Zum Zensurbegriff

Ich will jetzt gar nicht auf die haarsträubenden Verschwörungstheorien eingehen, die meinen, dass Twitter „Wikileaks“ und related Stuff absichtlich ais seinen Trending Topics raushält.

Interessanter ist die anschließende Diskussion mit Marcel Weiß um den Zensurbegriff. Er versuchte nämlich zunächst sich auf die altbekannte „Zensur kann nur staatlich sein„, zurückzuziehen. Das ist nicht nur ein unglaublich schwaches Argument (man kann Begriffe immer verengen und dehnen) – sondern ein falsches. Kein noch so eng gefasster Zensurbegriff setzt die Existenz eines Staates voraus.

Wenn man der Wikipedia glauben schenkt, dann ist Zensur politische Informationskontrolle.

Nun geistern „Zensur“-Vorwürfe immer wieder durch das Netz. Gerne auf Apple und Facebook bezogen. Döpfner höchstpersönlich wirft Apples iTunes Store Politik Zensur vor, was von vielen wehement von bestritten wird. Ich glaube, etwas vorschnell.

Nun mutet es in der Tat auf den ersten Blick etwas asymetrisch bis absurd an, eine staatliche Zensur wie in China mit der Auslese auf dem iTunesstore zu vergleichen.

Die Arguemtation von Marcel Weiß, der diesen Zusammenhang negiert sehen möchte, ist ja, dass man als User, als auch als Programmierer frei ist, eine Plattform jederzeit durch eine andere zu ersetzen. Er meint also, es sei durchaus zuzumuten, Einschränkungen in der Kommunikation mit vielen meiner Freunde und einem Großteil meines Social Graphs in Kauf zu nehmen, um auf einer anderen Plattform der vermeintlichen „Zensur“ entgehen zu können. Er meint auch, es sei zuzumuten auf den riesen Reibach, den ich als Programmierer auf der iOS-Plattform machen kann, zu verzichten. Die Möglichkeit einer anderen Plattform allein reicht, den Begriff „Zensur“ nicht anwenden zu können.

Man kann eben aber auch argumentieren, dass es auch ein zu schaffender Aufwand sei, die Landesgrenze (sofern ein Eingesperrtsein wie in der DDR nicht als Voraussetzung für Zensur gelten soll) zu überwinden, um an ungefilterte Informationen zu kommen. Das mag mehr Aufwand sein, als das Social Network zu wechseln, aber durchaus machbar. Und in Aachen ist es sicher leichter als in Hannover. Ist staatliche Zensur dann nur in Hannover Zensur, weil man in Aachen schnell in den Niederlanden sein kann? Oder ist es weniger Zensur?

Man sieht: es gibt lediglich einen qualitativen aber keinen strukturellen Unterschied zwischen der „Zensur“ bei Apple und der in Staatsgebieten.

Marcel Weiß sagt nun aber, dass man Dienste wie Facebook nicht mit einem Staat, sondern höchstens mit denen in ihm erscheinende Publikationen vergleichen könne. Dort herrsche auch eine willkürliche, teils auch politische Auswahl von Informationen, aber eben keine Zensur.

Hier braucht es den Begriff der Plattform. Eine Zeitung ist nun etwas anderes, als eine Kommunikationsinfrastruktur, die selber keine Inhalte hat, sondern nur für Inhalte offen steht. Der Staat hingegen ist durchaus eine allgemeine Kommunikationsinfrastruktur. Eine, die einen gewissen Raum eröffnet, in denen gesetzlich festgelegte Rahmenbedinungen für Kommunikation gelten, in denen sich andere dann austauschen können. Die Grenzen sind da aber durchaus fließend. Denn natürlich ist Facebook kein „öffentlicher Raum„, in dem Sinne, wie ihn der Staat bereit stellt.

Alles das was Marcel immer „zweiseitige Märkte“ nennt, kann man eben nicht mehr als einfachen Informationsprovider ansehen, sondern stellt selbst eine Plattform für Informationsprovider dar. Es ist eben kein Marktteilnehmer mehr, sondern selbst der Marktplatz. Und auch wenn es zu diesem Marktplatz andere, alternative, Wettbewerbermarktplätze gibt: innerhalb des eröffneten Marktplatzes gibt es eine Art Monopol – ein spezielles Monopol, dass ich mal „internes Monopol“ genannt habe. Und deswegen ist es völlig egal, ob es sich um Privatanbieter mit ausreichend Konkurrenzdruck handelt. Strukturell wird hier die Macht der Plattform auf die internen Marktteilnehmer ausgeübt, die diesen internen Markt nicht mehr frei sein lassen.

Dass die Leitungen, Peeringpoints und Backbones des Internet ebenfalls in privater Hand liegen, dürfte aber auch Marcel Weiß bekannt sein. Wie würde er es wohl nennen, wenn sich also die Provider entschließen, das Wort „Fuck“ oder gar „Wikileaks“ aus allen Kommunikationen herauszufiltern?

Das Problem der public-private Spaces ist ja durchaus nicht neu. Aber im Internet gewinnt es völlig neue Brisanz und eine ungekannte Allgegenwart. Das Internet pflanzt sich vertikal fort. Jeder Dienst kann Plattform sein: WWW basiert auf TCP/IP. Facebook auf dem WWW. Farmville auf Facebook. Und irgendwann werden die Hühner in Farmville vielleicht die Republik ausrufen. Alles kann zur Plattform werden, im Internet. Alles ist irgendwie eine Plattform, sobald sich Leute darauf anfangen auszutauschen und es als ihre Kommunikationsinfrastruktur benutzen.

Auch jedes Blog mit Kommentarfunktion ist streng genommen eine Kommunikationsplattform und damit „Zensurfähig“. Ja, auch dieses hier.

Man sollte also vielleicht die Furcht vor dem Begriff der „Zensur“ verlieren. Er war auch ursprünglich lange nicht so negativ – beinahe faschistisch – konnotiert, wie heute. Damals gab es offizielle „Zensurämter“ und „Zensurbeamte“ und das Zensieren war eine gesellschaftlich anerkannte und allgemein für notwendig erachtete Aufgabe des Staates. Wahrscheinlich vergleichbar mit der heutigen Sicht auf Moderation von Kommentaren und dem Communitymanagement – (die vielleicht auch dereinst ebenso anrüchig anmuten werden?)

Wenn ich Kommentare also lösche ist dann kann man das „Zensur“ nennen. Zensur, zu der man stehen können muss. (Ich hatte mir kürzlich einen Haustroll eingefangen, seitdem musste ich pragmatischer Weise auf Informationskontrolltools zurückgreifen, so weh es mir auch tat.)

Die „Zensur„, die ich in meinem Blog anwende ist sicherlich nicht so schlimm, wie die, die Facebook oder Apple ausübt. Die wiederum nicht so schlimm ist, wie die, die China ausübt – keine Frage. Das ist – wie oben gezeigt – alles eine Frage der Totalität der Plattform, d.h. des Aufwandes, den man treiben muss, die Plattform zu wechseln.

Aber man muss sich darüber im klaren sein, dass es zwischen all diesen Beispielen keine wesentlich strukturellen Unterschiede gibt. Was man da jetzt für Konseqenzen draus zieht ist eine andere Frage. Ich habe versucht mit der Plattformneutralität eine Antwort drauf zu finden. Aber die könnte gerne mal konkreter ausfallen.

Ich will lesen!

Ich lese kaum noch richtig Bücher, seitdem ich am Internet wie am Tropf hänge. Ich merke sehr deutlich, wie das Lesen im Internet meine Aufmerksamkeit und meine Art des Aufnehmens und Verstehens umkonfiguriert. Ich bin mir sicher, einige von euch kennen das. Konzentrationsschnappatmung. Aber gleichzeitig volle Konnektivität. Man kann sofort nachfragen, Kommentar zu schreiben, verbloggen. Das Gelesene verbleibt nicht mehr in einem Außen, dass man herein schaufelt, sondern webt mich in sich ein, antwortet auf mich.

Wie dem auch sei. Ich will dennoch Bücher lesen. Es ist nun mal die Hypothek unserer Achsenzeit, dass die wirklich relevanten Gedanken nach wie vor in Buchform gegossen stehen. Ich bin mir sicher, dass sich das ändert, ändern wird. Aber bis dahin will ich auf diesen Wissens- und Gedankenschatz ungern verzichten.

Eine Möglichkeit Internet und Buch zusammenzudenken sind öffentliche Lesesessions. Plomlompom hat gerade eine angeregt zu dem Buch: The Fall of Public Man von Richard Sennett und ich werde da mitzumachen.

Schon lange beneide ich Plom um seine Konsequenz und Disziplin, sich durch wahnwitzige Wälzer wie den Penrose durchzubeißen und dabei das Buch in seinem Wiki zusammenzufassen. Und vor allem denke ich mir: „WOW! Was für ein toller Dienst an der Menschheit!“ Ploms Zusammenfassungen können durchaus eine Buchlektüre weitestgehend ersetzen (das mag auch an seinem Können liegen) und so komme ich langsam auf den Idee, dass zusammenfasste Bücher doch das sinnvollere – weil internethirnkompatible Google Books wäre. Nicht stupide online gestellte Rohdaten, sondern internetkompatiblere Zusammenfassungen, die auch Twitterer und Youtubefilmschauer durchzulesen im Stande sind, werden gebraucht. (Das gilt vor allem seit Bücher zum großen teil aus Füllmaterial bestehen, wie Kathrin Passig letztens erst wieder in einem ihrer tollen Texte bemerkte.)

Neben Plom hat das zum Beispiel Thomas Strobel auf Twitter mit dem Sarrazinbuch gemacht, was eine grandiose Tat war. Das Resultat kann man sich nach wie vor hier angucken, Martin Lindner sei Dank. Ich habe dadurch das Gefühl, dass ich durchaus den Inhalt des Buches kenne, was – trotz der enormen Absatzzahlen – erschreckend wenige Menschen von sich behaupten können.

Was aber fehlt, ist eine Infrastruktur für sowas. Weder Ploms Wiki scheint mir da besonders leichtgängig, noch will ich meinen Twitterstream mit Lektürenotizen zumüllen. Dennoch will ich gerne eine „Wissenressource“ aufbauen, der man aber „folgen“ können soll. So eine Mischung aus Blog und Wiki wäre toll dafür. Am besten mit Versionierung im Hintergrund, so GIT-mäßig. Dazu wären noch „soziale“ Features sehr hilfreich: Gruppen, damit sich solche Lesekreise wie unserer bilden können. Kommentare, Verweise, etc.

Und dann bin ich gestern auf das Projekt „Quote.fm“ von UARRR und seinen Freunden gestoßen, die etwas – naja – verwandtes machen wollen. Einen Lesekreis Social Network, aber für Webtexte. Und statt Zusammenfassungen wollen sie Zitate sammeln. Aber von der grundlegenden Idee her, wäre das sicher schon ein guter Anfang. Vielleicht ließe sich das Projekt ja in Richtung eines allgemeineren Lesenetworks weiterbauen. Vor allem, da sie mittlerweile selbst nicht mehr so an die rechtsmäßige Durchführung ihres Projektes glauben. Vielleicht meldet sich ja Uarrr an dieser Stelle.

Zur rechtlichen Lage was Zusammenfassungen angeht, kann man eigentlich froh gen Mutes sein, wenn man sich das kürzliche Urteil in Sachen FAZ, Sueddeutsche vs. Perlentaucher anschaut.

Bis es aber so ein Tool gibt, werde ich meine Lektürenotizen in einzelnen Blogeinträgen verwalten, die ich dann immer wieder update. Eine Krücke, klar. Aber irgendwo muss man mit dem Weltretten ja anfangen.

Mediendings von gestern

Hier noch die Ergebnisse meiner gestrigen spontanen Medienoffensive.

1. Die Talkrunde mit Thilo Weichert, Dr. Christoph Bieber und mir zu Wikileaks. (Link) und (depublizierungssicherer Link). Ich fand das recht ok.

2. Und hier der Auftritt bei dem ARD Nachtstudio zu dem merkwürdigen Datenschutzvorstoß unseres Innenministers. (Wieder zusammen mit Thilo Weichert) (Link) und (depublizierungssicherer Link (so lange, die Youtube nicht andingsen, weiß das wer?):

Mittlerweile habe ich mir ein paar weitergehende Gedanken zu dem Thema gemacht. Ist da vielleicht eine hidden Agenda um eigentlich Hacks und Wikileaks-Enthüllungen zu kriminalisieren?

PS: Kleines Detail am Rande. Irgendwie agiere ich mit Thilo Weichert dauernd im Duett. Das ging schon damals in der c’t los. Da hatte er den Gegenartikel zu meinem Kontrollverlustartikel geschrieben. Jetzt diese beiden Koinzidenzen. Zudem wird demnächst ein Beitrag von mir in einem von ihm und Jan Schmidt betreuten Heft der Bundeszentrale für politische Bildung erscheinen. Dabei haben wir uns bis heute nie vorgestellt. (Auf der JeffJarvisveranstaltung in der Böllstiftung wollte ich ihn ansprechen, dann war er aber irgendwie weg). Aber das kann ja noch werden.

Nachtrag – Datenschutzvorstoß ein Lex-Wikileaks?

Einer der Gründe, warum das Interview (ARD 0:00) zu dem Datenschutzvorstoß des Innenministers heute abend vielleicht etwas ziellos war ist sein wird gewesen sein wird, ist die Tatsache, dass ich das alles nicht recht kapiere. Ich war nämlich gerade auf so ner Konferenz und hatte das ganze zwar mitbekommen, wollte mich eh noch mit dem Thema beschäftigen, hatte bis dahin aber keine Zeit gefunden. Und jetzt sitze ich etwas ratlos davor.

Ich mein: Was soll das?

Umfangreiche und gewerbsmäßige Datensammlungen“ sind des Teufels, das ist Datenschutzkonsens, soweit klar. Und mir ist auch völlig klar, dass da einige Ideen und Vorstöße von vielen Seiten erwünscht sind, diese Sammelwut irgendwie einzuschränken oder zumindest den Zugriff zu regulieren. Auch klar.

Aber was der Innenminister will, ist ja etwas ganz anderes: Er will verhindern, so wörtlich, dass diese Datensammlungen „veröffentlicht“ werden.

Hmm. Veröffentlicht. Nee, klar. Wär doof, wenn das passiert. Aber irgendwie … ist euch dazu ein Fall bekannt? Ist genau das bislang irgendwo zum Problem – zum Datenschutzproblem – geworden?

Ich mein, klar werden gerne Daten gesammelt aber was damit gemacht wird, ist etwas völlig anderes: Es wird versucht Werbung dran anzupassen, den Dienst zu verbessern oder die Datensätze werden verkauft – an andere Werbefirmen. Im schlimmsten Fall werden sensible Daten wie Kontonummern, Passwörter oder Kreditkarteninformation für betrügerische Zwecke ausgenutzt.

Aber veröffentlicht? Wer macht denn sowas? Und zu welchem Zweck?

Hmm, klar! Hacker tun das! Wenn sie beispielsweise wieder in Leck in den VZ-Netzwerken gefunden haben.

Und Wikileaks oder andere Whistleblowerplattformen tun das!

Ist der Datenschutzvorstoß des Innenministers also ein Lex-Wikileaks? Um sich und seine mächtigen Freunde zu schützen?

Wie ich heute morgen getwittert habe: mir ist nicht ganz wohl bei der Sache.

AudioAudioAudio

UPDATE

Es ist Audioweek Medienweek! Heute abend, ca. zwei Stunden nach der Sendung „Redezeit“ (siehe 4.) also um 0:00 bin wohl ich noch in der ARD im Nachtmagazin zu sehen. Hat sich irgendwie total spontan ergeben. Dort erzähl ich was zum Thema Datensammelwut der Internetplattformen und krams. Alles wegen des Datenschutzvorstoßes unseres Innenministers. Ich sag da eigentlich nicht wirklich was neues oder irgendwie intelligentes, was nicht jeder hätte erzählen können. Aber naja, Fernsehen halt.

Update Ende.

1. Wir müssen reden 15 ist draussen! Wir haben über alles geredet, außer den #jmstv. (Klick)

2. Darüber habe ich dann stattdessen gestern mit dem Piratenradio getalkt. So ne Stunde per Skype. (Klick)

3. Kurz zuvor war der Sixtus bei Hr2 Der Tag zum Thema Wikileaks und versprach vorher öffentlich das Wort „Kontrollverlust“ fallen zu lassen. Hat er dann auch gemacht. Die Sendung ist auch sonst sehr hörenswert, wenn auch sehr wikileakskritisch. (Klick)

4. Und heute abend bin ich dann ab 21.05 bei NDR Info in der Sendung „Redezeit“, wo wir etwa eine Stunde über das selbe Thema sprechen werden. Mit Anrufern, die ihr sein könntet. (Klick)

Es. ist. da.

Heute ist es endlich gekommen, mein Macbook Air. Hach!

Wer meine live gestreamte Auspacksession auf Twitter heute Nachmittag verpasst hat, kann sie hier nachholen:


Watch live video from mspro on Justin.tv

Da das Air jetzt mein neues One-and-Only Notebook werden soll – also alles nonplusultra Arbeits- Freizeit und überhaupt Lebensgerät – habe ich ganz unten rechts, alles bis auf Anschlag bestellt. Also mit der 256 GB Platt und 4 GB Arbeitsspeicher und sogar mit dem Prozessorupgrade. Ich bin selbst etwas aufgeregt ob dieses kühnen Vorstoßes, aber guter Dinge, seit dem es im Einsatz ist.

Erstmal war ich wieder hin und weg, als ich nach ner Stunde Timemachinezurückgespiele einfach den selben Rechner, mit den selben Einstellungen, den selben Dateien und den selben Programmen wieder habe – wo selbst die letzte Lautstärkenregelungsmodifikation wieder ganz an seinem Platz ist…

… und dann aber alles viel besser funktioniert. Alles bedient sich jetzt wieder fluffig, alles startet schnell, kein Gehakel mehr, kein Gelüfte, kein Nervgeruckel und Gezuppel. Die SSD-Platte holt ganz schön was raus aus dem Teil.

Ansonsten: Das Ding ist so fest und gleichzeitig dünn, dass das ganze Air beim tippen nachvibriert und dabei auch leicht scheppert. Muss man sich wohl etwas dran gewöhnen, oder ne sanfte Unterlage suchen. Wirklich stören tut es kaum.

Falls ich demnächst das Bedürfnis verspüre genauer auf das Air einzugehen, werde ich das hier natürlich tun. Bis dahin bin ich einfach nur glücklich.

Nachtrag: bei Flashfilmen fängt das Ding doch tatsächlich an, zu lüften.

Postprivacy revisited

Letztens hatte ich einen fruchtbaren Disput mit Anne Roth aka @annnalist über Postprivacy auf Twitter. Die Diskussion wurde von Kai Werthwein aka @schlipsnerd für hinreichend interessant gefunden den Verlauf komplett zu dokumentieren. Danke, an dieser Stelle, dafür.

Anne hat das dann auch verbloggt, so dass man den gesamten Hergang noch mal nachlesen kann.

Ich habe die Argumente auch noch mal zusammen gesammelt, etwas verdichtet und dann bei Hyperland, dem Blog, das Mario Sixtus für das ZDF betreibt, aufgeschrieben:

Man kann die Intensität des Datenschutzdiskurses sehr genau entlang des gesellschaftlichen Machtgefälles nachzeichnen: Ausländer, insbesondere Asylanten, genießen kaum Datenschutz. Von ihnen werden alle verfügbaren Daten gegen ihren Willen gespeichert und auch gegen sie verwendet. Aus dem Datenschutzlager hört man zu dem Thema wenig.

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Auf dem Weg in die Befindlichkeitskratie

Deutschland ist schon immer ein Hort der Befindlichkeit. Ruhestörung ist hier eine Ordnungwidrigkeit. Wehe man mäht mittags den Rasen, oder hackt Holz. Wenn man einen Stinkefinger gezeigt bekommt, kann man zur Polizei rennen und den bösen Menschen wegen Nötigung anzeigen. Interviews werden hierzulande erst noch mal abgenickt und vorher oft noch bis zur Unbrauchbarkeit redigiert. Passend dazu das Abmahnwesen. Man kann Menschen kostenpflichtig zur Unterlassung auffordern, wenn man sich beleidigt oder in seinem Wettbewerb eigeschränkt fühlt. Kein Prozess, kein Richter, es braucht nur einen, der sich irgendwie fühlt. Im Zweifel muss halt der andere den Verdacht ausräumen.

Und gestört fühlen sie sich alle. Wer hierzuzlande wissentlich neben eine Disko zieht, kann sie rechtlich zwingen nur noch in Zimmerlautstärke Musik zu spielen. Es werden Petitionen gegen Windkraftfelder gesammelt und gegen das Asylantenheim, das einfach zu nah ist. In den Gärten der Provinz werden die peinlichsten und kindischsten Rechtsstreitigkeiten ausgetragen, wegen nichts. Weil es geht. Das deutsche Recht sieht tausend Möglichkeiten vor, sich gestört zu fühlen. Und sie werden gerne genutzt. Glaubt mir das, ich bin da aufgewachsen.

Aber mit Street View sind wir jetzt aber einen entscheidenden Schritt weiter. Streetview stieß nämlich nicht auf eine unserer vielen Befindlichkeitsrechtsnormen, sondern „nur“ auf unsere überkandidelten Datenschützer und ein Volk von Jammerlappen, Angsthasen und Berufsnölern, die es einfach gewohnt sind, dass für jede ihre Befindlichkeit auch ein Abwehrrecht existiert- völlig egal wie schwachsinnig es ist.

Und so gab Google klein bei und verpixelte aus Kulanz die Häuser der Spießbürger. Ein großer Fehler, wie ich finde, denn wie man sieht, hat das eine beinahe Unbenutzbarmachung des Dienstes zur Folge. Ich bin mir sicher, dass Google damit nicht gerechnet hat. Man hätte es Google auch sagen sollen: gibt man einem Deutschen eine Möglichkeit sich gestört zu fühlen, dann nutzen er sie.

Mit Googles Einknicken haben wir aber die nächste Stufe zur Befindlichkeitkratie genommen. Das Persönlichkeitsrecht soll so weit ausgedehnt werden, wie der einzelne es möchte. Die Hausfassade, in der man wohnt, soll jetzt auch mit zur Persönlichkeit und damit zur Privatsphäre gehören. Jedenfalls, wenn man das will. Die Hausfassade, die schon immer, zu jeder Zeit und nach jedem Verständnis gerade die Trennung zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen bewerkstelligt – mit einem klar definierten Innen und einem unzweifelhaften Außen – die soll jetzt auch Privatssphäre werden.

Aber Argumente sind hier nicht so gern geshen. Ennomane gibt den Ton vor. Man habe den Verpixelungswunsch der Leute zu respektieren „…aus welchen Gründen auch immer“ (das im Text mehrere Male emphatisch beschworen wird). Es braucht jetzt weder eine Rechts- noch eine sonstwie verargumentierte Norm. Man braucht sich gar nicht mehr einigen, wo die Grenze zwischen privat und öffentlich verläuft. Es reicht, wenn es die Leute nicht wollen. „Aus welchen Gründen auch immer!„. Das Gefühl siegt, es braucht jetzt keine Argumente mehr. Der Andere hat halt Rücksicht zu nehmen.

Ähnlich bei Thomas Pfeiffer. Auf die Frage, wie denn das Fotografieren einer Hausfassade die Ruhe stören würde, antwortet er:

Damit ist sie klar, die Marschrichtung in die Spießerrepublik: Es soll also niemand mehr begründen müssen, warum er sich gestört fühlt. Die Tatsache an sich reicht schon.

Nicht, dass das nicht heute technisch möglich wird. Hier ein Vorschlag:

Jeder kann seine Persönlichkeit/Privatheit und Ungestörtheitsbedürfnis einfach nach eigenem Gusto definieren. In einer Datenbank trägt jeder ab, wo er die Grenzen seiner Privatheit erfühlt. Der eine bei der Wohnung, der andere bei der Hausfassade, der nächste will den Bügersteig noch mit drin haben. Bei dem einen darf man sich nicht vor dem Haus unterhalten, der andere verbietet Hunden das Vorbeilaufen. Ein dritter möchte keine Schwulen Pärchen vor seinem Fenster. Jeder hat halt andere Kriterien, von was er sich gestört fühlt UND DAS HAT ER GEFÄLLIGST JA NICHT ZU BEGRÜNDEN!

Und wer bei der Befindlichkeitskratie nicht mitmacht und verpixelte Häuser fotografiert, ist ein Fanatiker, ein Totalitarist, ein Radikaler oder gar ein Terrorist. Aber das – da bin ich mir sicher – haben wir mit den Leuten gemeinsam, die zur Mittagszeit den Rasen mähen.