ACHTUNG SPOILERWARNING!! ACHTUNG
Ich habe AI damals nicht im Kino gesehen. Auch als er auf Video herauskam, habe ich es immer versäumt ihn nachzuholen. Ich schätze, jeder hat eine ganze Handvoll solcher Filme auf der Liste. Filme, die man immer schon mal sehen wollte, aber seit Jahren verrafft, sie auszuleihen.
Nachdem ich vorgestern zufälliger Weise durch Plomlompom (hier sein Gehirn) wieder auf diesen Film gestoßen wurde, hab ich ihn mir gestern kurzerhand ausgeliehen. Ich muss sagen: Ein ganz und gar bemerkenswerter Film.
Im Grunde besteht der Film aus drei Teilen, die nicht zueinander passen wollen. Jeder der drei Teile hätte von einem ganz anderen Regisseur sein können. Aber nein, sie sind alle von Steven Spielberg.
Das ist auch so eine Sache: Spielberg greift hier eigentlich eine Geschichte auf, der sich sein damals kürzlich verstorbener Freund Stanley Kubrick verschrieben hatte. AI ist also eigentlich ein konzeptionell bereits fortgeschrittenes Kubrickprojekt, umgesetzt von Spielberg. Kubrick und Spielberg – auch zwei ziemliche Unvereinbarkeiten, wie wir sehen werden.
Aber fangen wir mit dem ersten Teil an:
Der kleine David, erster Kinderrobotter der Welt, ausgestattet mit der Fähigkeit zu lieben, kommt in eine Familie. Die schafft es nach einigen Anlaufschwierigkeiten, David lieb zu gewinnen. Doch dann erwacht der eigentliche Sohn der Familie aus seinem Koma und es entspinnt sich ein fast typisch brüderliches Eifersuchts- und Intrigenszenario zwischen den beiden. Allerdings mit dem Handycap für David, weil er als „anderer“, nämlich künstlicher Junge, im Zweifel immer das Mißtrauen der Eltern auf sich zieht. Natürlich verliert David diesen ungleichen Kampf und wird schließlich ausgesetzt.
AI zeigt sich bis hier also als ein sehr ernsthafter Film, der ein tatsächlich interessantes psychologisches Setting bietet und sich daran auch gekonnt und alles andere als oberflächlich abarbeitet. Solides Kino, sehr mitreißend erzählt und recht tiefgründig in seinen Analysen. Das ist Spielberg aus „Schindlers Liste“, „Die Farbe Lila“ oder „Das Reich der Sonne“.
Doch dann kommt der zweite Teil:
Ausgesetzt findet sich David in einer androidenfeindlichen Umwelt wieder. Nachdem er von Roboterjägern in mittelalterlicher Mannier beinahe öffentlich hingerichtet worden wäre, schließt er Freundschaft mit einem völlig flippig daherhampelnden JudeLawBot, der freiberuflich Frauen besteigt. Die Figur könnte, bis auf den Sexbezug, auch aus einer Disneykomödie entstammen und hat mindestens den intellektuellen Charme von Jar Jar Binks. Die beiden fahren zusammen in eine Stadt, die aussieht wie die Las Vegas auf Speed und holen sich Rat bei einem, naja, Orakel, das irgendwie an Microsofts nervende Büroklammer erinnert – nur in 3D. David, so muss man nämlich wissen, ist schließlich auf die Liebe zu seiner Mutter fest programmiert, und kann nicht davon lassen. Seim Plan ist nun die blaue Fee, von deren Existenz er im Märchen Pinocchio erfuhr, zu finden, damit sie auch aus ihm einen Menschen zaubere, einen „echten Jungen“, natürlich um das Herz seiner Mutter zurück zu erobern.
Es ist wirklich ein ganz anderer Film. Auch ein ganz anderer Spielberg. Es ist ein buntes, actionreiches Popcorn-Trallala. Ein lustiger Roadmovie mit schrägen Charakteren. Temporeich inszeniert, sich selbst plötzlich gar nicht mehr so ernst nehmend, ja, beinahe albern. Und damit aber das Gegenteil vom ersten Teil. Das hier ist der Spielberg aus „Catch me, if you can“ und „Hook“. Es ist ein völlig anderer Film, ein völlig anderer Spielberg, aber immerhin noch ein Spielberg.
Aber dann kommt der dritte Teil. VORSICHT: GANZ DICKER SPOILER!
Der Liebeskranke David fliegt mit dem JudeLawBot an’s Ende der Welt, na?, genau!, Manhatten, das seit dem Abschmelzen der Polkappen ja unter Wasser steht. In einem aus dem Wasser ragenden Wolkenkratzern residiert aber tatsächlich das Labor, das David erschuf, was er dann statt der blauen Fee findet. Nachdem er erschrocken feststellt, dass er bereits in Massenproduktion hergestellt wird und sich daraufhin in die Fluten von Manhatten stürzt, findet er in einem „versunkenen“ Themenpark, der auch eine Pinocchio-Ecke beherbergt, eine Statue der blauen Fee. Die bittet er nun, ihn doch in einen Menschen zu verwandeln. Und nochmal. Und nochmal. Dann wieder. Und wieder. Und wieder. Genau genommen etwa 2000 Jahre lang.
Die Welt, mittlerweile eine einzige menschenleere Eiskugel, wird nun von spindeldürren, außerirdischen Hobbyarchäologen ausgegraben – so auch David. Die Außerirdischen wollen endlich mal sein bestes und arrangieren ein eintägiges Treffen mit seiner Mutter, die sie dafür Extra aus ihrer DNA generieren und ihr Gedächtnis irgendwie aus dem Universum zusammenfriemeln und einpflanzen. Nach diesem einem Tag, Davids schönsten Tag seines Lebens, ist sie leider tod, weil, naja, vermutlich weil das so im Drehbuch steht und der Film ist endlich vorbei.
Tja. Was war jetzt das? Ganz klar, jedenfalls schon mal wieder ein ganz anderer Film als die beiden ersten Teile. Die Story artet aus, sie flippt vollkommen rum, wird immer löchriger in ihrer Evidenz, immer waghalsiger in ihren Sprüngen, immer wahnsinniger in ihren Widersinnigkeiten. Der Film überbietet sich im letzten Teil alle 10 Minuten selbst in seinem apodiktischen Schwachsinn. Er entgleitet vollkommen in einem absurden Kitschtheater. Das hier ist auch nicht mehr Spielberg, der eigentlich die geraden Geschichten liebt, dessen Filme alle einen gefälligen Spannungsbogen verfolgen.
Es ist Spielberg schon noch in den einzelnen Szenen und der Inszenierung, der Aufmachung und der Bilder. Aber die Story und ihr Entgleiten, das ist Kubrick. Hier schmeckt man ihn raus, wenn man darauf achtet. Wenn man hinter die spielbergschen Bilder schaut. Kubrick hat hier eine Vorlage abgeliefert, an der Spielberg leider gescheitert ist. So muss man das wohl sagen. Aber kreativ gescheitert.
Natürlich hätte man dieses wirre Ende in rauschhaften Fieberträumen inszenieren müssen, wie Kubrick seine Filme oft zerfasern lässt. Aber da kommt Spielberg leider eben nicht aus seiner Popconigkeit raus. Wenn er im Drehbuch von einem kleinen Roboterjungen liest, der seine Mutter vermisst, kann Spielberg scheinbar gar nicht anders, als da typischen Tränendrüsenmomente daraus zu schaffen. Nur in Kombination mit Kubricks Übersteigerungslogik wird das ganze zur Kitschgrotesken (und hat dabei witziger Weise ein paar Lars-von-Trier-Momente)
Aber Kubrick, das merkt man an dem Plot sogar durch die meterdicke, spielbergsche Makupschicht hindurch an, wollte hier eigentlich den Wahnsinn der westlichen Sicht auf die Liebe zeigen. Er wollte zeigen, wie wahnsinnig dieser uralte romantische Gedanke der „ewigen Liebe“ ist, wenn er tatsächlich umgesetzt wird. Er wollte die Idee der „ewigen Liebe“ dekonstruieren. Kubrick ist ein Mythenbrecher, Spielberg ist Mythenbediener. Also was macht Spielberg? Er versucht noch die Sehnsucht nach dieser Liebe zu bedienen, mit den üblichen, gefälligen Bildern und schafft es nicht das Liebes-Thema zu brechen und so die Anthropologie Kubricks auszuführen, sondern begräbt sie in einen immer währenden und sich stetig ins absurde steigernden Kitschberg.
Das wirkt dann aber wiederum so grotesk und bizarr, dass es fast wieder interessant wird. Es wäre sicherlich ein völlig anderer Film geworden, wenn Kubrick ihn gedreht hätte, vermutlich ein großes Meisterwerk, aber auch so ist es ein interessantes Experiment geworden. Die Verknotung zweier filmischer DNA-Stränge. Ein gescheiterter Mindupload. Die Ruine eines Denkmals.