Ich habe ein da paar Punkte anzumerken zu Deinem … Bekenntnis.
Erstens: Ich muss das jetzt mal aussprechen, auch wenn das vielleicht einige Gefühle verletzt: Nein, das Internet ist nicht kaputt. Die Katzengifs sind noch da, wo sie hingehören. Ich lerne immer noch spannende Menschen über das Netz kennen, führe dort gute Diskussionen und kann immer noch schnell und unkompliziert Dinge bestellen. Auf Facebook wird sich immer noch zum Eisessen, Feiern oder zu Demonstrationen und Revolutionen verabredet. Mein Internet ist jedenfalls noch heile. Gut, manchmal ist es ein bisschen langsam, das nervt, aber das liegt nicht an der NSA.
Ich verstehe Deine Verletztheit und deinen Ärger. Aber die meisten Dinge, die wir im Internet tun, funktionieren auch dann noch, wenn die NSA dabei zuschaut. Und ja, das ist einer der Gründe, warum keiner auf die Straße geht. Wenn Youtube bedroht ist, wie durch ACTA, dann werden die Leute sauer. Ohne Youtube is scheiße, dann geht man auf die Straße. Aber es gibt wenig Hinweise zu glauben, dass schwarze Hubschrauber im Vorgarten landen, weil man eine falsche E-Mail geschrieben hat.
Und wo wir dabei sind: Vergleiche. »Kränkung der Menschheit« durch Internetüberwachung? Der Vergleich des überwachten Internets mit dem Massenmord an der Urbevölkerung Amerikas? Srsly? Geht‘s auch ne Stufe drunter? Komm mal runter, ey! Wir leben seit 10 Jahren mit der Überwachung. Dass wir mit ihr leben können ist keine Frage, sondern ein empirisch bewiesener Fakt.
Vielleicht ist das wichtigste, was wir jetzt tun sollten, erstmal mal runter zu kommen von diesem Gruseltripp auf den uns Snowden geschickt hat und uns ganz rational überlegen, was da eigentlich passiert und wo die wirklichen Bedrohungszenarien dabei liegen. Das geht zum Beispiel, indem man sich noch mal den Überwachungsbegriff nüchtern anschaut und qualifiziert, wie ich es schon mal begonnen habe.
Zweitens: Du hast das Internet falsch eingeschätzt, sagst Du? Wenn Du gedacht hast, dass die auch von Dir viel gepriesene Offenheit des Netzes nicht dazu führt, dass auch jeder mitlesen kann, dann war das in der Tat eine fatale Fehleinschätzung. Und ich finde es gut, dass Du gedenkst, sie zu revidieren.
Wenn Du aber schreibst, dass das Internet zwar kaputt sei, aber die Idee der digitalen Vernetzung eben nicht, dann merke ich einfach, dass Du das Problem immer noch nicht durchdrungen hast. Lass mich etwas ausholen:
Wenn zwei Menschen sich bereits kennen und sich vertrauen, können Sie ihre Public Keys austauschen und verschlüsselt kommunizieren. Ich vermute aber, dass Du mit „digitaler Vernetzung“ etwas anderes meinst. Das Wunder der digitalen Vernetzung findet dann statt, wenn einander völlig unbekannte Menschen sich finden. Wenn sie aufeinander stoßen, weil sie die selbe Leidenschaft teilen, weil sie sich in ihrer Empörung über die Zustände zusammenfinden, weil sie diese eine spezielle sexuelle Vorliebe teilen, oder weil sie spannende Ansichten haben, die sie ausdiskutieren wollen, nein müssen, weil: there’s someone wrong on the internet! Das Sich-finden und Vernetzen von einander Unbekannten durch Wünsche, Interessen und sonstiger Eigenschaften – diese Idee der digitalen Vernetzung geht nur in einer offenen Infrastruktur, mit Menschen, die ihre Wünsche, Interessen und sonstigen Eigenschaften offen kommunizieren, sie geht nur mithilfe von indizierenden Algorithmen und großen Datenbanken, sie geht nur mit mächtigen Abfragesystemen, die diese Unbekannten finden und ja, vernetzen. Und es gibt kein anderes denkbares Tool, das dieses Wunder ähnlich toll vollbringen könnte wie das Internet es täglich tut und gleichzeitig abhörsicher gegen Dritte ist. No. Fucking. Way.
Das Internet ist eine so effektive Vernetzungsmaschine, dass man sich nicht immer aussuchen kann, mit wem sie einen vernetzt. Zum Beispiel mit der NSA. Und die Kränkungen, von der Du sprichst, wird anhalten, solange das nicht begriffen wird.
Natürlich hat auch mich das Ausmaß der Ausnutzung dieses Kontrollverlusts durch die Geheimdienste überrascht. Natürlich stehe ich auch staunend vor dieser übermächtigen Kulisse und bekomme den Mund nicht zu. Und auch ich habe dazugelernt. Ich habe zwar nie etwas gegen Crypto gesagt aber die Wichtigkeit, jedem die Möglichkeit einzuräumen, verschlüsselt zu kommunizieren, ist mir erst seit Snowden wirklich bewusst geworden. Gleichzeitig ist mir aber auch klar geworden, dass Crypto uns nicht retten wird. Vor allem wird Crypto nicht die Idee der digitalen Vernetzung retten.
Drittens: Das heißt nicht, dass die NSA nicht bekämpft werden muss. Man sollte sich nur die richtigen Ziele setzen und die richtigen Methoden wählen. Vor allem sollte man klar ausmachen, wer der Gegner ist.
- Der Gegner ist der Staat und nicht, wie die FAZ ständig abzulenken versucht, die Unternehmen. Jeder Geheimdienst ist ein zusätzliches Überwachungsproblem in jedem Land. Die Geheimdienste sind international vernetzt und kooperieren, wann immer es ihnen in den Kram passt. Mehr Mittel für die Geheimdienste? Not so much, lieber Sascha.
- Natürlich kann man gegen die Überwachung ankämpfen. Es lässt sich aber meines Erachtens kein technisches oder politisches Szenario vorstellen, bei dem der Überwachung effektiv Einhalt geboten wird. Es lässt sich aber sehr wohl für transparentere Prozesse in Geheimdiensten einsetzen. Es lässt sich gut für besseren Whistleblowerschutz einsetzen. Man kann die Geheimdienste gegenüberwachen. In den USA kann man für eine Reform des unsäglichen FISA kämpfen. Es lässt sich für mehr Geheimdienstkontrolle kämpfen oder für die Beschneidung von Budges und Kompetenzen. Jeder Euro und Dollar, der – weltweit – nicht in Geheimdienste fließt, hilft die Überwachung einzuschränken oder zumindest nicht schlimmer werden zu lassen. Aber los werden wir die Überwachung nicht mehr.
- Und deswegen werde ich nicht mit dir in den aussichtslosen Kampf ziehen, denn im Gegensatz zum Kampf gegen den Hunger, den Du als mal wieder unpassenden Vergleich anführst – der immer wieder einzelne Menschen vor dem Tod bewahrt – bringt dieser Kampf hier niemanden weiter. Im Gegenteil. Er lenkt uns ab von den Kämpfen, die nicht nur gewonnen werden können, sondern wo konkrete Freiheiten auf dem Spiel stehen: Ohne Netzneutralität werden wir die Meinungsgleichwertigkeit im Netz verlieren, die Vorratsdatenspeicherung bringt uns vielleicht wirklich das BKA ins Schlafzimmer, das Urheberrecht schränkt die Leute tagtäglich wirklich in ihren Freiheiten ein, bedroht sie nicht selten existentiell und aus Brüssel dräut noch viel schlimmeres Ungemach.
Viertens: Politik, Wirtschaft und Netzgemeinde sind also gekränkt, wie du schreibst – ich würde eher sagen: »verletzt«, denn ich will das gar nicht abstreiten. Und wie ich schrieb, werden sie immer wieder verletzt werden, solange sie mit den falschen Mitteln und den falschen Erwartungen gegen die falschen Gegner ziehen. Solange man nicht seine Strategien am neuen Spiel ausgerichtet hat, dessen erste und wichtigste Regel ist: »Man kann das Spiel nicht gegen den Kontrollverlust gewinnen.« Wer seine Strategie darauf aufbaut, den Kontrollverlust wieder eindämmen zu können, hat keine Strategie.
- Die internationale Politik ist dem Überwachungsregime übermächtiger Geheimdienste schutzlos ausgeliefert? Geheime Absprachen funktionieren also nicht mehr? Hatten wir das nicht schon 2010, nach der Veröffentlichung der »diplomatic Cables« durch Wikileaks? Die Politik der Hinterzimmer ist vorbei! Wer sich in intransparente Verfahren begibt, ist denjenigen ausgeliefert, die sich die größten Informationsvorsprünge erschleichen können. Eine transparente Politik ist keine neue Forderung. Aber in der Zeit nach Snowden wird sie existentiell. Auch Politiker müssen transparenter werden. Ja, auch privat. Es darf nicht sein, dass Politiker durch Geheimdiensten erpressbar sind. Besser die Presse berichtet, als dass der GCHQ diese Information exklusiv hat. Ja, Politiker müssen Post-Privacy werden.
- Die Wirtschaft wird ausspioniert? Geistiges Eigentum entwendet, internationale Ausschreibungen werden erschlichen? Dann funktionieren die Konzepte Geistiges Eigentum und internationale Ausschreibungen eben nicht mehr. Es ist ja nicht so, als sei das ein neues Problem. Die Musikbranche arbeitet sich seit fast 20 Jahren durch diesen Transformationsprozess. Die Zeitungsbranche ist mittendrin und die Buchbranche hat noch nicht ganz begriffen, dass sie ebenfalls ihre Strategien anpassen muss. Nun ist das Problem des Kontrollverlusts durch die NSA eben auch bei den Großen angekommen. Die Piraten sind diesmal nicht irgendwelche Kids mit DSL, sondern Boeing, Chrysler und Halliburton und ihr Bittorrentclient heißt NSA. Natürlich wird das zu Disruptionen führen. So lange, bis verstanden wurde, dass das Geheimhalten und Zurückhalten von Informationen, Technologien oder Verhandlungsspielräumen als Strategie nicht mehr funktioniert.
- Auch die Netzgemeinde ist verletzt, das stimmt. Aber Du überträgst Deinen Fehler, die Überwachungsmöglichkeiten des Netzes nicht gesehen und thematisiert zu haben, auf die Netzszene. Das ist unfair. Keine gesellschaftliche Gruppe hat ausdauernder und deutlicher vor der Massenüberwachung durch digitale Technologien gewarnt. Natürlich gilt, dass das Ausmaß und die Ruchlosigkeit von niemandem korrekt eingeschätzt wurde, aber am korrektesten doch wohl von der Hacker- und Netzszene.
Dennoch ist die Verletztheit spürbar. Besonders auf dem Chaos Communication Congress schwebte sie im Raum. Die Commmunity ist zusammengerückt. Trotz Besucherrekord war es der kuscheligste und heimeligste Kongress, auf dem ich bislang war. Auch die Talks, vor allem die über die Geheimdienste, waren getragen von einer aufbrausenden Emotionalität. Sie mündeten oft in Brandreden und pathetischen Selbstvergewisserungen. Die Hacker, so hatte ich den Eindruck, fühlen sich in ihrem ganzen Selbstverständnis angegriffen. Die Wunden liegen offen und werden einander vorsichtig geleckt.
Das Eingeständnis der eigenen Hilflosigkeit steht aber noch aus. Die Erkenntnis wird vermutlich hart. So hart, wie sie glaubten, dass die Grundrechte seien. So hart wie man sich die »Informationelle Selbstbestimmung« vorstellte, dieses falsche Versprechen der deutschen Gesetzgebung. Diejenigen, die diese Rechte schützen sollten, sind diejenigen, die sie im Zweifel mit Füßen treten.
Fünftens und letztens: Die ganze Aktion stinkt! Schon die Vorabmeldung der FAZ macht klar, dass es hier nicht um einen Debattenbeitrag geht. Es geht um die Trophäe Sascha Lobo. »Schaut her. DER deutsche Internetguru höchstpersönlich hat die Seiten gewechselt. Hier sein Widerruf!« Du gestehst mir zu, dass sich mir bei dieser Aufführung des Gangs nach Canossa der Magen umdreht.
Es tut mir weh – ja, hier bin ich verletzt – Dich so zu sehen. Du warst mal ein Vorbild in vielerlei Hinsicht. Ein Rolemodel, ein Ideengeber und Vordenker. Ich habe Deine Autorität in Netzfragen immer wieder überall verteidigt. Aber jetzt ist Deine Emotionalität mit Dir durchgegangen und du hast Dich verrannt.
Mag sein, dass Dein Text ambivalent interpretierbar ist. Er hat aber auch nicht genügend Substanz, um sich gegen eine solche Instrumentalisierung zu wehren. Er verkommt zum Beiwerk und zum Stichwortgeber der Kampagne, mit der die FAZ ihre Agenda für ein durchreguliertes Schlandnet durchsetzen will. Und natürlich war Dir das als der absolute Medienprofi, der Du nun mal bist, auch absolut bewusst. Ein paar knallige Aussagen zum Vorabzitieren, der Rest wabert im Ungefähren.
Auch ich weiß nicht, was Du meinst, mit Deinen fabulösen Forderungen nach einem neuen Internetoptimismus. Erneuerungen von unhaltbaren Versprechen oder einen echten Neuanfang? Ich weiß nicht, was du meinst, wenn du von Dezentralisierung sprichst. Dezenztralisierung von was? Meinst Du die Renationalisiuerung des Netzes, wie Deine neuen Freunde oder wirkliche distributed Open Source-Lösungen? Welche? Und was willst Du damit erreichen?
Lieber Sascha, Du wirst in Zukunft konkreter werden müssen in Deinen Forderungen – auch damit ich sehen kann, ob wir überhaupt noch auf der selben Seite stehen.

