An:
Martin Steinkamp,
Websuche Search Technology GmbH & Co KG
Martinistraße 3
DE-49080 Osnabrück
Betreff: Ihre Anfrage zur „rechtlichen Klärung wegen mspr0.co.de“
Lieber Martin Steinkamp,
vielen Dank für Ihr Schreiben vom 08.12.2009. Ich bin sehr angetan, dass Sie sich um meine Markenrechte sorgen und mir deswegen anbieten, bei Ihnen die Adresse mspr0.co.de vorsorglich schon mal für nur 99€ Pro Jahr zu sichern. So wie es ja schon lange „.co.uk“ gäbe, so gibt es nun eben auch „co.de“, wie sie mir kundtun und da ich ja eine der „wichtigsten Seiten im deutschen Markt“ betreibe, müsse ich ja schließlich auch und so. Sonst, so drohen schreiben Sie:
„Wenn Sie auf dieses Schreiben überhaupt nicht antworten, ist es möglich, dass die Domain mspr0.co.de in der Landrushphase durch einen Dritten registriert wird.“
Oh! Mein! Gott!
Kurz habe ich gedacht, ihr Schreiben sei eine perfide Vertriebsstrategie, die einem versuchten Betrug verdammt ähnlich sieht. Es wird der Eindruck erweckt, als ginge es um eine Markenrechtsentscheidung in meiner Sache. Es wird unterschwellig suggeriert, co.de sei eine öffentliche Vergabestelle (so wie das in dem von Ihnen genannten Beispiel der co.uk-Vergabe eben durch den offiziellen Toplevel-Domain-Betreiber Nominet gehandhabt wird und wo es im Gegensatz zu „.de“ ja gar nicht möglich ist, eine Secondlevel-Domain zu betreiben), die im Zuge künftiger Geschäftsprozesse lediglich Rechtssicherheit herstellen wolle. Obwohl Sie doch eine private Firma betreiben, die nur das Glück hatte bei den am 23. Oktober diesen Jahres vergebenen Kurzdomains die „.co“-Adresse abgreifen zu dürfen, mit der sie nun privat ganz normale und einfache Subdomains, die Sie nichts kosten, für teures Geld verkloppen wollen.
Aber nein. Ich da habe ich mich geirrt. Ich glaube, ihre Interessen sind altruistischer Natur, ihr Ziel, meine Marke zu schützen, natürlich aufrichtig. Im Gegenteil, ich schäme mich. Ich schäme mich, weil ich es Ihnen genau so wenig wie all den anderen Millionen Markenrechtsinhabern noch nicht erlaubt habe, Ihren Namen bei mspr0.de als Subdomain zu führen. Deswegen biete ich Ihnen einen Tausch an.
Ich nehme die Adresse mspr0.co.de gerne an, zahle auch meine 99€ pro Jahr, wenn Sie ihrerseits die Domain co.mspr0.de für nur 999 € pro Jahr Feindschaftspreis bei mir erwerben. Ist das nicht fair?
Denn bedenken Sie: derzeit sind Ihre Markenrechte hier in meinem Namensraum nicht durchgesetzt. Im Gegenteil, es wird eklatant dagegen verstoßen! Aber schauen Sie selbst.
Es ist ja nicht so, als sei ich immer und überall gleich gut zu verstehen. Manchmal braucht es auch für mich einige Anläufe. Und so schreibe ich Blogeinträge noch und nöcher, die nie das Licht des Internets erblicken. Sie schimmeln meist als idee.txt auf meinem Desktop, aber nur kurz. Denn ich weiß sehr genau, dass ich sie nie zu ende schreiben werde. Entweder es flutscht heraus, oder nicht. Und entweder es flutscht am Stück oder nicht. Allzu oft eben nicht.
Und so harren einige Ideen ihres Geblogges aber keine Sorge, sie kehren wieder und wieder, ohne mein Zutun, denn sie lassen mich nicht los. Auf diese Geister ist Verlass, auf Ihre Wiederkehr, weil sie keine Ruhe finden, sich immer wieder manifestieren. Aber nie fest genug. Bis jetzt. Vielleicht. Vielleicht ist es mir ja dieses Mal vergönnt, darüber schreiben zu können.
Es geht nämlich um ein Thema gewichtigen Ausmaßes. Und eines einer gewissen Komplexität und dann gab es da diese Situation auf Twitter. Wir diskutierten und zwar über die Pläne der Politik um die GEZ-Gebühr, ungeliebtestes aller Kinder der Medienlandschaft. Ich plädierte für die nutzungsunabhängige Haushaltspauschale, weswegen mich natürlich alle hassten und @kosmar warf die Möglichkeit eines PayPerView in die Timeline, so als Diskussionsgrundlage. Folgende Antwort hat er aber sicher nicht erwartet:
HA! Da guckt ihr doof, wa?
Aber was meine ich nun damit? Irgendwie kam mir das ziemlich schlau vor, sowas zu fordern. Und klar liebe ich es, zu verwirren. Aber – Überraschung – nein, das ist nicht nur die Pose eines radikalen Sophisten oder sophistisch Radikalen. Ich hab mir tatsächlich etwas dabei gedacht. Auf so ne Art.
Es doch nämlich so, dass das Mißverhältnis von Leistung und Geld klar und offen jedem zu Tage liegt und dass die tollen Songs nie in die Charts kommen und dass es selten die Fleißigen sind, die viel Geld haben, dass es selten das Sinnvolle ist, was ökonomischen Erfolg hat, ja, dass man mit Scheiße Geld verdienen und sein Lebtag Großartiges schaffen kann, Tag für Tag, ohne je auch nur einen Cent dafür zu sehen – und: dass die FDP die „Leistungsträger“ entlasten will. (Und was die FDP will ist ja meist per se falsch.)
All diese Indikatoren sind bekannt, all diese Erscheinungen sind weltweit und gesamtgesellschaftlich tausendfach beklagt und beschimpft worden und dennoch! Dennoch, trotz allem, fangen wir immer wieder damit an, Geld an Leistung knüpfen zu wollen. Und zwar immer dann, wenn wir auf der Seite der Zahlenden stehen. Da wollen wir sekundengenaue Abrechnung, da legen wir die Qualität auf die Goldwaage, da leiten wir allenthalben Ansprüche davon ab, dass wir 70 Euro 50 statt 70 Euro gezahlt haben. Da muss über jeden Cent Rechenschaft abgelegt werden und wehe wir haben eine Leistung nicht genutzt, für die wir gezahlt haben. (Ein Freund von mir stellte sich selbst zur „Langen Nacht der Museen“ die stressige und nur durch logistische Meisterleistung überhaupt zu vollbringende Aufgabe, alle (wirklich alle!!!) beteiligten Museen besichtigen zu wollen. Einfach um die größte „Leistung“ für sein Geld zu bekommen. „Leistung“ ist oft auch ein Ersatz für Freude.)
Ich mein, haben wir sie noch alle?
Denn wenn wir – auf der anderen Seite – nicht müde werden das – in jeder Hinsicht sinnvolle – „Bedingungslose Grundeinkommen“ zu fordern, dann kommen wir nicht umhin, diesen allgemein gesellschaftlich in den Grundstein unserer Kultur eingelassenen und versiegelten Zusammenhang von Leistung und Geld in seiner Grundsätzlichkeit anzugehen. Und zwar radikal und allumfassend!
Wenn wir davon weg wollen – und es gibt viele gute Gründe dafür – dann sollten wir aufhören daran zu glauben. An die Leistung ansich, meine ich. Natürlich gibt es die Leistung in der Physik, wo sie eine berechenbare Größe darstellt. Aber die Qualität einer Arbeit, die Schnelligkeit, die Notwendigkeit, die Gebrauchbarkeit und die Freude, die sie auszulösen im Stande ist, all das lässt sich nun mal nicht in dieser Kategorie „Leistung“ fassen. Was soll das sein? Wie kann man sie messen und wie entlohnen? Und man sollte dabei auch berücksichtigen, dass Geld eben nicht das einzige Gratifikationssystem ist, vielleicht nicht einmal das wichtigste.
Jetzt brauchen wir uns gar nicht unterhalten, darüber, was ich für lau tue, für mich, für euch, oft mit Herzblut. Dass das nicht nur mir so geht, dass das normal ist, dass man das schwerlich messen kann und dass es seit langem und für lange Zeit schwierig finanzierbar ist und sein wird. Nein, all das wisst ihr genau so gut wie ich. Wir wissen das. Aber der Lack bröckelt auch überall anders, wo man hinschaut. Überall: Leistung und Geld – da korreliert nix!
Wir sollten also anfangen den Zusammenhang zwischen Geld und Leistung nicht nur dort zu bezweifeln, wo wir unmittelbar davon profitieren würden, sondern überall wo sie uns eingebläut wird. Diese Ideologie, wie ich sie nennen würde, eine Ideologie – btw – die zwar meist in Kombination und in Begleitung eines sich „Liberalismus“ schimpfenden Ideensumpf einher kommt, aber ohne sich auch nur ein bisschen daraus herleiten zu lassen. Vielmehr – und dadurch ist diese Ideologie mit dem Liberalismus vielleicht doch verschwistert – entspringt sie dem Protestantismus, wie Max Weber richtig feststellte und ist für den Kapitalismus noch wegbereitender als die Idee des „Markts“. Sie hält uns alle in Trab, alle, die kein Auskommen haben, ohne sich in diese fesseln einspannen zu lassen. Ich würde mich sogar (jedenfalls probehalber) so weit hinein versteigen, dass ich sie für alles verantwortlich machen würde, was am Kapitalismus schlecht ist. Und doch reproduzieren auch wir immer und überall genau jene Ideologie, unter der wir leiden. Nichts anderes kann Nietzsche gemeint haben, wenn er uns Menschen eine „Sklavenmoral“ unterstellte. Eine „Moral“ der Tugend der „ehrlichen Arbeit“, mit der wir den Herrschaftsanspruch eben all jener sichern, die selber nicht arbeiten, sondern von unserer Arbeit leben.
Ohne das jetzt hier durch deklinieren zu wollen, ahnt man an dieser Stelle, dass sich wieder eine überraschende Wende einflechten ließe: Verstünde man den Liberalismus – auch den Marktliberalismus – jenseits, vielleicht sogar entgegen dieser Leistungsideologie, so ließe sich vielleicht doch so etwas wie ein Projekt des „linken Neoliberalismus“ denken? Einem Neoliberalismus, der entgegen seiner sonstigen Lesart den Menschen wirklich befreien will. Und zwar sowohl von seinen existentiellen Sorgen, als auch von dem Zwang, Arbeit zu verrichten, die er gar tun möchte.
Ich wurde gebeten, mich ein weiteres mal, diesmal etwas differenzierter, mit Schirrmachers Thesen zu beschäftigen. Wie das so ist, ein Text fordert einen zweiten. Wer weiß, vielleicht demnächst einen dritten. Bis dahin liegt er nun mal vor, in diesem Fall als Mail und wenn er schon mal da ist, so dachte ich mir, kann ich ihn auch Redundanzgetöse zum trotz, hier veröffentlichen.
Zunächst bin ich hoch erfreut, dass es dieses Buch gibt. Es transportiert einen seit über 10 Jahren in den USA in aller breite geführten Diskurs endlich nach Deutschland. Nicht, dass es ihn hier nicht gäbe. Nur spielte er sich fast ausschließlich in Blogs und Spezialmedien ab. Deswegen bin ich zweitens sehr dankbar, dass ausgerechnet Schirrmacher sich dieses Diskurses annimmt. Er ist einer der wenigen Menschen, die in der Lage sind, diesen Diskurs überhaupt auf die allgemeine Agenda zu setzen. Das liegt daran, dass hierzulande die Diskurse leider noch deutlich von den Feuilletons dominiert werden. Schirrmacher hat diese nun endlich aufgeschreckt und mit Hausaufgaben nach hause geschickt. Das begrüße ich sehr. Damit könnte es möglich sein, dass dieser Diskurs endlich auch in unserem verschlafenen Deutschland dort geführt wird, wo er hingehört: in der Mitte der Gesellschaft.
Ich bin also Herrn Schirrmacher zunächst sehr dankbar. Ich bin vor allem auch deswegen dankbar, weil man merkt, dass sich hier jemand auch tatsächlich tiefgreifend mit den Themen auseinander gesetzt hat. Das ist, siehe oben, gerade bei unseren selbsternannten Bildungsbürgern nicht üblich. Zudem schafft es Schirrmacher die Situation sehr gut zu beschreiben und teils sie treffsicher zu analysieren. Etwa 70 % sind schlicht wahr, weitere 20% zumindest halbwahr und nur 10% ist unbewiesener und hanebüchener Unsinn (Alle Zahlen sind Selbstgefühlt). Ich finde das ist eine gute Quote.
Was mir aber am meisten aufstößt: Seine größtenteils geschliffene Argumentation wird hier und dort unterbrochen von durch nichts zu rechtfertigender Alarmistik. Schirrmacher geht sogar so weit, seinen Text, seine Gedanken und seine Argumente ad absurdum zu führen, indem er ganz offensichtlich die gegenteiligen Schlüsse dessen formuliert, was er vorher aufwendig entwickelt hat. Und zwar – so hat man den Eindruck – nur des Geschreis wegen.
Das Beispiel mit dem Menschen und Berechenbarkeit habe ich versucht, im Blog aufzudröseln. Wenn es so ist, dass wir Gehirnfunktionen immer intensiver an die Maschinen auslagern – was ohne Frage stimmt – dann ist der Schluß, dass diese Maschinen uns und unsere Entscheidungen immer mehr berechenbarer und unkreativer machen, unser Menschsein einschränken, gerade zu absurd. Im Gegenteil eröffnet uns dieses „abnehmen“ der berechenbaren Hirnfunktionen durch die Maschinen ja viel mehr kreativen Freiraum, vielmehr Entscheidungsgewalt und -möglichkeit als es je zuvor der Fall war.
Gerade was die Informationsvermittlung angeht sollte er das doch am eigenen Verlag spüren. Das, womit nicht nur sein Haus zu kämpfen hat, dass der Journalismus nicht mehr die einzige Filter- und Gatekeepinstitution ist, ist doch gerade der Beweis dafür. Journalisten, als diejenigen wenigen Schaltstellen, die mir die Informationen vorselektierten, werden mehr und mehr abgelöst durch andere heterogenere Filtermechanismen. Diese sind meist keine einfachen Algorithmen, sondern speisen sich aus menschlichen Filtern die an Filtern hängen, die wiederum Filter sind und die zusammengeschaltet eben jenen personalisierten Filter ergeben, der /meine/ Entscheidung, /meine/ Entschiedenheit und /meine/ Vorlieben besser entsprechen und menschlicher und direkter bedienen kann, als es alle je auf der Erde gelebten Journalisten gekonnt hätten. Mein Entscheidungsspielraum wächst hier in Exorbitanten Maßstab an, anstatt, wie Schirrmacher es suggeriert, abnimmt.
Und falls Schirrmacher meiner Argumentation nicht folgen möchte, so sei ihm mit einem an Augustinus geschulten Derrida (den er ja studiert hat) gesagt, dass wir nur dort wirklich entscheiden, wo wir Unentscheidbares entscheiden. Dass wir also eben bei der Navigation im schier unendlichen Datenozean viel mehr entschieden haben werden, als wenn wir uns heute die „FAZ“ statt der „Welt“ kaufen.
Was die angeblichen Veränderungen unserer Hirne angeht: Geschenkt. Auch wenn ich die heutige Datenlage für solcherlei Behauptungen für äußerst Dürr halte, frage ich mich, was denn überhaupt so schlecht daran sein kann. Denn wenn Mediennutzung das Gehirn derart verändert, dann muss auch ab 1600 im Zuge der Alphabetisierung der Menschen eine solche Veränderung stattgefunden haben. Das lässt sich jetzt sicher nur noch schwerlich nachweisen, aber wenn, dann können wir davon ausgehen, dass wir alle diese Hirnveränderung keinesfalls rückgängig gemacht haben wollen. Wir rüsten uns also auch dieses mal für die Zukunft.
Aber auch jenseits solcher Überlegungen wirken die apokalyptischen Ponyreiter, die hier und da mit Schirrmacher durchgehen, sehr gewollt. Wie eine in den Text eingelassene PR-Note, die nichts tun soll, als eine irrationale Hysterie zu schüren, um den Absatz des Buches zu fördern. Plump, unausgegoren und logisch inkonsistent.
Mag sein, dass sowas nun mal zu dem Handwerkszeug eines echten Agendasetters gehört. Ich finde das peinlich und es nimmt dem eigentlich ja durchaus gut geführten Diskurs Schirrmachers die Glaubwürdigkeit und Sympathie, die es bräuchte, hier im Web, wo dieser Diskurs seit langem geführt wird, wirklich ernst genommen zu werden.
Aber klar. Für die Bild reicht das allemal. Und allein dafür sollten wir dankbar sein.
Wenn der Frankieboy einen Haufen setzt, dann ist das natürlich eine Vorlage, in die jeder mal rein treten will. Ich auch! Denn Frankie ist anders. Anders als die schaumgeifernden Feuilletonisten, die sich ob der Neudefinition des kulturellen Raums durch das Internet in ihrer Goethebüste festgebissen haben. Kein plattes „das ist doch alles nur Müll„, keine undemokratische „Da kann ja jeder kommen„-Haltung und auch keine dümmlichen „rechtsfreier Raum„-Platitüden kommen dem Frankie über die Lippen. Denn dazu ist er viel zu intelligent, zu wach – und zu belesen.
Schirrmacher hat sich da ganz schön was angeeignet, könnte man meinen. Während die meisten anderen Bildungsbürger ihre Netzratschläge noch bei Hegel suchen und nicht finden, hat Frankie sie alle gelesen, die Vordenker des Computers und des Internets wie wir es kennen. Leute, die zwar jedem Netcitizen ein Begriff, aber in den Feuilletons dieser Welt noch nicht existent sind. Und er hat sich wirklich bemüht, sie zu verstehen. Das muss man ihm hoch anrechnen. Das ist sehr viel mehr, als wir bisher von der etablierten Intellektuellenriege vorgesetzt bekamen.
Schirrmacher nimmt das Internet ernst. Er leugnet die Entwicklungen und die Schlagkraft der kommenden gesellschaftlichen Veränderungen nicht, sondern erkennt ihre Zwangsläufigkeit an. Er übertreibt sie sogar in seinem methusalemkomplottigen Alarmismus, aber ach, hier – in Sachen Internet – bleiben es auf Dauer ja sicher eh Untertreibungen. Dennoch gehen wie gewohnt die apokalyptischen Ponyreiter mit ihm durch. Irgendwo muss er doch aus dem Busch zu ziehen sein, der Weltuntergang, das Ende des Menschengeschlechts, oder sowas. Ganz egal ob es dem Text die Konsistenz und logische Stringenz kostet: Ein Gespenst muss umgehen im Schirrmacheraufsatz und zwar diesmal das Gespenst der Entmenschlichung durch Berechenbarkeit.
Seine These ist ungefähr folgende: Die Informationsflut, die das Internet erzeugt ist menschlich nicht zu bewältigen. Deswegen schaffen wir uns wiederum Algorithmen, die es uns erleichtern sollen, die Inhalte für uns zu filtern. Da aber also Maschinen für uns filtern, verlieren wir letztendlich die Kontrolle über das, was uns als Menschen definiert, unsere Weltperzeption. Diese Enteignung der menschlichen Perzeptions- und damit auch irgendwie Deutungshoheit über die Welt sieht er als kommende Gefahr. Wir werden somit von den alten Menschen, die in Zukunft die Weltherrschaft… Wir werden somit selber immer mehr zu Maschinen. Berechnend, berechenbar, irgendwie mechanisch.
„Wir brauchen die Software, die uns analysiert, um mit der Informationsflut fertig zu werden. Aber indem sie uns analysiert, reduziert sie immer mehr unser Gefühl dafür, dass wir wählen können und einen freien Willen haben.“
Natürlich hat er gewissermaßen recht. Wir lagern immer mehr Entscheidungsprozesse in die „Wolke“ aus. Wir lassen Datenbanken und Algorithmen unsere Vorlieben, Interessen und Themen lernen, verfeinern diese stets mit neuem Futter und schreiben so ein sehr komplexes und ein scheinbar sich immer weiter komplettierendes Bild unseres Geistes in den digitalen Hades. Ein Abbild, das zu arbeiten beginnt, das anfängt zu spuken, indem es uns unsere Wünsche direkt von den, äh, Datenbanktabellen abliest. Es ist das, was einige Futuristen bereits als die Anfänge des kommenden „Mind Upload“ bezeichnen, also die Austreibung der Geister aus dem „Meat space“. Hinein in die Wolke!
„Dies alles dient dem Zweck, dass die Maschinen wiederum den Einzelnen besser lesen können – ein Ziel, das viele von uns, man darf sich nichts vormachen, begrüßen, ja sehnsüchtig erwarten und das für das Funktionieren unserer digitalen Gesellschaft unerlässlich ist. Je besser der Computer uns kennt, desto besser die Suchergebnisse, mit denen er uns aus der Datenflut, die er selbst erzeugt, retten kann.“
Keine Frage, das tun wir jeden Tag. Und jeden Tag mehr. Aber was genau sind das für Prozesse und Daten, die wir auslagern? Welche Teile unseres Gehirns sind es, die wir automatisieren und vielleicht noch verschalten? Tun wir das unterschiedslos? Wo ist die Grenze? Gibt es die?
„Der Mensch ist eine statistische Datenmenge, die bei genügender Dichte nicht nur Rückschlüsse auf sein bisheriges, sondern auch auf sein zukünftiges Verhalten ermöglicht.“
Ist dem so? Ist das alles nur eine Frage des Algorithmus, der Rechenleistung und der Daten, die zur Verfügung stehen um all mein Denken, meine Wünsche und Vorstellungen und auch mein Handeln vorhersehen? Um das zu befragen, lohnt es sich mit den Grundlagen der Computerei genauer zu beschäftigen. Insbesondere mit jenen, die sich der Vorhersage der Zukunft beschäftigen.
Im zweiten Weltkrieg entwickelte Norbert Wiener ein mathematisches System, dass es möglich machen sollte, bewegte Objekte mit maschineller Präzision vom Himmel holen. Der Linear Prediction Code bekommt als Input die Position des Objektes zur Zeit t0 und schätzt heuristisch dessen zukünftige Position zum Zeitpunkt t1 ins blaue hinein. Sodann bekommt er zu t1 eine weitere, echte Positionsbestimmung, die mit dem Schätzwert verrechnet wird. Aus diesen Berechnungen wird wiederum eine neue Schätzung für t2 abgegeben und so weiter. Wenn man diesen rekursiven Prozess nun einige Male wiederholt kommt man irgendwann tatsächlich zu einer relativ präzisen Zukunftsvorhersage der Position eines sich bewegenden Objektes. Relativ. Wenn das Objekt nämlich auf seinem Flug einen Vogel streift sind auf einen Schlag alle Berechnungen umsonst. Es mag komplexer sein, ein sich bewegendes Objekt zu beschießen, als ein fest stehendes und in einer idealen Welt wäre jede Bewegung vorhersehbar, vor allem die von V2-Raketen. Aber es gibt in dieser Welt immer Koinzidenzen, immer gibt es Chaos, Kontingenz und Zufall oder wie ein späterer Wiener sagen würde: Noise. Noise ist nicht berechenbar. Es ist der Name des Nicht-berechenbaren und des Lebens.
Das bringt uns zu einem Zeitgenossen Wieners und dem eigentlichen theoretischen Begründer des Computers. Alan Turing suchte eigentlich nach einer Möglichkeit abstrakt zu beschreiben, welche mathematischen Probleme mit endlichen Rechenschritten lösbar seien und welche nicht. Zu diesem Zweck erdachte er sich in reiner Theorie eine Maschine, die Zeichen lesen, löschen und schreiben kann. Und dieses auch Rekursiv kann und so an selbst errechneten Ergebnissen wiederum rechnen kann. Und auch wenn er sich das ganze noch sehr „telegraphistisch“ mit Schreib- und Lesekopf auf Papierband vorstellte, war es eben doch diese Funktionsweise des Prozessors, wie er heute noch überall auf den Schreibtischen – und mittlerweile in den Hosentaschen – vor sich hintaktet.
Die Ironie der Geschichte will es nun, dass diese Turingmaschine, die nicht nur zwischen den berechenbaren und den unberechenbaren Problemen unterscheiden soll, sondern diese Unterscheidung ist, heute unser Leben bestimmt und genau jene Ängste Schirrmachers ermöglicht. Und zwar in dem sie alles, wirklich alles was berechenbar ist, berechnet. Nach und nach, natürlich. Aber stetig. Aber der Umstand, dass der Computer diese Unterscheidung zwischen berechenbar/nicht-berechenbar ist, heißt aber auch: was nicht berechenbar ist, wird nicht von Computern berechnet werden können. Niemals, nicht heute und auch morgen nicht, denn Computer sind per definitionem unfähig das unberechenbare zu berechnen.
Damit sollte klar sein, welche Hirnfunktionen in den Computer oder die Wolke ausgelagert werden – ja werden können: alle berechenbaren. All das, was wir unwillkürlich tun. Unsere Sterotypen und Gewohnheiten. Alles vorhersagbare, ja das langweilige an uns.
Aber: Diese Dinge waren auch vor der Erfindung des Computers berechenbar. In der mathematischen Definition. Der Computer macht nichts berechenbarer als es vorher schon war – vor allem nicht uns. Die Computer enteignen uns mitnichten unserer Deutungs- und/oder Perzeptionshoheiten oder gar unserem Willen, sondern sie befreien uns vom Ballast des immer gleichen. Von Redundanz und all die Regelhaftigkeit des Alltags, unsere Pawlowskität und unser Stereotypismus. Vielleicht irgendwann auch unsere Vorurteile und unsere Plattitüden. Automatisierbare Kulturkritiker kann ich mir durchaus vorstellen. Ja, Schirrmacher wird vielleicht eines Tages sogar seinen reflexhaften Alarmismus in die Wolke auslagern können. Das wäre doch mal toll!
Denn, und das ist das eigentlich erschreckende an dem Text: Schirrmacher weiß all dies selber. So schreibt er uns als Aufgabe für die Zukunft ins Stammbuch:
„Es geht im besten Fall darum, Menschen das tun zu lassen, was sie am besten können – und das zu entrümpeln, was die Computer uns abnehmen.“
Und das ist eben alles, was Kreativität, Deutung und Willen nicht ist:
„Der Computer kann keinen einzigen kreativen Akt berechnen, voraussagen oder erklären. Kein Algorithmus erklärt Mozart oder Picasso oder auch nur den Geistesblitz, den irgendein Schüler irgendwo auf der Welt hat.“
Und so schließt Frankie sogar gekonnt daraus:
„Je stärker die Computer in unsere Sprache und in unsere Kommunikation eingreifen, desto dringender wird eine Erziehung, die zeigt, dass die wertvollsten menschlichen Verhaltensweisen durch Nicht-Vorausberechenbarkeit gekennzeichnet sind.“
Bei all dem kann ich ihm wiederum nur zustimmen. Aber wo waren jetzt noch mal die Gefahren? Wo drohte gerade noch der Weltuntergang? Das meine ich mit methusalemkomplottiger Alarmistik. Was wäre Frankieboy bloß ohne seine Apokalyptischen Ponyreiter?
Ich fahre morgen mitten hinein, in den Sturm aus Scheiße. In all dem Dreck werde ich versuchen, die SPD ausfindig zu machen. Mal schauen, wie es ihr geht. Naja, wie geht’s ihr wohl? Schlecht. Schlechter als schlecht. Ich würde sagen, ihr geht es so schlecht wie seit 1933 nicht mehr. Und obwohl sie mir wirklich und aufrichtig leid tut, hab ich doch keinen Zweifel daran, dass sie sich diesen Zustand selbst zu Schulden hat kommen lassen. Neben der Arroganz der Macht und den neoliberalen Richtungsfehlentscheidungen ist es vor allem die fehlende Innovationskraft, die diese Partei in Grund und Boden gewirtschaftet hat.
Jahrzehnte ist man immer nur den Diskursen der anderen hinterher gelaufen. Jahrzehnte hat man sich vom politischen Gegner die Parolen ins Stammbuch schreiben lassen. Man ist sofort gekuscht, wenn die CDU eine dümmliche Antilinkskampagne nach der anderen veranstaltete. Man ist zusammengezuckt, wenn man ihr innenpolitisch einen zu laschen Kurs vorwarf und hetzte nach dem Erfolg der Linken deren Themen hinterher, dass es nur noch peinlich war.
Jetzt ist die Regierungszeit vorbei und man könnte meinen, dass dies der SPD wenigstens eine Atempause lässt. Zeit zum gesunden. Weit gefehlt. Gerade jetzt, gerade in dieser Situation ist Innovationskraft gefordert, wie vorher nicht. Es gibt keine Zeit zu verschnaufen. Die SPD muss jetzt innovativ sein, muss jetzt zeigen, was sie kann. Sonst wird diese Oppostion der Schlußstrich unter dem Kapitel „SPD“. Aber dafür muss ich etwas ausholen:
Die SPD sitzt seit geraumer Zeit zwischen den Stühlen. Als Schröder seinen Arsch, und damit den der ganzen SPD, unter dem Schlachtruf der „Neuen Mitte“ nach rechts schwang und die Union plötzlich, völlig überrumpelt von diesem Manöver mit einer Arschbacke im leeren hing, glaubte man noch, dass dieses Ergebnis von Dauer sein könnte. Aber warum sollten Konservative und Neoliberale auf Dauer eine sozialdemokratische Partei unterstützen, die sich nur durch biegen und brechen zu ihrem Lakai machen konnte? Das ging zwar eine Wahl lang ganz gut, sicher. Aber schon bei der nächsten Wahl nimmt man dann doch lieber das Original, die CDU und die FDP. Die bücken sich auch viel geräuschloser und ohne diese großen Debatten.
Und schon war der rechte Stuhl wieder weggerückt und diesmal saß die SPD mit halber Arschbacke im luftleeren Raum. Das wäre nun kaum ein Problem, wäre die SPD nun eben wieder zurück nach links gerückt und hätte so ihre Stammwählerschaft wieder aktiviert. Die hätten der SPD den kurzen Ausflug nach rechts durchaus verziehen. Aber das sah man in der Parteiführung anders. Immer autoritärer wurde der Führungsstil, immer abgehobener die Funktionäre. Gegen die eigene Basis und auch gegen den Willen der Bevölkerung wurde diese Politik eisern durchgezogen. Der Wille ein paar verwirrter Männer mit Profilneurose.
Auch das wäre einigermaßen gut gegangen, wäre da nicht der Oskar gewesen. Der hat einfach einen weiteren Stuhl links neben die SPD gestellt und sich mit einer Arschbacke auf diesen und mit der anderen auf die freie, unbesetzte Hälfte des SPDstuhls gesetzt. Ein kurzer Ruck nach links und Zack: Die SPD hängt komplett in der Luft.
So lange sie an der Regierung war, konnte sie diesen Umstand mit Sachzwangausreden notdürftig verdecken. Nun, in der Opposition kommt diese Stuhllosigkeit voll zum tragen. Zwar wären die Feinbilder wieder klar verteilt – Schwarz-Gelb eignet sich dafür prima – doch auf der Oppositionsbank sitzt man nicht mehr alleine. Die Grünen haben viele linke Zukunftsthemen ganz gut besetzt und „Sozialdemokratie“ konnte die Linke zuletzt besser als SPD.
Wie kann es die SPD also schaffen einerseits eine kraftvolle Opposition gegenüber von Schwarz-Gelb zu entfalten und sich gleichzeitig gegen „die Linke“ und die Grünen abgrenzen? Das geht nicht mit den klassischen Inhalten. Die Linke spielt darauf nämlich mindestens genau so gut und hat einen hier Glaubwürdigkeitsvorsprung.
Das ist so ziemlich das ganze Schlamassel in dem die SPD heute sitzt. Weder links noch rechts ist ein Plätzchen frei. Die Reise nach Jerusalem geht ohne die SPD weiter. Es sei denn, die SPD schafft es, einen weiteren Stuhl hervor zu zaubern. Sich einen Stuhl zu erfinden, sozusagen. Einen Stuhl, der noch nirgends steht, den noch niemand ins Spiel gebracht hat, der aber einzubringen ist. Einen Stuhl der Zukunft, sozusagen.
Dass das nicht ganz unmöglich sein könnte, lässt sich an der riesigen Menge der Zukunftsthemen ablesen, die noch lange keine Berücksichtigung in der Politik gefunden haben. Größte Herausforderung: Die Postarbeitsgesellschaft. Ein Thema vor dem bisher noch jeder Politiker so fest er kann die Augen verschließt. Dabei steht es überhaupt nicht in Frage, dass sie zwangsläufig kommt. Die Frage ist nur, wie man sie organisiert. Mit den klassischen, politischen Werten, die sich alle an dem Ziel „Vollbeschäftigung“ ausrichten, wird da nur noch mehr Schaden angerichtet. Hartz4 ist so ein Desaster, dass die SPD mit dem Motto „sozial ist, was Arbeit schafft“ verursachte. Dieses Denken gilt es zu überwinden, wenn man die SPD zur Zukunft hin ausrichten will.
Eine neue SPD kann keine Arbeiterpartei mehr sein. Sie kann nur eine Umverteilungspartei sein und eine solche braucht es heute dringender als zuvor. Denn wenn die Wertschöpfung sich immer weiter von der menschlichen Arbeitskraft entkoppelt hat, gehen auch die Profite umso ausschließlicher an die Kapitalisten, also an die wenigsten. Es gilt hier zu einem wirklich solidarischen Gesellschaftsbild zu kommen, in dem die wachsenden, von der Wertschöpfung entkoppelten Bevölkerungsanteile ebenso Nutznießer der digitalen Revolution sein müssen. Technologie muss dem Menschen nutzen. Und dem Menschen meint eben nicht: einigen Menschen, sondern möglichst allen.
Von diesen Zukunftsthemen gibt es noch eine ganze Reihe weiterer. Und sie sind dringend. Ein Großteil davon lässt sich nur solidarisch sinnvoll lösen. Die SPD könnte hier auftrumpfen, wenn sie eine neue, zukunftsfähige Version der Solidarität schafft. (Die Zukunft der Solidarität ist so ein Blogthema, dass ich seit Monaten mit mir rum schleppe…)
Es werden sehr bald, sehr konkrete Zukunftskonzepte gefordert sein, die weit, weit, weit alle politischen Horizonte sprengen werden. Und zwar die aller Parteien. Wer hier als erster eine Position entwickelt, wird den Diskurs dominieren. Eine starke neue Sozialdemokratie ist das, was man auch und gerade in der Zukunft brauchen wird.
/*** UPDATE: Was natürlich wieder klar war: Die Idee hatte nicht nur ich, sondern auch jemand, der nicht so lange zögert, sondern sich gleich in den Code vertieft. Ich bin gespannt was dabei raus kommt. Danke jedenfalls, Tim Weber für die Gitpedia und viel Glück für das Projekt!
****/
Ich bin gerade in Köln. Der Weg von Berlin ist relativ weit und aufwändig, auch dann, wenn man fliegt. Ich fahre normalerweise Bahn. Ich mag es mit der Bahn zu fahren, denn die Bahnfahrten sind bei mir nie verlorene Zeit, denn selten gelingt es mir so gut Bücher lesen, wie auf Bahnfahrten. Diesmal bin ich aber geflogen. Das ist billiger, sogar mit Bahncard 50. Und es geht schneller. Aber mit lesen ist es eben schlecht. Diese vielen Stationen, die man da durchläuft. Zwei mal Umsteigen bis man überhaupt am Flughafen ist. Dann Checkin, Warten, Boading, Warten, Fliegen, Gepäckband, etc. Da kommt man schlecht zum lesen, bei dieser ganzen Hektik.
Deswegen hab ich ganz viele Podcasts gehört. Das klappt nämlich super. Zwei der Podcasts, der letzte Chaosradio Podcast sowie ein relativ (relativ ist hier auch ziemlich relativ, nicht Tim Pritlove? ;)) neuer Chaosradio Express-Podcast waren ziemlich inspirierend. Und zwar in Sachen Wikipediadiskussion. Klar, der Chaosradiopodcast ging genau darum. Aber der andere, der Express handelte eigentlich von was ganz anderem und war dennoch wegweisend für diese Debatte. Und zwar ging es um verteilte Versionskontrollsysteme. Dort wurde ein neuer Ansatz diskutiert, um dezentral und kollaborativ an Dokumenten (ok, meist Programmquellcode) zu arbeiten. Ich kann diesen Podcast nur jedem empfehlen, auch Nichtprogrammierern. Die Materie ist einigermaßen Komplex und es ist nicht einfach sich in die abstrakten Probleme der Versionskontrolle rein zu arbeiten. Aber wenn man sich darauf einlässt, dann wird man mit den Sprechern zusammen zur Hälfte hin merken, dass der Ansatz den „Git„, eine relativ neue Software in diesem Bereich, verflogt, tatsächlich revolutionär und zukunftsweisend ist. Und zwar über das Versionieren von Programmcode hinaus.
Die Idee ist recht einfach. Anstatt, dass man alle Dateien des Codes zentral verwaltet und die Programmierer sich nur zum editieren die einzelnen Dateien für die Zeit der Bearbeitung „auschecken“, zieht man sich von Anfang an eine ganze Kopie des Kontens, sowie der Bearbeitungshistorie und sonstigen Metadaten direkt lokal auf die Platte. Man macht so zu sagen sofort einen eigenen Fork auf, sobald man anfängt zu programmieren. Wenn man seine Änderung also lokal getan hat, kann man sie direkt auch lokal testen. Und wenn die Instanz, von der man den Code bezogen hat, selber auch von der Änderung überzeugt ist, kann sie sie einfach wieder bei sich einpflegen.
Der Witz ist nun, dass der Alptraum eines jeden offenen Projekts – der Fork – nicht mehr einerseits schwierig zu bewerkstelligen, andererseits schwierig rückgängig zu machen ist, sondern dass das System genau forken und wieder eingliedern erleichtert, ja sogar fördert. Das vereinfacht nicht nur die üblichen Kompatibilitätsprobleme, sondern lindert effektiv die sozialen Spannungen, die in solchen Projekten immer schnell entstehen.
Was die Wikipediadiskussion zeigt, ist, dass die Krise in der die Wikipedia steckt, eigentlich keine ideologische ist. Sie ist eine soziale.
Es ist jenes alt bekannte soziale Phänomen, wenn ein Biotop sich zunehmend gegen außen abschießt, ein inneres Eigenleben entwickelt und dann – einem Tümpel gleich – biologisch umkippt. Das riecht dann streng. So wie die Wikipedia derzeit von innen.
Wann immer sich Gruppen definieren, die zum Beispiel ein gemeinsames Hobby oder Ziel haben, gibt es solche und solche Menschen, die sich am Projekt beteiligen. Es gibt die Engagierten und die weniger Engagierten. Die Beweggründe für das Engagement sind so unterschiedlich wie die Intensitäten. Und so kristallisieren sich zunehmend Funktionäre heraus. Das sind Menschen, die sich „verdient“ gemacht haben. Sie proklamieren – mit einem gewissen Recht – eine Meinungsführerschaft. Und mit der Zeit fühlen sie sich nicht nur völlig berechtigt, sondern gar verpflichtet – ja ganz unabdingbar und unersetzlich, diese Führerschaft inne zu haben. Wo soll das denn sonst hinführen. Nur sie kümmern sich ja schließlich. Denn – so die nachvollziehbare Argumentation – es macht ja sonst keiner. Das stimmt. Die anderen Mitglieder werden zunächst beruhigt feststellen, dass die Engagierten die Sache gut im Griff haben. Warum denen also ins Handwerk pfuschen? Neulinge werden entweder gleich abgeschreckt ob der Bissigkeit mit der die Engagierten ihre Regeln (die sich natürlich über die Jahre entwickeln und kumulieren zu einem dicken Wälzer an Do’s und Don’ts, die kein Nutzer sich von Anfang an draufschaffen kann…) verteidigen. Das ganze geriert zu einem nur noch sich selbst bestätigenden Sumpf an Eitelkeiten und Animositäten und wird zunehmend unattraktiv für jeden Außen stehenden. Was dann die Abwärtsspirale nur noch beschleunigt. Es entsteht ein Nachwuchsproblem und selbst Hartgesottene verlieren die Lust an dem Projekt.
Das ist jetzt, wie gesagt, nicht neu. Das erlebt man in jedem Forum, jedem Verein, jeder Partei, sogar Staaten, schlicht: jedem Zusammenschluss von Menschen zu einer festgefügten Gruppe. Mehr oder weniger. Dann gibt es Kämpfe und Revolutionen, Neuanfänge und neue Einigungen. Und dann geht das Spiel von neuem los.
Deswegen kann die Lösung kein Fork sein, wo sich eben diese Probleme, vielleicht abgewandelt, aber doch genau so ähnlich wieder einstellen werden, früher oder später. Mit anderen Worten, es kann nur eine technische Lösung sein.
Mein Vorschlag: Man schafft eine Wikipediasortware, die weit über das Mediawiki hinausgeht aber darauf aufsetzt. Eine extra Software zur Verwaltung der Wikipedia und ihrer noch zu gebärenden Töchtern. Und zwar zur freien Installation für jederman, selbstredend open source. Natürlich hat keine Privatperson die Mittel die Wikipedia ordentlich zu hosten oder gar zu pflegen. Aber das ist auch nicht nötig, denn die Software ist eine dezentrale, verteilte Multipedia.
Bei Neuinstallation auf eigenem Server generiert sie aus einer bestehenden Wikipediasinstallation (die frei angebbar ist, aber zunächst natürlich die klassische Wikipedia sein wird) einen Index, der lokal gespeichert wird und verweist darin nur auf die Inhalte der Mutterpedia, ohne sie aber lokal zu importieren. Sodann kann man hingehen und diesen Stamm an Daten ändern und erweitern. Das ganze funktioniert dann wie ein Versionskontrolsystem. Man checkt einen einzelnen Artikel aus, dieser wird dann auf den eigenen Server kopiert. Sodann kann man ihn umarbeiten. Neue Artikel werden auch auf dem eigenen Server gespeichert. Nur alle anderen Inhalte verweisen erstmal auf die Mutterinstallation (Wenn diese wiederum nur verweist, dann linkt die eigene natürlich bis zum originären Inhalt durch). So kann sich dann ohne große Kosten jeder seinen eigenen Fork machen. Ist das nicht Prima?
Es ist natürlich so, dass dann viele, unendlich viele Forks im Internet entstünden und sich völlig unabhängig entwickeln würden. Naja, nicht ganz. Denn der besprochene Index ist nicht nur offen für eigene Änderungen und eigene Artikel. Man kann jeden Link des Indexes zu einem Artikel auch auf den Artikel einer völlig anderen Installation umbiegen. Da ist man völlig frei.
Nach und nach entstünde so ein riesiges, dezentrales Netzwerk von Wikipedien, die teils eigene Inhalte hosten, und aus einem bunten Strauss an Links zu allen möglichen anderen Wikipedien bestünden. Wahrscheinlich zunächst immer mit einem Hauptstamm auf die alte Wikipedia, aber von Anfang an dezentral und vom Stamm prinzipiell unabhängig.
Da jede Installation die Erweiterungen und Änderungen jeder anderen Installation wiederum importieren kann, entsteht so eine ständige Kollaboration, mit gleichzeitigem, ständigen Wettbewerb der einzelnen Artikel untereinander. Auch die Stammwikipedia soll sich die ihrer Meinung nach besten Änderungen auch jeder zeit Zurückeinverleiben können. Auch die Stammwikipedia würde davon enorm profitieren.
Man könnte einwenden, dass das ja eine für den Benutzer unzumutbare Vielfalt an unautorisierten und völlig beliebigen Wikipedien sei, die jeden überfordere. Da aber doch eigentlich jede Wikipedia für sich eine relative Vollständigkeit geniest (sie bleibt ja hauptsächlich ein Import), und weil die Stammwikipedia gerade für Neulinge zunächst die Anlaufstelle bleiben wird, glaube ich, dass man sich erst durch zunehmenden Gebrauch nach und nach die Wikipediainstallation suchen wird, die am besten den eigen Ansprüchen gerecht wird, bzw. eine eigene startet.
Mit anderen Worten: Macht nicht einen Fork. Macht viele! Unendlich viele! Macht es jedem DAU möglich seinen eigenen Fork zu starten. Dann hat niemand mehr die Macht über das Wissen, bzw. jeder hat es. Und nur der Nutzer entscheidet, wo er was lesen möchte.
Dieser Artikel ist so überflüssig wie ein Kropf. Alles was hier steht, wurde das ein oder andere Mal bereits viel besser gesagt. Wie so oft eben. Und dennoch steht es hier. Einfach so. Weil es mich nichts kostet, weil ich es kann und weil ich es will. Ich finde es wichtig darüber zu schreiben, denn es beschäftigt mich. Der ein oder andere fragt mich (jetzt nicht zu diesem Thema, sondern generell) wen denn das denn interessiere, was ich ins Internet schreibe. Na, die, die es halt interessiert, wende ich dann ein. Was weiß ich? Frisierte, Klempner, Mütter, Einäugige, T-Shirtträger und Klobürstenbenutzer. Ganz selten auch Nicht-Klobürstenbenutzer. Leute eben.
Es gibt Menschen, für die ist das schlimm, dass ich sowas ins Internet schreibe, denn so vermüllt es ja schließlich, das arme Internet. Ich nähme mich damit insgesamt zu wichtig, meine Meinung sowieso. Im endeffekt sei das ja nur belangloses Geschnatter. Vollkommen irrelevant.
Diese Menschen haben recht, machen aber einen Denkfehler. Sie meinen, nur weil ein Angebot da sei, müsse man sich damit beschäftigen. Nein, niemand wird gezwungen das hier zu lesen. Nicht mal meine Freunde. Das hier lesen ausschließlich Menschen, die das hier lesen wollen. Freiwillig und aus den unterschiedlichsten Beweggründen, die mich nicht mal etwas angehen. Und alle anderen haben selber schuld.
So funktioniert das Internet. Um etwas zu veröffentlichen braucht es keinen Relevanznachweis, denn es erreicht eben eh nur die Menschen, die es interessiert. Und seien es nur 10. Oder 5. Vielleicht niemand. Auch Okay!
Ich hab mir damals immer das Weltwissen in mein Zimmer gewünscht. Immer verfügbar. Aber hat damals in den 90ern mal jemand geguckt, was so ein ausgewachsener Brockhaus so kostete? 10.000 Mark! Das war als Schüler nicht zu machen. 24 Bände! Zwei ganze Regalmeter! Uff!
Das aber verängstigte mich als Schüler weit weniger als zum Beispiel die zwölf Bände von „Auf der Suche nach der Verlorenen Zeit“ von Proust. Denn ich wusste ja, dass nur ein Lemma aufschlagen musste und nicht gezwungen war, jedes mal auf’s neue den Brockhaus durchzulesen. Nein, es war sogar genau dieser Überfluss an Information, der mich begeisterte. Der Brockhaus hätte noch viel Dicker sein können!
Heute haben wir die Wikipedia. Sie ist unglaublich! Hätte ich damals so etwas geahnt, ich hätte den Brockhaus sofort stehen und liegen gelassen. Dabei ist die Wikipedia etwas ganz anderes. Ihre schiere Größe ist gar nicht mehr darstellbar. Vor allem weil ihm das Trägermedium dafür fehlt. Wenn ich ein Wort in das Suchfeld eingebe, habe ich keinen Schimmer wie viele Artikel noch in der Wikipedia stecken – über alles mögliche! Es ist mir auch egal. Denn das Mehr an Wissen steht nicht vor dem gesuchten Wissen, nicht mal daneben, sondern es schlummert unsichtbar in der Tiefe und wird erst aktiv, wenn ich seinen Namen rufe.
Wenn ich „MOGIS“ in das Suchfeld eingebe, dann ist für mich der Verein relevant genug, mich darüber zu informieren. Und selbst wenn der Artikel weder vollständig noch gut ist, werde ich mich immerhin über den einen oder anderen Anhaltspunkt freuen. Vielleicht auch nur über einen weiterführenden Link. Und sei es, dass ich durch diese Recherche den Eindruck bekäme, der Verein sei irrelevant. Auch das ist ein Ergebnis. Egal was dort über Mogis steht: Ein Nichts ist in jedem Fall enttäuschender.
Und wer hat den Wikipedianern eigentlich einmal eingeredet, dass die Wikipedia jemals etwas anderes sein könnte, als Informationshaufen zu verschiedenen Themen, die von anonymen Menschen zusammengetragen wurden? Wikipedia wird niemals mehr sein. Aber auch nicht weniger. Denn dieser Informationshaufen, so wenig man ihm den Stempel „Wahrheit“ aufdrücken kann, ist dennoch enorm hilfreich. Es ist immer die erste Anlaufstelle zu neuen Themen. Niemals aber die Letzte. Das offene Prinzip erlaubt eine ungeahnte Breite und Tiefe der Information, niemals aber gewährleistet sie Verlässlichkeit. Von diesem Traum sollten sich alle gründlich verabschieden.
Man kann hingegen einen anderen Traum träumen. Einen zeitgemäßeren. Nämlich den, möglichst alle bekannten Aspekte eines Themas zu sammeln. Und alle Themen zu behandeln. In Breite und Tiefe unbeschränkt zu informieren. Aber nur unbeschränkt vom Angebot her, also diese Information den Nutzer so zugänglich zu machen, dass er selber bestimmen kann, wie breit und tief er sich über ein Thema informieren will. Will, nicht kann: das ist wichtig.
Und man komme mir nicht mit dem Argument, dass sich die Wikipedia dies personell nicht leisten könne. Denn was für den Leser gilt (relevant ist, was nachgefragt wird) gilt bei einem wirklich offenen System auch für die Autorenseite (geschrieben und redigiert wird, was nachgefragt wird). Und wenn jetzt noch jemand mit der beschränkten aktiven Nutzeranzahl kommt, der sollte sich Fragen, warum eben jene potentielle Autoren und Lektoren für vermeintlich irrelevante Themen wegbleiben? Könnte es vielleicht unter Umständen damit zu tun haben, dass ihnen ihre Artikel meist sofort unter dem Arsch weggelöscht werden? Nee, oder?
Entweder man glaubt, dass das System Wikipedia funktioniert: Das heißt, dass das offene System von vielen, die vieles bearbeiten einen hinreichenden Informationsstandard bietet, mit dem man „arbeiten“ kann, oder man glaubt es nicht. Wenn man es glaubt, dann sollte man es auch für eben jene Randthemen glauben, die nicht in allen Augen sofort relevant erscheinen. Alles andere stellt die Wikipedia ansich in Frage.
Die Wikipedia steht vor einer Entscheidung: Will sie Vorreiter sein, oder Nachläufer? Will sie eine schlechtere Kopie des Brockhauses im Internet sein, oder die Enzyklopädie der Zukunft? Will sie Maßstäben einer untergehenden Medienwelt genügen oder Maßstab für die Neue sein? Will sie in die eine Richtung vorangehen oder in einer anderen hinterherlaufen?
Das ist derzeit eine spannende Richtungsentscheidung, die getroffen werden muss. Wenn ich in Berlin wäre, würde ich da hingehen, zur Diskussion dazu.
Ich hab ja mal sehr mäßig erfolgreich Podcasts aufgenommen und in den Äther geschickt. Obwohl selbst beste Freunde sich verweigerten, den Scheiß zu hören, hab ich einfach immer weiter gemacht. Weil es mir einfach viel Spaß gemacht hat. (Ich spare mir dennoch den Link auf diese Versuche…) Irgendwann hab ich aufgehört, weil man irgendwann immer mit Dingen aufhört. Leider.
Wenn aber eine Podcast-Legende wie @343max bei mir anfragt, ob ich nicht Lust hätte mit ihm was auszuprobieren, dann bin ich natürlich nicht zu halten. Wir haben es also versucht und obwohl man mangels Konzept nicht mal von einem „Proof of Concept“ sprechen kann, ist es glaub ich ganz okay geworden.
Wir sprechen übers Internet, Schwarz-Gelb, Netzpolitik, Freiheit und Wirtschaftswissenschaften. Außerdem halte ich einen langen Monolog über dieses Buch. Das alles wollte ich mal in einem Blogeintrag verarbeiten. Nun ist es ein Podcast geworden. Auch super.
Natürlich war sie kurz aufgeflammt, diese Hoffnung, dass wir gemeint seien. Wir, das ist doch dem Selbstverständnis nach eben jene Generation, die in vermeintlich politischer Duldungsstarre verfallen war, aber in Wirklichkeit – ganz echt und ehrlich – nur gebannt auf das Zeichen wartete. Wir hatten das doch mitbekommen: 68, bei unseren Eltern. 86 bei unseren älteren Geschwistern. Doch wo war unsere Revolution?
Klar standen wir mit Palituch und Antifa-Stickern rauchend auf dem Schulhof. Einige lasen sogar Marx! Aber wenn wir ehrlich waren, wussten wir schon damals um die Posenhaftigkeit all dessen. Wir waren ja nicht dumm. Im Gegenteil! Wir waren abgeklärt! Abgeklärter als alle, die vor uns parolenschreiend durch die Institutionen marschierten. Denn wir hatten ihnen schließlich aufmerksam dabei zugesehen.
Wenn wir ehrlich sind, haben wir die Politisierung unserer älteren Geschwister aufgetragen.
Niemand brachte dieses Lebensgefühl besser auf dem Punkt als Tocotronic mit dem Titel „Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein„. Tja, wir warten immer noch. Einige haben sich längst damit angefreundet und machen was aus ihrem Leben. Andere, wie ich, schieben ihr Erwachsenwerden einfach Jahr für Jahr auf, nur für die Chance dabei sein zu können. Dann. Falls.
Da ist es nicht verwunderlich wenn die Ohren gespitzt werden, sobald sich eine neue politische Kraft formiert. Das alles da, um die Szene im Netz. Die Blogger, die Aktivisten, die Petition und jetzt sogar noch ne ganze Partei! Geil! Und so wird das bereits eingemottete, zumindest leicht eingerostete politische Rüstzeugt wieder entstaubt und gleich geschultert und kaum will man losmarschieren – gen Weltrevolution – gibt der stellvertretende Vorsitzende der Piratenpartei der Jungen Freiheit ein Interview!
Uff! Ist der denn doof? Hat der denn nie gegen Rechts demonstriert? Weiß der denn nicht, dass man mit „denen“ nicht redet? Hat er kein Gespür dafür, wie rechte Ideologismen in den Ritzen der politischen Überzeugungen durch eben solche Lecks sickern? Weiß der das alles denn nicht, was bereits bei uns auf dem Pausenhof schon Konsens war?
Was die Piraten alles nicht wissen. Der Spinner Thiesen, ein ganz normaler Spinner, wie es ihn im Internet zu hauf gibt? Mitnichten! Seine Ansichten können leicht als Holocaustleugnung ausgelegt werden! Ho. lo. caust! Kapische? Historikerstreit, anyone? Weiter zu Emanzipation: Genderdiskurs? Fehlanzeige! Außer Dummejungenwitze ist da nicht viel zu holen! Judith Butler? Kennt keiner. Schlimmer: interessiert keinen! Was kommt als nächstes? „Atomkraft FTW!„? Wackersdorf würde sich im Graben umdrehen!
Und da stehen wir und hauen uns mit dem Handrücken gegen die Stirn. Wir, die wir alle Mittel und Wege besäßen die kommende Weltrevolution verantwortungsvoll, gerecht und politisch korrekt zu gestalten. Und uns fragt keiner! Die interessieren sich einfach nicht für unsere schönen und ausgereiften Diskurse! Unsere Dogmen und Kategorien, jahrzehntelang unter vielen Schmerzen ausgehandelt. Die DOs und DON’Ts der politischen Gradwanderungen in diesem Minenfeld.
Kann es vielleicht sein, dass das gar nicht unsere Revolution ist? Kann es sein, dass sich dort eine Generation politisiert, der die politische Kultur, die wir schon auftragen mussten, viel zu muffig ist? Zu verkopft und akademisch? Dass sie mit ihrer Lebensrealität schlicht nichts zu tun hat, oder wenn, nur eine untergeordnete Rolle spielt?
Und: Kann es vielleicht sein, dass das gut so ist? Dass genau dort die Chance auf eben all dies besteht, was wir nicht hinbekommen haben? Eine Jungendbewegung. Mit eigenen Inhalten, eigenen Forderungen, eigenen Notwendigkeiten? Und dass wir – egal wie progressiv wir uns auch wähnen – die alten Meckerköppe sind, die jetzt rumkrakelen, weil die Jugend nicht nach unseren Regeln spielt? Diese ungewaschenen Gammler, die!
Ich habe schon lange den Eindruck, dass auch viele, die sich an der Spitze der digitalen Revolution glauben, noch lange nicht begriffen haben, welche Konsequenzen sich aus all dem ergeben. Insbesondere für das, was wir Information nennen. Dass die bekannten Diskurse, ob diese oder jene Information jetzt zulässig ist oder nur jene andere, rein akademische Fürze im Luftleeren Raum sind. Weil das Internet all diese Fragen auf die einzige Binäre Gretchenfrage zusammen dampft: Versuchen wir den aussichtslosen Kampf mit allen (auch totalitären) Mitteln zu führen, die Informationen im Internet zu kontrollieren oder akzeptieren wir, dass jede mögliche Information für immer von jedem abrufbar bleibt? – Das klingt radikal, vielleicht ist es das auch. Aber in dieser Welt, gibt es nur diese zwei Möglichkeiten. Das Internet ist so.
Hieran merkt man, dass sich der politische Diskurs von morgen längst auf anderen Ebenen stattfindet, als dem, was wir seit dem Schulhof kennen. Es ist nicht mehr der Kampf zwischen guter (links, Investigativer Journalismus, Kunst) und schlechter (rechts, Kinderpornos, Lügen) Information, sondern zwischen absoluter Kontrolle oder absoluter Freiheit der Information, zwischen Transparenz und Geheimwissen, Offenheit und Hermetik. Und hier gibt es keine Zwischentöne, nichts, was man aushandeln kann.
Natürlich bleibt auch dann noch genug auszuhandeln. Wie man damit umgeht, beispielsweise, dass die Gesellschaft nicht nur zum großen Teil sexistisch ist, sondern das auch noch öffentlich preisgibt. Dass es nicht nur Rechtsextreme gibt, sondern dass man sie nicht daran hindern kann, das auch noch Kund zu tun. Dass es unter den Menschen nicht nur Spinner gibt, die den ganzen Tag Müll erzählen, sondern das auch noch für jedermann lesbar in Netz kippen können. Dass Kinder hinter jedem Link wertvolle Erziehung erfahren können oder mit Gehirn-Schrott indoktriniert werden. Mal so mal so.
Niemand hat behauptet, dass sie gut riecht, die Freiheit.
Heute kommt ein Beitrag auf 3sat, wo ich vorkomme und ein paar knackige Worte in Kamera sagen darf. Jaja, ich bin ja jetzt Politblogger, weil ich mal die im englisch geläufige Formel des „Shitstorm“ in’s Deutsche übertragen hab. Aber im grunde hab ich dort das hier gesagt. Nur kürzer.
Dummerweise hab ich jetzt über einen ganzen Monat nichts gebloggt. Wie sieht denn das aus? Also schnell nochmal was bloggen, bevor es Freitag gen Frankfurt zur Twitterlesung geht.
Ich verbuch den lezten Monat also mal nachträglich unter Sommerpause. Finde ich auch Okay. Seit Twitter hat sich das Bloggen eh mehr zu einem losen Verlautbarungsorgan verschoben, dessen Befüllungsdruck gegen Null tendiert. Was ich super finde. Als ich noch regelmäßig bloggte, war da tatsächlich so eine Art Zwang dann auch immer neuen Content hier reinzuschreiben. Dieser Zwang ist jetzt etwas auf Twitter übergangen. Aber ist dort eben auch viel besser zu handeln, weil dem Druck nachzugeben eben nicht bedeutet, sich ein zwei Stunden für einen Text hinzusetzen, sondern nur mal eben ein „Hallo, mich gibt es auch noch“ rauszuzwitschern.
Natürlich gibt es andere Zwänge. Den Originalitätszwang zum Beispiel, den die ganzen Favdienste und nicht zuletzt meine Favottercharts durchaus mit befeuerten. Ehrlich? Ich bin froh bei Favotter nicht mehr Nr. 1 sein zu müssen. Und heute haben wir endlich auch noch die Favcharts released, wo die Kathrin Passig die ausgwerteten Favs mit ganz vielen hochkomplexen Formeln gewichtet, so dass ich nirgends mehr vorkomme. Find ich auch ok. Man darf das alles nicht so ernst nehmen, sonst endet das in einem Ratrace, bei dem keiner mehr twittert, weil es ihm Spaß macht. Es hat schon Leute gegeben, die deswegen aufgehört haben zu twittern, was ich schade finde. Nichts macht mehr Spaß wenn es zwanghaft wird.
Dieses zwanghafte des – ich sag mal – „regelmäßig von sich hören lassen“ hat mich schon damals beim Bloggen gestört. Irgendwie kam ich mir eingesperrt vor, von meinem eigenen Blog. Auf der anderen Seite hat ein Blog auch eine neue Ebene in mein Leben eingezogenen. Völlig neue Freiheitsgrade. Ich kann Öffentlichkeit herstellen, wenn ich sie brauche. Das macht mich ein Stück weit unabhängiger von „der Gesellschaft„. Wenn ich öffentlich mit meinem Leben koketiere, mit meinen Fehlern, meinen Eigenschaften aber es dennoch schaffe, Zuspruch und und Echo zu erschaffen, dann gibt es mir eine gewisse Sicherheit, die es mir erlaubt auch über gesellschaftliche Normen hinaus zu denken. Vielen fehlt diese intersubjektive Bestätigung im Alltag, weswegen sie sich oft für die dämlichsten Banalitäten schämen. Das kann auch sehr neurotische Züge annehmen. Wo wir wieder beim Zwang sind. Onlinesein ist wohl einfach eine andere Neurose als Offlinesein.
Und schon sind wir mittendrin, in diesem Diskurs um die Freiheit und die Verfaßtheit, die irgendwie als Widerstreit immer wieder vor uns liegen. Im Grunde war es neulich, als wir zu Essen und Bier bei einem Freund saßen und alle möglichen Perspektiven auf die Freiheit durchdeklinierten. Natürlich ohne zu einem Ergebnis zu kommen. Von der Sicht auf den Staat, von der Sicht der Piratenpartei, USA vs. Europa, Solidargemeinschaft, soziale Sicherung und Freiheit. Etc.
Aber ich fang mal besser bei mir an. Denn das Thema beschäftigt mich seit einigen Wochen auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Im Grunde steht da erstmal so ein Gefühl, ein diffuses etwas. Nicht etwas völlig fremdes, aber doch noch niemals in dieser Intensität empfundenes. Ich fühle mich derzeit „frei„. Hier in Berlin, hier in meiner Lebenssituation.
Das Freiheitsgefühl resultiert meiner Meinung nach aus einer sich gegenseitig verstärkenden, gesellschaftlichen Resonanzschwingung. Ich fühle mich frei, weil mein Gegenüber, der Andere sich frei fühlt. Natürlich kann ich es nicht ausschließen, dass es meine nie überwundene Affinität zu Gefühlskitsch ist, aber ich verbleibe immer wieder gerührt, wenn Menschen auf der Straße tanzen. Ja, das tun sie hier in Berlin. Oft sogar (Gut, meistens besoffen, aus dem Club torkelnd. Aber nicht nur!).
Und ja, klar kann man immer meckern. Über die Hippies und die Punks mit ihren institutionalisierten Indiviualismusstrategien. Vor allema die Hipster und mit ihren weißrändrigen Sonnenbrillen. Über all die Leute, die ihre vermeintliche Idividualität als „crazyness“ stolz vor sich hertragen. Und all jene, die es sich zur Lebensaufgabe gemacht haben, von nun an mit all ihren Schwächen zu kokettieren. Aber! Trotz aller Pseudoesquität: das ist ein Ausdruck von Freiheit! Freiheit muss nicht originell und kreativ sein. Sie kann sehr banal und plakativ, ja, sie muss sogar peinlich sein!
Jedenfalls fühlt es sich ziemlich gut an, diese Freiheit, ist aber lange nicht so leicht zu erreichen, wie man denken möchte. Es sind ja meist die verborgenen Meschanismen in die Nischen unseres Alltags, die uns an die normativen Vorstellungen unserer Mitmenschen ketten. Foucault nannte diese Instanz unserem Kopf „die Regierung„. Sie erzeugt eben keinen externen, sondern einen internalisierten Druck zur Anpassung, von innen, aber durch kulturelle und gesellschaftliche Strukturen durchaus mit der Umwelt verbunden. Das Lieblingswort dieser Regierung ist das „man“ und der angestrebte Zustand ist „erwachsen sein„. In Berlin ist man diese Zwänge nicht los, aber doch sehr viel freier von ihnen. Es sind einfach zu viele Spinner hier. Zu viele, die nach eben jener Freiheit suchten. Der Druck ist nicht besonders groß, wie ich hier schon schrieb.
Wenn es denn aber ein „Gefühl“ von Freiheit gibt und Freiheit sich nur relativ erleben lässt, stellt sich die Frage nach der Freiheit in der Politik. Denn neben den Parametern der Freiheit, sowie der Komplexität ihrer Erlangung, die sich in den Jahren ja immer wieder wandelt, muss eben auch jenes Gefühl der Freiheit irgendwie taktgebend sein. Wenn sich z.B. ein Westerwelle immer wieder auf die stolz geschwellte Brust schlägt, wenn er betont, die FDP bilde mit der CDU das so genannte „bürgerliche Lager„, dann kann da etwas nicht stimmen. Egal, ob man „bürgerlich“ für sich positiv oder negativ konnotiert: es ist und bleibt eine normative Schablone, in die Individualität zunächst immer hinein gezwängt werden muss. Mit Freiheit hat das jedenfalls nichts zu tun.
Überhaupt schwingt bei dem Freiheitsgedanken bei mir auch immer das Problem der Zugehörigkeit mit. Letztens hab ich ein Interview mit der DDR-Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley gelesen, in dem Sie auf die Frage, warum sie nie in eine Partei eingetreten sei, antwortet:
Ich bin im Osten in keine Partei gegangen und will das auch jetzt nicht. Ich habe meine persönliche Freiheit immer mehr geschätzt als Parteidisziplin – auch im Westen.
Ja, mir geht das auch so! Ja, ich kenne viele, denen das auch so geht. Und nein. Wir werden per definitionem im allen Parlamenten nicht repräsentiert. Ein strukureller Fehler im System. Aber lassen wir das.
Wir haben ja einen Sommer hinter uns, der uns gezeigt hat, dass man sich nicht nur in Parteien engagieren kann. Eine Petition hat einen Strum ausgelöst. Lose aber effektive Bündnisse wie AK-Zensur und AKa-Vorrat haben jenseits der ausgetretenen Wege der etablierten Institutionen erstaunliches Geschafft. Nebenbei: Bitte geht alle, also wirklich ALLE (!!! Echt jetzt, das ist ungeheuer wichtig (!!! kein scheiß, ich will, dass Berlin aus allen Nähten platzt!)) auf die Demo am 12. September, 15:00 auf dem Potsdamer Platz:
Bitte komme mir keiner damit, dass man dem Staat schon vertrauen könne. Selbst wenn man diesen System nichts böses ansich zutraut, die Menschen sind Fehlbar. Oft sogar ganz doll beschissene Arschlöcher! Ein Rechtsstaat schützt da oft nur unzureichend. Gerade versucht eine Freundin von mir sich vor Gericht gegen die Vorwürfe zu verteidigen, sie habe auf der Demo zum G8 Gipfel Polizisten mit Steinen beworfen. Wer sie kennt, kann diese Vorwürfe nur als absolut lächerlich empfinden. Und dennoch wurde sie in erster Instanz verurteilt. Sie hat Berufung eingelegt, aber die Richter glauben den Polizisten mehr als ihr und ihren Zeugen, die sie durchaus hat. Was ich daran schlimm finde, ist, dass solche Geschichten mich wirklich einschüchtern. „Lieber doch nicht auf die Demo dort gehen, sowas kann mir dann ja auch passieren…“ Aber das darf auf keinen Fall passieren.
Was ich aber eigentlich erzählen wollte: ich bin ja orgamäßig auch auf diesem Atoms&Bits-Festival involviert. Ich hoffe wirklich, dass das gut wird. Ich weiß ja, dass gottseidank ganz viele schlaue Leute ganz doll am organisieren dran sind. Ich jedenfalls zeichne mich so ein bisschen verantwortlich für alles was dort unter dem Label „Politik“ von statten geht. Wir haben dann lange rumüberlegt, was man da machen könnte. Das Motto ist ja schließlich, dass wir, die coolen, kreativen Netzspackos irgendwie unser eigenes Ding machen und schon mal vorgehen.
Da ist mir dann eine Idee eingefallen, die Johnny Haeusler äußerte, als wir mit einigen dieser Netzaktivisten in der Kantine von diesen Bundestagshanseln saßen, nachdem die Netzsperrenanhörung gelaufen war. Er meinte, man müsse doch bei solchen Sachen, wo es um Freiheit und Unfreiheit unseres allseits geliebten Internets geht, doch besser organisiert auftreten. Es bräuchte da viel verbindlichere und wohlgeformtere Strukturen, als lose Aktionsbündnisse und Initiativen.
Ich bestritt das sofort und vehement. Auch in Blogform. Nur hilft es nichts. Natürlich stimmen meine Argumente weiterhin. Die Nichtrepräsentierbarkeit des Netzes ist weiterhin voll gegeben. Aber mit zunehmenden Umgang mit Medien und Politikern merke ich immer wieder: Die lechtzen geradezu nach einem Ansprechpartner. Einer Telefonnummer, die sie wählen können, wenn sie das Netz und seine Bewohner und ihre Forderungen nicht verstehen. Und obwohl ich das, was Sascha Lobo in die Kameras spricht, selten für völlig falsch halte, fände auch ich es super, wenn dort lieber direkt die Kompetenteren Spezialisten auftauchen würden. Ich will lieber Alvar Freude sehen, wenn es um Netzzensur geht. Ich möchte, dass Padeluun über die Gefahren der Vorratsspeicherung aufklärt, und so weiter.
Jedenfalls hab ich angefangen, darüber nachzudenken, wie man die Idee von Johnny, so umsetzen kann, ohne die Pluralität und die Freiheit dieser Initiativen einzuschränken. Und da kam mir die Idee einer API. Das kennen die meisten als Programmierschnittstelle, bedeutet aber in diesem Fall für mich, eine Art Information Hiding. Man reduziert die interne Komplexität eines Systems durch eine einfache Schnittstelle nach außen.
Wie sowas aussehen kann, will ich gerne auf dem Camp mit möglichst vielen der Aktivisten besprechen und bin deshalb gerade heftig am einladen. Das ganze berührt das Problemfeld von dem ich oben sprach sehr intensiv. Ich versuch das mal zu schematisieren:
Im Grunde kann man den Freiheitsgedanken schon mit dem Solidaritätsgedanken kontrastieren. Zum einen möchte ich immer genau das tun, was ich will und für richtig halte und mag mich nur ungern einem Sozialen Druck und einer Konvention unterordnen. Andererseits ist es häufig für alle Seiten besser, wenn jeder sich an bestimmte Regeln hält.
Meine Mutti brachte mir bei, dass man in UBahnen den Reflex sofort hineinzugehen unterdrücken soll, bis die Leute ausgestiegen sind. Als ich dann in Madrid eine Stadt erlebte, in der keine Mutti ihrem Kind sowas beigebracht hat, erkannte ich schnell die Mächtigkeit einer solchen, einfachen Konvention. Es macht wirklich für niemanden Sinn, einfach drauflos in die Ubahn zu stürmen. Das hat nichts mit Höflichkeit zu tun. Es ist einfach dumm und für /ALLE/ von Nachteil, wenn man einfach in die UBahn stürmt.
Zur Industrialisierung hat man herausgefunden, dass die Menschen mit Kapital, die anderen Menschen, die nur ihre Arbeitskraft haben, gehörig ficken können, weil die Kapitalisten immer den einen Arbeiter durch den anderen austauschen können, während der Arbeiter aber nicht die Freiheit hat, ein Angebot abzulehnen, weil es seinen Tod und den seiner Familie bedeuten kann. Wenn die Arbeiter sich aber organisieren, dann können Sie plötzlich ein gleichwertiger Verhandlungspartner werden. Der Arbeiter war durch die Bindung an eine Gewerkschaft eben Freier als vorher.
Solidarität kann also durchaus Freiheit bringen. Ich sage das auch mit Blick auf die USA, wo sich die Menschen gerade mit Händen und Füßen dagegen sträuben, dass Obama dort eine staatliche Gesundheitsvorsorge einführen möchte. Natürlich zwängt es einen jeden erstmal in etwas ein, dass er nicht kontrollieren kann. danach aber ist er freier als vorher. Diverse Schicksalsschläge können nicht mehr knall auf fall ein Leben bestimmen.
Jedenfalls ist das alles komplizierter als man denkt, mit der Freiheit. Freiheit ist deswegen auch vielleicht ein dämlicher Begriff. Heinz von Foerster formulierte wahrscheinlich in weiser semantischer Voraussicht folgenden „Ethischen Imperativ„:
Handle stets so, dass die Anzahl der Wahlmöglichkeiten größer wird!
[Fernseherwähnung: done!]
[Twitterlesungserwähnung: done!]
[Favchartserwähnung: done!]
[Berlin über den Klee gelobt: done!]
[Über FDP geläsatert: done!]
[Nicolesprozesserwähnung: done!]
[FreiheitStattAngstDemoerwähnung: done!]
[Atoms&Bitserwähnung: done!]
[über Freiheit geschwurbelt: done!]