Das Ende der Doppelmoral

Gestern bei „Hart aber Fair“ ist etwas passiert, bei dem ich mich erschrocken habe. Der Mann von der CSU, nachdem er natürlich Guttenbergs Betrügereien als lässliche Fehler herunterspielte, prangerte die Doppelmoral an, mit der von Guttenberg hier kritiert würde. „Machen wir alle nicht Fehler?„, sollte man gesellschaftlich nicht auch mal Auge zudrücken? Sollten wir nicht alle mal weniger moralinsauer argumentieren.

Endlich mal jemand mit einem wirklich liberalen Weltbild. Aus der CSU!

Es scheint, als sei eine linke Forderung – oder eher ein linker Vorwurf an das bürgerliche Lager – bei eben diesem satifaktionsfähig geworden: Das Ende der Doppelmoral.

Guttenberg hat zwar betrogen und sich einen Titel erschlichen und dabei die bürgerlichsten aller bürgerlichen Werte mit Füßen getreten: Fleiß, Leistung, Ehrlichkeit, Treue, Bildung, aber die Union als die institutionelle Heimat dieser Werte stellt sich hin und fordert ein Ende der Doppelmoral.

Dass die Linke den Brügerlichen diese Werte eh nie abgekauft hat, dass sie sie immer als vorgeschobene Begründungen ansah, die der Erhaltung des sozialen Statuses und der Besitzstandswahrung dienten, ist nichts neues. Dass jetzt aber aus dem Bürgerlichen Lager dieses Eingeständnis so schwarz auf weiß auf den Tisch gelegt wird, ist eine völlig neue Qualität. Und die Linke schaut nicht schlecht verdutzt aus der Wäsche.

In der Zeit wurde das Berlusconiphänomen unlängst genau an diesen Parametern festgemacht. Berlusconi sei ein Phänomen der Wahrhaftigkeit:

„Wer die Dinge, die er tut, nicht tut oder sie gar ablehnt, wird als Heuchler empfunden. Als einer, der zwar auch gern einem schönen Frauenhintern hinterherschaut, aber nicht aufrichtig genug ist, das auch zu sagen. Viele Italiener denken, dass Berlusconi bei all seinen Verfehlungen im Grunde zutiefst menschlich bleibt. Er zeigt menschliche Schwächen, weil er „einer von uns“ ist, und eigentlich „wollen wir sein wie er“. So denken die einen. Und brandmarken dann die anderen als Heuchler und Lügner. Diese Vorstellung mag oberflächlich erscheinen, aber sie ist mit dem Vorwurf verbunden, dass Berlusconis Gegner von der Linken zwar hehre, moralisch einwandfreie Versprechungen gemacht haben, während ihrer Regierungszeit aber die großen Reformen dann doch nicht anpackten.“

Die Aufgabe der Doppelmoral von Seiten der Konservativen sollte uns alle deswegen beunruhigen. Es ist ein Indiz für einen tiefen Wandel, der sich unter der Oberfläche der Bürgerlichkeit entwickelt hat und sich nun Bahn bricht.

Die fast 300.000 Leute in der ProGuttenberg-Facebook-Gruppe und die Bildleser verstehen sich durchaus weiterhin als „bürgerlich“, auch wenn sie vielleicht nicht wirklich verstehen, was das heißt – oder eher: traditionell geheißen hat. Es ist das Bürgerliche minus die Werte und Pflichten. Es das Bürgertum minus die Doppelmoral. Es ist also das was übrig bleibt, was hinter der Fassade immer vermutet oder gewusst wurde: Statusverteidigung, Besitzstandswahrung, Abwehr gegen alles neue und fremde und reiner Egoismus. Ein Bündel aus Angst und Wut.

Der „Wutbürger“ wurde ebenso charakterisiert. Er verfolgt eine egoistische Agenda. Vielleicht versucht er sie rhetorisch als Allgemeinanliegen zu tarnen, aber in wirklichkeit demonstriert er, weil ihm was nicht in den Kram passt. Schulreform in Hamburg, S21, Streetview, „überfremdung“. Thilo Sarrazin ist vielleicht nur der Vordenker für diese kalte, rein auf Eigennutz und fern alle Werte kalkulierenden Bürgerlichkeit. Er rechnet haarklein vor, wie wir uns abschaffen. Das meint, unsere Privilegien, unsere (ethnische) Vorherrschaft, unsere Renten, unseren Vorgarten. Er rechnet jedem vor, was er vermeintlich zu verlieren hat. Sarrazin appeliert an eine nackte, egoistische Angst. Das hat anscheinend den Nerv getroffen.

Wir werden uns unsere alten Konservativen noch zurückwünschen.

Der neue Klassenkampf – gegen uns


Screenshot via Anti.Guttenberggruppe

Vor ein paar Tagen schrieb ich noch raunend von einem eventuellen Klassenkampf, bei dem wir unangenehmer Weise auf der „falschen Seite“ stehen würden. Weil wir – vielleicht ohne es zu merken – zu einer Art Elite geworden sind. Weil wir gar nicht mehr merken, dass unsere Diskurse und unsere Wahrheit schon lange nicht mehr satisfaktionsfähig sind.

Nun, die Zeichen verdichten sich. Anscheinend ist das „Volk“ nicht mehr bereit, sich einfach ihren geliebten Politiker von Guttenberg von unseren weltfernen, abgehobenen und im wahrsten Sinne des Wortes „akademischen“ Diskursen entreißen zu lassen.

Ich habe diese Tendenz „Berlusconisierung“ genannt. Berlusconi konnte sich die längste Zeit auch einfach alles erlauben. Jede Unehrlichkeit, jeden moralischen Fehltritt hat er einfach umgekehrt, indem er sich als Identifikationsfigur der Imperfektion inszenierte und dann jede Kritik an seinem offensichtlichen Fehlverhalten einer „linken Kampagne“ zuschrieb. Und genau so stehen wir in den Augen vieler gerade da: als linke, vor allem intellektuelle Verschwörung.

Max Steinbeis hat einen anderen, schönen Vergleich gefunden: Sarah Palin.

„Sarah Palin in den USA macht es vor, welche unglaublichen Erfolge man mit diesem anti-elitären Ticket einfahren kann: Jeder Professor, der ihr Irrtümer und Fehlschlüsse nachweist, jeder Journalist, der sie als ahnungslos und bescheuert und totalen Blindgänger entlarvt, macht sie nur stärker. Je massiver und anspruchsvoller die Kritik, desto klarer liegt für ihre Anhänger auf der Hand: Die da oben wollen sie nur fertig machen. Also halten wir da unten um so mehr zu ihr.“

Die Berlusconisierung/SarahPalinisierung wird weiter voranschreiten. Vor allem, wenn Guttenberg jetzt damit durchkommt, ist das der Startschuss für noch viel mehr Dreistigkeit. Einige haben bereits Angst:

Ich habe inzwischen den vermeintlichen Spaß am „Doktor der Reserve“ („Der Spiegel“, 8/2011, Seite 20) längst verloren. Vielmehr habe ich Angst davor, dass sich das „System Dr. Guttenberg“ immer mehr durchsetzen wird. Ein System, das Blendwerk in den Mittelpunkt hebt, fundiertes Wissen, Ehrlichkeit, Redlichkeit und auch Menschlichkeit zu Gunsten von Einfluss und Macht jedoch immer mehr verkommen lässt. Wie ich das meiner 12Jährigen Tochter, die ausgerechnet das Gymnasium besucht, an dem Dr. Guttenberg sein Abitur machte, erklären soll, weiß ich nicht.

Und das schlimmste: bei mir und vielen anderen der „Elite“ wird das den Spaltpilz zum Nationalen wohl einfach weiter verstärken. Ich werde mich noch weniger um die nationale Politik kümmern, denn ich habe eine Alternative. Denn wie mir geht es jungen, gebildeten Menschen in den USA, in Italien und in vielen anderen Ländern. Wir werden uns gegenseitig das Ohr zuheulen ob der Dummheit unserer Landsleute und dabei viel Verständnis ernten. Und so das Problem verschlimmern.

PS: Else Buschheuer hatte letztens über ihre Erfahrung mit Facebook gebloggt (oberster Post, leider keine Deeplinks), dass Facebook irgendwie „konservativer“ sei als Twitter. Ich glaube mittlerweile, Facebook ist schlicht „repräsentativer“.

Wertewandel

Natürlich gibt es einen Wertewandel. Das ist so ziemlich das Ergebnis, worauf die Diskussion bei Carta schließlich hinauslief. Er findet statt und er ist durchaus beobachtbar, wenn auch nur im Keim. Er lässt sich allerdings nur bedingt formalisieren, weil er so neu ist, dass uns bei genauerer Betrachtung unser eigenes Handeln fremd vorkommt. Die Begriffe passen nicht mehr, die Konzepte versagen. Ich habe es damals in „Das radikale Recht des Anderen“ dennoch versucht, was schon für ziemlich viel Wirbel gesorgt hat. Aber auch das schlichte Aufzeigen und Kontextualisieren des eigenen Kulturkonsums vermag es immer wieder die Menschen zu provozieren.

Aber eigentlich findet der Wertewandel natürlich im kleinen statt. Wenn zum Beispiel beobachtbar wird, wie Leute mit tradierten Wertvorstellungen daran scheitern, neue Phänomene zu kritisieren und dabei das Gegenteil dessen erreichen, was sie sie sich erhofften. Ein Beispiel ist die Privacy-Diskussion um Facebook.

Die habe ich hier mal auseinander genommen.

Unsere Verschwörung

Was ich aber heute aufschreiben will, ist keine Verschwörungstheorie, sondern eine echte, handfeste Verschwörung. Jeder kann sie nachvollziehen, wenn er erstmal die Zusammenhänge begreift. Ich bin teil einer sehr, sehr großen Verschwörung und ich will die Gelegenheit nutzen, alles auffliegen zu lassen. Den ganzen Laden. Und der ist riesig!

Es geht um nichts weiter, als die globale Verschwörung gegen den Nationalstaat und dem Großteil der darin lebenden Bevölkerungen. Es geht um die schrittweise Aushöhlung der Souveränität aller Staaten und die Neukonfiguration der Macht in einer neuen, globalen Elite, die dabei ist die Welt zu übernehmen.

Ja, ich weiß. Das ist nicht neu. Man weiß von den Kapitalströmen, die längst die staatlichen Ebenen verlassen haben. Man weiß um die Internationale Geldelite, die sich ihre Steuerparadiese aussucht. Man weiß vom so genannten „Jetset“ und von der „Globalisierung“. All das weiß man und hat es ad Akta gelegt.

Aber das, was derzeit abgeht, ist eine ganze Nummer größer. Und ich bin dabei.

Ich kann gar nicht sagen, wann das angefangen hat. Aber es geht auf jeden Fall schon 20 Jahre so. In meiner Generation sind beinahe alle mit Hochschulabschluss ein Jahr in’s Ausland gegangen. Dass in den Lebensläufen ein Jahr Madrid, London oder Sidney auftaucht, ist überhaupt keiner Rede mehr wert. Nicht den unteren Bildungsschichten, wohlgemerkt. Nur die Elite, der jungen Leute aus mindestens mittelständischen Haushalten. (Es gibt nur wenige Ausnahmen)

Das Erasmusprogramm ist und war ein wichter Teil dieser ganzen Maschinerie. Aber wichtiger noch ist das Internet.

Seit 10 Jahren kommuniziert diese Elite über das Internet. In einigen Bereichen erst noch national und Muttersprachlich aber zunehmend immer internationaler – auf Englisch. Man liest englischsprachige Blogs, man liest englischsprachige Bücher, man trifft sich auf englischsprachigen – immer internationaleren Konferenzen. Man vernetzt sich ganz natürlich mit anderen Menschen in anderen Ländern. Die USA, ganz Europa und auch Kolumbien, Mexico und oder Japan – völlig egal. Natürlich aber auch nicht mit den unteren Schichten in diesen Ländern, sondern ebenso mit denen der mittel – bis Oberschicht.

Die gebildete Mittelschicht in meinen Alter hat viel mehr kulturelle Schnittmengen mit seinem Pendant in anderen Ländern (und zwar egal in welchen), als mit meinem Nachbarn. Der Nachbar, der ungebildet ist und jenseits der 40 und statt „The Wire“ im Original Nachmittags-Talkshows auf deutsch anschaut. Die kulturellen Unterschiede verlaufen nicht mehr entlang von Entfernungen, sondern immer mehr entlang einer internationalen, kulturell vernetzen Elite.

Viele in meinem Freundeskreis denken überhaupt nicht mehr in nationalen Kategorien. Nationalität ist dieses Stück Papier, das ich am Flughafen vorzeigen muss, wenn ich von New York nach Amsterdam fliege. Amsterdam, Berlin, Jarkata, Istanbul, San Fransico sind keine Frage der Nation mehr, sondern stehen zum direkten Vergleich nebeneinander. In Berlin geht man in Club X und in New York isst man Steak an Ort Y.

Es ist zu beobachten, dass wir – also ich und die meisten, die ich kenne – sich kulturell und sozial von der Mehrheit der Menschen in diesem Land abwenden. Dass wir stattdessen ein zunehmend engermaschiges Netz flechten, das sich über den gesamten Globus spannt und in jedem Land auch nur wieder Leute erreicht, die sich wie wir von dem nationalen Konstrukt emotional gelöst haben. Unsere Beziehungen reichen in viele Länder und unsere Solidaritäten verspüren wir nicht mit demonstrierenden Opelmitarbeitern, sondern zum Beispiel mit den jungen, gebildeten Arabern in Ägypten, die uns per Facebook und Twitter an ihrem Zorn teilnehmen lassen. Das ist unsere „Peergroup“ und deswegen macht es uns ärgerlich, dass das „deutsche“ Fernsehen so hinterwäldlerisch ist und statt in Ägypten draufzuhalten lieber alte, deutsche Gebäckrezepte versendet.

Mein Nachbar wohnt noch in Deutschland, ich hingegen vernetze mich mit dem Rest der globalen Elite. Denn das sind wir. Eine Elite, die sich auf eine gewisse Weise satuiert hat. So jedenfalls muss es dem Nachbar gehen, wenn er unser Treiben sieht. So muss es all den Leuten gehen, die lange nicht den Lebenstil führen, wie er für uns normal ist. Die im hier und jetzt einer nach wie vor nationalen Welt leben, mit kleinem aber festem Gehalt, dass ja aber nicht mehr sicher ist, wie ja heute nichts mehr sicher ist.

Und der Nachbar hat recht. Es ist eine Verschwörung, die gegen ihn geht. Die Welt wird global und lässt ihn, in dieser verfallenden Struktur namens „Nation“ zurück. Da oben, wo er mangels Bildung oder geistiger Mobilität keinen Zutritt hat, werden die wichtigen Beziehungen geknüpft. Dort werden die kulturellen Meme getauscht, die in Zukunft Relevanz haben. Dort werden die Diskurse geführt, die ihm fremd bleiben werden, die aber die Zukunft bestimmen. Dort akkumuliert sich die neue Macht, die sich nicht mehr um sein Wohlergehen schert. Eine Elite, die sich selbstgefällig freut, wenn wieder eine Autofabrik dicht gemacht wird (Umweltschutz!). Die kein Mitleid kennt mit Druckerpressen, Arbeitsplätzen, Lohnfortzahlung, Festanstellung, familiäre Werte, Heimat, kleines Glück, Bauer sucht Frau, korrekten Schreibweisen, Briefmarken und Silberleuchtern.

Und ich bin schuldig, mich an dieser Verschwörung zu beteiligen. Ich bin gelangweilt von der hiesigen Kultur und wende mich ab. Ich bin gelangweilt von den hiesigen angstgetriebenen Diskursen und werde gehen. Früher oder später. „Deutschland“ ist mir zunehmend egal. Ich kann dem nicht mal genug Bedeutung zumessen, um „Antideutscher“ zu werden. Das alles fühlt sich so klein und obsolet an.

Und ich wette, der Generation nach mir wird es noch mehr so ergehen. Wer die Bildung mitbringt, wird sich abwenden. Kinder lernen jetzt bereits im Kindergarten Englisch. Statt der Proletarier sind wir es, die sich „auf der ganzen Welt“ „vereinigen“. Aber vielleicht wird der Klassenkampf auf dieser Ebene ja noch kommen. Nur stehen wir dann wohl auf der falschen Seite.

Weltkontrollverlust

Mubarak Tripping On Tech Generation Media
By Carlos Latuff.KingTut1982 at en.wikipedia [Public domain], from Wikimedia Commons

Es ist nicht leicht angesichts der Ereignisse in Tunesien und Agypten seine Stimme wiederzufinden. Es passiert dort etwas großes und etwas großartiges. Und das sage ich im vollen Bewusstsein über all die Probleme, die all das auslösen kann. Die Destabilisierung der ganzen Region ist nicht ganz ungefährlich. Nicht mal für uns. Aber wenn sich ein Volk sich gegen seine Tyrannen erhebt, hat es alle Rechtfertigung der Welt.

Ich versuche derzeit etwas Abstand zu finden. Ich versuche das Gegenteil dessen, was Richard Gutjahr macht (obwohl ich das, was er tut rückhaltlos unterstütze und ich Kritik daran kleinlich finde). Schon seit Tunesien und vor allem aber gerade steht mir das alles noch viel zu mächtig vor der Nase, als dass ich es richtig einordnen kann. Ich hege den Wunsch nach Übersicht. Nach der Vogelperspektive.

Natürlich habe ich aber schon über den Internet-oder-nicht-Revolutionsdiskurs nachgedacht und viel dazu gelesen. Aber ich brauchte etwas Zeit, sie in – zunächst vorsichtige, persönliche – Worte zu fassen. Nilzenburger fragte mich nach einem Text für dieses interessante Projekt und da habe ich meine Gedanken einfach mal aufgeschrieben:

Ich habe keine Ahnung, wie sehr das Internet bei den ganzen Aufständen, damals im Iran und jetzt in Tunesien und Ägypten eine Rolle spielte. Ob es eine Twitter- oder Facebookrevolution war oder ob diese Medien nur eben nur das sind: Medien. Dass all das auch mit Telefon, Fernseher, Flugblatt oder Hölenmalerei geschehen wäre. Oder ob das, was eh passiert wäre, mit den Internetdiensten einfach nur leicht anders geschehe.

[Weiterlesen …]

Derweil gibt es aber doch noch einige andere, hinreichende Gründe, dem Internet einen nicht unwesentlichen Anteil an der Möglichkeit der Revolutionen zu geben. Nämlich die fast vernachlässigbare Rolle von Protestorganisationen bei diesen Revolutionen. Egal wo ich lese, oder höre. Überall berichten die Betroffenen und Reporter, dass es keine Oppositionspartei oder sonstige Organisation war, die diese Proteste initiierten. Man spricht immer nur wieder von jungen Leuten.

Die taz hat ein schönes Zitat des Chefredakteurs einer Tageszeitung:

„Unsere Jugendlichen rennen zehn Schritte voraus, und weder die Politik noch wir Journalisten kommen hinterher“

Das ist ein ganz wesentlicher Unterschied zu bisherigen Revolutionen. Wenn sich Proteste in irgendwelchen Untergrundorganisationen organisieren, dann braucht das Vorlauf, dann braucht das Struktur, regelmäßige Treffen, gewachsene soziale Bindungen, viel Vertrauen, viel Verschwiegenheit, Führung und all das. Und all das sind Schwachstellen, all das kann unterwandert werden, all das kann sabotiert oder gesprengt und in Gefängnisse geworfen werden.

Wenn sich im Internet die Massen aufschaukeln, dann bahnen sie sich ihren Kanal wie ein Fluss – nur eben in extrem kurzer Zeit. Dann organsisieren sich völlig Fremde in Sekunden schnelle an Ort X zu sein. Dann werden über Chats Plakatsprüche gebrainstormt, dann fließen die Vorbereitungen ohne Zentrum, ohne Führung dezentral einfach so hin. Es emergieren Ad-Hoc-Strukturen. Ich habe das erlebt und zwar zur Zensursulakampagne.

Revolutionen wie wir sie kannten waren geplant und wurden von langer hand vorbereitet. Die Revolutionäre von heute, wussten ein paar Tage vorher gar nicht, dass sie welche seien würden.

Mubarak hatte die Oppsitionellen im Griff. Er hatte auch all die Untergrundorganisationen im Griff. Er hätte jeden Murks von denen im Keim erstickt. Eine herkömmliche Revolution wäre wahrscheinlich gar nicht möglich gewesen. Man hätte sie nicht so schnell organsiert bekommen, wie man erwischt worden wäre. Aber niemand rechnete mit dem Internet statt Organisation.

* * *

Natürlich ist das mittlerweile anders. Die Oppositionsparteien haben sich von ihrem Schreck erholt und marschieren und organsieren jetzt fleißig mit. Auch die Muslimbruderschaft. Was zur berechtigten Sorge einläd.

Im Iran fand ende der siebziger eine ähnliche Revolution statt. Es war eine ebenso progressive Revolution gegen einen ebenso despotischen Herrscher. Aber statt im Internet mussten sich die Protestler in den Moscheen organisieren, denn sie waren der letzte Zufluchtsort. Das machte es Khomeini hinterher leicht, die Revolution als „islamische Revolution“ umzudeuten und die nächste Diktatur auszurufen.

Dass die Revolution im Internet seinen Ausgang fand ist wichtig für die anschließende Deutungshoheit. Deswegen ist es sehr schlimm, dass Internet abgeklemmt wurde. Denn nun bleibt auch den Ägyptern oft nur als einziges soziales Netzwerk das Gebet.

* * *

Deswegen ist das tollste an diesen Ereignissen auch die internationale Solidarität der Internetnutzer. Ja, die Internetnutzer – viel mehr und viel stärker als in der Bevölkerung und vor allem in den klassischen Medien, die selber nicht mehr verstehen, was da passiert.

* * *

Und zu guter Letzt wird derzeit so enorm schnell und intensiv an alternativen Netzstrukturen gearbeitet, wie noch nie. Dass ein Land sich vom Internet trennte, hat es noch nie gegeben. Aber es wird sein gutes haben: im besten Fall wird es das auch nie wieder geben können.

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Und noch eine Bemerkung. Google engagiert sich in dieser Hinsicht und das sicherlich nicht mit dem Wohlwollen der eigenen Regierung. Und ich habe die wilde Vermutung, dass das auch mit dem Wechsel an der Spitze zu tun hat. Meine Prognose: Page wird Google politischer machen.

Über Googles Einstieg in die Weltpolitik habe ich schon mal was geschrieben. Aber damals wird Eric Schmidt die Entwicklung noch stark gebremst haben. Der ist viel zu viel Bussinessman, als das er sowas mitgemacht hätte. Ich bin mir sicher, wir werden noch viel politisches Engagement von Google sehen und von Twitter auch. Der nationale Rahmen wird langsam etwas zu eng für diese Konzerne.

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Natürlich sehe ich das alles unter der Perspektive des Kontrollverlustes, zu dem ich derzeit eine allgemeine Theorie zu entwickeln versuche. Auch wenn ich noch nicht so weit bin, ist klar: der Kontrollverlust ist etwas, das mit der technischen Evolution mitwächst und sich ebensoschnell auswächst – über unsere Köpfe hinweg. Das also von Jahr zu Jahr dramatischere Ausmaße annimmt. Wir sehen die ersten Vorläufer dieser Auswüchse.

Tendentiell kann man sagen, dass jede Art von Machtakkumulation gefährdet ist. Und je stärkeren Druck sie auf Informationssysteme ausüben müssen, desto stärker sind sie gefährdet. Der Kontrollverlust wird früher oder später alle Metastrukturen nivellieren, denn er ist genau das, was sich statt Organisation und Struktur einsetzen will.

Hilfe, ich werde entfolgt!

Wir kennen es alle: den Schmerz auf Twitter entfolgt zu werden. Einige schauen bibbernd alle paar Sekunde wieder auf die Followerzahl, ob wieder einer abgesprungen ist. Mir glaubt das immer keiner, aber ich schau vielleicht 2 bis 3 Mal im Monat auf meine Followerzahlen. Aber ich kenne das Gefühl. Ich kenne das, wenn ich jemandem eine Direct Message schreiben will und dann merke, dass mir dieser total $§%“&!! §%“!!;Ö§%&§!! – aber dennoch irgendwie geschätzte Twitterer – gar nicht -oder schlimmer – nicht mehr folgt. Ich kenne euren Schmerz, wirklich.

Aber ich bin ebenso überzeugt davon, dass wir ihn aushalten müssen. Dass wir uns dagegen immun machen müssen, denn alles andere schränkt die Freiheit des anderen ein. Seine Freiheit, sich für oder gegen unseren Stream zu entscheiden, nämlich. Und wenn man mal ehrlich ist: will man Leute, die einem aus Mitleid folgen?

Ich will gerne nur Leuten folgen, die für mich einen hohen Informationenswert haben. Die entweder lustig sind, deren Privatleben mich interessiert oder die tolle Links twittern oder irgendwas anderes. Jedenfalls irgendwas, was mich interessiert. Und das wollen wir doch alle: uns einen Weg durch die Informationsmassen bahnen, der unserem Weltbild, unseren Interessenlagen, unserem Zeitmangement, unseren Sympathien und unserem Vertrauen entgegen kommt. Wir wollen Filtersubjekte sein.

Wenn ich bei Twitter also entfolgt werde, dann ist das kein Angriff auf meine Person und meist überhaupt nicht persönlich gemeint (manchmal doch, aber auch das halte ich aus). Ich muss mir dann denken, dass das alles richtig so ist. Dass nämlich seine Freiheit, mich zu entfolgen, meine Freiheit ist, zu schreiben, was ich will. Nur weil meine Timeline zu jederzeit zur Disposition steht, habe ich die volle Publikationsfreiheit. Wer was anderes will, soll eben Journalist werden.

Ennomane hatte nun letztens eine lustige „Situation“ ausfindig gemacht. Als er auf der Website der Bild war, sah er anhand des Facebookbadges, wer von seinen Facebook-Freunden die Bild „liked“. Das ist ein recht normales Feature und man kennt das, aber es gewinnt bei Bild natürlich gleich eine politische Dimension. BILD findet man schließlich scheiße in unseren Kreisen und so kam Enno darauf, dass es ja ein super Kriterium sei, die Freundschaften auszusortieren.

Ich twitterte daraufhin etwas ähnliches und schon ging es los:

[Link]

Ich bekam sehr viel Feedback. Jeder versuchte mich zu unterbieten. Es waren sicher mehr als 20 Replys und einige Retweets. Ein lustiges Spiel, eigentlich. Aber es kamen gleich auch Antworten, dass man die Betreffenden natürlich sofort entfreunden wolle und dass man froh sei, das diejenigen welchen eh entbehrlich seien. (Ich persönlich habe niemanden entfreundet oder entfollowt wegen eines Bildgelikes.) Einige fragten mich sogar, was sie denn nun mit diesen Leuten machen sollten. Schon komisch, die Leute.

Enno war sichtlich erschrocken, ob dieser Dynamik und hat dazu einen nachdenklichen Blogpost verfasst, in dem er die Vorgänge als „Hexenjagt“ bezeichnet und gleich auf das Thema Postprivacy bezog. Ich kann das zu einem gewissen Teil nachvollziehen, denn zu merken war auch, wie viel Hass es gibt, gegenüber Leuten, die Bildzeitung lesen. Das hat auch mich erschrocken. (Wobei ich solche Hasstriaden gegenüber mir und meinen Texten durchaus auch kenne und deswegen vielleicht nicht umbedingt als so bedrohlich wahrnehme.)

Aber dennoch: Jemanden zu entfolgen ist eben keine Hexenverbrennung. Jemanden zu entfreunden ist kein Angriff auf seine Würde oder seine Integrität. Leute nicht zu lesen ist keine Gewalt! Es ist wichtig, sich das bewusst zu machen.

Wenn jemand für sich das Filterkriterium „ich will keine Bildleser“ festgelegt hat, muss man das respektieren. Es gibt kein Recht darauf gelesen zu werden. Und welche Kriterien jemand für seine Lektüre heranzieht, ist alleine die eigene Sache. Das ist der tiefere Sinn der Filtersouveränität.

Aus dem selben Grund kann ich es nicht nachvollziehen, dass Sascha Pallenberg nach dem wochenlangen Rumgetröte jetzt die Bloggernamen nicht herausrücken will. Ich kann es mir zwar denken: die kamen alle angekrochen und weinten ihm den Posteingang voll, dass er ihr Leben zerstören würde und so ein Quatsch! Sascha hat sicherlich ein weiches Herz. Aber an der falschen Stelle.

Reputation, Vertrauen und Leserschaft sind nichts, was man einfordern kann und zu dessen Bewahrung Pallenberg – oder Stefan Niggemeier – verpflichtet ist. Sie sind nichts, was ich kontrollieren kann oder sollte. „Informationelle Selbstbestimmung“ kann und darf nicht heißen, dass ich bestimme, was über mich im Netz zu stehen hat oder was jemand von mir denkt, oder ob jemand aufhört mir zu vertrauen.

Hätte ich die Namen, wäre Bloggergate für mich nicht in jedem Fall ein Grund sie auszusortieren, sicherlich aber ein nicht unwichtiges Kriterium. Es gibt eine Menge Leute, die empfindlicher darauf reagieren, verarscht zu werden, als ich. Sie würden gerne ihre Konsequenzen ziehen können und ich finde, sie haben ein Recht darauf.

Aber egal, wie die Leute auf die Namen reagieren werden, ob wir sie aus unseren Feedreadern schmeißen oder nicht oder sie sogar abonnieren: das ist allein jeweils unsere Entscheidung und genau deswegen haben wir auch ein Recht auf diese Information. Ich fordere keine Konsequenzen und vor allem keine bestimmten, sondern für uns alle die Möglichkeit überhaupt Konsequenzen ziehen zu können. Kein Tribunal und nein, auch keinen Mob. Nur die stille, persönliche Konsequenz, die jeder für sich selber zieht: die Rekonfiguration der eigenen Query.

Der nächste Medientermin

Samstag, den 29. werde ich so ab 14:00 in einer Talkrunde bei Antenne Bayern über Datenschutz und Krams streiten.

Und dann habe ich bereits im September oder so ein Interview gegeben, das erst gerade wohl auf ARD EinsPlus ausgestrahlt wurde und vom @presseschauer entdeckt wurde, danke dafür. Die Sendung heißt „Es geht um mein Leben„, ich weiß aber leider gar nicht, wann das lief (oder laufen wird?). (Ab Minute 5:28 argumentiere ich gegen Benimmregeln im Netz):

Stijlroyal: New York ownen

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Ich habe für die Ausgabe XIV des Stijlroyal Magazins einen Text über New York geschrieben und versucht meine dreimonatige Annäherung an diese Stadt zum Ausdruck zu bringen. Ich hoffe, es treibt Huck nicht in den Ruin, wenn ich den Text hier crossposte.
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(mit Dank an Else Buschheuer)

„Du musst die Stadt ownen!“ sagte mir ein Freund, der zwei Jahre in New York gelebt hat. „Ownen“, also einen ganz eigenen Zugang zu der Stadt entwickeln und auf ihrer Klaviatur virtuos zu spielen lernen. Über „mein“ New York soll ich auch hier schreiben, also das spezielle, unique New York, das ich entdeckt habe, und das dem Diskurs noch etwas hinzufügt.

Ich hab’s mit dem Fahrrad probiert und es hat nicht so geklappt. Und dass obwohl in den letzten drei Jahren hier die Fahrradmania ausgebrochen ist und es jetzt überall Radwege gibt. Aber ich glaube, dafür ist die Stadt einfach zu vertikal. Spiderman hat die Stadt geowned. Ich glaube, sich an Spinnfäden von Hochaus zu Hochhaus schwingen ist die einzige akzeptable Fortbewegungsform hier. Oder Klettern. King Kong hat New York auch „geowned“, naja, jedenfalls kurz.

Manchmal glaube ich, Gewalt ist eine Lösung. So, wie Robert DeNiro in Taxi Driver am Schluss ja auch der Held war. Ein anerkannter Bürger der Stadt. Ich kann jedenfalls nachvollziehen, dass diese Stadt einen auch krank machen kann. Der Dreck, die Lautstärke, die Enge. Überall fühlt man sich zu viel, weil Platz so kostbar ist in den engen übervollen Straßenschluchten von Manhattan. Besonders in den U-Bahnstationen, wo einem die Backofenhitze entgegenschlägt, dass man sich fragt, ob das tatsächlich realistisch ist, wenn Al Pacino und Keanu Reeves als die verdammt gut verdienenden „Devil’s Advocats“ aus reinem Understatement die U-Bahn nutzen. Und sobald man in die Bahn einsteigt, fühlt man sich wegen der krassen Air-Condition wie Dennis Quaid, als er in „The Day after Tomorrow“ seinen Sohn durch meterdicke Eisschichten aus der Public Libary befreite. Hitze/Kälte, Hitze/Kälte. Jede Bahnfahrt eine Kneiptour.

Aber was soll ich erzählen von vergeblichem Taxigewinke, rauchenden Gullideckeln und Kindern, die in illegal geöffneten Hydrantenfontainen herumspringen? Ja, die Bilder hat jeder im Kopf und ja, es gibt sie tatsächlich! Und wenn ich hochfahre zur Upper Westside wo Walter Matthau im „Odd Couple“ sein Appartment hat, dann ist auch das „Dakota“ nicht weit, jenes Haus, in dem „Rosemarie’s Baby“ zur Welt kam und John Lennon mit Yoko Ono knutschte, dann habt ihr wieder dieses Kopfkino vom Kinofilm und das ist ja alles gar nicht falsch. Klar, man fragt sich, wie Macaulay Culkin in „Home Alone II“ sich nur so heftig im Central Park verlaufen konnte – ich fand ihn recht übersichtlich. Und klar hab ich nachgeguckt: die Puertoricaner aus der West-Side Story sind längst weggentrifiziert und weiter unten in „Hells Kitchen“ gibt’s das Ghetto aus „Sleepers“ auch schon lange nicht mehr. Dafür Künstlerateliers und Partyschiffe und viel mondänes Volk. Hier in der Upper West-Side und auch im Osten auf der 5th Avenue, wo Holly Golightly bei Tiffany’s frühstückte, war ich in jeweils einem Apple Store. Beeindruckend! Alle beide!

Wenn man dann wieder Richtung Süden über den Broadway am Times Square vorbei kommt und sich durch diese unfassbaren Menschenmengen kämpft, wünscht man sich, man sei Tom Cruise in Vanilla Sky wie er ganz allein und verlassen über den Platz läuft (was das wohl gekostet hat?). Irgendwann weiter südwärts kommt man dann noch am Madison Square Park vorbei, wo der Flatiron steht, jenes berühmte, sich nach vorne zuspitzende Gebäude in dem der „Daily Bugle“ verlegt wird, bei dem Peter Parker seine Fotos von Spiderman abliefert und das einmal von der US-Army zerstört werden musste, um Godzilla aufzuhalten. Das Büro meiner Freundin war genau hier. Dann kommt auch gleich der Union Square, wo Clive Owen bei „The International“ zurecht den Überblick verloren hat und Al Pacino und Michelle Pfeiffer Hot Dogs aßen. Ich hingegen bin da meist nur umgestiegen oder hab den einen oder anderen „Smoothie“ getrunken. So ein aus frischem Obst und Gemüse und Jogurt zubereiteter Drink, sehr zu empfehlen. Außerdem hat das Media Markt-Equivalent „Best Buy“ hier 24 Stunden am Tag auf. Für den Nerdfall.

Dann weiter Richtung Süden lässt man den Washington Square Park rechts liegen, wo einst die „Kids“ aus dem gleichnamigen Firm rumhingen bevor … ihr wisst schon. Aber genau dort gegenüber am Broadway residiert ein japanisches Modelabel mit dem superdämlichen Namen „Superdry“, wo ich mir eine unfassbar tolle Jacke gekauft habe, die ich bis heute aber nicht einmal tragen konnte, weil es konstant viel zu warm dafür ist. Seit drei Monaten ununterbrochen.

Und jetzt ist es ja eh nicht mehr weit bis zur Houston Street. Wenn man die überquert, wird es wirklich gemütlich. South of Houston (SoHo) gibt’s all die schönen Cafés, Bars und Galerien und diesen dunklen, etwas schäbbingen Stahl und Backsteinstyle wie man es aus „Mean Street“ oder „When Harry met Sally“ kennt. Das New York, zu dem man sich immer hingezogen fühlte ist genau hier. Mein Freund hat hier in einer Agentur gearbeitet, denn Agenturen finden das hier natürlich auch total „posch“. Die „Ghostbusters“ haben dagegen ihre Einsatzzentrale schon lange nicht mehr offen. Vielleicht konnten sie die Miete nicht mehr zahlen.

Nebenan im West-Village ist es angenehm ruhig, ganz New York untypisch. Fast dörflich. Man fühlt sich heimelig und will sich sofort mit den Mädels von „Sex in the City“ zum Kuchenessen und Rumgiggeln treffen. Ähh, nee, lieber doch nicht. Vor dem Laden, an dem Carrie ihre Kuchen kauft, standen wir zwar, aber wir waren nicht drin. Dafür saßen wir vier Stunden lang in einem netten Café am West-Broadway mit Wi-Fi (so nennt man W-Lan hier) und haben im Internet gesurft. Der Kaffee war auch toll.

Und im Osten ist von den Five Points aus „Gangs of New York“ auch nur die Bowery übrig geblieben und was jetzt mehr in so China Town ist, wo man zwar nicht Mickey Rourke aus „The Year of the Dragon“ mit gezogener Waffe durch die engen, dunklen Gassen laufen sehen kann, aber wo wir oft sehr gut und sehr günstig Dumplings gegessen haben. Satt und Glücklich für 5 Dollar, das ist echt nicht zu schlagen. Hier: Greenwitch Village, China Town, Lower East Side, Soho, West Village und das alles, da kann man es aushalten. Habe hier einige Kneipen besucht, lustige Abende gehabt und immer wieder gut gegessen. Aber zum wohnen ist es hier echt zu teuer.

Deswegen hab ich in Brooklyn gewohnt. Genauer: East-Williamsburg. Das ist etwa dort, wo in Annie Hall mit Woody Allen – dem alten Stadtneurotiker – im Käfer unter dem Expessway drunter her gesaust ist. Noch relativ nahe bei Manhattan, auf höhe der Williamsburg Bridge, die ich sicherlich rund fünf mal zu fuß überquert habe und westlich von „East New York“, wo die „Goodfellas“ ihr Unwesen trieben. Aber noch nördlich von „Brooklyn Cigar Co“, wo Harvey Keitel in „Smoke“ heimlich seine cubanischen Zigarren verkaufte. Eher noch ein kleines Stück ostwärts, sehr nah an Bushwick, an der Stelle wo Gene Hackmanns Verfolgungsjagt in „French Connection“ endete. So richtig ist die Gegend, wo ich wohne, nie verfilmt worden (wäre mir jedenfalls nicht bekannt), aber vielleicht kommt ja noch ein Film, der Eigenheiten der US-Ökoszene auf die Leinwand bringt – der Film würde sicher hier spielen. Die sind echt viel strenger als die deutschen Ökos, aber auch stylischer, irgendwie. Und unentspannter. Als müssten sie die Nachhaltigkeitsdefizite der ganzen Geschichte ihres Landes jetzt im Hauruckverfahren wieder gut machen.

Am meisten hat mich Brighton Beach gefreut. Ein toller Strand direkt in der Stadt. Vergesst Barcelonavergleiche, viel näher und viel besser. Hier kommen vor allem die unteren Schichten her und das sind in diesem Teil von Brooklyn, nämlich Cony Island, vor allem Russen. Wer das echte New York kennen lernen und dabei schwimmen und etwas braun werden will, der sollte hier her kommen. Und obwohl man überall draußen kein Bier trinken darf, verkaufen hier herumlaufende Händler Corona direkt vor Ort und es scheint keinen zu stören. Ein rechtsfreier Raum! Harry aus „Requiem for a Dream“ trug etwas weiter östlich den Fernseher seiner Mutter zum Pfandleiher – für das Heroin. Wir wissen ja wie das endete. Wir haben dagegen unsere Strandtage immer mit einem Teller Stroganoff beendet, was man hier günstig überall bekommt. Da hatte ich aber auch mal Bauchschmerzen nach.

Wenn man mich aber fragt, was das tollste an New York ist, dann, dass diese Stadt tatsächlich niemanden gehört. Nicht mal eine Bevölkerungsgruppe owned hier etwas. Hier ist nämlich jeder eine Minderheit. Wenn man in der Ubahn sitzt, dann ist man als weißer Europäischstämminger in der Minderheit. Um einen herum gibt es alle Hautfarben der Welt und viele unterschiedliche Sprachen. Und doch kann man keinen Nachmittag durch Manhattan laufen, ohne drei mal im Vorbeigehen deutsche Wortfetzen aufzuschnappen. Man sollte sich hüten nicht über Anwesende in irgendeiner Sprache – sei sie auch noch so exotisch – zu lästern.

Edward Norton jedenfalls befand sich in der sicheren Intimität seines Badezimmers, als er im Film „25th hour“ vor dem Spiegel stand und mit einem herzhaften „Fuck you!“ beginnt, bevor er anfängt jede signifkant sichtbare Bevölkerungsgruppe in New York einzeln zu beschimpfen. Alle bekommen sie ihr Fett weg: Pakistani, Coreaner, Italiener, Juden, Chinesen, Iren, Schwarze, geliftete Upperclass-Omas, Investment Banker, Jesus himselft und viele mehr. Und doch merkt man in dieser postrassistischen Entgleisung des Films instinktiv, dass es sich eigentlich um eine Liebeserklärung handelt. An diese Stadt, die „unownbar“ ist, weil sie so vielfältig ist, so ethnisch durchmischt, so international. Sie gehört nicht mal richtig zu Amerika (sagen jedenfalls die Amerikaner selbst) und sie gehört auch ihren Einwohnern nicht. Es ist völlig unmöglich einen eigenen, unverstellten Blick auf diese Stadt zu werfen, denn sie ist in uns allen bereits lebendig, bevor wir sie das erste mal betreten und sie referenziert sich dann hunderttausendmal selbst und wenn man in ihr herumläuft, dann ist man im Film, dem einen oder anderen. New York ist die einzige Weltstadt, tausend mal gespiegelt etliche Male zerstört. Aber das wisst ihr ja alle.

Fünf Facebookanwendungsfälle eines Facebookhassers

Da ich mich heute der hackr fragte und ich die ganze Zeit schon mal drüber schreiben wollte: hier ein paar Anwendungsfälle zu Facebook von mir, dem Facebookhasser.

Wie einige Leser ja wissen, habe ich bereits ein paar Anläufe mit Facebook hinter mir. Dies ist mein dritter. Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich Social Networks, insbesondere Facebook nicht mag. Also nicht nur auf der Sympathieebene, sondern tatsächlich vom Handling als Tool her.

Das Konzept „Freund“ finde ich klasse. So allgemein. Als bidirektionales Newsabonnement von Leuten ist das Freund-Konzept eher eine schlechte Metapher, als ein gutes Tool. Natürlich ist diese eingängige Metapher gleichzeitig der Grund für Facebooks Erfolg, aber einer effizienten Nutzung steht sie queryologisch im Wege. Ich habe mittlerweile verschiedene Variationen durch, die Facebookfreundschaft als Tool dennoch sinnvoll einzusetzen.

Beim letzten Versuch habe ich schlicht und einfach jeden „befriendet„, der danach fragte. Das Ergebnis war, dass meine Timeline unlesbar war und ich von allen Seiten mit Einladungen, Like-doch-mal-die-Seite-Scheiß und den ganzen anderen Crap zugemüllt wurde. Als Facebook meinen Account löschte, habe ich innerlich etwas aufgeatment.

Bei dem jetzigen Versuch betreibe ich das ganze ernsthafter. Ich nehme nur Leute rein, die mir auf die eine oder andere Art geläufig sind und/oder ich mich wirklich für ihren Content interessiere. Ich halte dadurch die Timeline „sauber“ und werde nicht mehr von so viel „Gedöns“ genervt. Ideal ist dennoch was anderes.

Vor allem aber versuche ich durch Facebook mit den Leuten in Kontakt zu bleiben, die kein Twitter haben. Als Twitterer vernachlässigt man alte Freunde zu schnell. Da mittlerweile auch diese alten Freunde fast alle auf Facebook sind und dort auch recht aktiv, klappt das sogar ganz gut. Das wäre der sinnvolle Usecase Nr. 1.

Zurück zu Facebook bin ich übrigens gekommen, weil ich nicht mehr eingeladen wurde. Alle wussten immer wo am Abend was stattfindet, außer mir. Ich wurde sogar bei mehr oder minder guten Freunden nicht zum Geburtstag geladen, weil die Einladungen in manchen Kreisen nur noch über Facebook laufen. Und dass ich der eine bin, der halt nicht bei Facebook … das vergisst man gerne mal. Das klappt jetzt wieder ganz gut. Obwohl unter den Invites immer noch so 50 Prozent Müll ist, lohnt es sich schon für einige Termine dabei zu sein. Das wäre Anwendungsfall Nr. 2.

Ein weiterer Grund heißt Marcel Weiß. Er – der Facebookfan – richtete eine Gruppe zu einem Projekt ein, bei dem ich auch immer dabei bin. In so einer Gruppe kann man relativ bequem innerhalb eines begrenzten Kreises kommunizieren. Gruppen sind im Grunde für alles gut, für das man sonst eine Mailingliste betreiben würde. Nur besser. Dadurch dass es die Kommunikation strukturiert, hat man immer im Überblick, wer zu welchem Thema was sagt. Mittlerweile läuft auch zum Beispiel die Twitkritredaktion in einer Facebookgruppe, was sich als sehr praktisch erwiesen hat. Das wäre also Anwendungsfall Nr. 3.

Bei Anwendungsfalls Nr. 1 erwähnte ich meine Nichttwitterfreunde. Natürlich versuche ich auch sie über mein vielfältiges Webtreiben auf dem Laufenden zu halten. Dafür leite ich mittlerweile via RSS.Graffiti alle Feeds aller meiner Projekte in meine Timeline. Das hat aber noch einen Grund. Redundanz. All die Webinhalte bekommen da ein zweites Datenbankzuhause. Beispielsweise meine Twitpics. All die Fotos, die ich so nebenbei bei Twitter poste könnten schnell verloren gehen, wenn Twitpic mal pleite geht. Bei Facebook werden Bilder und Text noch mal seperat gespeichert. Ich habe nichts gegen Datensilos, so lange man sie nur als Backup nutzt. Das wäre Anwendungsfall 4.

Bei Twitkrit haben wir Facebook fest in die Seite integriert. Bei einigen populären Posts habe ich doch gemerkt, dass da auch einiges an Traffic über Facebook kommen kann. Deswegen bin ich am überlegen, hier und bei anderen Projekten neben dem Twitter- und Flattr-Button auch einen Facebook-like Button zu integrieren. Ich sträube mich noch, aber es scheint doch recht sinnvoll zu sein. Wenn ich mich überwinde, könnte das also mein Anwendungsfall Nr. 5 werden.

Bei all dem schwindet allerdings nicht meine tiefe Abneigung gegen Facebook und sein Regime. Ich fühle mich unwohl, mich allzu sehr auf Facebook verlassen zu müssen und ich finde es bedenklich, wie unersetzbar es sich macht. Ich kenne sehr viele, für die ist ihr Facebookprofil die zentrale Anlegestelle ihrer Identität im Netz. Ich weiß, wie schnell und willkürlich einen Facebook verbannen und wie wenig man dagegen tun kann. Zudem führt sich Facebook immer mehr als Zensor auf. Man kann dort bestimmte Links nicht posten, Worte werden in Chats und Messages zensiert und so weiter. Ich versuche alle Dinge, die ich auf Facebook tue, nicht essentiell werden zu lassen. Aber wie man allein an meiner Rückkehr zu dem Dienst sehen kann, ist die soziale Gravitation schon groß genug.