Nachtrag: Silvester

Ich habe Silvester dieses Jahr das erste mal in meiner Gegend verbracht.

Das beinhaltete auch einen Gang über die Oberbaumbrücke. Was ich nicht wusste: 10 nach 12 war die Oberbaumbrücke nicht weniger umkämpft, als seinerzeit die Brücke von Arnheim.

(Ich habe mir auch meine Erfahrungen auch schon beim Wir.müssenreden-16-Podcast von der Seele geredet).

Für die starken Nerven: hier die verstörenden Bilder unserer Kriegsberichterstattung.:

Warum eigentlich Banken?

    Ich habe für dieses Jahr fast 30 Euro Kontogebühren gezahlt. Wenn ich eine EC-Karte bestelle, dauert das 4 Wochen. Für alle mögliche Dinge muss ich Gebühren zahlen, obwohl ihnen keine Kosten gegenüber stehen. Transaktionen dauern absurd lange und sind furchtbar kompliziert und aufwändig durchzuführen. Die Webseiten sind grauenhaft gestaltet und der Service ist mies. Warum eigentlich Banken?

    2008 drohten die Banken Reihenweise umzukippen, Rettungsschirme in Millardenhöhe schafften es, sie gerade noch zu stützten. Indem die Steuerzahler nun Griechenland und Co aus der Patsche helfen, passiert eigentlich auch nur wieder eine indirekte Bankenrettung. Die Manager stecken sich derweil die Boni wieder ein und der Finanzkapitalismus wird die Welt vermutlich zeitnah an den Rand des Abgrunds führen. Warum haben wir die noch mal gerettet?

    Der Postdramatiker hat anhand der Entwicklungen in Afrika schön aufgezeigt wie das Bezahlen der Zukunft aussieht. Transaktionen von Device zu Device. Dort zwar aus Mangel an Alternativen, doch auch bei uns könnte man sich fragen: warum eigentlich Banken?

    Facebook druckt bereits sein eigenes Geld. Die Facebook Credits werden zwar derzeit nur für die Social Games wie Farmville genutzt, aber das muss ja nicht so bleiben. Facebook sitzt bereits in vielen Webseiten mit Likebutton und Widget und Flattr hat vorgemacht, wie die Einklickbezahlung funktionieren kann. Facebook könnte auf einen Schlag der Mircropaymentmarktführer der Welt werden. Ein Markt, den die Banken verschlafen haben und mit zu hohen Transaktionsgebühren immer zu verhindern suchten. Natürlich muss man auch die Facebook Credits per Bankkonto aufladen. Aber warum eigentlich?

    Der Netzökonom schreibt über das iPad:

    „Ebay hat festgestellt, dass auf keinem Gerät so viele Produkte angeschaut werden und so viel Geld ausgegeben wird wie auf einem iPad.“

    Bezahlen tun die Leute den Kram, den sie auf dem iPad kaufen dann weiterhin per Kreditkarte oder Paypal. Und das obwohl doch alle einen iTunesaccount haben, der fest in dem Gerät verdrahtet ist. Apple könnte sich fragen: Warum machen eigentlich die anderen das Geschäft?

    Googles Android verbaut bereits die NFC (Near Field Communication)-Chips. Daraus könnte sich ein einfacher Weg ergeben, unterwegs Zahlungen zu tätigen. Schnell am Kiosk mit dem Handy bezahlen, Preis erscheint auf dem Display, OK drücken, fertig. Auch das iPhone soll ab der nächsten Generation diesen Chip implementieren. Ich wäre dabei. Und Apple könnte hier wieder die Zahlung über den iTunesaccount (siehe oben) connecten. Ein Applestore für alles? Aber warum wird der iTunesaccount dann nicht gleich ein richtiges Konto?

    Aus dem Projekt der Mikrokredite ist ein lukrativer Markt geworden. Crowdfunding gewinnt langsam die Größe, in der es ein ernst zu nehmender Wirtschaftsfaktor wird. Wenn wir alle direkt – auch mit Kleinstbeträgen – Projekte finanzieren können, an die wir glauben – egal ob aus wirtschaftlicher, ideeller, loyaler oder emotionaler Intention – werden wir uns Fragen: Wozu brauchen wir da noch einen Mittler, wenn das Internet uns zusammenbringt?

Ab 2011 werden Banken vor allem blöd im Weg rumstehen, während die realen Transaktionen langsam aber sicher in die Hände der Technologieunternehmen gleiten. Man wird zunächst weiter auf Banken bauen, sie sind ein tradierter Teil in der Kette, aber auch die Sollbruchstelle. Dort wo es hakt. Banken werden immer mehr zum Problem, statt zur Lösung.

Ich glaube, 2011 wird der Anfang des Endes der Banken sein.

Monika Piel: Verschwörung gegen die Verbraucher

Stefan Niggemeier und Marcel Weiß haben die „Agrumentation“ der ARD-Intendantin Piel bereits schön auseinander genommen. Aber etwas bleibt bei mir zurück, was mich nicht loslässt.

In dem Interview sind derart krasse Verdrehungen der Tatsachen und kontrafaktische Behauptungen, dass sich alles in mir sträubt, an Unwissenheit oder Dummheit zu glauben.

Beispielsweise die Behauptung, dass Google eine Gefahr für die ARD sei. Eine solche Bedrohung ließe sich selbst mit der neusten Multiversenthese der Stringtheorie nicht herleiten. Das ist mehr als dumm. Das ist eine schlichte Lüge.

Der Text strotzt vor solchen kontrafaktischen Behauptungen nur so, dass für mich eigentlich klar ist, dass hier eine mehr oder minder „hidden“ Agenda gefahren wird. Aber bevor ich in das Reich der Verschwörungstheoretiker verbannt werde, will ich darauf hinweisen, dass Verschwörungen ja nicht immer geheim sein müssen und auf ein paar Stellen im Text hinweisen, die eine genauere Betrachtung verdienen:

Ich suche das Gespräch mit den Verlagen. Ich verstehe die Lage der Zeitungen und Zeitschriften, von denen viele in einer ungeheuer schwierigen wirtschaftlichen Lage sind. Mir liegt daran, dass die Printbranche überlebt.

Man kann also davon ausgehen, dass sie mit der Verlegerlobby bereits gesprochen hat. Was genau hat man da zu besprechen? Was kann die eine Seite der anderen anbieten? Die Verleger könnten ihr Propagandasperrfeuer gegen die ÖR (Internet, Tagesschauapp) einstellen – oder andernfalls drohen es auszuweiten. Klar soweit. Und was hat die ARD zu bieten?

Wir bieten Kooperationen an. Mathias Döpfner, der Springer-Chef, denkt bei diesem Thema in die richtige Richtung. Er will eine Allianz der Qualitätsanbieter im Wettbewerb, unter anderem gegen Google, Apple und Vodafone. Die ARD steht dafür bereit.
[…]
Ich kann mir gemeinsame Plattformen vorstellen, um unsere Inhalte zu vermarkten. Wir sollten das Online-Geschäft nicht nur den multinationalen Konzernen überlassen.

Seh ich das richtig? Die Verleger wollen sich kartellartig zusammenschließen, um auf einer gemeinsamen Plattform dem Nutzer Preise diktieren zu können? Und die ÖR? Klar, die funken dazwischen, mit ihren qualitativen Inhalten, die bereits bezahlt sind. Die Politik ist da machtlos, denn dafür ist der ÖR schließlich ja da, wie Stefan Niggemeier so schön gezeigt hat. Sie könnte ihn höchstens abschaffen.

Also zieht die Verlegerlobby einfach die ARD an der Politik, den Verbraucherinteressen und allem, wofür es die ÖR überhaupt gibt, vorbei, mit in das Katrellboot. Frau Piel steht jetzt auf der anderen Seite und verkündet das Verlegerevangelium.

Das hier ist nichts anderes als eine offene Verschwörung.

Eine Verschwörung der ARD mit der Verlagslobby. Ganz offen gegen die Verbraucherinteressen gerichtet und den Grundversorungsauftrag ad absurdum führend.

Da frage ich mich: ist das nicht strafbar?

beeilt euch!

Irgendwie ist 2010 etwas passiert. Etwas bedeutendes. Es ist ein Bruch merkbar und das Gleiten in das Jahr 2011 fühlte sich irgendwie verwirrend an. Man schaute zurück, während man rutschte und fragte, was denn genau passiert war. Es gab kein initiales Ereignis wie den 11. September oder den Mauerfall, aber doch gerade in letzter Zeit eine ganze Reihe von Ereignissen, die alle irgendwie einen Endpunkt markieren.

Staat, Kapitalismus, Geheimnis, Wachstum, Massenmedien, Demokratie, Europa, USA, Industrie, etc. sind nur einige Konzepte und Institutionen, die nur noch mit ständigen Notoperationen und einem Haufen Pflaster zusammengehalten werden.

Irgendwie scheint es so, als wäre 2010 das Jahr des Endes gewesen. Nicht, dass all diese Dinge schon wirklich verschwunden wären, aber so wie bei Peak-Oil ist ihre Endlichkeit urplötzlich in’s Sichtfeld geraten. Wir donnern sehenden Auges auf das Ende unserer Welt zu. Und das erschreckenste: Wir haben kaum Ideen, für das, was danach kommen wird oder soll.

Es gibt hierzulande keine prograssive Kraft mehr in der Politik. Der Wandel kam zu schnell, als dass der langsame Dinosaurier Demokratie darauf einrichten konnte. Mit CDU, FDP, SPD, Grüne, Linke sitzen fünf konservative Kräfte im Parlament. Keine hat eine grundlegend neue Idee, alle verteidigen bestehende Strukturen und weigern sich beharrlich, in neuen zu denken.

Die Piraten sind auf dem Weg, aber leider noch nicht weit gekommen. Dennoch ist es derzeit die einzige Partei in der überhaupt über neue Konzepte und neue emanzipative Ideen nachgedacht wird. Die Piraten sind derzeit aber eher ein Thinktank als eine politische Kraft. Aber so lange sie noch im Dunkeln tappen, ist das vermutlich auch besser so.

Jedoch: sie werden zu spät gekommen sein. Das ist meine Befürchtung. Bevor nämlich überhaupt in größeren Maßstab über Alternativen nachgedacht wird, muss es schlimm werden. Sehr schlimm. Ungarnschlimm. Wenn nicht noch schlimmer.

Der „Wutbürger“ ist keine Illusion. Es ist der – vielleicht gerechtfertigte – blinde Hass gegen „das System„, der in uns allen schlummmert. Der Wutbürger wird beklatscht, wenn sein Hass die (vermeintlich) richtigen trifft und er macht uns Angst, wenn er sich in Millionenauflagen von Hetzern wie Sarrazin widerspiegelt. Der Wutbürger wird auch 2011 auf die Barrikaden steigen, wogegen auch immer.

Ich glaube übrigens nicht, dass der Adel 1789 aus Arroganz und Ignoranz heraus jedes Zugeständnis an „das Volk“ verweigert hat. Das ist nur die nachträgliche, überhebliche Interpreation aus einer Zeit, in der die zu erstrebenden Werte der Revolution selbstverständlich sind. Nachträgliche Evidenz. Ich glaube, dass sich der Adel überhaupt keine Vorstellung einer anderen Welt machen konnte, ebensowenig wie die Jakobiner selbst.

Das System wird stürzen, bevor wir Konzepte für ein neues haben. Und dann regiert der Hass. Wie gut, dass unsere Generation die Mobilität mit der Muttermilch aufgesogen hat…

An die Utopisten: beeilt euch!

Vortragsankündigung

Bevor es im allgemeinen Weihnachtsrummel untergeht (oh, schon untergegangen?), noch schnell ein Hinweis in eigener Sache:

Mein abgelehnter Vortrag für den 27c3 halte ich nun in einer Parallelveranstaltung, die die „Rejected Talks“ des Kongresses abfeiert. Classless Kulla hat das letztes Jahr bereits grandios organisiert (dort waren einige Highlights) und auch dieses Jahr findet es in der C-Base statt.

Ich werde also am 28. Dezember um 18:00 in der C-Base einen Vortrag halten. Um ganz ehrlich zu sein: der Stoff hat sich seit der Einreichung kräftig entwickelt und wird wohl gehörig vom Ankündigungstext und -Titel abweichen. Aber – so hoffe ich – im positiven Sinne.

Ihr seid also alle eingeladen, euch den Termin in die Kalender einzutragen.

Uterusneutralität?

Heute mal etwas ganz anderes. Wobei irgendwie auch nicht. Mal sehen.

Also da haben wir gerade einen Streit – mal wieder – über Präimplantationsdiagnostik. Und ich muss sagen, ich bin da hin und -hergerissen.

Da wäre erstmal der Streit, wie er im Mainstream ausgetragen wird: hier die Ökoleute in merkwürdiger Koalition mit den CDU-Fundi-Christen gegen SPD und Liberale. Und natürlich hat Weissgarnix nicht unrecht, wenn er hier eine verlogene Debatte ausfindig macht. Natürlich ist die Grenze willkürlich/religiös fundiert, wo man von Leben/Mensch und die ganzen Implikationen wie „Würde“ herleiten kann. Dann kann man auch Abtreibungen verbieten, etc.

Andererseits dieser Tweet von @pantoffelpunk:

[Link]

Anderseits der Film GATTACA:

Es stellt sich – um mal von der unfruchtbaren (kchkchkhch) Debatte um „Ethik“ und „Moral“ wegzukommen – die Frage, wie hier „private“ Interessen, denen einer „Gesellschaft“ entgegenstehen. Eine politische Frage also. Denn machen wir uns nichts vor: wenn wir uns fragen, in was für einer Gesellschaft wir leben wollen, kommen wir um die Frage: „wer regelt die Geburt?“ nicht herum. Denn geregelt wird sie so oder so.

Die vollkommen privatistische Antwort: Die Eltern regeln die Geburt. „Mein Bauch gehört mir“ gilt ja immer noch und zwar als progressiver Slogan. Aber: dann wird das GATTACA-Szenario mit sehr großer Wahrscheinlichkeit wahr werden. Denn mehr noch als „das Beste für ihr Kind„, wollen Eltern „das beste Kind„. Das bestmögliche, das genetisch irgendwie machbar ist.

Und deswegen wird die PID eben nicht bei schlimmen Krankheiten stehenbleiben, sondern langfristig auch bei der Ausbesserung von Unzulänglichkeiten nicht halt machen. Ein Casting aus mehreren 100 befruchteten Eizellen wird irgendwann Standard werden und welche Eltern werden dann nicht „unten rechts“ bestellen? (Für Nicht-Appleuser: das ist in der Produkttabelle immer die Maxiamalausstattung)

Ein PID-Wettrüsten wäre die Folge. Die Züchtung des Supermenschen. Vermutlich – jedenfalls zunächst – auch mit ungleichen Mitteln. Vor allem die Anzahl der Befurchtungsvariationen wird entsprechend der Geldbörse der Eltern eine Begrenzung erfahren. „Das perfekte Kind“ wird man aber mit höherer Wahrscheinlichkeit eher unter 1000, als unter 100 befruchteten Eizellen finden.

Dagegengehalten wird mit: dann lassen wir die Selektion eben ganz. Wir verbieten PID und überlassen alles, dem Zufall/Gott etc. Aber auch dieses Szenario ist relativ unrealistisch in einer globalisierten Welt. Dann geht man eben in’s Nachbarland, wie übrigens jetzt schon. Außerdem lässt sich sehr wohl auch argumentieren, dass ein Leben, dass keine Überlebenschance hat, nur unnötige Quälerei ist. Sind wir nicht auch in der Pflicht zu regulieren, wo wir es können?

Es bleibt also nichts anderes, als sich mit der PID zu arrangieren. Und dann sollte man zunächst auf den Tisch legen, wo genau die Probleme damit liegen.

Mein Unwohlsein liegt eindeutig an der Entscheidungsmacht, die da aus dem Himmel fällt. Darf es eine solche Instanz geben, die sagt, dieses ist „wertes“, jenes ist „unwertes“ Leben? Es ist mir unangenehm, wenn dritte über Leben oder Nichtleben von anderen entscheiden – auch weil diese anderen dann in der Gesamtheit die Gesellschaft stellen werden, das sollte man nicht vergessen.

Mit scheint, wir haben es hier mit einem Plattformneutralitätsproblem zu tun. Betrachtet man den Uterus als Gebärinfrastruktur, die in privater Hand liegt, dann hat man das Problem, dass das, worauf Gesellschaft beruht – nämlich seine biologischen Individuen – durch die PID gescannt und nach Gutdünken der privaten Betreiber der Infrastruktur reguliert werden. Die Präimplantationsdiagnostik ist die Deep Packet Inspection des Genpools.

Braucht es also eine Uterusneutraität, die – ähnlich wie die Netzneutralität – genau regelt, wie viel in welchen Grenzen überhaupt privat reguliert werden darf? Ähnlich wie bei der Netzneutralität kann es nicht darum gehen, den privaten Betreibern zu verbieten, ihre Infrastruktur durch Regulierung am Laufen zu halten, sondern sie muss dieser Regulierung enge Grenzen zu setzen. Man könnte die PID beispielsweise nur auf streng eingegrenzte gesundheitliche Beeinträchtigungen beziehen und jede Erweiterung unter politische Abwägung stellen. Ich glaube auch, dass genau das gerade diskutiert wird.

Mein Punkt ist einfach, dass man die PID und damit die Geburtenkontrolle sehr wohl als politisches Problem betrachten sollte. Es darf in dieser Hinsicht keinen Freifahrtsschein der Eltern geben. Die Frage: „in welcher Gesellschaft wollen wir leben?“ ist eine politische Frage, die die PID zuungunsten der Gesellschaft in die Hände Einzelner legt. Um das zu erkennen braucht man aber keine „Ethik“ und schon gar keinen Gott.

Anonymous – Person des Jahres 2011

Jetzt, da nicht Julian Assange, wie es die Voter wollten, sondern Mark Zuckerberg den Olymp der Person des Jahres erklommen hat und es sich nun mit Stalin und Hitler in einer Reihe bequem machen kann, ist es doch mal Zeit, sich zu überlegen, was wer denn nächstes Jahr so auf uns zukommen könnte.

Da wäre natürlich der Kontrollverlust, da wäre weiterhin Assange, wenn sie den nicht vorher noch irgendwie „auf der Flucht“/“in Notwehr“/“ein anonymer Wahnsinnger war’s“ … ähhm, verlieren. Und da wäre überhaupt Wikileaks, die sicher noch mit dem einen oder anderen Knüller, die eine oder andere Weltmacht brüskieren werden und dann wäre natürlich auch der sich aufbauschende Krieg dagegen, der sinnlos sein wird, denn da wären ja noch all die Wikileaksnachfolger, die da schon in Arbeit sind.

Aber.

Ich glaube, das wirklich krasse Phänomen für 2011 wird Anonymous sein. Dieser kleine Pansenverein aus der 4Chan-Vorstadt, diese erlebnisorientierten Jugendlichen, die zum Krawallmachen anreisen, werden 2011 zu einer – nein – zu DER Jugenduntergrundorganisation, die Geschichte machen wird. Der Schwarze Block mit den Mitteln des Internets. Unbegrenzt, weltweit, unaufhaltsam und unfassbar.

Und obwohl es ihn schon lange gibt, ist er erst jetzt so richtig populär geworden. Seine Reihen werden in diesen Momenten mit immer neuen Kids – aber auch Erwachsenen – gefüllt werden. Der Kampf um Wikileaks ist ein wahnsinniger Katalysator.

Im Gegensatz zu Wikileaks ist Anonymous nicht angreifbar. Jeder kann Teil davon sein. Und man kann tun, was man will. Als anonymes Kollektiv ohne Führungsstruktur ist es die völlige Anarchie, die komplette Freiheit, der ungebändigste Individualismus jenseits der Identität. Es braucht kein richtiges Engagement, kein Bekenntnis zu irgendwas, kein Aufnahmeritual, keine Sympathie mit irgendwem, keinen einzigen graden politischen Gedanken und kaum persönliches Risiko. Alles was man braucht, ist ein bisschen Frust im Bauch. Alles was man braucht, ist ein wenig Nihilismus. Alles was man braucht, ist der Wille, es „denen“ mal so ordentlich zu zeigen. Und das wird man.

Anonymous wird über uns herfallen, 2011. Er wird über die Regierungen und über Banken herfallen und wir werden innerlich klatschen. Aber Anonymous ist nicht zu stoppen, nicht zu kontrollieren und er wird irrational, ungerecht und gefährlich für jeden werden. Wer 4Chan kennt, weiß, was ich meine. Anonymous kennt keine Grenzen, wird keine Grenzen kennen, wo sollten die auch herkommen?

Die Frage ist nur: wie zerstörerisch können millionen Menschen an Rechnern werden, wenn sie sich koordinieren?

JMStV – Politik als Farce

Ich wette, es gibt keinen einzigen deutschen Landtagsabgeordneten in Deutschland, der für den Jugendschutzmedienstaatsvertrag gestimmt hat, der nicht wußte, was für ein unsagbarer Crap das ist. Im Gegensatz zu dem, was einige Politiker behaupten, ist der Aktionismus und die Aufklärungskampagnen gegen den Vertrag seitens des AK-Zensur nämlich nicht erst seit gestern im Gange.

Aber es war ihnen schlicht egal!

Das Ding sollte durch gewunken werden, weil … ja weil … weil man das halt so tut! Wie SPON schreibt:

„Denn mit deren Zustimmung galt der Vertrag eigentlich längst als verabschiedet, die Zustimmung der Länderparlamente ist bei solchen Gesetzeswerken in der Regel eine Formsache.“

Parlament? Reine Formsache.

So ist das eben. Als Politiker muss man auch „2 + 2 = 5“ vertreten können, wenn es gefordert ist. Und dann werden 100 Experten angehört, die alle sagen, dass 2 + 2 = 4 ist und die Mathematikergemeinde schreibt Brandbriefe noch und nöcher, dass 2 + 2 = 4 ist und als Politiker stellt man sich hin und sagt: „Nun ja, es gibt Zweifel, dass 2 + 2 = 5 ist, da herrscht Uneinigkeit. Und wir sind uns auch nicht mehr so sicher. Aber wir sind ja nun in einer Koalition und die parlamentarischen Zwänge, nun…

Aber es braucht nur einmal die Opposition (ausgerechnet die, die allgemein als besonders rechenschwach gilt) anzudrohen, öffentlich zu behaupten 2 + 2 sei 4 – und Zack! – dreht sich das gesamte Parlamentskarussel in die andere Richtung. Wie von der Hornisse gestochen springen sie jetzt alle auf „Stopp“. Schließlich wäre die Alternative gewesen, sich vom allgemein als Klassendepp anerkannten Nixkönner wegen offensichtlicher Doofheit auslachen lassen zu müssen. Und alle lachen mit.

Ja, so funktioniert Politik, liebe Leute. Ich habe das schon ausführlich bei der Zensursuladebatte beobachten können. Und natürlich rufen jetzt wieder einige: das ist halt so, lebt damit! Aber nein, sorry. Ich verliere jeglichen Respekt vor der repräsentativen Demokratie, je weiter ich mich mit ihr befasse. Das ist ein schleichender Delegitimationsprozess, der – da bin ich sicher – nicht nur mich ereilt. Und das geht weit über ein knurriges ungewaschenes „die da Oben„-Geseiere hinaus. Das hier entsteht aus echter – teils hautnaher – Erfahrung.

Es wird Zeit für neue Strukturen politischer Willensbildung. Die repräsentative Demokratie ist viel zu unterkomplex in der Prozessierung der Probleme und viel zu überkomplex in ihrem Machtapparat. Legitimation durch Verfahren (Luhmann), schön und gut. Aber was, wenn das Verfahren selbst längst die Legitimation verliert? Das ist doch niemandem mehr vermittelbar. Selbst dann nicht, wenn einem das Ergebnis zufällig mal in den Kram passt.

Politik aus Sicht eines Technikdeterministen

Es hat etwas gedauert, aber dann hatte ich ja und so und außerdem war ja alles wieder und…

Natürlich wollte ich über Wikileaks schreiben. Hab ich letzte Woche auch gemacht, ist aber gestern erst erschienen: bei Zeit.de so allgemein.

Und auf CTRL-Verlust über den Bezug zur Queryöffentlichkeit und warum das, was Wikileaks macht, heute nicht wirklich ein aufklärerisches Projekt sein kann.

Und dabei fällt mir ein, dass ich ein „fröhlicher Technikdeterminist“ bin. Ja, ich glaube, dass die Informationstechnologien unser Miteinander, unsere Institutionen, unser Weltbild und unsere politischen Handlungsräume maßgeblich bestimmen. Mehr dazu gleich.

Und dann war ich das Wochenende auf der Konferenz/Barcamp-Chose der SPD. Ich war bei den Grünen ja auch, so dachte ich mir, also der Fairness halber. Bei der SPD kenn ich bereits einige der netzpolitischen Akteure und kann nur sagen: ganz tolle, nette und ausgezeichnete Menschen. Auch kompetent. Wirklich. Keine Frage.

Aber diese Ideologie … Jedenfalls Björn Böhning – der hat auf dem Podium sinngemäß folgendes gesagt: Die Technik/das Internet müsse dem Menschen dienlich sein. Die Politik habe die Aufgabe dafür zu sorgen. Man müsse das Internet also „gestalten“. Alle klatschen. (Dazu sei gesagt: Björn war der glaubhafteste Kämpfer in der SPD gegen die Netzsperren und hat auch sonst immer durchdachte netzpolitische Positionen)

Klar, ist ja auch erstmal richtig. Politik ist dafür da, zu gestalten. Da kommt also sowas neues in’s Haus wie das Internet, dann muss man das jetzt wohl auch getalten. Der Politiker ist eben ein Gestalter und gestaltet alles, was ihm so in Finger kommt, denn alles andere würde ja seine Legitimität untergraben. Deswegen ist das auch nicht nur ein Problem der SPD, sondern man sieht es ebenso bei den Grünen und bei allen anderen. Es ist quasi eine Politikerkrankheit.

Das Internet aber ist erstmal etwas, dass jeden mit jedem kommunikativ vernetzen kann. (Hackr hat das sehr schön anhand der Systemtheorie erklärt). Das heißt also: Das Internet ist etwas, das (potentiell) ungefilterte, direkte Kommunikation aller Akteure untereinander ermöglicht. Mit anderen Worten: Es gibt keinen Gestaltungsspielraum, die Konnektivität des Internets zu erhöhen, aber viel Gestaltungsspielraum diesen einzuschränken. (Ich nehme hier mal bewusst den politischen Kampf für Netzneutralität heraus, weil es eher ein Kampf gegen die „Gestaltung“ des Internets durch gewisse wirtschaftlichen Akteure ist.)

Folgerichtig ist die Netzpolitik der letzten Jahre (und vermutlich auch in Zukunft) ein Kampf gegen Netzpolitik der etablierten Parteien. Denn deren „Gestaltungs“spielraum beläuft sich zum Großteil auf Regulierung und damit auf Einengung der Konnektivität.

Als Technikdeterminist lehne ich also größtenteils ab, das Internet politisch gestalten zu wollen. Ganz im Gegenteil! Ich sehe die Aufgabe der Politik der nächsten Jahre, sich vom Netz gestalten zu lassen!

Aber dafür muss ich meinen Technikdeterminismus anhand eines pseudowissenschaftlichen Historismus noch etwas erläutern:

Jede Handlung ist durch das Setting seiner kommunikationstechnischen Möglichkeiten begrenzt und somit ist es auch die mögliche politische Organisationsform von Menschen. Vor der Schrift war der Agora/der Markplatz der Ort der Politik und konnte sich bestenfalls auf Stadtstaaten beziehen. Mit der Schrift konnten immerhin dezentral Fürstentümer entstehen, die mithilfe des Briefverkehrs einander Schnittstellen boten. Mit dem Buchdruck – also den Massenmedien – wurde das erste Mal so etwas wie ein flächiges, regierbares Staatsgebiet möglich und mit der Alphabetisierung konnte man anfangen von der Demokratie zu träumen. Die repräsentative Demokratie ist somit die evolutionär bestmögliche Staatsform innerhalb der Beschränkungen der heutigen Massenmedien – also auch deren Endpunkt. Denn heute haben wir das Internet und einige merken bereits, wie sehr es nach einer neuen Organisationsform für das Politische schreit.

Ich weiß auch nicht, was uns das Internet für neue Organisationsformen noch bescheren wird. Liquid Democracy ist ein frühes Experiment und sicherlich nicht das letzte. Wir stehen hier selbstredend gerade erst am Anfang. Wichtig ist aber, zu verstehen, dass wir nicht das Internet an unsere Welt, sondern die Welt an das Internet anpassen müssen. Das wird den Politikern nicht passen, denn vermutlich werden sie – wie nach und nach alle institutionalisierten „Vermittler“ – durch das Internet wegrationalisiert werden.