Eigentumpopeigentum – oder warum Heveling recht hat


Bild: Tillmann Allmer
Gestern hatte ich mit Max bei Wir müssen reden mal wieder eine etwas heftigere Diskussion. Es ging um Eigentum, geistiges wie das an Dingen. Ich habe die These vertreten, dass nicht nur das geistige Eigentum in der Krise ist, sondern auch das herkömmliche immer mehr an Bedeutung verliert. Max widerspricht mir in beiden Punkten. Ich fürchte auch, dass ich meinen Punkt nicht ganz klar machen konnte, bzw. ich merke, dass der Gedankengang doch gar nicht so trivial ist und eine gewisse Herleitung braucht. Jedenfalls dort, wo ich von einem Bedeutungsverlust von normalen Eigentum rede. Deswegen hier nochmal ein Erklärungsversuch. (Geistiges Eigentum / Urheberrecht lass ich hier mal absichtlich außen vor.)

Zunächst ein paar obligatorische dontgetmewrong-Worte: Natürlich gibt es Eigentum. Mehr und vielfältiger und umfassender denn je. Eigentum ist die Grundlage des Kapitalismus und diese Grundlage ist mächtiger und dominanter als je zuvor. Nie war Eigentum rentabler, nie war Eigentum entscheidender für die eigene ökonomische Situation. Das alles will ich gar nicht bestreiten, im Gegenteil – ich komme darauf zurück.

Ich will aber kurz den Blick weg von den durchaus wichtigen Macht- und Verteilungsfragen auf den rein funktionalen Aspekt von Eigentum lenken. Eigentum ist vor allem ein Prinzip, mit dem wir Ressourcen verteilen. Eigentum ist ein Rechtstitel. Im Gegensatz zum Besitz, der nur anzeigt, wer gerade über eine Sache verfügt, ist das Eigentum einklagbar. Mit anderen Worten, um Eigentum auf einem System zum laufen zu bringen, braucht es erstmal einen Staat mit Gewaltmonopol und eine Justiz. (Diese Vorgänge werden sehr gut und anschaulich beschrieben in „Eigentum, Zins Geld“ von Gunnar Heinsohn und Otto Steiger.) Es grenzt sich deswegen vor allem gegen das feudale Distributions-Prinzip (Gewalt und Erbfolge) ab, wo man eben das Land besaß, dass man verteidigen konnte. Und Ansgar Heveling hat nicht völlig Unrecht, wenn er im Eigentum die Grundlage der bürgerlichen Gesellschaft sieht.

Wichtig ist: Eigentum hat also eine funktionale Dimension und somit eine Aufgabe in der Gesellschaft. Eigentum ist die grundlegendste Basis auf der wir klären, wer etwas nutzen darf, also wie wir vorhandene Ressourcen verteilen. Es ist – wie ich finde – auch ein besseres System als der Feudalismus, der diese Fragen mit Kriegen und Erbfolgen regelte. Doch: ist es auch heute noch gut genug?

Vorestern wurde ich von einem Journalisten des Bayerischen Rundfunks interviewt (Sendung kommt wohl nächste Woche) und zwar über „mein Leben in der Cloud“. Ich hatte mal einen Artikel über mein digitales Nomadentum geschrieben, weswegen er auf mich kam. Mein Leben kann man mit einiger Berechtigung als „Postmateriell“ bezeichnen. Ich besitze sehr wenig Gegenstände und das auch freiwillig und bewusst. Nicht weil ich so ein konsumkritischer Geist wäre (absolut nicht), sondern weil sich Eigentum nicht besonders gut anfühlt. All die Dinge, die ich besitze, fesseln mich an einen Ort, machen mich weniger flexibel, schränken mich in meiner Bewegungsfreiheit ein. Jedenfalls gefühlt und fühlen tu ich das immer, wenn ich meine materielle Welt mit der im Netz vergleiche.

Wenn ich es radikal durchdenke, brauche ich einen Rechner, ein Smartphone und ein Platz zum schlafen. Der Rest ist in der Cloud. All meine Informationen, meine Musik, meine Bücher, meine Freunde, meine Lebensstil, meine Identität. Identität – das ist sicher ein wesentlicher Punkt – hat sich immer gerne an Einrichtungs- und sonstigen Gegenständen festgemacht. Das tue ich nicht mehr. Ich wohne in einer 30qm-Bude und wenn ich Leute empfange, dann in meinem Lieblingscafe um die Ecke. Identität geht im Internet viel besser.

Jetzt schreien wieder einige, ich wolle meinen Lebensstil als Grundlage der Gesellschaft festlegen. Nein, ich weiß, dass ich da gewisser Maßen einen Radikalentwurf lebe. Ganz und gar nicht besonders ist aber, dass ich beispielsweise zur Miete wohne. Das geht den meisten Menschen so, jedenfalls in Deutschland. Klar. Es gibt nach wie vor diesen bürgerlichen Traum von „was eigenes“, aber ich habe den Eindruck, dass sich immer mehr Menschen mit dem „zur Miete wohnen“ nicht nur arrangieren, sondern dessen Vorteile nicht mehr missen wollen. In Spanien sind die Jugendlichen unter anderem deswegen so frustriert, weil die Jugendarbeitslosigkeit für sie gleichzeitig bedeutet, dass sie nicht von zuhause ausziehen können. Es gibt dort nämlich fast gar keinen Mietmarkt, sondern nur Eigentum. Und ohne Arbeit keinen Kredit, ohne Kredit keine Eigentumswohnung, ohne Eigentumswohnung streckt man die Füße halt unter Mamas Tisch.

Bei genauerer Betrachtung stellt sich also heraus, dass der Mietmarkt viel schneller und flexibler auf individuelle Bedürfnisse reagieren kann, als der Eigentumswohnungsmarkt. Der Mietmarkt ist die effizientere Strategie, die Ressourcen (vorhandener Wohnraum) schnell und passgenau den Bedürfnissen der Individuen zuzuführen. Denn die sind immer schnelllebiger und mobiler und wechseln heute schnell man die Lebensituation, den lebensentwurf, den Job, den Partner, die Sexuelle Identität, whatsoever. Manche finden das schlimm, ich nenne das Freiheit. Die Menschen sind freier in ihrer Lebensgestaltung und in ihren Lebensentwürfen, wenn es einen Mietmarkt gibt.

Bereits um die Jahrtausendwende hat Jeremy Rfikin ein wichtiges Buch geschrieben: Access. Er macht darin die Beobachtung, dass sich in unserem everydaylife das Eigentum nach und nach verabschiedet und durch Miet- und Zugangsbezahlmodelle ersetzt wird. Das heißt, es geht immer weniger darum, Eigentum zu kaufen und zu verkaufen, sondern darum, Zugang zu Ressourcen zu vermieten – Access eben. Er beizieht das natürlich auf das gerade heranrollende Internet und damit auf den Zugang zu Informationen. Lizenzmodelle bei kulturellen Gütern, aber auch all die anderen Märkte, die von Eigentumsbasierten Verteilungsformen zu zugangsorientierten Verteilungsformen wandeln, sind sein Thema.

Er sieht diese Entwicklung zunächst erstmal recht kritisch, zeigt die Gefahren auf, leider kaum die Vorteile. (Die da zb. wären, dass es enorm viel mehr Menschen ermöglicht, an Kultur und Wissen zu partizipieren) Und leider analysiert er diese Verschiebung so gut wie gar nicht. Rifkin hat eine wichtige Beobachtung gemacht, er hat sie aber nicht verstanden. Denn dass zugangsorientierte Verteilung immer weiter um sich greift, ist nicht Zufall, sondern hat seinen Grund.

Dadurch, dass wir immer bessere Kommunikationsmedien haben, sinken die Transaktionskosten für die Ressourcenverteilung. Eigentum ist in Sachen Transkationskosten immer schon ein effizientes Modell gewesen. Man legt es einmal fest und dann bleibt es in dem Zustand, es sei denn man verkauft es weiter. Eine Sache zu mieten ist sehr viel komplizierter. Dadurch, dass das Verhältnis von vornherein befristet ist, gibt keine Sicherheit, wer die Sache verwenden kann. Auch, dass zwei Parteien nun gleichzeitig Rechte an einer Sache haben, verkompliziert alles. Rechte und Pflichten müssen bilateral ausgehandelt werden. Wenn ein Mieter abspringt, muss ein neuer gefunden werden und die Aushandlungsprozesse beginnen von neuem, etc.

Sprich: in vielen Bereichen lohnt sich das Mietmodell nicht besonders gut. Bei Wohneigentum hatten wir eine recht frühe Entwicklung hin zum Mietmarkt. Natürlich vor allem, weil Wohnraum so grundlegend ist und das Mietenmodell schnell rentabel werden kann. Aber auch dadurch, dass durch das Mietrecht viel vereinfacht wurde, und sich Standardmietverträge durchsetzen konnten. Außerdem haben sich die Zwischenhändler wie Makler und Wohnungsgesellschaften etabliert, an die man die Transaktionskosten outsourcen konnte. Und wir sind hier nicht am Ende: gerade sehen wir, wie sich der Mietmarkt weiter liberalisiert – und zwar durch das Internet. Hotelartige Mietmodelle werden auf einmal für jeden möglich über Plattformen wie 9Flats und airbnb und Couchsurfingcommunities. Sie alle reduzieren die Transaktionskosten für die gegenseitige Vermittlung und Aushandlung von Wohnraumverteilung, so dass immer volatilere Mietmodelle rausspringen.

Das Internet und die begleitenden Technologien sind gerade auch dabei einen anderen Markt zu einem Mietmarkt umzugestalten. Ein Auto war immer etwas, was man selbst besaß. In den Städten können wir aber sehen, dass immer mehr Carsharing-Dienste auftauchen. Mietautos gibt es ja schon länger, aber die hat man nicht für eine Stunde ausleihen können. Das hätte sich nicht gelohnt, weder für den Mieter, der auf gut Glück zum Vermieter kommen muss, noch für den Vermieter, der jedesmal viel Verwaltungs- und Kontrollkram abwickeln muss, wenn ein Auto rein oder raus geht. Durch das Internet kann ich nun aber sofort erfahren, welcher Wagen frei ist und wo er steht. Ein Klick und ich hab ihn gebucht – für ein, zwei Stunden. Der Vermieter sieht immer wer gerade welchen Wagen wo fährt, automatisch. Durch die Reduzierung der Transaktionskosten im Internet werden solche Modelle immer attraktiver. Und irgendjemand hat mal ausgerechnet, dass wir mit effizienten Carsharingmodellen die Innenstädte von 80% des herumstehenden Blechs befreien könnten, ohne dass jemand Mobilitätseinbußen hinnehmen müsste.

Wir sehen also, dass in unserem Leben das Ressourcen-Verteilungsmodell über Eigentum immer mehr an – zumindest funktionaler – Bedeutung verliert und dass das seine guten Gründe hat. Wir können Bedürfnisse und Ressourcen durch Zugangsmodelle und mithilfe der Kommunikationstechnologie viel feingranularer und schneller aufeinander abstimmen und auf Bedürfnisse gezielter reagieren. Und ich finde das etwas gutes und ich möchte das nicht mehr missen. Ich finde, das ist die Zukunft, die wir anstreben sollten, aus ökologischen Gründen ebenso, wie aus freiheitlichen.

Nun müssen wir aber einräumen, dass unterhalb dieser Oberfläche auf der wir so wunderbar eigentumslos dahingleiten, es nach wie vor diesen Eigentumslayer noch gibt. Nur weil wir damit nicht in Berührung kommen (Ich weiß nicht, wem das Haus gehört, in dem ich wohne und es interessiert mich auch nicht), heißt es nicht, dass da kein Eigentum am Werkt ist. Im Gegenteil. Den Eigentümern geht es bei dieser Entwicklung ganz und gar prima, denn sie bekommen fast die gesamte Rendite, von diesen Effizienzsteigerungen. Überall wo durch technologischen Produktivitätsgewinn ein Arbeitsplatz eingespart wird, freut sich der Kapitalist, denn es ist seine Rendite. Und das beste: er muss dafür keinen Finger krumm machen!

Nehmen wir den Hauseigentümer. Früher kümmerte es sich noch selbst um seine Mieter, suchte sie aus, sorgte für ihre Zufriedenheit und kümmerte sich um das Haus. All das hat er jetzt in den Wohnungsverwaltungslayer ausgelagert. Er muss sich um nichts kümmern. So wenig wie ich ihn kenne, kennt er mich. Mit anderen Worten, er ist von allen Pflichten eines Eigentümers befreit, kassiert nur noch die Rendite. Und wenn die Wohnungsgesellschaft durch wohnungsvermittelnde Internetportale effizienter Mieter findet, dann ist er es, der diesen Produktivitätsgewinn einstreicht. Ohne, dass er sich überhaupt um irgendetwas nur noch kümmern müsste. Oder andersherum gesagt: er hat für die gesamte Verteilungsfunktionalität des Systems keinen Nutzen mehr, sondern fällt ihm nur – und zwar erheblich – auf die Tasche.

Der Eigentümer ist in dieser schönen neuen Welt der nutzlose Parasit. Er hat sich längst von jeglicher Aufgabe befreit, er spielt in dem System keine Rolle mehr. Aber er ist es, der am meisten von ihm profitiert. Und wenn man sich also das System und wo es hinführt auf diese Weise anschaut, dann kommt das System Eigentum also in erhebliche Legitimationsnot. Und ich bin sogar der Überzeugung, dass viele der Turbulenzen an den Finanzmärkten mit genau dieser Entwicklung zu tun haben. Dass eine kleine Klasse von wenigen Besitzenden aber nicht produktiven Menschen gibt, die Produktivitätsrenditen einseitig absaugen – dahin wo sie nutzlos sind – und so Ressourcen blockieren.

Die einzig verbleibende Funktion von privatem Eigentum ist die Investition. Und die funktioniert immer schlechter und führt zu enormen Ungleichgewichten.

Ich glaube also, dass wir Eigentum funktional in Zukunft nicht mehr brauchen. Es war mal eine effiziente und sogar emanzipative (verglichen mit dem vorher vorherrschenden Feudalismus) Ressourcenverteilungsstrategie, aber sie ist ganz offensichtlich überholt. Alles, wozu Eigentum gut ist wird mehr und mehr auf einem neuen Abstraktionslayer besser und effizienter abgebildet. Und so wie die Gesellschaft damals die immer mehr nur noch zu last fallenden Feudalherren loswerden musste, wird es dereinst unsere Aufgabe sein, die Eigentümer loszuwerden. Ansgar Heveling ist einer, der das begriffen hat – zumindest ahnt er es. Und er hat Angst. Zu recht.

ACTA in plain Deutsch

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Dies ist ein Crosspost eines für Facebook geschriebenen Artikels. Hier auf meinem Blog habe ich das Gefühl, dass ich nur zum Chor predige, denn Blogs werden in Deutschland nur von genau der Minderheit gelesen, die eh ungefähr weiß, was ACTA ist. Es kann ja aber dennoch nicht schaden, den Text auch noch mal hier zu veröffentlichen. Dennoch wäre es schön, wenn ihr ihn – in welcher Form auch immer – vor allem auf Facebook verbreitet. Einfach, weil er dort die größten Chancen hat, die Richtigen zu erreichen.
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Liebe nicht so netzpolitisch interessierten Freunde, (früher hätte ich „Offlinefreunde“ gesagt, aber das stimmt ja nicht mehr. Ihr seid ja alle auf Facebook – und das finde ich gut!), ich brauche eure Hilfe. Ja, wirklich jetzt. Und es ist dringend.

Bitte nehmt Euch einen ganz kurzen Moment und schaut euch dieses Video hier an:

Die sind ganz schön sauer, wa? Das ist in Polen und die Polen demonstrieren gegen etwas, das „ACTA“ heißt. Gut, denkt ihr jetzt: Diese ehemaligen Ostblockländer haben immer mal wieder schlimme Regierungen, die schlimme Gesetze verabschieden. Kann man ja verstehen, dass die demonstrieren.

Aber ACTA ist kein Gesetz und vor allem kein polnisches. Und deswegen gehen nicht nur die Polen, sondern auch die Leute in Frankreich, Belgien und vielen anderen europäischen Ländern auf die Straße. ACTA ist nämlich ein so genanntes „Handelsabkommen“ mit vielen internationalen Partnern. Und einer der Partner ist die EU – also auch die Polen. Und: richtig, auch wir. Letzten Donnerstag unterzeichnete einer der EU-Verantwortlichen den Vertrag. Und zwar in Japan.

Gut, denkt ihr. Ein Handelsabkommen. Das ist doch schön. Brummt die Wirtschaft wieder, es geht bergauf. Was regen sich die Leute also so auf, dass sie zu Zehntausenden bei minus 15 Grad auf die Straße gehen?

Nun, dieses Handelsabkommen hat es in sich. Es verpflichtet die Unterzeichnenden Staaten dazu einige ihrer privaten Unternehmen zu einer Art Polizei umzufunktionieren. Sie sollen Wache schieben, Streife fahren und kontrollieren und auch bestrafen. Wen? Schlimme Verbrecher bestimmt. Nein, Euch! Ja, richtig gelesen, es geht um Euch!

Eines der Ziele von ACTA ist es zum Beispiel euren Internet Service Provider (das ist das Unternehmen, wo ihr wegen Internet immer Geld hin überweist) dazu zu verpflichten, alles was ihr im Internet so tut genauestens zu überwachen. Und euch auch gleich zu bestrafen, falls ihr nicht spurt. Zum Beispiel urheberrechtsgeschützes Material widerrechtlich besorgt. Dann ist das Internet weg. Zack!

All das gilt natürlich für viele Dienstleister, vor allem im Internet. Auch der Google soll euch überwachen, der Youtube und auch der Facebook. Und sie alle sollen euch auf die Finger klopfen, wenn ihr „böse“ seid. Ihr glaubt, das geht doch gar nicht? Das können die GoogleFacebookYoutube doch gar nicht leisten, so viel zu überwachen? Wahrscheinlich habt ihr recht. Und dann gibt es eben kein GoogleFacebookYoutube mehr. Jedenfalls nicht so, wie wir es kannten, weil diese Dienste sonst mit Klagen überrollt werden. Sie sind dann nämlich nun für euch „verantwortlich“.

Ja, ACTA will nicht weniger, als das Internet – in dem sich jeder frei ausdrücken kann – zu zerstören. Sie wollen das Internet zwingen, zu einer Art Fernsehen zu werden, wo nur ihr Programm läuft und Ihr gefälligst wieder die Schnauze zu halten habt.

Jetzt fragt ihr natürlich, wer diese „die“ sind, die das machen wollen.

„Sie“ sind die internationale Inhalterechteverwertungsindustrie. All die Labels, Verlage, Filmstudios etc., die wegen dem Internet ihre Geschäftsmodelle bedroht sehen. Sie finden das nicht gut, was hier passiert. Es stört ihre Bilanzen. Sie glauben leider, dass sie ihr Geld, statt für den Aufbau wirklich attraktiver Downloadportale, lieber in Anwälte und Lobbyisten investieren sollten, um die Staaten und Internetdienste dazu zu bringen, ihr Geschäftsmodell zu beschützen. Dass sie die Meinungsfreiheit im – wie wir seit letztem Jahr wissen – wichtigsten politischen Medium damit zerstören, ist ihnen egal.

Und bei diesem Wahnsinn machen die Politiker mit?

Es sieht leider so aus. Leider gehören auch die Politiker größtenteils eher zu den „netzpolitisch weniger interessierten“ Menschen. Sie wissen wenig über das Internet und haben ein offenes Ohr für Leute, die darüber klagen, dass etwas neues, komisches (dieses Internet) ihr jahrzehnte doch so super funktionierendes Geschäftsmodell kaputt macht. (Denkt denn keiner an die Arbeitsplätze?!?)

Aber, wenn das alles so wichtig und schlimm ist – fragt ihr euch jetzt sicher – warum hab ich dann noch nie etwas darüber erfahren?

Zum einen ist das natürlich gewollt. Die Verträge zu ACTA wurden über Jahre unter absoluter Geheimhaltung entwickelt. Es hat lange gedauert, bis überhaupt zugegeben wurde, dass es so ein Abkommen gibt. Die Versionen des Vertragswerkes, die wir kennen, wurden von Netzaktivisten „geleakt“ (ja, so wie bei Wikileaks).

Zum anderen erfährt man darüber nichts in den klassischen Medien, weil die klassischen Medien selber Nutznießer dieses Abkommens sind. Ob ihr es glaubt oder nicht, es stinkt den Verlagen auch hierzulande, dass ihr lieber den Facebook lest, statt die Gala und lieber drollige Katzenvideos auf dem Youtube klickt, statt Bauer sucht Frau zu gucken. Da verdienen die nämlich nichts dran. Warum sollten sie Euch also was über ACTA erzählen? Ist schließlich auch scheiße kompliziert und passt irgendwie nicht in die Abendnachrichten.

Und nu? Is jetzt alles vorbei? Haben „die“ gewonnen?

Nee, noch nicht ganz. Das europäische Parlament muss erst noch über ACTA abstimmen. die ACTA-Macher glaubten, dass das nur reine Formsache wär. „Einmal abnicken, bitte!“ Aber in Polen und in anderen teilen der EU regt sich der Widerstand. Es wird langsam aber sicher eine Öffentlichkeit für das Abkommen geschaffen und in ganz Europa merken die Menschen, dass es hier um sie geht und um die Zukunft der Demokratie und Meinungsfreiheit. Nur in Deutschland noch nicht. Aber das kann sich ja ändern!

Okay! Was kann ich tun?

Zunächst einmal ist das wichtigste hierzulande überhaupt mal Öffentlichkeit zu schaffen. Ich kann das nicht. Blogs können das nicht. Die werden in Deutschland leider nicht gelesen. Deswegen brauche ich ja auch Eure Hilfe. Also tut mir bitte den Gefallen und teilt diesen Post an möglichst alle Eure Freunde. Je weniger Internetnerd, desto besser.

Und informiert Euch weitergehend. Zum Beispiel hier gibt es sehr anschauliche Videos. (netzpolitik.org ist sowieso eine gute Adresse für Nachrichten dieser Art. Bei Interesse einfach hier die Facebookpage liken. dann bekommt ihr deren aktuelle News in Euren Nachrichtenstrom.)

Dann gibt es eine Demo am 11. Februar um 15:00 in ganz Deutschland. Tretet für aktuelle Nachrichten dem Facebookevent bei. Es ist wichtig, dass dort so viele Menschen hinkommen wie möglich, damit die Politiker und Lobbyisten merken, dass die Bevölkerung nicht schläft. Nicht mal in Deutschland.

Unterschreibt bitte auch bei dieser internationalen Petition:

Und dann ist es natürlich immer gut, wenn man versucht, den eigenen Euroabgeordnenten zu dem Thema zu kontaktieren und auf die Gefahren aufmerksam zu machen.

Liebe – hoffentlich – netzpolitisch nicht mehr ganz so uninteressierten Freunde, ihr merkt, das Netz geht uns alle an. Es ist ein wichtiger Baustein für eine demokratische Zukunft. Wir müssen auf es aufpassen, denn es gibt viele undemokratische Menschen, die es aus eigennützigen Interessen zerstören wollen und viele Politiker, die das nicht verstehen. Um es zu beschützen, braucht es auch eure Wachsamkeit, denn glaubt mir, das ist alles erst der Anfang.

Open in Public Day

Heute ist der Open in Public Day. Eine super Erfindung der Spackeria um dem Lebenslaufoptimierten Reinheitsvorstellungen der hiesigen Datenschützern ein herzhaftes „Fuck You!“ entgegenzuschleudern. „Verschwende deinen Realname!“ sag ich – und stelle meine peinlichsten Saufbilder in’s Blog und in’s Facebookprofil. Dann haben alle etwas davon und die Jugendlichen vielleicht weniger Angst vor dem uminösen Personalchef.


Ich weiß nicht mehr, mit was ich da gegurgelt habe, ich schätze aber, es war Bier.


Im ersten Semester muss es gewesen sein, da haben wir „geboßelt„. Am Ende habe ich nicht nur den Weg mehr richtig getroffen.


Kein Kommentar.


*Hicks*


Auf dieser Party musste ich mich kurz mal hinlegen. Gott sei dank hatte ich gute Freunde bei mir, die mich anständig dekorierten.


Ich schwöre, das ist ein Flaschenöffner! ja, ein Falschenöffner!


Ich weiß nicht mehr wann und wo das war, aber bin mir sicher, der Typ links ist nicht unschuldig an meinem Zustand.

Quo vadis, Google?

Als Google seine neue Suche „Search, plus Your World“ launchte, dachte ich zunächst: „WOW! Google setzt alles auf eine Karte.“ Google+ soll der neue Dreh und Angelpunkt von allem sein. Obwohl sie fast ausschließlich mit Such-Anzeigen Geld verdient, will es sich nun mit aller Macht in ein Social Network mit angeschlossener Suchmaschine verwandeln.

Und tatsächlich. Egal ob die Verstümmelung des Readers, die Mailintegration, die Schließung so vieler Googleprodukte und die Einschränkungen bei APIs – alles hat sich Google+ unterzuordnen, ganz gleich, wie hoch die Kosten sind.

Doch was, wenn Google+ doch kein Erfolg wird? Social Networks agieren mehr noch als andere Produkte in einem „The Winner takes it all„-Markt. Und dieser Winner ist nach wie vor Facebook und sitzt fest im Sattel. Seine Netzwerkeffekte haben einen derartigen Lock-In, dass sich schon heute kaum jemand entziehen kann, ohne beträchtliche Einbußen in seinem Sozialleben zu ertragen. Facebook zu schlagen ist verdammt schwer. Und nee, das sehe ich nicht.

Warum also so eine risikobehaftete Strategie?

Ich hatte im letzten Jahr versucht zu zeigen, wie der Ansatz, den Google über Jahre als das „Interface zum Web“ zu fahren versuchte, durch die enorme Wichtigkeit von geschlossenen Plattformen in Gefahr geraten ist. Um eine gute Suchmaschine zu sein, braucht Google Daten darüber, was die Leute interessiert. Diese Daten liegen aber zum größten Teil beim geschlossenen Facebook. Je weiter Facebook wächst, desto größer wird der blinde Fleck in Googles Daten. Es ist logisch, dass ein eigenes Social Network – sollte es erfolgreich sein – hier Linderung verspricht. Das, so die Annahme, ist eben Google+.

Aber während ich noch rätselte, warum Google jetzt so auf Teufel komm raus sogar seine Suche „opfert“ um Plus zu pushen, schrieb Marcel Weiß noch eine weitere Deutung von Googles Strategie auf: Was, wenn Google die Integration von Plus in die Suche nur als Druckmittel und Drohkulisse – zumindest als Verhandlungsmasse – gegenüber Facebook und Twitter in’s Spiel bringt?

Es ist bekannt, dass Google schon lange versucht, Facebook und Twitter dazu zu bringen, ihre Daten für Google zu öffnen. Eine Zeitlang hatte Google Twitter auch so weit und konnte ihre Daten integrieren, doch der Vertrag wurde nicht verlängert. Was aber, wenn eine solche Integration nach wie vor ihr Anliegen ist? Dass Google+ jetzt exklusiver Datenlieferant für die Relevanz von Googlesuchergebnissen ist, läge also gar nicht an der Ausnutzung der Monopolstellung von Google, sondern an der Datengeizigkeit von Twitter und Facebook. Was, wenn Google die beiden mit diesem Schritt also nur zurück an den Verhandlungstisch zu bomben versucht? Bei Twitter scheint man jedenfalls schon aufgeschreckt zu sein.

Eine ähnliche Deutung existiert übrigens auch für Googles riesige Patentdeals. Es ist relativ offensichtlich, dass Google Motorola letztes Jahr vor allem auch deswegen kaufte, weil es die meisten und wichtigsten Mobiltelefonpatente überhaupt besitzt. Im ständigen Rechtsstreit, den Google wegen Android an allerlei Fronten auskämpfen muss, sind das natürlich recht scharfe Waffen, um sich zu verteidigen oder gar anzugreifen. Dazu kommen die vielen erst kürzlich eingekauften IBM-Patente.

Auch hier riefen die Kritiker, dass Google seine Ideale verrate. Die Firma hatte immer zu erkennen gegeben, dass sie von Patenten und Patentkriegen wenig hält, engagierte sich sogar als Lobbyist für die Abschaffung von Softwarepatenten. Und auf einmal versucht Google der große Player im Patentkrieg zu werden? BUUUH!

Auch hier existieren unterschiedliche Deutungen:

Die erste wäre: klar, Google wird erwachsen und sieht: mit Anwälten kann man mehr Geld verdienen, als mit Ingenieuren.

Die zweite wäre: Das ist pure Notwehr! Google Die Telefonhersteller, die Android einsetzen müssen ja jetzt schon 10 Dollar Lizensgebühren pro Smartphone an Microsoft abdrücken. Sie brauchen die Patente schlicht zum überleben.

Die dritte aber wäre: Google versucht den Patentmarkt zu ownen – um ihn abzuschaffen. Erst wenn man selbst Großpatentbesitzer ist, kann man sinnvoll gegen Patente lobbyieren, bzw. die anderen zum Waffenstillstand zwingen.

Die Frage ist also: Was sehen wir da gerade, wenn wir Google beobachten? Ein Unternehmen, dass sich jetzt einfach auf das Geldverdienen konzentriert und seine Glaubenssätze über Board schmeißt? Ein Unternehmen, dem es heute noch gut geht, aber merkt, dass es in naher Zukunft mit dem Rücken zur Wand steht und hektisch Rettungsmanöver einzuleiten versucht? Oder sehen wir ein Unternehmen, dass die Lage politisch, strategisch genauestens analysiert hat und merkt, dass es nicht reicht, selber Grundsätzen zu folgen, sondern dass man das Spiel dominieren muss, um es nach eigenen Regeln zu spielen.

Sind die Patente und ist Google+ also nur der Hebel, um die Marktteilnehmer zu mehr Offenheit – zum Guten – zu zwingen? Tut Google das alles nicht, um das Spiel zu gewinnen, sondern um das Spiel zum positiven zu ändern?

Wahrscheinlich ist diese Deutung zu schön, um wahr zu sein. Ich würde da aber gerne dran glauben.

Hacker, Geniekult und Kontrollverlust

Wo ich gerade den grandiosen Artikel von Kathrin Passig lese, in dem sie die in Feuilletonkreisen virulent gewordene „Algorithmuskritik“ detailliert auseinander nimmt: das wichtigste steckt in diesem Absatz:

2009 wurde der mit einer Million US-Dollar dotierte „Netflix Prize“ für die Verbesserung von Film-Empfehlungen verliehen. Die am Wettbewerb beteiligten Teams gaben in Interviews an, nicht mehr nachvollziehen zu können, wie ihre eigenen Algorithmen zu manchen Ergebnissen gelangen. Dass die Empfehlungen treffsicher sind, ist unstrittig, weil sich ihre Qualität anhand der abgegebenen Nutzerbewertungen überprüfen lässt. Aber der Weg dorthin erschließt sich auch den Programmierern nicht mehr.

In den Gesprächen mit Schirrmacher hatte ich immer das Gefühl, dass es da die Hoffnung auf eine technische Intelligenz gibt, die das alles richten wird. Leute, die zu erklären im Stande sind, was da passiert. Ich glaube, er denkt das im CCC gefunden zu haben. Und in der tat, ist das natürlich auch das Selbstbild der Hacker. „Der Kontrollverlust gilt ja nur für die da draußen. Die, die keine Ahnung haben.“ Stilprägend ist für diese Haltung immer der höhnische Unterton des Talks „Security Nightmares“ auf dem CCC-Kongress.

Zwar wäre es begrüßenswert, wenn über solche Themen besser Leute schreiben, die sich wenigstens ein bisschen auskennen (mehr Passig als Meckel!). Aber nicht, weil diese Leute im Stande sind, haarklein herzuleiten, was da genau passiert, sondern weil dann nicht so ein himmelschreiender Unsinn verbreitet wird, wie die Artikel von Meckel.

Aber die Hoffnung auf die technische Intelligenz als die neue Erklärbärelite unserer Zeit ist dennoch ein Irrtum. Nicht erst Julien Assange musste schmerzhaft feststellen, dass der Kontrollverlust kein Außerhalb kennt. Auch bei den Hackern wachsen die Zweifel, dass sie noch die coolen Schockwellenreiter sind. Der letzte Security Nightmare Talk lies jedenfalls schon mal ein paar nachdenklichere Töne zu.

Wir betreten gerade die Ära, wo Computer Dinge tun, die wir nicht mehr verstehen können. Auch keine supertollen Hacker und nee, auch keine noch so intelligenten Wissenschaftler. Mit Big Data ist das definitiv vorbei. Was wir aber weiterhin tun können, ist zu überprüfen, ob die Prognosen stimmen und die Algorithmen Dinge tun, mit denen wir zufrieden sind. An den Kontrollverlust aber müssen wir uns gewöhnen. Auch die Hacker.

Nachtrag: Natürlich wäre auf einer solchen Ebene auch eine sinnvolle Algorithmenkritik wichtig. Welche Algorithmen tun was und wie gut? Gemessen an ihren Ergebnissen. Und natürlich ist es wichtig und gut, sich mit der Funktionsweise von Computern zu beschäftigen und zu lernen wie Datenbanken und Webservices funktionieren. Aber nicht, um alles unter „Kontrolle zu haben“, sondern einzuschätzen, in welchem Maße man sie überhaupt noch haben kann.

Meine erste Hauptrolle

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UPDATE: Unglaublich dieses Internet. Kurz nachdem ich das Video postete meldete sich @MarcelBelledin bei mir via Twitter. Er habe das Soundfile überarbeitet. Er schickte es mir in die Dropbox und es war um einige Kategorien besser als das Original. Jens hat es nun eingebaut und jetzt kann man unten die fast komplett gefixte Version gucken. Wie großartig! Danke Marcell, du bist der wahre Held dieses Twartort!
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Nein, es war im Frühjahr 2009. Ich saß gerade mit ein paar Freunden – unter anderem Sebaso – in einer Kneipe in Friedrichshain und wir schauten Tatort. Es war der berliner Tatort und es war keiner von den schlechten. Und da kam uns die Idee: es müsste doch mal einen berliner Tatort in und um die Netzszene geben.

Es ist doch so: Tatorts sind doch immer – im besten Fall – auch Milieustudien. Die Kommissare fangen an zu ermitteln und stoßen auf Leute, die irgendwie anders sind. Im Laufe der Handlung, graben sich die Ermittler immer tiefer in dieses Milieu ein und stellen die Spezifika heraus und nutzen sie für ihre Recherchen. Das ginge doch mit der Netzszene auch prima. Social Media als Ermittlungsumgebung und natürlich auch als Ermittlungswerkzeug.

Ich twitterte das, direkt nach dem Tatort. Auf einmal rief Jens Best an. Wo ich sei und dass ich da bitte kurz bleiben solle. Er rückte mit dem Taxi an. Wir gingen ein wenig in Richtung meines Heimweges, während Jens mir seine Idee präsentierte. Es solle ein Tatort Kurzfilm werden. Er würde ihn drehen, alles ogranisieren. Ich nickte müde, jaja, ich wollte nach hause. Was man halt so erzählt in der ersten Begeisterung, dachte ich.

Das war Sonntag. Am Mittwoch klingelte wieder das Telefon. Jens war dran: „Hab alles soweit klar gemacht, Skript steht. Du hast eine der Hauptrollen, Sebaso die andere. Samstag drehen wir. Passt dir das?“ Etwas verdattert sagte ich zu.

Am Samstag kam ich zum also morgens zum Drehtermin. Jens hatte richtig aufgefahren. Es war ein echtes Filmteam am Start. Richtige Schauspieler, echte Kameraleute, Visagistin, alles. Er hatte nicht nur ein Drehbuch, sondern auch einen Drehplan, der alles durchorganisierte. Es gab drei Orte, wo wir drehten und wir schafften es, alles an einem Tag runterzudrehen.

Es war ein riesen Spaß. Leider merkten wir erst hinterher, dass das Tonaufnahmegerät irgendwie defekt war. Der Ton war im Eimer. Nicht komplett, man kann alles verstehen, aber der Ton ist eben schlimm übersteuert. Jens, der bis dahin ein übermenschliches Maß an Organisationstalent bewiesen hatte, wollte eigentlich alle noch mal zum Nachsychronisieren bestellen. Leider verlief sich das immer wieder im Sand.

Und jetzt, nach 2 dreiviertel Jahren, ist das Video zumindest mal auf Youtube. Schön geschnitten finde ich. Ich habe mich sehr gefreut.

Geniest mit mir den Twartort:

Guten Rutsch!

Guten Rutsch“ sagt man ja. Und ich finde das gar nicht unpassend. Rutschen tut man nicht aktiv, sondern man bewegt sich, einmal angestoßen durch einen initialen Impuls, von selbst. Man hat also keine Kontrolle über diesem Prozess sondern wird fremdbestimmt in eine Richtung befördert. Und man tut ja tatsächlich alles Mögliche dafür, in das neue Jahr reinzurutschen. Vor allem mit Alkohol und anderen Substanzen. Man feiert um zu rutschen.

Und wie jedes Jahr ist immer dieser Erwartungsdruck da. Da gibt es zwar immer die Obercoolen, die rumposaunen, wie egal es ihnen ist, was sie machen und dass Silvester doch auch nur der kleine Zeiger über die 12 springt, wie er es zwei mal am Tag tut. Aber in Endeffekt entkommt man dem nicht. Ich jedenfalls. Wenn alle feiern, dann tut es weh, wenn man nicht dabei ist. Die Menschen wollen sich nicht ausgegrenzt fühlen.

Ich persönlich habe jedes Jahr erneut immer das Bedürfnis die 0-Uhr Grenze vor allem mit Menschen zu überschreiten, bei denen ich mich wohl fühle. Gute, alte, abgehangene Freunde, die man dann auch wirklich gerne umarmt. Ich weiß, diese Wünsche klingen jetzt auch irgendwie konservativ/traditionell, sind sie sicher auch, aber ich denke ich kann sie hier gefahrlos äußern, weil die Chancen ihrer Verwirklichung eh gegen 0 gehen.

Denn in Wirklichkeit ist Silvester ein riesiges Sozialexperiment der totalen Durchmischung. Alle Clubs, Kneipen und Restaurants versuchen die Leute auf ihre Partys zu bekommen. Und die Privatleute auch. Nie gibt es so ein reichhaltiges Angebot an Feiermöglichkeiten. Und zurecht, denn auf der anderen Seite will ja auch tatsächlich fast jeder feiern, viel, viel mehr als irgendwann sonst.

Das wiederum führt aber zu einer extrem volatilen, von Komplexität überfrachteten Kontingenz. Jeder macht ne Party, jeder geht auf ne Party und alle wollen mit ihren Freunden feiern. Für die Partyveranstalter führt das dazu, dass sich von den Gästen niemand festlegen will. Und für die Partygäste führt das dazu, dass sie keine Party finden, auf der sie davon ausgehen können, dass genug ihrer Freunde anwesend sein werden. Die meisten Partys und ihre potentiellen Gäste verweilen also in einer Art schwebenden Masse, die sich bis 23:00 zueinander in einem Spannungsverältnis der totalen Ungewissheit stabilisiert.

Und ab 23:00 wird Nägel mit Köpfen gemacht, dann geht die Reise nach Jerusalem los und alle stürzen sich auf die freien Plätze. Dabei entstehen dann die absurdesten Partymischungen. Alles vermischt sich mit allem und am Ende feiert fast jeder mit Fremden. Ein emergenter Gesellschaftsdurchmischungsprozess. Alle fühlen sich irgendwie aqward und man ist schon froh wenn man ein oder zwei Leute ein bisschen kennt. Dann versucht man ein bisschen Konversation, während man sich ob der aqwardness noch hemmungsloser betrinkt. Aber hey, am Ende wird es schon Okay gewesen sein. Jedenfalls bis man die Bilder auf Facebook sieht.

Wir haben also kaum eine Kontrolle darüber ob unsere Party rockt, oder mit wem wir schließlich anstoßen. Wir werden in wenigen Stunden eintauchen in diese Wolke der spannungsgeladenen Erwartung und uns von ihr rutschen lassen.

Und doch ist es dieses Jahr noch mal krasser. Ich mein, wir sind ja seit letzten Silvester eigentlich nicht mehr rausgekommen aus dem Rutschen. Mir geht es ja sonst auch wie so vielen, dass mir gesellschaftliche und politische Veränderungen immer zu langsam von statten gehen. Aber dieses Jahr hab ich mich wie in einer Achterbahn gefühlt. Ich finde das aber super.

Wir neigen ja immer dazu die Entwicklung emergenter, komplexer Prozesse in vielerlei Hinsicht falsch einzuschätzen. Zunächst unterschätzen wir die Trägheit der Massen und fragen uns, warum sich diese strunz strukturkonservative Gesellschaft nicht durch – zum Beispiel technologische Veränderungen – von heute auf morgen wahnwitzig verändert. Und dann, wenn der Zug aber erst in’s Rollen geraten ist, geht es auf einmal alles ganz schnell. Auf der ganzen Welt organisieren sich Proteste gegen alles Mögliche per Internet und die Piraten ziehen mit 9% in einen Landtag ein. Wumms. Und dann steht man da und ist einfach baff, sucht nach Erklärungen für Dinge, die man unter den gegeben Prämissen für unmöglich gehalten hat.

Ja, die Welt verändert sich gerade massiv. Es ist ein bisschen so, als bereite sie sich auf Silvester vor. Die Gesellschaft beginnt sich als ganzes in diese spannungsgeladene Vorneujahrswolke aufzulösen. Nur wissen wir in diesem Sinne noch gar nicht, wann 0:00 sein wird. Aber irgendwie spüren wir, dass wir nah dran sind. Diese Aufgelöstheit wird sicher Probleme mit sich bringen, doch ist es auch ein spannender Prozess. Alles wird beweglicher, alles durchmischt sich, alles wird unkalkulierbarer. Die Brownsche Molekularbewegung der Welt erhöht sich, bis die Gesellschaft zur Wolke diffundiert. Strukturen lösen sich auf, weil wir sie nicht mehr brauchen, weil sie hinderlich sind und im Weg rumstehen, wenn wir eh End to End miteinander kommunizieren können.

Wie Cory Doctorow so schön auf dem Kongress sagte: Durch das Internet ist Organisation nicht mehr das Problem. Politischer Aktivismus kann sich auf das konzentrieren, wozu er da ist: die Aktion. Alles andere regelt das Internet. So werden viele Dinge möglich, die vorher nicht möglich waren. Spontanrevolutionen im arabischen Frühling oder Spontprotest wie #OccupyWallStreet. Der quantitative Sprung in der horizontalen Vernetzung wird zur qualitativen Gesellschaftsveränderung.

Ich habe das Jahr über immer wieder versucht diese Prozesse festzuhalten und zu erklären und dabei festgestellt, wie gut sich das Blog als Format eignet, in Zeiten des Umbruchs zu reflektieren. Denken per Blog heißt: release early, release often. Man kann die Vorgänge nur iterativ begleiten, immer wieder zur Diskussion stellen, korrigieren, umdenken, denn die Ereignisse werfen schon morgen wieder die eine oder andere Annahme um. Ich kann mir ehrlich gar nicht vorstellen, wie die Wissenschaft in ihren überfrachteten Strukturen da je auf einen Nenner kommen will. Die Welt ist viel zu schnell geworden für Doktorarbeiten.

Veränderung hab ich übrigens sogar beim CCC ausgemacht. Der Kongress war dieses Jahr zwar relativ unspektakulär (also verglichen mit den letzten – äh – 6 oder so) aber das meine ich nicht. Es gibt zwar immer noch eine gewisse strukturkonservative Obverfläche und man schimpft gerne auf die Spacken und Hipster und quasselt von dem „Real Shit“ der ja nur Emacs – NEIN! vi! NEIN! Emacs! … egal. Aber unterschwellig merkt man schon auch eine neue, frische Strömung. Niemand repräsentiert die so gut wie Telecomix. Sie sind nicht nur die die besten – im Sinne von sinnvollsten – Hacks präsentieren, sondern vor allem eine neue Geisteshaltung in den Hackerdiskurs tragen. Eine gewisse Gelassenheit gegenüber Tooldiskussionen, weniger Scheu vor Öffentlichkeit, einen geweiteten Blick auf die Veränderung in der Gesellschaft, eine tolerantere Haltung und weniger Berührungsängste mit neuen Ideen und einen mehr Ergebnisorientieren, weniger verbohrten Aktivismus. Ich empfehle dazu den CRE mit HerrUrbach.

Tja, und nun geht das Jahr vorbei und alles flirrt noch in dieser wahnsinnigen Molekularbewebung – und rutscht auch so in das neue Jahr hinein. Eins ist sicher: es wird weiter gehen. In Syrien wird es hoffentlich bald Ergebnisse geben. In Russland braut sich was zusammen, das die Chance hat, wirklich groß zu werden und meine Vorhersage für 2012 ist ja, dass auch China noch dieses Jahr eine große BottomUp Umwälzung erleben wird. Und wenn das passiert, verschiebt sich ein Grundpfeiler der Weltordnung. Ebenso wie in den USA, wo die Spaltung und Unzufriedenheit immer größer wird. Obama wird wohl wieder gewählt werden, aber man darf nicht vergessen, dass die TeaParty-Bewegung sich dann weiter radikalisiert und ja jetzt schon die unglaublich viele Waffen hortet. Auf die politische Stabilität der USA im Jahr 2012 würde ich kein Geld verwetten.

Die Komplexität steigt und zermalmt immer neue überkommene Ordnungsschemata. Wir sehen derzeit vor allem die Evolution von parallelen Strukturen – doch die etablierten Strukturen werden sich das nicht gefallen lassen. Hadopi, ACTA und SOPA sind nur einige der brutalen Waffen des zurückschlagenden Imperiums. Unsere Institutionen haben die Kontrolle verloren und wollen sie wieder. Das wird ihnen mißlingen, aber wie ebenfalls Cory Doctorow sehr richtig anmerkte: dass es keine Hexenkraft gibt, hat damals auch niemanden davon abgehalten, Hexen zu verbrennen.

Es gilt also wachsam zu bleiben, aber dennoch optimistisch in die Zukunft blicken. Wir leben genau in dieser Achsenzeit. Die Zukunft passiert jetzt und wenn wir nicht jetzt mit Ideen und Konzepten aufwarten, wie wir diese Welle nutzen können, um sie in den Dienst der Emanzipation zu stellen, werden wir dieses wichtige Zeitfenster verpassen. Wir müssen jetzt anfangen, die neue Welt zu imaginieren. Es ist alles so wahnsinnig spannend und die Möglichkeit, sich einzubringen, wird immer größer. Wenn ich einen Job hätte, würde ich ihn noch heute kündigen, um mich daran zu beteiligen.

In diesem Sinne, guten Rutsch!

Free Razan

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Update: 18.12.11 22:45 Razan ist wieder frei! Puh! Ein Stein fällt mir vom Herzen. Ich hoffe, es geht ihr gut.

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Ich habe Razan Ghazzawi in Kairo kennengelernt, auf dem Young Media Summit, einer Blogger-Konferenz der Deutschen Welle. Den anderen Syrer in der Gruppe, Hussein, hat sie, wie ich, auch erst dort kennengelernt. Hussein war einer der fröhlichsten und humorvollsten unter den Teilnehmern, ich hab mich sofort gut mit ihm verstanden. Ebenso mit Razan, die als lesbische und homoaktivistische Feministin einen schweren Stand in ihrem Land hat. In Kairo hatte sie sich die Haare kurz geschnitten. Sie sagt, in Syrien hätte sie das nicht machen können. Sie wollte nicht wieder zurück.

Sie war die ganze Zeit sehr ernsthaft und gleichzeitig sehr herzlich. Sie ist in ihrer Identität und ihrem Auftreten für die arabische Welt sicher sehr radikal, aber sie weiß das auch. Sie ist nicht eine von denen, die sich eifernd, moralisch über andere stellt, sondern den Standpunkt vertritt, dass man die Kultur und die Politik nur im ständigen Dialog verändern muss. Sie ist auch gleichzeitig sehr realistisch. Sie weiß, dass sich nicht alles zugleich ändern kann, so sehr sie sich das auch wünscht. Ich bewunderte ihre Geduld und ihre Zuversicht, sie ist klug und besonnen, trotz ihrer Lage. Ich mochte sie sofort.

Als wir in Gruppen loszogen, um in Kairo zu recherchieren – die Revolution war erst einige Wochen her – war ich mit ihr, Hussein und Hannah – eine der deutschen Teilnehmerinnen – unterwegs. Wir wollten gezielt mit Jugendlichen reden. Was sind ihre Hoffnungen, ihre Ängste? Was hatte sich nach der Revolution für sie geändert? Außerdem wollten wir mehr über das Problem der sexuellen Belästigung wissen, das in Kairo ein großes Problem ist. Wir waren in diesem wunderschönen Park – dem Al-Azhar Park – unterwegs – ich habe das mal hier zusammengefasst, Hannah ausführlicher hier und Hussein hier verbloggt.
razan, hussein, hannah
(v.l.n.r. Hussein, Razan, Hannah)

Razan und Hussein intervieweten die Jugendlichen auf arabisch und übersetzten für uns Deutsche ins Englische. In den Gesprächen wurde immer klarer, dass es nach dem Sturz Mubaraks vor allem an Vertrauen in der Bevölkerung untereinander fehlt. Insbesondere die ethnischen Spannungen zwischen Kopten und Muslimen (wir sprachen mit beiderlei) äußerten sich in Misstrauen und Verdächtigungen gegenüber der anderen Seite. Die Gesellschaft driftet auseinander.

Mitten im Interview mit ein paar jungen Kopten wurde Hussein plötzlich still. Er schaute Razan an und sie begannen sich sehr ernsthaft zu unterhalten. Zunächst auf arabisch, dann aber uns zu liebe auf Englisch. Syrien ist ein ethnisch viel durchmischteres Land, als es Ägypten ist. Ihre Befürchtung war natürlich, dass Syrien, selbst wenn sie es schaffen Assad los zu werden, auf die selben Probleme stoßen werden, nur in einer höheren Potenz. Ich sah Anflüge von Hoffnungslosigkeit in ihren Gesichtern.

Es war dieser Moment, der mich berührte, weil ich ganz nah dran war, an der komplizierten Lebenswelt, deren erruptive Kollisionen ich nur aus dem Fernsehen kannte. Ich begann auch besser zu verstehen, wie Diktatur funktioniert – oder überhaupt: Herrschaft. Und wie unendlich viel Arbeit und wie unendlich viel Vertrauen es doch erfordert, Herrschaft zu überwinden. Es reicht eben nicht, einen Diktator zu verjagen. Es reicht nichtmal sich seiner Strukturen zu entledigen. Wenn sich die Bevölkerung untereinander nicht traut, wird es immer einen Diktator geben und man wird ihn gewähren lassen, weil er Sicherheit bringt und Frieden. Ich brauche meinem Nachbarn nicht vertrauen, wenn die Staatsgewalt über ihm nur brutal genug darauf achtet, dass er sich benimmt.

free razanAber ich will auf was anderes hinaus. In Syrien ist seither viel passiert, wie jeder wohl bemerkt haben dürfte. Die Revolution schreitet voran und Assad schlägt mit immer brutalerer Härte zurück. Hussein wurde vor einigen Wochen verhaftet. Er hat eine Frau und Kinder. Gottseidank ist er kürzlich wieder frei gekommen.

Aber dafür ist jetzt Razan an der Jordanisch-Syrischen Grenze verhaftet worden. Niemand weiß, wie es um sie steht und die Situation in Syrien eskaliert derzeit. Ich mache mir Sorgen.

Es gibt eine Kampagne zu ihrer Freilassung. Hier auch international. Und es gibt eine Facebookseite. Hier eine Petition. Ich weiß nicht, ob das was bewirkt, wenn ich das hier poste, aber schaden kann es ja auch nicht. Ich fände es aber schön, wenn eine internationale Solidarität mit dazu beitragen könnte, Razan frei zu bekommen.

Von Vortrag zu Vortrag

Gerade aus Freiburg wieder da und es geht schon wieder weiter.

Ich hab dort endlich mal eine tiefere Beschäftigung mit den Protagonisten Foucault und Derrida und ihrem Bezug zum Kontrollverlust hinbekommen. Das war natürlich harter Tobak, aber die kleine Konferenz war durchaus hochkarätig besucht.

Meine Furcht war übrigens unbegründet, ich habe soweit sehr positives Feedback bekommen, was mich natürlich freut.

Den Vortrag werde ich noch etwas überarbeiten und er wird auch publiziert. Ich werde dann auf CTRL-Verlust noch mal drauf hinweisen.

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Am Sonntag werden wir wohl, wenn alles gut geht, eine neue Folge Wir müssen reden produzieren, diesmal mit Gast. Ich bin gespannt. Nachmittags gegen 15:00 Uhr geht es los.

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Gerade bereite ich wieder einen Vortrag vor. Diesmal über die Plattformneutralität, den ich nächste Woche Mittwoch auf Einladung von @drbieber an der Uni Duisburg halte. Raum SG 135 in der Geibelstraße 41 – um 10 Uhr geht es los. Es sind wohl noch ein paar Sitzplätze vakant. Livestream gibt es wohl nicht.

Ich nutze auch diesmal die Gelegenheit (Vortrag = Deadline!!!), um meine Themen besser und tiefer zu fundieren. Ein paar Bücher, durch die ich mich gerade wühle: Jeremy Rifkin: Access, Pierre Bourdieu: die Verborgenen Mechanismen der Macht, Jean-Claude Kaufmann: Die Erfindung des Ich, Georg Franck: Ökonomie der Aufmerksamkeit, Jürgen Habermas: Theorie des kommunikativen Handelns, Clay Shirky: cognitive Surplus.

Noch jemand Tipps zur Fundierung des Komplexes der Teilhabe / Kommunikation / Infrastruktur / Netzneutralität / Public Goods, etc?

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Aber dann habe ich Urlaub. (Und nein, ich hab mit Absicht beim Spack0 nichts eingereicht. Ich habe zum Themenkomplex Post-Privacy nichts so wesentlich neues zu sagen. Ich hatte zwar meinen Singularitätsvortrag zum 28c3 eingereicht, aber ich geh mal davon aus, dass den meisten auf der Spackeriade meine Thesen dazu wohl bekannt sind. Also einfach mal kongressen und entspannt zuhören.)

BGE und die Postgerechtigkeit

Die Piraten haben also das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) in ihr Grundsatzprogramm aufgenommen. Ich begrüße das und beglückwünsche die Piraten. Klar, das BGE ist umstritten. Auf Finanzierungsmodelle kann man sich nicht einigen. Viele sagen, das sei eine Utopie, viele sagen, dass sei nicht finanzierbar.

Wenn ich ehrlich bin, ich weiß es nicht. Es spielen so viele Unbekannte in die Rechnung, dass man kaum handfeste Vorhersagen machen kann. Die Frage, die wir uns aber stellen müssen, ist nicht, ob das BGE funktioniert, sondern was wir machen, wenn es nicht funktioniert. Wir befinden uns schließlich mitten in einem raschen und grundsätzlichen Wandel. Und auch wenn die Ökonomen bislang zuversichtlich waren, dass die Jobs, die durch IT vernichtet werden, an anderer Stelle wieder nachwachsen, wird diese These derzeit von einigen Studien erschüttert. Ich persönlich bin mir seit einigen Jahren sicher: der Frage, wie Wohlstand in der Postarbeitsgesellschaft zu verteilen ist, wird innerhalb der nächsten 10 Jahre beantwortet werden müssen.

Ohne aber eine Alternative zum BGE anbieten zu können, will ich stattdessen auf ein weiteres Problem mit dem BGE hinweisen, dem noch nicht genug Beachtung geschenkt wird. Ich fürchte sogar, dass dieses Problem sich zur größeren und grundsätzlicheren Stolperfalle für ein BGE erweisen könnte, als das schnöde Finanzierungsmodell.

Ich hatte dieses Problem zwar schon länger im Hinterkopf, aber erst die @hoch21-Aktion hat mir gezeigt, wie drängend dieses Problem in Wirklichkeit ist. Es ist das Problem des Gerechtigkeitsempfindens.

Dass hoch21 einen 2500 Eurorechner haben sollte, empfanden viele Leute als – ja – ungerecht. Natürlich war niemand gezwungen zu spenden. Natürlich entstand niemandem ein Nachteil daraus, hätte er einen solchen Rechner bekommen. Aber diese Leute glauben, weil sie hart arbeiten, weil sie sich ja auch „nichts gönnen“ und weil wir ja alle „unser Päckchen zu tragen haben“, sollte er zumindest keinen besseren Rechner haben, als sie. Sie setzen sich also ungefragt mit @hoch21 ins Verhältnis, vergleichen und kommen zu dem Schluss: Wenn der einen teuren Rechner verdient hat, dann habe ich auch ein Anrecht darauf. Aber ich bekomme keinen. Also: SHITSTORM!!!

Ein Freund von mir aus Unizeiten war ein äußert aufgeweckter, aktiver und vor allem sozialer Typ. Er war es, der die Leute im Freundeskreis immer wieder mobilisierte, tolle Partys zu organisieren und Ausflüge zu machen. Unter anderem organisierte er eine Surffreizeit. Eine Woche Fehmarn mit Anreise, Unterkunft und Surfkursen. (Er ist Surfer). Er steckte viel Arbeit da rein, gab sich Mühe, achtete mit viel Liebe auf jedes Detail. Er wollte, dass es toll wird. Für ihn, für uns, für alle.

Er tat das zweimal. Unentgeltlich. Für den Spaß und für die Freunde. Aber irgendwann hatte er keine Lust mehr. „Die anderen sollen auch mal was machen.„, sagte er. „Immer bleibt alles an mir hängen.“ Und: „Wenn die Leute es wenigstens zu schätzen wüssten, wenn sie sich bedanken würden.“ Er war frustriert.

Es war keineswegs so, dass er keinen Spaß hatte. Es bedeutete alles für ihn und er ging völlig darin auf, das zu tun, was er tat. Der Frust war etwas Äußerliches. Das Gefühl trat hinzu, weil eine gewisse Vorstellung von Gerechtigkeit nicht erfüllt war und nachträglich an ihm nagte. Er hatte sich verausgabt um zu geben, er hatte während des Gebens auch nicht damit gerechnet etwas zurück zu bekommen. Aber dann, danach, saß er im stillen Kämmerlein und machte die Rechnung auf. Sie wies eindeutig aus, dass die anderen Ihm etwas schulden. Aber da kam nichts, jedenfalls nicht genug. Das, wofür er die die Fahrt eigentlich organisierte, für den Spaß seiner Freunde und den eignen, spielte auf einmal keine Rolle mehr. Er sagte weitere Fahrten ab. Ein nichterfülltes Gerechtigkeitsempfinden, war wichtiger als seine eigene Freude.

Stellen wir uns kurz vor, das BGE gäbe es bereits und es würde an jeden bedingungslos ausgezahlt. Die Kritiker warnen schon lange: dann arbeitet doch keiner mehr! Das ist sicher in dieser Pauschalität falsch. Es gibt heute schon viele, die sich ehrenamtlich betätigen. Mein Freund ist ein Beispiel und auch ich würde dem, was ich tue, nur um so befreiter nachgehen, hätte ich ein Einkommen. Sicher ist aber auch: ja, es wird Leute geben, die dann gar nichts produktives mehr machen. Keiner weiß wie viele es sein werden, aber es wird sie sicher geben.

Wir haben dann also zwei Gruppen von Leuten: Die, die trotz BGE arbeiten und die, die es nicht mehr tun. Viele von denen, die trotzdem arbeiten, werden aber dennoch kaum mehr bekommen, als das reine BGE. Ich zum Beispiel.

Das vorherrschende Gerechtigkeitsempfinden – also das, was mir bei der @hoch21-Aktion ins Gesicht geschmiert wurde – besagt, dass ein sofortiger und umfassenden Shitstorm der BGE-Arbeiter-aber-Wenigverdiener ob der Ungerechtigkeit gegenüber den „faulen XY“ (man wird sicher ein herabwürdigendes Wort für sie finden) hereinbrechen wird. Wenn sich das in einen politischen Diskurs übersetzt, dann wird man vermutlich versuchen, durchzusetzen, dass nichtarbeitenden BGE-Beziehern irgendwelche Repressalien zugute kommen. Ich bin mir nicht sicher, aber derzeit würde ich sagen, dass eben dieses Gerechtigkeitsempfinden in Deutschland eine Mehrheit finden würde. Und weg ist die „Bedingungslosigkeit“.

Gerechtigkeit strebt nach Ausgleich. Grundsätzlich will diese Ethik allen das Selbe geben, allerdings mit Ausnahmen. Die Wichtigste ist: Leistung. Wir haben uns eine Idee von Leistung zurechtfabuliert, die uns und unsere Lage als das Produkt unserer Handlungen darstellt. Wenn es uns also schlecht geht, dann haben wir nicht geleistet. Und wenn wir nicht geleistet haben, dann macht es auch nichts, dass es uns schlecht geht. Schließlich lernen wir daraus und strengen uns das nächste mal mehr an.

Ob man es glaubt, oder nicht: es gibt keine Partei, bei der nicht ähnliches Denken vorherrschen würde. Ganz sicher aber bei FDP, Grüne, CDU und vor allem auch bei der SPD. Lediglich bei den Linken, gibt es zarte Ansätze, gegen diese Logik.

Die zweite wichtige Ausnahme ist Bedürftigkeit. Wenn es mir sichtlich schlecht geht, wenn ich existentielle Not leide, dann wird es als gerecht empfunden, mich über Wasser zu halten. Über wasser. Mit der Unterlippe. Aber keinen Zentimeter höher!

Diese Verteilungsethik nennt man in gewissen Kreisen (ich glaube, unter analytischen Philosophen) egalitäre Verteilungsmoral. Das hört sich erstmal komisch an, angesichts der Ungleichverteilung in unserer Gesellschaft, aber die oben genannten Ausnahmen sind nun mal extrem wirkmächtig. Und auch wenn derzeit viele auf die Straße gehen, um für mehr „Gerechtigkeit“ zu demonstrieren, wollen sie damit keinesfalls aus dieser Verteilungslogik ausbrechen, sondern nur die Parameter anpassen: zum Beispiel „Leistung“ anders bemessen und die „Bedürftigkeit“ stärker hervorheben.

Meine Ethik ist eher die einer anti-egalitären Verteilungsethik. Ich glaube weder an den Sinn noch an die Notwendigkeit von Gleichverteilung. Es ist mir auch egal, ob es eine gute Begründung hat, dass A mehr hat, als B. Was ist will, ist, dass A und B genug haben, um sich keine Sorgen machen zu müssen.

Ich glaube, es ist nicht zu letzt genau die Frage nach der eigenen Verteilungsethik, die bestimmt, wie man zum BGE steht. Das BGE schafft einen Sockel der Möglichkeiten, eine Plattform im Sinne der Plattformneutralität. Was auf diesem Sockel passiert, soll nicht weiter reguliert werden. Das BGE ist somit anti-egalitär, ich würde sogar sagen: postgerecht. Es ist eine Umverteilung, die sich nicht an irgendwelchen abstrakten Prinzipien, sondern an den Bedürfnissen des Menschen orientiert. Während die Gerechtigkeit alle Menschen zueinander ins Verhältnis und somit in eine Konkurrenzsituation setzt, will die Postgerechtigkeit die Menschen davon befreien.

Ich glaube also, dass es an der Zeit ist, die Gerechtigkeit zu überwinden. Und zwar als tief empfundene Überzeugung nicht mehr nach Ausgleich streben, sondern danach, dass jeder – absolut jeder – einigermaßen sorgenfrei leben kann und teil haben kann, am großen Gespräch, in die sich unsere Welt verwandelt. Leider ist das vermutlich schwieriger, als ein Finanzierungskonzept für das BGE zu finden. Die Ideologie der Gerechtigkeit sitzt tief in den Köpfen und es wird lange dauern, bis ein Großteil der Menschen bereit dafür ist.