Ich bekam vor einigen Monaten einen Brief von Martin Steinkamp. Er fühlt sich durch meinen Beitrag hier einer Geschäftsschädigung ausgesetzt. Mein Mitleid, dass seine dubiose Masche Subdomains von co.de zu verkaufen, aufgrund verhagelter Suchergebnisse nicht mehr so zieht, hielt sich, naja, in Grenzen. Er betreibt dieses Geschäft nämlich noch heute und ich hoffe, ich konnte mit dem Öffentlichmachen ein paar Menschen davor bewahren, unnötig viel Geld auszugeben.
Der Ruf nach digitalem Vergessen ist ein gefährlicher. Wir reden hier über Werkzeuge der Informationskontrolle. Sind solche Werkzeuge erstmal in der Welt, entscheidet allein die größe des Hebels, wer sie erfolgreich einsetzt. Stefan Niggemeier hat diesen Umstand – vermutlich aus eigener schmerzhaften Erfahrung – in einem lesenwerten und sehr differenzierten Beitrag leider nur am Rande erwähnt, obwohl ich ihn für zentral halte:
Die merkwürdigen technischen Konstruktionen, mit denen dem Internet das Vergessen beigebracht werden soll, werden nicht funktionieren — außer, womöglich, für diejenigen, die die schlechtesten Motive und die größten Mittel haben.
Digitale Radiergummivisionen sind nicht umsonst DRM-Methoden sehr ähnlich: Informationskontrollstrukturen werden sich immer als Werkzeuge der Mächtigen entpuppen.
Das Wettbewerbs- und Pesönlichkeitsrecht sind derzeit die weitreichensten Konstruktionen der Informationskontrolle. Wir kennen sie über das Abmahnwesen, das regelmäßig über deutsche Blogs hinweg fegt, zu genüge. Sehr erfahren im Umgang mit diesen Werkzeugen ist seit jeher die Firma Euroweb.
Dabei weckte Euroweb allerdings schon damals schlafende Hunde. Es waren diverse Shitstorms, die Euroweb seitdem durchmachen musste und immer wieder wählte das Unternehmen rechtlichen Druck gegen Blogger als Mittel der Wahl. Julio Lambing von Axonas machte sich damals die Arbeit und verstieg sich in detaillierte und akribische Recherchen zu dem Unternehmen und seinem europaweiten, umfangreichen Netzwerk aus Neben-, Haupt-, Partner-, Tocher- und Briefkastenfirmen. Und vor allem zu den „Machenschaften“ in Sachen Neukundenakquise. (Ich kann aus Abmahngründen nicht weiter in’s Detail gehen.)
Euroweb hat es tatsächlich geschafft, all diese umfangreichen Rechercheergebnisse aus dem Netz zu klagen. Sogar so ein wehrhafter Blogger wie Julio konnte gegen den juristischen Druck auf Dauer nicht an. Ein Sieg gegen den Kontrollverlust?
Nun hat es also Nerdcore.de erwischt und damit eines der größten und bekanntesten Blogs in Deutschland. Es mag formal und juristisch alles korrekt gelaufen sein – René hat anscheinend aus irgendeinem Grund verpasst, sich um die Abmahnung von Euroweb zu kümmern – aber es könnte dennoch sein, dass sich Euroweb diesmal verkalkuliert hat.
All die jahrelange, kostenintensive Abmahnarbeit und Säuberung des Internets von Kritik gegen das Unternehmen könnte nun umsonst gewesen sein. Nämlich dann, wenn die Rechercheergebnisse von Julio auf anderen Wegen wieder auftauchen, vielleicht mehrfach auftauchen, Streisandmehrfach. Ich bin mir sicher, dass der eine oder andere ein Backup von Julios Artikeln noch irgendwo auf der Platte hat und dass dies seine Besitzer nun anschreit, veröffentlicht zu werden. Hunderfach? Tausendfach?
Gibt es ein Recht auf eine weiße Weste? Sollen wir Strukturen schaffen, die Westen rein halten sollen auch gegen den Willen desjenigen, der die Flecken öffentlich macht, oder der, der sie als Kopie auf der Festplatte lagert? Auch gegen das Interesse der Öffentlichkeit? Wie interpretieren wir „Informationelle Selbstbestimmung„? So wie das Hamburger Landgericht, als das Recht, zu entscheiden, was über mich gesagt werden soll? Sollen sich Euroweb, ehemealige Bildredakteuere und Gewinnspielmoderatoren immer und überall „informationell selbst bestimmen“ dürfen? Ich finde: nein!
Vielleicht braucht es ein neues Vergeben, ja. Aber dringender braucht es einen Kampf gegen die Unterdrückung von Information und gegen all die Instrumente der Informatinskontrolle. Und da man das Gesetz nicht so schnell geändert bekommt, sollte es durch den realen Kontrollverlust schleunigst zur Makulatur degradiert werden.
Ich für meinen Teil wäre enttäuscht, wenn in zwei Wochen auf den ersten 5 Ergebnisseiten der Googlesuche nach „Euroweb“ etwas anderes als massive Kritik an dem Unternehmen zu finden wäre.
So, ich hab mich etwas erholt. War tatsaächlich ein anstrengendes Wochenende.
Aber bevor ich das alles haarklein erzähle, noch schnell ein Hinweis. Direkt nach der Talksenung war ich nämlich noch zu einem Interview verabredet. Auch West.Art, aber eben nicht Talk, sondern Magazin und das wird Dienstag ausgestrahlt.
Also bitte noch mal morgen, 18. Janauar, WDR einschalten, diesmal etwas später, um 22:30 Uhr. Lohnt sich bestimmt.
Aber zurück zum Wochenende. Am besten gleich zum Samstag. Mein Medienwochenende begann schließlich mit einem Radiotalk auf dradio.wissen. Dort kloppte ich mich live mit Falk Lüke um die Notwendigkeit des digitalen Vergessens und über den Sinn und Unsinn von Datenschutz. Ich bin etwas unzufrieden mit meiner Perfomance. Ich hatte wenig geschlafen und war ziemlich müde und fahrig, aber hey, so ist das manchmal.
Was mir aber im Gedächtnis geblieben ist, ist eine ganz spezifische Mediensituation, die es vermutlich nur im Radio gibt. Jeder sitzt da also vor seinem Mikro und hat dabei diese großen Kopfhörer auf. Und zwar alle: Falk, Markus Heidmeier und ich und die Regie im Nebenzimmer auch. Und das alles ist frei konfigurierbar. Die Regie kann nur mit Markus, nur mit Markus und mir, oder nur mit Falk und Markus reden und umgekehrt. Und da dachte ich so bei mir: das muss diese „informationelle Selbstbestimmung“ sein, von der Datenschützer so gerne reden. 😉
Danach hatte ich nur wenig Zeit, bevor mein Flieger nach Köln ging (das ist so großartig, wie die Leute beim WDR alles so minutiös durchplanen, wenn sie einen einladen. Man wird tatsächlich auf Händen in’s Studio getragen). Ich hab mich noch hingesetzt und versucht mir den einen oder anderen Satz (Punshline) zurecht zu legen. Diesen Ratschlag gab mir übrigens Talkshowgott Sascha Lobo persönlich. Leider kam ich nicht weit, denn im Flugzeug hatte ich zwischen Start und Landung nur ca. 45 Minuten Zeit zum arbeiten (das nächste mal fahr ich wieder Bahn).
Kaum angekommen musste ich dringend Kölsch, Steak und Cocktails und so, weil, ja nun. (Dabei übrigens auch @function getroffen, der hatte die aktuelle RollingStone dabei, also die Januarausgabe. Da hab ich auch einen Text über Wikileaks uns StreetView drin. Falls jemand und so)
Ich kam aber glücklicherweise früh genug in’s Bett um – zumindest theoretisch -ausgeschlafen zu sein. Ich kam dann aber doch eher mühsam aus dem Bett, weil ich die Zeit zwischen 3:30 bis 5 Uhr aus irgendeinem Grund wach verbrachte. Vom Hotel wurden wir (Christian Schertz und ich) die 600 Meter zum WDR wieder per Limousine gefahren. Dann erstmal großes Treffen im Konferenzraum mit Redakteuren, Gästen, Moderator und Schnittchen. Ich kippte mir den Kaffee in rauen Mengen rein, um nicht wieder so verschnarcht zu sein, wie am Samstag. Es war eine entpannte Atmosphäre, fast familär.
Dann wurden wir einer nach dem anderen in die Maske geführt. Bei mir wurden die Augenringe wegretuschiert und ansonsten das Gesicht abgedeckt und gepudert. Hab ich ja auch nicht alle Tage, sowas. Danach Mikrofon befestigen und Fotos schießen (was aus denen geworden ist, weiß ich gar nicht) und dann ging es auch schon los.
Wir saßen direkt im Foyer des WDR, so im linken Bereich gleich neben dem Eingang. Das ist alles recht klein. Dort, wo das Studiopublikum säße (es gab ja keins) war nur die Außenwand des WDR mit einem Ferseher, der die Einbettung unserer Sendung in’s Programm illustrierte und die Einspielfilmchen zeigte. Davor fuhren drei Kameras hin und her. Ich einigte mich mit Frau Thiemann, welches Wasserglas (das vordere oder das hintere) auf dem Tisch zwischen uns ich benutzen würde und dann schrie eine von der Produktion „ZEHN„. Ich suchte nach einer bequemen Sitzposition – „FÜNF“ – Holger Noltze sagte uns, in welche Kamera wir zu lächeln hatten, wenn er uns vorstellt – und los.
Ich war als erstes etwas irritiert, dass es gleich mit mir losging, hab mich aber dann gefangen. Der Rest ist Geschichte und kann hoffentlich bald irgendwo angekuckt werden ist unten verlinkt. Ich bin recht zufrieden mit meinen Auftritt. Ich hatte mir jedenfalls schlimmere Szenarien ausgemalt. Klar, das ist alles noch lange nicht perfekt, noch nicht sicher genug, noch nicht Ähm-frei genug, noch nicht auf den Punkt genug, aber für den ersten Fernsehauftritt völlig Ok. Kein großer Patzer, kein dummes Verlabern, keine unsouveränes Irgendwas.
Hier erstmal der großartige Einspielfilm zu meiner Person über den ich mich sehr gefreut habe:
Die Sendung. Naja, die wurde ja eherzerrissen. Ich kann das zum teil verstehen. Aber ganz ehrlich: ich habe mich da nicht schlecht behandelt gefühlt. Natürlich sind das Fernsehmenschen und die haben einen anderen Blick auf das Internet als ich. Und natürlich ist die Zielgruppe eine noch viel Internetfremdere als diejenigen, die auf den Sesseln saßen. Wenn man der Sendung etwas vorwerfen kann, dann, dass zu viele heterogene Themen abgehandelt wurden: von Promis, über Castingshows über die Stasi bis hin zum Internet ist ein verdammt großer Bogen. Da hätte es auch bei anderthalb Stunden gut getan, sich etwas mehr zu fokussieren.
Besonders beeindruckt hatte mich Frau Thiemann. Nicht nur, dass sie von Anfang an klar machte, dass ihre schlimmen Erfahrung mit der Stasi keinesfalls auf die neuen Technologien übertragbar seien, sondern auch ihre Haltung insgesamt. Ihre Offenheit, trotz alledem. Eine Offenheit, die viel gutes hat.
Die Logik der Privatheit und der Intimität sind dann doch viel komplexer, als wir das oft wahrhaben wollen und vor allem, als es in einer Fernsehsendung verhandelbar ist. So war ich berührt – und zwar einerseits mitfühlend, als auch etwas peinlich – als Frau Thiemann von den heftigen Erfahrungen ihrer Haft erzählte. Das sind schon sehr intime Details und ich bin mir sicher, dass diese Schilderungen in ihren Büchern noch detaillierter sind. Ich glaube nicht, dass ich jemals intimere Details von mir preis gegeben hätte. Und dennoch war genau dieser Umstand – diese Öffentlichkeit – zu keiner Zeit Thema in der Runde. Es ging bei Frau Tiemann nur um die Überwachung und die Kontrolle durch die Stasi und nicht dessen nachträgliche mediale Aufarbeitung.
Das ist schade, denn diese andere Situation ist ja viel eher vergleichbar mit dem, was man so im Internet tut. Wir leben Transparenz und nicht Überwachung. Wir teilen Erfahrungen und ziehen alle Nutzen daraus, sowohl derjenige, der teilt, als auch die anderen. Wenn man die Wirkung von Thiemanns medialer Aufarbeitung ihrer Vergangenheit zum Anlass genommen hätte, über den Wert von Öffentlichkeit zu sprechen, dann hätte man gut zeigen können, wie die Preisgabe und das Teilen von Informationen viel Gutes hat. Wie es dazu führt, Gerechtigkeit herzustellen, wie es die Menschen über Gefahren eines Unrechtsstaats aufklärt, wie es hilft Geschichte einzuordnen. Nicht auzudenken, wie viel es den anderen Opfern der Stasi geholfen haben mag, dass Frau Thiemann ihre Erinnerungen und Gedanken teilt und so auch ihr eigenes Schicksal auf die gesellschaftliche Agenda setzt. Man hätte da so viele Aspekte rausholen können, wenn man nach der Großartigkeit von „Öffentlichkeit“ gefragt hätte, statt nur nach dem Verschwinden der Privatheit.
Nach den anderthalb Stunden der Sendung musste ich speedentkabelt werden, denn ich musste gaaaanz dringend auf’s Klo. Klar, der Kaffee, einen mspro pullen und so. Danach saßen wir alle wieder in dem Konferenzraum und diesmal hatte ich ein unfassbaren Heißhunger. Ich konnte mich kaum an den Diskussionen beteiligen, weil ich mir ein Schnittchen nach dem anderen reindrückte. Ich vermute, dass so eine mediale Situation ganz schön zehrend wirkt und der Stoffwechel dabei einiges verbrennt. Und dann mußte ich auch schon wieder los, wegen des Interviews (siehe oben). Zusammen übrigens mir Frau Dietz. Die Interviews sollten im Hotel stattfinden, wo ich auch genächtigt hatte und Frau Dietz und ich entschieden uns den Weg diesmal zu fuß zu gehen. Auf dem Weg diskutierten wir noch recht heftig die Themen Postprivacy und Kontrollverlust, was mir nicht so recht behagte, weil eh ich schon so erschöpft war und ich alle Kraft für das Interview brauchte.
Die Redakteurin der West.Art-Magazin-Sendung hatte bereits alles minutiös vorbereitet. Kamera, Ton, Beleuchtung. Also wieder verkabelt werden, diesmal noch viel genauer sitzen, Kragen herrichten, in die Kamera schauen, wieder Kragen richten. Eine echte, genau durchdefinierte mediale Situation, also. MJir war das alles egal. Ich bekam es zu meinem erstaunen tatsächlich hin, mich noch einmal eine Stunde lang sehr zu konzentrieren und alle Fragen zu beantworten. Die Redakteurin hatte sich sehr gut vorbereitet, hatte meine Blogs gelesen und schon sehr genaue Vorstellung von meinen Themen. Ich glaube sogar, dass ich – vielleicht durch das Intensivtraining der Talksendung – noch viel besser und pointierter formulieren konnte, als vorher. Ich bin wie gesagt, auf das Resultat sehr gespannt.
Auf dem Heimweg war ich dann ziemlich erschöpft. Ich musste dauernd Wasser nachtrinken und irgendwie war mein Hunger kaum zu stillen. Erstaunlich ist, von wie vielen alten Freunden und Bekannten man angerufen oder bei Facebook angechattet wird, wenn man im Fernsehen war. „Du warst im Fernsehen!!!11einself„. Irgendwie ist das Fernsehen in den Augen der meisten Leute immer noch das Medium der Öffentlichkeit schlecht hin. Obwohl ich nur am Sonntagmorgen in einer Kuzltursendung eines Regionalsenders aufgetreten bin, wird das als das große Ding wahrgenommen. Vielleicht sogar zu recht, ich weiß es nicht.
Ich schreibe hier ja immer für eine Queryöffentlichkeit, nicht für eine klassisch massenmediale Öffentlichkeit. Hier geht es nicht um Reichweite, Quote und Klicks (naja ein bisschen auch), sondern um Vernetzung. Darum, dass die richtigen Leute hier lesen. Es geht darum, teil einer oder vieler speziefischer Querys zu sein, statt im Sichtfeld von jedem.
Es ist aber natürlich verdammt spannend zu sehen, wie so eine massenmediale Öffentlichkeit funktioniert. Und wie sehr man sich, seine Thesen und alles verbiegen muss, ihr zu genügen. Meine Queryöffentlichkeit sucht sich ihr Publikum – sie wird ausgesucht oder nicht und das ist die große Freiheit hier im Netz. In der Massenöffentlichkeit muss man alles einem gegebenen Publikum unterwerfen. Und vielleicht ist ja eigentlich schon diese strukturelle Gewalt das „unmenschliche“, dass uns nur in seiner vollen Rohheit bei Sendungen wie DSDS noch wirklich erschrickt.
Das hat mich noch mal ein bisschen mehr Kraft gekostet.
Hier, im zweiten Teil der Queryology versuche ich also den wirklichen Paradigmenwechsel zu beschreiben, der auf das Konzept der Medien folgt. Es ist also auch der Versuch eine Sichtweise zu umschreiben, die sich von der gewöhnlichen Sichtweise unterscheidet. Ich will nicht behaupten, dass diese Sichtweise neu ist. Ich glaube, wer einige Zeit online gelebt hat, bekommt ein gewisses Gefühl dafür, was ich beschreibe. Ich habe es nur versucht zu formalisieren.
Die Queryology ist der Versuch die Gegenwart aus einer historischen Perspektive zu betrachten. Das ist gar nicht so einfach, wie es sich anhört. Man muss sich, seine Welt und vor allem seine Daten aus der Perspektive eines zukünftigen Anderen betrachten, von dem man nichts weiß. Einer, der einen ausgraben wird, mit neuen Tools, neuen Queries, neuen Fragestellungen und Diskursen. Ich nenne das Konzept deswegen auch Echtzeitarchäologie.
Ich weiß, das ist alles furchtbar lang und schwierig. Aber ihr habt ja das Wochenende. 🙂
Relativ kurzfristig reingekommen (eben gerade) ist eine Anfrage von dradio.wissen. Allerdings nicht zu meinem nicht gesendeten Verlegerrant, sondern zum leidigen Radiergummi-Thema.
Ich soll dort eine Stunde lang mit Falk Lüke streiten und da wir immer schon mal vor hatten, uns zu prügeln, habe ich da mal spontan zugesagt. Außerdem ist es eine gute Übung für Sonntag und ist sogar themenverwandt.
Also, Samstag, 15. Januar – 11:05 dradio.wissen einschalten.
Ich habe mich ein bisschen erschrocken. Nicht über Ilse Aigner und ihr Radiergummi – das ist normal, die ist Politikerin – sondern darüber, wie ernsthaft über ihre Ideen diskutiert wird. Also auch hier in der Blogszene.
Beispielsweise Netzpolitik.org. Dort wird zwar das DRM-Dings von dem Professor da zu genüge auseinander genommen, aber von der Idee des „digialen Vergessens“ wird sich nicht distanziert. Im Gegenteil!
Versteht mich bitte nicht falsch. Ich halte das Vergessen – also das normale, kognitive Vergessen – für einen Segen. Wir wären in kürzester Zeit verrückt, wenn es das nicht gäbe. Denn das Vergessen ist – anders als es in dieser Diskussion dargestellt wird – nämlich kein Anrecht des Produzenten einer Information, sondern ein Filtersystem des Erinnernden. Es selektiert relevante von irrelevanten Informationen und ist somit ein Werkzeug des Erinnerns.
Oder Christoph Kappes. Er argumentierte heute auf Twitter, dass ja mündliche Kommunikation eben so flüchtig sei, wie es die Ilse nun für’s Internet fordert. Und er hat recht, ich kann mich nach einem Gespräch kaum an den Wortlaut erinnern. An was ich mich aber erinnere, ist genau die Information, die ich für relevant erachtet habe.
Wenn mir Christoph also in einer Bierlaune von seinem Ilse Aigner-Fetisch (Sie, ganz in Radiergummi gekleidet … ) erzählt, dann werde ich mich auch noch am nächsten Tag daran erinnern und vermutlich mein ganzes Leben. Dass er mir vielleicht auch erzählt hat, dass er in seinem Wagen eben noch den Ölstand gemessen hat, wird mein Gehirn dagegen vermutlich dem Vergessen anheim geben.
Was man mit dem „digitalen Vergessen“ also fordert, ist nicht ein Vergessen in dem Sinne, wie wir es kennen, sondern eine fremdbestimmte Demenz! Ich soll vergessen, was mir Christoph erzählt hat, weil er das halt so will. Er soll mir in meinen Erinnerungen rumkramen und rauslöschen können, was ihm da nicht gefällt. Oder von Anfang an bestimmen, wie lange ich es erinnern darf. (Ich kann schon verstehen, dass Politiker diese Möglichkeiten als sehr nützlich erachten)
Nein, meine Lieben. Das würde ich mir nicht bieten lassen. Ihr habt gefälligst mir zu überlassen, was ich mir merke und was nicht. Und so soll es auch bitte im Internet bleiben. Filtersouveränität, alter!
Und überhaupt finde ich, dass das Internet noch viel zu viel vergisst. Alleine Twitter. Ich finde es eine Unverschämtheit, dass ich nicht mein ganzes Twitterarchiv durchsuchen kann. Eher würde ich auf Pflicht für Anbieter pochen, mir meine Daten jederzeit zugänglich zu halten.
Was ich bereits bei der Entwicklung des Vortrags merkte: das Thema ufert aus. Es sind im Grunde zwei Thesen, die aufeinander aufbauen. Und jetzt, wo ich das Thema noch mal schriftlich überarbeite, wird mir klar, dass das ein Zweiteiler werden muss.
Deswegen gibt es hier zunächst nur den ersten Teil meiner Ausführungen zur „Queryologie“: Das Ende der Medien.
(Was genau die „Queryology“ überhaupt ist oder sein soll, hoffe ich dann im nächsten Teil noch diese Woche veröffentlichen zu können.)
(und vielleicht steht dann ja auch bald mal das Video mal auf Vimeo zur Verfügung?)
Im Fernsehen kommt immer nur Schrott. Bis auf nächsten Sonntag!
Heute war ich nämlich mit einem Fernsehteam in Berlin unterwegs. Sie wollten für einen Einspieler ein paar Bilder einfangen, der dann in der Sendung west.art talk zu sein sein soll. Dort werde ich nämlich mit Simone Dietz, Christian Schertz, Ellen Thiemann und Ranga Yogeshwar darüber diskutieren, ob und wie eine transparente Welt möglich ist und ob das wünschenswert ist oder der Untergang des Abendlandes. Ihr könnt euch denken, welche Position ich dazu vertreten werde.
Irgendwo muss es ein Land geben – vielleicht in einem Paralleluniversum – in dem persönliche Daten verkauft werden. Ich meine damit nicht die Adresshändler der Printverlage oder Kriminelle, die geklaute Kreditkartennummern verticken. Keine Frage, die gibt es.
Nein. Es muss noch ein Land geben, in dem die Information „Michael Seemann hat „XY“ geliket„, „Michael Seemann’s Beziehungstatus ist Z“ oder „Michael Seemann findet folgenden Link gut“ eine verkaufbare Ware ist. Denn das ist das, was uns die Medien, wie aktuell der SPIEGEL, immer wieder verklickern wollen: „Facebook will deine Daten verkaufen! VERKAUFEN!!!EINSELF“
Nein, das wollen sie nicht. Sie wollen mir Werbung einblenden. Sie wollen damit Geld verdienen, dass ich eine Anzeige eher klicke, wenn man vorher ein paar Daten zur Eingrenzung vornimmt. Sie wollen verhindern, dass ich Werbung für Slipeinlagen zu sehen bekomme, weil ich doch Autos viel eher klicken würde, was ich nicht tue, aber im Weltbild eines Werbers ist das halt so. Das ist das Geschäftsmodell, das mehr oder minder leidlich funktioniert, aber gut genug funktioniert, dass andere Leute Facebook viel Geld geben.
Und ja, es gibt Probleme mit Daten: Beispielsweise, dass die US-Unternehmen gezwungen werden, auf Zuruf persönliche Daten ihrer Nutzer an die US-Regierung abzugeben. Durch Twitter, die die betroffenen informierten, ist das jetzt öffentlich geworden. Zu glauben, Facebook würde nicht angefragt, wäre hochgradig naiv. Bei denen läuft das mit Sicherheit unter der Hand. Aber auch in diesem Fall werden die Daten mitnichten verkauft, sondern sie werden beschlagnahmt. „It’s the law!„, wie der Amerikaner sagt.
Ja, wir müssen aufpassen, was wir schreiben, sagen und tun, das macht die aktuelle Entwicklung in Sachen Twitter und Wikileaks mal wieder deutlich. Aber auch hier ist der Feind in jedem Fall nicht Twitter und auch nicht Facebook, sondern der Staat. Der Staat ist es, der einen auf Linie bringen will, der Menschen zwingen will, bestimmte Handlungen zu tun oder zu lassen, weil er es für politisch opportun, legal oder illegal hält. Und der Staat ist es, der mich in’s Gefängnis steckt oder meine Wohnung durchsucht. Er ist es, der mir mein Leben zur Hölle machen kann. Nicht Facebook, nicht Google, nicht Twitter.
Wenn der Datenschutzdiskurs sich weiterhin von den Flachpfeiffen wie Aigner, der Spiegel oder Peter Schaar die Butter vom Brot nehmen lässt, wird Facebook irgendwann webgesperrt, ein „digitalesRadiergummi“ wird unsere Daten verDRMen, alle Häuser werden bei StreetView verpixelt aber die Vorratsdatenspeicherung kommt trotzdem. Das Wort „Datenschützer“ beginnt bereits einen piefigen Unterton zu bekommen. Es wäre schade, wenn es zum Schimpfwort wird. (Und genau deswegen ist es eben doch wichtig, dass der CCC sich zu Themen wie StreetView öffentlich und klar positioniert.)
Der Staat und andere Institutionen wollen die Kontrolle über die Informationen zurückerlangen. „Datenschutz“ solange er sich als Abwehrrecht gegen den Staat versteht, ist nicht nur aber auch deswegen derzeit ein wichtiges Anliegen. Es sollte nicht verspielt werden, nur weil der Datenschutz sich in falschen Feindbildern verrennt und sich unrefektiert und selbstgerecht nur noch auf die Schulter klopft. Es wird Zeit für den Datenschutzdiskurs, sich kritisch mit dem eigenen Sujet auseinander zu setzen, denn wir brauchen ihn aktuell sehr dringend.
Es kann eigentlich gar nicht anders sein, als das wir Menschen nicht nur mit Brett vorm Kopf geboren werden, sondern heillos und komplett vernagelt auf die Welt kommen.
Man kann sich jetzt – zurecht – darüber lustig machen, was für eine wenig revolutionäre Idee der App-Store eigentlich ist. Man kann sich aber auch fragen: Warum zum Teufel gibt es das nicht schon seit 10 Jahren?
Nehmen wir doch einfach mal ein paar lapidare Beobachtungen:
1. Die zentrale Verkaufsfläche von Produkten verschiedener Hersteller: vom mittelalterlichen Marktplatz, über den Gemischtwarenhändler bis zum Supermarkt. Man weiß seit immer, dass genau das eine gewinnbringende Idee ist. Ein zentraler Marktplatz im Internet funktioniert sogar noch besser, siehe Amazon und Ebay.
2. Bei wild herunter geladener Software besteht schon seit immer ein Vertrauensproblem.
3. Installationsprozesse sind aufgrund der Heterogenität von Software und System schon immer ein userunfriendly sucking scheiß! Software für ein bestimmtes Problem zu finden sogar noch mehr.
4. Bezahlvorgänge im Internet sind kompliziert und werden schon aus diesem Grund ungern und selten für Software getätigt.
5. Updates für Software war schon immer …
Ach, was red ich. Ich könnte stundenlang aufzählen, warum die Menschheit schon immer einen App Store haben wollte.
Vor knapp 10 Jahren kam Microsoft XP auf den Markt. Ich sehe nicht, warum ein Appstrore da nicht schon wunderbar funktioniert hätte. Das Internet war schon so weit, dass man da Programme herunter lud. Allen: den Kunden, den Herstellern und auch Microsofts Systemintegrität hätte ein Appstore vieles erleichtert. Und man hätte von Anfang an viel Geld machen können.
Wie kann es also sein, dass da über ein Jahrzehnt ein riesen Haufen potentielles Geld im Internet rumlag und niemand den gesehen hat? Bis heute?
Ich will hier nicht überheblich sein, im Gegenteil. Ich hab das ja auch nicht gesehen, und selbst als ich den Appstore beim iPhone in Benutzung nahm und mich über die Leichtigkeit der Bedienung freute, kam ich nicht auf den Gedanken, dass das für das RechnerOS ja auch ne gute Idee sein könnte. Brett vorm Kopf. Vernagelt. Ich. Wie wir alle.
Naja, Apple wird jetzt jedenfalls noch mal einen scheiß großen Haufen Geld mehr verdienen. Menschen sind komisch.
Folgenden Text hatte ich für dradio.wissen geschrieben und er sollte heute als Netzreporter Kommentar gesendet werden. Wird er nun doch nicht. Aus Gründen. Aber ich stelle ihn mal hier zur Verfügung.
Die unverlegenen Verleger
Ich weiß nicht mehr, wann es anfing. Der Rundfunkänderungsstaatsvertrag, der zu der Massenlöschung von Informationen beim Internetangebot der Öffentlich Rechtlichen führte, ist der erste Coup der Verleger, an den ich mich erinnere. Der Gesellschaft den Zugang zu Informationen zu versperren, um private Unternehmen zu peppeln, alles brav von der Politik umgesetzt – ein Glanzstück der Lobbyarbeit.
Seitdem ist viel passiert. Das Propagandasperrfeuer der Verlage gegen jede digitale Publikationsform der Öffentlich Rechtlichen bekam immer groteskere Züge. Der Höhepunkt war erreicht, als auf einmal die Demokratie gefährdet war, weil man jetzt mit der Tagesschau-App Nachrichten auf dem iPhone sehen kann.
Neben dem lautstarken Lamentieren hat die Branche allerdings auch in der Stille gearbeitet. Ein sogenntes Leistungsschutzrecht für Presseverleger steht in der Koalitionsvereinbarung der aktuellen Regierung. Weil der Markt die Presseerzeugnisse nicht mehr bezahlt, will man ihn eben dazu zwingen. „Leistungsschutzgeld“ wäre die treffendere Vokabel.
In den Medienangeboten der Verlage liest man von dieser Geiselnahme der Gesellschaft natürlich nichts. Wie auch, wenn die, die auf das Geld spekulieren, zufällig auch an den Druckerpressen stehen?
Der neuste Traum der Veleger ist eine gemeinsame Plattform zum Onlinevertrieb von Nachrichten. Weil das mit dem Vertriebsweg über das iPad nicht so klappt, will man sich zusammentrommeln, um eine gemeinsame Mauer mit Bezahlschranke zu errichten. Wenn alle Verlage mitmauern, so die Rechnung, dann müssen auch alle bezahlen. Also wir.
Dafür hat man jetzt sogar die amtierende ARD-Intendantin Monika Piel gewonnen. Nur den Verlegern zuliebe, will sie sich in die Mauer einreihen und für die bereits mit Gebührengeldern bezahlten Inhalte beim Nutzer ein zweites mal abkassiern. Ist das nicht nett?
Ich frage mich, mit welchem Vorschlag die Verlger als nächstes um die Ecke kommen. Eine allgemeine Vorschrift zum täglichen Kauf der Bildzeitung? Eine Schußwaffenerlaubnis für Drückerkolonnen?
Der so genannten vierten Gewalt ist mittlerweile alles zuzutrauen. Sie vertritt niemanden mehr, außer sich selbst.