Griechenland und die Dekonstruktion der demokratischen Nation

Hach, ist das alles wieder spannend. Ein kurzer Rückblick: Alles droht zu kollabieren, die finanzpolitische Kernschmelze ist kurz vorm einsetzten. In letzter Minute zimmern die politischen Krisenmanager einen Rettungsschirm, -Hebel oder was auch immer in millarden, in Millarden – IN MILLIARDEN (!!!EinsElf) -größe zusammen. Punktlandung, der Countdown steht bei t – 12 Sekunden und … dann macht Papandreou allen einen Strich durch die Rechung. Abstimmen will er lassen, das ganze Volk. „Wollt ihr euch selbst und eure Kinder für unabsehbare Zeit in die Armut schicken um europäische Banken zu retten?“ ist die Frage.

Was die wohl antworten werden?

Nun gibt es viele attraktive Deutungsangebote für diese Ereignisse.

1. Papandreou ist der Retter der Demokratie

Schirrmacher stößt in dieses Horn. In dem Titanenkampf Politik und Finanzwirtschaft habe sich dieses Mal – zumindest vorerst – das Primat der Politik durchgesetzt. Irrer Kerl der Papandreou.

2. Papandreou will sich nicht die Hände schmutzig machen

Naheliegend. Große Schicksalsfrage und am Ende ist er so oder so das Monster. Hat da wer Bock drauf? Wohl kaum. Da hat jemand die Grünen in Baden-Württemberg und ihre S21-Strategie sehr gut beobachtet.

Und hier kommt meine Deutung:

Papandreou konnte gar nicht anders. Hätte er das Sparprogramm durchgewunken, wär ihm sein Volk auf’s Dach gestiegen. Wahrscheinlich nicht nur symbolisch. Das Land wäre im Chaos geendet und er wäre unbeliebter als Guido Westerwelle.

Aber ist die Abstimmung überhaupt legitim? Es wird so getan, als ob es das gute Recht der Griechen ist, über ihr Schicksal zu entscheiden. Stimmt das? Kann man einfach die eine Seite einer Schuldbeziehung über den Umgang mit den Schulden untereinander abstimmen lassen? Sie entscheiden ja nicht nur über ihr eigenes Schicksal, sondern auch über das ihrer Gläubiger. Und die dürfen nicht mitstimmen. Demokratie Schmemokratie!

Und das Ergebnis? Griechenland geht pleite. Das heißt? Banken werden zusammenbrechen. Gut, haben sie verdient. Aber das heißt? Sparer verlieren ihr Geld. Bankrun etc. Der Euro kollabiert. Und dann? Wer ist schuld? Wer profitiert? Wer verliert? Was würde ein Linker jetzt tun?

Dieser Zug von Papandreou ist historisch. Es ist aber kein Auflehnen der Politik gegen das Diktat der Finanzmärkte, sondern eine Dekonstruktion des demokratischen Staates. Nichts ergibt mehr Sinn. Alle moralischen Kategorien laufen fehl. Alle Empörung findet kein Ziel. Wir finden uns wieder in Ruinen unserer Kategorien, Grenzen und Gewissheiten.

Und jetzt? Es gibt keine Antwort. Warten wir es ab.

10 Gedanken zu „Griechenland und die Dekonstruktion der demokratischen Nation

  1. Der demokratische Staat hat noch eine lange Zukunft vor sich. Dennoch geht etwas vor sich. Es ist die Dekonstruktion des Rechtsstaates in dem Sinne, dass man den Staat wie jede andere Körperschaft verklagen und belangen kann. Jetzt erkennt man, dass das in Bezug auf Staatsschulden nicht geht ohne dass tiefste demokratische Grundsätze verletzt werden. Die einzige Folgerung kann nur sein: Nie wieder Staatsschulden. Wie das gehen soll? Sicher nicht durch Rückzahlung, sondern einfach durch Aufkaufen mit neu gedrucktem Geld. Zieht die Inflation an muss man eben die Zinsen erhöhen. Aber das Konzept von Staatsschulden ist gescheitert. Nicht aber der demokratische Staat.

  2. Der Staat kann Geld ja auch gleich drucken, mspro. Es geht nur darum dass er kein Schuldverhältnis eingeht, was seine Bürger unter (echten/scheinbaren/moralischen) Zwang setzen kann.

  3. Das wäre keine Dekonstruktion der Demokratie, sondern eine Rekonstruktion.

    So sehr ich Deine präzisen Analysen sonst schätze, hier sind einige gewaltige logische Bolzen drin.

    1. Das griechische Parlament müsste sowieso abstimmen. Die Gläubiger werden also sowieso von der Demokratie übergangen. Lediglich das demokratische Verfahren wurde verändert, was angesichts der Enormität der Entscheidung ja fast zwingend ist.

    2. Demokratische Entscheidungen betreffen ständig Dritte, die selbst nicht an der Abstimmung teilnehmen können. Am deutlichsten wird das in der Außenpolitik.

    3. Wenn ein Staat bankrott ist, dann gibt es tatsächlich ein Problem, weil dann wirklich die Rechte des Souveräns gegen die Vermögensrechte der Gläubiger abgewogen werden müssen und es dafür kein Verfahren gibt. Soweit ist Griecheland formal aber noch nicht. Solange sie souverän sind, haben sie natürlich das Recht, Rettungspakete abzulehnen. Offensichtlich wird das bei einem völlig unvorteilhaften Deal. Zu einem wohlmeinenden Deal gibt es keinen kategorischen Unterschied, weswegen auch dieser abgelehnt werden kann.

  4. Formal hast du völlig recht. Es geht mir aber um die moralische Emphase mit der hier diskutiert wird. Die ist einfach nicht haltbar.

  5. Zwei Anmerkungen:
    – Die Griechen fragen die Gläubiger nicht, das ist korrekt, aber das müssen sie auch nicht. Denn der Gläubiger trägt ein Risiko und das lässt er sich ja auch bezahlen. Daher ist es kein scheindemokratischer Akt, sondern ein demokratischer Ar***tritt.
    – Wenn der Euro wegen so einem kleinen popligen Land zerbricht, dann stimmt etwas am Euro nicht.

  6. Annahme 1: Moral folgt logischen Gesetzen (Kant, ich hör Dir trapsen)
    Annahme 2: Staatsschulden sind nicht per se unmoralisch. (um Stefans Argumentation aus dem Spiel zu nehmen)
    Annahme 3: Neben der rechtlichen Verpflichtung gibt es auch eine moralische Verpflichtung, die Schulden zurückzuzahlen. Und zwar ist dies eine moralisch Pflicht der obersten Instanz des Staates, des Souveräns.
    Annahme 4: Die Regierung ist moralisch Verpflichtet zum Wohle des Volkes zu handeln. Das Wohl ist utilitaristisch definiert.

    Folgerung: Gerät der Staat in eine Situation in der er seine Schulden ohne große Härten für das Volk nicht mehr bedienen kann, gerät die Regierung in ein moralisches Dilemma. Beschließt sie einen überharten Sansierungskurs, stellt sie das Wohl der Gläubiger über das Wohl des Volkes. Das ist aber unmoralisch. Bedient sie die Schulden nicht, verhält sie sich den Gläubigern gegenüber unmoralisch.

    Auswege aus der Siuation gibt es folgende:
    1. Man erfindet ein Maß für Moral, so dass man eine abwägen kann, welcher moralische Imperativ den anderen überlagert.
    2. Man delegiert die Entscheidung an das Volk. Das Volk unterliegt einzig und alleine der moralischen Pflicht, die Schulden zu bedienen. Wie bei jeder moralischen Entscheidung, kann sich das Volk natürlich unethisch verhalten. Aber eine Volksbefragung ist ein Ausweg aus dem Dilemma, da es in diesem Fall moralisch nur eine einzige richtige Entscheidung gibt.

    Fazit: Da ich mir 1. sehr schwierig vorstelle und der Willkür Tür und Tor öffnet, ist 2. ein geschickter und gangbarer Weg für die Regierung, sich moralisch zu verhalten.

    qed 😉

  7. Das Moral-Maß wäre auch für den persönlichen Alltag von Nutzen.
    Grübel schon wie man eine moralische Einheit am wertneutralsten benennen könnte. Bisher scheint mir die „Bosbach-Skala“ passend.
    Der Schreck der europäischen Spitzenpolitik, kommt daher, daß Papandreou tatsächlich das macht wofür er da ist. Eigene Entscheidungen treffen und das auch noch mit Blick auf die eigene Bevölkerung. Müssen sich Sarko und Streber-Angie ekeln. Hut ab!

  8. Pingback: Too much information - Kannitverstan - Demokratie

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