Postmoderne und Verantwortung

Der Traum ist aus! Der Traum ist aus!
Aber ich werde alles geben, daß er Wirklichkeit wird.
[Ton Steine Scherben – der Traum ist aus]

Die Postmoderne ist so ein Begriff. Heute aus der Mode gekommen, schien er damals – schon damals – unser heutiges Leben zu beschreiben. Kurz: es ist alles nicht mehr so einfach. Die vielfältigen Verstrickungen und Wirrungen, die einem heute bereits begegnen, wenn man versucht eine Handlung oder eine gängige Praxis zu kritisieren, sind ein gutes Beispiel. Man kann nicht mal mehr für „Brot für die Welt“ spenden, ohne den einen oder anderen Bauern in der Armutsregion in seiner Existenz zu bedrohen. Man kann keine Kleider spenden ohne der ansässigen Textilindustrie zu schaden. Man kann kein Geld spenden, ohne den einen oder anderen korrupten Diktator zu stützen. Man kann keine Süßigkeiten mehr essen, wenn man gegen Nesté opponiert. Man kann Politiker nicht mehr für irgendwas verantwortlich machen, weil sie schon auf dem Zettel stehen haben, warum ihnen die Hände gebunden sind.
Überhaupt. Niemand ist verantwortlich. Für nichts. Wenn uns ein Verantwortlicher für irgendetwas präsentiert wird, dann kann man sicher sein, dass es sich um ein Bauernopfer handelt. So ist sie die Welt. Nicht mehr greifbar. Die Macht verschwindet in der Struktur. Und gegen die Struktur zu kämpfen ist wie gegen Windmühlen zu kämpfen.

Mercedes Bunz hat versucht, diesem Umstand in ihrem Text Rechnung zu tragen. Und überhaupt gehört zu den Vorzügen ihrer Bemühungen den Einsatz der Postmoderne wieder zu repolitisieren. So fordert sie hier z.B. auf die Strukturen freizulegen, die Macht aus ihrer Diffusität herauszuholen, sie sichtbar zu machen. Ihr Ansatz basiert dabei auf Foucault’s Werk, der sein Leben nichts anderes versucht hat.

Dennoch. Es bleibt verführerisch sich auf die Struktur zu berufen. Auf die Komplexität der Welt, der Situation, der Zeit und der Macht. Der Fatalismus ist immer ganz nahe, wenn man sich auf den Gedanken einlässt. Und nicht umsonst musste sich Foucault von Chomsky anhören, er sei ein Nihilist. Hatte Chompsky damit recht? Ja. Und nein.

Richtig ist, das Foucault keinen Ausweg sah, als den, die Strukturen offen zulegen. Die Macht zu entlarven. Aber was brachte es? „Gouvernementalität“, ein Ausdruck Foucaults um das Einschreiben der Macht ins eigene Bewusstsein zu auszuformulieren, heißt heute „Selbstmanagement“ und „Neurolinguistische Programmierung“. Es wird in Managementseminaren angeboten. Für teures Geld, kann man sich dann „umprogrammieren“ lassen. Das Buch „getting things done“ ist nichts weiter, als eine in eine Anwendung gegossene foucaultsche Selbstpraktik.

Ja, auch Foucault selbst wurde antizipiert von der Macht. Und vielleicht liegt es an seiner Position, die er sich sein ganzes Werk über weigerte zu befragen. Einfache Fragen: Wenn die Regeln des Diskurses alles bestimmen, welche Regeln bestimmen dann mich? Wenn die Macht strukturell ist, kann ich überhaupt die Außenposition einnehmen, um sie zu entlarven. Reicht es zu fordern die Macht aufzuspüren, oder verfällt man dann nicht wieder schnell in eine unangemessene: „Wir – Die“ Symetrie, die das selbe Innen-Außenverhältnis reproduziert, das man ja eigentlich hinterfragen wollte. Wahrhaft ein Problem gegen eine Macht, die – auf dauer – kein Außen kennt.

Die Frage bleibt: Was tun gegen den Fatalismus? Reicht Kritik hier aus? Wie steht es mit der Ethik im postmodernen Zeitalter?

Derrida, auch ein als „postmodern“ gelabelter Philosoph, hat versucht eine andere Antwort zu geben. Zunächst würde er der These widersprechen, dass es sich um ein Zeitalterproblem handelt. Die Welt wäre „immer schon“ komplex gewesen. Zu komplex, jedenfalls, um sie beschreiben zu können. Zu komplex um entscheiden zu können. Zu komplex als dass man überhaupt eine Grenze ziehen könnte, zwischen gut und böse, schlecht und recht, schön und hässlich. Ja, diese Grenze selber, „die Grenze an sich“ ist eines seiner liebsten Problematisierungen.

Das scheint uns nun zunächst nicht besonders weiterzuhelfen. Die Konsequenz scheint im Gegenteil im absoluten Fatalismus zu enden. Ist damit Ethik überhaupt möglich? Nein. Mit Derrida ist keine Ethik zu machen. Keine Ethik jedenfalls, die im klassischen Sinn ein Set von Regeln zur Verfügung stellt, mit dem man die Seeligkeit oder Gutheit erreichen könnte. Keine Anweisung, kein kategorischer Imperativ, nicht mal eine Minima Moralia.

Und dennoch stellt er sich hin und fordert. Was fordert er? Er fordert eine Entscheidung. Ja, eine Entscheidung, dort, wo alles Unentscheidbar ist. Gerade dort. Nur dort. Denn ein entscheidbares Problem kann man nicht entscheiden. Denn, so Derrida, eine Entscheidung ist nur dann eine Entscheidung, wenn man sie Rückhaltlos getroffen wird. Wenn man nicht sagen kann: „Ich habe mich entschieden, weil…“ Dieses Weil nimmt der Entscheidung, jeder Entscheidung, die Verantwortlichkeit. Sie bietet Ausflüchte, eben all die Ausflüchte, die heute möglich sind. Man kann sich immer auf eine Struktur berufen, man kann sich immer auf jemand anderes Berufen, auf Regeln, Zwänge, eben auf diese diffuse Wolke, die man Macht nennt. Oder auf sein Unwissen. Auf die Komplexität, wenn man sich entschieden hat, nicht zu entscheiden. Dieses „Weil“ ist der Grund für unsere Situation. Dieses „Weil“ ermöglicht der Macht sich zu verschleiern. Denn dieses Weil ist ein strukturell unendliches „Weil“. Eines das immer ein Aufschub für Verantwortlichkeit ist. Ein Aufschub der niemals endet. Sogar niemals geendet hat.

Eine Entscheidung braucht also Verantwortlichkeit. Und die zu fordern, von jedem zu fordern, schafft eben kein Außen mehr. Niemand kann sich dem entziehen. Das Unentscheidbare zu entscheiden wäre also die Ethik, die keine ist. Es wäre die unlösbare Aufgabe, die man sich auf die Fahnen zu schreiben hat in unserer Welt. An der man nur scheitern kann, die man aber nicht abstreiten kann. Der man sich ihr nicht entziehen ohne ein „Weil“ vorzuschieben, indem man sich auf die Komplexität der Welt, der Umstände oder der Struktur beruft. Indem man sich also auf das beruft, zu dessen Teil man sich gerade dadurch macht.

Aber es ist noch viel mehr. Es sollte der Schlachtruf des Bloggens sein. Denn hier – genau hier – wird der tot geglaubte Autor wieder eingesetzt. Hier kommt das Subjekt zurück, aber anders zurück, ganz anders: als Vielheit. Als Vielheit der Verantwortlichkeit. Statt als Rädchen in der schweigenden Masse eines Verlages. Denn wenn das Bloggen dem Journalismus eines voraus hat, dann ist es eben diese Verantwortlichkeit.

Vielleicht ist das nur ein Traum. Vielleicht ist der Traum auch schon wieder aus. Aber ich werde alles geben, dass er ankommt, dass er in irgendeiner ganz anderen Zukunft der angekommene Traum gewesen sein wird.