(Ein Text von @sinasein und mir. Er wird parallel noch an anderen Stellen veröffentlicht, auf die ich dann an dieser Stelle hinweisen werde.)
Es war eine Mischung aus tieferem Interesse und kann-ja-nicht-schaden, die uns (Sina und mich) zum Treffen der Piraten-Berlin trieb. Vorausgegangen sind natürlich die hin- und hers der Blogdiskussionen über den Sinn und Unsinn der Piraten. Mit diesem Interesse sind wir nicht allein. Der Treffpunkt, das Cafe Breipott wurde quasi gesprengt. Etwa 70 Neupiraten und Interessierte drängelten sich zwischen Theke und Außensitzglegenheiten. Aber eine so schnell wachsende Bewegung ereignet sich nicht einfach so. Also, warum Piraten? Was ist die politische Funktion und warum braucht es sie gerade jetzt?
Die Piraten sind derzeit enorm öffentlichkeitswirksam. Eine von Schweden ausgehende Raubkopier-Interessengemeinschaft, die freibeuterisch für Ihre ‚Rechte‘ gegen die Urheberrechts-Musik-Lobby eintritt, ist zu einer europäisch (internaltionalen) Bewegung geworden. Aus dieser Bewegung haben sich schon in vielen Ländern Parteistrukturen entwickelt. Und plötzlich passiert in Deutschland alles gleichzeitig: Petitionseuphorie, SPD-Desillusionierung, Grüne Heuchelei und die Piraten mit einem sich abzeichnenden europäischem Wahlerfolg und schon erscheint die kleine, belächelte Splitterguppe als wählbare Alternative.
Fest steht: Außer der wachsenden aber immer noch kleinen „Internetelite“ versteht niemand so richtig worum es bei den Piraten geht. Im Leben der meisten Menschen hat das Internet wenig Priorität. Auch in der klassischen Medienwelt bekommen die Themen aus dem Netz kaum Aufmerksamkeit und noch weniger im politischen Betrieb. Seit Obama wird das Internet zwar als Allzweckwaffe und Wunder-Marketing-Instrument angesehen – verstanden, wurde es allerdings nicht. Aber die paar wenigen Leute haben es in wenigen Jahren geschafft, eine kolaborative Wissenform zu etablieren die nahe an dem dran ist, was man Informationsomnipotenz nennen könnte. Sie haben Kommunikationswege erschlossen, die jegliche Einschränkung zu überwinden im Stande ist und nicht nur autokratischen Systemen das Leben schwer macht sondern ganz aktuell dabei ist, eine Diktatur zu stürzen. Wir, die wir vorne daran partizipieren und mitgestalten, wissen um den Wert dieser Möglichkeiten. Wenn aber Politiker von diesem unseren Netz reden, fühlen wir uns in ein anderes Jahrhundert eines ganz anderen Planeten versetzt. Ja, es kommt uns vor, als würden die modernen Weber, diesmal mit guten sozialen und monetären Mitteln ausgestattet, zur Konterevolution rufen. Alleine das ist Grund genug, sich zu organisieren.
Dabei ist das politische Programm der Piraten eher schmal – Nur: wie einst die Grünen, versuchen sie den Sprung in das politische Rampenlicht mit einem Thema, dessen Wichtigkeit, zwar einige wenige (uns) tiefbewegt, die Politik aber ausblendet und die breite Öffentlichkeit gar nicht wahrnimmt. Bei den Grünen war der vereinigende Impuls, die Wut darüber, dass in politische Entscheidungen, die Umwelt keine Rolle spielt. Das hat sich in der Tat etwas geändert. Auf die Piraten übertragen, könnte man sagen, es geht darum das Netz in politische Entscheidungen einfließen zu lassen. Netzpolitik eben und keine rückwärtsgewandten Antinetz-Propaganda, die auch die klassischen Medien so gerne betreiben. Oder man sieht es anders und reduziert die Piraten auf Urheber-/, Patentrecht und Datenschutz. Im besten Fall sind aber auch damit ein notwendiges Korrektiv zur ausgedruckten Parallelrealität der Politiker. Mit der Piratenpartei, so könnte man sagen, haben die Politiker die netzpolitischen Themen auf dem sprichwörtlichen Zettel. Das Phänomen Piraten führt zudem einer breiteren Öffentlichkeit vor Augen führen, dass es durchaus politisch ungeklärte Angelegenheiten gibt, in ‚diesem‘ Internet. Es ist dabei kein Übel, dass sich die Partei von vornherein provokativ geriert: vom Name, der Entstehungsgeschichte bis zu sehr spezifischen Inhalten. Denn, wie die Zensursula-Debatte gezeigt hat, haben die anderen Parteien einen massiven Nachholbedarf. Nicht nur CDU und SPD, sondern auch unsere „neuen Freunde“, die drei Oppositionsparteien sind in ihrer Netzbekuschelung nicht hundertprozentig glaubwürdig.
FDP
Die FDP vertritt die Netzpolitik wohl nicht schlechter als die SPD, aber es gibt auch berechtigte Einwände.
Es ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass Guido Westerwelle für ein Ministeramt bereit wäre, jedes Bit der Festplatte seiner Mutter persönlich zum BKA zu tragen. Die Klientelpartei von Rechtsanwälten, Ärzten und vielleicht seit neustem auch Finanzhaien fremdelt mit der Netzwelt, wie die meisten Politiker. Das sieht man immer sofort auf den Demos. FDPler wirken da immer wie bestellt und nicht abgeholt, und das obwohl sie zum Demonstrieren extra ihre Krawatte im Büro gelassen haben. Natürlich gibt es Gegenbeispiele, aber für eine Unternehmenssteuersenkung von anderthalb Prozent, liegen die Grundrechte im Netz augenblicklich in Geschenkpapier eingewickelt bei Schäuble auf dem Schreibtisch. Mit Grußkarte!
Das ist sogar dann glaubwürdig, wenn man das hervorragende Abstimmungsergebnis der FDP (volle Breitseite Ablehnung, als einzige Fraktion) zum Zensurgesetz in die Rechnung einfließen lässt. Denn natürlich spricht man von zwei verschiedenen Parteien, wenn man sie aus der Opposition in den Kontext der Regierungsverantwortung setzt. Das gilt freilich nicht nur für die FDP. Leider zerstören Koallitionsverhandlung viele gute Vorsätze. Etwas Hoffnung macht die Basis und die scheint sich in der langen Oppositionszeit gestärkt zu haben. Es gibt Parteitagsbeschluss der Liberalen gegen die Internetzensur angestoßen von einem fast 80jährigen Intellektuellen Burkhard Hirsch (überrschend aber beides scheint es vereinzelt in der Partei zu geben, Senioren und Intellektuelle) und Maja Pfister, die im AK-Zensur mitmischt. Und plötzlich gibt es dann noch eine neue Seite, die Positionen zur Internetzensur sammelt. Sie sehen sich so gerne als Bürgerrechtspartei – Hoffnung bleibt bei den Liberalen also bestehen – nur reicht das nicht!
Die traurige Abstimmung im Bundestag zum Zensurgesetz fordert dazu auf, auch Grüne und Linke hier einer kritischen Betrachtung zu unterziehen.
Grüne
Die Grünen, das muss man ihnen zugestehen, haben sich enorm Mühe gegeben. Ihre Internetauftritte haben sicher mehr als alle anderen überzeugt. Leuten wie Bütikofer und Volker Beck ist eine wirkliche Begeisterung und tieferes Verständnis für die neuen Medien anzumerken. Auch haben sie sich die letzten Jahre Mühe gegeben, die Bürgerrechtslücke, die die FDP so kampflos hat brachliegen lassen, glaubhaft aufzufüllen. In den netzpolitischen Diskussionen der letzten Jahre stand sie – jedenfalls zu Oppsoitionszeiten – fast immer auf der richtigen Seite und warf sich mit Verve in die Bresche gegen Vorratsdatenspeicherung und Zensurgesetz.
Doch ach! Die Abstimmung im Bundestag brachte es zu Tage: Obwohl die Parteiführung einen auf superhipp macht und die neuen Technologien umarmt, ist das nicht bei allen Grünen so. 15 Enthaltungen sind ein klares Bekenntnis zum Umfallen. Es gibt eben bei den Grünen auch Menschen mit einem tief sitzenden antitechnologischen Reflex. Menschen, die sich unter Tische werfen, wenn sie mitbekommen, dass irgendwo ein W-Lan strahlt. Leute, die Handys als mindestens den Untergang des Abendlandes betrachten, weil sie mediale Kommunikation per se als entfremdet empfinden. Die es als Körperverletzung verstehen, wenn man in ihrer Nähe einen Laptop aufklappt. All das gibt es bei den Grünen zu Hauf. Und viele dieser Menschen würden mit Freuden das Internet verbieten, ob mit Kinderporno oder ohne. Sie sind sicher nicht die Mehrheit, klar, aber eine bedeutende Minderheit, die den Grünen, so sehr es die einzelnen vernünftigen Mitgliedern auch versuchen, einen Strich durch die Rechnung machen werden, die Internetpartei zu werden.
Die Linke
Die Linke hat sich während der Zensurgesetzdebatte besonders intensiv bei den Internetnutzern eingeschleimt. Keine Partei hat so gekonnt und informiert aus den wichtigsten Blogs, Mailinglisten und Wikis zitiert. Keine Partei hat so konkret und kompromisslos die Linie der Netzpublizisten vertreten. Das ist natürlich schmeichelhaft für uns, wenn Netzpolitik.org im Bundestag zitiert wird. Nur, ich glaube, hier ist das Bekenntnis zu netzpolitischen Werten noch viel vereinzelter als bei den Grünen. 17 der Abgeordneten hielten es nicht für nötig, ihre Stimme überhaupt abzugeben. Auf ihre Verlässlichkeit in Sachen Bürgerrechte mag ich nicht mal 4 Cent wetten.
Kein Wunder. Dass die Linke eine auch nur entfernt liberale Tradition pflegt, kann man aufgrund ihrer Herkunft schon mal beherzt verneinen. Dazu kommt das durchschnittliche Alter, vor allem der Basis. Natürlich weiß ich auch, dass es einen ziemlichen Zulauf von jungen Leuten in die Partei gibt, die durchaus gewillt sind, eine moderne linke Politik in die Partei hineinzutragen. Nur ist das eben noch nicht ausreichend der Fall. Auch in der Parteispitze ist niemand, dem ich abnehmen würde, dass er auf die Freiheiten im Netz auch nur einen Pfifferling geben würde. Ich bin mir sehr sicher, dass die Linke in der Regierung kein nennenswertes Hindernis wäre, sobald es darum ginge, eben all jene Freiheiten einzuschränken, die uns wichtig sind.
Neben dem natürlichen Feind des Internets, der CDU, hat die SPD ihre Totalausfallqualitäten ja zu genüge zur Schau gestellt. Und wenn man, wie wir überzeugt sind, dass man keiner der Oppositionsparteien weiter trauen kann, als die Leutheusser-Schnarrenberger Wolfgang Schäuble samt Rollstuhl werfen kann, braucht es eine unverstellte Stimme, die unsere Interessen kompromisslos formuliert, egal wie laut oder leise sie ist.
Die Piraten
So wie es Blogs braucht, weil die klassischen Medien gerade in diesem Fall versagt haben, braucht es die Piratenpartei für die Politik. Ebenso wie Blogs kann sie die Öffentlichkeit nicht direkt wandeln. Aber sie kann wie Blogs Druck auf die etablierten Strukturen verursachen. Aber das ist mehr als nichts, dieser Hebel ist nicht zu unterschätzen. Und vor allem ist er mehr als notwendig.
Nein, wir brauchen nicht einfach nur die Piratenpartei. Wir brauchen auch die Piraten in der SPD, bei den Liberalen, bei den Grünen und auch bei den Linken. (Fraglich ist, ob es die Piraten auch in der Union geben muss. Oder die Satanisten in der Katholischen Kirche) Aber es braucht eben auch die Piraten als eigene Partei. Einfach um Flagge zu hissen. Denn erst wenn die anderen Parteien diese Flagge am Horizont auftauchen sehen, werden die Mathias Richels und Björn Böhnings auch parteiinternes Gewicht bekommen. Wie so oft in der Geschichte, muss man meist „Revolution“ schreien, um zumindest eine Reform zu bekommen. Die Guillotine könnte man dieses mal ja im Keller lassen.
Die Piraten oder das Engagement in den etablierten Parteien ist keine Frage des entweder-oder, sondern des sowohl-als-auch! Also macht was ihr könnt, wo ihr wollt!
Parteien
Noch ein Kurzer Nachtrag zu dem Thema Parteien. Natürlich hat sich unsere Abneigung, die im übrigen zur Zeit von vielen Seiten vor gebracht wird. gegen parteiförmige Organisationsstruktur nicht in Begeisterung für die Piraten aufgelöst. Die Vorbehalte gelten weiterhin und vollumfänglich. Nur wissen auch wir, dass das politische System nicht von heute auf morgen geändert werden kann. (In Sachen Postparteienstaat haben wir übrigens sehr interessierte Mitstreiter unter den Piraten gefunden). Die derzeit immer heftiger werdenden Kulturkämpfe um das Internet machen es notwendig, so schnell wie möglich ein brauchbares Gerüst für eine neue Politik aufzustellen. In einem Parteienstaat wie Deutschland ist die Parteigündung nun mal der zentrale politische Akt der Willensartikulation. Die Piratenpartei dient als Referenz, mit der wir innerhalb des bestehenden Demokratieinterface unsere Interessen artikulieren können.
Doch sehen wir auch die Gefahren und Nachteile. Eine zu sehr erstarkende und sich im Anschluss institutionalisierende Partei kann – wiederum ebenso wie die Grünen – selber zum systemstablilisierenden Element verkommen. Und dabei alle die Kräfte auffressen, die sich eigentlich auch für grundlegendere „Reformen“ engagieren würden. Derzeit kann die Piratenpartei nur eine Protestpartei sein und das ist auch gut so. Sie soll das etablierte System etwas irritieren und es unter Druck setzen. Es soll Interessen bündeln und schlagkräftig vertreten. Deswegen verdienen die Piraten mindestens Sympathien und unterstützende Unterschriften für die Zulassung zur Bundestagswahl.