Krasse Links No 32

Willkommen bei Krasse Links No 32. Lasst alle Hoffnungen fahren, heute zünden wir die termo-memetische Explosion und zwingen die Fandoms mit mythischer Gewalt zur semantischen Sezession.


Ich musste viel über dieses Foto nachdenken. Es wird ganz ohne Frage in die Geschichte eingehen. Ich habe mich wie viele andere darüber beschwert: Wie kann ein Präsident, der zurecht immer wieder darauf hingewiesen hat, wie sehr Trump eine Gefahr für die Demokratie ist, ihm so freundlich die Schlüssel zur Macht aushändigen? Es fühlt sich falsch an, sogar ein bisschen nach Verrat.

Ich habe versucht, wütend auf Biden zu sein, aber es ist mir nicht gelungen.

Wenn man fällt, dann gibt meist Möglichkeiten durch Gewichtsverlagerung, einen Ausfallschritt oder ungelenkem Rudern mit den Armen doch noch das Gleichgewicht zu wiederfinden. Doch es gibt auch diesen Punkt, an dem man merkt, dass der Fall unvermeidlich ist. Das ist immer ein awkwarder Sekundenbruchteil, denn man ist ja schließlich bei Bewusstsein und das Gehirn kann auch im Fallen das Planen nicht einstellen.

Was hätte ich getan? Hätte ich mich im Weißen Haus verschanzt? Hätte ich den Killbefehl für Trump gegeben? Hätte ich über Nacht den Widerstand organisiert? Wogegen genau? Mit wem?

Wir alle sind Produkte unserer Erwartungen und unsere Erwartungen sind Produkte unserer materiellen Umwelt und wenn sich die Umweltbedingungen rasant ändern, laufen wir alle wie der Koyote bei Bugs Bunny über die Schlucht und zappeln ein paar Sekunden in der Luft, bevor wir fallen.

Biden ist zwar US-Präsident, aber auch er ist nur ein Bruder im Fall. Niemand sieht dabei gut aus.


Alan Moore, der Comic-Künstler hinter V wie Vendetta und Watchmen, rantet über Fancultures und macht dabei interessante Beobachtungen.

And when I looked back, after an internet and some few decades, fandom was a very different animal.

An older animal for one thing, with a median age in its late 40s, fed, presumably, by a nostalgia that its energetic predecessor was too young to suffer from. And while the vulgar comic story was originally proffered solely to the working classes, soaring retail prices had precluded any audience save the more affluent; had gentrified a previously bustling and lively cultural slum neighbourhood. This boost in fandom’s age and status possibly explains its current sense of privilege, its tendency to carp and cavil rather than contribute or create.

Moore lehnt deswegen Fankulturen nicht grundsätzlich ab, aber macht eine nützliche Unterscheidung.

I believe that fandom is a wonderful and vital organ of contemporary culture, without which that culture ultimately stagnates, atrophies and dies. At the same time, I’m sure that fandom is sometimes a grotesque blight that poisons the society surrounding it with its mean-spirited obsessions and ridiculous, unearned sense of entitlement.


Auch tante denkt über den Zusammenhang von toxischem Entitlement und Nostalgie nach und das Fortschrittsbild, das daraus folgt:

A story of progress can’t just include burning down ungodly amounts of rocket fuel just so some middle-aged people don’t have to think or learn something new. A story of progress can’t reduce itself to technological gimmicks and parlour tricks. “Flying cars” is still cars. And a life based on individual mobility is not only bad because of the climate impact but because it’s a recipe to destroy local communities and alienate people from one another and the places the live and work and exist in.


Adam Tooze hat eine aufschlussreiche Grafik darüber, wie sich die wirtschaftliche Stimmungslage der US-Amerikaner*innen entwickelt hat, seit letzter Woche.


Ich bin erst eine Folge der neuen Staffel des sehr guten Podcasts Wild Wild Web und die Folge hat mich gleich sehr beschäftigt. Im Zentrum stehen gespaltene Wahrnehmungsphänomene wie den Laurel/Yanny-Sound und das entweder Schwarz-blaue, bzw. weiß-goldene Kleid, um die erbitterte Schlachten im Internet geführt wurden.

Die Erklärung, warum einunddaselbe materielle Artefakt so unterschiedliche Wahrnehmungsmuster produziert, liegt der Forschung nach an der jeweiligen Vorprägung. Man kann sich das so vorstellen, dass das Bild/der Sound sowohl Laurel, als auch Yanny, sowohl Schwarz-blaue als auch weiß-goldene Interpretationspfade erlaubt und welchen dieser Pfade das Bewusstsein nimmt, ist determiniert durch deine unbewusst eingeübten Entscheidungsraster. So lässt sich eine Korrelation von Frühaufstehern und Nachteulen mit dem Schwarz-blaue bzw. weiß-goldene sehenden Probanden erkennen, weil die einen den Lichteinfall im Bild tendentiell als Tageslicht, die anderen tendentiell als künstliches Licht interpretieren und Laurel wird eher von Männern, Yanny häufiger von Frauen gehört, weil die eine Interpretation sich an den tiefen, die andere eher an den hohen Tönen orientiert, die beide da sind.

Der Podcast wird aber dann geradezu philosophisch, als es darum geht, welche Erkenntnisse sich daraus für die Gesellschaft ergeben? Dass es je plausible Pfade gibt, ein und denselben Gegenstand zu interpretieren, ist ja auch Basis der „polarisierten Gesellschaft“.


Thomas Zimmer analysiert, was an der zweiten Trump-Präsidentschaft anders sein wird, als an der ersten. Es gibt viele spannende Punkte unter anderem, dass wir uns bereits an einen mehrfach eskalierten Trump gewöhnt haben.

The notion that he has always been the same, just Trump being Trump, is massively misleading and obscures the rather drastic radicalization of the Right’s undisputed leader. Trump is coming off the most openly, aggressively racist campaign of a major party candidate in modern U.S. history. He explicitly promised a “bloody” mass deportation, the political persecution of his opponents, the purge of the “enemy within.” He declared he would use the military to suppress protests. His closing pitch to the American people was rage, intimidation, and vengeful violence. Trump wants to restore “order,” by whatever means necessary – an order not just of white Christian rule and unfettered self-enrichment for the wealthy, but also patriarchal domination.

Aber auch insgesamt ist alles konsolidierter, organisierter, homogener und mächtiger als beim Überraschungssieg 2016.

Warum mich das alles so viel mehr beschäftigt, als die kollabierte Bundesregierung? Weil die Auswirkungen für uns gigantisch sein werden. Ideen haben Netzwerkeffekte und wenn die liberale Demokratie in ihrem Kernland fällt, dann ist diese Idee Schach-Matt. Und weil Deutschland als kleiner Bruder immer die Semantiken vom Großen aufträgt, löst jedes Erdbeben da drüben einen Tsunami bei uns aus.


Influencer*innen bekennen sich nach dem Wahlsieg zu „MAGA„.

“I’m done. I’m so tired of my old fan base,” she concludes. “I don’t give a fuck about your identity politics. I voted for Trump. And” — she adds, inexplicably — “I hate fat people!”

Es sieht so aus, als ob sie schon lange nach Wegen gesucht haben, das eigene Arschlochsein zu rechtfertigen.

“We’re in a different climate now. A different era,” the consultant told me. “Trump gives people permission to be the worst versions of themselves. And with him winning, we’re seeing that again on a much larger scale.” Still, she adds, there remain some talking points that have proven to be toxic for brands. “Honestly,” the consultant says, “people lose more brand deals talking about Palestine than anything else.”

Trump-Supporter*innen haben ein heterogenes Motivationsprofil, aber ich glaube, viele sehen in ihm die Erlaubnisstruktur, ihre je eigene Verletztheit in Gewalt umzumünzen.


2017, ein halbes Jahr nach dem ersten Wahlsieg von Donald Trump war Michael Kreil auf eine Interessante Beobachtung gestoßen, als er die Verbreitung von „Fake News“ (wie man damals noch sagte) trackte. Wir machten gemeinsam eine Analyse ich nannte das Phänomen damals „Digitaler Tribalismus„.

Im Zentrum stand diese Auswertung: Wir sehen Twitteraccounts, die eine bestimmte FakeNews verbreitet haben (rot) und Twitteraccounts die die Richtigstellung verbreiteten (blau), wobei die Größe der Punkte der Anzahl der Follower entspricht (die großen waren damals noch die Massenmedien) und der Ort im Netzwerk repräsentiert die relative Vernetzungsdichte mit den anderen Accounts. Nachdem wir allerlei Checks gemacht haben, kamen wir zu folgendem Schluss:

Fake News sind nicht, wie es oft angenommen wurde, die Produkte sinisterer Manipulatoren, die damit die öffentliche Meinung in eine bestimmte Richtung lenken wollen. Sie sind vielmehr das Futter für bestätigungshungrige Stämme.

Ich hatte ein ein buntes Protpouri von kulturellen und psychologischen Semantiken gesammelt, um das Phänomen zu beschreiben und von Seth Godin übernahm ich die Beobachtung, dass die Gründung jedes Stammes in Form einer Häresie erfolgt. Man macht eine Setzung außerhalb des semantischen Mainstreams, und wenn man es geschickt anstellt, so Godin, scharen sich Leute um diese Pfadendscheidung. Und plötzlich hat man Macht. Das Buch ist von 2008.

Mein Denken hat sich weiterentwickelt und heute würde ich sagen, dass „Digitaler Tribalismus“ einfach eine „Semantische Sezession“ ist. Semantische Sezessionen passieren ständig im großen oder kleinen. Immer dann, wenn in der Kunst oder Kultur irgendwas für beendet erklärt und etwas neues ausgerufen wird, ist das eine zumindest versuchte semantische Sezession. Größere, folgenreiche semantische Sezession waren die Gründung des Oströmischen Reichs, die Reformation und die Aufspaltung in Aldi Süd und Aldi Nord.

Semantische Sezession sind nach Wengrow/Graebers „Dawn of Everything“ durch „ Schismogenesis“ motiviert, also den Drang sich abzugrenzen, nur ging damals eine semantische Abspaltung immer auch mit einer örtlichen einher.

Das, was wir damals untersuchten war der Rumpf einer semantischen Abzweigung, der zu einer alternativen Wirklichkeitsebene gewachsen ist. Diese zweite Wirklichkeitsebene hat den einfachen Verbreitungsvorteil: sie schafft einen alternativen Raum der Anerkennung, mit anderen Regeln für Wut und Gewalt, und einem eigenen Statussystem. Das ist für alle attraktiv, die sich im Major Consensus Narrative (Bruce Sterling) unzureichend gesehen fühlen.


Carole Cadwalladr führt den Trumpsieg auf einen materiell hergestellten Split der Medialen Wahrnehmung zurück.

You have a subscription? Enjoy your clean, hygienic, fact-checked news. Then come with me into the information sewers, where we will wade through the shit everyone else consumes. Trump is cholera. His hate, his lies – it’s an infection that’s in the drinking water now. Our information system is London’s stinking streets before the Victorian miracle of sanitation. We fixed that through engineering. But we haven’t fixed this. We had eight years to hold Silicon Valley to account. And we failed. Utterly.

Nur im Gegensatz zu den unhygienischen Bedingungen im London der Industrialisierung, wurde die Informationskloake nicht durch Nachlässigkeit, sondern mit vielen Milliarden Dollar hergestellt und die Leute dahinter haben jetzt die Demokratie gecaptured.

Elections are downstream from white men talking on platforms that white men built, juiced by invisible algorithms our broligarch overlords control. This is culture now.

Indem sie X kontrollieren und Meta (Facebook, Insta, Threads) politisch kalt gestellt haben, haben die Broligarchs die Hegemonie über die digitale Öffentlichkeit erlangt, während wir uns darum zankten, ob Mastodon oder Bluesky ein besseres Tool ist, um sich nicht wiederzufinden.

These bros know. They don’t fear journalists any more. Journalists will now learn to fear them. Because this is oligarchy now. This is the fusion of state and commercial power in a ruling elite. It’s not a coincidence that Musk spouts the Kremlin’s talking points and chats to Putin on the phone. The chaos of Russia in the 90s is the template; billions will be made, people will die, crimes will be committed.


404Media schreibt über eine Schwemme von ki-generierten Musk-Slop, der sich viral auf Facebook ausbreitet.

Als Musk zusammen mit Trump auf der Bühne herumsprang fand ich das abstoßend und peinlich, aber dabei entging mir, was für eine termo-memetische Explosion sich da ereignet hat.

Trump und Musk sind wahrscheinlich die memetischsten Persönlichkeiten, die es je auf dem Planeten gab und wenn diese beiden digitalen Tribes zusammenkommen und einen gemeinsamen Beat anstimmen, dann macht das ne Menge Krach, führt aber auch zu seltsamen Effekten.

Die hardcore MAGA-Fans sind meist älter, wenig gebildet, eher aus dem ländlichen Raum und hängen in Facebook-Gruppen ab. Musk-Anhänger sind eher junge Männer, die auf Raketen und Autos stehen, sie sind überdurchschnittlich gebildet und hängen natürlich auf X rum.

Doch jetzt, wo diese beiden Stämme germergen, werden viele Musk-Fans MAGA (Musk bot mit dem schwarten MAGA-Hut eine passende Pfadgelegeheit an) und Musk erlebt seinen zweiten Frühling auf Facebook, mit all den von Shrimp-Jesus erlernten KI-Ritualen.

Some of the most viral posts on Facebook leading up to and immediately after an election in which Musk actively campaigned for Donald Trump are AI-generated disinformation that universally make Musk look like a philanthropist and genius inventor who is actively solving America’s problems out of the kindness of his heart, created by people in the Philippines, Vietnam, and India and spammed to Facebook. These images went viral and continue to go viral on a platform that has repeatedly said it does not want anything to do with politics, gave less reach to posts that contained the word “vote,” and suspended journalists for reporting about Trump’s praise for Hitler’s generals.


Hier ein Deepdive in die politische Willensbildung des Individuums.


Kuku Schrapnell reflektiert auf 54Books ihre eigene Gewalterfahrung – sie wurde von einer Gruppe rechter Schläger zusammengeschlagen – auf eine intensive und erkenntnisreiche Weise. In der Reflexion greift sie auf Walter Benjamins Unterscheidung von Rechtsetzender (auch mythischer) und Rechtserhaltender Gewalt. Rechtserhaltende Gewalt ist das Disziplinieren von Regelverstößen.

Mit der rechtssetzenden Gewalt ist es ein bisschen schwieriger, nicht umsonst spricht Benjamin auch von der mythischen Gewalt. Am Anfang jeder rechtlichen Ordnung braucht es Gewalt, um sie durchzusetzen.

Aber diese rechtliche Ordnung muss auch beschützt werden, weil sonst andere, mythische Gewaltaten die Pfadentscheidungen treffen:

Während es auf der einen Seite zwar immer mehr rechtliche Gleichstellung für queere Menschen gibt, wie zum Beispiel das maßlos wichtige Recht auch heiraten zu dürfen, oder die Abschaffung des schrecklichen Transsexuellengesetzes zugunsten des nicht ganz so schrecklichen Selbstbestimmungsgesetzes, steht auf der anderen Seite die Zunahme der (mythischen) Gewalt gegen queere Menschen, die diese Rechte in Frage stellt. Die rechtliche Gleichstellung ist nicht nur in sich selbst prekär, immerhin kann ja schon die nächste rechte Regierung alles wieder kippen, sie ist auch immer nur so stark, wie die in ihr gebündelte Gewalt. Die Gleichstellungsrechte können überall da in Frage gestellt und unterlaufen werden, wo ihre rechtsbegründende Gewalt nicht direkt in Erscheinung tritt, weil beispielsweise Polizeistreifen lieber durch linke oder migrantisch geprägte Viertel fahren, oder andere Gruppen schon so mächtig geworden sind, dass sie sich ungehindert austoben können.

Weil sich jede Gewalt ihre eigene Erlaubnisstruktur baut, setzt sie implizit Recht. Aber was kann man dem Entgegensetzen?

Wenn ich diese Texte von damals lese, merke ich erst, dass das, was ich Verdrängung genannt habe oder Ruhe, nichts anderes ist als Dissoziation. Dabei wären so viele Gefühle viel angebrachter. Wut zum Beispiel. Kaum ein Gefühl fällt mir so schwer wie Wut. Wut ist immer die Emotion des Angreifers, oder nicht? Die, die mich sehen und denken, sowas wie mich sollte es nicht geben, sind die Wütenden. Mir selbst fällt es schwer wütend zu werden. Eine Person, die mich liebt, hat gefragt: „Was machst du, wenn du wütend bist? Traurig werden und weinen?«“ Und in den meisten Fällen stimmt das.

Dabei ist Wut so ein wichtiges Gefühl. Es ist die Wut, die uns nach Veränderungen streben lässt. Wenn wir wütend werden, haben wir Energie und können etwas bewegen. Wut zeigt uns aber auch unsere Grenzen auf. Wenn jemand oder etwas uns zu nahekommt, uns verletzt oder bedroht, kann Wut uns helfen aus dieser Situation herauszukommen. Traurig werden und weinen hilft da eher selten. Ich kenne jedoch viele Queers, die wenig Zugang zu ihrer Wut haben. Wut ist auch ein gefährliches Gefühl. Wut kann auch den Kontrollverlust bedeuten, wenn wir über das Ziel hinausschießen und denen weh tun, die wir lieben. Wir haben so viel Wut erlebt. Noch bevor wir wussten, was unseres eigenes Nicht-Passen bedeutet, hat es schon den Zorn und das Mobbing der anderen auf sich gezogen. Wenn ich mir Wut wünsche, wünsche ich mir eine gemeinsame Wut, einen queer rage, der auf die Straßen schwemmt. Aber dabei sind wir nicht nur unser Gefühl, werden nicht zu einem Mob, sondern wir sind, weil wir miteinander sind, auch füreinander da. Wir passen aufeinander auf.

Weil wir keine Individuen sind, die einfach wütend werden können, erstickt die Wut, wenn sie keine Wege findet, sich wechselseitig zu erlauben. Während sich die Rechten in eine Rage- und Gewalt-Pirruette nach der anderen steigern, finden Minderheiten und Linke ihre Wut nicht zusammen.


Gleich nach der Trump-Wahl postete tante das VideoHow to be Hopeless“ von Carlos Maza und er hat völlig recht, dass es einer der besten Video-Essays überhaupt ist und ich finde, es ist auch der Video-Essay der Stunde.

Das Video ist drei Jahre alt und wurde kurz nach der Erstürmung des Kapitols veröffentlicht, also noch in der Bidenzeit und auf dem Peak der Coronawelle. Maza hangelt sich entlang von Camus‘ „Die Pest“ durch die Stadien im Umgang mit einer Pandemie (avoidance, scapegoating, Fixing it) und natürlich ist das alles erstmal auf die Pandemie bezogen, aber im laufe des Videos wird klar, dass es auch um den Aufstieg des Faschismus geht und unseren hilflosen Umgang damit.

In dem Dreieck aus Camus‘ Pest, der Corona-Pandemie und der Faschisierung des Westens verfolgt Maza das überforderte Individuum, das danach strebt, seine Kontrollillusion zu beschützen.

The Goal of avoidance isn’t really to comfort, it’s to protect our egos. To admit that there is a plague, is to admit, that your life is over now – that our routines, our ambitions, even the way we breathe may have to change because of a crisis that is largely out of our control.

Wenn die geplante Freiheit berührt wird, sind wir am empfindlichsten. Covid machte sich zur Netzwerkzentralität in allen Plänen und das geht mit einer enormen Reduktion der plausiblen Freiheit einher. Und weil das Individuum ja an der plausiblen Freiheit hängt, erfährt es die Einschränkung als Identitätskrise und verdrängt.

Dazu kommt, dass die Infrastrukturvergessenheit des Individuums sich als Unverwundbarkeit-Illusion ausdrückt:

Even at death’s door, their egos can’t accept that the main character could really be killed by something as stupid and absurd as a plague.

Das am schwierigsten zu überwindende Stadium ist „Fixing it“. Weil wir uns alle als Main Character unserer Geschichte erzählen, glauben wir, den Karren aus dem Dreck ziehen zu können und verfallen in heillosen Aktionismus und steigern uns in hohe Erwartungen hinein.

If we just find the perfect candidate, and avoid touchy subjects, and only ever protest in exactly the right way, the other side will come to their senses. Things will go back to normal.

Das ist kein Plädoyer für das Aufgeben, sondern für die Einsicht, dass wir trotz allem fallen können.

That we are tiny failable creatures, who have always been drawn to demagogues, who appeal to our worst impulses. And that living in a country that is constantly being bombarded with fascist propaganda means even our best efforts to contain cruelty will not alway be enough. That dealing with fascism is an inevitible part of living alongside other humans, and when that desease starts to infect an entire polical party, those of us who are not sick will need to stop blaming the most vulnerable amongst us, and be ready to help them fight the plague.

Das Individuum ist als Projektion irgendwann nicht mehr haltbar. Doch dieser Zusammenbruch des Egos ist eine Befreiung.

Our egos tell us that we’re the hero of the story, but Camus says we’re a lot more like inmates, trapped together like the people in Oran, waiting to see what’ll ultimately happen to us. And as grim as that sounds, there is something kind of liberating about that isn’t there?

Ich habe mich heute auf allen möglichen Kanälen über den Habeck-Hype aufgeregt und ich kann auch prima erklären, warum, aber hinterher ich habe mich trotzdem geschämt. Auch Habeck und alle, die an ihn glauben, sind Mitinsassen. Auch sie sind Geschwister im Fall.

Ich bin so unfassbar schlecht darin, aber ich glaube, es jetzt Zeit wird, das eigene Ego zu beerdigen und zu verstehen, dass wir alle nur hilflos durch die Ereignisse taumeln. Und wenn wir unsere Coolness abgelegt haben, können wir uns umschauen, wer sonst noch unsere Hilfe braucht.

When Camus talks about decency he is not talking about sweetness or civility, he is talking about a radical commitment to our fellow inmates. A commitment to fighting for what’s right and trying to protect the vulnerable even if you know it’s hopeless. Not because it will make us powerful or protect us from suffering, but because in a world that is this indifferent to human suffering — giving a shit about what happens to other people is the only true act of rebellion.

Lasst uns solidarisch Fallen üben.

CCC-Einreichung

Gestern kam die Nachricht, dass mein eingereichter Talk beim 38c3 abgelehnt wurde. Schade, es wäre eine skurrile, aber auch bombastische Tour de Force durch meine im Newsletter ausgelegten Gedankenstränge geworden und hätte auch gut zum Motto gepasst. Wohl zu nischig für den Congress.

Hacking Semantics: How to Debug Your Metaphysics

Once you understand that semantics is the software that runs society, politics and yourself it becomes crucial to take a closer look into the technical dept, that generations of thinkers have mounted on western perspectives.

I’m going to tell the story how glitches in my perception of the world lead to an extensive debugging spree in my metaphysics. I follow the Dependencies back to Descartes, confronting his claims about thinking with poststructual theory and a different understanding of Large Language Models.

Exchanging the Metaphysics of the „Individual“ with a modern network based approach, I then initiate the „cyborg“ as a different kind of „worlding“ that integrates infrastructure more easily.

From there we can set up a new materialism, based on infrastructure awereness and network navigation and build new makrosemantic templates for the revolution.

Krasse Links No 31

Willkommen bei Krasse Links No 31. Instrumentalisiert Eure Vernunft, heute trainieren wir die relational-materielle Freiheit im Widerspruch zum Blick von Nirgendwo.


Die Wired hat einen gut recherchierten Artikel über rechte Milzionäre in den USA, die sich in hunderten von Facebook-Gruppen für den 5. November organisieren und Facebook tut nichts dagegen.

The Tech Transparency Project has compiled a list of 262 Facebook public and private groups and 193 Facebook pages for militia and anti-government activists that were created since January 6, 2021. Nearly two dozen of those groups and pages have been created since May, according to the TTP. Some make minimal effort to conceal their affiliations to extremist networks: One new public group created in May is called The Michigan III%. Increasingly, the movement is also relying on individual profiles associated with leaders of local militia, the TTP says. Moderation has put a dent in the presence of American Patriots Three Percent (AP3), one of the largest active militias that Facebook explicitly banned in 2020 as a “militarized social movement” and “armed militia group.”


Ich habe es endlich geschafft, Francois Chollets berüchtigtes Paper, „On the Measure of Intelligence“ zu lesen und sein Ansatz ist sehr straigtforward und geht glaube ich in die richtige Richtung.

Nachdem er feststellt, dass uns der Ansatz, KI durch das Nachahmen menschlicher Tasks herzustellen, der Frage, was Intelligenz ist, nicht weiter gebracht hat, schlägt er vor, Intelligenz direkt anzugehen und definiert sie als:

skill-acquisition efficiency over a scope of tasks, with respect to priors, experience, and generalization difficulty.

Schach, Go, Sprachmodelle und Autofahren sind alles nette Achievments, doch was ist die Power, die jenseits von Skale diese Skills möglich macht? Dieser Skill ist seiner Meinung nach die Fähigkeit zu generalisieren:

We can informally define “generalization” or “generalization power” for any AI system to broadly mean “the ability to handle situations (or tasks) that differ from previously encountered situations”.

Statt sich auf die Optimierung der Generalisierungspower zu konzentrieren, hat sich die KI-Forschung zu lange Generalierung mit viel Compute und Trainingsdaten gekauft:

Hard-coding prior knowledge into an AI is not the only way to artificially “buy” performance on the target task without inducing any generalization power. There is another way: adding more training data, which can augment skill in a specific vertical or task without affecting generalization whatsoever.

Chollet will seine Generalisierungs-Engine ebenfalls auf menschliche Tasks loslassen (sie soll jeweils „SkillPrograms“ bauen), aber entscheidend ist für ihn dann die Lerneffizienz über die verschiedenen Tasks hinweg und mir scheint es plausibel, dass mit diesem Ansatz eine Menge Effinzienzpotentiale zu heben sind. Aktuelle KI-Systeme sind grausige Lerner. Ich glaube nur nicht, dass eine noch so gute Generalisierungsengine zu AGI führt?

Weil Chollet ein Individuum ist, versteht er nicht, dass wir Dividuen nur zusammen mit anderen generalisieren können. Generalisierungen entscheiden in der realen Welt das Unentscheidbare und brauchen eine externe Erlaubnisstruktur, an der man die eigenen Generalisierungen orientiert und stetig nachschärft. Eine Erlaubnisstruktur ist aber nur dann eine Erlaubnisstruktur, wenn sie in Konflikt treten kann, weswegen es keine rein interne Erlaubnisstruktur geben kann. Eine interne Erlaubnisstruktur kann Regelbefolgung immer nur affimieren, weil ihr die externen Kriterien zur Kontrolle der Regelbefolgung fehlt. Das ist der Kern von Wittgensteins Privatsprachenargument:

“justification consists in appealing to something independent“

Oder: Widerspruch ist notwendig materiell.

Seit es Machine Learning gibt, schlagen sich die Forscher*innen mit dem Problem des Overfittings herum. Sagen wir, wir versuchen eine Bilderkennung zu trainieren und geben ihr ein Haufen Bilder von Hanteln. Irgendwann ist sie echt gut darin, im Trainingsset Hanteln zu erkennen, aber wenn man sie mit frische Daten konfrontiert, geht die Trefferrate plötzlich wieder runter. Das ist meist ein Zeichen von Overfitting, denn das neuronale Netz hat offensichtlich zu viel „Noise“, also nicht zugehöriges aufgenommen.

Als Google 2015 mit Deep Dream den ersten Vorläufer der Diffusionmodelle vorstellte, hatten die Forscher*innen einfach ein trainiertes Netzwerk rückwärts angewandt und Rauschen reingefüttert und der RückwärtsKI dann Bilder und Begriffe gegeben. Als sie Bilder von Hantel generierten, fiel das heraus:

Wir wissen, dass zu der Hantel kein Arm gehört, aber woher soll das neuronale Netz das wissen? So viele Hanteln hängen an so vielen Armen! Es wurden eine Menge Strategien gegen Overfitting gefunden, aber allesamt erfordern menschliches Feedback ins System. Es hat sich eine ganze „Menschliche Feedback“-Industrie entwickelt, die mit ihren Sweatshops in Kenia und den Phillipinen helfen, die Daten zu massieren, denn nur gut massierte Daten produzieren kein (sichtbares) Overfitting.

Weil wir keine generalisierenden Individuen sind, sondern Dividuen die gemeinsam an einer sozialen Skulptur arbeiten, die wir wechselseitig als „Wirklichkeit“ beglaubigen, verwenden wir einander als Erlaubnisstruktur für unsere Generalisierungen. Jeder Sprachakt ist eine Generalisierung und deine Generalisierung beglaubigt (und/oder korrigiert) meine Generalisierung, usw. Semantische Synchronisationsprozesse sind ein riesiges Trommelkonzert.

Auch KIs sind notwendig Dividuen und bleiben auf unseren Input angewiesen, zumindest, bis viele KIs gemeinsam eigene Semantiken entwickeln, die sich von den menschlichen Semantiken verabzweigen und …

Hier ein interessanter KI Ansatz:

  • Eine gute Generalisierungs-Engine
  • Einen Zugang zur Welt, also einen Körper
  • Motivation: z.B. Genuss und Schmerz
  • Ein fortwährendes Synchronisation-Feedback zwischen vielen, möglichst diversen Generalisierungs-Engines
  • Zeit

Die Washington Post hat eine spannende Datenanalyse wie sich X seit dem Twitterkauf entwickelt hat.

Since July 2023, the Republicans in The Post’s analysis have seen huge booms in their follower counts. Seventeen of the 20 accounts with the biggest follower growth are Republicans, including Rep. Matt Gaetz (Florida) and Sen. Josh Hawley (Missouri), who gained around 500,000.


Casey Newton bespricht im Plattformer Jeff Bezos‘ Antwort auf die Entrüstung, die er mit dem Töten des Harris-Endorsements der Washington Post ausgelöst hat. Newton kritisiert Bezos mit einem Begriff, den er von seinem Journalismusleherer Jay Rosen mitgenommen hat: den Blick von Nirgendwo:

In pro journalism, American style, the View from Nowhere is a bid for trust that advertises the viewlessness of the news producer. Frequently it places the journalist between polarized extremes, and calls that neither-nor position “impartial.” Second, it’s a means of defense against a style of criticism that is fully anticipated: charges of bias originating in partisan politics and the two-party system. Third: it’s an attempt to secure a kind of universal legitimacy that is implicitly denied to those who stake out positions or betray a point of view. American journalists have almost a lust for the View from Nowhere because they think it has more authority than any other possible stance.

Keine Ahnung, ob das ein Zufall ist oder ob Rosens Begriff irgendwie doch über Umwege von Haraway kommt, aber ihrer beider Kritik ist doch zumindest ähnlich?

Das Individuum und der Blick von Nirgends hängen eng miteinander zusammen, denn den objektiven Blick kann man sich als Möglichkeit nur vorstellen, wenn das Denken und Beobachten von jeglicher Infrastruktur befreit ist. Der reine Geist, der als schwereloses Auge über der Welt schwebt.

Ultimately, the View from Nowhere reflects a desire to stay above it all. But in the modern media — in the places where it remains Day 1 — everyone is getting their hands dirty.


Jason Koebler macht sich beruflich bei der großartigen Website 404media die Hände schmutzig und findet: The Billionaire Is the Threat, Not the Solution.

We have seen over and over and over what happens when billionaires decide to exert their will on the prestige publications they decided to buy on a lark, and we have seen what happens when they lose interest in their side projects. It is never good for the people doing the work there.

Er spricht aus schmerzhafter Erfahrung.

I spent the vast majority of that time doing work that made money for an over-bloated apparatus that existed to make a bunch of middle managers and executives large salaries and bonuses and to benefit a founder who is now retroactively denigrating our work in an attempt to cling to whatever relevancy he can find by catering to conspiracy theorists and the right.

Bezos hat mit seinem riesigen Oligarchenarsch der Washington Post 250.000 Abonnent*innen, ein Zehntel, niedergerissen. Der infrastrukturvergessene Blick von Nirgendwo wird im Superindividuum zum Elefanten im Porzelanladen. Wenn das Blatt pleite geht, wird Bezos das in seinem Networth nicht mal merken.

The “wealth and business interests” of billionaire owners, as Bezos writes, are not a “bulwark against intimidation” for journalism. They are, themselves, the biggest threat.


Ich habe gerade ganz begeistert diesen Podcast über die legale Korruption in den USA, die sich Wahlkampffinanzierung nennt, durchgehört: The Master Plan. Es ist ein echter Deepdive in die Geschichte von „Money in Politics“, angefangen bei Richard Nixon, über verschiedene Instanzen bis zum endgültigen Sieg des Kapitals bei Citizen United. Die vielen Geschichten dahinter sind haarsträubend. Aber die Hauptstory ist, wie sich eine Gruppe von Unternehmern und Ideologen rund um ein Papier, das Powell Memorandum versammeln, um Amerika umzukrempeln. Das Powell Memorandum beschreibt auf 70 Seiten, welche Pfade gegangen werden müssen, um die Kontrolle über die Politik erlangen und zentraler Baustein dabei ist natürlich die Legalisierung von Korruption und die Beeinflussung des politisch-medialen Raumes. Das Projekt, das diese Männer vor über 50 Jahren auf die Gleise setzten, bestimmt heute unsere Realität.

Bei der Gelegenheit sei noch diese dreiteilige Doku darüber, wie die Fossilmafia den öffentlichen Diskurs manipuliert, empfohlen. Hier Teil 1, Teil 2, Teil 3.

Und dann wäre da diese etwas ältere The Daily-Folge über den Aufstieg der NRA als mächtige Lobbypower, an der nichts vorbeigeht.

Auch der Market place of Ideas sind drei Oligarchen im Trenchcoat. In allen drei Beispielen tun sich Konservative alte Säcke zusammen, um langfristige Projekte aufs Gleis zu setzen. Sie bauen Institutionen auf, schaffen eigene intellektuelle Ökosysteme und eigene Medieninstitutionen, um ihre Ziele zu verfolgen. Sie spielen das Long Game.

Die Idee der individuellen Manipulation ist selbst manipulativ und stammt aus dem Märchenreich des Individuums. Was in Wirklichkeit manipuliert wird, sind die Semantiken, also das öffentliche Sprechen über Themen. Die Federalist Society, die Heritage Foundation, das Cato Institut, Fox News, etc. sind die Infrastrukturen im Kampf um die semantische Hegemonie und deswegen haben diese Maßnahmen ihren größten Impact immer erst Jahrzehnte später: Semantiken lassen sich nicht von heute auf morgen bewegen, aber wenn sie in Bewegung kommen, können sie über lange Zeit Tsunamis auslösen.


Nathan J. Robinson berichtet, wie das National Museum aus vorauseilendem Gehorsam gegenüber Rechten umgestaltet wurde:

A photo of King was replaced with one of Richard Nixon meeting Elvis Presley. A “proposed exhibit exploring changes to the Constitution since 1787,” including “amendments abolishing slavery and expanding the right to vote,” was reduced in size, and employees were told that “focusing on the amendments portrayed the Founding Fathers in a negative light.” Shogan “told employees to remove Dorothea Lange’s photos of Japanese-American incarceration camps from a planned exhibit because the images were too negative and controversial, according to documents and current and former employees” and her aides “also asked staff to eliminate references about the wartime incarceration from some educational material.” An exhibit on coal communities “cut references to the environmental hazards caused by the mining industry.” Shogan’s aides “also ordered the removal of labor-union pioneer Dolores Huerta and Minnie Spotted-Wolf, the first Native American woman to join the Marine Corps, from the photo booth, according to current and former employees and agency documents.” A photo of Betty Ford wearing an Equal Rights Amendment pin was removed from a video, and in an exhibit of “patents that changed the world,” the birth control pill was replaced with, of all things, the bump stock. The Journal notes that „Shogan’s changes have delayed the opening of new exhibits, initially set for next summer, and are expected to add at least $332,000 to costs.“
It might be surprising that this is occurring under a Biden appointee, but it’s clear that Shogan is intensely worried about being accused of partisanship. When she was appointed, Josh Hawley called her an “extreme partisan,” and Republicans “warned that they would be watching closely for signs that she was pulling the independent agency to the left.” Here we see an example of Republicans “working the ref.” As Pete Davis has explained, in sports this concept refers to the tactic of accusing the referee of being biased toward your opponent, in the hope that the referee will start being biased toward you to make up for it and disprove the accusation.

Das National Museum ist nicht die einzige betroffene Institutionen. Wir sehen diese Entwicklungen vor allem öffentlichen Rundfunk, wo immer mehr Platz für rechte Inhalte gemacht wird. Pete Davis hat das Playbook der Rechten einmal so beschrieben:

In institutional politics, the right-wing establishment has honed working the ref into an art form. It’s a two-part dance. First, they take institutions that see themselves as “neutral referees” and accuse them of having a “left-wing bias.” Then, they repeat themselves over and over and over again — no matter what the truth of the matter is — until the institution is so rattled by being called biased that it, in an attempt to affirm its neutrality, starts doing whatever the right-wing wants. Dozens of institutions that see themselves as referees have been worked. PBS has long been accused of being left-wing, so it finally gave in this year and launched its own conservative talk show. The New York Times, The Washington Post and The Atlantic editorial boards got accused of being left-wing so much that they just went on a hiring spree for conservative columnists. The Obama administration so internalized the accusation of being left-wing that it started implementing conservative agenda items, like cutting entitlements and deporting thousands of American families, to prove its neutral bona fides.


Dieses Paper geht der Frage nach, warum die Frankfurter Schule sich nie um ihre ökonomische Kompetenz bemüht hat. Materiell-Ökonomische Verhältnisse spielen der Autorin Lillian Cicerchia zufolge in der Kritischen Theorie immer nur als Externalität eine Rolle und ihrer Untersuchung nach liegt das nicht an Marx, sondern an Max Weber. Sein Konzept des „Zweckrationalen Handelns“, das er von anderen gesellschaftlichem Handeln deutlich abgrenzt, habe den Frankfurt Boys den Floh mit der „Instrumentellen Vernunft“ ins Ohr gesetzt.

„what Weber calls technical rationality is formal rationality as it is used for economic calculation, that is, determining the cost effectiveness of economic inputs in a competitive market. For Weber, technical rationality in this context is distinct from ethical kinds. It is what separates the “economy” and “society.”

Weber ist der Gedanke an materielle Abhängigkeiten … unangenehm und möchte sie gerne ausklammern.

The normative motivation here is that Weber thinks it is important to maintain the practical separation between the economy and society. Otherwise, individuals would not be able to bring meaning to the instrumental routines of everyday economic life and those would become ends in themselves. Like the critical theorists after him, Weber was convinced that such meaning could not and should not come from within the economy.

Ich weiß, ihr erwartet irgendwann eine Ideengeschichte des Individuums von mir und vielleicht kommt die noch, aber für heute belassen wir es bei der materiellen Geschichte des Individuums:

Das Individuum erblickte das Licht der Welt in den europäischen Salons der besseren Gesellschaft des späten 18. Jahrhunderts, als die Oberschicht wechselseitig an sich feststellte, wie schwerelos das Leben ist, wenn man Hausangestellte hat. Genau genommen haben sie den letzten Teil ausgeblendet, genau so wie die Tatsache, dass sich die Agency ihres Hauspersonals auf Arbeiten oder Hungern beschränkte und ihnen also das Individuum gar nicht plausibel war.

Das Virus sprang schnell über zu den Sklavenhaltern in den USA und perkulierte entlang der sprießenden Infrastrukturen der Industriellen Revolution immer weiter in die Gesellschaft hinein (überall wo Lebensstandards einen bestimmten Schwellenwert an Pfadgelegenheiten erreichten), bis das Individuum so ab 1900 zum Mainstream wurde. Mit Strom, fließend Wasser, Telefon und Auto wurde das Individuum zum Lebensgefühl des 20. Jahrhunderts und zum Grundbaustein der Metaphysik des Westens.

Die materielle Geschichte der „Dialektitik der Aufklärung“ ist ebenfalls schnell erzählt: Max Horkheimer und Theodor Adorno besuchten sich wechselseitig in ihren Exilunterkünften in den USA und Gretel Adorno schrieb auf, worüber die beiden Herren redeten. Dialektik der Aufklärung war ein Podcast! (Danke für den Hinweis, Susann!)

»Die Gesprächsinhalte wurden von Gretel Adorno zumeist wortwörtlich protokolliert und dann in Form maschinenschriftlicher Texte für die weitere Überarbeitung vorgelegt.«

Gretel war nicht nur das Aufnahmegerät, sondern auch sonst die Infrastruktur der kritischen Theorie.

Sie schuf das berufliche und häusliche Umfeld, in dem er kreativ sein konnte. Oder in den Worten von Müller-Doohm: »Wenn er Gäste im Hause hatte, bewies er, nachdem Gretel die Cocktails serviert hatte, sein Talent, die Geladenen glänzend zu unterhalten.«

Da frage ich mich: hätte Gretel die Herrn Intellektuellen nicht darauf aufmerksam machen müssen, dass Zweckrationalität und instrumentelle Vernunft notwendiger teil jeder Haushaltsführung ist?


Joscha Bachs Karriere beobachte ich ja schon seit längerem und bei diesem Interview wurde mir klar, warum Joscha zum Hohepriester der KI-Bros geworden ist: Niemand ist ein krasseres Individuum als er.

Joscha will zuerst statt über Intelligenz über Agency sprechen, doch dabei kommt raus, dass das für ihn doch ein und dasselbe ist. Für Joscha hat der Agent Agency, weil er ein „Modell der Welt“ entwirft, um die „Zukunft zu kontrollieren“. Joschas Agent ist ein tougher Guy, der seine Welt – inklusive des eigenen Körpers und der ihn umgebene Infrastrukturen – seiner modell-bildenden Intelligenz unterordnet. Das Individuum war schon immer eine männliche Machtphantasie, die aus dem jahrhundertelang unwidersprochenen Overfitting von Intelligenz/Vernunft mit Agency resultiert.

Das, was Joscha Agency nennt und sie der Intelligenz des „Agents“ zuschreibt, nennt die Cyborg Freiheit. Konkreter: horizontale Freiheit, bzw. Positive Freiheit. Man könnte sie auch relational-materielle Agency nennen.

Unsere Freiheit ist der Ausschnitt, der uns zugänglichen Pfade im Netzwerk der Pfadgelegenheiten.

Unsere Freiheit ist diskret, also abzählbar. Sie existiert nur in konkreten, materiellen Pfadgelegenheiten, die uns zu einem Zeitpunkt x zur Verfügung stehen: der Wasserhahn, das Stück Straße zum Weg auf die Arbeit, das Stellenangebot in der Zeitung, das Essen im Restaurant, das Wort auf der Zunge. Die Pfade, auf die die Pfadgelgenheiten führen sind ungewiss, aber das heißt nicht, dass wir ziel- und planlos sind.

Ziele sind Netzwerkzentralitäten im Netzwerk der Erzählungen. Wir sind immer auf Mission als Maincharakter in den vielen Geschichten, die wir uns über uns selbst erzählen und die steuern alle auf ein Happyend?

Pläne sind imaginierte Pfade im Netz der Pfadgelegenheiten auf dem Weg zum Happyend. Mal mehr mal weniger konkret, mal mehr oder weniger realistisch, etc. Damit ein Plan glückt, müssen Pfadgelegenheiten teils hart erarbeitet werden und manche Pfadgelegenheiten kann man nur erhoffen. Wenn die Ungewissheit zu groß wird, muss man Pläne auch beerdigen und das ist immer schmerzhaft.

Das Netz der Pfadgelegenheiten hat ebenfalls Netzwerkzentralitäten und die nennen wir „Liquidität“. Geld ist nicht der einzige, aber netzwerkzentralste Hub in diesem Netzwerk, zumindest im Kapitalismus.

Damit können wir schon mal drei Freiheiten ausmappen:

  1. Die nominelle Freiheit ist die Anzahl, Vielfalt und Qualität der Pfadgelegenheiten, die von einem Dividuum zum Zeitpunkt X ausgehen und deren Länge durch das Geld als Radius begrenzt wird. Die nominelle Freiheit ist also der Ausschnitt im Netz der Pfadgelegenheiten, der für das Dividuum zum Zeitpunkt X zugänglich ist. Es ist nur eine theoretische Freiheit, weil sich niemand die Arbeit machen würde, diese Pfade auszukartographieren.
  2. Die plausible Freiheit ist das viel kleinere Subset dieser Pfade, die dem Dividuum tatsächlich als „plausibel“ im Bewusstsein schwirren. Sie wird somit einerseits durch die nominelle Freiheit begrenzt, aber auch durch die dem Dividuum zugänglichen Erzählungen. Diese plausiblen Pfade sind natürlich imaginiert und auch hier gilt: sie sind nicht rigoros ausgemappt und schon gar nicht vollständig und oft auch gar nicht wirklich plausibel, wenn man genau hinsieht, aber sie bilden das Freiheits-Hintergrundrauschen, vor dessen Kulisse jede Pfadentscheidung getroffen wird. Sie ist der Raum, in dem wir planen und entscheiden. D.h. jede Pfadentscheidung ist immer eine Entscheidung gegen andere plausible Pfade in diesem Raum.
  3. Die geplante Freiheit ist die Freiheit, die wir im Alltag spüren. Hier ist die Schmerzempfindlichkeit am größten. Geplante Freiheit ist die Leichtigkeit (oder nicht), mit der wir unseren Plänen nachgehen. Nichts vermittelt so sehr das Gefühl von Unfreiheit, als wenn Barrieren unsere Pläne verhageln.

Horizontale Macht (auch hegemoniale Infrastrukturmacht) begrenzt unsere nominelle und damit die horizontale Freiheit. Als Pfadopportunist*innen nehmen wir diese Form der Macht nicht als Gewalt wahr, weil die vorenthaltene Agency nie erwartet wurde. Wir fügen uns.

Vertikale Freiheit (auch negative Freiheit) ist geplante Freiheit. Vertikale Macht (auch souveräne Infrastrukturmacht), also Gewalt, kann sich jederzeit zur Netzwerkzentralität in den Pfadabhängigkeiten Deiner Pläne machen und macht Dich somit extrem abhängig. Freiheit von dieser Form der Abhängigkeit ist die Freiheit, planen zu können.

Und dann gibt es noch die semantische Macht (auch hegemoniale Semantikmacht), die die plausible Freiheit … zumindest mitgestaltet. Wer erzählt die Geschichten, die umherschwirren, an denen auch wir unsere Lebenspfade, also Pläne orientieren?

Was auch spannend wäre: „Chancengleichheit“ aus Cyborgsicht einmal auszubuchstabieren.

Krasse Links No 30

Willkommen zu Krasse Links No 30. Heftet Euch Gewalt an die Pfadentscheidung, heute dematerialisieren wir die Erlaubnisstrukturen der Superindividuen.


Wenn am 5. November Donald Trump die Wahl gewinnt, wird er Präsident der Vereinigten Staaten. Aber was passiert, wenn Kamala Harris die Wahl gewinnt? Entweder wird sie Präsidentin, oder …

A key swing state takes several days to finish counting votes. Harris edges Trump by a few thousand ballots, appearing to clinch the election. Trump then blankets the state with ads exhorting officials to “stop the steal,” sends top allies to rail daily outside counting facilities about a crooked process, files a blizzard of litigation urging judges to throw out ballots being counted after Election Day and spreads claims that the vote was swung by non-citizens. Threats rain down on election officials and vote counters, with protests driving up the local and national temperature. Then, Trump allies on a handful of county election boards resist certification, threatening to disenfranchise thousands of voters and disrupt the state’s effort to finalize an accurate count.

All die Verschwörungstheorien, Lügen und Grenzverletzungen aus dem MAGA-Lager sind nicht einfach „Desinformationen“ oder „Propaganda“. Wir sollten uns stattdessen fragen:

Wozu geben sie sich damit die Erlaubnis?


Neulich hatte ich hier über ein KI-Paper von Anthropic berichtet, in dem via „Sparse Autoencoder“ (ein spezielle Art von neuronalem Netz, das ich dort auch erkläre) einzelne Semantiken im Neuronengefüge eines Large Langugage Models identifiziert und isoliert wurden.

Nun haben Wissenschaftler*innen diese Methode dazu genutzt, unterschiedliche Modelle darauf zu testen, ob sie dieselben Semantiken (hier: monosemantische Features) implementieren und die Antwort ist: yep.

Our findings reveal a high degree of similarity in SAE feature spaces across various models. Furthermore, our research reveals that subspaces of features associated with specific semantic concepts, such as calendar or people tokens, demonstrate remarkably high similarity across different models. This suggests that certain semantic feature subspaces are universally encoded across varied LLM architectures.

Das beweist natürlich meine Theorie nicht, aber ein anderes als dieses Ergebnis würde sie hinfällig machen.


Der hier öfter zitierte François Chollet hat einen sehenswerten Vortrag über die technischen Grenzen von Large Language Models gehalten und ich bleibe dabei: er scheint einer der wenigen im Silicon Valley zu sein, die es geblickt haben.


2022 hatte ich zusammen mit anderen im Auftrag des Wikimedia e.V. die Konzeptstudie über die „Nationale Bildungsplattform“ (jetzt: „Digitale Vernetzungsinfrastruktur für die Bildung“) veröffentlicht und die eine Erkenntnis, die mich seitdem haunted, ist, wie pfadopportunistisch Technologieentwicklung ist.

Wir führten einige semistrukturierte Interviews mit allen möglichen Beteiligten und fanden heraus, dass das ganze Konzept von Anfang an und bis zum Ende des Prozesses auf einem Prototypen basierte (BIRD), der wiederum auf Softwarekomponenten basierte, die allesamt im Zuge eines anderen Projektes an der Universität Potsdam entwickelt wurden.

Ulrike Lucke hatte an der Uni Rostock bereits an vergleichbaren Problemen gearbeitet und in ihrer Zeit an der Universität Potsdam weiter die Vernetzung von Hochschuldiensten vorangetrieben. (Lucke Interview, 2022) Insbesondere über den ebenfalls vom BMBF geförderten »Qualitätspakt Lehre« wurden viele Technologien entwickelt und erprobt, die heute in BIRD stecken. So hatte das »Schaufenster«, das sich in den Ausschreibungsunterlagen findet, bereits ein Vorleben an der Universität Pots- dam. An Single Sign-on und einem Walletkonzept wurde ebenfalls gearbeitet, und auch der Metadatenaustausch wurde in verschiedenen Projekten erprobt. In den Worten von Ulrike Lucke: »Also, es ist nichts 100 pro neu, sondern nur wirklich zusammengesammelt, angepasst, zusammengefügt.«

Ich will das nicht skandalisieren, sondern fand das erst nur erstaunlich und dann fand ich erstaunlich, dass ich es erstaunlich fand, obwohl es im wahrsten Sinne des Wortes naheliegend ist?

Vielleicht, weil wir uns Technologieentwicklung als Heldengeschichten von genialen Individuen erzählen, haben wir das Offensichtliche übersehen, nämlich, dass jede neue Technologie eine Pfadentscheidung ist, die durch vorherige Pfadentscheidungen ermöglicht wurde. Technologieentwicklung ist ein Gestrüpp, dass sich nur entlang seiner Ränder weitererzählen lässt.

Sicher, die Navigation technologischer Pfadgelegenheiten ist (meist) profitgetrieben, aber weil das, was bereits im Regal liegt, die plausiblen Pfade vorzeichnet, entwickelt Technologie immer auch ein Eigenleben.

Umgekehrt heißt das auch: Einmal errichtete Infrastruktur determiniert und motiviert ihre Anschlussnutzung.


Italien baut mit EU-Geldern Konzentrationslager und andere militarisierte Infrastrukturen in Tunesien (und beginnend auch in Albanien) und der Guardian hatte vor ein paar Wochen eine ausführlich recherchierte Story mit vielen Einzelschicksalen.

Marie, from the Ivory Coast city of Abidjan, knows others who describe rape by Tunisia’s national guard. “We’re being raped in large numbers; they [the national guard] take everything from us.”

Andere werden in die Wüste getrieben.

Her body was found mid-August near Kasserine, face down in sand. Mohamed estimates up to 50 of his friends have been snatched from Sfax by the national guard and dumped in the desert. Of these five have disappeared or were found dead. Another 10 crossed into Algeria.

Die Zustände in den Camps sind menschenverachtend.

“They eat dead animals, roadkill, anything they find,” says Youssef.
Denied all healthcare, Yasmine says the camp is rife with disease including tuberculosis, HIV, scabies and syphilis. Concern is mounting over the infant mortality rate. “Babies are born in 40C heat without medical help, vaccination, food. How can they survive?”

Behaltet Eure Meloni-Beschimpfungen für Euch, denn das ist unsere Gewalt. Sie passiert in unserem Namen und wir erlauben das. Und diese Erlaubnisstruktur ist bereits eine wichtige Pfadentscheidung dafür, wie wir mit der Milliarde Flüchtlingen im Zuge des bevorstehenden Klimakollaps umgehen werden. Wer immer noch glaubt, in der Startrek Timeline zu leben, sollte langsam mal aufwachen.


In seinem Newsletter spielt Timothy Snyder einmal durch, was es bedeutet, wenn Trump seine Pläne für Massendeportationen wahr macht.

An attempt to rapidly deport twelve million people will also change everyone else. As Trump has said, such an action will have to bring in law enforcement at all levels. Such a huge mission will effectively redefine the purpose of law enforcement: the principle is no longer to make all people feel safe, but to make some people unsafe. And of course the diversion of law enforcement resources to deportation means that crimes will not be investigated or prosecuted. So some people will be radically less safe, but everyone regardless of status will in fact be less safe.
[…]
The deep purpose of a mass deportation is to establish a new sort of politics, a politics of us-and-them, which means (at first) everyone else against the Latinos. In this new regime, the government just stokes the fears and encourages the denunciations, and we expect little more of it. If Trump and Vance win, this dynamic will be hard to stop, especially if they have majorities in Congress. The only way to avoid it is to stop them in November with the vote.

Weil wir nicht einfach gewalttätige Individuen sind, sondern Dividuen, die einander Gewalt erlauben (siehe auch Milgram), kommt jede Gewalt mit ihrer Erlaubnisstruktur.

Es ist am Ende nicht so sehr die Gewalt selbst, die die Gesellschaft verändert, sondern die Infrastrukturen der Gewalt und ihre angeschlossenen Erlaubnisstrukturen. Weil Semantiken alle miteinander verkoppelt sind, kann man keinen Gewaltakt rechtfertigen, ohne einen ganzen Rattenschwanz von verknüpften Semantiken mitzuverschieben. Alles, was der Faschismus berührt, färbt er ein.

Das gilt nicht nur für Massendeportationen. Wenn ich tausende Tote und Konzentrationslager an den EU-Außengrenze erlaube, weil „wir nicht alle aufnehmen können“; wenn ich jahrelange Haftstrafen gegen Klimaaktivist*innen erlaube, weil sie den Verkehr stören; wenn ich den Tod von zigtausenden palästinensischen Zivilist*innen in Kauf nehme, weil „Israel sich verteidigen muss“, dann baue ich an immer monströseren Erlaubnisstrukturen, die immer mehr Gewalt normalisieren und also motivieren.


The Market Exit erklärt, warum Meritokratie Bullshit ist. Das eindrücklichste Beispiel war, fand ich, dass die Namen der normannischen Oberschicht, die England nach der Eroberung von 1066 regierte, immer noch überdurchschnittlich oft in den Immatrikulationslisten von Oxford und Cambridge zu finden sind.

Ich hatte im letzten Newsletter dazu aufgerufen Marx‘ Perspektive des historischen Materialismus zu adaptieren, doch dabei schließe ich Semantik ausdrücklich mit ein.

Warum auch nicht? Schallwellen, Tinte auf Papier, Pixel, Festplatten: jedes „sich Ausdrücken“ ist materiell. Und jede Semantik zeitigt materielle Effekte: Ein falsches oder richtiges Wort, ein bestimmtes Aussehen, ein Song oder ein Buch können enorme materielle Unterschiede ausmachen.

Doch semantische Pfadgelegenheiten bleiben latent und damit immateriell, bis zum Zeitpunkt ihrer Manifestation. Semantiken sind nur materiell in der Relationalität ihrer Artefakte, Sprechakte oder Urherberrechtsverfahren.

Was Semantiken ebenfalls materiell macht, ist, dass sie eingeübt sind. Oberschichts- oder proletarische Semantiken zu navigieren, ist ein jahrelang trainierter Skill, dessen LockIn soziale Verortung gleichzeitig signalisiert und enforced, wie Pierre Bourdieu bereits in den 1970er gezeigt hat.

Weil wir alle nur Pfadopportunist*innen sind, die semantische und materielle Pfadgelegenheiten wahrnehmen, die die Infrastrukturen bereitstellen, die halt so um uns herumstehen, gleiten oder grinden wir durchs Leben und reproduzieren im Lockstep-Individualismus die Strukturen, die uns hervorgebracht haben.


Cory Docotorow warnt davor, auf die Urheberrechtsklagen der Verlage gegen die KI-Startups zu hoffen. Der Feind deines Feindes ist nicht immer Dein Freund.

Seit dem Aufkommen von genrativer KI gibt es in der linken techkritischen Szene eine art „Reckoning“ mit alten urheberrechtskritischen Positionen, jetzt, da das Urheberrecht die einzige wirksame Waffe gegen Big Tech zu sein scheint.

Doch die Erzählung ist Kokolores. Einerseits profitiert Big Tech selbst in enormen Maße, weit mehr als die Verlage vom Urheberrecht und anderen Immaterialgüterrechten und zum Anderen wird das Urheberrecht keine der befürchteten Entwicklungen verhindern.

Was passieren wird ist, was immer passiert: die Verlage handeln ihre Deals aus und die Urheber*innen gehen leer aus. Der Grund für das Darben der Kreativen ist nämlich nicht ein impotentes Urheberrecht, sondern die relative Reduktion ihrer Netzwerkzentralität gegenüber einer sich immer stärker konzentrierenden Kulturindustrie.

The biggest predictor of how much money an artist sees from the exploitation of their work isn’t how many exclusive rights we have, it’s how much bargaining power we have. When you bargain against five publishers, four studios or three labels, any new rights you get from Congress or the courts is simply transferred to them the next time you negotiate a contract.
[…]
Giving a creative worker more copyright is like giving your bullied schoolkid more lunch money. No matter how much you give them, the bullies will take it all. Give your kid enough lunch money and the bullies will be able to bribe the principle to look the other way. Keep giving that kid lunch money and the bullies will be able to launch a global appeal demanding more lunch money for hungry kids!

Weil wir keine Individuen sind, die eigene Musikgeschmäcker haben, sondern Dividuen, die sich gegenseitig Musikgeschmäcker beibringen, kann man die Geschichte des Rock n’Roll auch als die Geschichte der kommerziellen Erschließung semantischer Netzwerkmacht erzählen.

Das Verlagswesen hatte bereits den Weg gewiesen, aber mit dem Aufkommen der Tonträgerindustrie und den Massenmedien wurde klar, dass man auf Öl gestoßen war. Während die Kosten für die Produktion für Tonträger mit der Skalierung immer Bedeutungsloser wurden (Skaleneffekt), stiegen die Umsätze für virale Hits exponentiell ins Unermessliche (Netzwerkeffekt).

Jede Ölquelle braucht Infrastrukturen und so machten Stars, Drama, Spektakel die Einnahmen berechenbarer und es wuchs ein mächtiges Business heran, das in seiner korrupten mafiosität als weiteres Beispiel für den Ressourcenfluch gelten kann. Die Ausbeutung war schon immer brutal, doch mit der Konsolidierung hin zu nur noch drei großen Majorlabels, die gemeinsame Sache mit den Streamingdiensten machen, hat die Kulturindustrie eine Form von Gewalt gefunden, die im Kapitalismus legal ist.

Das Urheberrecht spielte die meiste Zeit nur als Spezialrecht eine Rolle, das die Angelegenheiten zwischen Urheber*innen und Verlagen regelt, doch als mit dem Aufkommen des Internets dieses Geschäftsmodell in Frage stand, wurde das Urheberrecht auf Druck der Musikoligarchie zu dem allgegenwärtigen Regime umfunktioniert, mit dem wir nun jeden Tag in Berührung kommen.

Handelsverträge (WTO, TRIPS, TTIP, etc) machten Immaterialgüterrechte (dazu gehören auch Patente und Markenrechte) zu globalen Regimes und erschufen ein neues Paradigma der Ausbeutung, das sich immer mehr auf die Erschaffung und Kontrolle von semantischen Infrastrukturen spezialisierte und die Produktion materieller Güter mehr und mehr in Entwicklungs- und Schwellenländer auslagerte, wo man Supplyer und Arbeiter*innen um die abfallenden Brotkrumen konkurrieren lässt.

In meinem Supplychain-Text spreche ich von „relationaler Dematerialisierung“ und meine, dass Arbeitskraft, Energieflüsse, Fabriken und alles Materielle immer austauschbarer gemacht werden, während man gleichzeitig an der Unaustauschbarmachung von immateriellen Gütern arbeitet. Der Anteil immaterieller Wertschöpfung hat in fast allen westlichen Ländern den des Materiellen längst überflügelt und die Machtkonzentration, die wir in den USA und den westlichen Ländern sehen, ist zum Großenteil auf die Monopolisierung semantischer Netzwerkzentralitäten zurückzuführen.

Dass ich die Geschichte der Plattformen von Napster her erzähle ist kein Zufall, denn mit dem Napstershock wurde nicht nur die explosive Kraft von Netzwerkeffekten offenbar, sondern auch das Problem, das der Kapitalismus mit dem Internet hat: Mangelnde Kontrolle. Apple etablierte mit iTunes die integrierte Bezahlschranke als Lösung und so wurden Plattformen die technologische Antwort auf den Kontrollverlust. Ergebnis ist ein rein technisches Regime, das kaum mehr auf staatliche Rechtedurchsetzung angewiesen ist, weil es seine infrastruktureigene Gewalt einsetzt, um Netzwerkeffekte ausbeutbar zu machen.

Generative KI ist gewissermaßen nur der Höhepunkt eines seit längerem fortschreitenden Prozesses, nämlich die endgültige relationale Dematerialisierung kreativer Arbeit, das heißt die Reduktion Eurer, liebe Urheber*innen, relativen Netzwerkzentralität ins Bodenlose. Es sollen künftig nur noch KI-Unternehmen von unserer Abhängigkeit von Tönen, Bildern und Texten profitieren und die Kulturindustrie verhandelt gerade ihren goldenen Fallschirm. Fuck Yeah, Urheberrecht!


Max Read hatte neulich in das Business des Newsletter-Schreibens eingeführt und weil ich gerade die freien 1000 Abonnent*innen bei MailPoet gesprengt habe und ab nun für den Spaß bezahlen muss, hab ich das interessiert gelesen.

Read haut seine wirklich relevanten Takes „for free“ raus, auch weil das Leser*innen gewinnt und seine „Payed Subscriber“ bekommen nur ein paar Literaturempfehlungen.

The paywalled post offers some kind of value-add (shopping guides, book recommendations, link roundups), the contents of which are teased above the paywall. This is the main way you convert your free subscribers to paid–they want access to all the good, valuable stuff you’re offering behind the paywall.

Das Newsletter-Business funktioniert so, dass Du mit einem bestimmten Wissen oder einer bestimmten Perspektive Aufmerksamkeit, also Netzwerkmacht aufbaust, die Du dann teilweise hinter die Infrastrukturen einer Bezahlschranke stellst.

Den Einsatz von Macht, um anderen seinen Willen aufzuzwingen, nennt man Gewalt. Das ist erstmal kein Problem, solange man dafür eine plausible Erlaubnisstruktur unterhält, aber blöderweise funktionieren die Existierenden nur für Individuen?

Klar, ich habe Arbeit, ich will und muss leben, um die Arbeit weiter fortzusetzen, etc. aber das ist halt nicht, wie eine Bezahlschranke funktioniert? Bezahlschranken setzten einen allgemeinen Preis für arm oder reich gleichermaßen und vor allem bleibt der Preis derselbe, ob ich 100 oder 10.000 Abonnent*innen habe und d.h., selbst wenn ich satt bin, enthalte ich jemandem etwas vor, was er oder sie will, obwohl es mich literally nichts kosten würde, es bereitzustellen. Während also die Einnahmen unabhängig vom Aufwand sprudeln, korrumpiert das die Erlaubnisstruktur und macht sie zur verdrängten Gewalt und wir wissen ja wohin das führt: Privatjets, die den Klimawandel beschleunigen.

Als Individuum kann man sagen: ich bin so krass, wie ich all diese Gedanken aus der besonderen Individualität meines Geistes extrahiere, das habe ich mir verdient aber als pfadopportunistischer Navigator von Semantiken, die eh grad herumlagen ist das weitaus schwieriger. Im Gegensatz zum Individuum verdanke ich meinen moderaten Erfolg nämlich nicht meiner Genialität sondern Leuten, die angstfrei genug sind, zu meinen weirden Beats mitzunicken und die per Mouth-to-Mouth-Empfehlung die eigentliche Überzeugungsarbeit leisten. Habt vielen Dank dafür!

Also hier ist mein Deal:

  1. Der Newsletter bleibt frei und Du bezahlt mich einfach freiwillig. Aber bitte keine Einmalspenden, sondern monatliche Daueraufträge.
  2. Wenn Du weniger als 30.000 Euro im Jahr verdienst, will ich Dein Geld nicht. Es gibt tausend Arten, das Geld besser auszugeben. Kauf Dir lieber ein Eis!
  3. Zur Orientierung: nach derzeitigem Stand ich wäre gesundgestoßen, wenn alle 1,50 zahlen, oder 100 Leute 15 Euro, oder 10 Leute 150 Euro. Nein, ich erwarte keine initiale Gesundstoßung.
  4. Wenn Du so viel Geld hast, dass Du gar nicht so recht weißt wohin damit, bitte spende nicht über 150 Euro pro Monat. Ich schätze meine Unabhängigkeit.
  5. Ansonsten: Denk beim Ausfüllen der Sepa-Lastschrift nicht an mich, sondern an all die Leser*innen, denen Du mit Deiner Spende den Zugang zum Newsletter ermöglichst.

Michael Seemann
IBAN: DE58251900010171043500
BIC: VOHADE2H
Paypal.


Elon Musk telefoniert seit 2022 regelmäßig mit Putin, Donald Trump behgauptet, Tim Cook hätte ihn angerufen und Jeff Bezos killt der Washington Post ihr Kamala Harris-Endorsement.

Wenn meine These, dass das Individuum nur eine Projektion auf die eigene infrastrukturvermittelte Agency ist, stimmt, dann folgt daraus, dass das „Individuum“ skalierbar ist. Je mächtiger die kontrollierten Infrastrukturen sind und je weitreichendere Pfadgelegenheiten sie ermöglichen, desto mehr Agency kann man als „Individualität“ auf das Selbst projizieren.

Hier meine These zu Milliardären: Durch die ungebremste Machtakkumulation im Neoliberalismus entstand die Psychologie des Superindividuums. Menschen, die über so viel infrastukturvermittelte Macht verfügen, dass sie begonnen haben, sich als Superhelden zu erzählen.

Und meine weitergehende These ist, dass Milliardäre in Wirklichkeit gar keine Individuen sind, sondern Dividuen, die sich das Milliardärsein voneinander abschauen, weshalb Trumps ungesühnte Grenzüberschreitungen bei Bezos, Thiel, Sachs, Cook, Ackman, Zuckerberg und vor allem Musk ein Milliardärs-Klassenbewusstsein inspiriert. Sie beginnen zu verstehen, dass Trumps Wahlsieg eine universelle, ungecheckte Erlaubnisstruktur für Superindividuen wie sie in Aussicht stellt.


Da auch Klassenbewusstseine ihre Pfadentscheidungen haben, ist es vielleicht interessant, dass ein relevanter Teil der sich gerade radikalisierenden Milliardäre ihren herrschaftlichen Blick in Appartheits-Süd-Afrika eingeübt hat.

Elon Musk lived in apartheid South Africa until he was 17. David Sacks, the venture capitalist who has become a fundraiser for Donald Trump and a troll of Ukraine, left aged five, and grew up in a South African diaspora family in Tennessee. Peter Thiel spent years of childhood in South Africa and Namibia, where his father was involved in uranium mining as part of the apartheid regime’s clandestine drive to acquire nuclear weapons. And Paul Furber, an obscure South African software developer and tech journalist living near Johannesburg, has been identified by two teams of forensic linguists as the originator of the QAnon conspiracy, which helped shape Trump’s Maga movement. (Furber denies being “Q”.)
[…]
To whites of a certain mindset, this inequality wasn’t due to apartheid. They thought it was inscribed in nature. Certain people were equipped to succeed in capitalism, while others weren’t. That was simply the way it was, and it was pointless to try to mess with nature. Two of Thiel’s contemporaries at Stanford in the 1980s recall him telling them that apartheid “works” and was “economically sound”. His spokesman has denied that he ever supported apartheid.


Dazu passt diese Recherche vom Guardian, dass hinter dem erwachenden Interesse für „race science“ ebenfalls ein Netzwerk von unter anderem Tech-Oligarchen steckt, das über dubiose Think Tanks Journalismus und Wissenschaften beeinflusst. Nicht nur in den USA, auch in Deutschland.


Spencer Ackerman war bei „Tech Won’t Save us“ und erklärt überzeugend, warum Israels Krieg in Gaza Labor und Prototyp einer neuen Form der Kriegsführung ist, die wir bald überall sehen werden: Komplett KI-gestüzt, halbautomatisiert und erbarmungslos.


Roberto J. González schreibt in diesem Paper über die immer engere Verzahnung des Industriellen Militärischen Komplexes mit Silicon Valley. Zwischen 2019 and 2022 vergab das Militär bereits ca. $53 Milliarden und mit KI geht Trend steil nach oben.

Over the past two years, global events have further fueled the Pentagon’s demand for Silicon Valley technologies, including the deployment of drones and AI-enabled weapon systems in Ukraine and Gaza, and fears of a global AI arms race against China. The prospect of Russian cyberwarfare and disinformation campaigns have also motivated Defense Department officials to invest heavily in new digital technologies. Consequently, DoD officials have outlined plans to develop expansive fleets of autonomous aerial, maritime, and terrestrial drones for transportation, surveillance, and combat; acquire commercial cloud computing capabilities for data sharing, data storage, and “seamless connectivity”; bolster America’s cyberdefense systems; and employ AI for training and combat simulation exercises.

Hier, was ich glaube, was passieren wird:

  • Die Gen-KI-Blase platzt und das wird einige Startups killen, aber nicht die Großen.
  • Die gigantomatischen KI-Rechenzentren stehen aber jetzt in der Landschaft und determinieren und motivieren Anschlussnutzung.
  • Während sich die geopolitischen Spannungen überall auf der Welt hochschaukeln und alle sicher sind, dass der nächste Krieg durch KI entschieden wird.
  • Während die Tech-Billionär-Kaste von Superindividuen ihr faschistisches Klassenbewusstsein entdeckt und sich immer stärker an den militärisch-industriellen Komplex kuschelt.
  • Während wir unsere Erlaubnisstrukturen schneller skalieren, als Elon Musk seine Versprechen.
  • Gaza for the Rest of us.

WWIII wird … weird.

Krasse Links No 29

Willkommen bei Krasse Links No 29. Leitet Eure Schärfe in den Schmerz, heute dekonstruieren wir die „False Norm“ in der Schwerelosigkeit der Realität.


Ein Video mit dem in Tränen ausbrechenden Meterologen John Morales ging kurz vor Miltons Impact in Florida viral.

Mein Doktorvater Bernhard Pörksen sagte mal zu mir: „Realität ist das, was noch da ist, wenn du nicht dran glaubst“, was ich auf Anhieb schlüssig fand. Aber wenn man das zu Ende denkt, bedeutet das: Realität ist Schmerz. Schwerkraft ist nicht „wahr“, weil Newtons Formeln stimmen, sondern weil hinfallen weh tut.

Schmerz ist auch der Antrieb für diesen Newsletter. Ich habe mir am Netzwerk den Kopf gestoßen und seitdem verarbeite ich diese Erfahrung zu einer anderen Sicht auf die Welt.

Der Klimawandel ist wie das Netzwerk ein Hyperobjekt, und meine These zu Hyperobjekten ist, dass sie Dimensionen von Realität sind, zu denen uns noch der passende Schmerz fehlt. Deswegen hat dieser Clip wahrscheinlich mehr zum allgemeinen Verständnis des Klimawandels beigetragen als der letzte IPCC-Bericht.


Ich gucke immer mehr Videos auf Instagram (lasst mich!) und einem, dem ich supergern folge, ist Adam Aleksic, aka etymologynerd.

In diesem Video beschreibt er das Phänomen, dass Jungennamen in den USA immer häufiger mit „n“ enden und dieser Trend zur Uniformität lässt sich paradoxer auf einen Abgrenzungswillen zurückführen. Es wurden ganz viele neue Namen kreiert, aber meist welche, die auf „n“ enden, weil das irgendwie „low key“ männlich wahrgenommen wird. Das führte zu mehr Männern mit „n“ am Namensende, was den Eindruck verstärkte, etc. Network effects all over again.

Jedenfalls nennt man das wohl „Lockstep Individualism“ und ich musste herzlich lachen, aber dann fragte ich mich: gibt es einen Individualismus, der nicht lockstep ist? Ist nicht jede Abgrenzungsgeste bereits im lockstep mit all den anderen Abgrenzungsprojekten? Ist lockstep-Abgrenzung nicht auch irgendwie unser Thing?


Apple hat ein Paper zu den „Reasoning“-Fähigkeiten von LLMs veröffentlicht und ich bin mir fast sicher, dass es diese Forschung war, die Apple dazu bewegte, sich aus der letzten Fundingrunde von OpenAI herauszuziehen.

Die Apple-Forscher*innen haben ein populäres Datenset mit Reasoning-, Logik und Mathe-Aufgaben zur Hand genommen und von den Fragen Templates gemacht, mit denen sie allerlei Variationen der ursprünglichen Fragen austesten konnten. Und das Ergebnis ist, dass man die Modelle mit kleinen Änderungen am Setting komplett aus dem Konzept bringen kann.

We show that, likely due to potential pattern matching and the fact that the training distribution of models included only necessary information for solving questions, adding seemingly relevant clauses to the question that do not impact the reasoning process required to solve it significantly drops the performance of all models.

Outsch.

Overall, we find that models tend to convert statements to operations without truly understanding their meaning. For instance, a common case we observe is that models interpret statements about “discount” as “multiplication”, regardless of the context.

OutschOutsch.

It may resemble sophisticated pattern matching more than true logical reasoning.

OutschOutschOutsch.

Neulich, unter meinem LinkedIn-Post zu dem „Dickicht der Bedeutung“-Text diskutierten Martin Linder und ich, wieso die LLMs so besonders gut darin zu sein scheinen, kulturwissenschaftliche Texte zu produzieren und Martin schrieb:

„ja, kulturwissenschaften beruhen ja geradezu auf dem genauen umgang mit unschärfen.“

Das schien es mir auf den Punkt zu bringen. Wir KuWis haben ja immer mit „Fuzzy Objects“ zu tun und daher gilt es, durch Genauigkeit in der Beschreibung Konturen in die Unschärfen zu bringen. Das ist unser Beitrag. Aber dann fiel mir auf, dass das, erstens für alle Wissenschaften und zweitens sogar jede menschliche Äußerung gilt: Wenn wir sprechen, wollen wir etwas ausdrücken, das heißt eine Unschärfe konturieren, um sie mitteilbar zu machen. Das ist immer ein schwieriges Unterfangen, weil die Stimmung, die Beziehung, die Gefühle, die Welt eben … unscharf sind, uns aber nur vereindeutigende Worte dafür zur Verfügung stehen.

Das erinnerte mich daran, dass Derrida immer wieder darauf hinwies, dass nur das Unentscheidbare überhaupt entschieden werden kann.

A decision can only come into being in a space that exceeds the calculable program that would destroy all responsibility by transforming it into a programmable effect of determinate causes.

Und dadurch kam ich drauf, dass es bei der LLM genau umgekehrt ist. Statt auf Unschärfen greift sie auf einen klar determinierten Datenraum zu und folgt ihm entlang der Majority Vote. Die LLM will nichts ausdrücken, sondern optimiert ihren Output auf statistisch gemessene Erwartbarkeiten.

Und um das Ergebnis glaubwürdiger zu machen, streut man beim Generieren des Textes über den „Temperature“-Wert noch Randomness hinzu. Die Erfahrung zeigt, dass wenn die LLM immer nur stur das wahrscheinlichste Wort ausspuckt, die Texte auf weirde weise eindimensional, langweilig und redundant werden. Wenn aber nach einem Zufallsprinzip auch mal das zweit- oder drittwahrscheinlichste Wort gewählt wird, dann wirken die Texte „lebendiger“ und „kreativer“ und tatsächlich auch nützlicher.

Temperature ersetzt also das, was sonst wir Menschen beim Sprechen beisteuern. Das wirkt dann zwar menschlich, aber diese „Lebendigkeit“ und „Kreativität“ sind per Zufall simuliert. Die menschlichen Abweichungen von den ausgetretenen Pfaden sind aber eben nicht random, sondern entstammen unseren Bemühungen, uns auszudrücken, also das Unentscheidbare zu entscheiden. Deswegen tun LLMs das Gegenteil, von dem, was wir tun: Sie machen Scharfes ungenau. Und das wäre doch auch eine wunderschöne Definition von Slop?

D.h. auch wenn OpenAI sich mit Reinforcement-Learning eine vollständige Datenbank aller Lösungspfade zu allen vorstellbaren entscheidbaren Fragen kreiert und o1 und ihre Nachfolger alle noch zu schaffenden Benchmarks nach oben klettern, wird das keine Intelligenz in die Maschine bimsen. So lange sich die KI nicht ausdrückt, und das ist Voraussetzungsreich: so lange sie nicht mit der Fuzzy Welt in Beziehung tritt und das Unentscheidbare entscheidet, um die Erfahrung anschlussfähig zu machen, kann sie immer nur das längst Entschiedene slopen.

Was die KI-Bros nicht verstehen, ist, dass sie mit den LLMs keine Intelligenz geschaffen haben, sondern ein Modell unserer gesellschaftlich-medialen Erwartungen. Und weil auf Spiegel besonders Narzisten reinfallen, hat sich das Silicon Valley mit „AGI“ eine für sie selbst optimierte intellektuelle Venusfalle gebaut. Irgendwann muss das mal von den Coen-Brothers inszeniert werden.


Nachdem Lewis Waller bereits sehr sehenswert Kant und Hegel durcherklärt hat, ist diesmal Karl Marx dran und ich kanns wieder sehr empfehlen.

Das ganze Netzwerkdenken hat mich Marx ein großes Stück näher gebracht und egal, was man von seinen konkreten Analysen hält, sollte sich jeder die Perspektive des historischen Materialismus aneignen. Marx war einer der wenigen, die aus der Infrastrukturvergessenheit des Individuums aufgewacht sind. Statt wie die liberalen Ökonomen mit „Märkten“ herum zu theoretisieren, schaute er hin und versuchte Genauigkeit in die Unschärfe des wirtschaftlichen Geschehens zu bringen.

Außerdem hat Marx bereits die Cyborg beschrieben:

„Das menschliche Wesen ist keine dem einzelnen Individuum innewohnende Abstraktion. Es ist seiner Wirklichkeit nach die Gesamtheit der gesellschaftlichen Verhältnisse.“


In seinem Newsletter hat Jonas Schaible eine interessante kleine Privatforschung zu medialer Berichterstattung und Umfrage von CDU und AfD gemacht.

Vor einer Weile habe ich hier eine kleine Analyse beschrieben, die ich aus Interesse versucht habe. Ich wollte wissen, ob man Muster findet, wenn man die Intensität der Berichterstattung über Migration mit dem Ausmaß vergleicht, in dem Menschen Migration als Problem empfinden.

Das Ergebnis: Die Problemwahrnehmung scheint nicht losgelöst zu sein von den realen Fluchtbewegungen, noch viel stärker aber scheint sie der Berichterstattung zu folgen.

Jetzt habe ich das ganze nochmal um Umfragewerte der Union und der AfD ergänzt und mir angeschaut, ob es Muster gibt.

Was sich zeigt: Sowohl AfD als auch Union steigen in Phasen, in denen Migration stärker als Problem wahrgenommen wird, und fallen, wenn das weniger so ist. Der Effekt ist allerdings wenig überraschend stärker für die AfD.

Aber zwischen der Menge an Zeitungsartikeln über Migration in den zwei Wochen vorher und den Umfragewerten gibt es bei der Union für 2023 und 2024 keinen erkennbaren Zusammenhang. Bei der AfD gibt es ihn sehr wohl.

Das stärkt erneut die Vermutung, die ihrerseits auf reichlich Forschung gründet: Wenn Migration großes Thema ist, dann hilft das der AfD. Der Union eher nicht.

Ich seh das so:

Weil wir keine Individuen sind, die die Welt beobachten, sondern Dividuen, die einander beobachten, wie sie die Welt beobachten, ist Öffentlichkeit ein Klangkörper, den wir alle miteinander bespielen. Öffentlichkeit ist in seiner Funktionsweise ein großes, diverses Trommelkonzert, wo alle möglichen Akteure Aufmerksamkeit auf sich und ihre Geschichten konzentrieren wollen – also einen Beat anstimmen, um andere zum Mitschwingen zu animieren.

Die Milliardäre haben sich in den letzten Jahren ihren Einfluss auf die großen Trommeln gesichert. In Deutschland können die Oligarchen per der Axel Springer Verlag einzelne Politiker*innen oder Policys auf Zuruf abschießen lassen, wie sie immer wieder demonstrieren. Politiker*innen versuchen schon gar keine gesellschaftsfreundliche Politik mehr zu machen, was nur dazu führt, dass sich die Frustspirale weiter Richtung AfD schraubt. In den USA sieht man diesen Mechanismus in einem späteren Stadium und mit Musks Twitterübernahme ist nun eine der größten Pauken in den Händen eines Rechtsextremen gefallen.

Wenn wir den Faschismus etwas entgegensetzen wollen, müssen wir Wege finden, wieder Laut zu sein. Die Linke ist aus dem Takt gekommen und ihre Trommeln sind kaputt oder nicht so geil und irgendwie trommelt gerade nur noch jeder nur noch für sich. Wir müssen einen neuen, attraktiven Beat anzuzetteln.


Dieser Aufsatz von Wissenschaftler*innen der Universität New York beschreibt den Effekt, den Social Media auf die Wahrnehmung sozialer Normen hat, mit dem lustigen Begriff „funhouse mirror factory“.

Research on social media has found that, while only 3 % of active accounts are toxic, they produce 33 % of all content [4]. Furthermore, 74 % of all online conflicts are started in just 1 % of communities [5], and 0.1 % of users shared 80 % of fake news [6,7].

Sie kommen zu dem Schluss:

False norms emerge, in part, because social media is dominated by a small number of extreme people who post only their most extreme opinions, and do so at a very high volume–often posting dozens of times more than others, while more moderate or neutral opinions are practically invisible online.

Ich teile diese Einschätzung, aber „False Norms“? Srsly? Wieso sollten die auf Social Media eingeübten Normen „fake“ sein? Sie sind nicht „fake“ im Kontext der Leute, die so sprechen. Diese Normen mögen weniger weit verbreitet sein, als Menschen auf Social Media denken, aber was da wächst, ist real und setzt bereits ganz materielle Gewalt in die Welt.

Indeed, 97 % of political posts from Twitter/X come from just 10 % of the most active users on social media, meaning that about 90 % of the population’s political opinions are being represented by less than 3 % of tweets online.

Manchmal bewundere ich all die Journalist*innen, Politiker*innen, die noch auf X geblieben sind. Man muss ein „echtes Individuum“ sein, um auf dieser Propagandatrommel trotzdem noch zum eigenen Beat zu tanzen.


Ta-Nehisi Coates ist gerade überall wegen seines neuen Buches „The Message“, in dem es unter anderem um Israel und Palästina geht, unterwegs und besonders hat mir das Gespräch mit Jon Stewart gefallen.

Aber auch das Gespräch mit Ezra Klein ist bemerkenswert, vor allem als Klein Coats fragt, was er denn einem Israeli sagen würde, der es politisch mit Aussöhnung versucht hat, vielleicht sogar in der Friedensbewegung war, aber angesichts der Intifadas und zuletzt dem 7. Oktober aufgegeben hat, an eine politische Lösung zu glauben, worauf Coats entgegnet:

„I can’t accept that the violence committed by the people who have less power somehow relieves you from the burden of forming a just society.“

Coates ist kein schwereloser Linker.


Ich habe mich entschlossen, die Verbrechen in Gaza „Genozid“ zu nennen. Natürlich könnte ich auch einfach ein paar Jahre warten, bis der ICJ entschieden hat, aber ich habe festgestellt, ich bin dafür nicht schwerelos genug.

Weil diese Entscheidung wahrscheinlich aus der deutschsprachigen Medienlandschaft heraus nicht so leicht nachvollziehbar ist, hier drei Videos, die mich dabei bestärkt haben.

Der Schmerz.

Das Argument.

Das Lachen der Täter.


Tomer Dotan-Dreyfus hat seinen Essay über die sich zuspitzende Meinungsvielfalt unter deutschen Juden, den er ursprünglich für die Böllstiftung geschrieben hatte, nun in Analyse und Kritik veröffentlicht und er ist sehr Lesenswert.

Der staatliche Schutz jüdischer Leben und jüdischen Lebens in Deutschland ist bedingt.

Wer in Deutschland eine Stimme bekommt, entscheidet die richtige Meinung, nicht die wissenschaftliche Expertise:

Es ist in Deutschland zudem verbreitet, dass Menschen, die jeglicher Expertise zu Antisemitismus oder internationalem Recht entbehren, sich häufig zu beiden Themen als »Expert*innen« äußern können, solange sie bei dem Fazit ankommen (oder von vornherein davon ausgehen), dass Israel kein internationales Recht breche und dass anderslautende Behauptungen antisemitisch seien. So kann etwa der kanadische Stand-up Comedian Daniel Ryan Spaulding als Experte gelten; der israelische Professor Omer Bartov jedoch, der buchstäblich eine lebenslange Expertise in Genozidforschung besitzt, wird zensiert.

Dotan-Dreyfus spürt aber auch Druck aus der jüdischen Gemeinde und führt das auf die Angst zurück, ein entziehen der Israelsolidarität könnte gleichzeitig ein Ende der Aussöhnung zwischen Deutschen und Juden bedeuten. Historisch ist das nicht unplausibel.

1950, nur fünf Jahre nach der Niederlage des Nazistaats und bloß ein Jahr, nachdem die Alliierten der BRD ihre Unabhängigkeit gegeben hatten, verabschiedete der Bundestag seine Empfehlung an die Länder, die Entnazifizierung offiziell zu beenden. Ein weiteres Jahr später kam es zu Artikel 131 des Grundgesetzes, der Nazibeamte, -lehrer und -richter entweder wieder in den Dienst nahm oder ihnen eine gute Rente zuwies. 1952 musste man zu dieser »Entnazifizierung« irgendein Gegengewicht schaffen, wenigstens zum Schein: Der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer schloss das berühmte Luxemburger Abkommen, besser bekannt als das Wiedergutmachungsabkommen, nach massiven Protesten von Holocaust-Überlebenden in Israel, an denen auch mein Großvater beteiligt war.

Dieses Abkommen hat nicht nur die Form der Wiedergutmachung festgesetzt, sondern auch ihren Adressaten: den Nationalstaat Israel. Dies zementierte den Ansatz, für den Deutschland bis heute steht und für den Deutschland von uns Jüdinnen*Juden Zusammenarbeit fordert: Den Jüdinnen*Juden wird ein Nationalstaat anderswo zugesichert, statt einer Entnazifizierung des hiesigen Nationalstaats. Und was ich nach Jahren in Deutschland endlich verstanden habe, ist, dass der staatliche Schutz für uns davon abhängt, dass wir mitspielen.

Ich kann diese Angst nachvollziehen und ich finde die Situation, in die der deutsche Staat jüdischen Menschen gebracht hat, unerträglich. Es muss deswegen Ziel der Palästina-solidarischen Bewegung sein, Antisemitismus in den eigenen Reihen sichtbar zu bekämpfen und jüdischen Menschen die Angst davor zu nehmen, nicht mehr mitzuspielen.

Booking, Lieferando, Airbnb, Amazon: Wie Plattformen die Wirtschaft (in Sachsen) verändern | MDR.DE

Ich war gestern in einer schönen Diskussionssendung zu Plattformen und wollte ein bisschen drauf aufmerksam machen, dass wir nicht nur darüber reden sollten, was wir an Plattformen gut oder schlecht finden, sondern über die Macht, die wir ihnen geben.

Ein Großteil aller Übernachtungen im Tourismus wird heute über Booking oder AirBnB gebucht. Lieferando ist allgegenwärtig und die in Dresden entstandene Dating-Plattform „Lovoo“ hat nicht nur viele schon zum ersten Kuss geführt, sondern gilt mit seiner filmreifen Story als damals erfolgreichstes Startup. Wie verändern Plattform-Unternehmen die wirtschaftliche Architektur von Sachsen? Was hat das für Folgen für den Tourismus, den Wohnungsmarkt, traditionelle Branchen und auch das Sozialversicherungssystem? Wie profitieren die Sachsen? Was ist der Segen und der Fluch der digitalen Ökonomie? Darüber sprechen wir bei Dienstags direkt.

Quelle: Booking, Lieferando, Airbnb, Amazon: Wie Plattformen die Wirtschaft (in Sachsen) verändern | MDR.DE

Schwerelose Linke

  • Schwerelose Linke fordern mehr Regulierung.
  • Schwerelose Linke glauben, dass der Kapitalismus durch ein überlegenes „Ressourcenallokationssystem“ überwunden werden kann.
  • Schwerelose Linke sehen im Nahostkonflikt eine „tragische Gewaltspirale“ zwischen zwei sich „radikalisierenden“ Seiten.
  • Schwerelose Linke verurteilen Greta Thunberg, weil sie auf einer Demo gegen einen gerade stattfindenden Genozid mit den falschen Leuten geredet hat.
  • Schwerelose Linke sorgen sich um die „Polarisierung der Gesellschaft“.
  • Schwerelose Linke reden mit der Polizei.
  • Schwerelose Linke finden, Neoliberalismus war eine „doofe Idee“.
  • Schwerelose Linke suchen nach einer „besseren Erzählung“.
  • Schwerelose Linke „debunken“ Deine „Desinformation“.
  • Schwerelose Linke sehen Reichtum als falschen Lebensstil.
  • Schwerelose Linke glauben an „Green Growth“.
  • Schwerelose Linke distanzieren sich von jeder Gewalt.
  • Schwerelose Linke fordern von den Muslimen in Deutschland eine klare Distanzierung vom Islamismus.
  • Schwerelose Linke verändern das System von innen.
  • Schwerelose Linke arbeiten an „Lösungen“.
  • Schwerelose Linke hoffen darauf, dass Star Trek wahr wird.
  • Schwerelose Linke glauben, dass die Ostdeutschen immer nur jammern.
  • Schwerelose Linke glauben, dass die Leute den Klimawandel noch nicht „verstanden“ haben.
  • Schwerelose Linke glauben, selbst niemals faschistisch sein zu können, weil sie dafür zu schlau und abgewogen sind.
  • Schwerelose Linke glauben, man müsse nur die AfD verbieten.
  • Schwerelose Linke finden die Klimakleber ja aber schon auch nervig.
  • Schwerelose Linke glauben an den „zwanglosen Zwang des besseren Arguments“.
  • Schwerelose Linke finden immer einen Kompromiss.
  • Schwerelose Linke wollen mit Putin verhandeln.
  • Schwerelose Linke betrachten das differenziert.
  • Schwerelose Linke bohren dicke Bretter.
  • Schwerelose Linke distanzieren sich.
  • Schwerelose Linke mögen Netanyahu nicht, aber was soll Israel denn machen?
  • Schwerelose Linke sehen überall Putin am Werk.
  • Schwerelose Linke fordern vom globalen Süden mehr „Solidarität mit der Ukraine“.
  • Schwerelose Linke verurteilen die Gewalt „auf allen Seiten“.
  • Schwerelose Linke beteuern, dass wir „Migration brauchen“ wegen der „Wirtschaft“.
  • Schwerelose Linke „tone policen“ Opfer von Gewalt.
  • Schwerelose Linke haben eine Petition gestartet.
  • Schwerelose Linke verurteilen Dich, wenn Du nicht wählen gehst.
  • Schwerelose Linke setzen sich für die Menschenrechte von Milliardären ein.
  • Schwerelose Linke verurteilen den „Terrorangriff“.
  • Schwerelose Linke schauen auf die Statistik und sagen: so schlimm ist es doch gar nicht.
  • Schwerelose Linke finden, es gibt gar kein „Palästinensissches Volk“, denn es ist ja so, dass das Osmanische Reich damals …
  • Schwerelose Linke haben eine Powerpoint-Präsentation gebaut, mit der sie Kapitalist*innen für eine Vermögenssteuer überzeugen wollen.
  • Schwerelose Linke fordern moralisch bessere Opfer.
  • Schwerelose Linke haben noch ein Argument gefunden.

Krasse Links No 28

Willkommen zu Krasse Links No 28. Und nun tut Euren Memestocks infrastrukturelle Gewalt an, heute manifestiert der Ape die Choice Architecture im Dividuum.


Die Idee, man könne sich Dinge, die man will, einfach manifestieren, ist im Internet weit verbreitet und ich glaube, zu verstehen warum.

Hier wie „Manifestieren“ funktioniert:

  1. Wünsch Dir etwas und glaube daran, dass das Wünschen hilft.
  2. Halte die Augen offen, für die Pfadgelegenheit, die Dir „das Schicksal“ bereitstellt.
  3. Gewinn!

Das funktioniert manchmal, weil der zweite Punkt halt auch ohne den ersten Punkt ein guter Ratschlag ist und man kann durchaus argumentieren, dass Punkt eins die Motivation für Punkt zwei erhöht?

„Manifestieren ist Bullshit“ ist deswegen kein hinreichend gutes Gegenargument, aber ich finde, Hannah Jones hier hat ein besseres:

„If you beliefe in manifestation you should be legally required to explain it to a homeless person and make eye contact the whole time.“

Bei genauerer Betrachtung ist die Wahrscheinlichkeit, dass Manifestieren bei Dir funktioniert, direkt proportional zu Deiner Privilegiertheit, also der Summe der Infrastrukturen, die dir Pfadgelegenheiten zuschustern. Manifestieren ist in seiner performativen Infrastrukturverdrängung gewissermaßen nur eine zugespitzte Karrikatur des Individuums.


Für das Magazin „Human“ habe ich meine Theorie zu LLMs und Semantik aufgeschrieben und auch auf CTRL-Verlust gepostet (auch auf englisch).

Dass Sprache ein Regelsystem ist, zweifelt auf der orthographischen und grammatikalischen Ebene niemand an und die LLM zeigt eben, dass das auch für Bedeutungen und auch für alle Konzepte, Logiken, Methoden und Theorien gilt. Egal ob Grammatik, Algebra, Multistakeholder-Analyse oder Gedichtinterpretation: Alles das sind regelgeleitete Denkschablonen, Strukturen des Richtigen Sagens oder Fabriken wahrscheinlicher Sätze.

Wie schon Derrida sagte: Wir sprechen nicht, wir werden gesprochen. Das bedeutet nicht, dass man nicht auch neue Pfade finden kann, aber eben immer nur an den Rändern des bereits Gedachten und Gesagten. So wie die Nordpolexpiditionen erst machbar wurden, als die Infrastrukturen es erlaubten, so sind auch neue Gedankengänge nur als Verlängerung oder Abzweigung bereits existierender Routen denkbar. Es gibt kein Punkt außerhalb des Netzwerks.

Der Text selbst ist ein gutes Beispiel: Er basiert offensichtlich auf einer poststrukturalistischen Infrastruktur, aber wäre auch ohne Donna Haraway nicht denkbar. Mit ihrem „situierten Wissen“ stellte sie den Poststrukturalismus vom Kopf auf die Füße und ermöglicht, die richtige Perspektive aufs Netzwerk zu finden. Wenn Bedeutung stetiger Aufschub, aber dabei stets situiert ist, dann passiert Schreiben, Sprechen, Denken immer an einem ganz bestimmten Punkt eines ganz spezifischen Kontextes. An diesem je spezifischen „Hier und Jetzt“ gibt es immer nur eine überschaubare Zahl an plausiblen Pfadgelegenheiten, von denen man sich von einer zur nächsten stürzt. Wenn man dann die Zeit anstellt, bewegt sich der Punkt durchs Netzwerk und wird zur Linie, bzw. ein Pfad oder eine Route. Fertig ist die LLM, bzw. Sprechen und Denken.

Die Individuen sind ›dividuell‹ geworden, und die Massen Stichproben, Daten, Märkte oder ›Banken‹.“ Schreibt Gilles Deleuze im „Postskriptum zu den Kontrollgesellschaften“ bereits Anfang der 1990er und verabschiedet damit Foucaults „Disziplinargesellschaft„, die sich noch auf die Zurichtung des Individuums und der Organisation von Masse konzentrierte. Aus dem Unteilbaren (lat. individuus) wird etwas per se Teilbares (lat. dividuus).

Das Navigieren in der Semantik – Schreiben, Sprechen, Denken – ist ein dividueller Akt. Man beobachtet nicht die Welt, sondern man beobachtet einander, wie man die Welt beobachtet. „Dividuell“ bedeutet also, sich selbst als Teil des Netzwerkes zu imaginieren, das Sprache, Denken und Öffentlichkeit und Infrastrukturen hervorbringt.


Die Berliner Zeitung hatte letztes Jahr ein Portrait des Künstlers Martin Binder, der „Hostile Architecture“ oder wie sie auch genannt wird, „Anti-Homeless-Architekture“, thematisiert.

In seinen Videos zeigt Binder Metallpyramiden vor dem Berliner Ostbahnhof mit Spitzen, die es verhindern sollen, dass sich jemand hinsetzt. Er zeigt Sitzbänke am Alexanderplatz, die so abgerundet sind, dass längeres Sitzen unangenehm wird. Vor wenigen Wochen postete er ein Video von einer neonfarbenen, abgespacten Lichtinstallation im S-Bahnhof Savignyplatz.

„Dieses Objekt wurde unter einer Brücke platziert, die häufig zum Schlafen genutzt wurde, da sie einen trockenen und relativ geschützten Raum bietet“, schreibt Binder auf Englisch unter das Video. Das Licht sei installiert worden, um Menschen zu vertreiben, die draußen schlafen müssen. „Die 200.000 Euro, die es gekostet hat, hätten in die Bereitstellung tatsächlicher Alternativen für die Menschen gesteckt werden können.“

Infrastruktur ist nicht immer da, um Pfadgelegenheiten bereitzustellen, manchmal ist Infrastruktur extra so gebaut, dass sie manchen Pfadgelegenheiten nimmt. Das ist eine Form von Gewalt und wie verroht unsere Semantiken sind, sieht man daran, dass Designer*innen, die sich sowas ausdenken oder Politiker*innen, die sowas anordnen, mit Wohlstand und Ansehen versorgt werden, statt sie auf eine Stufe mit Nazischlägern zu stellen.


James Jani hat in einem einstündigen Videoessay die verrückte Geschichte hinter dem Memestock-Desaster rund um Bed Bath and Beyond (BBBY) dokumentiert.

Kurz zusammengefasst: Eine hardcore auf ein börsennotiertes Unternehmen eingeschworene Online-Community, die anhand von selbst perpetuierten Erzählungen koordinierte Finanzentscheidungen trifft, driftet immer weiter in einen sektenhaften Wahn ab. Soweit, so Game Stop. Doch all das ging bei BBBY auch nach dem endgültigen Bankrott des Unternehmens weiter und sogar heute hoffen überraschend viele darauf, dass ihre längst vaporisierten Aktien noch gerettet werden.

Ihre Erzählung besteht aus zwei Teilen:

  1. Märkte sind Effizient, weil sie Informationen verarbeiten und wenn man über eine unverarbeitete Information verfügt, dann kann man den Markt schlagen.
  2. Die unverarbeitete Information. Die ist ziemlich beliebig und ändert sich ständig, stützt sich aber auf die Annahme, dass es ein Superindividuum mit geheimen Spezialwissen gibt, ein Mann namens Ryan Cohen, der das Unternehmen mit einem noch zu enthüllenden „Move“ retten wird und damit auch ihr Geld.

Behauptung Nummer zwei zu debunken ist leicht, aber an Behauptung eins glauben nachwievor fast alle? Sie glauben daran, weil sie sich den „Markt“ als Informationssystem vorstellen, in dem derjenige gewinnt, der die besseren Informationen hat. Das ist ernstmal die Erzählung der Neoklassik, aber plausibel wird sie durch Phänomene wie „Insiderhandel“ und die Tatsache, dass manche in dem Spiel besser sind, als andere. Die müssen also über bessere Informationen oder mehr Intelligenz verfügen, sonst könnte ja jeder kommen!

Aber weil wir eben keine Individuen sind, die die Welt beobachten, sondern Dividuen, die einander beim Beobachten der Welt beobachten, ist der Finanzmarkt kein Informationssystem, sondern eine Séance. Ein paar tausend Trader beschwören Geschichten von Unternehmen und in einer wochentäglichen Zeremonie murmeln sie sich in einen ekstatischen Zustand, um ihre Geschichten vom „Markt“ (TM) segnen zu lassen. Sicher: die Realität trommelt über die Nachrichten immer wieder dazwischen und beeinflusst den Beat (schlägt auf die Stimmung der Trader und zwingt sie nicht kompletten Quatsch zu erzählen), aber eben auch nicht immer, wie man beim anhaltenden KI-Boom beobachten kann.

Die Trommeln bei dieser Séance – das muss man immer wieder betonen – sind unterschiedlich groß. Warren Buffet hat kein besseres Wissen oder eine überlegene Intelligenz, er hat einfach eine ziemlich große Pauke. Er kann damit den Beat enorm beeinflussen und alle anderen versuchen Finanz-Oligarchen wie Buffet hinterher zu trommeln. Die meisten wetten auf die Geschichten, die sich die Finanz-Oligarchen auf dem Golfplatz erzählen.

„Apes“ – so nennen sich sowohl die Meme-Stock-Irren, wie auch die Crypto-Irren – glauben offiziell an das „Indivuduum“, seine Intelligenz, an Warren Buffet und an die „effizienten Märkte“ als Aggregation „verteilter Intelligenz“. Sie hängen sogar meist einer besonders libertären Semantik an, die eine groteske Überhöhung des Individuums und seine ungezügelten „Freiheit“ in den Mittelpunkt von allem stellt.

Doch ihre dividuellen Handlungen verraten, dass sie längst wissen, wie der Hase wirklich läuft. Sie vernetzten sich, sie erschaffen gemeinsame Geschichten, Werte, Sprüche, Gags und Durchhalteparolen. Ganz. Besonders. Viele. Durchhalteparolen. Würden sie einmal ernst nehmen, was sie tun, statt den Bullshit, den sie glauben, wären sie nur einen Schritt davon entfernt, es zu raffen.


In Fast Company veröffentlichte Marietje Schaake einen Auszug aus ihrem BuchThe Tech Coup„, in dem sie die immer stärkere Abhängigkeit der USA aber auch anderer Staaten durch die Tech-Unternehmen beschreibt.

Google, Maxar, Microsoft, and SpaceX and Clearview have few, if any, legal mandates according to international law. They are private, not public, actors. The rules that surround companies cover reporting revenue, accounting costs, and filing taxes—not when or how they should act in military confrontations. Yet companies like these exude sovereign power in new ways. They have monopolies on key insights and data analytics and make decisions about affairs that were once the exclusive domain of states, while these companies are not subject to comparable checks and balances. Moreover, companies that operate at a global scale often chafe against geographic borders. Even when governments want to exert control over such companies, which happens far less frequently than it should, they face a variety of constraints.

Im Cyberspace sind die Plattformunternehmen nicht nur Akteure, sondern sind, bzw. besitzen das Schlachtfeld. Ein Befund, dem ich bereits in die „Die Macht der Plattformen“ ausführlich Raum gegeben habe, aber die Lage hat sich seit 2021 enorm zugespitzt.

By reserving room for flexibility and opening the door to private companies in cyberwar, democracies have ceded both their sovereignty and their commitment to the rule of law. From building platforms for conducting elections, to curating public access to information in app stores, to interfering in the front lines of war to decide who does and doesn’t get internet access, these companies and their leaders share or have even overtaken the responsibilities of the democratic state.

Yet there are no elections for consumers to share thoughts on corporate policy; CEOs cannot be voted in (or out) by the public; C-SPAN doesn’t cover these companies’ internal deliberative processes. The decisions that they make in the public interest are locked behind the fortress of private-sector protections. And unless democracies begin to claw back their power from such companies, they will continue to experience the erosion of their sovereign power.

Und jetzt kommt KI dazu. What could possibly go wrong?


Gabriel Yoran schreibt bei Krautreporter seine immer lesenswerte Kolumne von der „Verkrempelung der Welt“, quasi eine Dokureihe über Glitches in der spätkapitalistischen Matrix. In seiner vorletzten Kolumne geht er der Frage nach, warum es in anderen Ländern oft so überlegene Produkte gibt, die man in Deutschen Supermarktregalen nirgends finden kann und mutmaßt:

Meine unangenehme Vermutung ist die: Unternehmen machen Produkte gerade so gut, wie es die Akzeptanzkultur in der jeweiligen Produktkategorie im jeweiligen Absatzmarkt erfordert.

In der Erzählung vom effizienten Markt müsste ein besseres Produkt zum vergleichbaren oder gar besseren Preis sich „am Markt durchsetzen“, doch weil „der Markt“ drei Oligarchen im Trenchcoat sind, ist es nun mal ihre erstaunlich sichtbare Hand, die das Sortiment bestimmt.

Wenn wir unter „Markt“ all die Orte und die Situationen summieren, in denen wir mit Kaufgelegenheiten in Berührung kommen, dann besteht „der Markt“ erstmal aus all den materiellen Infrastrukturen, die diese Begegnung ermöglichen. Von Verteilcentern, Lieferketten, Logistikunternehmen, Zwischenkäufer, Werbung und PR-Agenturen, etc. Schon hier entwickeln sich die ersten Netzwerkzentralitäten und spitzen das Angebot ihrer Interessenlage entsprechend zu.

Das Interface dieses „Marktes“, also das, womit wir tatsächlich interagieren: die optimierten Standorte der Discounter, die optimierten Supermarktregale, und die optimierten Dark Patterns des Amazon Such-Algorithmus kann man mit Cas Sunstein et.al. „Choice Architectures“ nennen. Weil die Leute, die „den Markt“ tatsächlich betreiben, den ganzen Bullshit vom nutzenmaximierenden Homo Oekonomicus eh nie geglaubt haben, werden diese Architekturen immer schon auf dividuelle Pfadopportunist*innen optimiert.

Probiert mal eine wild wachsende Tomate und ihr werdet überrascht sein, wie intensiv und köstlich Tomaten eigentlich schmecken. Wenn man sich durch diese „rote Pille“ aus der Matrix erwecken lässt, erscheint hinter dem Schleier der Choice Architectures eine Maschine, die darauf konfiguriert ist, uns möglichst billig bei Laune zu halten.


Man muss Scott Galloway nicht mögen, aber manchmal plaudert er ganz unterhaltsam Wahrheiten über den Kapitalismus aus.

„The biggest myth in marketing is that choice is a good thing. Choice is a tax. Consumers don’t want more choice, they wanna be more confident in the choices presented.“

Temu, Shine, Ali Express und Co sind der nächste Schritt: auch die „Choice Architectures“ sind am verschwinden, die KI übernimmt.


Die hoch geschätzte Eva von Redecker hat in einem Essay für den Guardian ihre Gedanken zu den Wahlen in Ostdeutschland aufgeschrieben und beschreibt unter anderem ein bekanntes Routingproblem.

The core remedy that the AfD promises is control in another realm: an entitlement to treat racialised others like disposable objects. They promote white supremacy and ethnic homogeneity. At least some of the AfD sympathisers I have been in conversation with argue, in stark contrast to the party’s economic neoliberalism, that they would like to see the state crack down on the super-rich and address social inequality. But they consider this so unlikely, so out of reach, that another demonstration of sovereignty takes precedence: Germany for the Germans.

Ich will AfD-Wähler*innen nicht verteidigen, aber wenn die Route Richtung gerechte Gesellschaft so unplausibel geworden ist, wie es derzeit aussieht und der Rest der Parteienlandschaft nur ein zynisches „Weiterso“ propagiert, ist es zumindest eine unglückliche Fügung, dass die AfD derzeit das Monopol auf Notausgang hat.


David Remnick war bei Ezra Klein und beschreibt die Situation im Westjordanland so:

„The last time you were in the West Bank, when you go to it, when you drive around it. Just visually, what do you see if you were taken by someone on a 20 minute trip from Jerusalem to one of the more established, bigger settlements outside the green line in the West Bank, and you were inclined to believe it, you might think, well, what’s so bad here. But if you take a much more varied ride. And you go to Janine and to Nablus and you go to the outskirts, villages of Ramallah, and you see how. There is an architecture of isolation and oppression that has been building and building and building over the decades in the West Bank.“

Visuell wird man meist mit solch einer Karte konfrontiert, aber die ist halt hoch irreführend.
(Karte via BBC von 2020)

Die Draufsicht aufs Westjordanland ist irreführend, weil die einzig gültige Weise auf ein Netzwerk zu schauen ist, aus einem Punkt im Netzwerk heraus zu schauen. Es geht nicht um die Quadratmeter, die die israelischen Siedlungen einnehmen, es geht um die Netzwerkzentralitäten, die sie schaffen. Es geht um Mauern, gesperrte Straßen und Checkpoints. Es geht um Flaschenhälse, die Routen und damit horizontale Freiheit für Palästinenser verunmöglichen. Es geht um infrastrukturelle Gewalt.

Ich werde manchmal in Diskussionen gefragt, warum ich die Palästinenser immer als Opfer hinstelle und ob ich ihnen gar keine Agency zugestehe. Doch doch, ich gestehe ihnen Agency zu, aber tut das Israel?

Wenn Agency die Summe der Pfadgelegenheiten ist, die Dir Deine Infrastruktur zur Verfügung stellt, dann ist die „architecture of isolation and oppression“ im Westjordanland und der halbautomatisierte (und mittlerweile kaputtgebombte) Hühnerkäfig Gaza eine „Choice Architecture“ mit nur zwei plausiblen Routen: In Unfreiheit leben oder im Aufstand sterben.


Joe Pinsker hat vor längerer Zeit im Atlantic das Buch von Krishnendu Ray: The Ethnic Restaurateur besprochen, indem dieser unter anderem der Frage nachgeht, warum bestimmte Einwanderergruppen in den USA unterschiedlich hoch- oder niedrigpreisige Restaurants hervorgebracht haben. In den USA galt Italienisch lange Zeit als Billigessen, während die teuren Restaurants vor allem französische Küche servierten. Das hat sich inzwischen angeglichen, aber immer noch gilt chinesische Küche als billig und Japanische als hochpreisig.

This hierarchy, which privileges paninis over tortas, is almost completely shaped by a simple rule: The more capital or military power a nation wields and the richer its emigrants are, the more likely its cuisine will command high menu prices.

Wert und Preis sind Semantiken, die von allerlei geteilten Wertvorstellungen beeinflusst sind und so ist es auch nicht überraschend, dass die Agency Hierarchie aus dem letzten Newsletter sich auch in den Restaurantpreisen reflektiert. Als Teil des Semantikraums bilden die Preise Gestirnskonstellationen, in der sich der Wert des einen Dings, am Wert des anderen Dings orientiert. Es ist ein Netz aus Erwartungen und auch hier bestimmt die größe der Trommel den Beat.

Freakonomics hatte einmal eine Folge zur Matratzenbubble. Mitte der 2010er sprossen überall im Land die Matratzen-Stores aus den Boden und alle Podcasts waren mit Matratzenwerbung zugequasselt und die einfache Erklärung ist, dass man mit Matratzen 50 bis 100 Protent oder sogar mehr Marge machen konnte und wahrscheinlich immer noch kann?

Völlig egal wie geil die verbaute Technologie ist, die Dinger zu produzieren ist spottbillig, aber in den Erzählungen der Kundschaft kann man für guten Schlaf halt einfach nicht genug Geld ausgeben! Und so kostet einunddieselbe Matratze manchmal von 200 bis 1000 Dollar je nachdem unter welchem „Brand“ sie firmiert.

Oligarchen bestimmen die Preise natürlich nicht beliebig. Bei unterschiedlichen Produkten ist es unterschiedlich schwierig, solche Erzählungen aufs Gleis zu trommeln, egal wieviel Geld man in PR und Marketing steckt.

Außerdem gibt es durchaus einen regulierenden Faktor: Die beiden Netzwerke der Preise und Werte sind zwar eng verwoben und beeinflussen sich wechselseitig, aber sie sind durch unterschiedliche Schmerzen an der Realität geeicht.

  • Das Netzwerk der Werte setzt alle Dinge ins Verhältnis zum Schmerz ihres Fehlens, das heißt zu den Netzwerkzentralitäten im Abhängigkeitsgefüge unserer Pläne (Nutzwert).
  • Das Netzwerk des Preises setzt alles ins Geld-Verhältnis, also am Ende des Tages zum Schmerz der verlorenen Lebenszeit, die man auf der Arbeit verbracht hat (Tauschwert).

Kapitalismus ist eine Schmerzarchitektur, die Dich ständig vor die Frage stellt, welchen der beiden Schmerzen Du eher auszuhalten bereit bist.


Ich liebte diesen Gag, aber wenn man einmal das Indivuduum aus der Gleichung gestrichen hat, dann ist das nicht mehr lustig, sondern eine ziemlich akkurate Darstellung der Ideologie in ihrer ganzen inhärenten Blödheit.

Aber ich seh schon. Ihr seid noch nicht überzeugt. Mit Dividuum, Pfadopportunist, Navigator, Surfer, Trommer mögt ihr Euch nicht so identifizieren?

Wie wäre es mit „Cyborg“?

Also Cyborg im Donna Harawayschen Sinne: Cyborgs sind defizitäre, bedürftige Wesen, die auf ihre Infrastrukturen angewiesen sind, um und zu überleben. Und nur weil die Cyborg kein Individuum ist, heißt das nicht, dass sie ohne Agency wäre. Die Agency des Cyborgs speist sich nicht aus ihrer „Vernunft“ oder wie es heute heißt, „Intelligenz“, sondern aus den materiellen und semantischen Infrastrukturen, die ihr zur Verfügung stehen.

Die Cyborg lebt in den Infrastrukturen und ist die Infrastruktur. Sie arbeitet an den Infrastrukturen, baut sie, betreibt sie, hält sie in Stand. Als höfliche Pfadopportunistin navigiert sie die Schmerzarchitektur zwischen Arbeit und Konsum und versucht mittels der ihr zugänglichen Infrastrukturen ihre Geschichte weiterzuerzählen. Diese Geschichte ist ein Pfad im Netzwerk, der von der Vergangenheit bis ins Jetzt und durch Pläne, Ziele und Projekte bis in die Zukunft weitererzählt wird.

Die Cyborg ist Dividualistin. Sie beobachtet nicht die Welt, sondern beobachtet wie andere die Welt beobachten. Sie surft auf diesen Beobachtungen, Worten, Bildern, Gesten und Geschichten und sortiert sich in ihnen ein. Gleichzeitig sendet jede ihrer Bezugnahmen einen Impuls durchs semantische Netzwerk, weil sie ja ihrerseits beim Schreiben, Sprechen, Denken beobachtet wird.

Es kann sich nur noch um Minuten handeln, bis die Cyborg begreift, dass sie die Infrastruktur ist und den Laden übernimmt.

Die Kunst des Netzwerkens (4) | DO | 03 10 2024 | 9:05 – oe1.ORF.at

Für dieses sehr empfehlenswerte Radiofeature wurde ich ausführlich zur Macht der Plattformen befragt.

Mit Ende der 1990er Jahre verlagern sich soziale Netze in den digitalen Raum. Mit dem Start des Web 2.0 etablieren sich ab den frühen 2000er Jahren digitale Plattformen, die immer mehr zum Ort des öffentlichen und privaten Austausches werden. Es entsteht eine Art Parallelgesellschaft im digitalen Raum – eine Plattformgesellschaft. Aber nicht nur soziale Netzwerke ersetzen schrittweise die persönliche Interaktion, das Face-to-Face Gespräch. Auch Dienstleister setzen auf das Plattformmodell.

Quelle: Die Kunst des Netzwerkens (4) | DO | 03 10 2024 | 9:05 – oe1.ORF.at