Herausgefallenes zum Herbst

Noch mal kurz vor der Bundestagswahl ein Update von so dies und das:

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Ist schon etwas her, aber ich habe ja auf der Openmind 13 im Rahmen eines Vortrags meine Idee der Plattformneutralität weiterentwickelt und vor allem gründlich ausdefiniert. Das ist alles sehr dicht, sehr komplex und ganz schön theoretisch anzuhören, aber bringt hoffentlich etwas Klarheit in den Diskurs. Mir jedenfalls hat die Vortragsvorbereitung sehr weiter geholfen:

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Erst vor kurzem war ich auf der OER Konferenz der Wikimedia Deutschland und habe dort einen Vortrag über meine Kritik an den CC-Lizenzen gehalten. Sehr viel kürzer und und hoffentlich prägnanter und mit Diskussion mit Mathias Schindler:

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Und außerdem ist heute endlich die Online-Version meines langen Prism/Kontrollverlustartikels bei der SPEX veröffentlich worden. Jetzt also für jeden zum anklicken, hier.

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Noch ein kurzer Veranstaltungshinweis. Ich werde am Dienstag am 24. bei der Social Media Week auf einem Podium zu PrivacyTags und Privatsphäre im öffentlichen Raum sitzen. Das ganze findet in der design akademie berlin am Oranienplatz um 12:15 statt.
(Und zwei Tage später am 26.09.13 um 16:30 bin ich dann in Erfurt bei der Veranstaltung „Das Ende der Privatsspäre?“ in der Evangelischen Akedemie. Aber das hatte ich ja schon angekündigt.)

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Ach, und ein letztes. Am Sonntag ist ja bekanntlich Bundestagswahl. Mir ist völlig egal, wen ihr wählt, ich glaube nicht, dass diese Wahl überhaupt einen Unterschied macht. Es sei denn, ihr wohnt in Neukölln. Wenn dem so ist, dann müsst ihr in jedem Fall mit der Erststimme Anne Helm (@seeroiberjenny) von den Piraten (hier der WMR mit ihr) wählen. Sie ist großartig, macht wirkliche gute politische Arbeit und sie würde im Bundestag in der Tat einen Unterschied machen. Sie hat außerdem gar keine so schlechten Aussichten, die Stimme ist auf keinen Fall verloren. (Disclaimer: jaja, ich gebe zu, ich bin mit ihr befreundet.)

Antikapitalismus

Ich halte mich für einen Antifaschisten, einen Antirassisten und einen Antimaskulinisten. Das liegt nicht nur daran, dass ich rundheraus ablehne, was Faschisten, Rassisten und Maskulinisten sagen und tun, sondern auch daran, dass ich mir sehr gut eine Welt ohne diese Leute und Einstellungen vorstellen kann und zwar eine bessere.

Wie viele Nazis braucht man um eine Glühbirne einzuschrauben?
Keinen. Niemand braucht Nazis!

Kann ich das selbe über den Kapitalismus sagen?

Wenn ich durch die Straße gehe, wenn ich meine Nudeln koche, wenn ich an die Wand meiner Wohnung klopfe und wenn ich in das Internet reinschreibe – dann muss ich zugeben, dass die Welt in der ich lebe ein Produkt des Kapitalismus ist. Kapitalismus ist nicht einfach eine blöde Einstellung, kein doofes Gesetz, das man abschaffen könnte oder eine Maschine, der man den Stecker ziehen kann. Kapitalismus ist alles was der Fall ist und das stellt mich vor ein Problem: Wenn ich ein Antikapitalist sein will, kann ich nicht einfach das Vorhandene negieren, ohne eine Vorstellung darüber in der Hinterhand zu haben, was es ersetzen soll.

Solche Vorstellungen gibt es. Der Kommunismus ist das prominenteste Beispiel. Der Kommunismus ist eine ziemlich krasse Utopie, die wohl erst dann funktioniert, wenn wir Eigentum auf allen Ebenen komplett abgeschafft haben und die Nationen mit ihren Grenzen und Regierungen gleich mit. Irgendwie müssen wir dann noch das mit der Tragedy of the Commons regeln und eine effiziente Ressourcenallokation installieren, aber das kann durchaus alles machbar sein. Allerdings long way to go. Irgendwie nicht so richtig vorstellbar innerhalb die nächsten 3 Generationen. Und um ganz ehrlich zu sein: So richtig überzeugt von der Notwendigkeit dieses Mammutprojektes bin ich nicht. Nein, nein, ich bin kein Kommunist.

Die Marx’sche Vorstellung, man müsse nur die Produktionsmittel verstaatlichen, dann würden sich die Klassen schon auflösen, ist eh in mehreren Experimenten fehlgeschlagen. Wir leben heute in einem Kapitalismus, der Staatseigentum kennt und ganz normal damit umgeht. Auch Kollektivgüter existieren heute friedlich und mit eigens dafür geschaffenen Gesetzen mitten in unserem Gesellschaftssystem und stellen es nicht in Frage, ja sie widersprechen ihm nicht mal. Der Kapitalismus kennt kein Außen und wenn er es kennenlernt, ist das Außen schwuppdiwupp integriert. 100 mal gesehen in der Geschichte. Ja ja, all das ist der Kapitalismus.

Und ich habe noch nicht die Hoffnung aufgegeben, den Kapitalismus los zu werden. Ich habe ja eine zeitlang über die Überwindung des Eigentumbegriffs aufgrund des digitalen Fortschritts nachgedacht, aber im Grunde enthielten die Überlegungen keine Abschaffung von Eigentum, sondern nur dessen Überformung mit einem neuen Layer. Gute Sache das, aber ja, ja, auch das ist noch der Kapitalismus.

Der Kapitalismus ist doch nun mal scheiße! höre ich die Leute rufen. Und es ist schwierig ihnen zu widersprechen. Da verhungern Menschen, während nebenan Milliardenbeträge in Hochöfen verbrannt werden. Die Verteilungsgerechtigkeit auf der Welt ist eine Katastrophe und die Machtungleichgewichte führen zu schlimmen – für tausende tödlichen – Verwerfungen. Der Regenwald wird abgeholzt, Arten sterben aus, der Klimawandel schreitet voran und trifft natürlich die Armen. Außerdem musste die Lieblingskneipe wegen Mietwahnsinn zu machen, ist Arbeiten scheiße und das iPhone zu teuer. Ich kann das alles nachvollziehen.

Und es gibt gute Forderungen dagegen. Finanzmarkt regulieren, Lebensmittelspekulationen verbieten, Klimaschutz, Mietpreisbindung, Entwicklungshilfe reformieren und aufstocken, Bedingungsloses Grundeinkommen einführen, etc. All das sind im Einzelnen sicher sinnvolle Forderungen und die Welt wäre eine bessere, wenn man sie umsetzte. Aber: Ja, ja, das wäre immer noch der Kapitalismus. Und ja, er wäre auch dann immer noch scheiße genug.

Vielleicht lasse ich mich ja noch von der Überlegenheit und Erreichbarkeit des Kommunismus überzeugen. Vielleicht kommt demnächst auch mal eine wirklich neue, geile Idee vorbei, die ein echtes Alternativkonzept zum Kapitalismus bietet, das mich überzeugt. Bis dahin kann ich mich aber besten Willen nicht „Antikapitalist“ nennen.

Netzgemeinde

Unter den vielen Ankackungen, die mein Artikel hervorruft, ist einer der wiederkehrendsten und inhaltsleersten der Verweis auf die Tatsache, dass es ja „keine fucking Netzgemeinde gibt, verdammt noch mal!“

Natürlich gibt es die Netzgemeinde. Es gibt eine Netzgemeinde, so wie es Deutschland gibt, so wie es den FC Bayern gibt, so wie es Ruderer gibt. Im Gegensatz dazu, was viele sich in ihrer Kindergartensoziologie zusammenreimen, braucht es dafür kein Stück Papier mit Amts-Stempel oder ne Mitgliedskarte. Und es spielt auch keine Rolle, ob die Netzgemeinde ausgedacht ist und auch nicht von wem. Alle Gemeinschaften, in denen sich nicht tatsächlich jeder persönlich kennt, sind ausgedachte Gemeinschaften, „imagined Communities“ nach Benedict Anderson – was der faktischen Wirkmächtigkeit ihrer Existenz aber keinen Abbruch tut.

Eine Gemeinschaft besteht nicht aus Menschen, sondern aus Kommunikationen, die ihre Anschlussfähigkeit unter anderem in der Unterscheidung von Selbst- und Fremdreferenz gewährleisten. Luhmann nennt diesen ständigen Prozess der Selbstkonstitution von Gemeinschaften auch „Autopoiesis„. Wann immer wir von den „Internetausdruckern“ reden, oder den Journalisten (gern auch Mainstream- oder Qualitätsjournalisten, etc), auch wenn wir davon reden, dass wir den Anschluss an die Youtubegreneration verloren haben, wann immer wir „wir“ sagen und uns adressieren – unter welchem Namen auch immer – konstituieren wir die Netzgemeinde. Und ja, auch das Aufschreien, Rumblöken und Kritisieren des Begriffs „Netzgemeinde“ konstitutiert eben diese.

Und als diese Netzgemeinde haben wir bereits eine ganze Handvoll Institutionen (Shitstorms, Digitale Gesellschaft, Nonmentions), Semantiken (#ausgründen, „Netzgemeinde“ Grumpyirgendwas und andere Meme), Narrative („Solidarität durch Vernetzung“, „böse Conentmafia ist böse“, „Netz vor Politik schützen“) und sonstige Strukturen ausgebildet. Ihr seid da im Einzelnen nicht mit einverstanden? Macht nichts, auch der Metadiskurs über die Narrative, Semantiken und Institutionen konstituiert die Netzgemeinde. Wir haben Diskurs und wir haben sogar Geschichte. Und in all dem wird die alles entscheidende Unterscheidung von Selbst- und Fremdreferenz immer implizit mitgeschleift und aktualisiert. Und schon wieder: Zack! Netzgemeinde!

Sascha Lobo weist außerdem darauf hin, dass sich die Netzgemeinde aus freiwilligen Hobbylobbyisten des freien Netzes rekrutiert. Das ist auch als Kritik zu verstehen, denn wir lobbyieren für etwas, was wir nur scheinbar objektiv für das Gute halten, was in Wirklichkeit aber unsere eigene Interessenlage widerspiegelt. Und da demographisch die Netzgemeinde dann doch überwiegend männlich, weiß und hetero ist, hat diese Lobby einen klaren Bias und es werden oft Aspekte unbewusst ausgeblendet. Die Kritik daran hat Miinaaa in ihrem om13-Vortrag sehr detailreich ausgearbeitet (obwohl sie leider auch erst behauptet, die Netzgemeinde gebe es nicht, um sie hinterher zu kritisieren) *. Einer der wesentlichsten und wichtigsten Kritikpunkte, dieser mitunter selbstgerechten und unreflektierten Lobby ist meines Erachtens ihr Glaube daran, keine Netzgemeinde zu sein, sondern „ganz normale Leute, die halt das Internet nutzen“. Wenn die Netzgemeinde wenigsten einsähe, dass sie Einfluss nimmt und dass dieser Einfluss auch noch überproportional groß ist und sie deswegen ein bisschen selbstkritischer auftreten würde, wäre bereits viel gewonnen.

Ich persönlich finde den Namen auch gerade wegen dieser provinzialistischen Konnotation besonders gut geeignet. Wie schon „Kleinbloggerdorf“, damals 2005, assoziiert man Leute, die auf Kissen gestützt aus dem Fenster lehnen und sich den neusten Klatsch und Tratsch der Woche zurufen. Die Netzgemeinde ist auf diese provinzielle Art verbohrt und wirkt oft ein bisschen dumm und gleichzeitig auch ein bisschen liebenswert. Sie ist Heimat und gehassliebte Familie, oder zumindest eine schlechte Simulation davon.

Wer bestimmt denn nun wer in der Netzgemeinde ist und wer nicht?

Niemand und alle und jeder für sich selbst. Man kann der Netzgemeinde zwar nicht per Deklaration entkommen oder beitreten. Aber man kann ihr den Rücken kehren, indem man die Diskurse an sich vorbei ziehen lässt. Man kann aufhören, sich mit dem ganzen Kram zu identifizieren – ja auch negativ zu identifizieren. Ich habe das gesehen, bei vielen schon, die erfolgreich „ausgestiegen“ sind. Das fällt erst gar nicht auf, sie Twittern immer weniger über die neuste Sau im Dorf, dann immer weniger generell, irgendwann sind sie weg und man muss sie anrufen, um mit ihnen ein Bier trinken zu gehen. Für mich ist so ein Ausstieg nicht ganz leicht, weil die Netzgemeinde einen nicht unwesentlichen Teil meiner heutigen Identität ausmacht. Ich bin, was ich bin, durch die Netzgemeinde. Ich weiß nur nicht, ob ich das noch sein will. Und ich bin mir durchaus bewusst, dass ich mit diesem Posting die Netzgemeinde nicht nur wieder kräftig mitkonstituiert habe, sondern mich auch wieder tiefer in ihre Eingeweide eingeschrieben habe. Aber ach.

* NACHTRAG: Frau Mina Dingens ergänzt hierzu:

„Ja, das war im Vortrag vielleicht nicht gut ausgedrückt: es sollte heißen, *die* Netzgemeinde(tm) gibt es nicht – siehe die x-verschiedenen Definitionen, jede_r versteht was anderes darunter (laut Wikipedia sind es alle, die online sind, laut (Selbst)Definition alle auf Twitter oder mit Blog oder mit netzpolitischem Engagement oder oder oder…). „Netzgemeinde“ als Synonym für „Netzelite“ hingegen – also die wenigen Menschen, die auf Grund von Blogs, Kolumnen, Twitter oder sonstigem mehr oder weniger Sichtbarkeit haben und/oder sich mit netzpolitischen Themen beschäftigen, und da meinen „für alle Nutzer_innen“ zu sprechen – habe ich dann versucht zu kritisieren.
Ich wollte das eh mal alles etwas länger und ausführlicher aufschreiben, vielleicht wäre es mal an der Zeit…“

* NACHTRAG 2: Mina hat jetzt noch mal ausführlich zum Thema gebloggt.

Freiheit statt … was eigentlich?

Für die Freiheit haben wir demonstriert, gestern. So hieß es jedenfalls. Obwohl man eigentlich einen anderen Eindruck bei den Auftaktrednern bekam. Da ging es darum, nicht mehr „US-Vasallen“ zu sein, nicht der „Vorgarten der Amerikaner“ in dem sie tun dürfen, was sie wollen. Dass „amerikanische Konzerne unsere Daten verkaufen“ und dass es ja nun auch gut sei mit der Bevormundung, denn wir haben Deutschland ja jetzt erfolgreich „entnazifiziert“. Es werde Zeit, dass „wir“ den Amis auf „Augenhöhe“ begegneten und dass „Wir“ unsere „Bürgerrechte“ verteidigen müssen. Überhaupt fiel das Wort „Bürger“ sehr häufig. Gleich zu Anfang wurde der Polizei zugerufen, dass „wir“ eine friedliche Demo seien, in der sich „die Mitte der Gesellschaft“ für die Freiheit engagiere und wir deswegen ja auf der „selben Seite“ kämpften, denn es gelte: „Sicherheit durch Freiheit“. Ah ja. Und als wir mit dem Demozug wieder angekommen waren, platzte Padeluun vor Stolz, um verkünden zu dürfen, dass „die Polizei uns gelobt“ habe, weil wir so friedlich seien. Ich wollte auf der Stelle im Boden versinken vor … ich wünschte, ich könnte an dieser Stelle „Fremdscham“ schreiben, aber er sprach ja auch für mich.

Der Kuschelkurs hat sich für die FSA gelohnt, denn nach „Absprachen mit dem Veranstalter“ verzichtete die Polizei großzügig darauf, eigene Teilnehmerzahlen zu veröffentlichen (NACHTRAG: „anfangs“ (laut Ole Reismann 15:00) sprach sie wohl noch von 4800), so dass Padeluun die für jeden Anwesenden klar pathologisch übertriebene Zahl von 20.000 Teilnehmern unwidersprochen verkünden durfte. Ich kann gar nicht sagen, wie mich diese Mischung aus schlichtem Bullshit, kaum verdecktem Nationalismus und Antiamerikanismus und der Unehrlichkeit, Anbiederei und Kungelei mit der Polizei ankotzt. Und doch unterstreicht es nur das Unwohlsein, dass ich während der gesamten Demonstration spürte.

Es war meine 5. FSA. Ich war auf allen seit 2008. Auf keiner habe ich mich so fremd gefühlt. Da waren die Schilder, die die NSA Affaire mit Nazideutschland gleichsetzen. Da waren Leute, die für Männerrechte kämpften. Klar, die Datenkrate der Digitalcourage, die immer noch nicht verstanden hat, was struktureller Antisemitismus ist, durfte nicht fehlen. Da waren die Rufe „Wir sind das Volk“ – überhaupt war neben „Freiheit“ und „Bürger“ „Volk“ das drittbeliebteste Wort der Demo. Natürlich gab es auch normale Leute, natürlich waren da viele Freunde und Bekannte und natürlich war es wieder ein Klassentreffen. Aber die bekannten Gesichter schauten mich mit ebenso müden Augen an, lästerten mit der selben Genervtheit über das, was sie umgab. Die FSA war kein Aufbruch, es war eine Pflichtübung.

Und ich kam ins Grübeln. „Für die Freiheit des Individuums sich zu entfalten“ hörte ich aus einem Boxenwagen und dachte an die letzten Wochen. Ich dachte an ochdomino und dem fast erfolgreichen Versuch eines Maskulinisten mithilfe des anonymen Internets den Feminismus zu diskreditieren. Ich dachte an all die Hasskommentare und -Mentions, die ich sehen musste, immer wenn sich Frauen zu kontroversen Themen zu Wort meldeten oder über sexuelle Übergriffe berichteten. Ich dachte an all die Tränen und Zusammenbrüche, immer dann, wenn eine Frau mal in wieder in einem Sturm aus Maskuscheiße unterging. Ich dachte an den letzten Post von Frau Dingens und ich fragte mich, wie die NSA es schafft, die „persönliche Freiheit“ von Frauen zu beeinträchtigen, die sowas hinter sich haben. Ich fragte mich, für wessen Freiheit ich hier eigentlich demonstriere.

Ich bin noch nicht fertig mit dem Fragen. Ich weiß nur, dass ich mich in der „Netzgemeinde“ nicht mehr wohl fühle.

Freiheit statt Angst

fsa13alexgrNächsten Samstag ist die Freiheit statt Angst Demo in Berlin. Endlich wieder kann man sagen, nachdem sie letztes Jahr ausgefallen ist. Nun aber kann niemand leugnen, dass eine Demonstration gegen Überwachung zu kaum einem besseren Zeitpunkt stattfinden könnte, als derzeit. Die größte Überwachungsmaschinerie der Geschichte der Menschheit wurde aufgedeckt und hat alle Ängste der Überwachungsgegner übertroffen.fsa2011

So aussichtslos die Lage aber auch wirkt, ist es wichtig ein deutliches Zeichen gegen diese Praxis zu setzen. Deswegen werde ich dieses Jahr, wie all die anderen Jahre auch, wieder mitmarschieren. Ich denke, in der Opposition zur Überwachung sind wir uns alle einig, also sollten wir gemeinsam beweisen, dass die Snowdenenthüllungen eben nicht egal sind und nicht einfach hingenommen werden.Jetzt ist der Zeitpunkt seinen Unmut auf die Straße zu bringen und dabei die Differenzen, die manche von uns in der Frage des richtigen Vorgehens haben, beizulegen.

Also lasst uns am 7.9. um 13:00 am Alexanderplatz treffen und zeigen, was wir von der Internettotalüberwachung halten.

SPEX – Das Neue Spiel

SPEX_No347_Cover_Umschlagbogen_v02.inddAb heute liegt die SPEX in den Zeitschriftenregalen und ich habe einen sehr langen Text darin. Es geht um Prism und den Kontrollverlust und wie das Eine mit dem Anderen zusammenhängt. Außerdem versuche ich aus der Situationsanalyse zu schließen, wie es weitergehen kann, obwohl doch alles so Hoffnungslos aussieht.

Diese Überlegungen habe ich außerdem noch mal als 10 Thesen auf CTRL-Verlust zur Diskussion gestellt. Das Spiel ist aus, es lebe das Neue Spiel.

Termine, Termine!

Kalender raus, neue Termine!

1. 13.08.13 ggn 18:00: In der Hangout-Reihe “Berliner Hinterhofgespräche” werde ich mit Politik-Digital über – ich glaube – Arbeit sprechen. Da kann man dann auf deren Website einen Stream finden.

2. 24.08.13 ggn 14:00: Auf der Openmind werde ich auch dieses Mal wieder sprechen. Diesmal versuche ich mich daran, eine funktionierende Definition von Plattformneutralität zu entwickeln.

3. 15.09.13 ggn 13:30: Auf der OER-Konferenz „Freie Bildungsmaterialen in Deutschland“ des Wikimedia e.V.s werde ich einen Vortrag über die Ungenügendheit der CC-Lizenzen halten.

4. 26.09.13 ggn 16:30: Die Evangelische Akademie Thüringen macht eine Konferenz zum Thema: Das Ende der Privatsphäre? Dort werde ich einen kurzen Impulsvortrag über den Kontrollverlust im Internet halten und dann diskutieren.

Noch was

Da ich am Samstag eingespannt bin, werde ich nicht auf diese komische Stop-Watching-Us Demo gehen. Aber ich würde es auch nicht tun, wenn ich Zeit hätte. Ich mag die Stoßrichtung, einige der Forderungen und den ganzen Ton nicht, mit dem dort operiert wird. Alleine schon bei dem Aufruf des CCC bekomme ich das Kotzen. („Landesverrat“, srsly?)

Ich wollte eh mal was über die durch Prism sich immer stärker abzeichnenden chauvinistischen Tendenzen im Datenschutzdiskurs schreiben. Zu dem schon immer vorherrschenden Paternalismus kommen zunehmend lauter werdende Forderungen nach SchlandNet und der eh kaum verhohlenen Antiamerikanismus darf sich mal so richtig Bahn brechen. All das ekelt mich an und die Stop-Watching-Us Demo scheint mir genau in diese Richtung zu gehen.

Es ist nicht Amerika, stupid! Es sind die Regierungen, ja, auch unsere. Die stecken unter einer Decke und horchen gegenseitig ihre Bevölkerungen ab. Wer das nicht begreift und sich stattdessen einen verständnisvollen Blick nach Iran und China angewöhnt, wo man sich erfolgreich gegen „die Amis“ abgeschottet habe, ist für mich nicht mehr diskutabel. Kein Fuß breit dem SchlandNet! (Danke übrigens an Harry Liebs für diese Wortschöpfung!)

Wo ich stattdessen hingehen will, ist der Spaziergang zum BND von der Digitalen Gesellschaft am Montag. Das scheint mir der richtigere Adressat der Problematik zu sein und der Aufruf kommt mir sehr viel überlegter vor. Montag 19:00 Chausseestraße / Ecke Wöhlertstraße. Kommt alle!

PS: bitte auch per Facebook anmelden und verbreiten, damit das möglichst viele Leute erreicht.

Stuff

So langsam werde ich wieder produktiv und es kommen Dinge dabei raus.

1. Auf der SIGINT habe ich ja einen Talk über die Streitkultur im Netz gehalten. Der ist nun als Video raus.

Hier hatte ich die Links gesammelt.

2. Für die taz wurden ich und einige andere gefragt, ob wir es für eine töfte Idee halten, dass sogenannte „Bürger“ nun sogenannte „Datenhygiene“ praktizieren sollen.

3. Derweil wollte ZEIT Online von mir wissen, wie man als Post-Privacyler mit der Welt seit Snowden umgeht. Und obwohl sich mein Verhalten nur wenig verändert hat, konnte ich einige Zeichen zusammenschreiben. Dazu habe ich noch ein paar weitergehende Überlegung auf ctrl-verlust verbloggt.

4. Zu meinem Geburtstag habe ich von Freunden eine 23andme-Analyse geschenkt bekommen und außerdem war @mntmn aka Lukas F. Hartmann zugegen, der mir eine krasse Story darüber erzählte. Ich überredete ihn erfolgreich, sie für ctrl-verlust aufzuschreiben. (Meine eigenen Ergebnisse habe ich noch nicht, werde aber zu gegebener Zeit natürlich berichten.) Ich habe im Zuge dessen gleich eine neue Kategorie eingeführt: „Algorithmenkritik“. Dort würde ich gerne kompetente und konkrete Algorithmenkritik sammeln. Wer also was hat, gerne her damit!

5. Ich wurde von den Medienfischen zu Prism und die Öffentlich Rechtlichen interviewt, das Video gibt es hier:

6. Ach ja, wie ich im Zeitartikel schrieb, bin ich nun zunehmend auch verschlüsselt erreichbar. Wer mir also furchtbar vertrauliche Dinge anvertrauen will, kann sowohl per PGP oder S/MIME mit mir verschlüsselt kommunizieren. Daten dazu stehen im Impressum. Freunde bekommen auf Anfrage gerne auch meine Threema-ID. 😉

Grundrechtsdissonanzen und Beobachtungsschemata

Irgendwie habe ich ein Sommer-Dejà-vue. Wisst ihr noch? Letztes Jahr um diese Zeit stritten wir uns um Beschneidung.

Die Fronten waren verhärtet und die Frage grundsätzlich. Ähnlich wie bei Prism sah man grundlegende Menschenrechte verletzt.

Und ähnlich wie bei Prism kam die Diskussion eigentlich aus dem Nichts.

Die Praxis der Beschneidung jedenfalls war keineswegs eine Neuigkeit. Jeder, der nicht den kompletten Religionsunterricht verschlafen hatte, wusste, dass Muslime und Juden ihre Kinder beschneiden lassen. Auch in Deutschland. Das geschah keinesfalls geheim, sondern völlig offen und alltäglich. Eine ethisch-gesellschaftliche Debatte zu diesen Themen gab es bis dato – jedenfalls nach meinem Kenntnisstand – nicht.

Auslöser war ein Urteil des Landgerichts Köln, gegenüber muslimischen Eltern und ihrem Arzt. Beschneidung ist rechtswidrig, wurde festgestellt, als sei es das normalste der Welt.

Und tatsächlich gibt es nichts im Gesetz, dass diese Praxis legitimieren würde. Beschneidung war also die ganze Zeit schon unrecht. Zumindest seit Anbeginn der Bundesrepublik.

Ich habe mich damals gefragt: das finden die erst 2012 heraus?

Wie kann es sein, dass also eine illegale Praxis über ein halbes Jahrhundert lang vor aller Augen geduldet wurde? Und plötzlich, als ob durch den Richterspruch auf einmal alle aus einem Fiebertraum aufwachen, merken, was sie da getan haben, sich aufregen, diskutieren, zetern.

Der Weckruf kam dieses Jahr von Eward Snowden. Wieder geht es um ein Grundrecht. Aber statt dem der „körperlichen Unversehrtheit“, diesmal um die „Informationelle Selbstbestimmung“. Wieder haben wir gewusst – nein, nicht geahnt, seit Echolon hat es jeder gewusst – dass unsere „Informationelle Selbstbestimmung“ von Geheimdiensten seit Jahrzehnten unterminiert wird.

Snowden lieferte dazu lediglich das Update. Und obwohl dieses Update sicher in seiner Monstrosität besonders ist, ändert sich nichts an der grundsätzlichen Tatsache, die allen schon vorher bekannt war: der Verletzung der Grundrechte.

Ich frage mich also was mit uns los ist. Sind wir auf bestimmten Augen blind, oder wollen wir es sein? Leben wir in einer ständigen kognitiven Dissonanz, aus der uns nur hier und da ein paar Richter und Whistleblower aufwecken können?

Viel wichtiger: Werden wir Prism einfach wieder vergessen, bis in 10 Jahren der nächste Whistleblower „Prosm“ (hihi) aufdeckt, das dann 15 Yotabyte pro Stunde wegspeichern kann?

In meinem Vortrag auf der SigInt habe ich einen Begriff einzuführen versucht, den ich „Beobachtungsschema“ genannt habe. Beobachtungsschema ist ein bisschen verwandt mit dem, was Foucault „Archiv“ und was Thomas Kuhn „Paradigma“ nennt. Bei Foucault ist das Archiv die Summe der Regeln, nach denen bestimmte Diskurse zu einer Zeit funktionieren, insbesondere das, was diese Diskurse thematisieren können und was eben nicht. Mein Konzept des „Beobachtungsschemas“ will sagen, dass es abstrakte Konzepte gibt, die erst angeeignet werden müssen, damit man bestimmte Begebenheiten sehen kann. Sie wirken wie eine Brille. Der Feminismus ist so ein Beobachtungsschema. Wenn man sich nie mit Feminismus beschäftigt hat, wird man sexistische Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft nur schwer entziffern können. Man ist einfach blind dafür. Sobald man sich das Beobachtungsschema Feminismus angeeignet hat, fällt es einem aber wie Schuppen von den Augen. Man sieht überall Ungerechtigkeiten, wo man vorher keine gesehen hat.

Vielleicht gibt es auch bei Prism und der Beschneidungsdebatte sowas ähnliches wie ein Beobachtungsschema, das, ausgelöst durch entsprechende augenöffnende Ereignisse, aus einer lange gängigen Praxis auf einmal einen Skandal macht. Und wenn es diese Beobachtungsschemata gibt und braucht, um gewisse Offensichtlichkeiten zu bewerten, welche fehlen uns dann noch? Welche werden hinzukommen?

Es kann aber auch gerade umgekehrt sein: die Beobachtungsschemata sind längst da, sie sind ja schließlich schon lange in Gesetze und Urteilssprüche codiert. Aber irgendetwas hält uns normaler Weise davon ab, deren inkonsistente Anwendung im Alltag zu sehen. Ähnlich wie bei der Freud’schen Verdrängung wollen wir bestimmte Dinge nicht sehen, weil sie unser Welterklärungsmodell in Gefahr bringen würden.

Vielleicht ist es diese klebrige identitäre Verbindung der Deutschen zu ihrem Grundgesetz. Mit Sicherheit würde eine kritische und konsistente Beobachtung der Grundrechteanwendung all die Verfassungspatrioten in eine Identitätskrise stürzen. Oder noch krasser: Vielleicht braucht ein Rechtssystem zum Funktionieren sogar eine solche Grundrechtsdissonanz?

Viele Fragen, man weiß es nicht. Mal den nächsten Sommer abwarten.