Von der Notwendigkeit eines neuen Begriffs von Öffentlichkeit

Sascha Lobo hat letztens (und gestern noch mal in den Tagesthemen) das Wort der „digitalen Öffentlichkeit“ aufgebracht. Ich finde den Begriff, trotz seiner bisherigen Undefiniertheit gut. Er zeigt in die richtige Richtung, nämlich eine, die weit über die Streetviewfrage hinaus geht. Ich habe ihn gebeten diesen Begriff bitte mal auszuarbeiten. Bis dahin enteigne ich ihn mal und lasse ihn ein paar Runden um den netzpolitischen Parkour laufen.

Ich behaupte: die Diskussion um Netzneutralität, um Datenschutz im allgemeinen und die Frage nach dem Urheberrecht verlangt nach einem solchen Begriff einer neu zu gestaltenden Öffentlichkeit.

Bei Google Street View zum Beispiel wird das öffentliche Gut Straße versucht dem Privaten zuzurechnen. Wenn jemand argumentiert, die Fassade seines Hauses gehöre zur Privatsphäre, dann ist das ein Versuch, der Öffentlichkeit etwas zu entreißen, auf das sie einen Anspruch hat. Und wie Jeff Jarvis auf der re:publica so treffend betonte: Und die Öffentlichkeit sind wir alle. (Das klingt so einfach, aber ich bin mir sicher, dass das noch viele nicht kapiert haben). (Deswegen könnte man aller höchstens noch eine CC-isierung der Streetviewdaten fordern, also ein „Noch mehr“ an Öffentlichkeit, nicht aber ein weniger durch Verpixelung.)

Und ebenso öffentlich wie die Straßen – wenn nicht öffentlicher – sollten die Datenleitungen sein. Was die Diskussion um Netzneutralität wieder in’s Bewusstsein gerückt hat, ist dass die Freiheit auch in diesen privat-öffentlichen Infrastrukturen gefährdet ist (wiederum von Privatinteressen) und dass man staatlicherseits Regularien schaffen muss und zwar: damit sie nicht reguliert werden. Das Paradox wird von einigen bis heute nicht verstanden, dabei ist es nicht mal neu. Es gibt schon immer Gesetze für diese komischen Mischwesen, diese „public private Spaces“. In Bahnhöfen kann die Bahn auch nicht ungehindert ihr Hausrecht ausüben, obwohl sie Eigentümer ist. Das Selbe gilt schon immer auch für Telefonleitungen. Obwohl die Telekom die meisten Leitungen besitzt, hat die Regulierungsbehörde überall ein Wörtchen mit zu reden. Weil sie uns – die Öffentlichkeit – vertritt, werden wir sie politisch zwingen müssen, auch Netzneutralität, auch gegen die privaten Interessen der Eigentümer, zu gewährleisten. Die Öffentlichkeit hat hier ein Vorrecht!

(BTW: könnt ihr – auch wenn ihr die SPD scheiße findet und alles – trotzdem hier mal unterschreiben? Mit Kinderkacke kann man zwar sein Distinktionsbedürfnis befriedigen, aber ich halte die Netzneutralität für wichtiger, als das Ausleben der Eitelkeiten der einen oder anderen Privatdiva)

Vor einiger Zeit habe ich schon mal die Diskussionen um den „öffentlichen Raum“ mit der Idee der Plattformneutralität kurz geschlossen. Bei Apple, Facebook ebenso wie auf einem Bahnhof, geht es um private Räume, die von der Öffentlichkeit genutzt werden und somit eine Infrastruktur des gegenseitigen Austausches darstellen. Hier darf nichts und niemand diskriminiert werden und es muss nach klaren und transparenten Regeln Verbote und Gebote ausgesprochen werden. Plattformneutralität ist ein Ansatz diesen Anspruch der Öffentlichkeit an private Plattformen abstrakt und allgemeingültig genug zu definieren.

Die Kontroverse um Liquid Feedback in der Piratenpartei ist ebenfalls im selben Spektrum einbettet. Der Anspruch, transparente Politik zu machen ist nur schwerlich mit den strengen Ideen um den Datenschutz zu vereinbaren, der auch bei der Piratenpartei eine wichtige Rolle spielt. Alle Datenschutzzusagen, die in dem System gemacht werden, gehen auf Kosten der Transparenz und Nachvollziehbarkeit – also der Öffentlichkeit und ihrem Interesse. Und so sehr man das Bedürfnis unbehelligt abstimmen zu dürfen nach vollziehen kann, muss sich die Partei hier schon für eine Richtung entscheiden. Wobei nur die Richtung in die Digitale Öffentlichkeit der Politik wirklich etwas neues hinzufügt. Allein das Experiment zu wagen, stellt für die Öffentlichkeit einen Mehrwert dar, der die privaten Interessen des einzelnen übersteigt. Ich verbleibe sehr gespannt.

Aber was für Liquid Feedback gilt, kann man auch andere, weniger offensichtlich politische Plattformen beobachten. Ebenfalls auf der re:publica sprach die Kommunikationsforscherin Miriam Meckel über Software und Internet und dem Lieblingsgespenst der Bildungsbürger „die Macht der Algorithmen„. Unter dem Titel „This object can not be liked“ begann sie über die normierenden Kräfte von Software nach zu denken und daraus kokette Datenschutzforderungen herzuleiten. Ungeachtet der Tatsache, dass die Titelgebende Anekdote – eine virtuelle Geburtstagstorte auf Facebook, bei der der Like-Button seine Funktion versagte – nicht der „Macht der Algorithmen“, sondern den Datenschutzeinstellungen der TortenschenkerIn geschuldet war.

Meckel hat damit ein Problem angeschnitten, das sie überhaupt gar nicht verstanden hat. Wenn Person A datengeschützt ist und Person B seine Daten mit seinen Freunden teilen will, dann sind alle Kommunikationen zwischen A und B ambivalent. Entweder sie müssen ganz oder in Teilen ausgeblendet, eingeschränkt oder halböffentlich dargestellt werden, sobald ein dritter in’s Spiel kommt. Was in sozialen Netzwerken nicht selten vorkommt, denn dafür sind sie ja da. Datenschutz funktioniert auf ein Individuum und eine fest definierte Gruppe bezogen. In einem (kommunizierenden) Netzwerk ist es ein niemals befriedigend zu lösendes Problem. Und zwar systemimmanent. Langfristig werden all die Versuche Datenschutz – und zwar in einer annehmbaren Form – in diesen Plattformen zu etablieren an eben jenen Frusterlebnissen der Nutzer scheitern. Wer durch seine Privatsphärenversiegelung die Kommunikation aller anderen behindert, wird in Zukunft schal angesehen werden. Als – ja – unsozial. Eine informationelle Form des Geizes.


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Wenn die Welt aber immer mehr über das Internet kommuniziert und man Teil der Welt ist, muss man bald schon ein sehr einsames Leben führen, um nicht Teil der digitalen Öffentlichkeit zu werden. Die Welt wird mit uns und über uns und über unsere Kommunikationen mit anderen kommunizieren wollen. Und sie wird es im Internet tun. Bei Streetview, Liquid Feedback und ungeliketen Torten stießen wir an genau diese Grenze. Und wir werden jeden Tag doller daran knallen. Das ist die digitale Öffentlichkeit, die bei uns anklopft.

Eine andere Kollision des Privaten mit dem Öffentlichen sind Nutzungs- und Verbreitungsrechte. Das geht schon mit dem Löschwahnsinn bei den Öffentlich Rechtlichen los. Weil Verlage um ihre Geschäftsmodelle fürchten, werden massenhaft Sendungen aus den Onlinearchiven der ÖvR gelöscht. Mich lässt das mit der Fassungslosigkeit zurück, als wenn vor meinen Augen Lebensmittel vernichtet werden. Hier wird echter Wert, der uns allen zur Verfügung stand, unzugänglich gemacht. Die digitale Öffentlichkeit wird hier bestohlen! (Mir ist dabei übrigens völlig egal, ob wir den Content mit Gebührengeldern bezahlt haben.)

Ebenso geht es mir mit den „Dieses Video ist in deinem Land nicht verfügbar„-Hinweisen bei Youtube und den Löschkampagnen, die auf diesen Plattformen regelmäßig passieren. Youtube ist – und vor allem war einmal – das Archiv der Popkultur. Hier kann man Songs wieder finden, mit denen man aufgewachsen ist. Meme wie das Rickrollen wurden möglich gemacht. Ich erinnere mich, dass sich von dort auch die berühmte Szene vom „Kiezkollegen“ Stefan Hentschel verbreitet hat. Das Video wurde auf allen Videoplattformen vom Urheber entfernt. Denen, die jetzt nicht wissen, wovon ich rede, würde ich gerne einen Link schenken. Nur kann ich das nicht.

Das Video wurde gelöscht, obwohl es der Öffentlichkeit gehört! Ja, das sage ich jetzt im vollen Bewusstsein, dass dies eine falsche Rechtsauffassung ist. Ich sage es aber, weil es wahr ist. Ich sage das, weil ich tief im inneren weiß, dass jeder Mensch Brecht nach seiner Interpretation aufführen können sollte. Weil ich weiß, dass niemand das Singen von Happybirthday untersagen können darf. Weil diese Dinge kein privater Besitz sein dürfen!

Überall im Digitalen sehen wir neue Öffentlichkeiten entstehen und sie alle werden bedroht vom Privaten. Wir brauchen einen neuen Begriff der Öffentlichkeit, meinetwegen auch gerne den der „digitalen Öffentlichkeit“. Und wir brauchen einen Sinn für den Wert dieser Öffentlichkeit, wir brauchen mehr Leute, die den Einschnitt in diesen Bereich als Schmerz empfinden, weil sie merken, dass sie bestohlen werden. Es braucht eine neue Vorstellung von Gemeinnutz in Sachen Information (der so greifbar ist, für alle, die sich daran partizipieren) und ein In-Stellung-Bringen dieses Gemeinnutzes gegenüber privaten Interessen.

In der linken Szene gibt es die Tradition möglichst pathetisch das Wort „Privat“ aus lateinisch „privare“, „berauben“ herzuleiten. Im digitalen stimmt das mehr denn je.

Wer kopiert stiehlt nicht, denn das Gestohlene ist noch da. Wer meine Daten verarbeitet, nimmt sie mir nicht weg. Wer aber löscht oder Informationen unzugänglich macht, stiehlt! Er bestiehlt uns alle! Wir sollten uns das nicht länger gefallen lassen.

Die Freiheit im Zeitalter ihrer technischen Wahnehmbarkeit

Rechte sind etwas tolles.

Ein Recht ist zum Beispiel die Panoramafreiheit. Wenn man eingefleischten Datenschützern allerdings mit dieser Argumentation kommt, sagen sie, dass der Gesetzgeber ja kaum wissen konnte, dass das Recht, auf der Straße zu fotographien automatisiert und in vollem Ausmaß ausgenutzt – um nicht zu sagen – „mißbraucht“ werden könnte.

Wenn man die Verleger nach dem Sinn des Leistungsschutzrechts fragt, argumentieren sie oft mit Google News, das neben einem Link zum Artikel auch einen Snipplet (ca. 2 bis 5 Zeilen) aus diesem anzeigt. Wenn man sie fragt, ob sie denn wollen, dass das Zitieren genehmigungspflichtig wird, raunen sie entrüstet: „Auf gar keinen Fall!“. Wenn man fragt, wie sie das Google denn sonst verbieten wollen, und allen anderen nicht, vertrösten sie einen. „Der Gesetzesentwurf ist derzeit noch in Arbeit…“

Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. „Reporter ohne Grenzen“ steht wie kein anderer Verein für dieses Recht. Jetzt haben sie Grenzen gefordert. Von Wikileaks. Wikileaks veröffentlicht Dokumente nach der Prüfung ihrer Echtheit quasi automatisiert (sagen sie). Reporter ohne Grenzen argumentieren, es seien Menschen in Gefahr. Manche Dinge dürfe man nicht veröffentlichen.

Rechte sind etwas tolles. Und Rechte werden heute auch automatisiert wahr genommen. Das scheint ein generellen Problem zu sein, auf das es verschiedene Antworten geben kann:

Leistungsschutzrechtsbefürworter und Stammtischdatenschützer fordern eine Einschränkung dieser Freiheiten. Am liebsten würde man trennen, zwischen Mensch und Maschine, oder gar Firma und Mensch. Das wird aber nicht funktionieren, denn wir Menschen benutzen die Maschinen. Und die Maschinen, die heute die Konzerne benutzen, benutzen wir in 2 Jahren im Zweifel alle. Jedes Recht, dass für Maschinen eingeschränkt wird, schränkt das der Menschen ein. Zumindest in Zukunft.

Wir müssen uns darüber bewusst werden, dass alle Rechte, die wir haben, in Zukunft auch maschinell, automatisch und in vollem Umfang (in einem Umfang womöglich, den wir nie für möglich gehalten haben) wahr genommen werden. Und wenn das geschieht, werden Gewißheiten und Sicherheiten des einen oder anderen fallen. Und das macht vielen Angst.

Und dann ist meinst der Zeitpunkt, an dem wir diese Rechte erneut verteidigen müssen.

Die Piraten und ihre politischen Privatheiten

Ich finde es ziemlich interessant, was sich dort gerade bei den Piraten und deren Umfeld abspielt. Wer es nicht mitbekommen hat: Das Tool Liquid Feedback, dass bereits in einigen Landesverbänden läuft, sollte nun für die Bundespartei eingeführt werden. Liquid Feedback ist das derzeit weitest entwickelte Tool für die Implementierung von Liquid Democracy. Das Konzept habe ich mal hier erläutert.

Jedenfalls hat der Bundesvorstand den Startschuß von LQFB (Liquid Feedback) gestern verweigert und auf demnächst verschoben. In der Partei gibt es wohl Bedenken in Sachen Datenschutz. Mitglieder möchten ungerne in ihrem Abstimmungsverhalten gemonitort werden. Auch die Pseudonymisierung im System reiche nicht aus, weil man durch die sichtbaren Strukturen im Zweifel durchaus auf die Realpersonen schließen kann. Auch die Speicherung der Daten auf lange Frist sei ein Problem, weil man seine Meinung zu bestimmten Dingen ja nun auch im Laufe der Zeit verändern könne.

Das Interessanteste an der Diskussion ist nun, wie sich plötzlich die Fronten verteilen. So hat Frank Rieger, Sprecher der CCC und wichtiger Datenschutzaktivist in seinem Blog klar Stellung gegen die Datenschutzbedenkenträger gezogen. Er sähe keine Datenschutzprobleme, da er das politische völlig getrennt sieht vom privaten (genauer beschrieben in folgendem Podcast: Podcast). Die Piraten hätten schlicht „Furcht vor Transparenz„. (Ehrlich, ich hätte nie gedacht, diese Worte in seinem Blog zu lesen.)

Kristian Köhntopp geht noch einen Schritt weiter und behauptet sogar, das Politische sei das Gegenteil des Privaten und Datenschutzbedenken seien deswegen völlig fehl am Platze.

Ich finde, die beiden machen es sich hier zu leicht. Aus zwei Gründen:

Erstens: die Argumentation ist zunächst einmal nicht zwingend: „Das private ist politisch!“ haben zum Beispiel die 68er gerufen und damit gemeint, dass wir im Privaten durchaus in Strukturen leben, die irgendwann politisch ausgehandelt wurden und dass diese Strukturen somit ebenso zur politischen Verhandlungssache gemacht werden sollten. Wer diese Sphären wieder trennen will, akzeptiert den gesellschaftlichen Status Quo, indem er ihn dem Politischen – das heißt dem Veränderbaren – entzieht. Das kann man machen, nur sollte man sich bewusst sein, dass auch das eine politische Entscheidung wäre, die getroffen und begründet werden müsste. Also nicht einfach per Rieger-Dekret geregelt werden sollte.

Zweitens – und noch viel entscheidender – ist es eine Frage des Beobachterstandpunktes, was privat ist. Wenn ich einen liberalen Chef habe, wird er mit Sicherheit sagen, dass meine politische Arbeit meine Privatsache sei. Ich bekäme sogar eher Ärger, wenn er das nicht so sähe. Und ebenso argumentieren eben auch einige Piraten – sie wollen nicht für bestimmte Öffentlichkeiten politisch transparent werden oder fühlen sich derart, dass sie sich politisch in der Öffentlichkeit nicht frei entfalten können. Wo – wenn nicht in der Politik – ist der gesellschaftliche Druck auf das Individuum am gefährlichsten? Wer diese Bedenken nicht ernst nimmt, für den dürfte Datenschutz an sich überflüssig sein.

Es ist doch so, dass eine einfache Trennung von privat und öffentlich nicht mehr gibt. Jeder hat bestimmte Privatheiten gegenüber bestimmten Öffentlichkeiten. Das Politische zum Job, der Job zur Familienangelegenheiten, die Familie zum Spaß im Freundeskreis und all das nochmal Reverse. Die Grenze, die wir Privat und Öffentlich nennen, ist in Wahrheit ein Fraktal gewesen und erst durch das Internet bekommen wir das zu spüren. Wer in dieses komplexe Gebilde wieder mit dem Trennmesser den klaren Definitionsschnitt vollziehen will, wird der Sache nicht gerecht.

Auch wenn es sich so anhört: ich will nicht den Datenschutzbedenkenträgern das Wort reden. Ich finde, dass LQFB dennoch eingeführt werden sollte – obwohl die Bedenken der Piraten real sind. Ich glaube, dass der Nutzen für alle, die Nachteile einiger Weniger weit in den Schatten stellt. Liquid Democracy hat das Potential das Politische nachhaltig zu verändern. Ich bin absolut für die Einführung von LQFB.

Aber: die netzpolitische Szene hat es in all den Jahren versäumt sich über Datenschutz Gedanken zu machen. Nämlich ernsthafte Gedanken. Sie klammert sich bis heute an unhinterfragten Dogmen und weilt auf dem Status Quo der Tradition von 1986. Und wenn da etwas dazwischen funkt, wird es einfach weg definiert. Bis zum nächsten Mal.

So lange die Piraten – und die irgendwie netzpolitisch Aktiven insgesamt – nicht bereit sind, sich der Komplexität der neuen Privatheiten/Öffentlichkeiten – und deren politische Bedeutung – zu stellen und kritisch zu hinterfragen, was überhaupt das Sujet des Datenschutzes ist, werden Konflikte wie diese immer wieder aufflammen. Und im Zweifelsfall die gesamte Szene spalten.

Das Ende des Geheimnisses

Es fühlt sich gerade an, wie der Showdown der Informationsethik. Die Frage nach der Transparenz und ihrer Grenzen hämmert auf mich ein. Ich bin noch nicht fertig damit. Weder mit meiner persönlichen Ethik in der Sache, noch beim durch denken der grundsätzlichen Fragen. Ich fühle mich derzeit wie eine Nußschale im eigenen Theorieozean, die oft hilfloser in den Ereignissen herumrudert, als jeder andere. Kontrollverlustverlust…verlustverlust… – Ach.

Da wäre Martin Weigert, der die Frage stellt, die in meinem letzten Posting implizit versteckt ist, die ich mir aber nicht traute, explizit zu machen.

Braucht es vielleicht das Geheimnis? Für unser Zusammenleben? Für den gesellschaftlichen und technologischen Fortschritt? Gar für die Freiheit? (Ich muss zum Beispiel an Hoffmann von Fallersleben’s „Die Gedanken sind frei“ denken. Der zweite Teil des Satzes, der die Begründung der Gedenkenfreiheit liefert, bezieht sich auf das Geheimnis: „… keiner kann sie erraten.„)

Das Paradox ist auch in Wikileaks selber angelegt: die Verbindung von dem Zwang zur absoluten Anonymität und das beständige Beharren der Macher auf die Vorteile der Transparenz machen Wikileaks zum neuralgischen Punkt der Frage nach einer neuen Informationsethik.

(Ein wenig – längst nicht angemessen – führen wir die Diskussion bei Netzwertik in den Kommentaren)

Ehtik ist immer so ein schönes Wort. Ethik beschreibt immer einen Dos & Donts Katalog, Richtschnüre für Verhaltensweisen, die man einzuhalten gebeten wird. Als ob alles eine Frage der Entscheidung wäre. Als ob uns das Internet eine Wahl lassen würde.

Selten hat mir etwas so emotional zugesetzt wie die Ereignisse in Duisburg. Ich habe viel geweint dieser Tage. Und ja. Ich habe mir alles angesehen. Ich wollte alles wissen, habe Video um Video gesehen, Bilder geklickt, Artikel und Erfahrungsberichte gelesen. Ich habe mich sprichwörtlich in den Rausch geklickt.

Und heute tauchte ein Video auf, auf das eigentlich alle gewartet haben. Es ist exakt zum Zeitpunkt des Unglücks exakt an der Stelle des Unglücks gefilmt worden. Und ab nun gibt es keine Distanz mehr. Wer wirklich hart im Nehmen ist und wer glaubt, das ertragen zu können (BITTE NEHMT DIE WARNUNG ERNST!) der kann hier klicken und ist dabei. Mitten drin.[.] (ACHTUNG: Dieses Video wird euch den Tag vermiesen, wenn nicht noch mehr)

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Ich hatte das Video schon getwittert (in Wirklichkeit geretweetet) als ich es gerade erst angestellt hatte. Und schon nach wenigen Minuten erkannte ich die Tragweite dieser Dokumentation. Und neben dem Schrecken stieg in mir das Unwohlsein ob meiner Tat auf, das Video verbreitet zu haben. War das ein Fehler? Sollte man das nicht tun? Ist das Video „falsch“? Ist es falsch, dass es sich die Leute angucken können? Oder ist es nur falsch das Video zu verbreiten? Sollten es vielleicht nur bestimmte Leute sehen? Wenn ja: wer? Wer entscheidet das?

Ich hab auf die Frage vor allem zurück bekommen, dass das Video zwar krass, aber eben die Wahrheit sei. Dass es gut sei, dass es das Video gibt, denn es trägt zur gesellschaftlichen und juristischen Wahrheitsfindung bei. Die Verantwortlichen können sich so nicht so leicht aus der Verantwortung stehlen, durch das Material. So auch Alvar Freude. So auch der Urheber des Videos, der in diesem Artikel kurz porträtiert wird.

Ich wurde aber auch von einigen – teilweise energisch – ermahnt, den Link heraus zu nehmen. Dass ich eine Verantwortung habe, gegenüber zum Beispiel Kindern, die bei mir lesen. Und natürlich ist auch der Vorwurf der Informationsgeilheit und des Voyeurismus hier nicht weit. Aber kann ich Verantwortung übernehmen für das, was andere sich angucken sollen oder nicht? Wer bin ich, dass ich Gatekeeper spielen soll/darf/muss. Vor allem heute, diesem Heute, dem ich unentwegt den Paradigmenwechsel andichte, dass es die Autonomie des Leser/Konsumenten stärkt und ihm alle Macht in die Hände spielt. Und – selbst wenn ich die Verantwortung über die Information meiner Follower annehmen sollte – welche Verantwortung wiegt stärker? Die der Schonung, oder die des Informierens?

Ich habe auf all das keine Antworten. Und ich bezweifle sogar, dass es welche gibt. Weder habe ich allgemeingültige noch auch nur persönliche, die einen irgendeinen Effekt haben. Einen Effekt auf den Kontrollverlust, der sich manchmal zu einer unbändigen Bestie geriert, die schreit und stinkt, die ungewaschen über all unsere Bedenken rollt und jede Ethik zur Theorie degradiert.

Ich habe nur Fragen. Hier eine Auswahl: Werden wir persönliche oder gesellschaftliche Kulturtechniken entwickeln mit solchen Informationen umzugehen, die weder ein Wegschauen, noch ein zwanghaftes Hinschauen sind? Werden wir vielleicht eines Tages verzweifelt kämpfen, um die Institution des Geheimnisses zurück zu erlangen, weil wir merken, dass wir mit der Wahrheit nicht umgehen können? (mir klingt Tocotronic im Ohr: „… wir brauchen dringend neue Lügen…„). Und nicht zu letzt: gibt es das? Eine gesellschaftliche oder gar Logisch-Positive Notwendigkeit des Geheimnisses und der Lüge? Und gibt es – oder sollte es geben – ein Recht auf Unwissenheit? Ein Recht verschont zu werden, von Informationen? Wie sollte man das selbst bestimmt regeln können? Sichwort: Informationsparadox.

Selten haben sich mir diese Fragen so sehr aufgedrängt wie heute. Selten hatte ich so sehr ein Gefühl der Dringlichkeit.

Ein paar bange Gedanken zu Wikileaks

Eben diesen Artikel gelesen. Klar, Kontrollverlust, mal wieder. Und die immer dringendere Frage nach dem neuen Journalismus. Aber auch: wo ist die Grenze? Gibt es eine? Die Blätter (SPIEGEL, Guardian, NYTimes) ziehen sie explizit, auch Wikileaks ist etwas vorsichtig. Sie sagen aus Informantenschutz. Aber wer weiß das schon wirklich?

Die Frage ist: wie weit wird (und für demnächst: wie weit würde) Wikileaks wirklich gehen?

Wird Wikileaks die übrigen 15.000 Dokumente veröffentlichen? Wie brisant können Dokumente sein? Welche Dokumente sind angesichts der Afganistanprotokolle noch zu erwarten? Was wäre der US Geheimdienst bereit zu tun, um das zu verhindern?

Wir sind es gewohnt, fröhlich und krachend auf der Welle des Kontrollverlusts durch die Institutionen zu surfen (wir brauchen keinen Marsch). Massenmedien, Film und Musik-Produktion, Expertokratien und die Kommunikationshoheiten der großen Konzerne werden nieder gewalzt. Und mit einer demokratischen Selbstgerechtigkeit, die manchmal an den Neoliberalismus erinnert, wird dann auf deren eh verknöcherte Strukturen und ihrer in Zukunft fehlenden Legitimation verwiesen. Und die Welle rollt immer weiter und begräbt dabei immer neue „Eliten“ unter sich.

Und nun also das Militär, die Geheimdienste, ja: Regierungen. Die US-Regierung. Denen ist jetzt klar: Keine Information ist mehr sicher. Doch wie kann man all das noch tun, was man tat – was man meint auch weiterhin tuen zu müssen – wenn man fürchten muss, dass alles raus kommt?

So sehr ich diese ganze Entwicklung begrüße, stelle ich mir manchmal die bange Frage nach der Konterrevolution. Wie lange werden die Institutionen, die Eliten und andere Verantwortliche sich den Kontrollverlust noch bieten lassen? Wie lange werden sie zusehen wie ihnen ihre – bis dato immer noch beängstigend große – Macht aus den Fingern gleitet. Beschwören wir (oder das Internet als ganzes) nicht einen Dämon herauf, der irgendwann unkontrolliert um sich schlagen wird? Und zwar zuschlagen mit den immer noch grauenhaft schlagkräftigen Waffen des Geldes und all der politischen, militärischen, publizistischen, politischen Kraft der untergehenden Zentralismen, die all die Jahre den Ton angeben? (Und selbst wenn sie langfristig doch eh keine Chance haben werden (was ich glaube), würden doch schlimme Dinge passieren, würde Leid geschaffen, würde es definitiv Schluss mit lustig sein.) Wir, die wir auf Seiten dieser Welle stehen, sollten uns im klaren sein, wen wir uns hier zum Feind machen.

PS: Natürlich kann man bereits jetzt die zaghaften Schritte hin zur Konterrevolution beobachten: Netzsperren, Urheberrechtslobbyismus und überhaupt der von so vielen Institutionen voran getriebene Rückbau der Freiheiten im Internet. Jedoch sind das nur Wattebäusche gegenüber dem, was eine US-Regierung und ihre Dienste so in petto haben.

PPS: Okay, man braucht natürlich eine kleine verschwörungsrtheoretische Macke, um solche Gedanken zu hegen. In einem tatsächlich vorbildlich demokratischen Rechststaat wäre das natürlich alles kein Problem.

Wieso? ist doch alles prima! Politiker, Institutionen und Dienste freuen sich doch, wenn sie überflüssig werden. Die Geheimniskrämerei war eh immer ein Fremdkörper unseres freien Systems und wir sind froh, dass sie weg fällt.

Gibt es die Eliten, die ihren Status behalten wollen – notfalls gegen das System, oder gibt es sie nicht? Ich denke, jetzt ist die Zeit es heraus zu finden.

PPPS: Drauf geschissen!

Vortrag: Plattformneutralität oder die Befreiung des OSI-Layer 8

Eröffnungskeynote„. – *Schluck*

Ich, der ich noch nie einen Vortrag vor größerem Publikum gehalten hatte, sollte also kurzfristig die Eröffnungskeynote der SIGINT10 halten. Natürlich hab ich zugesagt. Man, war ich aufgeregt. (zudem die Koinzidenz, dass ein alter Freund, der in Köln wohnt, am Abend zuvor seinen eigenen Club eröffnet hat und ich bei ihm pennen wollte und so um etwa halb 6 erst in’s bett gekommen bin.)

Und so stand ich da und hab unter dem Titel „Plattformneutralität oder die Befreiung des OSI-Layer 8“ meine Idee der Plattformneutralität in einer für Nerds optimierten Variante vorgetragen. Etwas holperig zwar, aber ich denke, ich konnte zwischen all den „Ähhs“ und „Ähms“ ein wenig die Idee rüber bringen. Viel Spaß!


Via CCC.

500 Millionen und warum ich dennoch nicht an eine künftige Facebookdominanz im Internet glaube

Marcel Weiß hat mal eindrucksvoll zusammen gestellt, warum er glaubt, dass Facebook in naher Zukunft das Internet ähnlich, wenn nicht noch viel mehr, dominieren wird, wie Google heute. Obwohl die Daten natürlich überwältigend sind und Marcel auch sehr richtig mit einigen Ideologemen aufräumt (man sollte sich Marcel zum Vorbild nehmen und vielleicht einmal in allen Bereichen so ehrlich sein und die bisher immer nur versprochene Überlegenheit offener und verteilter Konzepte kritisch hinterfragen. Die Realität sieht allzu oft ganz anders aus und so langsam kommt die Zeit, in der man das Warten auf deren Durchbruch einmal kurz beiseite legen sollte und darüber nachdenken, warum das eben doch nicht der Fall ist, woran das liegt und wie man das ändern kann – nur mal so.) will ich ihm hier widersprechen.

Anderseits ist da mit ihm wieder allzu stark der BWLer durchgegangen, für meinen Geschmack. Klar, die Kennzahlen sind beeindruckend und es scheint in der Tat so, als könne Facebooks Internetvorherrschaft nur noch durch einen Weltkrieg aufgehalten werden. Aber das gilt nur, wenn man davon ausgeht, dass das Spiel das selbe bleibt.

Ich kann hier so wenig klar begründen, was Facebook eines Tages das Leben schwer machen wird, wie ich die Zukunft vorher sagen kann. Ich weiß nur, dass es Neuerungen geben wird, mit denen wir nicht rechnen. Ein Tool, dass eine völlig neue Kommunikationsstruktur ermöglicht, eines, das die Netzwerkeffekte 1000 mal effektiver ausnutzt – irgend sowas wird es sein, etwas, was einen riesigen Impact haben wird, eben weil es etwas tut, von dem keiner wußte, dass es dafür ein Bedürfnis gibt. Etwa ein wenig so wie damals bei Twitter.

Auch wenn das nicht auf den ersten Blick offensichtlich ist: Twitter hat Facebook arg zugesetzt. Obwohl es in Sachen Useranzahl weit, weit hinter Facebook hinterher hinkt, ist es streckenweise kommunikativ viel mächtiger als Facebook. Der Kommentator Dominic hat das bei Marcel folgendermaßen ausgedrückt:

„Wenn etwas FB verlässt, z.B. weil es über Twitter verbreitet wurde, dann ist es ab diesem Zeitpunkt öffentlich sichtbar und entfaltet (erst dann) eine Wirkung. Eine Diskussion am internen Board einer Gruppe in FB kann 100000 Teilnehmer haben – sie wird ausserhalb – bzw „im Internet“ – trotzdem nicht wahrgenommen. Ein einzelner Tweet entfaltet instantan eine grössere Aussenwirkung, als diese 100k, hitzig disputierenden FB-Member.“

Das ist erst mal eine Behauptung, aber eine, der ich mich anschließe. Twitter ist öffentlicher als Facebook und deswegen schaffen es Twitternachrichten und keine Facebookstati regelmäßig in die News. Obwohl Facebook eine viel größere kritische Masse hat, ist diese Masse anscheinend vergleichsweise träge. Außer, dass die Nutzer sich als Statement schnell in der einen oder anderen Gruppe anmelden, passiert dort nicht viel interessantes oder relevantes. Es ist und bleibt ein Tool, das auf die Interaktion mit dem festen Kreis der Freunde ausgerichtet ist und verbleibt dort auch. Es funktioniert dafür auch gut, schafft aber das, was Clay Shirky den Cognitive Surplus nennt – trotz der gigantischen Masse viel weniger als beispielsweise Twitter.

Hier sind wir auch schon an dem Ort, wo meine persönliche Abneigung (oder sagen wir „mein Desinteresse“) an Social Networks herrührt:

1. Sie sind langweilig. Es passieren dort selten interessante Dinge. Hat man seinen Sammlertrieb befriedigt, und alle Freunde und Bekannte eingesammelt, sitzt man unruhig auf seinem Stuhl und fragt sich: „Und jetzt?“ Die Statusnachrichten sind egaler, die Links uninteressanter und der Impact überhaupt sehr begrenzt. (Letztes mag der Auslöser für die beiden anderen sein.) Udn hat jemand mal eine SINNVOLLE Facebookapplikation gesehen? Ich nicht.

2. Der „Lärm“ ist unerträglich. Jeden Tag werden neue Applikationen erfunden oder Subapplikationen eingebracht, die einen von neuem von der Seite annerven. Als ich noch bei Facebook war, war ich die ganze Zeit damit beschäftigt „Freunde“ auf unsichtbar zu stellen, Anfragen für Freundschaften, Termine, Fanpages und Gruppen abzuwehren und Applikationen zu blocken.

Seit mich Facebook wegen meiner Anmeldung unter Pseudonym verbannt hat, genieße ich die Ruhe – oder besser: den gezielt von mir zusammengestellte und präzise auf meine Bedürfnisse angepassten Twitterstream, voll mit Unterhaltung, spannenden Links und geistreichem Humor. (Meine Distributed Reality)

Das mag sich jetzt nach subjektivem Rumgemäkel anhören, das angesichts von 500 Millionen Nutzern vernachlässigbar ist. Ich glaube aber, das es eine grundlegende Schwäche des Konzepts ist, die zeigt, dass Facebook schon mal wenigstens als der Weisheit letzter (oder sogar zeitgenössischer) Schluss ausgeschlossen werden kann.

Und Facebook selber glaubt das auch: Seit dem unbestreitbaren Erfolg von Twitter versucht Facebook alles, sich die Konzepte des Twitterns einzuverleiben. Und zwar massiv. Das fing mit dem Ins-Zentrum-stellen des Friend-Newsstreams an, geht mit dem Likebutton weiter, der immer mehr in Richtung Retweetfunktion entwickelt wurde und lässt sich auch gut an so Sachen wie @replies festmachen. Schließlich und letztendlich ist es auch m.E. der eigentliche Grund für die umfangreichen und immer wieder voran gebrachten Privacy-veränderungen: nämlich die Publizität des Facebookcontents zu erhöhen, um die Relevanz des Contents zu pushen, um mit Twitter mithalten zu können.

Doch der Wurm sitzt tiefer: Markus Spath, der in seinem genialen Artikel über die Gegenwart und Zukunft von Social Media auch über Facebook räsonierte, riss den Wurm an, der im Grundkonzept des Social Networking sitzt. Deswegen muss ich hier mal eine längere Passage aus dem Text wiedergeben:

„ein weiterer von facebook ausgehender bremsklotz für die entwicklung des webs ist die grundannahme, dass jeder seinen sozialen graphen hat und den dann idealerweise von dienst zu dienst mit sich mitschleppt (was eben auf facebook zentralsiert geschieht).

schon die vorstellung ist schrecklich: man kann gehen wohin man will – und überall sind immer schon die gleichen leute da.

der ganze punkt am web aber ist, dass man nicht auf den handlungs- und denkkosmos seiner freunde beschränkt bleibt, sondern dass man sich interessengetrieben ausdifferenzieren kann. die eigenen freunde sind immer die besten und sie bleiben es auch, aber einerseits weiss man ohnehin, was man von ihnen erwarten kann (i.e. ich weiss wen ich fragen kann, was ich lesen oder hören oder mir anschauen soll, und wen ich besser nicht frage), und andererseits macht sie die tatsache der freundschaft nicht notwendigerweise in jedem bereich interessant.
(ich vermute mal der studentische background von facebook ist der grund, dass facebook das noch nicht erkannt hat. in der high school und im college hängt man halt mit seinen freunden ab und darüber hinaus interessiert einen wenig; es ist jedoch unverständlich, dass etwa google etwas noch viel blöderes glauben konnte, nämlich dass das adressbuch des email-accounts auch nur irgendwas bedeutet, geschweige denn ein indikator für globales interesse ist, wobei sich das wahrscheinlich daraus erklärt, dass das im googleverse zusammenfällt)

wir brauchen jedenfalls eine entkoppelung vom engen social graph der freunde und eigentlich auch vom halt mitgeschleppten social graph aus twitter, gmail und allen anderen sammelgraphen und bessere mechanismen für frei flottierende graphen, die sich konkret via der zirkulation von social objects ausdifferenzieren können. das ist jetzt sicher nicht das grösste problem, aber angesichts der tatsache, dass jeder zweite neue dienst als erste amtshandlung facebook connect anbietet und mehr als eine million seiten die social widgets integrieren, zumindest ein bedenkenswerter.“

Oder wie es mal ein Twitterer ausgedrückt hat:
tweet
[Link]

Ich weiß nicht, ob diese Schwächen jetzt wirklich relevant genug sind, dass sie Facebook das Genick brechen werden. Sie tun es bislang schließlich nicht, warum sollten sie es in Zukunft tun? Ein Grund könnte sein: Weil die Leute das Konzept „Freunde“ (bidirektionales Following) vor allem aus der realen Welt kennen und sie nur deswegen erst mal dankbar als gefällige Metapher akzeptieren. Langfristig werden sie aber tendenziell die Beschränktheit dieser Struktur erkennen und die Möglichkeiten verstehen, die andere Modelle bieten. Glaube ich.
(Gut, Okay, auch in diesem Feld hat sich Facebook schon bewegt: nämlich mit den Fanpages. Fanpages sind eine Followingstruktur und damit ebenso gut skalierbar wie Twitter. Jedoch ist das nur halbherzig, weil nur zusätzlich zu den Freunden und zweitens strategisch ungünstig benamt. Ich würde gerne Leuten follown, ohne mich als deren Fan bezeichnen zu lassen. Dazu sind sie schlecht vernetzt (Fanpages „follown“ sich in der Regel nicht gegenseitig) .Naja, aber es zeigt zumindest: Facebook schläft nicht.)

Wahrscheinlich wird nicht gerade Twitter Facebook den Todesstoß versetzen (die beiden Koexistieren bislang recht gut nebeneinander, obwohl Zuckerberg alles dran setzt, das zu ändern), aber bestimmt ein ganz neues Konzept, das noch besser und effektiver ist, als Twitter. Etwas was noch kommen wird. Ganz sicher!

„Datenmißbrauch“

Und dann ist wieder Flattr in aller Munde. Und ich so: guck mal nach, was da bei mir so Sache ist, und ach: gar nicht so viel geflattrt diesen Monat (war ja im Urlaub und so), so dass 9,95 € pro Klick, ach du Scheiße! Also ich getwittert, dass hey, lasst mal gute Artikel rüber wachsen und Antje Schrupp gleich so: da haste! – und ich so: Uff!

Also, Antje Schrupp dröselt das Problem mit dem Datenschutz auf und streift dabei ganz nebenbei die tieferen Problemlagen dessen, wovor wir in Wirklichkeit Angst haben, wenn es um unsere Daten geht, so ganz ohne Scheuklappen der ideologischen Diskurse. Sowas wird ja viel zu wenig gemacht. Besonders von den meisten engagierten Datenschützern; mal inne zu halten und darüber nach zu denken, was denn die Probleme sind, in Wirklichkeit sind, was so ein Datenschutz oder eine Privacy denn in Wirklichkeit leisten können sollte und wo die Probleme liegen. Dafür muss man sich aber erst mal von dem Wortgeklingel lösen und die einzelnen Fälle anschauen, gerne auch aus der eigenen Biographie – und dann noch einmal nach denken. Antje Schrupp schafft das mal wieder mit Bravour und nimmt uns mit, in das Innere des Datenschutzes, dort wo die Informationsrädchen ineinander greifen und wo sich Machtgefüge an Wertekonstellationen reiben und wie das ganze dann das Soziale des Einzelnen bestimmt und beeinträchtigt – alles in Form persönlicher Anekdoten. Absolut lesenswert.

Leider übernimmt sie dann doch wieder etwas leichtfertig einen der Kampfbegriffe des Datenschutzes, ohne ihn hinreichend zu befragen, nämlich den des „Mißbrauchs“ von Daten. Ein gängiger Begriff in der Debatte und Antje definiert ihn dementsprechend seines Ursprunges gemäß als einen bestimmten Gebrauch der Daten „entgegen der Intention ihrer Urheberin„.

Ich finde das zu einfach und eigentlich müßte das Antje Schrupp auch selber aufgefallen sein. An einer anderen Stelle schreibt sie nämlich sehr richtig: „Fakten aber sprechen nicht für sich. Sie müssen immer interpretiert und in einen Kontext gestellt werden.“ „Fakten“ – in diesem Fall waren es „Worte“, im Allgemeinen sind es „Daten“ oder „Informationen“ – müssen interpretiert werden, das ist sehr richtig. Aber wie müssen sie Interpretiert werden? Etwa immer so, wie es der Urheber will oder zum Zeitpunkt des Schreibens wollte? Müssen sie immer „richtig“ interpretiert werden? Was ist „richtig“? Woher soll man den Willen des Urhebers kennen? Brauchen wir Mißverständnisverbote? Müssen wir jetzt alle die Grundlagen der Hermeneutik lernen und: ist die Hermeneutik eine Versicherung dagegen? Oder anders: Wäre Feminismus möglich, ohne dass man zum Beispiel die Begriffe des Patriarchats angreift? In dem man den Sexismus aufdeckt, der in Aussagen steckt, die der „Urheber“ vielleicht nicht intendiert hatte, die aber dennoch in seinen Worten steckt? Ist gesellschaftlicher Fortschritt möglich, wenn wir nicht Aussagen gegen sich selber wenden, wenn wir nicht tiefer analysieren, was jemand implizit meint, ohne es zu meinen – zum Beispiel welche Abmachungen man implizit signiert, wenn einen Begriff wie den des „Datenmißbrauchs“ verwendet?

Eric Fischer hat im Juni alle Geodaten von Bildern, die in einigen Städten aufgenommen wurden aus Flickr gezogen und diese Daten dann „mißbraucht“. Entgegen der Intention ihrer Urheber hat er geschaut, welche „Urheber“ über einen langen Zeitraum in einer Stadt fotografieren und welche nur mal so sporadisch. So konnte er zwei Gruppen identifizieren: Locals und Tourists. Die Orte der Fotos von Touristen färbte er rot, die Orte der Fotos von Locals blau und trug sie auf Karten ab. So manch einen schönen Ort habe ich dadurch in New York gefunden.


Map New York

(Eric Fischer cc via Spreeblick)

Ich könnte viele weitere wunderbare Beispiele nennen, in denen Daten entgegen ihrer ursprünglichen Intention zu etwas tollem „mißbraucht“ werden. Und selbst wenn es im Falle von Eric Fischer unstrittig ist, dass so etwas nur mit Mühe „Mißbrauch“ zu nennen ist, ist dieser Begriff im Fall von Google Streetview immer wieder im Gespräch, obwohl auch Google nur etwas vergleichbares tut.

Ich bezweifle, dass es einen „Mißbrauch“ von Daten geben kann, ich halte diesen Begriff sogar für weit gefährlicher, als das, was er vorgibt zu bezeichnen. Wenn wir erst anfangen Regeln aufzustellen, wie man Daten richtig zu verwenden und zu interpretieren hat, dann zentralisiert man eben das, was das Internet gerade erst verteilt und demokratisiert hat. Die Deutungsmacht. In der Tat, wir sind wieder mitten drin, in dem was ich „Kontrollverlust“ nenne: das Ende der Hoheit über die Daten und was sie aussagen. Dieses Ende der Kontrolle, das dem „Mißbrauch“ (manchmal nur in Form eines einfachen Mißverständnisses) Tür und Tor öffnet, gibt dem Nutzer alle Werkzeuge in die Hand, die Daten auf seine Weise, oft auf ganz ungeahnte Weise zu verarbeiten und zu interpretieren und ja, manchmal auch gegen den Autor selbst zu richten.

Ich will nicht leugnen, dass das Probleme mit sich bringt. Ich habe das immer wieder thematisiert. Aber den „Mißbrauch“ von Daten anzugehen ist der falsche Weg, einer der uns wieder zurück führt, in Zeiten, in denen Menschen an Schaltstellen sitzen, um zu definieren, wie man einen Text „richtig“ liest, wie man mit einer Software „richtig“ umgeht, wie man einen Datensatz „richtig“ zu interpretieren hat. (Kleine Reminiszenz an Frank Rieger: ist dies nicht der Kern dessen, was der CCC immer als „Hacken“ hoch hält? Das Verwenden von Dingen entgegen der Intention ihrer Erschaffer? Kämpft der CCC nicht auch die Freiheit die Dinge (und damit auch die Daten) gegen den Strich bürsten zu dürfen? Und jetzt will er allgemeine Regeln aufstellen, als wären nicht die Verbote das Problem, sondern dass es nur die „Kompetenz“ der Hacker selber gebraucht hätte, um die „richtigen“ Verbote aufzustellen? Hallo Selbstreflektion?)

Als ich mir an anderer Stelle über das Problem des Datenschutzes Gedanken gemacht habe, habe ich den „Mißbrauch“ und dessen positive Möglichkeit explizit mit bedacht. Ich glaube, das Problem liegt nochmals tiefer. Es liegt nicht in der Interpretation, sondern in dem darauf oft folgenden „Urteil“. Urteil meint hier mehr als nur die Meinungsbildung, sondern auch das darauf basierende Handeln. Wenn Antje Schrupp wegen ihrer Scheidungsparty den Job bei einem evangelischen Pressedienst nicht bekommt, dann ist das ein Urteil. Antje wurde als moralisch fragwürdige Person (im Wertesystem der evangelischen Kirche von damals) verurteilt und als Strafe der Karriereweg verbaut.

Ich denke mir dabei zweierlei: Einerseits finde ich es gut und richtig, dass Antje es nicht bereut, die Information, auf der dieses Urteil gefällt wurde, in Umlauf gebracht zu haben. Es gibt viel zu wenig Menschen, die sich das trauen, viel zu viele, die als Duckmäuser ihre Angewohnheiten und Besonderheiten vor der Welt verstecken und sich selbst öffentlich auf Mainstream bürsten und die dadurch denen, mit denen sie eigentlich solidarisch sein sollten – die, die so sind wie sie – einen Bärendienst erweisen. Sich einem Druck zu beugen, ist verwerflich, weil es diesen Druck reproduziert – und zwar für alle. (Das meine ich übrigens mit „Sklavenmoral“ – ich werde zu diesem Begriff, der übrigens von Nietzsche stammt, irgendwann noch mal aufdröseln, weil er viele – noch viel mehr Facetten hat, als hier aufscheinen und die aktueller sind als je.)

ANDERERSEITS, so wird mir immer wieder vorgehalten und ich habe das so zu akzeptieren, hat nicht jeder den Mut, die Stärke, die Macht und die Unabhängigkeit dazu. Es braucht ein gehöriges Maß an Privilegiertheit dazu, sich freizügig zu verhalten – das ist auch ungefähr die Grundaussage von Danah Boyd. Familie, Kinder, Angewiesenheit auf Lohn und andere Abhängigkeiten sind gesellschaftliche Realitäten – und wenn man nicht die FDP ist, muss man denen Rechnung tragen, wenn man ein „Mehr“ an Freiheit will – für alle will.

Und aus diesen Gedanken heraus, habe ich mir das Konzept der Plattformneutralität (Link wird aus bekannten Gründen irgendwann nach gereicht) ausgedacht. Man sollte die Menschen nicht daran hindern freizügig mit Informationen umzugehen. Diese Freizügigkeit wird die Gesellschaft zu einer besseren machen und tut es bereits. Man wird die Menschen aber auch nicht daran hindern, Urteile zu fällen. Deswegen muss man ihnen die Macht über einander aus den Händen nehmen. Jedenfalls so weit es geht.

Darüber hinaus, glaube ich auch daran, dass mit der Freizügigkeit eine neue Schwelle der Toleranz erreicht werden kann und wird. Diese Toleranz wird nie absolut sein und sie wird immer Probleme aufwerfen aber ich glaube tatsächlich an eine gewisse Aufklärung, eine gewisses Maß und eine gewisse Macht der Aufklärung. Ich glaube, dass mehr Wissen immer mehr Gelassenheit bringt – nicht umbedingt „Verstehen“, aber Gelassenheit. Denn Angst haben wir immer nur vor dem Unbekannten.

Die allgemeine Transaktionskostenparitätshypothese

Eben bin ich bei Wirres.net vorbeigesurft und seinen Artikel über das bezahlen von Journalismus kommentiert. Mich dabei an einen Artikel von Marcel Weiß erinnert und im folgenden eine These skizziert, die ich kurz mal aufschreiben will:

Also „Mentale Transaktionskosten“ ist das Wort von Marcel, das ich so toll fand und Diplix beschreibt das – ohne es zu nennen – so:

„die überlegung „mir ist das 50 cent oder 2 euro“ wert ist meiner meinung nach schon wieder viel zu kompliziert. ich glaube 50 klicks ohne diese überlegung, dafür mit weniger gesamtertrag, sind besser als 5 klicks die am ende eines „was-zahl-ich-jetzt“-prozesses stehen.“

Also nehmen wir doch einfach mal die „mentalen Transaktionskosten“ an und nehmen dazu „Zeitaufwendungen“ und die ganzen anderen nichtmonetären Aufwendungen, die mit der Abwicklung eines solchen Geschäfts einhergehen und bezeichnen sie als die allgemeinen Transaktionkosten für das Bezahlen einer Sache.

Und nehmen wir an, wir haben einen zweiten Wert, jedenfalls bei der Information, was die Weiterverbreitung angeht, die auch Transaktionskosten verursacht.

Tja, und seit dem Internet sind die Transaktionskosten für die Verbreitung von Information auf etwa 0 gesunken. Komischerweise will seit dem keiner außer Sascha Lobo mehr für Inhalte Geld bezahlen, obwohl auch er sich heftig und deutlich über die unverhältnismäßig hohen Transaktionskosten für den bezahlten Konsum beklagt.

Könnte es also sein, dass es sowas wie ein quasiökonomisches Gesetz gibt, das die allgemeinen Transaktionskosten der Verbreitung von Information sich paritätisch zu den Transkationskosten des Bezahlvorgangs verhalten müssen, damit überhaupt bezahlt wird?

Flattr jedenfalls zeigt, dass die Leute sogar völlig ungezwungen Geld in die Hand nehmen, wenn man die Transaktionskosten der Bezahlung auf die gleiche Höhe wie die der Verbreitung setzt (= 1 Klick).

Die Musikindustrie versucht es anders herum. Sie versucht die Transaktionskosten der Verbreitung künstlich zu erhöhen, um ihre hohen Transaktionskosten auf der Bezahlseite rechtfertigen zu dürfen.

Ich stelle das mal so als These in den Raum, unfertig, skizzenhaft. Vielleicht fällt euch ja was zu ein.

Ich bin wieder da

also dort drüben, im Internetz – bei Euch. Also jetzt wieder dauerhaft. Mit neuem Handy und einer Prepaidkarte. Fragt nicht, alles furchtbar teuer, alles furchtbar aufwändig. In den USA gibt’s die guten Handys fast alle nur mit Vertrag und es ist echt schwierig, was anderes zu finden. Evo und einige andere sind nicht GSM-fähig also gar nicht zu hause sinnvoll zu benutzen und und und. In Deutschland kommt man vielleicht nur über Umwege an unlocked Phones, hier so gut wie gar nicht. Ich hab es dann doch geschafft, mit viel Recherche und noch mehr Geld, ein Desire zu kaufen, dass hier – so weit ich das sehen kann – eigentlich gar nicht verkauft wird. Aus gutem Grund, denn es unterstützt das 3G Netz von hier gar nicht. Egal, ich hab wieder etwas, wenn auch auf Edge.

Nun also Android. Ich muss ja sagen, dass ich von Anfang an Sympathien für das Androidprojekt gehegt habe. Ich muss aber auch sagen, dass mich aus dieser Welt noch nichts überzeugt hat. Das Nexus One war das erste, wo meine Augenbrauen etwas hoch gingen, aber bei der tatsächlichen Benutzung hat es dann doch enttäuscht. Das Desire ist in vielerlei Hinsicht nun etwa baugleich, also werd ich mich dran gewöhnen müssen.

Ich will jetzt hier auch gar nicht groß herum lamentieren, von verzögerten Scrollgesten und leuchtschwachen Displays. Das wurde alles schon zu genüge getan. Meine vornehmlichsten Probleme sind erst mal Ersatz für all die Tools und Programme ran zu schaffen, mir einen Überblick darüber zu erklicken, was es überhaupt so tolles gibt und auch, welche Funktionen und Einstellungen von Android wichtig sind und wie man sie einsetzt. Das alles wird noch etwas dauern, denke ich. Aber dann bin ich auch mobil wieder voll Sendefähig.