Dies ist eine kleine privatempirische Beobachtung, die ich aber sowohl küchenpsychologisch sowie mit meiner speziellen Wald und Wiesen Ethnorgraphie untermauern kann. Und weil ich das finde und weil ich das kann, schreib ich sie hier mal auf, meine kleine Nerdologie.
Ich bin ja irgendwie selber Teil der Nerdkultur und irgendwie auch nicht. Ich fühle mich regelmäßig davon angezogen und abgestoßen. Gleichzeitig. Ich versuche mich gelegentlich abzugrenzen, was mir aber nicht glaubwürdig gelingt, denn ich liebe die Nerdkultur und sie geht mir auf die Nerven – ich finde sie jedenfalls spannender als alle anderen Kulturen, wenn man das so sagen kann. Als wüsste man was das ist: Kultur – und ja, das sage ich, als Kulturwissenschaftler.
Jedenfalls ist mir aufgefallen, dass sie zwei Seiten hat, diese Nerdkultur. Naja, ich bin vorsichtig: die hat mindestens zwei Seiten, vielleicht auch mehr, aber zwei Seiten habe ich identifizieren können. Und witziger Weise lassen sich diese beiden Seiten mit den zwei wichtigesten Zahlen der Nerdkultur in Verbindung bringen: 23 und 42.
23
23 ist die Zahl der Illuminati. In dem dreiteiligen Roman Illuminatus von Robert Shea und Robert Anton Wilson wird diese Geheimloge beschrieben. Die Illuninati operieren im Untergrund, sie unterwandern Regierungen, planen Attentate und Revolutionen. Nichts passiert durch Zufall auf der Welt, hinter allem stecken die Illunimati. Und die 23 zeigt es an. Das Datum, die Anzahl der Opfer oder Stockwerke, die Außentemperatur, irgendwo ist sie immer versteckt, die 23. Und wenn nicht, so soch wenigstens ihre Quersumme 5.
Karl Koch, einer der Hacker, die in den 80ern in die Rechner des Pentagon eindrangen und vom KGB bezahlt wurden, verfiel dieser Verschwörungstheorie im Rausch von Drogen und Größenwahn. Er witterte überall Verrat, Überwachung und Verfolgung. Er wurde zunehmend Paranoid. Am Ende begang er Selbstmord. Viele bezweifeln den Selbstmord allerdings. Waren es am Ende die Illuminati?
42
42 ist die Antwort auf all die Fragen nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest. Im Roman Per Anhalter durch die Galaxis von Douglas Adams rechnet ein unfassbarer Riesencomputer mehrere Millionen Jahre an dieser Antwort. Das Ergebnis ist natürlich für viele enttäuschend. Das liegt aber nur daran, dass wir die Frage zu der Antwort nicht kennen. Die aber muss ein noch viel größerer Riesencomputer errechnen. Und so fangen sie an, einen noch viel größeren Computer …
Douglas Adams Science Fiction Persiflage ist die Bibel der Nerdkultur. Unzählige Referenzen, Meme und Anspielungen haben sich tief in das kulturelle Gedächtnis gebort und hören nicht auf, immer neue Blüten zu tragen. Die 42 hat dabei eine Sonderrolle, denn sie thront als ironische Referenz der Allwissenheit über allem.
Wir haben also zwei Zahlen unterschiedlichen Ursprungs und diese beiden Zahlen drücken ganz unterschiedliche Haltungen aus. Ich behaupte nun, dass diese Zahlen zwei unterschiedliche Nerdtypen repräsentieren, die wir alle kennen und die aber durchaus sehr unterschiedlich sind, beinahe Gegensätze. Ich werde diese beiden Nerdtypen hier mal überspitzt gegenüberstellen.
Der 23-Nerd
Der 23-Nerd ist auf immer der Hut. Er geht selten raus, denn er mißtraut der Welt. Er weiß: die Welt ist böse. Er weiß, die da oben wollen nur sein Schlechtestes. Er glaubt nicht umbedingt an eine globale Verschwörung (oft aber doch) und trotzdem weiß er, dass sie hinter ihm her sind. Auf dem Rechner hat er nur Debian, weil die anderen Systeme unsichere Komponenten verwenden. Open Source ist Muss, denn er will jeden Systemcall beim Vornamen kennen. Das Web sitzt er aus („Setzt sich eh nicht durch!“). Überhaupt mißtraut er jeder neuen Technologie. Für ihn sind das erstmal Unterdrückungsinstrumente und erst wenn er – 15 Jahre später – selbst anfängt, sie zu nutzen („jetzt sind sie sicher!“) werden sie ihm zur Waffe. Zur Selbstverteidigung, natürlich und gegen die bösen da oben. Datenschutz ist ihm das A und O. Vertraulichkeit ist wichtig, Informationen im Netz findet man über ihn nicht und da ist er stolz drauf. Natürlich lacht er, wenn man ihn darauf anspricht, ob er einen Aluhut hat, aber nur kurz, dann wird er ernst, denn er hat tatsächlich mal drüber nachgedacht. Überhaupt ist Humor nicht so seine Stärke, aber es gibt ja auch nicht viel zu lachen auf dieser Welt.
Der 42-Nerd
Der 42-Nerd nimmt sich nicht ganz so ernst. Aber dann wieder doch. Es ist genau diese Mischung aus Ironie und Selbstüberschätzung, die ihn ausmacht. Er ist praktisch ständig auf der Suche nach der Weltformel und ist auch bereit ein weites Stück dafür zu gehen. Und so fahndet er nach dem neuesten Supercomputer. Er sammelt Gagets, wie ander Briefmarken. Aber anstatt sie einfach zu benutzen schraubt er sie auf, modfiziert er sie, Jailbreakt sie und bürstet sie gegen den Strich. Weil er es kann. Er liebt Technologie und er liebt es mit ihr rumzuspielen. Ihm macht es nichts, wenn etwas Beta ist, wenn ihm der Computer zum zehnten Mal abstürzt, denn er will der erste sein, der die neue Software testet. Wenn man ihm etwas neues in die Hand gibt, findet er sofort kreative Arten es zu verwenden und freut sich daran, wie ein Schneekönig. Er ist natürlich viel im Netz unterwegs. Nur dort wird seine unendliche Neugier – also seine Gier nach neuem – befriedigt. Er hat auf jeder Plattform einen Account und er kann nichts unausprobiert lassen. Er braucht den sozialen Ausstausch, alleine um immer genaustens informiert zu sein. Er ist ein Spielkind, durch und durch, er nimmt nichts ernst, lässt keine Autorität gelten, krempelt alles um und weiß immer alles besser.
Wer mich kennt, weiß schon, welche der beiden Seiten mir sympathischer ist, bzw. welcher ich mich selbst am ehesten zuordnen würde. Aber ich denke, es ist nicht so leicht, dass man jetzt durch die Nerdreihen schreiten könnte und die Leute einfach unterteilen kann. Ich glaube, in jedem Nerd wohnt sowohl die 23 als auch die 42, nur unterschiedlich stark ausgeprägt. Ich habe manchmal das Gefühl, dass in Deutschland die 23 überwiegt, in Silicon Valley eher die 42. Der Chaos Comminication Congress ist eher 23, die re:publica ist eher 42. Bre Pettis ist eher 42, Richard Stallmann ist eher 23. Und so weiter.
Ich glaube übrigens, obwohl ich selber so viel eher 42 bin, dass 23 wichtig ist und gut. Irgendwer sagte mal: Das Flugzeug wurde von Optimisten erfunden, der Fallschirm von Pessimisten. Die 23-Nerds ziehen alles immer wieder ein Stück zurück, insitieren auf Sicherheit, kühlen die Euphorie der 42er. Und das ist wahrscheinlich auch gut so. (Obwohl ich mir hierzulande dann doch deutlich mehr 42 wünsche!)