Berlin und das Glück

In Berlin habe ich das Gefühl, das zu finden, was ich nicht suche. Nicht suchen kann, weil ich nicht weiß, was es ist.“ Gar nicht lange ist es her, als es mich mit dieser Überlegung nach Berlin verschlug. Die magische Anziehungskraft ist mir nicht neu. Jahre lang trug ich daran, doch lies der Schritt eben sehr lange auf sich warten. Und ich gebe gerne zu, dass ich zwischenzeitlich in Hamburg durchaus eine Alternative erblickte. Berlin ist die größte Stadt Deutschlands, Hamburg die zweitgrößte. Das muss doch reichen.

Aber all die Augenwischerei half nichts. Berlin ist nun mal Berlin und es ist egal, wie groß es ist. Berlin ist vor allem anders. Das spürte ich. Und ich muss sagen, die Stadt hat mich vom ersten Tag an mit Haut und Haaren gefressen. Nicht mal ganz am Ende habe ich mich in Hamburg so wohl gefühlt, wie in Berlin von Anfang an.

Und das hat beides miteinander zu tun. Mein pathetisches Bekenntnis dort oben und mein Wohlsein hier. Denn natürlich ist es so, dass ich nicht der einzige bin, der aus der selben Sehnsucht hier ist. Nein, im Gegenteil. Die glauben hier alle daran. All die Zugezogenen (also quasi alle) glauben hier endlich, irgendwann genau das zu finden, wonach sie nicht wissen, was das ist, aber ihr Glück sein wird. Es eint uns alle. Und zwar nicht eben nur die Studenten, die Mittzwanziger, und die Dreißiger wie ich. Ich hab schon Mittvierziger und Anfang Fünfziger getroffen, die den selben Traum hegen. Seit 30 Jahren! 30 Jahre auf der Suche! Sowas gibt’s nur in Berlin.

Mittlerweile glaube ich daran nicht mehr. Ich glaube, es ist viel einfacher, viel banaler. In Berlin gibt es ganz genau so viel und so wenig zu „finden“, wie an allen anderen Orten auch. Das was man gerne „finden“ möchte ist nämlich in Wirklichkeit der Platz. Der Platz in der Gesellschaft. Der Ort an dem man sich einrichtet. Die Idee vom gefunden Glück. Es ist also ganz profan: Job, Wohnung, Partner, Familie.

Das große Vorurteil besteht aber darin, dass man diese Dinge nicht „findet“. Diese Dinge laufen einem nicht über den Weg. Man entdeckt sie nicht in einer Nische hinter der Treppe. Goldglänzend wie die Sehnsucht selbst. Nicht in Berlin und auch sonst nirgends. Im Gegenteil. Diese Dinge kommen zu Stande, indem man Kompromisse eingeht. Und das Absurde ist, dass man an allen Orten der Welt irgendwann in diese Kompromisse gedrängt wird. Ganz automatisch. Da gibt es den finanziellen Druck und sozialen Druck. Und eh man sich versieht, findet man sich wieder, mit kleinen Haus, einem okayen Job und nem netten, möglichst verlässlichen Partner. Und Kinder, klar.

Und dann gibt es Berlin. Wo all die Freaks rumlaufen, alle auf der Suche. Nein. Die sind nicht auf der Suche. Das bilden sie sich nur ein. Sie sind in Wirklichkeit auf der Flucht. Auf der Flucht vor den Kompromissen und dem Leben wie auf Schienen. Auf der Flucht vor Fremdbestimmung und Festlegung, vor Verantwortung und den eigenen Grenzen. Aber um das zu verdrängen, glauben sie krampfhaft daran, dass sie das „Glück“ hier „finden“ werden. Das Leben als ewiger Aufschub von Glück (aber in Wirklichkeit: Kompromiss).

Der Witz ist jetzt, dass Berlin eine self fulfilling prophecy ist. Natürlich ist es tatsächlich die ideale Stadt, um nach dem zu suchen, von dem man noch nicht weiß, was es ist. Aber nicht, weil man es hier findet. Sondern weil es hier okay ist. Weil das hier jeder so macht und es als allgemein akzeptierter Lebensstil gilt. Weil es deswegen kaum einen sozialen Druck gibt, der Dir vorschreiben will: such Dir einen Job, heirate eine Frau, bekomme Kinder! Geh Kompromisse ein!

Ob man damit weniger oder mehr zufrieden ist, als mit dem üblichen Kompromiss, muss jeder selber entscheiden. Aber Glück findet man hier nicht. Dafür Freiheit, mehr als irgendwo sonst. Wie gesagt: ich fühl mich hier sauwohl.

13 Gedanken zu „Berlin und das Glück

  1. Aber ist das nicht die große Frage – das man sich irgendwann gar nicht die Mühe macht, irgendwas zu suchen oder zu finden?
    Sondern eine Art Schlendrian-Leben führt, weil das alle machen, und das schon irgendwie so passt.
    Und irgendwie klingt das so, als wäre es seltsam, zielstrebiger zu sein. Oder als wäre diese heile Welt an sich etwas schlechtes. (gut, das mit dem Reihenhaus klingt nach einer Endstation)
    Wahrscheinlich ist die wichtigste die Erkenntnis, das es vor allem schon okay ist, dass jeder seinen eigenen Lebensentwurf hat.
    Und bei den einen gehört irgendwie Herumdümpeln dazu, bei den anderen eher nicht.

  2. Nein, ich glaube beide Alternativen sind auf ihre eigene unideale Art okay. Man muss selber wissen, was man für sich will. Aber man sollte sich auf jeden fall bewusst machen, dass man sich nach dem anderen sehnen wird, sobald man sich in dem einen eingerichtet hat.

    Zielstrebigkeit setzt erstmal ein Ziel voraus und es ist keine Frage des einen oder anderen Lebensentwurfs, sondern der des Lebensentwurfs vs. der Lebensentwurfslosigkeit. Außerdem heißt Entwurfslosigkeit ja nicht Untätigkeit. Klar, lässt man erstmal vieles schleifen, aber ich glaube, man wird, nachdem man seine Prioritäten neu und selbstbestimmt geordnet hat, durchaus auch sehr produktiv sein… Hoffe ich. Dann. Demnächst.

  3. Schön geschrieben 🙂 sagt eine, die hier geboren ist.
    Berlin ist für viele sowas wie der American Dream im eigenen Land. Nicht umsonst zieht es viele Berliner nach New York, quasi als nächsthöhere Stufe der Erleuchtung 😉

    Doch auch in Berlin gibt es Gegenden mit sozialem Druck, und zwar je weiter du dich dem Stadtrand näherst. Da entstehen beinahe dörfliche Strukturen mit Bevormundungstendenzen, und alles was anders ist, fällt extrem auf. Wir zum Beispiel. Aber da scheiß ich drauf; ich verfolge meine Ziele trotzdem.

    Wenn ich nette, kreative Spinner treffen will, fahre ich halt weiter rein in diese schöne, verrückte Stadt.

  4. Ich schiele ja auch wieder auf die Hauptstadt und male mir blühende Landschaften im Kopf aus, aber wenn ich seinerzeit in Berlin geblieben wäre, säße ich heute in der Betty Ford-Klinik oder in der Irrenanstalt. Es war also großartig.

  5. Nach 9 Jahren Hamburg bin ich auch Mitte 2008 nach Berlin gezogen. Seitdem fragen mich ständig Leute, wo es denn nun besser sei. Gibt es wirklich eine „Grundsubstanz“, die diese Individualität verströmt, oder sind es die Zugerezogenen, die sich inmitten ihrer selbst zu dem entwickeln, was wir Sonntags auf dem Boxhagener Platz sehen? Darin sehe ich die „self fulfilling prophecy“.

    Dabei ist es hier irgendwie okayer, individuell zu sein. Es ist okayer, ungekämmt zum Bäcker zu gehen und es ist okayer mit einem alten Bulli zum Kunden zu fahren. Manchmal schießt diese Okayness auch übers Ziel heraus. Und dann sind die zur Schau getragene Individualität auf dem Boxhagener Platz und die Uniformiertheit auf dem Jungfernstieg gar nicht so weit voneinander entfernt.

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  7. tristessedeluxe, in der Tat! Das kann gut sein. Am ende kriegen sie einen nämlich doch. Mit Danaone! 😉

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