Bild: Tillmann AllmerGestern hatte ich mit Max bei Wir müssen reden mal wieder eine etwas heftigere Diskussion. Es ging um Eigentum, geistiges wie das an Dingen. Ich habe die These vertreten, dass nicht nur das geistige Eigentum in der Krise ist, sondern auch das herkömmliche immer mehr an Bedeutung verliert. Max widerspricht mir in beiden Punkten. Ich fürchte auch, dass ich meinen Punkt nicht ganz klar machen konnte, bzw. ich merke, dass der Gedankengang doch gar nicht so trivial ist und eine gewisse Herleitung braucht. Jedenfalls dort, wo ich von einem Bedeutungsverlust von normalen Eigentum rede. Deswegen hier nochmal ein Erklärungsversuch. (Geistiges Eigentum / Urheberrecht lass ich hier mal absichtlich außen vor.)
Zunächst ein paar obligatorische dontgetmewrong-Worte: Natürlich gibt es Eigentum. Mehr und vielfältiger und umfassender denn je. Eigentum ist die Grundlage des Kapitalismus und diese Grundlage ist mächtiger und dominanter als je zuvor. Nie war Eigentum rentabler, nie war Eigentum entscheidender für die eigene ökonomische Situation. Das alles will ich gar nicht bestreiten, im Gegenteil – ich komme darauf zurück.
Ich will aber kurz den Blick weg von den durchaus wichtigen Macht- und Verteilungsfragen auf den rein funktionalen Aspekt von Eigentum lenken. Eigentum ist vor allem ein Prinzip, mit dem wir Ressourcen verteilen. Eigentum ist ein Rechtstitel. Im Gegensatz zum Besitz, der nur anzeigt, wer gerade über eine Sache verfügt, ist das Eigentum einklagbar. Mit anderen Worten, um Eigentum auf einem System zum laufen zu bringen, braucht es erstmal einen Staat mit Gewaltmonopol und eine Justiz. (Diese Vorgänge werden sehr gut und anschaulich beschrieben in „Eigentum, Zins Geld“ von Gunnar Heinsohn und Otto Steiger.) Es grenzt sich deswegen vor allem gegen das feudale Distributions-Prinzip (Gewalt und Erbfolge) ab, wo man eben das Land besaß, dass man verteidigen konnte. Und Ansgar Heveling hat nicht völlig Unrecht, wenn er im Eigentum die Grundlage der bürgerlichen Gesellschaft sieht.
Wichtig ist: Eigentum hat also eine funktionale Dimension und somit eine Aufgabe in der Gesellschaft. Eigentum ist die grundlegendste Basis auf der wir klären, wer etwas nutzen darf, also wie wir vorhandene Ressourcen verteilen. Es ist – wie ich finde – auch ein besseres System als der Feudalismus, der diese Fragen mit Kriegen und Erbfolgen regelte. Doch: ist es auch heute noch gut genug?
Vorestern wurde ich von einem Journalisten des Bayerischen Rundfunks interviewt (Sendung kommt wohl nächste Woche) und zwar über „mein Leben in der Cloud“. Ich hatte mal einen Artikel über mein digitales Nomadentum geschrieben, weswegen er auf mich kam. Mein Leben kann man mit einiger Berechtigung als „Postmateriell“ bezeichnen. Ich besitze sehr wenig Gegenstände und das auch freiwillig und bewusst. Nicht weil ich so ein konsumkritischer Geist wäre (absolut nicht), sondern weil sich Eigentum nicht besonders gut anfühlt. All die Dinge, die ich besitze, fesseln mich an einen Ort, machen mich weniger flexibel, schränken mich in meiner Bewegungsfreiheit ein. Jedenfalls gefühlt und fühlen tu ich das immer, wenn ich meine materielle Welt mit der im Netz vergleiche.
Wenn ich es radikal durchdenke, brauche ich einen Rechner, ein Smartphone und ein Platz zum schlafen. Der Rest ist in der Cloud. All meine Informationen, meine Musik, meine Bücher, meine Freunde, meine Lebensstil, meine Identität. Identität – das ist sicher ein wesentlicher Punkt – hat sich immer gerne an Einrichtungs- und sonstigen Gegenständen festgemacht. Das tue ich nicht mehr. Ich wohne in einer 30qm-Bude und wenn ich Leute empfange, dann in meinem Lieblingscafe um die Ecke. Identität geht im Internet viel besser.
Jetzt schreien wieder einige, ich wolle meinen Lebensstil als Grundlage der Gesellschaft festlegen. Nein, ich weiß, dass ich da gewisser Maßen einen Radikalentwurf lebe. Ganz und gar nicht besonders ist aber, dass ich beispielsweise zur Miete wohne. Das geht den meisten Menschen so, jedenfalls in Deutschland. Klar. Es gibt nach wie vor diesen bürgerlichen Traum von „was eigenes“, aber ich habe den Eindruck, dass sich immer mehr Menschen mit dem „zur Miete wohnen“ nicht nur arrangieren, sondern dessen Vorteile nicht mehr missen wollen. In Spanien sind die Jugendlichen unter anderem deswegen so frustriert, weil die Jugendarbeitslosigkeit für sie gleichzeitig bedeutet, dass sie nicht von zuhause ausziehen können. Es gibt dort nämlich fast gar keinen Mietmarkt, sondern nur Eigentum. Und ohne Arbeit keinen Kredit, ohne Kredit keine Eigentumswohnung, ohne Eigentumswohnung streckt man die Füße halt unter Mamas Tisch.
Bei genauerer Betrachtung stellt sich also heraus, dass der Mietmarkt viel schneller und flexibler auf individuelle Bedürfnisse reagieren kann, als der Eigentumswohnungsmarkt. Der Mietmarkt ist die effizientere Strategie, die Ressourcen (vorhandener Wohnraum) schnell und passgenau den Bedürfnissen der Individuen zuzuführen. Denn die sind immer schnelllebiger und mobiler und wechseln heute schnell man die Lebensituation, den lebensentwurf, den Job, den Partner, die Sexuelle Identität, whatsoever. Manche finden das schlimm, ich nenne das Freiheit. Die Menschen sind freier in ihrer Lebensgestaltung und in ihren Lebensentwürfen, wenn es einen Mietmarkt gibt.
Bereits um die Jahrtausendwende hat Jeremy Rfikin ein wichtiges Buch geschrieben: Access. Er macht darin die Beobachtung, dass sich in unserem everydaylife das Eigentum nach und nach verabschiedet und durch Miet- und Zugangsbezahlmodelle ersetzt wird. Das heißt, es geht immer weniger darum, Eigentum zu kaufen und zu verkaufen, sondern darum, Zugang zu Ressourcen zu vermieten – Access eben. Er beizieht das natürlich auf das gerade heranrollende Internet und damit auf den Zugang zu Informationen. Lizenzmodelle bei kulturellen Gütern, aber auch all die anderen Märkte, die von Eigentumsbasierten Verteilungsformen zu zugangsorientierten Verteilungsformen wandeln, sind sein Thema.
Er sieht diese Entwicklung zunächst erstmal recht kritisch, zeigt die Gefahren auf, leider kaum die Vorteile. (Die da zb. wären, dass es enorm viel mehr Menschen ermöglicht, an Kultur und Wissen zu partizipieren) Und leider analysiert er diese Verschiebung so gut wie gar nicht. Rifkin hat eine wichtige Beobachtung gemacht, er hat sie aber nicht verstanden. Denn dass zugangsorientierte Verteilung immer weiter um sich greift, ist nicht Zufall, sondern hat seinen Grund.
Dadurch, dass wir immer bessere Kommunikationsmedien haben, sinken die Transaktionskosten für die Ressourcenverteilung. Eigentum ist in Sachen Transkationskosten immer schon ein effizientes Modell gewesen. Man legt es einmal fest und dann bleibt es in dem Zustand, es sei denn man verkauft es weiter. Eine Sache zu mieten ist sehr viel komplizierter. Dadurch, dass das Verhältnis von vornherein befristet ist, gibt keine Sicherheit, wer die Sache verwenden kann. Auch, dass zwei Parteien nun gleichzeitig Rechte an einer Sache haben, verkompliziert alles. Rechte und Pflichten müssen bilateral ausgehandelt werden. Wenn ein Mieter abspringt, muss ein neuer gefunden werden und die Aushandlungsprozesse beginnen von neuem, etc.
Sprich: in vielen Bereichen lohnt sich das Mietmodell nicht besonders gut. Bei Wohneigentum hatten wir eine recht frühe Entwicklung hin zum Mietmarkt. Natürlich vor allem, weil Wohnraum so grundlegend ist und das Mietenmodell schnell rentabel werden kann. Aber auch dadurch, dass durch das Mietrecht viel vereinfacht wurde, und sich Standardmietverträge durchsetzen konnten. Außerdem haben sich die Zwischenhändler wie Makler und Wohnungsgesellschaften etabliert, an die man die Transaktionskosten outsourcen konnte. Und wir sind hier nicht am Ende: gerade sehen wir, wie sich der Mietmarkt weiter liberalisiert – und zwar durch das Internet. Hotelartige Mietmodelle werden auf einmal für jeden möglich über Plattformen wie 9Flats und airbnb und Couchsurfingcommunities. Sie alle reduzieren die Transaktionskosten für die gegenseitige Vermittlung und Aushandlung von Wohnraumverteilung, so dass immer volatilere Mietmodelle rausspringen.
Das Internet und die begleitenden Technologien sind gerade auch dabei einen anderen Markt zu einem Mietmarkt umzugestalten. Ein Auto war immer etwas, was man selbst besaß. In den Städten können wir aber sehen, dass immer mehr Carsharing-Dienste auftauchen. Mietautos gibt es ja schon länger, aber die hat man nicht für eine Stunde ausleihen können. Das hätte sich nicht gelohnt, weder für den Mieter, der auf gut Glück zum Vermieter kommen muss, noch für den Vermieter, der jedesmal viel Verwaltungs- und Kontrollkram abwickeln muss, wenn ein Auto rein oder raus geht. Durch das Internet kann ich nun aber sofort erfahren, welcher Wagen frei ist und wo er steht. Ein Klick und ich hab ihn gebucht – für ein, zwei Stunden. Der Vermieter sieht immer wer gerade welchen Wagen wo fährt, automatisch. Durch die Reduzierung der Transaktionskosten im Internet werden solche Modelle immer attraktiver. Und irgendjemand hat mal ausgerechnet, dass wir mit effizienten Carsharingmodellen die Innenstädte von 80% des herumstehenden Blechs befreien könnten, ohne dass jemand Mobilitätseinbußen hinnehmen müsste.
Wir sehen also, dass in unserem Leben das Ressourcen-Verteilungsmodell über Eigentum immer mehr an – zumindest funktionaler – Bedeutung verliert und dass das seine guten Gründe hat. Wir können Bedürfnisse und Ressourcen durch Zugangsmodelle und mithilfe der Kommunikationstechnologie viel feingranularer und schneller aufeinander abstimmen und auf Bedürfnisse gezielter reagieren. Und ich finde das etwas gutes und ich möchte das nicht mehr missen. Ich finde, das ist die Zukunft, die wir anstreben sollten, aus ökologischen Gründen ebenso, wie aus freiheitlichen.
Nun müssen wir aber einräumen, dass unterhalb dieser Oberfläche auf der wir so wunderbar eigentumslos dahingleiten, es nach wie vor diesen Eigentumslayer noch gibt. Nur weil wir damit nicht in Berührung kommen (Ich weiß nicht, wem das Haus gehört, in dem ich wohne und es interessiert mich auch nicht), heißt es nicht, dass da kein Eigentum am Werkt ist. Im Gegenteil. Den Eigentümern geht es bei dieser Entwicklung ganz und gar prima, denn sie bekommen fast die gesamte Rendite, von diesen Effizienzsteigerungen. Überall wo durch technologischen Produktivitätsgewinn ein Arbeitsplatz eingespart wird, freut sich der Kapitalist, denn es ist seine Rendite. Und das beste: er muss dafür keinen Finger krumm machen!
Nehmen wir den Hauseigentümer. Früher kümmerte es sich noch selbst um seine Mieter, suchte sie aus, sorgte für ihre Zufriedenheit und kümmerte sich um das Haus. All das hat er jetzt in den Wohnungsverwaltungslayer ausgelagert. Er muss sich um nichts kümmern. So wenig wie ich ihn kenne, kennt er mich. Mit anderen Worten, er ist von allen Pflichten eines Eigentümers befreit, kassiert nur noch die Rendite. Und wenn die Wohnungsgesellschaft durch wohnungsvermittelnde Internetportale effizienter Mieter findet, dann ist er es, der diesen Produktivitätsgewinn einstreicht. Ohne, dass er sich überhaupt um irgendetwas nur noch kümmern müsste. Oder andersherum gesagt: er hat für die gesamte Verteilungsfunktionalität des Systems keinen Nutzen mehr, sondern fällt ihm nur – und zwar erheblich – auf die Tasche.
Der Eigentümer ist in dieser schönen neuen Welt der nutzlose Parasit. Er hat sich längst von jeglicher Aufgabe befreit, er spielt in dem System keine Rolle mehr. Aber er ist es, der am meisten von ihm profitiert. Und wenn man sich also das System und wo es hinführt auf diese Weise anschaut, dann kommt das System Eigentum also in erhebliche Legitimationsnot. Und ich bin sogar der Überzeugung, dass viele der Turbulenzen an den Finanzmärkten mit genau dieser Entwicklung zu tun haben. Dass eine kleine Klasse von wenigen Besitzenden aber nicht produktiven Menschen gibt, die Produktivitätsrenditen einseitig absaugen – dahin wo sie nutzlos sind – und so Ressourcen blockieren.
Die einzig verbleibende Funktion von privatem Eigentum ist die Investition. Und die funktioniert immer schlechter und führt zu enormen Ungleichgewichten.
Ich glaube also, dass wir Eigentum funktional in Zukunft nicht mehr brauchen. Es war mal eine effiziente und sogar emanzipative (verglichen mit dem vorher vorherrschenden Feudalismus) Ressourcenverteilungsstrategie, aber sie ist ganz offensichtlich überholt. Alles, wozu Eigentum gut ist wird mehr und mehr auf einem neuen Abstraktionslayer besser und effizienter abgebildet. Und so wie die Gesellschaft damals die immer mehr nur noch zu last fallenden Feudalherren loswerden musste, wird es dereinst unsere Aufgabe sein, die Eigentümer loszuwerden. Ansgar Heveling ist einer, der das begriffen hat – zumindest ahnt er es. Und er hat Angst. Zu recht.