Facebookerei

Um Facebook zu retten (!!!), habe ich mich herabgelassen (!!!), auf Facebook eine Page (mspr0.de) einzurichten und hier Facebook-like-buttons eingedingst.

Die Überlegung ist einfach: Facebook ist derzeit der beste Online-Link in den tiefsten Kern der Bevölkerung. Facebook ist von allen Diensten am repräsentativsten. Und zwar eigentlich aller Bevölkerungen weltweit.

Wenn man einen Diskurs und eine Meinung überhaupt mal aus dem kleinen Onlinergehege hier herausheben will, wenn man mal die „normalen Menschen“ erreichen will, dann wird man an Facebook nicht vorbei kommen. Ich persönlich halte das für wichtig. Ich schreibe um zu überzeugen. Und zwar möglichst jeden. Und wenn nicht, will ich von möglichst allen anderen beschimpft werden. Hauptsache, sie merken, dass es da noch diese anderen Argumente gibt.

Also tut mir einen Gefallen: liked, shared und linkt was das Zeug hält. Hier zum Beispiel. Damit man eine Chance hat, durchzudringen.

Eine kleine Geschichte des politischen Internets

1969: Das amerikanische Militär gibt ein paar Hippie-Wissenschaftlern den Auftrag das Internet zu bauen.

1993: Tim Berners Lee macht das Internet klickbar und viele glauben nun das Internet sei eigentlich ein Shoppingcenter.

1996: John Perry Barlows Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace verhallt ungehört.

2001. Das Shoppingcenter ist pleite.

2005: Tim O’Reilly ruft das Web 2.0 aus – Das Internet soll nun die Menschen verbinden.

2009: Spätestens seit den Netzsperren-Kampagnen wird das Web von allerlei technikaffinen Utopisten, Weltverbesserern, meist mit Hochschulabschluss und eher links-liberal eingestellten Menschen bevölkert und und von diesen als der intellektuelle Zukunftsort der partizipativen Demokratie angesehen. Es wird in Stellung gebracht als „Gegenöffentlichkeit“ zu den „gleichgeschalteten“ „Mainstreammedien“ (also viel zu konservativen), die ja gar nicht mehr das „Volk“ (das sie selbst sind), sondern höchstens noch die Interessen der „Wirtschaft“ (also alle anderen) repräsentieren. Das aber sei jetzt vorbei (HAHA!), denn nun darf jeder ein Sender sein (Bätsch). Jeder hat eine Stimme. Das Volk wird sich jetzt einfach äußern, ob es den Mächtigen oder Politikern passt oder nicht.

2011: Das Volk kommt und äußert sich.

2012: Wir werden uns noch wünschen, sie wären internetverdrossen.

Das Netz und zu Guttenberg

Während Robin Meyer-Lucht in das große Horn des Netzes stößt und Netzpolitik vorsichtig relativiert, hier meine dritte Meinung.

Ich gebe Markus eher recht, wenn er sagt, dass das Netz hier vor allem durch GuttenPlag eine große Rolle spielte aber die klassischen Medien noch eher den Ausschlag gaben. Bzw. das Zusammenspiel dieser beiden Elemente war sicher entscheidend. (Unsere gesammelte Twitterempörung hingehen ist wohl vernachlässigbar angesichts der Mediensturms von FAZ, Sueddeutsche und dem Spiegel) Aber letztendlich – da bin ich mir sicher – war es doch der verlorene Rückhalt in den eigenen Reihen und in der bürgerlichen Basis, der den Ausschlag gab. Aber darauf wollte ich gar nicht hinaus.

Denn das Netz spielte natürliche eine Rolle und zwar eine große Rolle, größer als bei jedem anderen politischen Skandal in Deutschland. Größer als eine Rolle, viel größer. Nämlich mindestens zwei Rollen.

Es gab ja eben nicht nur GuttenPlag und die #guttbye Kampagne, sondern ebenso die ProGuttenberg-Facebookgruppe, die so wahnsinnig erfolgreich war, dass die Netzsprerrenpetition von 2009 fast lachhaft dagegen wirkt. Und das ist in der Tat neu: auch die andere Seite war diesmal massiv im Netz präsent und hat eine effektive Kampagne gefahren. Das ist eine Zäsur im deutschen Internet.

Das Netz forderte diesmal nichts, das Netz meinte diesmal nichts und das Netz brachte auch nichts zu stande. „Das Netz“ als – zumindest von außen – irgendwie homogen aussehender Meinungsraum, gibt es nicht mehr. Nicht mal mehr für den einfältigsten Journalisten.

Das Netz ist in der Gesellschaft angekommen, so könnte man sagen. Es sind nicht mehr nur ein paar Nerds und Spinner, die sich hier austoben. Es sind auch nicht mehr eher „Linke“ oder „Intellektuelle“, die sich hier rumtreiben. Das Netz wird nicht mehr – nicht mal mehr vorwiegend – von Akademikern, Technikern, Utopisten und Weltverbesserern bevölkert, sondern von allen Schichten, Bildungen, Berufen und politischen Einstellungen. Das Netz wird zunehmend repräsentativ.

Das wird enorme Folgen haben. Es gibt jetzt endgültig kein „Wir“ des Netzes mehr geben. Die andere Seite wird ebenso heftige und demnächst vielleicht auch erfolgreiche Kampagnen starten. Vielleicht demnächst für Netzsperren oder ähnlichen Kram? Mit allem ist zu rechnen. „Wir“ sind jedenfalls nicht mehr allein.

Guttenberg, die Uni und das ganze andere Gelöt

Kurz bevor ich hier gleich übel über die Universiät als Institution herziehen werde, will ich eine Podcast-Empfehlung loswerden.

Schon länger höre ich das „Philosophische Radio“ von WDR5. Das ist mal mehr, mal weniger gut, je nach Gast. Ist der Gast interessant, werden aufschlussreiche Gespräche über Themen geführt, über die man noch nie nachgedacht hat und man auch nie dachte, welch tiefe Gedanken sich hinter Themen wir „Staub“ oder „Warten“ verbergen können.

Der Grund für die Empfehlung heute ist aber ein anderer. Martin Warnke war zuletzt zu Gast und redet über ein Buch, dass er geschrieben hatte, von dem ich gar nichts wusste. Von dem ich aber hätte wissen können, denn ich war länger sein Student an der Universität-Lüneburg. Die thematischen Schwerpunkte in seinen Seminaren und der von ihm mitorganisierten Konferenz Hyperkult haben zum Großteil die Grundlagen dessen gelegt, mit dem ich mich bis heute beschäftige. Jedenfalls war dieser Martin Warnke nun auch da und das, was dabei rausgekommen ist, ist schon sehr hörenswert.

In seinem Buch hat er nun, wie es scheint, andere und seine eigenen „Theorien des Internet“ aufgeschrieben, die ich damals noch in ihrer Entstehung an der Uni miterlebte und die auch sehr interessant im Bezug auf den Kontrollverlust sind.

Er teilt die Entwicklung des Computers in drei Phasen ein:

In der „Synthese“ ist der Umgang mit dem Rechner noch ein Experimentierkasten der Wissenschaft, in der wohlgeformte, vorher festgelegte Dinge passierten. In der Phase der „Mimesis“ entwickelt die Technik immer mehr Schnittstellen nach außen, läd die Menschen zur Interaktion ein. Aufgabe des Computers ist es, vorhandene Technologien zu ersetzen oder nachzuahmen. Also von Compuserve bis quasi heute. Interessant ist, dass Warnke die letzte Phase, die der „Emergenz“ durchaus im Jetzt ansiedelt. Es ist eigentlich gar nichts mehr vorhersagbar, das Netz entwickelt sich irgendwie und jedes mal neu, ganz ohne Vorbild, ohne dass es noch irgendeine bewusst steuernde Kraft gibt, oder jemand, der den Überblick behält. Man könnte also sagen, dass es die Phase des Kontrollverlustes ist, im großen wie im kleinen. (Ich hatte eh vor, die Kontrollverlusttheorie langfristig in Richtung einer (kleinen) technologischen Singularität zu denken. Gleich mehr …)

* * *

Ich verdanke der Universität eine ganze Menge. Ich habe damals Kulturwissenschaften in Lüneburg studiert und ich habe es seit dem nicht ein einziges Mal bereut.

Klar, ich kam zwar schon als recht nachdenklicher Mensch zur Uni, aber das Nachdenken droht sich ja immer schnell sich in den eigenen Kreisen festzuzirkeln und ich bin von dieser Gefahr – ich sage mal – überdurchschnittlich stark bedroht. So war die Uni für mich erstmal ein Tor. Ein riesiges Tor zu neuem Wissen. Aber eben nur ein Tor, durch das man selbst gehen musste, wenn man es denn wollte.

Man darf sich da aber kein falsches Bild machen. Ich habe viel gelernt an der Uni, aber nicht alles, was ich während der Uni gelernt habe, habe ich für Seminare gepaukt. Nein, die Universität – wie ich sie erfahren habe (aber da hat sich ja durch Bologna einiges verändert) war kein Garant für Wissen. Ich bin mir sicher, ich hätte von jeglichem Wissen unbeleckt und bar aller Interessen meinen Abschluss machen können. Ich kenne Leute, die es schafften ohne jeglichen nennenswerten Imput als Kulturwissenschafter eine beachtliche Abschlussnote zu bekommen. Man kann sich prima durchmogeln und man muss noch nicht mal besonders intelligent dafür sein. Die Universität ist ein großartige Möglichkeit der Wissensaneignung. Die Strukturen, die Seminare, die Bibliothek, die Dozenten sind aber alle nur ein Angebot, das man annehmen kann oder nicht. Viele meiner Kommilitonen sahen die paar vorgegebenen Möglichkeiten nur als Hürde, die es zu nehmen gilt, auf dem Weg zur eigentlichen Karriere. Und ja, auch das funktioniert.

Ich habe nach Neigung und ich habe lange und ausgiebig studiert. 14 Semester, wenn ich mich richtig erinnere, allerdings mit Studienfachwechsel zwischendrin. Ich habe Theorien aufgesogen, Bücher gewälzt und mich in Gedanken verstrickt – nicht um Scheine zu machen (das auch, ich war pragmatisch genug, da ein bisschen drauf zu achten) aber in erster Linie, weil mich der Stoff interessierte, weil ich darin aufging, weil ich die Welt verstehen wollte. Das relativ freie Studium damals ermöglichte mir diese Art zu studieren, gleichzeitig ermöglichte es anderen, relativ leicht ihre wenigen Scheine zu sammeln. Für mich war das freie Studium gut, die Universität war eine große Bereicherung in meinem Leben und sie war für mich eine größere Bereicherung, als für die, die nur auf den Abschluss schielten. Es ist mir egal, ob sie mit weniger Aufwand und schneller ihren Abschluss machten, denn darum ging es mir nicht.

Aber nach der Uni entdeckte ich aber eine andere Form der Wissenssammlung und -generierung und -austauschs für mich: das Internet. Und im Gegensatz zu den Universitäten ist hier Platz für alle. Hier braucht man keinen Numerus Clausus, nicht mal Abitur um sich an diesem unendlichen Wissensschatz zu bereichern. Alle sind frei hier zu lesen und wichtiger: teilzunehmen am Diskurs, an jedem Diskurs. Hier existieren keine Abschlüsse und keine Grade, sondern wie es Habermas formulierte, „der zwanglose Zwang des besseren Arguments und das Motiv der kooperativen Wahrheitssuche„. Naja, nicht ganz. Hier gilt natürlich auch die Rhetorik und die Lautstärke eine Menge, aber eben keine Titel, Grade oder sonstiges institutionalisiertes kulturelles Kapital. Keiner erwartet einen Ausweis, dafür, dass man sich äußern darf. Ich empfinde das als sehr angenehm, denn obwohl ich immer gerne von der Elite fasele, bin ich ein sehr egalitärer Mensch. Aber dazu später.

Diese Parallelstruktur des Internets für Wissen und Austausch aller Art stellt die Universität als Institution natürlich auch in Frage, denn sie ist zumindest nicht mehr die einzige, und meiner Meinung nach nicht mal mehr die beste Lösung für das gesellschaftliche Problem der „Wissensakkumulation„. Im Elfenbeinturm der so genannten „Geisteswissenschaften“ hat man sich lange eingemauert gegen diese Erkenntnis und tut das bisweilen gerne bis heute. Diese Cordjackettigkeit will schon lange niemanden mehr außerhalb der Unimauern beeindrucken, sondern kreist zunehmend nur noch um sich selbst. Sie hat sich damit abgefunden keinerlei gesellschaftliche Rolle mehr zu spielen und die Universität hat eine Menge Schuld daran.

Ich gehöre nicht zu den Leuten, die meinen, dass die Wissenschaft sich und ihre Leistungen jederzeit in Geld aufwiegen können soll, aber ich glaube schon, dass es durchaus zu hinterfragen gilt, ob sich eine Gesellschaft eine bestimmte Art von Wissenschaft leisten soll, die nur sich selbst genügt. Vielleicht sogar ja, wenn wir keine Alternative hätten. Wenn hinter den Unimauern doch noch hier und da eine nützliche Theorie oder wichtige Beobachtung gemacht wird, was ganz sicher der Fall ist, dann reicht das so lange aus, bis es bessere und effektivere Strukturen dafür gibt. Und die gibt es, meiner Meinung nach.

* * *

Deswegen bin ich nicht wirklich traurig darüber, wie der zu Guttenberg grinsend die Wissenschaft schändet. Wie die ganze Bundesregierung die Universität, ihre Grade und ihren Habitus demütigt und durch den Dreck schleift, beobachte ich nicht ohne etwas Schadenfreude. Noch schlimmer: ich kann durchaus nachvollziehen, wenn die gesammelte Bildleserschaft im Doktortitel ein lässliches, weltfremdes und unwichtiges Emblem vermutet. Denn damit hat sie ganz ohne Frage recht.

Mir geht es bei Guttenberg um etwas anderes: Ich bin der Meinung, dass zu Guttenberg als entlarvter Betrüger und Hochstapler kein Bundesminister sein darf. Die selbe Meinung hätte ich, wenn er Jamba-Abos vertikt oder die Steuer hinterzogen hätte. Wenn man erstmal anfängt, offensichtliche Charakterlosigkeit in höchsten gesellschaftlichen Führungspositionen durchgehen zu lassen, hat die Gesellschaft ein Problem. Ein berlusconiesques Problem.

Und deswegen bin ich Guttenberg auch auf eine gewisse Art und Weise dankbar. Er hat quasi als Karikatur vorgeführt, wie die Wissenschaft funktioniert, wozu Doktorgrade heutzutage da sind und was sie wert sind oder sein sollten. Diese Demütigung ist zwar in ihrer Heftigkeit nicht repräsentativ – in Bayreuth wird anscheinend schlimmer geschlampt und gevetternwirtschaftet als üblich – aber die Tendez stimmt. Die Universität und die Wissenschaft muss sich jetzt zurecht fragen, ob sie denn gesellschaftlich überhaupt noch die Rolle und die Stellung hat, die sie immer dachte zu haben – und die sie ja auch noch heftig beansprucht. Und sie muss sich die Frage gefallen lassen, womit sie diesen Anspruch eigentlich verdient haben sollte. Das zu beantworten wird ihr schwerer fallen, als sie glaubt. Fuck Häberle! Kein Mitleid!

Bezeichnend hierfür finde ich den Katzenjammer von Heribert Prantl in der Süddeutschen letztes Wochenende. Wie der jetzt rumheult, weil Häberle, einer seiner geliebten Ikonen des Verfassungsrechts nun als gefallener Engel darsteht und wie er ihn verzweifelt von jedem Vorwurf reinzuwaschen versucht. Vergeblich. Prantls Tränen zeugen in der Tat von kaum weniger Realitätsverlust, als die bedingungslose Treue der Bildleser zu Guttenberg. Hier wie dort ist das geliebte Idol gefallen und man will es einfach nicht wahrhaben.

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Ein weiterer Effekt ist die Demütigung des Bildungsbürgers. Der Bildungsbürger ist eine Erzählung, die eigentlich eine deutsche Mutation des Tellerwäscher-Millionär-Memes aus den USA ist. Sie geht so: Wenn du recht fleißig bist, rechtschaffen und dich vor allem bildest, dann wirst du auch gesellschaftlich aufsteigen, wirst dein Geld verdienen etc. Diese Ideologie ist recht tief verankert, vor allem bei den Konservativen. Klar, denn diese Ideologie legitimiert jegliches Bessergestelltsein gegenüber der restlichen Bevölkerung durch die so genannte „Leistung„. Es braucht nicht viel Phantasie, sich vorzustellen, dass jemand, der es zu etwas gebracht hat, sich und anderen genau das um so lieber einredet. Ist ja irgendwie auch menschlich. Naja, jedenfalls abstrahiert vom Einzelnen und aufgeputscht zu einer Ideologie, nennt man das dann „Bürgerlichkeit“.

Die hat übrigens eine fast „subversive“ Tradition, denn der „Bürger“ ist jemand, der sich einst durch die Selbstdefinition qua Leistung als Gegenmodell zum Adel verstand, der sich ja wiederum durch den angeborenen Stand legitimiert. Es ist also durchaus in dieser Tradition, dass Jan Fleischhauer den „Bürger“ und die „Bürgerlichkeit“ von der Guttenbergaffaire schadlos halten will, indem er Guttenbergs Fehlleistung als „typisch Adel“ darstellt. Diese Argumentation wäre auch durchaus schlüssig. Vor ca. 100 Jahren. Heute versteht sich der Adel (oder das was von ihm übrig ist) durchaus als „bürgerlich“, sonst hätte Gutti schließlich auch nicht so sehr nach dem Doktortitel gestrebt. Sowohl in Sachen Adels- als auch Doktor-titeln ist die Union unter den Parteien schließlich führend.

Es braucht nicht so besonders viel Lebenserfahrung, um zu begreifen, dass das Vesprechen des Bürgers und des Bildunsgsbürgers quatsch ist. Geld verdient man mit perfieden Methoden, die am rande der Legalität und jenseits der Moralität angesiedelt sind immer noch am besten. Stumpf gewinnt da meist gegen intelligent. Wer hat, dem wird gegeben und die, die am meisten arbeiten bringen oft das wenigste Geld mit nach Hause. Nietzsche würde sagen, das sei eine „Sklavenmoral“. Eine Moral, die als Erzählung die „kleinen Leute“ dazu bringt, sich mit den gegeben Umständen anzufreunden. Eine Ideologie, die einerseits dazu dient, dass die Armen diesen Werten weiter hinterher rennen, während genau diese Werte ihren Wohlstand verhindern und gleichzeitig als Rechtfertigung für die Reichen dient. „Mein Wohlstand ist rechtschaffen verdient. Schau her, ich habe sogar einen Doktorgrad!

Natürlich stimmt es, dass man mit einem guten Abschluss bessere Chancen auf dem Jobmarkt hat. Aber 1.) muss man nicht erst die Pisa-Studie oder zu Guttenberg herziehen, um zu erkennen, dass in der Schule wie in der Universität sozial gesiebt und bevorteilt wird, was das Zeug hält. Und 2.) ist schon der Zugang zur Universität jenseits des Schulsystem und den Studiengebüren eine Hürde, die sozial schwächere nur schwerlich nehmen können. Weil ihnen etwas ganz entscheidendes fehlt.

Pierre Bourdieu hat in 70ern gezeigt, dass die Herkunft über ganz spezielle, kaum sichtbare Mechanismen die Machtstellung in der Gesellschaft beeinflusst. Es geht eben nicht nur um Einkommen oder Kapital im ökonomischen Sinne. Macht wird zuweilen viel subtiler weitergegeben. Er unterscheidet neben dem ökonomischen noch das kulturelle und das soziale Kapital. Das kulturelle – und hier insbesondere das inkorporierte kulturelle Kapital – ist das Rüstzeug dafür z.B. eine akademische Karriere überhaupt wollen zu können. Nur wenn man schon in einem Haushalt aufgewachsen ist, in dem Bildung viel gilt, begreift man Bildung als Wert ansich, den es anzustreben gilt. Und erst wenn man mit Kunst und Musik seit seiner Kindheit in Berührung gebracht wird, bekommt man einen leichten einen Zugang dazu. Und erst, wenn man in einem Haushalt aufgewachsen ist, in dem bei Tisch lebhaft diskutiert wurde, wird man Diskussionen auch in seinem weiteren Leben als sinnvoll ansehen. Man entwickelt von Kindheit auf etwas, was bei Bourdieu „Habitus“ heißt. Eine gewisse Selbstsicherheit und Selbstverständlichkeit im Umgang mit bestimmten Dingen, die man kaum nachträglich erlernen kann.

* * *

Das, was wir derzeit zu sehen bekommen, ist das letzte Aufbäumen einer Art Klasse, deren Macht sich auf BILD, BAMS und Glotze stützte, wie es Gerhard Schröder mal so schön formulierte. Aber das stimmt natürlich nicht. Die Macht stützt sich auf so viel mehr: institutionelle Bildung, Wertekanon, Aufstiegsversprechen, Autofetisch, Bausparvertrag, Eigenheim, Urlaubsbedürfnisse, Lohnarbeit, Leistungsgedanke, Ehegattensplitting, Kunst-Museen, Theater und auch Doktortitel – und natürlich Habitus. BILD, Bams und Glotze sind nur ihre Propheten. (Guttenberg hat übrigens einen ganz bemerkenswert ausgeprägten Habitus, was sicher ein Grund für die bedingungslose Treue seiner Fans ist. Das muss die UntertanenDNA sein, die sich da Bahn bricht…)

Nichts destotrotz bröckelt diese Macht. Die Elite, ihre Werte und Versprechungen sind nicht mehr glaubwürdig. Die Institutionen verfallen in dem Maße, wie sie obsolet werden. Und im Windschatten dieses Prozesses, bildet sich eben eine neue Elite, mit neuen Werten. Welche das sein werden, kann man derzeit nur erahnen. Doch der habituelle Absetzungsprozess ist bereits im Gange. Ich habe ja die kulturelle Globalisierung sowie den Umgang mit der Technologie im Blick, die es ermöglicht, sich einerseits von der herkömmlichen Elite, als auch vom gemeinen Fußvolk abzusetzen. Beobachtbar ist auch die Abkehr von den oben genannten Pfeilern der Bürgerlichkeit, alleine schon, weil sie teilweise schon ganz absehbar keine Zukunft mehr haben werden. Diese Dinge passieren natürlich kaum bewusst. Man orientiert sich und klar, klopft man hier und da ab, welche Ideen oder Institutionen zukunftsträchtig sind, welche nicht. Um zu sehen, welche Werte eine künftige Elite in etwa haben wird, muss man sich eigentlich nur die Bürgerkinder angucken.

Gehen wir ruhig von einer, nein, von mehreren Verschwörungen aus. Und nehmen wir uns doch der Einfachheit halber die Definition herbei, die uns Julien Assange gegeben hat. Dass nämlich jede Verschwörung ein Netzwerk der Vertraulichkeit ist, ein Netzwerk, das – zumindest in erster Linie – unter einander kommuniziert und das kommuniziert, ohne dass die Außenwelt hier die selben Informationen prozessieren kann, wie die Mitglieder eines solchen Netzwerkes.

Das muss alles nicht bewusst ablaufen. Netzwerke entstehen nicht wirklich intentional. Soziale Strukturen verfilzen automatisch, sie streben dahin. Vor allem dann, wenn sie sich kulturelle Praktiken aneignen, die in ihrer Zugänglichkeit beschränkt sind. In einem bourdieuschen Sinne zugangsbeschränkt, meine ich. Die Verschwörung von der ich rede, geht nicht nur gegen das „Volk“ oder gegen den „Nationalstaat“ sondern gegen den „Bürger“ und damit auch gegen die alten Eliten.

Und genau so, wie Assange meint, diese Verschwörungsnetzwerke angreifen zu können, passiert es hier: durch das Streuen von Misstrauen innerhalb des Netzwerkes. Hier: die öffentliche Entwertung des Doktortitels. Nur brauchte es dafür gar kein Wikileaks. Wie praktisch!

Der Umbruch, den wir heute erleben ist radikal und Guttenberg ist nur sein Katalysator. Ich bin mir sicher, dass das Bildungsbürgertum alle Mittel und Wege beschreiten wird, Guttenberg zu stoppen. Viel zu viel steht für die aktuelle Elite noch auf dem Spiel. Das sind nicht nur gekränkte Werte, sondern handfeste Interessen, wie Franz Walter das so schön formuliert hat. Wenn die Doktorwürden auf das reduziert werden, was sie tatsächlich wert sind, dann wird vor allem das Bürgertum eine gesellschaftliche Inflation erfahren. Es sind ausgerechnet die Interessen von jenen in Gefahr, die die Union immer zu repräsentieren vorgab. Guttenberg wird gestoppt werden, aber nicht von uns, nicht von Links, sondern aus der eigenen Partei, bzw. dessen Basis.

Doch natürlich ist die Doktorblase längst geplatzt. Allein das Desinteresse des Volkes gegenüber Guttenbergs kleiner Schweinerei zeigt das allzu deutlich. Der Konflikt wird weitergehen und sich noch verschärfen und das erste Opfer ist die Union.

* * *

Die nämlich steht momentan sowas von nackt da. Sie hat sich bei ihrer Kernwählerschaft auf die Knochen und für Jahre blamiert, nur um kurzfristig dem BILD-Pöbel zu gefallen. Das wird sie auf Jahre hinaus noch zu spüren bekommen. Andererseits hat die Union kaum eine andere Wahl, als genau das zu tun. Guttenberg ist war ihr einziges Rennpferd im Stall. Sein Charisma (oder Habitus) war der einzige strahlende Punkt innerhalb eines extrem schmucklosen Kanzlerinnenvereins. Hamburg hat geschmerzt, Baden-Württemberg wird schlimm und ohne Guttenberg noch viel schlimmer. Die Union, das kann man recht sicher konstatieren, steht so oder so mit dem Rücken zur Wand.

Der Union droht eine Krise, die nur noch mit 1999 zu vergleichen ist. Die Glaubwürdigkeit und jeder Rest an Integrität ist verspielt und sie hat auf diesem Weg nicht mal etwas nennenswertes zustande gebracht. Dazu der jämmerliche Koalitionspartner FDP, dem es kaum besser geht. Diese Regierung ist am Ende. Klar, das habe ich schon mal gesagt, damals mit Blick auf die Medien, die Merkel fallen ließen, aber diesmal ist es noch um einiges schlimmer und vor allem nachhaltiger. Das ist kein Stimmungstief mehr, da bricht gerade die Substanz weg. Nicht nur der mediale, sondern der komplette gesellschaftliche Rückhalt steht hier auf dem Spiel. Und das während die uns bekannte Welt da draußen auseinanderbricht, die Finanzkrise noch nicht verdaut ist und das Internet alle Machtverältnisse durcheinander wirbelt.

Aber die Zukunft des Konservatismus ist derzeit ganz gut in vielen Ländern zu beobachten. Den USA, Dänemark, den Niederlanden, Österreich und Italien, beispielsweise. Dort hat man jedes Wertekorsett abgelegt und fährt nur noch unter der Fahne des Populismus und der Niveaulosigkeit. Alles, was Wählerstimmen fängt, wird gemacht. Noch ist die Union nicht im ganzen soweit und ich glaube auch, dass es ein letztes Aufbäumen geben wird. Aber die Zukunft wird so sein, es sei denn eine andere Partei erledigt den Job. Rechts von der CDU.

* * *

Wie ich bereits sagte. Dieses Jahr wird etwas – zumindest einiges – passieren. Bzw. es passiert schon was. Es ist in diesem jungen Jahr bereits viel mehr passiert, als im gesamten letzten Jahr zusammen genommen. Und es hört nicht auf. Alles destabilisiert sich, alles gerät aus dem Fugen. Alles, was bereits seit Jahren porös war, bei dem man aber immer sagte: das hält noch. All das ist irgendwie zu ende, stirbt, berstet, verfällt, wird verhöhnt, bricht auseinander.

Der Kontrollverlust ist eine kleine, technologische Singularität. Ein Punkt auf der Achse der Zeit, ab der die Dinge unvorhersehbar werden. Genauer: wo Informationen auf eine Art miteinander interagieren, die die Komplexität übersteigt, die man noch nachvollziehen kann. In der alles im wahrsten Sinne des Wortes, „verrückt“ wird. Aus dem Kontrollverlustmoment des Einzelnen wird der allgemeine Kontrollverlust. Alles strebt diesem Punkt zu, in einer sich beschleunigenden Welt mit sich beschleunigendem technischen Fortschritt mit sich beschleunigenden Ereignissen aber einem endlichen Menschen. Das, was Warnke Emergenz nennt, macht uns das Netz zu einem „Es“, das einfach da ist und das wir nicht mehr zu durchschauen im Stande sind. Das aber irgendwie funktioniert und Dinge tut und Ereignisse zeitigt, die wir nicht mehr verstehen, aber hinnehmen. Und wenn man ehrlich ist, fühlt es sich jetzt bereits ein bisschen so an.

Ich glaube nicht, dass der Punkt schon da ist. Wir sind nahe dran, aber das, was wir zu spüren bekommen sind nur die Ausläufer. Dennoch wird 2011 ein wichtiges Jahr markiert haben. Vielleicht das Jahr, an dem man den Blick nicht mehr von der Tatsache abwenden konnte, wie sehr sich die Welt gerade ändert und dass die alten Strukturen dem Druck nicht mehr stand hielten. 2011 ist ein Jahr des Endes für sehr vieles, soviel steht fest. Bisher ist aber noch nichts unter die Räder gekommen, was ich vermissen werde. Wobei ich natürlich nicht wissen kann, welch Rattenschwanz noch daran hängt, welche Dinge mit dem Bürgertum in den Abgrund gerissen werden und was ich dereinst vielleicht mal zurücksehnen werde. Aber wenn man das eh nicht wissen kann – denke ich mir – dann sollte man sich in so einer Situation nicht so viel Sorgen machen, sondern eher Poppkorn.

Das Ende der Doppelmoral

Gestern bei „Hart aber Fair“ ist etwas passiert, bei dem ich mich erschrocken habe. Der Mann von der CSU, nachdem er natürlich Guttenbergs Betrügereien als lässliche Fehler herunterspielte, prangerte die Doppelmoral an, mit der von Guttenberg hier kritiert würde. „Machen wir alle nicht Fehler?„, sollte man gesellschaftlich nicht auch mal Auge zudrücken? Sollten wir nicht alle mal weniger moralinsauer argumentieren.

Endlich mal jemand mit einem wirklich liberalen Weltbild. Aus der CSU!

Es scheint, als sei eine linke Forderung – oder eher ein linker Vorwurf an das bürgerliche Lager – bei eben diesem satifaktionsfähig geworden: Das Ende der Doppelmoral.

Guttenberg hat zwar betrogen und sich einen Titel erschlichen und dabei die bürgerlichsten aller bürgerlichen Werte mit Füßen getreten: Fleiß, Leistung, Ehrlichkeit, Treue, Bildung, aber die Union als die institutionelle Heimat dieser Werte stellt sich hin und fordert ein Ende der Doppelmoral.

Dass die Linke den Brügerlichen diese Werte eh nie abgekauft hat, dass sie sie immer als vorgeschobene Begründungen ansah, die der Erhaltung des sozialen Statuses und der Besitzstandswahrung dienten, ist nichts neues. Dass jetzt aber aus dem Bürgerlichen Lager dieses Eingeständnis so schwarz auf weiß auf den Tisch gelegt wird, ist eine völlig neue Qualität. Und die Linke schaut nicht schlecht verdutzt aus der Wäsche.

In der Zeit wurde das Berlusconiphänomen unlängst genau an diesen Parametern festgemacht. Berlusconi sei ein Phänomen der Wahrhaftigkeit:

„Wer die Dinge, die er tut, nicht tut oder sie gar ablehnt, wird als Heuchler empfunden. Als einer, der zwar auch gern einem schönen Frauenhintern hinterherschaut, aber nicht aufrichtig genug ist, das auch zu sagen. Viele Italiener denken, dass Berlusconi bei all seinen Verfehlungen im Grunde zutiefst menschlich bleibt. Er zeigt menschliche Schwächen, weil er „einer von uns“ ist, und eigentlich „wollen wir sein wie er“. So denken die einen. Und brandmarken dann die anderen als Heuchler und Lügner. Diese Vorstellung mag oberflächlich erscheinen, aber sie ist mit dem Vorwurf verbunden, dass Berlusconis Gegner von der Linken zwar hehre, moralisch einwandfreie Versprechungen gemacht haben, während ihrer Regierungszeit aber die großen Reformen dann doch nicht anpackten.“

Die Aufgabe der Doppelmoral von Seiten der Konservativen sollte uns alle deswegen beunruhigen. Es ist ein Indiz für einen tiefen Wandel, der sich unter der Oberfläche der Bürgerlichkeit entwickelt hat und sich nun Bahn bricht.

Die fast 300.000 Leute in der ProGuttenberg-Facebook-Gruppe und die Bildleser verstehen sich durchaus weiterhin als „bürgerlich“, auch wenn sie vielleicht nicht wirklich verstehen, was das heißt – oder eher: traditionell geheißen hat. Es ist das Bürgerliche minus die Werte und Pflichten. Es das Bürgertum minus die Doppelmoral. Es ist also das was übrig bleibt, was hinter der Fassade immer vermutet oder gewusst wurde: Statusverteidigung, Besitzstandswahrung, Abwehr gegen alles neue und fremde und reiner Egoismus. Ein Bündel aus Angst und Wut.

Der „Wutbürger“ wurde ebenso charakterisiert. Er verfolgt eine egoistische Agenda. Vielleicht versucht er sie rhetorisch als Allgemeinanliegen zu tarnen, aber in wirklichkeit demonstriert er, weil ihm was nicht in den Kram passt. Schulreform in Hamburg, S21, Streetview, „überfremdung“. Thilo Sarrazin ist vielleicht nur der Vordenker für diese kalte, rein auf Eigennutz und fern alle Werte kalkulierenden Bürgerlichkeit. Er rechnet haarklein vor, wie wir uns abschaffen. Das meint, unsere Privilegien, unsere (ethnische) Vorherrschaft, unsere Renten, unseren Vorgarten. Er rechnet jedem vor, was er vermeintlich zu verlieren hat. Sarrazin appeliert an eine nackte, egoistische Angst. Das hat anscheinend den Nerv getroffen.

Wir werden uns unsere alten Konservativen noch zurückwünschen.

Der neue Klassenkampf – gegen uns


Screenshot via Anti.Guttenberggruppe

Vor ein paar Tagen schrieb ich noch raunend von einem eventuellen Klassenkampf, bei dem wir unangenehmer Weise auf der „falschen Seite“ stehen würden. Weil wir – vielleicht ohne es zu merken – zu einer Art Elite geworden sind. Weil wir gar nicht mehr merken, dass unsere Diskurse und unsere Wahrheit schon lange nicht mehr satisfaktionsfähig sind.

Nun, die Zeichen verdichten sich. Anscheinend ist das „Volk“ nicht mehr bereit, sich einfach ihren geliebten Politiker von Guttenberg von unseren weltfernen, abgehobenen und im wahrsten Sinne des Wortes „akademischen“ Diskursen entreißen zu lassen.

Ich habe diese Tendenz „Berlusconisierung“ genannt. Berlusconi konnte sich die längste Zeit auch einfach alles erlauben. Jede Unehrlichkeit, jeden moralischen Fehltritt hat er einfach umgekehrt, indem er sich als Identifikationsfigur der Imperfektion inszenierte und dann jede Kritik an seinem offensichtlichen Fehlverhalten einer „linken Kampagne“ zuschrieb. Und genau so stehen wir in den Augen vieler gerade da: als linke, vor allem intellektuelle Verschwörung.

Max Steinbeis hat einen anderen, schönen Vergleich gefunden: Sarah Palin.

„Sarah Palin in den USA macht es vor, welche unglaublichen Erfolge man mit diesem anti-elitären Ticket einfahren kann: Jeder Professor, der ihr Irrtümer und Fehlschlüsse nachweist, jeder Journalist, der sie als ahnungslos und bescheuert und totalen Blindgänger entlarvt, macht sie nur stärker. Je massiver und anspruchsvoller die Kritik, desto klarer liegt für ihre Anhänger auf der Hand: Die da oben wollen sie nur fertig machen. Also halten wir da unten um so mehr zu ihr.“

Die Berlusconisierung/SarahPalinisierung wird weiter voranschreiten. Vor allem, wenn Guttenberg jetzt damit durchkommt, ist das der Startschuss für noch viel mehr Dreistigkeit. Einige haben bereits Angst:

Ich habe inzwischen den vermeintlichen Spaß am „Doktor der Reserve“ („Der Spiegel“, 8/2011, Seite 20) längst verloren. Vielmehr habe ich Angst davor, dass sich das „System Dr. Guttenberg“ immer mehr durchsetzen wird. Ein System, das Blendwerk in den Mittelpunkt hebt, fundiertes Wissen, Ehrlichkeit, Redlichkeit und auch Menschlichkeit zu Gunsten von Einfluss und Macht jedoch immer mehr verkommen lässt. Wie ich das meiner 12Jährigen Tochter, die ausgerechnet das Gymnasium besucht, an dem Dr. Guttenberg sein Abitur machte, erklären soll, weiß ich nicht.

Und das schlimmste: bei mir und vielen anderen der „Elite“ wird das den Spaltpilz zum Nationalen wohl einfach weiter verstärken. Ich werde mich noch weniger um die nationale Politik kümmern, denn ich habe eine Alternative. Denn wie mir geht es jungen, gebildeten Menschen in den USA, in Italien und in vielen anderen Ländern. Wir werden uns gegenseitig das Ohr zuheulen ob der Dummheit unserer Landsleute und dabei viel Verständnis ernten. Und so das Problem verschlimmern.

PS: Else Buschheuer hatte letztens über ihre Erfahrung mit Facebook gebloggt (oberster Post, leider keine Deeplinks), dass Facebook irgendwie „konservativer“ sei als Twitter. Ich glaube mittlerweile, Facebook ist schlicht „repräsentativer“.

Wertewandel

Natürlich gibt es einen Wertewandel. Das ist so ziemlich das Ergebnis, worauf die Diskussion bei Carta schließlich hinauslief. Er findet statt und er ist durchaus beobachtbar, wenn auch nur im Keim. Er lässt sich allerdings nur bedingt formalisieren, weil er so neu ist, dass uns bei genauerer Betrachtung unser eigenes Handeln fremd vorkommt. Die Begriffe passen nicht mehr, die Konzepte versagen. Ich habe es damals in „Das radikale Recht des Anderen“ dennoch versucht, was schon für ziemlich viel Wirbel gesorgt hat. Aber auch das schlichte Aufzeigen und Kontextualisieren des eigenen Kulturkonsums vermag es immer wieder die Menschen zu provozieren.

Aber eigentlich findet der Wertewandel natürlich im kleinen statt. Wenn zum Beispiel beobachtbar wird, wie Leute mit tradierten Wertvorstellungen daran scheitern, neue Phänomene zu kritisieren und dabei das Gegenteil dessen erreichen, was sie sie sich erhofften. Ein Beispiel ist die Privacy-Diskussion um Facebook.

Die habe ich hier mal auseinander genommen.

Unsere Verschwörung

Was ich aber heute aufschreiben will, ist keine Verschwörungstheorie, sondern eine echte, handfeste Verschwörung. Jeder kann sie nachvollziehen, wenn er erstmal die Zusammenhänge begreift. Ich bin teil einer sehr, sehr großen Verschwörung und ich will die Gelegenheit nutzen, alles auffliegen zu lassen. Den ganzen Laden. Und der ist riesig!

Es geht um nichts weiter, als die globale Verschwörung gegen den Nationalstaat und dem Großteil der darin lebenden Bevölkerungen. Es geht um die schrittweise Aushöhlung der Souveränität aller Staaten und die Neukonfiguration der Macht in einer neuen, globalen Elite, die dabei ist die Welt zu übernehmen.

Ja, ich weiß. Das ist nicht neu. Man weiß von den Kapitalströmen, die längst die staatlichen Ebenen verlassen haben. Man weiß um die Internationale Geldelite, die sich ihre Steuerparadiese aussucht. Man weiß vom so genannten „Jetset“ und von der „Globalisierung“. All das weiß man und hat es ad Akta gelegt.

Aber das, was derzeit abgeht, ist eine ganze Nummer größer. Und ich bin dabei.

Ich kann gar nicht sagen, wann das angefangen hat. Aber es geht auf jeden Fall schon 20 Jahre so. In meiner Generation sind beinahe alle mit Hochschulabschluss ein Jahr in’s Ausland gegangen. Dass in den Lebensläufen ein Jahr Madrid, London oder Sidney auftaucht, ist überhaupt keiner Rede mehr wert. Nicht den unteren Bildungsschichten, wohlgemerkt. Nur die Elite, der jungen Leute aus mindestens mittelständischen Haushalten. (Es gibt nur wenige Ausnahmen)

Das Erasmusprogramm ist und war ein wichter Teil dieser ganzen Maschinerie. Aber wichtiger noch ist das Internet.

Seit 10 Jahren kommuniziert diese Elite über das Internet. In einigen Bereichen erst noch national und Muttersprachlich aber zunehmend immer internationaler – auf Englisch. Man liest englischsprachige Blogs, man liest englischsprachige Bücher, man trifft sich auf englischsprachigen – immer internationaleren Konferenzen. Man vernetzt sich ganz natürlich mit anderen Menschen in anderen Ländern. Die USA, ganz Europa und auch Kolumbien, Mexico und oder Japan – völlig egal. Natürlich aber auch nicht mit den unteren Schichten in diesen Ländern, sondern ebenso mit denen der mittel – bis Oberschicht.

Die gebildete Mittelschicht in meinen Alter hat viel mehr kulturelle Schnittmengen mit seinem Pendant in anderen Ländern (und zwar egal in welchen), als mit meinem Nachbarn. Der Nachbar, der ungebildet ist und jenseits der 40 und statt „The Wire“ im Original Nachmittags-Talkshows auf deutsch anschaut. Die kulturellen Unterschiede verlaufen nicht mehr entlang von Entfernungen, sondern immer mehr entlang einer internationalen, kulturell vernetzen Elite.

Viele in meinem Freundeskreis denken überhaupt nicht mehr in nationalen Kategorien. Nationalität ist dieses Stück Papier, das ich am Flughafen vorzeigen muss, wenn ich von New York nach Amsterdam fliege. Amsterdam, Berlin, Jarkata, Istanbul, San Fransico sind keine Frage der Nation mehr, sondern stehen zum direkten Vergleich nebeneinander. In Berlin geht man in Club X und in New York isst man Steak an Ort Y.

Es ist zu beobachten, dass wir – also ich und die meisten, die ich kenne – sich kulturell und sozial von der Mehrheit der Menschen in diesem Land abwenden. Dass wir stattdessen ein zunehmend engermaschiges Netz flechten, das sich über den gesamten Globus spannt und in jedem Land auch nur wieder Leute erreicht, die sich wie wir von dem nationalen Konstrukt emotional gelöst haben. Unsere Beziehungen reichen in viele Länder und unsere Solidaritäten verspüren wir nicht mit demonstrierenden Opelmitarbeitern, sondern zum Beispiel mit den jungen, gebildeten Arabern in Ägypten, die uns per Facebook und Twitter an ihrem Zorn teilnehmen lassen. Das ist unsere „Peergroup“ und deswegen macht es uns ärgerlich, dass das „deutsche“ Fernsehen so hinterwäldlerisch ist und statt in Ägypten draufzuhalten lieber alte, deutsche Gebäckrezepte versendet.

Mein Nachbar wohnt noch in Deutschland, ich hingegen vernetze mich mit dem Rest der globalen Elite. Denn das sind wir. Eine Elite, die sich auf eine gewisse Weise satuiert hat. So jedenfalls muss es dem Nachbar gehen, wenn er unser Treiben sieht. So muss es all den Leuten gehen, die lange nicht den Lebenstil führen, wie er für uns normal ist. Die im hier und jetzt einer nach wie vor nationalen Welt leben, mit kleinem aber festem Gehalt, dass ja aber nicht mehr sicher ist, wie ja heute nichts mehr sicher ist.

Und der Nachbar hat recht. Es ist eine Verschwörung, die gegen ihn geht. Die Welt wird global und lässt ihn, in dieser verfallenden Struktur namens „Nation“ zurück. Da oben, wo er mangels Bildung oder geistiger Mobilität keinen Zutritt hat, werden die wichtigen Beziehungen geknüpft. Dort werden die kulturellen Meme getauscht, die in Zukunft Relevanz haben. Dort werden die Diskurse geführt, die ihm fremd bleiben werden, die aber die Zukunft bestimmen. Dort akkumuliert sich die neue Macht, die sich nicht mehr um sein Wohlergehen schert. Eine Elite, die sich selbstgefällig freut, wenn wieder eine Autofabrik dicht gemacht wird (Umweltschutz!). Die kein Mitleid kennt mit Druckerpressen, Arbeitsplätzen, Lohnfortzahlung, Festanstellung, familiäre Werte, Heimat, kleines Glück, Bauer sucht Frau, korrekten Schreibweisen, Briefmarken und Silberleuchtern.

Und ich bin schuldig, mich an dieser Verschwörung zu beteiligen. Ich bin gelangweilt von der hiesigen Kultur und wende mich ab. Ich bin gelangweilt von den hiesigen angstgetriebenen Diskursen und werde gehen. Früher oder später. „Deutschland“ ist mir zunehmend egal. Ich kann dem nicht mal genug Bedeutung zumessen, um „Antideutscher“ zu werden. Das alles fühlt sich so klein und obsolet an.

Und ich wette, der Generation nach mir wird es noch mehr so ergehen. Wer die Bildung mitbringt, wird sich abwenden. Kinder lernen jetzt bereits im Kindergarten Englisch. Statt der Proletarier sind wir es, die sich „auf der ganzen Welt“ „vereinigen“. Aber vielleicht wird der Klassenkampf auf dieser Ebene ja noch kommen. Nur stehen wir dann wohl auf der falschen Seite.

Weltkontrollverlust

Mubarak Tripping On Tech Generation Media
By Carlos Latuff.KingTut1982 at en.wikipedia [Public domain], from Wikimedia Commons

Es ist nicht leicht angesichts der Ereignisse in Tunesien und Agypten seine Stimme wiederzufinden. Es passiert dort etwas großes und etwas großartiges. Und das sage ich im vollen Bewusstsein über all die Probleme, die all das auslösen kann. Die Destabilisierung der ganzen Region ist nicht ganz ungefährlich. Nicht mal für uns. Aber wenn sich ein Volk sich gegen seine Tyrannen erhebt, hat es alle Rechtfertigung der Welt.

Ich versuche derzeit etwas Abstand zu finden. Ich versuche das Gegenteil dessen, was Richard Gutjahr macht (obwohl ich das, was er tut rückhaltlos unterstütze und ich Kritik daran kleinlich finde). Schon seit Tunesien und vor allem aber gerade steht mir das alles noch viel zu mächtig vor der Nase, als dass ich es richtig einordnen kann. Ich hege den Wunsch nach Übersicht. Nach der Vogelperspektive.

Natürlich habe ich aber schon über den Internet-oder-nicht-Revolutionsdiskurs nachgedacht und viel dazu gelesen. Aber ich brauchte etwas Zeit, sie in – zunächst vorsichtige, persönliche – Worte zu fassen. Nilzenburger fragte mich nach einem Text für dieses interessante Projekt und da habe ich meine Gedanken einfach mal aufgeschrieben:

Ich habe keine Ahnung, wie sehr das Internet bei den ganzen Aufständen, damals im Iran und jetzt in Tunesien und Ägypten eine Rolle spielte. Ob es eine Twitter- oder Facebookrevolution war oder ob diese Medien nur eben nur das sind: Medien. Dass all das auch mit Telefon, Fernseher, Flugblatt oder Hölenmalerei geschehen wäre. Oder ob das, was eh passiert wäre, mit den Internetdiensten einfach nur leicht anders geschehe.

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Derweil gibt es aber doch noch einige andere, hinreichende Gründe, dem Internet einen nicht unwesentlichen Anteil an der Möglichkeit der Revolutionen zu geben. Nämlich die fast vernachlässigbare Rolle von Protestorganisationen bei diesen Revolutionen. Egal wo ich lese, oder höre. Überall berichten die Betroffenen und Reporter, dass es keine Oppositionspartei oder sonstige Organisation war, die diese Proteste initiierten. Man spricht immer nur wieder von jungen Leuten.

Die taz hat ein schönes Zitat des Chefredakteurs einer Tageszeitung:

„Unsere Jugendlichen rennen zehn Schritte voraus, und weder die Politik noch wir Journalisten kommen hinterher“

Das ist ein ganz wesentlicher Unterschied zu bisherigen Revolutionen. Wenn sich Proteste in irgendwelchen Untergrundorganisationen organisieren, dann braucht das Vorlauf, dann braucht das Struktur, regelmäßige Treffen, gewachsene soziale Bindungen, viel Vertrauen, viel Verschwiegenheit, Führung und all das. Und all das sind Schwachstellen, all das kann unterwandert werden, all das kann sabotiert oder gesprengt und in Gefängnisse geworfen werden.

Wenn sich im Internet die Massen aufschaukeln, dann bahnen sie sich ihren Kanal wie ein Fluss – nur eben in extrem kurzer Zeit. Dann organsisieren sich völlig Fremde in Sekunden schnelle an Ort X zu sein. Dann werden über Chats Plakatsprüche gebrainstormt, dann fließen die Vorbereitungen ohne Zentrum, ohne Führung dezentral einfach so hin. Es emergieren Ad-Hoc-Strukturen. Ich habe das erlebt und zwar zur Zensursulakampagne.

Revolutionen wie wir sie kannten waren geplant und wurden von langer hand vorbereitet. Die Revolutionäre von heute, wussten ein paar Tage vorher gar nicht, dass sie welche seien würden.

Mubarak hatte die Oppsitionellen im Griff. Er hatte auch all die Untergrundorganisationen im Griff. Er hätte jeden Murks von denen im Keim erstickt. Eine herkömmliche Revolution wäre wahrscheinlich gar nicht möglich gewesen. Man hätte sie nicht so schnell organsiert bekommen, wie man erwischt worden wäre. Aber niemand rechnete mit dem Internet statt Organisation.

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Natürlich ist das mittlerweile anders. Die Oppositionsparteien haben sich von ihrem Schreck erholt und marschieren und organsieren jetzt fleißig mit. Auch die Muslimbruderschaft. Was zur berechtigten Sorge einläd.

Im Iran fand ende der siebziger eine ähnliche Revolution statt. Es war eine ebenso progressive Revolution gegen einen ebenso despotischen Herrscher. Aber statt im Internet mussten sich die Protestler in den Moscheen organisieren, denn sie waren der letzte Zufluchtsort. Das machte es Khomeini hinterher leicht, die Revolution als „islamische Revolution“ umzudeuten und die nächste Diktatur auszurufen.

Dass die Revolution im Internet seinen Ausgang fand ist wichtig für die anschließende Deutungshoheit. Deswegen ist es sehr schlimm, dass Internet abgeklemmt wurde. Denn nun bleibt auch den Ägyptern oft nur als einziges soziales Netzwerk das Gebet.

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Deswegen ist das tollste an diesen Ereignissen auch die internationale Solidarität der Internetnutzer. Ja, die Internetnutzer – viel mehr und viel stärker als in der Bevölkerung und vor allem in den klassischen Medien, die selber nicht mehr verstehen, was da passiert.

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Und zu guter Letzt wird derzeit so enorm schnell und intensiv an alternativen Netzstrukturen gearbeitet, wie noch nie. Dass ein Land sich vom Internet trennte, hat es noch nie gegeben. Aber es wird sein gutes haben: im besten Fall wird es das auch nie wieder geben können.

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Und noch eine Bemerkung. Google engagiert sich in dieser Hinsicht und das sicherlich nicht mit dem Wohlwollen der eigenen Regierung. Und ich habe die wilde Vermutung, dass das auch mit dem Wechsel an der Spitze zu tun hat. Meine Prognose: Page wird Google politischer machen.

Über Googles Einstieg in die Weltpolitik habe ich schon mal was geschrieben. Aber damals wird Eric Schmidt die Entwicklung noch stark gebremst haben. Der ist viel zu viel Bussinessman, als das er sowas mitgemacht hätte. Ich bin mir sicher, wir werden noch viel politisches Engagement von Google sehen und von Twitter auch. Der nationale Rahmen wird langsam etwas zu eng für diese Konzerne.

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Natürlich sehe ich das alles unter der Perspektive des Kontrollverlustes, zu dem ich derzeit eine allgemeine Theorie zu entwickeln versuche. Auch wenn ich noch nicht so weit bin, ist klar: der Kontrollverlust ist etwas, das mit der technischen Evolution mitwächst und sich ebensoschnell auswächst – über unsere Köpfe hinweg. Das also von Jahr zu Jahr dramatischere Ausmaße annimmt. Wir sehen die ersten Vorläufer dieser Auswüchse.

Tendentiell kann man sagen, dass jede Art von Machtakkumulation gefährdet ist. Und je stärkeren Druck sie auf Informationssysteme ausüben müssen, desto stärker sind sie gefährdet. Der Kontrollverlust wird früher oder später alle Metastrukturen nivellieren, denn er ist genau das, was sich statt Organisation und Struktur einsetzen will.