Als ich in Ägypten war, machte eine Meldung die Runde, dass eine wahnsinng riesige Fliegerbombe in Berlin gefunden wurde. Und zwar direkt vor meiner Haustür (ca. 5 Meter). Die gesamte Gegend wurde evakuiert, es wurden Plünderungen befürchtet und natürlich die Explosion, die nicht nur mein Haus komplett pulverisiert hätte.
Dementsprechend trötete es mir in die Kanäle voll. „Hey, mspro, schon gehört?“ Und ob ich denn keine Angst habe, um mein „Hab und Gut„.
Im Geiste machte ich Inventur:
1. Laptop … liegt im Hotelzimmer.
2. iPhone … in meiner Tasche.
3. … … … who fucking cares?
Ich war gerade direkt bei den Pyramiden, also twitterte ich:
Es wäre mir tatsächlich egal gewesen. Ich besitze nichts. Nichts wichtiges. Nichts wichtiges, was ich nicht auch jederzeit ohne Rückschmerzen 24 Stunden am Tag mit mir herumtragen kann und es dementsprechend auch tue. Gut, ich hab einen Arsch voll Bücher, von denen ich sicher einige neu kaufen würde. Vermutlich diesmal als eBook.
Mir geht es so, wie es hier in diesem treffenden Artikel beschrieben ist. Ich bin ein Tech-Nomade, ein digitaler Minimalist in Sachen Besitz. Ich reduziere. Alles Gegenständliche ist mir zu viel.
Ganz ehrlich? Ich würde gerne nur möblierte Zimmer bewohnen. Alles soll schon da sein, ich will morgen mit meiner Umhängetasche umziehen können. Meine Devices selbst schrumpfen nach jedem Neukauf und das fühlt sich richtig und gut an. Und alles andere hat gefälligst auch zu verschwinden. Dinge binden sich so unangenehm an’s Bein. Eigentum fühlt sich nicht danach an, dass es mir Freiheit vermittelt. Im Gegenteil.
Aber ging es bei Eigentum nicht auch vor allem darum? Um Freiheit? War Vermögen, Eigentum, Besitz nicht Mittel zum Zweck, sich frei zu entwickeln? War das nicht – zumindest auch – der tiefere Grund, überhaupt danach zu streben?
Klar, musste man noch vor nicht allzu langer Zeit Wohlhabend sein, um überhaupt zu reisen. Und um sich Bildung zuzulegen. Und um „Weltgewand“ zu sein, internationalen Umgang zu pflegen und an bestimmte Informationen zu kommen. Kunstbeflissenheit ist in einer Welt, in der das eine Bild eben nur in dem einen Museeum 1000 Km weit entfernt hängt, eben eine teure Sache.
Aber all das ist heute erschwinglich. Es ist nicht umsonst, der Zugang zu dem kostet noch Geld, aber man muss eben kein Vermögen mehr aufbringen, daran teil zu haben. Und die Kosten sinken beständig.
Mit anderen Worten: Identitätsressourcen (soziale Kontakte, Informationen), die früher nur unter Einsatz hoher Geldmittel zu erlangen waren, sind heute mithilfe relativ geringer Mittel, vor allem aber durch digitale Technologie, erreichbar. Ich bin mir sicher, das verändert unseren Bezug zum Besitz ganz gewaltig.
Freiheit, im Sinne von erhöhter identitärer Optionsvielfalt bietet nicht mehr das Eigentum, sondern der Zugang zu Kontakten und Information. Mein Laptop und mein iPhone sind für mich nur deswegen so wichtig, weil sie die Tore zum Internet repräsentieren. (Selbst diese Hardware ist ja im Grunde schon sehr leicht austauschbar, nur eben leider teuer.)
Und dann musste ich an den Artikel von Rolf Schwartmann „Meins bleibt meins“ denken, in dem er in etwa die Meinung vertrat, dass, wenn wir es zulassen, dass das Urheberrecht geschschwächt/ausgehöhlt oder abgeschafft wird, das Eigentum ansich in Frage steht.
Und ich dachte mir: Ooch, warum eigentlich nicht?
Die spannendste Perspektive zu dieser Frage entwarf m.E. zuletzt Michel Serres:
in >Das eigentliche Übel/Le mal propreJeune-Fille< (TIQQUN), die Du beschreibst und glaubwürdig verkörpern möchtest, nicht ohne Weiteres hingeben können?
Ja, ähnliche Gedanken habe ich auch oft. Und wäre es nicht eine interessantere Gesellschaft, in der sich (zumindest viele) Menschen eher über ihre immateriellen Ressourcen (Soziales, Kreatives, Erfahrungen, Fähigkeiten) als über materiellen Besitz definieren würden bzw. könnten, weil Besitz eben nicht mehr wichtigster Indikator für Erfolg ist? Steuern wir da nicht drauf hin? Oder tut sich hier wieder der klaffende Spalt auf zwischen postmodernen Tech-Nomaden und glokalisierter Unterschicht?
Ich ziehe demnächst wieder um und wünschte mir zum ersten Mal, Faltmöbel oder gar keine zu besitzen. Weil fast alles, was mir wichtig ist, zu dem ich zurück und heim kommen möchte, keine feste Gestalt hat. Und das ist gut so.
@mediumflow – Interessant. Danke für den Tip. Was meinst du mit „hingeben“?
Natürlich ist dir klar, daß diese Haltung nicht für alle funktionieren kann. Ich zB brauche schonmal einen viel größeren Rechner, mitsamt Scanner und Cintiq. Ich brauche einen ergonomisch einigermaßen passenden Stuhl und Schreibtisch. Ich brauche Papierstapel und Pinsel und und und. Nennen wir das mal Produktionsmittel. Die kann ich weder mitschleppen, noch werden sie mir anderswo in genau meiner Konfiguration zur Verfügung gestellt.
Dann gibts noch die Wohnung als äußere Schale meiner Person. Ein möbliertes Zimmer behindert mich, denn es ist nicht so eingerichtet, wie ich es möchte: falsche Möbel, falsche Farben, falsche HImmelsrichtung. Und man komme mir jetzt nicht mit programmierbaren LED-Tapeten. Wenn ich ein Stück Holz anfassen möchte, mag ich kein ePaper oder Touchscreen fühlen.
Und ich möchte Dinge besitzen. Meine Hände sind genauso genußsüchtig wie Augen und Ohren. Ich will in Büchern blättern, Kieselsteine befummeln, aus meiner Lieblingskaffeetasse trinken. Je mehr Emotion an einem Ding klebt, umso mehr ist es mein eigen. Wir können das jetzt deuten als NIchtverlassen der Kinderzeit, in der der zerkaute Lieblingsteddy vor allem vertrauter Geruch und damit Sicherheit war. Wir können das aber auch deuten als Ersatz für nichtvorhandene bzw für die meisten nicht durchsetzbarer Territorialansprüche: mein Feld, mein Revier, meine Straße (mein Partner/in/Kind).
„Ja aber du mußt dich vom Materiellen lösen“ ist für mich keine Lösung. Materie bedeutet immer noch Wohlbefinden. Ich mag einen ganzen Tag lang produktiv Dateien erzeugt haben, aber wenn meine Hände nicht beschäftigt waren, fühle ich mich unterfordert und kribbelig. (Kartoffelschälen etc hilft ein wenig dagegen.)
@mspr (sorry – HTML schlug hier zu & verschluckte allerhand. Darum nochmals vollständig wiederholt:)
Die spannendste Perspektive zu dieser Frage entwarf m.E. zuletzt Michel Serres:
in ‚Das eigentliche Übel/Le mal propre‘ legte er nahe, die durch westliche Zivilisation geprägten Gesellschaften müssten sich dringend von einer Kultur des Besitzens und des besitzanzeigenden Beschmutzens (woraus er belegreich und überzeugend die jahrhundertelange Umweltverschmutzung bis hin zu grassierenden Gewaltverbrechen ableitet!) verabschieden
– und sich mit einer Kultur des Entleihens, des Ausborgens, des Vorübergehend-Nutzens und des Nicht-Besitzens anfreunden und diese in ethischen, juridischen und habituellen Prozessen der Gesellschaft verinnerlichen.
*
Darin steckt dann vor allem eine sozial brisante Frage:
Wie wäre dies für Menschen lebbar, die in unabweisbaren körperlichen Verbindlichkeiten zu anderen Menschen (z.B. chronisch erkrankten Familienmitgliedern, heranwachsenden Kindern, behinderten Lebenspartnern) stehen;
und sich darum einer Lebensform als ‚Jeune-Fille‘ (TIQQUN), die Du beschreibst und glaubwürdig verkörpern möchtest, nicht ohne Weiteres hingeben können?
Gestern noch behauptet, keinen Sinn für Utopien zu haben und dann sowas.
„Freiheit, im Sinne von erhöhter identitärer Optionsvielfalt bietet nicht mehr das Eigentum, sondern der Zugang zu Kontakten und Information.“
Kann ich voll und ganz unterstreichen. Und würde es bei mir mal brennen, gäbe es wohl auch nur zwei-drei-Dinge, für die ich wirklich in die Wohnung springen würde, um sie zu retten.
Bin eher auf slowtigers Standpunkt. Die rohe Vorstellung von nicht mehr an Materielles gebunden zu sein, finde ich zum Teil zwar verlockend. Doch der Großteil meines Besitzes ist Teil meines Gedächtnisses. Mir ist relativ egal, in was für ein Regal ich meine Bücher stelle oder ob ich zwei oder 17 Tassen habe. Meine Lampen müssen Licht machen und sonst nichts und mein TV hat keinen ideellen Wert, ist also nicht unersetzlich, sondern dient als Kinoersatz.
Andererseits ist es mir wichtig, alle (oder zumindest die meisten) meine(r) Bücher einer bestimmten Zeit meines Lebens, Gedanken, Gefühlen und Erinnerungen zuordnen zu können. Ein Buch, das verbrennt oder verloren geht ist mir unersetzlich. Nicht einmal die gleiche Ausgabe, geschweige denn eine andere könnte es ersetzen, weil daran kein Teil von mir hängt.
Eine Kaffetasse, die ich in frühen Jugendtagen von meinem besten Freund geschenkt bekommen habe, alte Briefe, Postkarten, Fotos, die es nur auf teils ramponiertem Papier gibt; ganz zu schweigen natürlich von den anderen Lebewesen, die hier wohnen, und ihren Terrarien, die alle selbst geplant, gebaut und somit auch wieder mit mir verbunden sind…
Ich wünsche mir manchmal sehr, mein Leben und vor allem meinen Besitz nur auf Funktionalität hin ausrichten und damit weitgehend reduzieren zu können, aber ich bin ein Erinnerungsmessi. Und eigentlich fühlt sich das ganz gut an. Außer, wenn man umziehen will.
„Erinnerungsmessi“ – das ist mal ein schönes Wort.
[…]Aber ging es bei Eigentum nicht auch vor allem darum? Um Freiheit? War Vermögen, Eigentum, Besitz nicht Mittel zum Zweck, sich frei zu entwickeln? War das nicht – zumindest auch – der tiefere Grund, überhaupt danach zu streben?[…]
eines der wichtigsten Worte in diesem ganzen Text.
Für sowas habe ich nur aufrichtiges Mitleid übrig. Ich hoffe, du wirst bald erwachsen und hast vielleicht auch mal Kinder!
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Genial, genau das Wissen fehlte mir für meine Hausarbeit. Jetzt ist alles komplett und sehr spannend! Danke!
WoW! Das ist aber starker Tobak, Sir!
Nun größtmögliche Freiheit steht im Zusammenhang mit Nichtbesitz, das ist würde ich sagen keine so „ganz“ neue Erkenntnis. Aber das heutige „technomaden“ die Individualanarchisten von morgen werden …..!?
Im übrigen der Spruch: „Ich hab mein Sach auf nichts gestellt“, bezieht sich auch auf Kommunikationstechnologien, besonders wenn man nicht mal mehr frei Urlaub machen kann.
Das Bild erinnert mich an, ja … moment… mal … genau: fortschreitende enthistorisierung der Gesellschaft