Volk. Man kann sagen: Es gibt Volk.
Es gibt eine Grenze, die geographisch einer Region einen Namen aufdrückt. Es gibt ein Gesetz, das von dieser Grenze einverleibt wird. Es gibt dort Menschen. Man kann sagen, diese Menschen sind ein Volk.
Menschen handeln, sagen, glauben. Sie wählen. Hier – alle vier Jahre ihre Vertreter. Diese Vertreter handeln, sagen, glauben und wählen dann: Gesetze – aber im Auftrag. In wessen Auftrag? Man kann sagen: Dem Auftrag des Volkes.
Es ist also die Meinung von einem Volk, das dort im Gesetz steht. Alleine, dass die Volksvertreter die Macht haben, für ein Volk verbindliche Regelungen zu schaffen, ist ihnen vom Gesetz verbrieft. Man kann sagen: Es war die Meinung des Volkes, ihnen diese Macht zu geben.
Das Volk hatte beschlossen, den Vertretern, damals, in unserem Fall 1949, diese Macht zu verleihen. Also nicht so direkt, aber indirekt, durch seine Vertreter. Sie, die Vertreter, beschlossen das Grundgesetz, das Gesetzt der Gesetze, das nebenbei eben jene geographische Grenze absteckte, welche ein Volk benannte, dessen Vertreter sie dadurch wurden, indem sie im Namen dieses noch nicht existenten Volkes das Gesetz unterschrieben.
Man kann durchaus sagen: Eine Grenze, ein Gesetz, ein Volk und seine Vertreter. Alles dies wurde gleichzeitig erschaffen in einem einzigen Geniestreich, einem bürokratischen Akt, direkt aus dem Nichts heraus. Durch ein paar Unterschriften auf einem Zettel. (Auch meiner Unterschrift?)
Diese krasse Paradoxie, man könnte sagen, dieser Wahnsinn, hat nur einen Namen verdient: Repräsentation. Und so nennt man unsere Demokratie auch eine „repräsentative Demokratie“.
Ich. Es gibt mich. Auch ich handle, sage, denke, machmal wähle ich.
Man muss den Wahlzettel nicht unterschreiben. Vielleicht ist einer der Gründe dafür, dass man eh niemals unterschreiben würde, was dieser andere, der Vertreter damit macht, machen wird, in meinem Namen. Und doch wird eine Unterschrift geleistet worden sein. Implizit. Denn man unterschreibt die Verfassung, die repräsentative Demokratie, indem man wählen geht. Nachträglich. Man unterschreibt, dass man sich als Teil eines Volkes sieht, welches innerhalb einer Grenze lebt, eines, dass vertreten wird und dessen Vertreter Gesetze machen sollen, die man einhalten sollte. (eine Selbstverständlichkeit, ein natürlicher Vorgang, eine Offensichtlichkeit, das sagt doch schon der gesunde Menschenverstand)
Die Volksvertreter bläuen einem immer ein, alle Jahre wieder, dass es die Verantwortung jedes Einzelnen ist, diese Unterschrift zu leisten, indem man wählen geht. Diese Unterschrift, die mir die Verantwortung nimmt und sie ihnen überträgt, in ihre Obhut. Man kann sagen: Ich habe die Verantwortung, meine Verantwortung abzutreten.
Blogosphäre. Kann man sagen: „es gibt eine Blogosphäre“?
Sie hat keine Grenzen, sie hat kein Gesetz, sie hat keine Vertreter. Es gibt Blogger. Sie handeln, sagen, glauben, das ist ihr Gesetz. Sie wählen nicht, aber sie schreiben. Als Vertreter ihrer selbst. Was schreiben Sie? Man kann sagen: Alles. Innerhalb ihrer je eigenen, persönlichen Grenzen.
Warum tun sie das? Warum lassen sie sich nicht vertreten? Von den Volksvertretern oder von den Massenmedien, diesem Anwalt des kleinen Mannes? Von Verbänden, Gruppen oder Parteien. Von Gewerkschaften, Publizisten, Lobbyisten oder Vereinen? Von all den Vertretern, all den repräsentativen Kräften und Instanzen, die mit einer Stimme sagen, die dafür da sind, um zu sagen, um für uns zu sagen, im Auftrag von uns. Teils ehrenwerte Institutionen, die vielleicht sogar genau das sagen, was auch der ein oder andere Blogger sagt. Oder selbst wenn sie sich vertreten lassen, warum reicht ihnen das nicht? Ist ihre Meinung nicht schon vertreten worden? Hat nicht jemand schon seine Unterschrift für genau dieses Thema, diesen Satz, diese Meinung geleistet? Warum sagen die Blogger es im Zweifelsfall noch mal? Was fasziniert sie so, an ihrer eigenen Unterschrift, an ihrem eigenen Getippten, an den Belanglosigkeiten ihres Lebens oder ihrer Auffassung von der Welt, all den dilettantischen Argumenten und vor allem an sich selbst? Die, die doch niemanden vertreten, was bilden die sich ein, wer sie sind? Sie sprechen nur für sich selbst. Sie vertreten stur sich selbst, als ob es nie bestellte Vertreter gegeben hätte.
Sind die Blogger eigentlich so etwas wie ein Volk (eine Gemeinschaft, eine Masse oder auch nur eine Gruppe)? Besser: können sie ein Volk sein, ohne sich vertreten zu lassen? Ist vielleicht ein Volk, erst ein Volk, durch sein Vertreten-werden? Wird das Bezeichnete, wenigstens in diesem Fall, erst durch seine Bezeichnung (Zeichnung, Signatur, Einschreibung) existent? Das heißt: klar umreissbar, zuordbar, definierbar, indem man, als Vertreter, als Ersatz für dieses etwas, eine Grenze zieht und ihm ein Gesetz aufdrückt (Was z.B. auch in Foren, öffentlichen Chats und Communities geschieht: eigene Gesetze, eine klare Grenze und mehr oder weniger offizielle Vertreter)?
Was wäre die Blogosphäre, wenn all dies bei ihr nicht greift? Wer würde den Gegenstand definieren? Wer könnte sagen: „Das sagt die „Blogosphäre“? Wer könnte sie vermessen: „von hier bis dort“? Wer könnte sagen: „Die Blogosphäre meint…“ oder nur: „Das da ist (k)ein Blogger“? Wer könnte für die Blogosphäre sprechen? In ihrem Namen?
Ich bin mir nicht sicher, ob es ein Volk (oder irgendeine irgendwie definierte Gemeinschaft) gibt. Ein Volk jenseits eines autokratischen, mystischen Gründungsaktes. Ich bin mir nicht mal sicher, ob man sagen kann: „man kann sagen“. Wer ist dieses „man“? Mir scheint sein Eigenname ebenso nebulös zu sein, wie der, irgendeines Volkes.
Man kann vielleicht sagen: Es gibt eine Blogosphäre. Aber niemand gehört ihr an.
Aber ich (ich, für mich) finde schöner: Es gibt zwar keine Blogosphäre. Aber genau deshalb will ich ein Teil davon sein.