„Wer liberal ist, verteidigt geistiges Eigentum“ sagte Mathias Döpfner, Verlagschef von Axel Springer in der NZZ. Ich finde das hinreichend lustig und gleichzeitig folgerichtig, um da ein wenig weiter zu denken. Immerhin geht es um das Leistungsschutzrecht und das, wovor das Urheberrecht verteidigt werden muss, ist der Markt. Vom, klar, Staat. Das ganze kam zu uns über die Koalitionsvereinbarung, also auch über die FDP. Diese neoliberal… Ähhm.
Der Neoliberalismus ist ein politischer Kampfbegriff und – wie immer wieder richtig angeführt wird – geht die Bezeichnung schon vom Ursprung her völlig fehl. Da ich aber liberal bin, vor allem in sprachlichen Dingen, finde ich diese Kritik kleinlich. Die Menschen haben sich hierzulande nun mal entschlossen, diese gewisse politische Haltung so zu nennen. So ist sie halt, die Sprache, die räudige. Ich finde den Begriff aus einem ganz anderen Grund problematisch. Denn der Neoliberalismus – wie er hierzulande verstanden wird – ist gar nicht eine Ideologie. Sondern zwei.
Zum einen ist da, ganz klassisch, die Marktideologie: Es wird angenommen, dass der Markt in seinem Spiel um Angebot und Nachfrage für die beste Verteilung der Güter sorgt.
Zweitens ist da ein weiteres Dogma: Arbeit muss bezahlt werden! Im Grunde seines Herzens ist dieses Dogma ein Sozialdemokrat. Es entstammt der Durchsetzung von Arbeitnehmerrechten im Industriezeitalter, hat seine denkerischen Wurzeln sicher im Protestantismus und gilt bis heute tief in alle Parteien hinein. Heute spukt diese Ideologie am liebsten im Begriff der „Leistung“ herum.
Der Witz ist, dass diese beiden Ideologien überhaupt kaum kompatibel sind. Und dennoch werden sie meist als ein einziger Denkansatz wahrgenommen. Vieles, was man heute Neoliberal nennt, ist in Wirklichkeit sozialdemokratisch.
Es ist kein Zufall, dass es die Sozialdemokraten waren, die Hartz IV einführten. Wer arbeitet, soll Lohn haben, wer viel arbeitet soll viel Lohn haben, wer nicht arbeitet, soll auch nicht … naja, vielleicht ein bisschen was, aber jetzt husch! such dir eine Arbeit!
Das alles passt besser zusammen, als viele SPDler es sich eingestehen wollen. Und auch, wenn die Fackelträger dieser „neoliberalen“ Denke mitsamt seinem sozialdemokratischen Unterbau jetzt am ehesten bei der FDP zu finden sind, ändert das nichts an der Tatsache, dass diese Denke überhaupt nichts mit einer Marktideologie zu tun hat, im Gegenteil.
Aber zurück zu Hartz4. In einer idealen Marktsituation begegnen sich die Marktteilnehmer auf Augenhöhe. Dazu gehört auch immer die Option, einen Handel nicht eingehen zu müssen. Hartz IV hat genau diese Option für Arbeitnehmer extrem eingeschränkt. Ein Arbeitnehmer wird durch die Hartzreform mehr als je in den nächst besten Handel (Arbeitsangebot) hinein gezwungen. Verfechter einer reinen Marktideologie hätten gegen Hartz IV Sturm laufen müssen. Aber da war … nichts.
Die sozialdemokratische Ideologie des „Arbeit muss bezahlt werden“ findet sich heute überall. Bei dem parteiübergreifenden Ziel der Vollbeschäftigung, über „Leistung muss sich wieder lohnen!„-Parolen, genauso wie bei der Forderung nach dem Mindestlohn. Überall steht die Vorstellung, dass sich „Arbeit“ in einer „Leistung“ ausdrückt, die der „Gerechtigkeit“ wegen so und so entlohnt werden muss. Materielle Existenz hat gefälligst untrennbar an Arbeiten und Leistung geknüpft zu sein – obwohl das in Wirklichkeit noch nie so war. Die Parteien streiten sich nur, was „Leistung“ ist. Ob der Markt jetzt Ausdruck der Leistung ist oder die Arbeitszeit oder die Anstrengung, die Nachhaltigkeit der Anstrengung oder was auch immer. Diese Denke steckt tief im inneren unseres Denkens, viel tiefer als die Idee des Marktes. Sie ist unsere Sklavenmoral.
Und sie steckt auch im Urheberrecht und im Leistungsschutzrecht im besonderen. Da soll also eine Branche vom Staat vor dem Markt beschützt werden und das soll man dann „liberal“ nennen.
Ich bin übrigens nicht dagegen, dass der Journalismus überlebt und meinetwegen kann er das auch entgegen des Marktes tun. Wenn uns der Journalismus etwas wert ist, werden wir auch jenseits des Marktgeschehens dafür sorgen, dass er seinen Platz hat. Aber das Leistungsschutzrecht ist ein Feigenblatt feiger Verleger, die darauf Pochen, nur und ausschließlich vom freien Markt bezahlt zu werden und ihn deswegen gesetzlich nötigen wollen, seine Produkte nach aufgezwungenen Konditionen zu kaufen. Leistungsschutzrecht und Hartz IV sind zwei Seiten der selben Unlogik und Stolpersteine auf dem Weg in die Zukunft.
Wie ich schon vor einiger Zeit geschrieben habe: uns von der Ideologie der Leistung zu befreien ist die wichtigste und schwierigste Aufgabe, die uns bevor steht. Im Informationszeitalter steht genau diese Ideologie jeder Innovation entgegen. Sie verhindert ein Neudenken des Urheberrechts, hält blind an der Vollbeschäftigung als Ziel fest, statt ein bedingungsloses Grundeinkommen zu ermöglichen, gegen dass die Leistungsideologie sowieso Sturm läuft, hat sogar Angst vor der Automatisierung, weil Arbeitsplätze verloren gehen und wacht Eifersüchtig über alle Informationen und will nichts teilen. Sie sitzt auch als hässlicher, grüner Gnom in unserem Kopf und schreit eifersüchtig: „das hat der gar nicht verdient!„, wenn jemand auf ein eingebundenes Video Flattrklicks bekommt. Ja, auch in deinem Kopf!
Nachtrag: Andy hat in den Kommentaren richtig darauf hingewiesen, dass Thilo Sarrazins Denken die in Reinform gesteigerte sozialdemokratische Ideologie ist. Der Mensch ist nur noch wert, was er für die Volkswirtschaft beizusteuern weiß. Am besten sortiert man die Menschen nach diesen Kriterien schon im Vorfeld anhand statistischer Merkmale aus.
Das Ausschlussverfahren ist somit tatsächlich völlig ungerechtfertigt. Besser sollte die SPD überprüfen, in wie weit ihre an Arbeit über alles stellende Denke konsequent in den Sarrazinismus führen kann.