Google vs. China – Postnationale Cyberwars

Eben noch, am Wochenende, haben wir im Rahmen des Lean Luc-Think Tanks über genau diese Dinge gesprochen. Wir haben Facebook in Relation gesetzt zu Staaten. Wir haben darüber spekuliert, wie dort die Legitimation funktioniert, ob man in Social Networks Politik macht, welche Form von Gesetz herrscht. Und wir haben die Frage gestellt: Was ist relevanter: Politik oder Google?

Die Realität hat uns eingeholt. Während sich Barack Obama als Vertreter der Politik erst kürzlich am Nasenring durch die chinesische Arena hat ziehen lassen, spricht Google jetzt Klartext: Man droht offen mit dem Rückzug aus dem chinesischen Markt. Man habe sich an die staatlichen Regeln zu halten versucht, habe entgegen eigener Anschauungen Suchergebnisse zensiert. Und dennoch war man zuletzt Ziel staatlicher Hackerangriffe.

Angeblich hat Google jetzt bereits den chinesischen Zensurfilter entfernt. Die Reaktion Chinas ist vorhersehbar. Sie werden Google aus der great Firewall aussperren. Aber dann? Nicht nur Netzpolitik fragt sich, was passieren würde, würde Google voll in diesen Krieg einsteigen. Würden sie ihre Armada an Ingenieuren Tunnel durch die Zensurmechanismen schlagen lassen. Torserverfarmen für China? Vielleicht hat Google ja bereits eine eigene Lösung in der Schublade? Zuzutrauen wäre es ihnen.

Man kann das auch wirtschaftlich nüchtern betrachten: Google krebste im chinesischen Markt bisher mit einem einem Marktanteil von 12% herum. Und das obwohl sie einige Anstrengungen unternommen haben, dort Fuß zu fassen. Mit einer von Google provideten zensurfreien Suchmaschine ließe sich dieser Wert enorm steigern und das mit vermutlich erheblich weniger Kosten. Man müsste eben nur mal die Datensouveränität (gibt es sowas?) von China missachten.

Entweder mit Euch, oder gegen Euch.

Google hätte mit Sicherheit die Macht dazu. (Natürlich müsste man sowas mit der amerikanischen Adminstration absprechen. Die können Google nach wie vor den Hahn abdrehen und wenn denen solch ein Cyberwar nicht in den Kram passt… andererseits bin ich mir fast sicher, dass Google längst mit Obama gesprochen hat. Auch über die Schritte jetzt. Sowas macht man nicht unvorbereitet. Vor allem nicht Google.)

Aber: es ist gar nicht auszudenken, was das für einen Rattenschwanz nach sich zöge. Nicht nur für China, dessen Regime sich wohl nicht halten könnte, wenn die Firedämme brächen und die Welt per Google in das Land einfiele. Nein, etwas anderes ist entscheidend:

Wenn China, warum dann nicht auch Iran? Was gäbe es da noch für eine Rechtfertigung? Google wäre in der moralischen Pflicht, Informationen überall dorthin zu bringen, wo Zensur herrscht. Warum also nicht auch nach England? Oder nach Australien? Wozu sich überhaupt noch an Gesetze halten? Wozu überhaupt noch die Regulierungsansprüche von Staaten ernst nehmen? Wozu überhaupt noch Staat/Nation?

Und auf einen Schlag sähe jegliche nationale Gesetzgebung das Internet betreffend aus, wie ein Wutanfall von Mickey Mouse. Die staatliche Souveränität wäre als Prinzip angekratzt, wenn nicht gar völlig diskreditiert. Und es gäbe eine neue strategische Großmacht auf der Welt. Google kann Staaten stürzen.

Damit wäre 2010 gebührlich eingeläutet. Das postnationale Zeitalter hätte begonnen.

PS: Keine Ahnung, ob das gut oder schlecht wäre. Keine Ahnung, wie dann die Machtprozesse ausgehandelt würden. Keine Ahnung, ob es dann noch Menschenrecht gibt oder ob wir dann alle sterben müssen. Oder vielleicht nie mehr? Und keine Ahnung ob das gut wäre.
Aber: Ist das nicht krass???

34 Gedanken zu „Google vs. China – Postnationale Cyberwars

  1. Bei all der Revolutions-Romantik – aber Revolution findet immer noch auf der Straße statt. Im Ernst, ich sehe nicht, wie Google die chinesische Regierung stürzt.

    Die Frage zur Lokalisierung von Internet-Recht stellt sich dann auf alle Fälle neu. Aber solange sich die Staaten untereinander nicht auf ein Minimum, vergleichbar mit dem Seerecht, einigen, bleibt’s bei dem bisherigen Chaos.

  2. Es steht natürlich in Frage, wie die Chinesen reagieren würden, wenn sie das Massaka auf dem Platz des himmlischen Friedens ergoogln könnten. Wenn sie sich über Menschenrechte informieren könnten und offene Kritik am System läsen. Es kann sein – das meine ich wirklich so / halte es für möglich – dass es ihnen egal ist. Dass sie das alles links liegen lassen und sich lieber über ihre wachsenden Wohlstandbäuche streicheln.

    Aber wenn dem so wäre, hätte das Regime vielleicht nicht solch eine Angst davor.

  3. Guter Artikel. Mein Wahlspruch zu solchen und ähnlichen Themen – übrigens schon seit Jahren – lautet:

    Shadowrun is NOW!

    RT folgt sogleich…

  4. Ich muss bei dem Szenario – das mir auch schon ähnlich durch den Kopf ging – immer an die Settings diverser dystopischer Sci-Fis und Cyberpunks denken. Der Punkt, an dem Konzerne und Unternehmen so einflussreich – sprich mächtig – werden, dass sie staatliches Hoheitsgebiet erhalten.
    Vielleicht ist die Welt ja endlich bereit Science Fiction zu werden. Ein Heidenspaß wäre das Chaos allemal.

  5. Wenn wir Informations- und Redefreiheit im eigenen als demokratisches Grundrecht betrachten und dafür kämpfen, warum dann nicht weltweit? Und wenn Regierungen Macht, die ihnen vom Volk geliehen wurde missbrauchen, warum sollte die Macht die Google von den Usern geliehen wurde nicht auch missbraucht werden können? – Nur wir vetrauen den Regierungen in gewissen Grenzen, also können wir auch Google in gewissen Grenzen vertrauen – denn anders als Regierungen, die sich nur von Zeit zu Zeit gegenüber dem Souverän in Wahlen zu rechtfertigen haben. Können die Nutzer einer Wirtschaftsmacht jederzeit empfindlich in die Parade fahren, wie viele große Konzerne und kleine Abmahnwichte erfahren mussten.

    Vielleicht kommt am Ende etwas mehr Demokratie heraus.

    p.s. zu dem Massaker am Tien An Men: damals haben Studenten in windeseile tausende von Leih- Videos verfremdet, indem sie die Bilder des Massakers hineinkopiert haben. Jeder der sich eine Filmkassette ausgeliehen hat, sah nach einigen Minuten Original- Film die Mitschnitte vom Tien An Men. Mit anderen Worten, die chinesische Zensur hat noch nie richtig funktioniert.

  6. Pingback: Google vs. China, Blumen an Googles Firmenschild - Nerdcore

  7. Pingback: So etwas wie eine Kriegserklärung. Vielleicht. : Matthias Rampke

  8. Wenn China, warum dann nicht auch Iran? Was gäbe es da noch für eine Rechtfertigung? Google wäre in der moralischen Pflicht, Informationen überall dorthin zu bringen, wo Zensur herrscht. Warum also nicht auch nach England? Oder nach Australien?

    oder eben auch deutschland. man vergisst schnell, dass auch hier fleissig zensiert wird.

  9. Fakt ist doch das 1,3 Mrd. Meschen belogen, betrogen und um ihre Rechte gebracht werden.

    Von der U.S. Administration könnte sogar Googles handeln begünstigt werden. Denn wenn Anarchie resp. Bürgerkrieg entstünde könnten sich die Amis aus den Fesseln des arbeitswütigenden Riesen entziehen (aus geostrategisch Sicht).

  10. dplusplusr ich denke das ist eine ziemlich naive einschätzung. du usa sind auf china weit mehr angewiesen als anders herum. china ist der mit abstand größte gläubiger der usa. wenn die einmal husten ist der dollar kaum mehr zu kontrollieren. außerdem gäbe es in den usa beinahe nichts mehr, alle kaufhäuser wären leer, sollten in china die maschinen ausgehen.

  11. ich bin noch sehr vorsichtig was die einschätzung des wieso, weshalb, warum dieser aktion anlangt. mit glück erfährt man in den nächsten tagen mehr.

    was ich mir aber durchaus vorstellen kann ist das google der meinungsfreiheit in china einen bärendienst erweißt da baidu viel srärker unter der fuchtel der der KP steht als google.

    in einer hinsicht möchte ich mich aber jetzt schon aus dem fenster lehen mit meinungsfreiheit und menschenrechten hat der grund rein gar nichts zu tun.

    und was sollte die chinesen davon abhalten weiter die email von menschrechtsaktivisten mitzulesen, google büros in china sind bestimmt keine voraussetzung dafür.

    re: https://twitter.com/sebaso/status/7688681643

    die älteren werden sich noch an eric schmidts ausführungen zum thema privatsphäre erinnern, ich denke das spricht für sich.

  12. westernworld klar weiß ich, dass du mit deiner coolen aufgeklärtheit den zynischen durchcheckerblick hast. du hast ja alles schon gesehen und so und weißt einfach wie der hase läuft. da will ich gar nicht widersprechen.

    aber bedenke: ich habe oben bereits eine rein wirtschaftliche argumentation angebracht. rdefreiheit ist für google nicht einfach ein wert, sondern ein funktionierendes geschäftsmodell.

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  24. Auch wenn der Artikel sicherlich an einigen Stellen spekulativ ist. Der Gedankengang ist konsequent und entspricht dem, was man längst beobachten kann. Die „Souveränität“ klassischer Nationalstaaten schwindet langsam aber sicher. Auch Kontinentalbündnisse wie die EU sind noch viel zu geo-verhaftet. Staaten und Kontinentalbündnisse werden irgendwann nur noch definierte Zuständigkeiten haben, aber nicht mehr zur Regelung von allem dienen. So ähnlich, wie Kommunen heute nur bestimmte Zuständigkeiten haben, aber nicht alles regeln. Fragt sich, wer denn die „Erdpolitik“ machen soll? Derzeit empfiehlt sich kaum jemand. Gut, dass Google in dieser Lücke, für den die ganzen Kleindenker verantwortlich sind, Verantwortung übernimmt.

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  26. Naja, die Einschätzung „Google kann Staaten stürzen“ halte ich für reichlich übertrieben. Google hat jetzt vor allen Dingen die aggressive Wirtschaftsspionage Chinas in die öffentliche Aufmerksamkeit gebracht, genau wie die Zensurdebatte wieder vorgeholt.
    Was sollte ansonsten passieren? Baidu gewinnt wieder an Marktanteilen und das wars, Google kann ohne Staaten nicht operieren. Wenn offensiv versucht würde, die große Firewall zu umgehen, würde China das wohl mit einer Kriegserklärung gleichsetzen. Zumal ich nicht denke, dass das chinesische Volk uneingeschränkt auf der Seite der freien Informationen steht.

    Jetzt liegt es, wenn überhaupt was passiert, an den Staaten ihre Investitionspraxis in China zu überdenken. Wenn staatlich gesponsorte Industriespionage und Zensur sich ausländischer Firmen bedient, sollte das nicht für kurzfristigen Profit hingenommen werden wie es bis jetzt gang und gäbe war.

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  28. Die wichtige Frage ist: Warum hat Google seinerzeit überhaupt einen Teufelspakt mit den Machthabern in Bejing abgeschlossen? Und was stand in der Vereinbarung eigentlich drin? Niemand weiß es, weil Google grundsätzlich keine Infos rausgibt, wenn man sie nicht dazu zwingt. Paranoid, sage ich!

    Evgeny Morozov hat übrigens gestern in den “New York Times” eine interessante Erklörung für Googles grandiose Fehleinschätzung des Regimes gefunden. Er macht dafür “computational arrogance” verantwortlich für deren . Da ist was dran: Wir Techies neigen schon dazu, die Welt durch eine ganz besondere Brille zu sehen. Siehe dazu meinen Blogeintrag “Eric Schmid und die Arroganz des Computers” (http://tinyurl.com/ydvn46x)

  29. Als „libertärer Freigeist“ würde ich mir auch wünschen, dass aufgeklärte Leute mit ihrer wirtschaftlichen Macht mal die ganzen Potentaten anpissen statt mit denen immer nur Handel zu treiben.

    Aber: Der Nationalstaat in der Form, wie wir ihn haben hat seine Verfassung und damit Souveränität um seinen Bürgern Freiheit zu sichern und zu vermehren. Das vergessen viele Politiker gerne und noch mehr die Bürger. Es kann nur sehr kurzzeitig von Vorteil sein, wenn ein freiheitlich orientiertes Wirtschaftsunternehmen (oder ein aufgeklärter Herrscher) diese Freiheit vergrößert. Denn nach dem aktuellen Aufsichtsrat wird ein anderer kommen.

    Laotse sagt: „Gnade und Ungnade, Angst machen sie beide.“

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