Archivologie

Man wird heute nicht mehr umhinkommen, vom Archiv zu sprechen. Man wird nicht mehr umhinkommen vom Sterben des Archivs zu reden, sowie seiner Allgegenwart, seiner alles Beherrschenden Struktur. Das Archiv hat sich Buchstäblich in Luft aufgelöst: Es ist überall und somit nirgends. Und dennoch möchte ich meine Zweifel anbringen, ob es überhaupt noch das Archiv ist, von dem wir sprechen. Ich möchte bezweifeln, dass wir es noch mit einem Archiv zu tun haben, einem klassischen Archiv. Dass es vielleicht sogar etwas radikal anderes ist.
Dass das Archiv sich als Begriff gar nicht eignet für das, was wir heute erleben, gerade weil sich das Archiv als konstitutiven und konstituierten Raum _nicht_ denken lässt. Weil sein Begriff immer eine Ökonomie des Raumes voraussetzt, die sein Wesen von Grund auf strukturiert haben wird. Diese Ökonomie ist ist es, die besteht und bestehen muss im Prozess des Aufbewahren und der Akkumulation des Unendlichen (die Spuren der Zeit) im per se Endlichen (dem Raum des Archivs). So dass das Archiv schlussendlich vielmehr die Metapher für die Ökonomie schlechthin gewesen sein wird.

Archivieren als Praxis ist entschwunden. Ihre Ökonomie hat sich aufgelöst. Es ist die Archivierung 2.ter Ordnung, Archivierungen der Anweisungen des Archivierens, mit denen sich aber heute nicht mehr hemdsärmelige Bürokraten befassen, sondern die Kreativen. Man muss das Programmieren als eine kreative Arbeit verstehen, vielleicht sogar die am meisten und die reinste kreative Arbeit. Diejenige Arbeit, bei der man sich Sicher sein kann, dass wenn man eine Anweisung auch nur ein zweites Mal schreibt, ein Problem doppelt löst, irgendetwas routiniert betreibt, schon kein guter Programmierer mehr ist. Das Gleiche, das Ähnliche, das Strukturähnliche, all das, was die Wiederholung, selbst bei ausgefuchster Variation, heraufbeschwört, wird nur noch vom Archivar erster Ordnung bewerkstelligt. Der Job des Programmierers ist das Neue. Das Neue ist seine einzige Legitimation, seine Existenzberechtigung. Die Redundanz bewerkstelligen die Rechner.

(Edit beim wiederlesen: Interessant: Hier entwickelt sich also eine neue Art von Ökonomie, die der Raumökonomie entgegensteht. Was hier vermieden wird ist Redundanz, was aber in gewissem Maße auch „Platz“ spart. Die Redundanzvermeidungsökomonie scheint eine wichtige Rolle zu spielen und ihre eigenen Effekte zu zeitigen… Alles scheint in der Referenz zu enden oder seinen Ausgang zu finden….)

Archivieren war einmal die penible Befolgung bestehender Ordnungen.
Archivieren heißt heute vielmehr Ordnungen zu hinterfragen, neue Ordnungen zu schaffen, neue Ordnungen zu denken, ja: zu philosophieren.

Die Zeit arbeitet für mich

Wer braucht noch Ordnung bei allgegenwärtiger Volltextsuche?