Sascha Lobo hat letztens (und gestern noch mal in den Tagesthemen) das Wort der „digitalen Öffentlichkeit“ aufgebracht. Ich finde den Begriff, trotz seiner bisherigen Undefiniertheit gut. Er zeigt in die richtige Richtung, nämlich eine, die weit über die Streetviewfrage hinaus geht. Ich habe ihn gebeten diesen Begriff bitte mal auszuarbeiten. Bis dahin enteigne ich ihn mal und lasse ihn ein paar Runden um den netzpolitischen Parkour laufen.
Ich behaupte: die Diskussion um Netzneutralität, um Datenschutz im allgemeinen und die Frage nach dem Urheberrecht verlangt nach einem solchen Begriff einer neu zu gestaltenden Öffentlichkeit.
Bei Google Street View zum Beispiel wird das öffentliche Gut Straße versucht dem Privaten zuzurechnen. Wenn jemand argumentiert, die Fassade seines Hauses gehöre zur Privatsphäre, dann ist das ein Versuch, der Öffentlichkeit etwas zu entreißen, auf das sie einen Anspruch hat. Und wie Jeff Jarvis auf der re:publica so treffend betonte: Und die Öffentlichkeit sind wir alle. (Das klingt so einfach, aber ich bin mir sicher, dass das noch viele nicht kapiert haben). (Deswegen könnte man aller höchstens noch eine CC-isierung der Streetviewdaten fordern, also ein „Noch mehr“ an Öffentlichkeit, nicht aber ein weniger durch Verpixelung.)
Und ebenso öffentlich wie die Straßen – wenn nicht öffentlicher – sollten die Datenleitungen sein. Was die Diskussion um Netzneutralität wieder in’s Bewusstsein gerückt hat, ist dass die Freiheit auch in diesen privat-öffentlichen Infrastrukturen gefährdet ist (wiederum von Privatinteressen) und dass man staatlicherseits Regularien schaffen muss und zwar: damit sie nicht reguliert werden. Das Paradox wird von einigen bis heute nicht verstanden, dabei ist es nicht mal neu. Es gibt schon immer Gesetze für diese komischen Mischwesen, diese „public private Spaces“. In Bahnhöfen kann die Bahn auch nicht ungehindert ihr Hausrecht ausüben, obwohl sie Eigentümer ist. Das Selbe gilt schon immer auch für Telefonleitungen. Obwohl die Telekom die meisten Leitungen besitzt, hat die Regulierungsbehörde überall ein Wörtchen mit zu reden. Weil sie uns – die Öffentlichkeit – vertritt, werden wir sie politisch zwingen müssen, auch Netzneutralität, auch gegen die privaten Interessen der Eigentümer, zu gewährleisten. Die Öffentlichkeit hat hier ein Vorrecht!
(BTW: könnt ihr – auch wenn ihr die SPD scheiße findet und alles – trotzdem hier mal unterschreiben? Mit Kinderkacke kann man zwar sein Distinktionsbedürfnis befriedigen, aber ich halte die Netzneutralität für wichtiger, als das Ausleben der Eitelkeiten der einen oder anderen Privatdiva)
Vor einiger Zeit habe ich schon mal die Diskussionen um den „öffentlichen Raum“ mit der Idee der Plattformneutralität kurz geschlossen. Bei Apple, Facebook ebenso wie auf einem Bahnhof, geht es um private Räume, die von der Öffentlichkeit genutzt werden und somit eine Infrastruktur des gegenseitigen Austausches darstellen. Hier darf nichts und niemand diskriminiert werden und es muss nach klaren und transparenten Regeln Verbote und Gebote ausgesprochen werden. Plattformneutralität ist ein Ansatz diesen Anspruch der Öffentlichkeit an private Plattformen abstrakt und allgemeingültig genug zu definieren.
Die Kontroverse um Liquid Feedback in der Piratenpartei ist ebenfalls im selben Spektrum einbettet. Der Anspruch, transparente Politik zu machen ist nur schwerlich mit den strengen Ideen um den Datenschutz zu vereinbaren, der auch bei der Piratenpartei eine wichtige Rolle spielt. Alle Datenschutzzusagen, die in dem System gemacht werden, gehen auf Kosten der Transparenz und Nachvollziehbarkeit – also der Öffentlichkeit und ihrem Interesse. Und so sehr man das Bedürfnis unbehelligt abstimmen zu dürfen nach vollziehen kann, muss sich die Partei hier schon für eine Richtung entscheiden. Wobei nur die Richtung in die Digitale Öffentlichkeit der Politik wirklich etwas neues hinzufügt. Allein das Experiment zu wagen, stellt für die Öffentlichkeit einen Mehrwert dar, der die privaten Interessen des einzelnen übersteigt. Ich verbleibe sehr gespannt.
Aber was für Liquid Feedback gilt, kann man auch andere, weniger offensichtlich politische Plattformen beobachten. Ebenfalls auf der re:publica sprach die Kommunikationsforscherin Miriam Meckel über Software und Internet und dem Lieblingsgespenst der Bildungsbürger „die Macht der Algorithmen„. Unter dem Titel „This object can not be liked“ begann sie über die normierenden Kräfte von Software nach zu denken und daraus kokette Datenschutzforderungen herzuleiten. Ungeachtet der Tatsache, dass die Titelgebende Anekdote – eine virtuelle Geburtstagstorte auf Facebook, bei der der Like-Button seine Funktion versagte – nicht der „Macht der Algorithmen“, sondern den Datenschutzeinstellungen der TortenschenkerIn geschuldet war.
Meckel hat damit ein Problem angeschnitten, das sie überhaupt gar nicht verstanden hat. Wenn Person A datengeschützt ist und Person B seine Daten mit seinen Freunden teilen will, dann sind alle Kommunikationen zwischen A und B ambivalent. Entweder sie müssen ganz oder in Teilen ausgeblendet, eingeschränkt oder halböffentlich dargestellt werden, sobald ein dritter in’s Spiel kommt. Was in sozialen Netzwerken nicht selten vorkommt, denn dafür sind sie ja da. Datenschutz funktioniert auf ein Individuum und eine fest definierte Gruppe bezogen. In einem (kommunizierenden) Netzwerk ist es ein niemals befriedigend zu lösendes Problem. Und zwar systemimmanent. Langfristig werden all die Versuche Datenschutz – und zwar in einer annehmbaren Form – in diesen Plattformen zu etablieren an eben jenen Frusterlebnissen der Nutzer scheitern. Wer durch seine Privatsphärenversiegelung die Kommunikation aller anderen behindert, wird in Zukunft schal angesehen werden. Als – ja – unsozial. Eine informationelle Form des Geizes.
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Wenn die Welt aber immer mehr über das Internet kommuniziert und man Teil der Welt ist, muss man bald schon ein sehr einsames Leben führen, um nicht Teil der digitalen Öffentlichkeit zu werden. Die Welt wird mit uns und über uns und über unsere Kommunikationen mit anderen kommunizieren wollen. Und sie wird es im Internet tun. Bei Streetview, Liquid Feedback und ungeliketen Torten stießen wir an genau diese Grenze. Und wir werden jeden Tag doller daran knallen. Das ist die digitale Öffentlichkeit, die bei uns anklopft.
Eine andere Kollision des Privaten mit dem Öffentlichen sind Nutzungs- und Verbreitungsrechte. Das geht schon mit dem Löschwahnsinn bei den Öffentlich Rechtlichen los. Weil Verlage um ihre Geschäftsmodelle fürchten, werden massenhaft Sendungen aus den Onlinearchiven der ÖvR gelöscht. Mich lässt das mit der Fassungslosigkeit zurück, als wenn vor meinen Augen Lebensmittel vernichtet werden. Hier wird echter Wert, der uns allen zur Verfügung stand, unzugänglich gemacht. Die digitale Öffentlichkeit wird hier bestohlen! (Mir ist dabei übrigens völlig egal, ob wir den Content mit Gebührengeldern bezahlt haben.)
Ebenso geht es mir mit den „Dieses Video ist in deinem Land nicht verfügbar„-Hinweisen bei Youtube und den Löschkampagnen, die auf diesen Plattformen regelmäßig passieren. Youtube ist – und vor allem war einmal – das Archiv der Popkultur. Hier kann man Songs wieder finden, mit denen man aufgewachsen ist. Meme wie das Rickrollen wurden möglich gemacht. Ich erinnere mich, dass sich von dort auch die berühmte Szene vom „Kiezkollegen“ Stefan Hentschel verbreitet hat. Das Video wurde auf allen Videoplattformen vom Urheber entfernt. Denen, die jetzt nicht wissen, wovon ich rede, würde ich gerne einen Link schenken. Nur kann ich das nicht.
Das Video wurde gelöscht, obwohl es der Öffentlichkeit gehört! Ja, das sage ich jetzt im vollen Bewusstsein, dass dies eine falsche Rechtsauffassung ist. Ich sage es aber, weil es wahr ist. Ich sage das, weil ich tief im inneren weiß, dass jeder Mensch Brecht nach seiner Interpretation aufführen können sollte. Weil ich weiß, dass niemand das Singen von Happybirthday untersagen können darf. Weil diese Dinge kein privater Besitz sein dürfen!
Überall im Digitalen sehen wir neue Öffentlichkeiten entstehen und sie alle werden bedroht vom Privaten. Wir brauchen einen neuen Begriff der Öffentlichkeit, meinetwegen auch gerne den der „digitalen Öffentlichkeit“. Und wir brauchen einen Sinn für den Wert dieser Öffentlichkeit, wir brauchen mehr Leute, die den Einschnitt in diesen Bereich als Schmerz empfinden, weil sie merken, dass sie bestohlen werden. Es braucht eine neue Vorstellung von Gemeinnutz in Sachen Information (der so greifbar ist, für alle, die sich daran partizipieren) und ein In-Stellung-Bringen dieses Gemeinnutzes gegenüber privaten Interessen.
In der linken Szene gibt es die Tradition möglichst pathetisch das Wort „Privat“ aus lateinisch „privare“, „berauben“ herzuleiten. Im digitalen stimmt das mehr denn je.
Wer kopiert stiehlt nicht, denn das Gestohlene ist noch da. Wer meine Daten verarbeitet, nimmt sie mir nicht weg. Wer aber löscht oder Informationen unzugänglich macht, stiehlt! Er bestiehlt uns alle! Wir sollten uns das nicht länger gefallen lassen.