Ein paar bange Gedanken zu Wikileaks

Eben diesen Artikel gelesen. Klar, Kontrollverlust, mal wieder. Und die immer dringendere Frage nach dem neuen Journalismus. Aber auch: wo ist die Grenze? Gibt es eine? Die Blätter (SPIEGEL, Guardian, NYTimes) ziehen sie explizit, auch Wikileaks ist etwas vorsichtig. Sie sagen aus Informantenschutz. Aber wer weiß das schon wirklich?

Die Frage ist: wie weit wird (und für demnächst: wie weit würde) Wikileaks wirklich gehen?

Wird Wikileaks die übrigen 15.000 Dokumente veröffentlichen? Wie brisant können Dokumente sein? Welche Dokumente sind angesichts der Afganistanprotokolle noch zu erwarten? Was wäre der US Geheimdienst bereit zu tun, um das zu verhindern?

Wir sind es gewohnt, fröhlich und krachend auf der Welle des Kontrollverlusts durch die Institutionen zu surfen (wir brauchen keinen Marsch). Massenmedien, Film und Musik-Produktion, Expertokratien und die Kommunikationshoheiten der großen Konzerne werden nieder gewalzt. Und mit einer demokratischen Selbstgerechtigkeit, die manchmal an den Neoliberalismus erinnert, wird dann auf deren eh verknöcherte Strukturen und ihrer in Zukunft fehlenden Legitimation verwiesen. Und die Welle rollt immer weiter und begräbt dabei immer neue „Eliten“ unter sich.

Und nun also das Militär, die Geheimdienste, ja: Regierungen. Die US-Regierung. Denen ist jetzt klar: Keine Information ist mehr sicher. Doch wie kann man all das noch tun, was man tat – was man meint auch weiterhin tuen zu müssen – wenn man fürchten muss, dass alles raus kommt?

So sehr ich diese ganze Entwicklung begrüße, stelle ich mir manchmal die bange Frage nach der Konterrevolution. Wie lange werden die Institutionen, die Eliten und andere Verantwortliche sich den Kontrollverlust noch bieten lassen? Wie lange werden sie zusehen wie ihnen ihre – bis dato immer noch beängstigend große – Macht aus den Fingern gleitet. Beschwören wir (oder das Internet als ganzes) nicht einen Dämon herauf, der irgendwann unkontrolliert um sich schlagen wird? Und zwar zuschlagen mit den immer noch grauenhaft schlagkräftigen Waffen des Geldes und all der politischen, militärischen, publizistischen, politischen Kraft der untergehenden Zentralismen, die all die Jahre den Ton angeben? (Und selbst wenn sie langfristig doch eh keine Chance haben werden (was ich glaube), würden doch schlimme Dinge passieren, würde Leid geschaffen, würde es definitiv Schluss mit lustig sein.) Wir, die wir auf Seiten dieser Welle stehen, sollten uns im klaren sein, wen wir uns hier zum Feind machen.

PS: Natürlich kann man bereits jetzt die zaghaften Schritte hin zur Konterrevolution beobachten: Netzsperren, Urheberrechtslobbyismus und überhaupt der von so vielen Institutionen voran getriebene Rückbau der Freiheiten im Internet. Jedoch sind das nur Wattebäusche gegenüber dem, was eine US-Regierung und ihre Dienste so in petto haben.

PPS: Okay, man braucht natürlich eine kleine verschwörungsrtheoretische Macke, um solche Gedanken zu hegen. In einem tatsächlich vorbildlich demokratischen Rechststaat wäre das natürlich alles kein Problem.

Wieso? ist doch alles prima! Politiker, Institutionen und Dienste freuen sich doch, wenn sie überflüssig werden. Die Geheimniskrämerei war eh immer ein Fremdkörper unseres freien Systems und wir sind froh, dass sie weg fällt.

Gibt es die Eliten, die ihren Status behalten wollen – notfalls gegen das System, oder gibt es sie nicht? Ich denke, jetzt ist die Zeit es heraus zu finden.

PPPS: Drauf geschissen!

5 Gedanken zu „Ein paar bange Gedanken zu Wikileaks

  1. sicher gibt es diese eliten. aber es scheint, als ob die brüchigkeit ja das system von innen erfasst hätte. der kontrollverlust, der verlust der selbstsicherheit betrifft ja die geschlossenheit der alten herrschaftsblöcke selbst. von daher mache ich mir derzeit keine ernsthaften sorgen über militärdiktatur im nato-bereich.

  2. Das erstaunliche ist doch, wie lange die Macht- und Statuseliten das Treiben im Internet bisher toleriert haben. Klar, da haben einige das Internet vollkommen unterschätzt in der gesellschaftlichen Wirkung, jedoch überschätzt bei den Vorteilen für die „Old-Economy“. Trotzdem. Da braucht man gar nicht so tief graben. Während für die Presse Regelungen und Kodizes gelten, kann immer noch jeder ohne Anbieterkennzeichnung ein Blog aufsetzen. Politiker antworten bei Twitter auf Fragen von Nutzern, von denen sie noch nicht einmal ahnen, ob es eine Person oder ein „Kunstwerk“ ist. In Talk-Sendungen der ÖR-Anstalten werden Zuschauerfragen „aus dem Internet“ vorgelesen, die etwa beginnen mit „Zuschauer Babalu fragt…“

    Im Grunde ziemlich gaga. Damit ist zu erklären, dass für die Entscheiderkreise das Netz ein grosser Sandkasten ist, der sie nicht besonders in ihren Aktivitäten und Veranstwortlichkeiten einschränkt. Wenn man sich die relevanten Gruppen ansieht, ob Parteien, Verbände, Massenmedien, Thinktanks, informelle Kreise, dann hat das Internet die interne Kommunikation verändert, jedoch nicht die Entscheidungsprozesse. Solange bei wikileaks keine Sitzungsprotokolle von DAX-Aufsichtsräten, oder andere Dokumente der täglichen Machtausübung landen, wird sich wenig ändern.

  3. Da sind Steine in den Wattebäuschen verpackt. ACTA beispielsweise kann bei aller Blauäugigkeit nicht als Wattebausch bezeichnet werden.

    Das Netz gibt es nur noch deswegen, weil die „Eliten“ bisher nicht davon abgelassen haben, es in ein Disney-Kinder-Amazon-Konsumenten-Netz umzubauen. Sollten sie den Kampf verloren geben, sollten sie das Kommunikations- und Informationsbedürfnis der Nutzer nicht brechen können, wird der Dämon mit aller Macht zuschlagen.

    Man mache sich bitte nichts vor, nur weil es ein paar aufgeklärte Menschen im Netz gibt. Selbst heute noch würde weite Teile der Bevölkerung Union und FDP wählen.

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