und erbarmungsloser für mich selbst (meine Familie/Nation/Rasse/der Westen) kämpfen, Empathie ist eine Schwäche und für Schwache ist kein Platz, dann bist du rechts.