AI – drei Filmkritiken

ACHTUNG SPOILERWARNING!! ACHTUNG

Ich habe AI damals nicht im Kino gesehen. Auch als er auf Video herauskam, habe ich es immer versäumt ihn nachzuholen. Ich schätze, jeder hat eine ganze Handvoll solcher Filme auf der Liste. Filme, die man immer schon mal sehen wollte, aber seit Jahren verrafft, sie auszuleihen.

Nachdem ich vorgestern zufälliger Weise durch Plomlompom (hier sein Gehirn) wieder auf diesen Film gestoßen wurde, hab ich ihn mir gestern kurzerhand ausgeliehen. Ich muss sagen: Ein ganz und gar bemerkenswerter Film.

Im Grunde besteht der Film aus drei Teilen, die nicht zueinander passen wollen. Jeder der drei Teile hätte von einem ganz anderen Regisseur sein können. Aber nein, sie sind alle von Steven Spielberg.

Das ist auch so eine Sache: Spielberg greift hier eigentlich eine Geschichte auf, der sich sein damals kürzlich verstorbener Freund Stanley Kubrick verschrieben hatte. AI ist also eigentlich ein konzeptionell bereits fortgeschrittenes Kubrickprojekt, umgesetzt von Spielberg. Kubrick und Spielberg – auch zwei ziemliche Unvereinbarkeiten, wie wir sehen werden.

Aber fangen wir mit dem ersten Teil an:

Der kleine David, erster Kinderrobotter der Welt, ausgestattet mit der Fähigkeit zu lieben, kommt in eine Familie. Die schafft es nach einigen Anlaufschwierigkeiten, David lieb zu gewinnen. Doch dann erwacht der eigentliche Sohn der Familie aus seinem Koma und es entspinnt sich ein fast typisch brüderliches Eifersuchts- und Intrigenszenario zwischen den beiden. Allerdings mit dem Handycap für David, weil er als „anderer“, nämlich künstlicher Junge, im Zweifel immer das Mißtrauen der Eltern auf sich zieht. Natürlich verliert David diesen ungleichen Kampf und wird schließlich ausgesetzt.

AI zeigt sich bis hier also als ein sehr ernsthafter Film, der ein tatsächlich interessantes psychologisches Setting bietet und sich daran auch gekonnt und alles andere als oberflächlich abarbeitet. Solides Kino, sehr mitreißend erzählt und recht tiefgründig in seinen Analysen. Das ist Spielberg aus „Schindlers Liste“, „Die Farbe Lila“ oder „Das Reich der Sonne“.

Doch dann kommt der zweite Teil:

Ausgesetzt findet sich David in einer androidenfeindlichen Umwelt wieder. Nachdem er von Roboterjägern in mittelalterlicher Mannier beinahe öffentlich hingerichtet worden wäre, schließt er Freundschaft mit einem völlig flippig daherhampelnden JudeLawBot, der freiberuflich Frauen besteigt. Die Figur könnte, bis auf den Sexbezug, auch aus einer Disneykomödie entstammen und hat mindestens den intellektuellen Charme von Jar Jar Binks. Die beiden fahren zusammen in eine Stadt, die aussieht wie die Las Vegas auf Speed und holen sich Rat bei einem, naja, Orakel, das irgendwie an Microsofts nervende Büroklammer erinnert – nur in 3D. David, so muss man nämlich wissen, ist schließlich auf die Liebe zu seiner Mutter fest programmiert, und kann nicht davon lassen. Seim Plan ist nun die blaue Fee, von deren Existenz er im Märchen Pinocchio erfuhr, zu finden, damit sie auch aus ihm einen Menschen zaubere, einen „echten Jungen“, natürlich um das Herz seiner Mutter zurück zu erobern.

Es ist wirklich ein ganz anderer Film. Auch ein ganz anderer Spielberg. Es ist ein buntes, actionreiches Popcorn-Trallala. Ein lustiger Roadmovie mit schrägen Charakteren. Temporeich inszeniert, sich selbst plötzlich gar nicht mehr so ernst nehmend, ja, beinahe albern. Und damit aber das Gegenteil vom ersten Teil. Das hier ist der Spielberg aus „Catch me, if you can“ und „Hook“. Es ist ein völlig anderer Film, ein völlig anderer Spielberg, aber immerhin noch ein Spielberg.

Aber dann kommt der dritte Teil. VORSICHT: GANZ DICKER SPOILER!

Der Liebeskranke David fliegt mit dem JudeLawBot an’s Ende der Welt, na?, genau!, Manhatten, das seit dem Abschmelzen der Polkappen ja unter Wasser steht. In einem aus dem Wasser ragenden Wolkenkratzern residiert aber tatsächlich das Labor, das David erschuf, was er dann statt der blauen Fee findet. Nachdem er erschrocken feststellt, dass er bereits in Massenproduktion hergestellt wird und sich daraufhin in die Fluten von Manhatten stürzt, findet er in einem „versunkenen“ Themenpark, der auch eine Pinocchio-Ecke beherbergt, eine Statue der blauen Fee. Die bittet er nun, ihn doch in einen Menschen zu verwandeln. Und nochmal. Und nochmal. Dann wieder. Und wieder. Und wieder. Genau genommen etwa 2000 Jahre lang.

Die Welt, mittlerweile eine einzige menschenleere Eiskugel, wird nun von spindeldürren, außerirdischen Hobbyarchäologen ausgegraben – so auch David. Die Außerirdischen wollen endlich mal sein bestes und arrangieren ein eintägiges Treffen mit seiner Mutter, die sie dafür Extra aus ihrer DNA generieren und ihr Gedächtnis irgendwie aus dem Universum zusammenfriemeln und einpflanzen. Nach diesem einem Tag, Davids schönsten Tag seines Lebens, ist sie leider tod, weil, naja, vermutlich weil das so im Drehbuch steht und der Film ist endlich vorbei.

Tja. Was war jetzt das? Ganz klar, jedenfalls schon mal wieder ein ganz anderer Film als die beiden ersten Teile. Die Story artet aus, sie flippt vollkommen rum, wird immer löchriger in ihrer Evidenz, immer waghalsiger in ihren Sprüngen, immer wahnsinniger in ihren Widersinnigkeiten. Der Film überbietet sich im letzten Teil alle 10 Minuten selbst in seinem apodiktischen Schwachsinn. Er entgleitet vollkommen in einem absurden Kitschtheater. Das hier ist auch nicht mehr Spielberg, der eigentlich die geraden Geschichten liebt, dessen Filme alle einen gefälligen Spannungsbogen verfolgen.

Es ist Spielberg schon noch in den einzelnen Szenen und der Inszenierung, der Aufmachung und der Bilder. Aber die Story und ihr Entgleiten, das ist Kubrick. Hier schmeckt man ihn raus, wenn man darauf achtet. Wenn man hinter die spielbergschen Bilder schaut. Kubrick hat hier eine Vorlage abgeliefert, an der Spielberg leider gescheitert ist. So muss man das wohl sagen. Aber kreativ gescheitert.

Natürlich hätte man dieses wirre Ende in rauschhaften Fieberträumen inszenieren müssen, wie Kubrick seine Filme oft zerfasern lässt. Aber da kommt Spielberg leider eben nicht aus seiner Popconigkeit raus. Wenn er im Drehbuch von einem kleinen Roboterjungen liest, der seine Mutter vermisst, kann Spielberg scheinbar gar nicht anders, als da typischen Tränendrüsenmomente daraus zu schaffen. Nur in Kombination mit Kubricks Übersteigerungslogik wird das ganze zur Kitschgrotesken (und hat dabei witziger Weise ein paar Lars-von-Trier-Momente)

Aber Kubrick, das merkt man an dem Plot sogar durch die meterdicke, spielbergsche Makupschicht hindurch an, wollte hier eigentlich den Wahnsinn der westlichen Sicht auf die Liebe zeigen. Er wollte zeigen, wie wahnsinnig dieser uralte romantische Gedanke der „ewigen Liebe“ ist, wenn er tatsächlich umgesetzt wird. Er wollte die Idee der „ewigen Liebe“ dekonstruieren. Kubrick ist ein Mythenbrecher, Spielberg ist Mythenbediener. Also was macht Spielberg? Er versucht noch die Sehnsucht nach dieser Liebe zu bedienen, mit den üblichen, gefälligen Bildern und schafft es nicht das Liebes-Thema zu brechen und so die Anthropologie Kubricks auszuführen, sondern begräbt sie in einen immer währenden und sich stetig ins absurde steigernden Kitschberg.

Das wirkt dann aber wiederum so grotesk und bizarr, dass es fast wieder interessant wird. Es wäre sicherlich ein völlig anderer Film geworden, wenn Kubrick ihn gedreht hätte, vermutlich ein großes Meisterwerk, aber auch so ist es ein interessantes Experiment geworden. Die Verknotung zweier filmischer DNA-Stränge. Ein gescheiterter Mindupload. Die Ruine eines Denkmals.

Ein enthusiastisches und ein banges Auge auf den Mob

//*** UPDATE : www.dresden-nazifrei.de/ ist tatsächlich down. Waren wir mit den Mirrors also gerade noch rechtzeitig. ***//

Ohne heute in große theoretische Schwärmerei zu verfallen, muss hier kurz eine kurze Geschichte verbloggt werden, die nur das Internet schreiben kann.

Nachdem ich heute las, dass das LKA die zentrale Website des Widerstands gegen die Nazidemonstration in Dresden (www.dresden-nazifrei.de/) sperren lassen will, überkam es mich und ich rief ganz spontan dazu auf, die Website zu spiegeln. Digitaler ziviler Ungehorsam, sozusagen. Das ganze fand erstaunliche 15 und sogar viel mehr (Twitter zählt nicht alles) Retweets, fand also innerhalb von Minuten eine Verbreitung die fünfstellig sein dürfte.
Bildschirmfoto am 2010-01-23 um 18.28.12

Und Tatsächlich. Es dauerte kaum eine Stunde und schon waren die ersten Freiwilligen gefunden. Und keine zwei Stunden später war die Komplette Seite zwei mal gespiegelt.

Ehrlich! Ich finde das toll und es zeigt mal wieder, was für ein geniales Instrument der Zivilgesellschaft mit dem Internet in die Hände gelegt wurde. Es gibt aber auch Einwände.

Leider muss ich einschränkend sagen, bin ich gerade nicht ganz glücklich mit meinem eigenen Vorgehen. Der Aufruf war wie gesagt spontan, aus so einem: das-können-wir-uns-nicht-gefallen-lassen-Aktionismus heraus. Bei genauerem Nachdenken hätte ich die Betreiber zunächst mal kontaktieren sollen und die Idee mit ihnen absprechen. Ich hab aber erst die Mail losgeschickt, als die Lawine schon in’s rollen gekommen war. Leider habe ich auch noch keine Antwort.

Die zweite Sache ist, dass alle Meldungen zu der Sperrung nur auf dieser Mitteilung basieren, die selbst von keiner unabhängigen Quelle stammt und in der es weder vom Betreiber selbst, noch vom Provider, noch vom LKA eine konkrete Quelle gibt. Ich hab zwar in der genannten Mail die Betreiber dazu befragt, aber eben noch keine Antwort.

Journalistisch gesehen, war mein Vorgehen also höchst zweifelhaft. Ich sage das vor allem deswegen, weil mir diese Macht, die sich heute wieder eindrucksvoll zeigte, auch bisweilen etwas Angst macht. Jedenfalls hat sich diese von mir losgetretene Welle angesichts der dürren Informationslage auch etwas komisch angefühlt. Ich hoffe nicht, dass ich die Aktion demnächst bereuen muss.

Ich mein ja nur.

Jedenfalls hoffe ich auf einen positiven Bescheid der Dresdenaktivisten zu dieser Sache und dass das ganze irgendwie geholfen hat oder helfen wird. Ich nehme an, dass wir, ich nenn’s mal: politische Internetnetzwerk, die Power haben, diese Seite über Wochen online zu halten auch wenn das LKA jeden Tag eine neue Sperrverfügung zustellte.

Clinton: We, Google

Da hebt man sehr vorsichtig eine als solche gekennzeichnete Hypothese in den Raum, wird auch noch von allerei Seiten dafür beschossen und ein paar Tage später ist es offiziell.

Wie vermutet, war der Rückzug aus China alles andere als Hals über Kopf. Im Gegenteil, er ist eng mit der US-Regierung abgestimmt gewesen. Das hat man sich ja schon denken können, als kurz nach Googles Bekanntgabe verlautbart wurde, dass Clinton zu der Thematik eine Grundsatzrede halten wolle. Nun. Gestern war es so weit. (hier die ganze Rede als Video und verschriftlicht)

Kurz nochmal zu meiner These: Google ist zwar bereit, sich aus China zurückzuziehen, aber nicht aus dem chinesischen Markt. Sie werden statt dessen mit ihren Ingenieuren Mittel und Wege finden, die chinesischen Zensurmaßnahmen zu unterwandern. Und zwar großflächig zu unterwandern, so dass möglichst jeder Chinese Google nutzen kann. Und zwar einfach, in dem man Server und/oder Software dafür bereitstellt, jede Filterung mithilfe von Verschlüsselung und Anonymisierung zu umgehen. Indem sie also einfach Antizensurpacks bereitstellen, ohne sie jetzt offensiv in China verteilen zu müssen. Das hätte natürlich zur Folge, dass Google eine zensurfreie Suchmaschine anbieten kann und damit langfristig seinen Marktanteil in dem bald größten Onlinemarkt der Welt sichern kann. Und zwar viel besser als vorher.

Hier und auch hier habe ich solch ein Vorgehen allerdings davon abhängig gemacht, dass die US-Regierung dem ganzen Rückendeckung gibt. Denn solch ein Eingriff wäre ein Angriff eines Unternehmens auf die staatliche Souveränität von China. Und die werden sich wo beschweren? Richtig.

Jedenfalls scheint jetzt mit dieser Rede, genau diese Rückendeckung für Google offiziell: Ich nehme mir mal die Freiheit die entscheidenden Teile der Rede zu übersetzen:

We are also supporting the development of new tools that enable citizens to exercise their rights of free expression by circumventing politically motivated censorship.

Irgendjemand könnte auf die Idee kommen, die chinesische Zensur mit Hilfe von Tools zu umgehen. Wir unterstützen Google die dann dabei. Politisch.

Both the American people and nations that censor the internet should understand that our government is committed to helping promote internet freedom.

Hallo China! Ja, ihr, genau Ihr. Ja, du auch Iran. Wir lassen Google auf Eure Internetzensnsur scheißen. HAHA! Das hilft Google in euren aufstrebenden Märkten doch noch erfolgreicher zu sein und uns, mißliebige Regime aus der Welt zu schaffen. Also Euch! Haha! WinWin, nennen wir das!

The most recent situation involving Google has attracted a great deal of interest. And we look to the Chinese authorities to conduct a thorough review of the cyber intrusions that led Google to make its announcement. And we also look for that investigation and its results to be transparent.

Naja, seid ihr doch selber Schuld! Wenn ihr die Souveränität unserer Wirtschaftskonzerne nicht achtet, dann passiert das eben auch mit eurer! Ich mein, wer wird schon erwarten, dass ihr irgendwas transparent aufdeckt? Eben. Nee, nee. Google, also wir, werden uns wehren!

Now, the United States and China have different views on this issue, and we intend to address those differences candidly and consistently in the context of our positive, cooperative, and comprehensive relationship.

Sorry Leute, klar, das wird hart für euch. Aber vielleicht seid ihr ja gar nicht sooo sauer, wenn ich unsere sonstige Zusammenarbeit in den Himmel lobe? Na?

And censorship should not be in any way accepted by any company from anywhere. And in America, American companies need to make a principled stand.

Wir definieren hiermit den moralischen Standard in Sachen Zensurunterordnung von Firmen. Das ist zwar erst möglich, seit Google sich so pathetisch auf die Brust geschlagen hat, aber nun sei’s so! Vor allem aber definieren wir das ganze als amerikanisch, damit wir uns alle um Google scharen können, wenn die Kritik zu laut wird. Google ist Amerika, Amerika, du bist Google! Kämpfe für uns, Deine Investoren, und die Meinungsfreiheit!

Willkommen im neuen Zeitalter!

Googles schwieriges Verhältnis zur Macht

Ein guter Bekannter von mir arbeitet bei Google. Die wenigen Male – aber doch immer mehrmals im Jahr – wenn wir uns zu bestimmten Geburtstagen und sonstigen Gelegenheiten sehen, fangen wir an, zu diskutieren. Ich komme dann meist mit meiner leicht überschwänglichen Begeisterung für die neusten Google-anoucements aber konfrontiere ihn nach einiger Zeit mit der Macht von Google, die mir immer ungeheuerlicher wird. Und all die Jahre lächelt er dann nur und meint meine Bedenken mit dem Satz wegwischen zu können, dass Google ja nur Geld verdienen wolle. Da gäbe es überhaupt keinen Willen zur Machtausübung, im Gegenteil. Man wolle sich aus allem politischen so weit es gehe heraus halten.

An seine Worte musste ich denken, als ich gestern den Text von Chrisoph Kappes auf Carta las.

Auch wenn jetzt nicht so wahnsinnig viel neues drin steht, stellt Kappes die Debatte um Google auf ein sehr plausibles Argumentationsgerüst. Zusammengefasst kann man sagen, dass Google eben ein neuartiger Player auf dem Werbemarkt ist und dass sich all seine Projekte, Engagements und Dienste langfristig – eben rational – auf dieses Kerngeschäft beziehen lassen. Dabei ist vieles, was derzeit als problematisch angesehen wird, gar nicht problematisch, wenn man es in diesem Kontext betrachtet.

So sehr ich diese Betrachtungsweise auch unterstütze (Google ist ein wirtschaftliches Unternehmen und man kann seine Handlungen nur so stringent erklären); sie allein greift zu kurz. Man kann zwar mit Hilfe einer wirtschaftswissenschaftlichen Analyse die Intentionen Googles freilegen und somit alles, was vorher chaotisch, ja befremdlich und unkontrollierbar wirkt, in eine verstehbare und für jeden nachvollziehbare Erzählung überführen, aber man hat damit der Machtgeschichte Googles noch lange nicht Rechnung getragen. Denn hinter Machtakkumulationen muss nicht nötigenfalls eine ebensolche Intention stehen. Das passiert machmal auch ganz von alleine.

Google häuft Macht an, auch ohne, dass es sie will. Im Gegenteil: eines der ganz großen Probleme ist, dass Google seine eigene Macht

1. gar nicht wahrhaben möchte (denn damit wären berechtigte Forderungen nach gesellschaftlicher Kontrolle und Teilhabe sofort auf dem Plan, die dem tatsächlichen, primären Ziel der langfristigen Gewinnmaximierung im Wege stünde)
2. und deswegen bis heute auch keine Strukturen geschaffen hat, damit umzugehen, bzw. diese auch auszunutzen.

Aber zurück zu Kappes Text: Zu dem Vorwurf, dass Google ein „quasi staatliches Gebilde“ sei, erwidert Kappes lapidar:

Falsch ist, dass Google ein quasi-staatliches Gebilde ist, denn nach Robert Jacksons Begriffsprägung fehlt es sowohl an der empirisch-faktischen als auch an der juristischen Staatlichkeit.

Das ist reine Begriffsreiterei. Natürlich meinen die Kritiker nicht: „strukturiert und legitimiert wie ein Staat„, sondern eine „hoheitliche Machtfülle im staatsähnlichen Ausmaß„.

Diese Frage ist nicht neu. Immer wieder wird betont, dass Facebook die 5. größte Nation der Erde sei, sofern sie eine wäre. Google hat weit aus weitreichendere Fühler und komplexer aufgestellte Machtzentren als Facebook (wie ich noch zeigen werde), aber bleiben wir kurz bei Facebook als Beispiel, weil ich da gerade betroffen bin:

Facebook kann User ohne genauere Angabe von Gründen suspendieren, ihren Account disablen. Das ist zunächst eigentlich ihr gutes Recht (in Deutschland gott sei Dank nicht, aber lassen wir das erstmal bei Seite), aber es wird eben dahingehend problematisch, da große Teile der Gesellschaft zunehmend über Facebook kommunizieren. In meinem Fall trifft das zwar nicht zu, aber es gibt bereits einige Millionen Nutzer, deren Grundrechte mit einem Ausschluss aus Facebook empfindlichst berührt werden: Nämlich dem Grundrecht auf Teilhabe am gesellschaftlichen Diskurs.

Man kann zwar argumentieren, dass das ja auch über andere Kanäle gehe, kommt aber dort an seine Grenzen, wo es nun mal faktisch so ist, dass der Freundeskreis weiterhin auf Facebook kommuniziert, auf dem der Betroffene ausgeschlossen bleibt. Sein Menschen- und Bürgerrecht ist nicht unerheblich bedroht, durch dieses rein wirtschaftliches Unternehmen, dass nicht im Interesse von Macht, sondern Geld handelt.

Was ist hier passiert? Im Grunde das selbe, wie bei dem „to big to fail“ der Banken. Facebook hat eine nichtstaatliche Infrastruktur bereitgestellt, die so erfolgreich ist, dass die Gesellschaft und im Zweifel der einzelne, davon abhängig ist. Auch wenn Facebook als Unternehmen und Software grundsätzlich ersetzbar ist, ist es aber nunmehr die Infrastruktur, auf der sich ein großteil des sozialen Lebens abspielt und zwar von nicht ganz unerheblichen fast 400 Millionen Menschen.

Kommen wir also wieder zurück zu Google. Google tut genau dies in noch krasserem Ausmaß: Es stellt Infrastruktur zur Verfügung. Es tut es zwar mit dem Ziel, die „Werbefläche Internet“ weiter auszubauen und so mit ihr wirtschaftlich mitzuwachsen, aber es hat eben den Seiteneffekt, dass dadurch faktische Abhängigkeiten geschaffen werden.

Google entwickelt unentwegt Systeme, Dienste und Programme, die nicht nur die Konkurrenz alt aussehen lassen, sondern bringt diese Systeme dann auch noch kostenfrei für jedermann unter das Volk. Das schafft eine menge Komfort aber eben auch Abhängigkeiten, ob Google will oder nicht. Ich habe beispielsweise einen Großteil meiner Texte auf Googledoc, meine Mail läuft seit neustem auf Googlemail und ohne Maps wäre ich aufgeschmissen. Und das ist erst der Anfang.

In anderen Feldern geht Google grundsätzlicher und deutlicher in die Infrastruktur. Es schafft Nameserver, die für alle eine alternative bilden, deren Internetprovider Domains sperren. Es ist bereits dabei ein eigenes Netz zwischen seinen Datencentern zu etablieren. Es ist dabei nicht auszuschließen, dass diese Arbeit weitergeht, die letzte Meile bis in die Haushalte. Wirtschaftlich, langfristig hätte Google dazu allen Grund. Google hat bereits San Franzisco testweise mit Wlan ausgestattet und fängt nun an, Accesspoints auf Flughäfen zu Installieren. Man versucht außerdem Voicedienste an den Telkos vorbei anzubieten. Heute schon geht das halbe Internet nicht, wenn Googleanalytics schnupfen hat. Mit Googlebooks wird demnächst das Äquivalent zur Stadtbücherei weltweit alle geschriebenen Informationen für alle umsonst anbieten. Und das alles ist nur ein Ausschnitt der „quasi öffentlich/hoheitlichen“ Aktivitäten von Google.

Grundsätzlicher kann man das historisch so zusammenfassen: Die Gesellschaft hat sich global gewandelt. Noch vor kurzem waren alle menschlichen Kommunikationen an mehr oder minder stoffliche und räumliche Infrastrukturen gebunden, die alle samt der Obliegenheit – zumindest aber der Kontrolle – des Staates unterstehen. Die meisten sozialen Interaktionen finden aber heute im Internet statt. Das was (natürlich unter anderem) die Aufgabe des Staates in der Kohlenstoffwelt war, nämlich für die Infrastruktur dieser menschlichen Interaktion zu sorgen (Öffentliche Räume, Schulen, Bibliotheken, Straßen, Register, Verwaltung), für all das gab es im diesem neuen sozialen und globalen Raum des Internets noch keine Entsprechung. Bis Google – jaja, durchaus im Eigeninteresse – diese Aufgabe (ohne das freilich so zu sehen) übernahm.

Google hat sich zur strukturellen Macht im Internet gemausert. Ohne seine Macht – allerdings – wirklich zu gebrauchen. Aber das ist erst der Anfang. Wenn Google seine Infrastrukturprojekte weiter vorantreibt wird es bald kaum einen Flecken im Internet mehr geben, an dem Googletechnologie entbehrlich würde. (Sie sind jetzt schon rar geworden).

These: Je mehr menschliche Interaktion aus der Kohlenstoffwelt in das Internet ausgelagert wird, desto mehr Macht verlieren die Staaten und sie verlieren sie derzeit vor allem an Google.

Bisher war es tatsächlich so, dass Google seine Macht nicht nur nicht ausgenutzt hat, sondern sie, wo es ging, wehement bestritten hat. Was mich an dem Beispiel China so hat aufschrecken lassen, ist, dass es wie ein Bruch mit dieser Policy klingt.

Und wenn ich recht habe – und gerade aus betriebswirtschaftlicher Sicht macht es hier Sinn, das habe ich hier ja erläutert – dass Google in diesem Fall seine Macht bewusst einsetzt, erleben wir – nicht die Quasinationalität (dieser Begriff führt tatsächlich in die Irre) – aber immerhin eine postnationale Macht. Denn sollte der Machtanspruch Googles für das Internet am Beispiel von China tatsächlich derart offen artikuliert werden, haben wir ein großes Souveränitätsproblem in Sachen Internetgesetzgebung. Weltweit.

Natürlich – ich kann das nur wiederholen – kann ein derartiges Vorgehen nur unter Billigung der US-Regierung geschehen. Deswegen ist es „postnational“ auch nur mit Einschränkungen. Aber sicher mehr als nur der erste Schritt dahin.

Google wäre somit für die USA das, was die Westindien-Kompanien der europäischen Kolonialstaaten waren. Ein eigentlich an Wirtschaftlichkeit orientiertes, transnationales Unternehmen, dass aber durch die Hintertür der Erfüllungsgehilfe zur Durchsetzung von geostrategischen Machtansprüchen ist. Ein politisch/wirtschaftliches Jointventure zum beiderseitigen Interesse und auch noch im Namen der guten Sache (gegen Zensur/für Meinungsfreiheit).

PS: (Die Macht von Google geht natürlich noch weiter. Vor allem über das Individuum. Mit delikaten Informationen erpressbar wären schließlich mindestens die Hälfte der vielen hundert Millionen Googleaccountnutzer. Aber so weit muss man ja gar nicht gehen. Es würde außerdem Googles langfristiges Interesse an Profit gefährden.)

PS2: (Aber falls Google sich machtpolitisch aus seiner Verweigerungshaltung hinaus begibt, wonach es aussieht, werden die Rufe nach Vergesellschaftung nur umso lauter. Google reagiert jetzt schon darauf, indem es viele seiner kritischen Softwareprojekte open source veröffentlicht. Chrome, Wave und viele andere Projekte werden von Google zwar voran gebracht, aber sodann gleich vergesellschaftet. Als würde man sich von dieser Brüde befreien wollen. )

PS3: (Das passt aber voll in Googles Strategie. Google wird noch viel damit zu haben, Macht loszuwerden. Sie werden vermutlich überall, wo sie es nur können, Macht abfließen lassen. Das Verhältnis von Google und Staaten wird aber ein spannendes bleiben. Denn sehr oft handeln Staaten gegen die Interessen von Google. Google hat gerade damit angefangen, sich das nicht mehr gefallen zu lassen.)

Offene Mail an Facebook

Hi,

i’m known as Mspro Dings in the internet. You disabled my Account for (in Germany) illegal reasons. Your Terms of Service, which says, that the user has to register with true name, violates german law ( § 13 Absatz 6 des Telemediengesetz (TMG)) http://www.gesetze-im-internet.de/tmg/__13.html

So, I appeal to you, to reactivate my account. If not, I will contakt the „Verbraucherschutzzentrale“ and other institutions.

best,

mspro dings

Sueddeutsche.de

Ganz ehrlich? Ich hab keine Ahnung. Nicht einen blassen Schimmer, hab ich! Ich weiß nicht, wie Verlage das Internet überleben sollen. Klar, ich finde guten Journalismus wichtig und wenn überhaupt, würde auch ich ihm die höchste Überlebenschance zusichern. Aber wisst ihr, was ich glaube? Die Welt tickt nicht so. Am Ende ist es dann doch wieder der Schund, der sich verkauft.

Ich kann also keine soundsoviele Thesen zur Zukunft des Journalismus auftischen. Ich hab kein Manifest zur Hand und fände das auch recht anmaßend. Schließlich bin ich kein Journalist und Verleger schon gar nicht. Ich rocke hier in meinem Biotop mit von mir aufgestellten Regeln und in den Grenzen meines bescheidenen aber selbst erschriebenen Publikums, so wie es mir passt. Ich habe nichts, was man mir wegnehmen könnte. Aus dieser Position kann man unmöglich ernsthafte Ratschläge in Richtung Verlage rufen.

Außer einem:

Macht es nicht wie die Süddeutsche Zeitung! Nein. So geht es ganz sicher nicht. Es geht weder mit billigen Internethass-Pamphleten, noch mit grotesken Klickstrecken, weder mit schludrigem Journalismussurrogat, noch mit dem weiterführenden Schritt in Richtung Qualitätsjournalismus durch die Auslagerung der Onlineredaktion nach Tschechien, noch – und vielleicht sogar am aller wenigsten – mit bei Bloggern gekaufter Schleichwerbung für den eben genannten Müll.

PS: (hoffentlich)

Podcast: Wir müssen reden III

Und da ist er: der dritte Podcast der Reihe „wir müssen reden“ mit Max Winde und mir.

Während Max etwas raus ist, aus dem ganzen Netzdingens hab ich eine ganze Menge zu erzählen. Das tu ich dann auch und so diskutieren wir über:

1. Googles Ankündigung, sich aus dem chinesischen Markt abzusetzen,
2. schneiden den Jean-Luc-Think Tank an
3. und ich verteidige zuletzt noch das Schirrmacherbuch „Payback“ gegen ungerechtfertigte Kritik aus der Blogosphäre, nicht ohne es selber zu kritisieren.

Also im Grunde nicht wirklich was neues für die Leser meines Blogs. Nur eben im lockeren Plauderton, angereichert mit allerlei Nebenkriegsschauplätzen und dem verlässlichen Widerspruch von Max.

Außerdem: Tadaaaa! Wir haben einen Podcastfeed. Jedenfalls einen Vorläufigen. Eventuelle Improvements bleiben uns natürlich vorbehalten.

Viel Spaß!

Wir müssen reden III

Google vs. China – Postnationale Cyberwars

Eben noch, am Wochenende, haben wir im Rahmen des Lean Luc-Think Tanks über genau diese Dinge gesprochen. Wir haben Facebook in Relation gesetzt zu Staaten. Wir haben darüber spekuliert, wie dort die Legitimation funktioniert, ob man in Social Networks Politik macht, welche Form von Gesetz herrscht. Und wir haben die Frage gestellt: Was ist relevanter: Politik oder Google?

Die Realität hat uns eingeholt. Während sich Barack Obama als Vertreter der Politik erst kürzlich am Nasenring durch die chinesische Arena hat ziehen lassen, spricht Google jetzt Klartext: Man droht offen mit dem Rückzug aus dem chinesischen Markt. Man habe sich an die staatlichen Regeln zu halten versucht, habe entgegen eigener Anschauungen Suchergebnisse zensiert. Und dennoch war man zuletzt Ziel staatlicher Hackerangriffe.

Angeblich hat Google jetzt bereits den chinesischen Zensurfilter entfernt. Die Reaktion Chinas ist vorhersehbar. Sie werden Google aus der great Firewall aussperren. Aber dann? Nicht nur Netzpolitik fragt sich, was passieren würde, würde Google voll in diesen Krieg einsteigen. Würden sie ihre Armada an Ingenieuren Tunnel durch die Zensurmechanismen schlagen lassen. Torserverfarmen für China? Vielleicht hat Google ja bereits eine eigene Lösung in der Schublade? Zuzutrauen wäre es ihnen.

Man kann das auch wirtschaftlich nüchtern betrachten: Google krebste im chinesischen Markt bisher mit einem einem Marktanteil von 12% herum. Und das obwohl sie einige Anstrengungen unternommen haben, dort Fuß zu fassen. Mit einer von Google provideten zensurfreien Suchmaschine ließe sich dieser Wert enorm steigern und das mit vermutlich erheblich weniger Kosten. Man müsste eben nur mal die Datensouveränität (gibt es sowas?) von China missachten.

Entweder mit Euch, oder gegen Euch.

Google hätte mit Sicherheit die Macht dazu. (Natürlich müsste man sowas mit der amerikanischen Adminstration absprechen. Die können Google nach wie vor den Hahn abdrehen und wenn denen solch ein Cyberwar nicht in den Kram passt… andererseits bin ich mir fast sicher, dass Google längst mit Obama gesprochen hat. Auch über die Schritte jetzt. Sowas macht man nicht unvorbereitet. Vor allem nicht Google.)

Aber: es ist gar nicht auszudenken, was das für einen Rattenschwanz nach sich zöge. Nicht nur für China, dessen Regime sich wohl nicht halten könnte, wenn die Firedämme brächen und die Welt per Google in das Land einfiele. Nein, etwas anderes ist entscheidend:

Wenn China, warum dann nicht auch Iran? Was gäbe es da noch für eine Rechtfertigung? Google wäre in der moralischen Pflicht, Informationen überall dorthin zu bringen, wo Zensur herrscht. Warum also nicht auch nach England? Oder nach Australien? Wozu sich überhaupt noch an Gesetze halten? Wozu überhaupt noch die Regulierungsansprüche von Staaten ernst nehmen? Wozu überhaupt noch Staat/Nation?

Und auf einen Schlag sähe jegliche nationale Gesetzgebung das Internet betreffend aus, wie ein Wutanfall von Mickey Mouse. Die staatliche Souveränität wäre als Prinzip angekratzt, wenn nicht gar völlig diskreditiert. Und es gäbe eine neue strategische Großmacht auf der Welt. Google kann Staaten stürzen.

Damit wäre 2010 gebührlich eingeläutet. Das postnationale Zeitalter hätte begonnen.

PS: Keine Ahnung, ob das gut oder schlecht wäre. Keine Ahnung, wie dann die Machtprozesse ausgehandelt würden. Keine Ahnung, ob es dann noch Menschenrecht gibt oder ob wir dann alle sterben müssen. Oder vielleicht nie mehr? Und keine Ahnung ob das gut wäre.
Aber: Ist das nicht krass???

Eine zugegebenermaßen etwas wirre, aber nichtsdestotrotz irgendwie interessante Herleitung der Notwendigkeit des Hackens

Und dann fand ich mich wieder mal mitten drin, in der Diskussion um das Grundeinkommen. Es müsse doch Gerecht zugehen und das System momentan sei eben ungerecht! Der Begriff „Leistung“ ist nichts anderes, als die Verschleierung der Tatsache, dass … „ABER“, wendete meine Gesprächspartnerin ein: Was sei denn gerecht? Als ob man das einfach so für sich hindefinieren könne. Eine objektive Gerechtigkeit gebe es schließlich nicht.

Nagut, dachte ich. Dann lassen wir das mit der Gerechtigkeit, eben. Ich erinnerte mich an diesen tollen Podcast, den ich relativ frisch abonniert hatte. Das Philosophische Radio hatte eine schöne Sendung über John Stuard Mill und im Zuge der Erklärung seines philosophischen Programms, dem Utilarismus – sowas wie das kohlsche wichtig-ist-was-hinten-rauskommt-Paradigma in akademisch – wurde das Beispiel einer Bewertung für Gesellschaftstheorien angeführt: So wäre die Haltung solch eines Utilaristen, dass unter vollkommener Absehung der Umstände ihres Seins, jenes System das beste, dass das meiste Glück der meisten ermögliche. Hey, das MUSS doch das Grundeinkommen sein, oder?

Naja, Glück, gut, das ist jetzt auch nicht so sehr scharf umrissen, aber immerhin etwas besser als Gerechtigkeit. Es gibt immerhin eine immer ambitionierter werdende Glücksforschung. Glück wird, wenn es nicht schon der Fall ist, sicher demnächst messbar sein. Dann werden wir ja sehen!
Nun hatten meine Gesprächspartnerin und ich erst gestern über den Schirrmacher diskutiert und seine nicht zu unterschätzende aber im Buch „Payback“ leider etwas untergehende These, dass – egal ob denn nun philosophisch oder neurowissenschaftlich begründbar oder nicht – der Glaube an den „Freien Willen“ umbedingt aufrecht gehalten muss. Eben weil es der Gesellschaft als ganzes nutze, diesen Glauben zu haben und auf ihn zu beharren.
Und während sie diese These als antiwissenschftlich, rückschrittlich, ja vielleicht sogar antiaufklärerisch zurückwies und ich mit ethischer Argumentation dagegen hielt und Schirrmacher einen digitalen Humanisten schimpfte, hätte ich nicht daran gedacht was nun, einen Tag später geschehen sollte.

Sie wand nämlich an dieser Stelle unserer Diskussion ein, dass ein solches auf Glück der meisten optimiertes Gesellschaftssystem sich wohl am ehesten durch Desinformation und Drogenverbreichung bewerkstelligen lasse, und dass das ja nun nicht die Lösung sein könne.

„Ha!“, rief ich! Also verfechtest Du also doch den freien Willen! Denn aus utilaristischer Radikalsicht ist es ja völlig egal, wie der Zustand des Glücklichseins herbeigeführt wird. Hauptsache, er ist da.
Aber natürlich gab ich ihr recht. Wie auch anders? Der glaube und Wille zum freien Willen ist letztendlich stärker, als man gemeinhin meinen sollte. Ich erinnerte mich an einen anderen Podcast der selben Reihe, diesmal mit Jan Philipp Reemtsma, jener Tabakzögling, der nach seiner Entführung, statt den Familienkonzern weiterzuführen, lieber eine Stiftung für Soziologie in Hamburg eröffnete und seitdem am Thema Gewalt herumforscht.

Nachdem die Ausschreitungen aus dem Menschsein behandelt waren, die viele Individuen in totalitären und gewaltdomierten Gesellschaften überfällt, kam es zur obligatorischen Gretchenfrage der deutschen Nachkriegsgeschichte, nämlich wie er, Reemtsma, sich denn verhalten hätte, im dritten Reich? „Ich hätte Widerstand geleistet! Natürlich!“ schnellt es aus ihm heraus und ich saß erschrocken vor dem, äh, iPod, vor solch einem offensichtlichen Mangel an Selbstzweifeln. Natürlich hakte da der Moderator nach. Wie man sich denn sicher sein könne. Nein, sagte, Reemtsma, sicher könne man nie sein. Aber er empfinde es moralische als Pflicht, dies nicht nur von sich zu behaupten, sondern auch fest daran zu glauben. Alles andere käme ja bereits einer Kapitulation vor der Gewalt gleich.

Aber wo war ich stehen geblieben? Ach ja. Willensfreiheit und seine Begründung, nicht in ihrer Existenz, sondern in ihrer ethischen Notwendigkeit. Die Notwendigkeit muss zumindest in Form der roten und der blauen Pille gegeben sein. Dass heißt, dass ich Neo-gleich wie in Matrix entscheiden können muss, ob ich in der düsteren echten Realität gegen Robotermonster kämpfen will oder in der Gemütlichkeit einer bürgerlichen Existenz das Richtige im Falschen suche. Aber dafür vielleicht glücklich bin, weil mir der Name Adorno eh nie etwas gesagt hat.

Überhaupt die Bürgerliche Existenz! Jetzt, heute, kann ich es sagen! (Früher hätte man mir den Kopf gestreichelt und den wer-mit-20-kein-Sozialist-ist-Spruch über den Scheitel gezogen):
Zwischen Bauer sucht Frau und der Option auf den Abteilungsleiterposten befindet sich kein Fitzelchen Realtität! Niente! Gar nichts! Ich schwörs! Ich hab mit DENEN geprochen!

Und dann denke ich daran, wie ich zusammen mit Markus Beckedahl während des Hackerkongress 26c3 vor ein paar Tagen einfach mal über die Straße gegangen bin. Einfach nur die paar Meter vom BCC rüber in’s Alexa. Wir wollten Bier holen. Und was war das für ein Kultur-, Gesellschafts- und Realitätsschock! Was waren das für Leute! Die im Alexa. (Klar, die sind speziell genug, aber man bedenke, ich hatte drei Tage lang nichts als Nerds gesehen!)

Und hier muss man es eingestehen: Wir waren die Außerirdischen! Wir sind die shifting Reality. Wir sind die Blase und die Parallelgesellschaft. Wir sind es, die in die Realtät eingebrochen sind, nicht umgekehrt. Das war das eigentlich erschreckende.

Oder anders, etwas fairer: Auf so eine Art sind wir alle einander eine Martix. (Der Mensch ist dem Mensch eine Matrix! Was sachste, Hobbes?) Irgendwie leben wir alle in jeweils der Blase, in der wir uns am wohlsten fühlen. Eingelullt durch die Fehlwahrnehmung unserer Peergroups als Normalität. Und vielleicht ist das ja auch ganz gut so. Aber so ein Ausflug in’s Alexa führt einem hier und da dann auch die Pillenetscheidung wieder zu Gemüte. Auch das ist gut, denn man vergisst es, dass man selbst es war, der sich für blau oder rot, Bürgerlichkeit oder Szene, Sexuelle Ausrichtung und und Rollenmodelle entscheiden hat. Plomlompom aka Christian Heller nannte diese Vorgänge in seinem Vortrag „Identity Wars“.

Foucault hingegen nannte das „Individualisierung“ (PDF) und er nannte das nicht auf die platte Art, wie man sich denken könnte, sondern injizierte eine gute Portion Ironie. Denn die normativen Kräfte der Gesellschaft und ihre Schablonen sind das erste, was diesen Prozess überhaupt erst möglich macht. So meint der Begriff eben nicht Abgrenzung, Diversifizierung und Entfaltung der Persönlichkeit, sondern sein Gefügigmachen für die engen Korridore der gesellschaftlichen Dispositive. Erst ein gerbrochenes Individuum, dass die Grenzen seiner Welt gezeigt und infiltriert bekommen hat, wird zum Individuum im Foucaultschen Sinn.

Ein Freund von mir hat jetzt geheiratet. Dieser fundamentalste aller Initiationsriten der bürgerlichen Gesellschaft war das letzte, was ich von im erwartet hatte. Er war immer der, der kein gutes Haar an welcher Regel auch immer gelassen hat. Er war der Prototyp des Rebells und mein erstes Rolemodell. Und was er zu seiner Verteidigung sagte, geht mir nicht mehr aus dem Kopf: Wenn man jung ist, hob er an, denkt man, man wäre total frei und könne alles neu denken, alles neu erfinden und das Leben würde sich schon bücken. Aber irgendwann merkt man, wie unfrei man damals war. Im Kopf. Wie man immer unbewusst die Schranken reproduzierte, die die Gesellschaft einem auferlegte.
Nach dieser Erkenntnis kann erst die eigentliche Revolutionsarbeit geleistet werden: Nämlich nietzscheanisch die Umwertung aller Werte. Erst wenn man sie alle Verstanden hat, kann man sie in Frage stellen und über sie hinausreichen.

Was sich ergibt, ist dann ein riesig großer Ozean. Ein Ozean an Möglichkeiten. Wenn man alles, nachdem man es gelernt hat, in Frage stellt, hat man die Freiheit alles andere auszuprobieren. Jeder Rebell wird kleinlaut, sobald er die Möglichkeiten ahnt. Denn: Here be Dragons!

Dennoch, einige, darunter ich, sind bereit, zumindest einige der neuen Möglichkeiten auszuloten. Neue formen der Arbeit, der Liebe, des Wohnens und und, und. Das grenzt fast an Fleisarbeit und ja, es ist schon anstrengend. Andere, wie mein Freund, begreifen, was sie da haben. Nämlich vor allem die Chance zu entscheiden. Dort, erst dort, wo alles in einem riesigen Ozean der Unentscheidbarkeit vor sich hinsuppt, kann man eine Entscheidung treffen, die eine wirkliche Willensentscheidung ist. Tja, so schnell kann es gehen.

Denn man muss eines begreifen: die Entscheidung für die Blase „brügerliches Leben“ ist so gut und so schlecht wie die Entscheidung für jede andere Blase. Wichtig ist allein, dass es eine echte Entscheidung ist. Und ja, ich BIN ein Verfechter des Freien Willens! Sonst hätte das alles für mich hier keinen Sinn.

Wo wir wieder bei Neo in Matrix sind. Als er am Schluss allmigthy wird, wird dies bebildert mit kryptischen Zeichenfolgen, die vertikal herunter laufend, seine Umgebung formen. Eine plakative Darstellung des Umstandes, dass er ein komplettes Tiefenverständnis für das System der Matrix entwickelt hat. Dass er, der Hacker, es nun gegen sich selbst und seine Gegner ausspielen kann. Dass er die Grenzen – Foucault würde sagen Dispositive – derart tief verstanden hat, ihre Schwachstellen, ihre Möglichkeiten, ihre Reaktionen und die Reaktionen auf ihre Reaktionen, dass er über sie hinausgehen kann, dort, wo die Drachen wohnen.

Und es ist kein Missverständnis, wenn uns Foucault kein Entrinnen bietet. Aus dem Prozess der Individualsierung, den Dispositiven, der Regierung und den Selbstpraktiken. Aber, das störte mich an Foucault schon immer, fatalistisch den Umstand hinnehmen will ich nicht. Wenn es immer ein System gibt, weil es immer ein System geben MUSS, dann ist nicht die Revolution, also die Abschaffung des Systems, die Antwort auf die Freiheit, sondern ihr Verstehen und das produktive Nutzen dieses Verstehens um das System gegen sich selbst zu wenden.

Dann ist Hacken als allumfassende, nicht nur auf Computer, sondern auf alle gesellschaftlichen Grenzen anzuwendende Praktik, die einzige Freiheitsoption des modernen Menschen.

max und mspro präsentieren: wir müssen reden II

Nachdem der erste Podcast so gut ankam, hatten wir uns gedacht: Ha! Das machen wir jetzt regelmäßig in kurzen Abständen immer wieder! Sofort!

[…]

Heute, mit den Augen eines alten Mannes, sehe ich diese Ankündigung dieser längst vergessenen Ära durch die Milde der gereiften Weisheit gegenüber dem jugendlichen Übermut von damals.

Aber dennoch: Wir haben es finaly geschafft. Ein zweiter Teil, in dem wir launisch von Thema zu Thema hüpfen und unsere Halbinformiertheit zu Meinungssurrogaten aufblasen, kann man hier herunterladen und oder direkt anhören. Und einen Namen haben wir uns auch ausgedacht!

wir müssen reden II

Des weiteren ist dies hier ein Platzhalter, denn es bohrten viele Twitterer Fragen in unsere Bäuche, eines angemessenen Podcastfeeds betreffend. Mit Recht! Und so bastelt Max ja bereits kräftig daran und sobald er fertig ist, werd ich auch den hier verlinken.