taz: Die Transparenz der Anderen

In meinem Vortragspaper zur openmind10 habe ich die Widersprüche in der netzpolitischen Szene erwähnt. Ganz neu sind sie den Lesern dieses Blogs eh nicht. Aber im Vorfeld der Freiheit statt Angst habe ich sie noch mal gesondert aufgeschrieben:

Die Transparenz der Anderen

„Denn transparent soll immer nur der andere sein. Der Staat, nicht der Bürger, der Geschäftsmensch nicht der Privatmensch, der Profi, nicht der Amateur. Und gleichzeitig verschwinden genau diese Grenzen, soll Politik mehr von Bürgern gemacht werden, machen Amateure den Profis Konkurrenz. Schunkeln sie jetzt, aber bitte nur jeder zweite.“

Das Grundproblem, die Frage nach der Öffentlichkeit immer aus der Subjektivität heraus zu stellen, scheint hier nur auf, wird aber Gegenstand aller weiterer Überlegungen sein.

Ethiken

Am Montag war ich auch bei der Diskussion Lobo vs. Weiss zugegen, in der es um Filesharing ging. Die Debatte hatte eine Blogvorgeschichte und wer die gelesen hat, hat eigentlich nichts verpasst. Eher im Gegenteil.

Ich will das hier jetzt nicht im Detail wiedergeben, das haben andere bereits getan. Interessant fand ich vor allem einen Aspekt: Die Hilflosigkeit von Marcel gegenüber der moralischen Fragestellung von Sascha. Sascha war sich seiner Ethik sicher und versuchte Marcel auf diesen Punkt festzuklopfen und Marcel wollte partout nicht über diese Frage diskutieren.

So sehr ich verstehen kann, dass Marcel lieber seine eigenen Überlegungen über die Ökonomie der Filesharingmärkte ausbreiten wollte, konnte man jedoch gut beobachten, dass die Haltung von Marcel – und damit die all derer, die Filesharing legitimieren wollen – ein krasses Rechtfertigungsproblem hat. (Und das geht weit über die unfitte Perfomance von Marcel hinaus)

Die Ethik, die Sascha vertritt, ist nämlich die vorherrschende. „Kapitalistische Ethik“ meinte irgendwer im Gespräch zu mir. So würde ich sie jetzt nicht allzu vorschnell nennen, aber man kann durchaus von einer „industriellen Ethik“ oder gar einer „materialistischen Ethik“ sprechen. Diese Ethik ist eine Ethik der Autorenschaft und die an der Autorenschaft geknüpfte „Leistung“. Sie fasst den kreativen Prozess als „Arbeit“ auf, die wie jede Arbeit bitte abgegolten werden solle. Wenn jetzt diese Leistung, die in dem Kulturgut steckt (so wie die kinetische Energie in einer auf einen Berg geschafften Kugel) von jemanden „erschlichen“ wird, dann wird das – ich sag mal – dem Diebstahl ähnlich empfunden, zumindest aber das selbe wie Schwarzfahren, denn der Leister wird ja um seine Entlohnung gebracht.

In dieser Logik ist es nicht von der Hand zu weisen, dass Filesharing eine „egoistische Arschlochnummer“ ist und Marcel Weiss hatte dem wenig entgegen zu setzten. Andererseits gibt es ja durchaus Ansätze für eine andere Ethik. Die Bewegung hinter dem Opensourcegedanken hält das Teilen von Wissen hoch. Und gerade liegt (übrigens aufgrund des Tipps von Marcel Weiss) das Buch „Cognitive Sureplus“ von Clay Shirky an meinem Bett, in dem es um den wahnsinnigen gesellschaftlichen Nutzen geht, der entsteht, wenn die Menschen ihre kreative Kraft über die neuen Medien aggregieren. Es gibt also durchaus Ansätze für eine andere, eine neue Ethik, die sich auf den gesellschaftlichen Nutzen von möglichst frei geteilter Information berufen kann. Auf dem Pannel habe ich das vorsichtig eingeworfen, indem ich auf den utilaristischen Vorteil hinwies, der alleine dadurch entsteht, dass mehr Leute über mehr Information verfügen, als vorher. (Das ist natürlich ausbaufähig, hätte aber ansonsten umständlich verargumentiert werden müssen)

Diese Ethik ist bis heute alles andere als Mainstream, aber jeder, der sich länger im Internet aufhält, spürt den konkreten Nutzen des Teilens von Information am eigenen Leib. Und zwar im kleinen wie im großen. Und alles deutet für mich darauf hin, dass eine solche Ethik, wenn man sie denn mal formalisiert, exakt auf den Begriff einer digitalen Öffentlichkeit zusteuert, den ausgerechnet Sascha Lobo in die Runde geworfen hat.

Über das Thema denke ich jetzt schon seit geraumer Zeit nach und glaube, dass es an der Zeit wird, es einmal zu fundieren. Das geht allerdings nicht so einfach, indem man ein „digital“ vor die Öffentlichkeit schreibt. Ich bin mir sicher, dass man da sehr viel tiefer schauen muss, von was für einer Öffentlichkeit wir hier eigentlich reden. Wenn man es schaffen würde, diesen bestimmten Begriff von Öffentlichkeit zu definieren, hätte man ein abstraktes Ziel, auf das man eine solche neue Ethik ausrichten und begründen kann. Eine Ethik, die man dann selbstbewusster einer „industriellen Ethik“ entgegensetzen kann, wo immer man mit ihr konfrontiert wird.

Genau das werde ich auf der Openmind 2010 versuchen. Mein Vortrag hat den Titel: „Das radikale Recht des Anderen

„Ich bin überzeugt, wir müssen Öffentlichkeit völlig neu denken. Ich möchte dem tieferen Grund dieses Wandels nach gehen und einen neuen Begriff von Öffentlichkeit zur Diskussion stellen. Einen Begriff der den digitalen Paradigmen gerecht wird, um schließlich eine neue Ethik daran knüpfen zu können und der vielleicht sogar eine Chance bietet, die Widersprüche und Idiosynkrasien des netzpolitischen Diskurses aufzuzeigen.“

Bis dahin gibt es noch einiges zu tun.

Antworten für die Öffentlichkeit

Gestern habe ich zwei Artikel gefunden, die ich unbedingt kommentieren wollte, es aber gestern nicht geschafft habe. Also mach ich es einfach hier.

Daniel Leisegang hat einen langen Artikel auf Carta veröffentlicht, in dem er den Begriff der digitalen Öffentlichkeit empfindlich angreift. Kernthese: Google könne keine digitale Öffentlichkeit bereitstellen, denn es ist eben ein Privatunternehmen. Im Gegenteil, Google privatisiere öffentliches Gut.

Darauf will ich mehrstufig Antworten:

1. Die Christoph Kappes Antwort: Das ist völliger Quatsch! Nix wird privatisiert, denn der öffentliche Raum ist ja schließlich noch da – und bleibt auch da. Dazu die Sixtus Entgegnung: da Google den digitalen Street View Raum öffentlich zugänglich macht, ist er jetzt zumindest mehr öffentlich als vorher. Das ist doch zumindest ein Fortschritt hin, zu einer digitalen Öffentlichkeit. Dazu die Marcel Weiss Antwort: Klar, ist der digitale Öffentliche Raum dann immer noch in privater Hand, aber Wettbewerber und so und der Markt regelt das schon.

2. Meine eigene Antwort, wie sie bisher ausgefallen ist, ist durchaus zustimmend. Ja, das Problem existiert und ich habe mich damit nicht erst seit gestern beschäftigt. In den Street View Artikeln selbst hatte ich den Aspekt ausgeklammert, weil er mir derzeit nicht ganz so dringlich erscheint (weil: siehe oben). Insgesamt sehe ich das Problem aber schon, und zwar allgemein. Ich nenne es mal: Die privatwirtschaftlichen Grundlagen der neuen Öffentlichkeit. Das Internet und fast alle seine Dienste sind auf die Willkürherrschaft privater Konzerne aufgebaut. Dass das ein Problem ist, sieht man nicht nur an der sich in Gefahr befindenden Netzneutralität. Dieses Problem habe ich bei meinem Umreißen des Begriffs der digitalen Öffentlichkeit auch angeschnitten und insgesamt und schon länger habe ich versucht dem Problem mit meinem Konzept der Plattformneutralität zu begegnen.

3. Die eigentliche Antwort ist aber: Ja. Der Begriff der „digitalen Öffentlichkeit“ ist problematisch. Das habe ich jetzt auch gesehen. Vor ein paar Tagen habe ich genau zu diesem Thema ein Paper für einen Vortrag abgeschickt. Öffentlichkeit ist ein sehr tradierter mit einem derart langen Rattenschwanz von Bedeutungen, Konnotationen und Implikationen durchzogener Begriff, dass man ihn nicht einfach ohne weiteres auf das Internet anwenden kann. Leisegang hat einige Probleme aufgezeigt, Tina Pickhardt hat unlängst Hannah Arendt in’s Spiel gebracht. Aber insgesamt, so bin ich zu dem Schluss gekommen, braucht es einen völlig neuen Begriff. Ich bin mir nur noch nicht sicher, ob es reicht, das, was man Öffentlichkeit nennt, einfach klar zu definieren, oder ob man sich gleich von dem Begriff verabschieden sollte.

Und da sind wir bereits bei dem nächsten Artikel, den ich hier noch kommentieren wollte. Der Postdramatiker hat eine sehr schöne Grundlage für die Diskussion der digitalen Öffentlichkeit geliefert und anhand verschiedener Theorien den ganzen Komplex um
Überwachung, Beobachtung, Wahrgenommensein“ auseinander genommen.

„Eine Webseite, ein Chatpartner, ein Mailpartner, ein Blog, der mehr Wahrnehmung hat bekommt mehr Realität und damit wiederum mehr “Wirkung”. Das hat Kant so nicht gemeint – versteht sich. Kant sprach von physischen Objekten, nicht von Kommunikationsgrößen. Dennoch lässt sich das Prinzip “rauben”. Ein Webinhalt, der nicht wahrgenommen wird, “ist” nicht. Ein Webinhalt der oft wahrgenommen wird, “ist” mehr. Dieses Phänomen kennt jeder, der ein Blog betreibt und auf die Stats schielt, jeder Werbetreibende, der Visits misst, jeder Video-Uploader, Musik-Uploader, Bild-Uploader. „

Aber auch:

„Wer sich auf die Singebörse stellt, möchte von möglichst vielen anderen infrage kommenden Singles betrachtet werden – aber zugleich nicht von Freunden, Eltern, Kollegen oder Ehepartnern dabei “erwischt” werden.“

Ich glaube, hier liegt genau die Spannungsbreite des Begriffs der Öffentlichkeit begraben. Einerseits gibt es den monolithischen Begriff der „Alle können sehen und je mehr Leute (Quantität!) sehen können desto öffentlicher“-Öffentlichkeit. Aus dem ist auch genau dieses Monstrum der „Öffentlichen Meinung“ entsprungen, dass uns vorschreiben will, was gesellschaftlich erwünscht ist und was nicht. Zum anderen gibt es, wie ja auch Leisegang sagt, das „Private“ als Gegenentwurf, als Rückzugsraum gegen diese Öffentlichkeit.

Ich glaube, das alles ist völlig falsch gedacht. Wie sich schon mehrfach angedeutet hat, ist „das Private“ nicht so privat wie man es gemeinhin annimmt und das öffentliche ist nicht so öffentlich, wie man glaubt. Das Private ist immer nur privat in Bezug zu einem bestimmten oder unbestimmten Gegenüber. Ich habe jeweils Privates gegenüber meiner Familie, das ich meinen Freunden erzähle und ich habe Privates gegenüber meinen Freunden, das ich meiner Familie erzähle. Das ganze verkompliziert sich entsprechend mit Hinzunahme der Gruppen Kegelverein, Arbeitskollegen, Chef, Twitterfollower etc. Wir beginnen gerade erst zu merken, was für ein kompliziertes Gebilde das ist, was wir „privat“ und „öffentlich“ nannten, wie viele Privatheiten wie vielen Öffentlichkeiten gegenüberstehen. Und wenn man noch genauer schaut, dann gibt es Freund A, dem man X erzählt und Freund B nicht und umgekehrt und überhaupt und alles fliegt einem dann mit einem lauten Knall um die Ohren.

Deswegen braucht es eben einen völligen Neuansatz für Öffentlichkeit und Privat und bevor wir den nicht haben, macht es kaum Sinn, damit auf das Internet los zu gehen. Das ist in Arbeit wie gesagt und einen Ansatzpunkt habe ich auch schon. Für eine Definition, nicht für eine Lösung des Problems, wohl gemerkt. Wir werden nicht umhinkommen uns von allerlei Tand zu verabschieden, der sich um die all die Verallgemeinerungen schart, die wir mit den Kategorien heraufbeschworen haben: All die Gruppenidentitäten wie Familie, Freunde, Arbeitskollegen etc. Vor allem auch das Monster „Öffentliche Meinung“ ist rücksichtslos zu sprengen (Ging eh nur auf die Nerven, oder?). Wir müssen uns von all diesen Kategorien der immaginierten Vergemeinschaftung und Versammlung befreien und die menschliche Beziehung wieder auf das einzige zurückführen, von dem wir mit Sicherheit wissen, dass es sie gibt: Nämlich der Beziehung zum Anderen. Es gibt nur mich und den Anderen, den anderen und mich. Alles andere sind eingebildete Kategorien.

Man wird also versuchen müssen, die Öffentlichkeit (und die Privatheit) vom Anderen her zu denken, was sowohl den Anderen betreffen kann, der mir Nahe steht, der aber auch der unbekannte Andere sein kann, der liest, was ich schreibe (zum Beispiel Du!) und es wird vor allem auch der zukünftige Andere sein, der mit dem man nicht rechnet, der deswegen aber um so sicher in mein Leben treten wird. Wie gesagt, ich arbeite dran.

Warum ich die ‚Freiheit statt Angst‘ unterstütze

Ich werde am 11. September wieder bei der Freiheit statt Angst Demonstration mitlaufen. Wie bereits 2008 und 2009 auch schon. Nicht aus Pflichtbewusstsein, sondern weil ich diese Demonstration für extrem wichtig halte und weil ich mich insgesamt sowohl repräsentiert, als auch verstanden fühle.

Das mag den einen oder anderen verwundern. Immerhin schreibe ich doch dauernd vom Ende des Datenschutzes und so. So zum Beispiel Julius Endert, der sich über meine Bannerunterstützung für die Demo auf meinem Blog mokiert. mspro, der alte Datenschutzverweigerer auf einer Datenschutzdemo?

In der tat bin ich nicht mit allen Zielen und Einstellungen, die die Demo transportiert hundertprozent einverstanden. Aber erstens ist es keinesfalls so, dass ich nicht auch Probleme bei der Datennutzung sehe, dass es da Gefahren gibt, die wir überwinden müssen. Zweitens bin ich aus dem Alter raus, dass ich bei wichtigen Themen einen auf Prinzessin mache, wenn mir das eine oder andere nicht passt, wie man das zuhauf bei der Pro-Netzneutralitätskampagne bei einigen Bloggern beobachten konnte.

Dass der netzpolitische Diskurs heute unter einigen innerlichen Spannungen leidet, ist offensichtlich. Der Mythos, man könne die Vorteile der Transparenz und mit den Erfordernissen des Datenschutzes unter einen Hut bringen, dekonstruiert sich an allen möglichen Themen selber. Sehr hörenswert in diesem Zusammenhang das letzte Chaosradio, bei dem – ich glaube es war Nibbler dazu aufrief doch Kameras mitzubringen und auf der Demonstration zu filmen. Aber bitte nur wen Polizisten Probleme machen und nur online stellen, wenn man vorher alle Gesichter außer die der Polizisten geblurt hat. Das alles kurz nachdem man sich aufgeregt hat, dass der Berliner Polizeipräsident angekündigt hat, bei der Demo auch filmen zu lassen.

Transparenz und Technik sind toll, so lange nur die richtige Seite sie einsetzt. Der nicht zu ende gedachte Wunsch eines semipermeablen Überwachungsfilters wirkt bis heute in der Netzpolitischen Szene, obwohl er immer absurdere Blüten treibt. Der Diskurs um die eine wünschenswerte und realistische Zukunftsvision hat gerade erst begonnen. Ich versuche diesen Diskurs zu forcieren, indem ich auf die Stellen drücke bei denen es weh tut, weshalb ich sicher nicht nur Freunde in der Szene mache. Aber damit kann ich leben, denn ich sehe die Demonstration in einem viel größeren Kontext.

Wir leben in einer sich zunehmend digitalisiernden Welt, die uns immer mehr über den Kopf wächst. Die technische Entwicklung ist so schnell, dass die Diskurse – sogar hier an der fordersten Front der Internetenthusiasten – kaum mehr mitkommen. Die Politik und der allgemeine gesellschaftliche Diskurs sind indes völlig abgehängt, wie man an der Street View Debatte deutlich gemerkt hat. Und doch sind es genau diese Leute, die die Gesetze für unsere Zukunft machen.

Ich glaube, wir leben in einer Achsenzeit, einer Zeit, in der sich die Weichen in eine neue Welt stellen. Das was der Buchdruck mit der Gesellschaft in 200 Jahren gemacht hat, macht das Internet gerade jetzt mit uns – und zwar innerhalb von 20 Jahren. Wir haben ein relativ kurzes Zeitfenster unsere Gesellschaft darauf vorzubereiten. Für innergesellschaftliche Notlügen ist da keine Zeit. Ja, es gibt die Gefahren, die durch eine transparente Gesellschaft entstehen, aber die gibt es nicht durch die Transparenz selbst, sondern durch Menschen, die mit Wahrheit nicht umgehen können. Sei es, weil intolerant sind, sei es, weil sie böse Dinge tun, sei es, weil sie um ihren Besitz oder ihre Macht fürchten, die in unserer Gesellschaft oft genug auf Intransparenz aufgebaut ist.

Wenn wir nicht unsere Freiheitsrechte aufgeben wollen, müssen wir auch die Freiheit im Zeitalter ihrer technischen Ausnutzbarkeit verteidigen. Und statt aus Angst die Freiheit zu beschränken, sollten wir lieber schleunigst lernen, wie wir einen Umgang miteinander pflegen können, der Geheimhaltung so weit es geht obsolet macht. (Davon abgesehen, dass das sowieso die bessere Welt wäre)

Diese Ziele scheinen utopisch, aber wir haben es auch mit einem utopischen Medium zu tun. Und so utopisch wie die Vision, ist die Gefahr dystopisch. Die Überlegung, irgendjemanden (vielleicht sogar den Staat) die Position und die Technik anzuvertrauen, um entscheiden zu dürfen, welche Informationen legitim und welche illegitim sind – egal ob es um Filesharing, Leistungsschutzrecht, Internetsperren oder Datenschutz – schwört ein Szenario herauf, das vor Machtasymmetrie kaum mehr laufen kann.

Ja, der Kontrollverlust ist total. Wir verlieren alle die Kontrolle. Und in dieser Hinsicht ist er zutiefst demokratisch. Er nivelliert alle Machtgefüge, er baut alle Kompetenzvorsprünge ab, er zerstört Deutungs- und Diskurshoheiten. Der Versuch, den Kontrollverlust aufzuhalten – so temporär er auch wäre – würde ein brachiales Regime heraufbeschwören, denn nur durch Gewalt könnte man – kurzfristig – die Illusion von Kontrolle wieder herstellen.

Es gibt Kräfte, die das versuchen und diese Kräfte sind extrem finanzstark und politisch vernetzt. Es sind Regierungen aller Länder, riesige Branchen mit Milliardenumsätzen und publizistische Schwergewichte mit Millionenpublikum, denen wir immer doller in die Suppe spucken. Der Kontrollverlust hat die mächtigsten Gegner, die man sich vorstellen kann. Die Kämpfe werden derzeit noch moderat und nicht offen ausgetragen. Aber das muss nicht so bleiben.

Die Kämpfe gegen SWIFT, ACTA, der Angriff auf die Netzneutralität, Vorratsdatenspeicherung und Netzsperren verstehe ich nicht als dräuende Datenschutzprobleme, sondern als Kampf gegen einzuführende Kontrollstrukturen einer zunehmend hilflosen Politik und Wirtschaft, die mit brachialen Mitteln die Regierbarkeit und finanzielle Ausschlachtbarkeit der Leute und ihrer Daten zurück gewinnen möchte.

Wenn ich am 11. also auf der Demo spaziere, bringe ich zum Ausdruck, dass ich das nicht zulassen werde. Ich werde klar machen, dass Angst nicht die Lösungen für die Probleme der Zukunft diktieren darf. Dass die Freiheit, die wir heute haben, nicht verhandelbar ist, dass wir ganz im Gegenteil noch viel mehr Freiheit brauchen, um in einer zunehmend transparenten Welt nicht erpressbar zu sein. „Freiheit statt Angst“ – das kann ich jederzeit unterschreiben.

Here be Humans – Das Ende des Opt-In-Internets (bei Zeit.de)

Für Zeit Online habe ich meine These vom Ende des Opt-In-Internets, die sich in dem Carta-Artikel schon angedeutet hat, nochmal präzisiert: Here be Humans. (war der von mir vorgeschlagene Titel)

„Die Zeit des Opt-In-Internets ist vorbei und auf das Opt-Out ist kein Verlass. Der Kontrollverlust macht keinen Halt vor Internet-Nicht-Nutzern. Im Netz existiert bald eine Repräsentation von jedem, ob wir wollen, oder nicht. Man kann das ignorieren. Verschwinden aber wird das virtuelle Profil dadurch nicht. Es wird wachsen und immer wichtiger werden, auch für das Offline-Leben. Man kann versuchen, mit Anwälten und vielen Briefen dagegen anzukämpfen, aber diesen Kampf wird man auf lange Frist verlieren. Wer Teil der Welt ist, wird Teil des Internets sein.“

Viel Spaß

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Ja, nochmal, auch wenn’s nervt.

Das Thema des Kontrollverlusts ist im Mainstream angekommen. Komischer Weise über das Vehikel Google Street View. Das muss man wohl so akzeptieren, ich jedenfalls habe mich entschlossen, dem so zu tun und mich lieber produktiv zu freuen, dass das Thema endlich in der gesellschaftlichen Mitte angekommen ist.

Leider habe ich es immer noch nicht geschafft, mein zugehöriges Blog zu relaunchen, kann aber bei dieser Gelegenheit versichern, dass das geschehen wird. Das Thema wird nicht wieder weggehen, im Gegenteil. Und ich will diesen Prozess begleiten.

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Ich habe jedenfalls die Gelegenheit genutzt das Street View Thema entsprechend einzuordnen und dazu diesen Text für carta.info geschrieben: „Es gibt kein analoges Leben im Digitalen.

Das Unbehagen um Street View rührt eben nicht davon, dass die Daten, die Google sammelt, tatsächlich sensibel wären. Nein, Street View ist der Einschlag des digitalen Zeitalters direkt vor die Füße des analogen Menschen. Es ist das Signal an alle, die sich bis dato in ihrer analogen Sphäre sicher fühlten, dass diese Sicherheit nun ein Ende haben wird.

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Des weiteren hatte ich heute eine hübsche Debatte unter anderem mit @PickiHH über die konkreten Auswirkungen und Ausformungen, die übrigens gestern im Blog eine tolle Auseinandersetzung mit dem Begriff des öffentlichen Raums und der digitalen Öffentlichkeit hatte.

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Ich hatte Stefan Keuchel, dem Pressesprecher von Google Deutschland, vor ein paar Tagen ein paar Fragen hierzu gestellt. Eben sind die Antworten rein gekommen: Hier das Interview in Copy-Paste-Original – gewohnt unjournalistisch von meiner Seite aus:

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1. Wie viele Widerprüche bekommt ihr so rein, derzeit? (am besten bezogen auf die Häuser: wie viele Häuser müssen verpixelt werden?) Und mit wie vielen rechnet ihr insgesamt? (eine ungefähre Hausnummer würde mir reichen)

Die Widerspruchsmöglichkeit ist nichts neues, sie besteht seit April 2009. In dieser Zeit haben wir Widersprüche im 5stelligen Bereich bekommen.
Die Zahl der Briefe hat in den vergangenen Tagen zugenommen. Die breite Medienberichterstattung und auch unsere eigene Informationskampagne über Google Street View haben sicherlich dazu beigetragen. Manche Nutzer haben uns auf mehreren Wegen (Brief, Fax, Mail, Online-Tool) mit dem gleichen Anliegen kontaktiert. Unsere erste Priorität liegt nun auf der schnellen Erfassung, Verifizierung und Bearbeitung aller Widersprüche.

2. Wer kann alles widersprechen? Eigentümer, Bewohner – klar. Aber auch Wohnungsgesellschaften? Für – sagen wir – alle die von ihnen zu verwaltenden Häuser? Gibt es Massenwiderspruchsversuche von Wohnungsverewaltungen/Genossenschaften, Großeigentümern oder Miet- und Eigentümervereine die ganze Listen von Adressen zum Verpixeln schicken?

Sowohl Hauseigentümer als auch Mieter können der Veröffentlichung ihrer Häuser widersprechen. Der Widerspruch muss für jedes einzelne Haus erfolgen, Massenwidersprüche gehen nicht. Aber wir nehmen jeden Widerspruch ernst und haben den deutschen Datenschutzbehörden zugesagt, dass wir vor dem Start von Street View in Deutschland erst alle Widersprüche umsetzen, sprich, dass alle Häuser verpixelt sind bevor wir starten.

3. Den von Sascha Lobo initiierten Widerspruch-widerspruch finde ich ja durchaus charmant. Aber könnt ihr die, so fern sie bei euch eintrudeln, überhaupt irgendwie berücksichtigen? Und wenn ja: Wessen Widerspruch zählt mehr? Schlägt Eigentümer den Vermieter?

Wir nehmen tatsächlich nur Widersprüche entgegen. Widersprüche zum Widerspruch können wir leider nicht berücksichtigen. Wenn ein Mieter sagt, dass er nicht möchte, dass das Haus in dem er lebt bei Street View gezeigt wird, werden wir es aus Street View entfernen. Selbst dann, wenn der Eigentümer es gern in Street View hätte.

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Tja, das sieht schlecht aus. Laut einer Umfrage von Hamburg.de wollen ca. 38% der Hamburger ihr Haus verpixeln lassen. Dabei ist auch zu beachten, dass Befürworter und Gegner oft im selben Haus wohnen und es reicht, wenn ein einziger die Verpixelung wünscht, wie wir gerade gelernt haben. Ein digitaler Kahlschlag, oder:

[Link]

Von Googles Seite aus, ist die Verpixeleung übrigens irreversibel, wie sie immer wieder beteuern. In Street View wird Deutschland also vermutlich schlimmer aussehen, als nach dem Krieg. Das wiederum macht Jens Best zu so einer Art digitalen Wiederaufbauhelfer. Einer digitalen Trümmerpixelfrau. Ich bitte um Unterstützung für sein Mörtelklopfen.

Von der Notwendigkeit eines neuen Begriffs von Öffentlichkeit

Sascha Lobo hat letztens (und gestern noch mal in den Tagesthemen) das Wort der „digitalen Öffentlichkeit“ aufgebracht. Ich finde den Begriff, trotz seiner bisherigen Undefiniertheit gut. Er zeigt in die richtige Richtung, nämlich eine, die weit über die Streetviewfrage hinaus geht. Ich habe ihn gebeten diesen Begriff bitte mal auszuarbeiten. Bis dahin enteigne ich ihn mal und lasse ihn ein paar Runden um den netzpolitischen Parkour laufen.

Ich behaupte: die Diskussion um Netzneutralität, um Datenschutz im allgemeinen und die Frage nach dem Urheberrecht verlangt nach einem solchen Begriff einer neu zu gestaltenden Öffentlichkeit.

Bei Google Street View zum Beispiel wird das öffentliche Gut Straße versucht dem Privaten zuzurechnen. Wenn jemand argumentiert, die Fassade seines Hauses gehöre zur Privatsphäre, dann ist das ein Versuch, der Öffentlichkeit etwas zu entreißen, auf das sie einen Anspruch hat. Und wie Jeff Jarvis auf der re:publica so treffend betonte: Und die Öffentlichkeit sind wir alle. (Das klingt so einfach, aber ich bin mir sicher, dass das noch viele nicht kapiert haben). (Deswegen könnte man aller höchstens noch eine CC-isierung der Streetviewdaten fordern, also ein „Noch mehr“ an Öffentlichkeit, nicht aber ein weniger durch Verpixelung.)

Und ebenso öffentlich wie die Straßen – wenn nicht öffentlicher – sollten die Datenleitungen sein. Was die Diskussion um Netzneutralität wieder in’s Bewusstsein gerückt hat, ist dass die Freiheit auch in diesen privat-öffentlichen Infrastrukturen gefährdet ist (wiederum von Privatinteressen) und dass man staatlicherseits Regularien schaffen muss und zwar: damit sie nicht reguliert werden. Das Paradox wird von einigen bis heute nicht verstanden, dabei ist es nicht mal neu. Es gibt schon immer Gesetze für diese komischen Mischwesen, diese „public private Spaces“. In Bahnhöfen kann die Bahn auch nicht ungehindert ihr Hausrecht ausüben, obwohl sie Eigentümer ist. Das Selbe gilt schon immer auch für Telefonleitungen. Obwohl die Telekom die meisten Leitungen besitzt, hat die Regulierungsbehörde überall ein Wörtchen mit zu reden. Weil sie uns – die Öffentlichkeit – vertritt, werden wir sie politisch zwingen müssen, auch Netzneutralität, auch gegen die privaten Interessen der Eigentümer, zu gewährleisten. Die Öffentlichkeit hat hier ein Vorrecht!

(BTW: könnt ihr – auch wenn ihr die SPD scheiße findet und alles – trotzdem hier mal unterschreiben? Mit Kinderkacke kann man zwar sein Distinktionsbedürfnis befriedigen, aber ich halte die Netzneutralität für wichtiger, als das Ausleben der Eitelkeiten der einen oder anderen Privatdiva)

Vor einiger Zeit habe ich schon mal die Diskussionen um den „öffentlichen Raum“ mit der Idee der Plattformneutralität kurz geschlossen. Bei Apple, Facebook ebenso wie auf einem Bahnhof, geht es um private Räume, die von der Öffentlichkeit genutzt werden und somit eine Infrastruktur des gegenseitigen Austausches darstellen. Hier darf nichts und niemand diskriminiert werden und es muss nach klaren und transparenten Regeln Verbote und Gebote ausgesprochen werden. Plattformneutralität ist ein Ansatz diesen Anspruch der Öffentlichkeit an private Plattformen abstrakt und allgemeingültig genug zu definieren.

Die Kontroverse um Liquid Feedback in der Piratenpartei ist ebenfalls im selben Spektrum einbettet. Der Anspruch, transparente Politik zu machen ist nur schwerlich mit den strengen Ideen um den Datenschutz zu vereinbaren, der auch bei der Piratenpartei eine wichtige Rolle spielt. Alle Datenschutzzusagen, die in dem System gemacht werden, gehen auf Kosten der Transparenz und Nachvollziehbarkeit – also der Öffentlichkeit und ihrem Interesse. Und so sehr man das Bedürfnis unbehelligt abstimmen zu dürfen nach vollziehen kann, muss sich die Partei hier schon für eine Richtung entscheiden. Wobei nur die Richtung in die Digitale Öffentlichkeit der Politik wirklich etwas neues hinzufügt. Allein das Experiment zu wagen, stellt für die Öffentlichkeit einen Mehrwert dar, der die privaten Interessen des einzelnen übersteigt. Ich verbleibe sehr gespannt.

Aber was für Liquid Feedback gilt, kann man auch andere, weniger offensichtlich politische Plattformen beobachten. Ebenfalls auf der re:publica sprach die Kommunikationsforscherin Miriam Meckel über Software und Internet und dem Lieblingsgespenst der Bildungsbürger „die Macht der Algorithmen„. Unter dem Titel „This object can not be liked“ begann sie über die normierenden Kräfte von Software nach zu denken und daraus kokette Datenschutzforderungen herzuleiten. Ungeachtet der Tatsache, dass die Titelgebende Anekdote – eine virtuelle Geburtstagstorte auf Facebook, bei der der Like-Button seine Funktion versagte – nicht der „Macht der Algorithmen“, sondern den Datenschutzeinstellungen der TortenschenkerIn geschuldet war.

Meckel hat damit ein Problem angeschnitten, das sie überhaupt gar nicht verstanden hat. Wenn Person A datengeschützt ist und Person B seine Daten mit seinen Freunden teilen will, dann sind alle Kommunikationen zwischen A und B ambivalent. Entweder sie müssen ganz oder in Teilen ausgeblendet, eingeschränkt oder halböffentlich dargestellt werden, sobald ein dritter in’s Spiel kommt. Was in sozialen Netzwerken nicht selten vorkommt, denn dafür sind sie ja da. Datenschutz funktioniert auf ein Individuum und eine fest definierte Gruppe bezogen. In einem (kommunizierenden) Netzwerk ist es ein niemals befriedigend zu lösendes Problem. Und zwar systemimmanent. Langfristig werden all die Versuche Datenschutz – und zwar in einer annehmbaren Form – in diesen Plattformen zu etablieren an eben jenen Frusterlebnissen der Nutzer scheitern. Wer durch seine Privatsphärenversiegelung die Kommunikation aller anderen behindert, wird in Zukunft schal angesehen werden. Als – ja – unsozial. Eine informationelle Form des Geizes.


[Link]

Wenn die Welt aber immer mehr über das Internet kommuniziert und man Teil der Welt ist, muss man bald schon ein sehr einsames Leben führen, um nicht Teil der digitalen Öffentlichkeit zu werden. Die Welt wird mit uns und über uns und über unsere Kommunikationen mit anderen kommunizieren wollen. Und sie wird es im Internet tun. Bei Streetview, Liquid Feedback und ungeliketen Torten stießen wir an genau diese Grenze. Und wir werden jeden Tag doller daran knallen. Das ist die digitale Öffentlichkeit, die bei uns anklopft.

Eine andere Kollision des Privaten mit dem Öffentlichen sind Nutzungs- und Verbreitungsrechte. Das geht schon mit dem Löschwahnsinn bei den Öffentlich Rechtlichen los. Weil Verlage um ihre Geschäftsmodelle fürchten, werden massenhaft Sendungen aus den Onlinearchiven der ÖvR gelöscht. Mich lässt das mit der Fassungslosigkeit zurück, als wenn vor meinen Augen Lebensmittel vernichtet werden. Hier wird echter Wert, der uns allen zur Verfügung stand, unzugänglich gemacht. Die digitale Öffentlichkeit wird hier bestohlen! (Mir ist dabei übrigens völlig egal, ob wir den Content mit Gebührengeldern bezahlt haben.)

Ebenso geht es mir mit den „Dieses Video ist in deinem Land nicht verfügbar„-Hinweisen bei Youtube und den Löschkampagnen, die auf diesen Plattformen regelmäßig passieren. Youtube ist – und vor allem war einmal – das Archiv der Popkultur. Hier kann man Songs wieder finden, mit denen man aufgewachsen ist. Meme wie das Rickrollen wurden möglich gemacht. Ich erinnere mich, dass sich von dort auch die berühmte Szene vom „Kiezkollegen“ Stefan Hentschel verbreitet hat. Das Video wurde auf allen Videoplattformen vom Urheber entfernt. Denen, die jetzt nicht wissen, wovon ich rede, würde ich gerne einen Link schenken. Nur kann ich das nicht.

Das Video wurde gelöscht, obwohl es der Öffentlichkeit gehört! Ja, das sage ich jetzt im vollen Bewusstsein, dass dies eine falsche Rechtsauffassung ist. Ich sage es aber, weil es wahr ist. Ich sage das, weil ich tief im inneren weiß, dass jeder Mensch Brecht nach seiner Interpretation aufführen können sollte. Weil ich weiß, dass niemand das Singen von Happybirthday untersagen können darf. Weil diese Dinge kein privater Besitz sein dürfen!

Überall im Digitalen sehen wir neue Öffentlichkeiten entstehen und sie alle werden bedroht vom Privaten. Wir brauchen einen neuen Begriff der Öffentlichkeit, meinetwegen auch gerne den der „digitalen Öffentlichkeit“. Und wir brauchen einen Sinn für den Wert dieser Öffentlichkeit, wir brauchen mehr Leute, die den Einschnitt in diesen Bereich als Schmerz empfinden, weil sie merken, dass sie bestohlen werden. Es braucht eine neue Vorstellung von Gemeinnutz in Sachen Information (der so greifbar ist, für alle, die sich daran partizipieren) und ein In-Stellung-Bringen dieses Gemeinnutzes gegenüber privaten Interessen.

In der linken Szene gibt es die Tradition möglichst pathetisch das Wort „Privat“ aus lateinisch „privare“, „berauben“ herzuleiten. Im digitalen stimmt das mehr denn je.

Wer kopiert stiehlt nicht, denn das Gestohlene ist noch da. Wer meine Daten verarbeitet, nimmt sie mir nicht weg. Wer aber löscht oder Informationen unzugänglich macht, stiehlt! Er bestiehlt uns alle! Wir sollten uns das nicht länger gefallen lassen.

Die Freiheit im Zeitalter ihrer technischen Wahnehmbarkeit

Rechte sind etwas tolles.

Ein Recht ist zum Beispiel die Panoramafreiheit. Wenn man eingefleischten Datenschützern allerdings mit dieser Argumentation kommt, sagen sie, dass der Gesetzgeber ja kaum wissen konnte, dass das Recht, auf der Straße zu fotographien automatisiert und in vollem Ausmaß ausgenutzt – um nicht zu sagen – „mißbraucht“ werden könnte.

Wenn man die Verleger nach dem Sinn des Leistungsschutzrechts fragt, argumentieren sie oft mit Google News, das neben einem Link zum Artikel auch einen Snipplet (ca. 2 bis 5 Zeilen) aus diesem anzeigt. Wenn man sie fragt, ob sie denn wollen, dass das Zitieren genehmigungspflichtig wird, raunen sie entrüstet: „Auf gar keinen Fall!“. Wenn man fragt, wie sie das Google denn sonst verbieten wollen, und allen anderen nicht, vertrösten sie einen. „Der Gesetzesentwurf ist derzeit noch in Arbeit…“

Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. „Reporter ohne Grenzen“ steht wie kein anderer Verein für dieses Recht. Jetzt haben sie Grenzen gefordert. Von Wikileaks. Wikileaks veröffentlicht Dokumente nach der Prüfung ihrer Echtheit quasi automatisiert (sagen sie). Reporter ohne Grenzen argumentieren, es seien Menschen in Gefahr. Manche Dinge dürfe man nicht veröffentlichen.

Rechte sind etwas tolles. Und Rechte werden heute auch automatisiert wahr genommen. Das scheint ein generellen Problem zu sein, auf das es verschiedene Antworten geben kann:

Leistungsschutzrechtsbefürworter und Stammtischdatenschützer fordern eine Einschränkung dieser Freiheiten. Am liebsten würde man trennen, zwischen Mensch und Maschine, oder gar Firma und Mensch. Das wird aber nicht funktionieren, denn wir Menschen benutzen die Maschinen. Und die Maschinen, die heute die Konzerne benutzen, benutzen wir in 2 Jahren im Zweifel alle. Jedes Recht, dass für Maschinen eingeschränkt wird, schränkt das der Menschen ein. Zumindest in Zukunft.

Wir müssen uns darüber bewusst werden, dass alle Rechte, die wir haben, in Zukunft auch maschinell, automatisch und in vollem Umfang (in einem Umfang womöglich, den wir nie für möglich gehalten haben) wahr genommen werden. Und wenn das geschieht, werden Gewißheiten und Sicherheiten des einen oder anderen fallen. Und das macht vielen Angst.

Und dann ist meinst der Zeitpunkt, an dem wir diese Rechte erneut verteidigen müssen.

Die Piraten und ihre politischen Privatheiten

Ich finde es ziemlich interessant, was sich dort gerade bei den Piraten und deren Umfeld abspielt. Wer es nicht mitbekommen hat: Das Tool Liquid Feedback, dass bereits in einigen Landesverbänden läuft, sollte nun für die Bundespartei eingeführt werden. Liquid Feedback ist das derzeit weitest entwickelte Tool für die Implementierung von Liquid Democracy. Das Konzept habe ich mal hier erläutert.

Jedenfalls hat der Bundesvorstand den Startschuß von LQFB (Liquid Feedback) gestern verweigert und auf demnächst verschoben. In der Partei gibt es wohl Bedenken in Sachen Datenschutz. Mitglieder möchten ungerne in ihrem Abstimmungsverhalten gemonitort werden. Auch die Pseudonymisierung im System reiche nicht aus, weil man durch die sichtbaren Strukturen im Zweifel durchaus auf die Realpersonen schließen kann. Auch die Speicherung der Daten auf lange Frist sei ein Problem, weil man seine Meinung zu bestimmten Dingen ja nun auch im Laufe der Zeit verändern könne.

Das Interessanteste an der Diskussion ist nun, wie sich plötzlich die Fronten verteilen. So hat Frank Rieger, Sprecher der CCC und wichtiger Datenschutzaktivist in seinem Blog klar Stellung gegen die Datenschutzbedenkenträger gezogen. Er sähe keine Datenschutzprobleme, da er das politische völlig getrennt sieht vom privaten (genauer beschrieben in folgendem Podcast: Podcast). Die Piraten hätten schlicht „Furcht vor Transparenz„. (Ehrlich, ich hätte nie gedacht, diese Worte in seinem Blog zu lesen.)

Kristian Köhntopp geht noch einen Schritt weiter und behauptet sogar, das Politische sei das Gegenteil des Privaten und Datenschutzbedenken seien deswegen völlig fehl am Platze.

Ich finde, die beiden machen es sich hier zu leicht. Aus zwei Gründen:

Erstens: die Argumentation ist zunächst einmal nicht zwingend: „Das private ist politisch!“ haben zum Beispiel die 68er gerufen und damit gemeint, dass wir im Privaten durchaus in Strukturen leben, die irgendwann politisch ausgehandelt wurden und dass diese Strukturen somit ebenso zur politischen Verhandlungssache gemacht werden sollten. Wer diese Sphären wieder trennen will, akzeptiert den gesellschaftlichen Status Quo, indem er ihn dem Politischen – das heißt dem Veränderbaren – entzieht. Das kann man machen, nur sollte man sich bewusst sein, dass auch das eine politische Entscheidung wäre, die getroffen und begründet werden müsste. Also nicht einfach per Rieger-Dekret geregelt werden sollte.

Zweitens – und noch viel entscheidender – ist es eine Frage des Beobachterstandpunktes, was privat ist. Wenn ich einen liberalen Chef habe, wird er mit Sicherheit sagen, dass meine politische Arbeit meine Privatsache sei. Ich bekäme sogar eher Ärger, wenn er das nicht so sähe. Und ebenso argumentieren eben auch einige Piraten – sie wollen nicht für bestimmte Öffentlichkeiten politisch transparent werden oder fühlen sich derart, dass sie sich politisch in der Öffentlichkeit nicht frei entfalten können. Wo – wenn nicht in der Politik – ist der gesellschaftliche Druck auf das Individuum am gefährlichsten? Wer diese Bedenken nicht ernst nimmt, für den dürfte Datenschutz an sich überflüssig sein.

Es ist doch so, dass eine einfache Trennung von privat und öffentlich nicht mehr gibt. Jeder hat bestimmte Privatheiten gegenüber bestimmten Öffentlichkeiten. Das Politische zum Job, der Job zur Familienangelegenheiten, die Familie zum Spaß im Freundeskreis und all das nochmal Reverse. Die Grenze, die wir Privat und Öffentlich nennen, ist in Wahrheit ein Fraktal gewesen und erst durch das Internet bekommen wir das zu spüren. Wer in dieses komplexe Gebilde wieder mit dem Trennmesser den klaren Definitionsschnitt vollziehen will, wird der Sache nicht gerecht.

Auch wenn es sich so anhört: ich will nicht den Datenschutzbedenkenträgern das Wort reden. Ich finde, dass LQFB dennoch eingeführt werden sollte – obwohl die Bedenken der Piraten real sind. Ich glaube, dass der Nutzen für alle, die Nachteile einiger Weniger weit in den Schatten stellt. Liquid Democracy hat das Potential das Politische nachhaltig zu verändern. Ich bin absolut für die Einführung von LQFB.

Aber: die netzpolitische Szene hat es in all den Jahren versäumt sich über Datenschutz Gedanken zu machen. Nämlich ernsthafte Gedanken. Sie klammert sich bis heute an unhinterfragten Dogmen und weilt auf dem Status Quo der Tradition von 1986. Und wenn da etwas dazwischen funkt, wird es einfach weg definiert. Bis zum nächsten Mal.

So lange die Piraten – und die irgendwie netzpolitisch Aktiven insgesamt – nicht bereit sind, sich der Komplexität der neuen Privatheiten/Öffentlichkeiten – und deren politische Bedeutung – zu stellen und kritisch zu hinterfragen, was überhaupt das Sujet des Datenschutzes ist, werden Konflikte wie diese immer wieder aufflammen. Und im Zweifelsfall die gesamte Szene spalten.

Das Ende des Geheimnisses

Es fühlt sich gerade an, wie der Showdown der Informationsethik. Die Frage nach der Transparenz und ihrer Grenzen hämmert auf mich ein. Ich bin noch nicht fertig damit. Weder mit meiner persönlichen Ethik in der Sache, noch beim durch denken der grundsätzlichen Fragen. Ich fühle mich derzeit wie eine Nußschale im eigenen Theorieozean, die oft hilfloser in den Ereignissen herumrudert, als jeder andere. Kontrollverlustverlust…verlustverlust… – Ach.

Da wäre Martin Weigert, der die Frage stellt, die in meinem letzten Posting implizit versteckt ist, die ich mir aber nicht traute, explizit zu machen.

Braucht es vielleicht das Geheimnis? Für unser Zusammenleben? Für den gesellschaftlichen und technologischen Fortschritt? Gar für die Freiheit? (Ich muss zum Beispiel an Hoffmann von Fallersleben’s „Die Gedanken sind frei“ denken. Der zweite Teil des Satzes, der die Begründung der Gedenkenfreiheit liefert, bezieht sich auf das Geheimnis: „… keiner kann sie erraten.„)

Das Paradox ist auch in Wikileaks selber angelegt: die Verbindung von dem Zwang zur absoluten Anonymität und das beständige Beharren der Macher auf die Vorteile der Transparenz machen Wikileaks zum neuralgischen Punkt der Frage nach einer neuen Informationsethik.

(Ein wenig – längst nicht angemessen – führen wir die Diskussion bei Netzwertik in den Kommentaren)

Ehtik ist immer so ein schönes Wort. Ethik beschreibt immer einen Dos & Donts Katalog, Richtschnüre für Verhaltensweisen, die man einzuhalten gebeten wird. Als ob alles eine Frage der Entscheidung wäre. Als ob uns das Internet eine Wahl lassen würde.

Selten hat mir etwas so emotional zugesetzt wie die Ereignisse in Duisburg. Ich habe viel geweint dieser Tage. Und ja. Ich habe mir alles angesehen. Ich wollte alles wissen, habe Video um Video gesehen, Bilder geklickt, Artikel und Erfahrungsberichte gelesen. Ich habe mich sprichwörtlich in den Rausch geklickt.

Und heute tauchte ein Video auf, auf das eigentlich alle gewartet haben. Es ist exakt zum Zeitpunkt des Unglücks exakt an der Stelle des Unglücks gefilmt worden. Und ab nun gibt es keine Distanz mehr. Wer wirklich hart im Nehmen ist und wer glaubt, das ertragen zu können (BITTE NEHMT DIE WARNUNG ERNST!) der kann hier klicken und ist dabei. Mitten drin.[.] (ACHTUNG: Dieses Video wird euch den Tag vermiesen, wenn nicht noch mehr)

bov
[Link]

Ich hatte das Video schon getwittert (in Wirklichkeit geretweetet) als ich es gerade erst angestellt hatte. Und schon nach wenigen Minuten erkannte ich die Tragweite dieser Dokumentation. Und neben dem Schrecken stieg in mir das Unwohlsein ob meiner Tat auf, das Video verbreitet zu haben. War das ein Fehler? Sollte man das nicht tun? Ist das Video „falsch“? Ist es falsch, dass es sich die Leute angucken können? Oder ist es nur falsch das Video zu verbreiten? Sollten es vielleicht nur bestimmte Leute sehen? Wenn ja: wer? Wer entscheidet das?

Ich hab auf die Frage vor allem zurück bekommen, dass das Video zwar krass, aber eben die Wahrheit sei. Dass es gut sei, dass es das Video gibt, denn es trägt zur gesellschaftlichen und juristischen Wahrheitsfindung bei. Die Verantwortlichen können sich so nicht so leicht aus der Verantwortung stehlen, durch das Material. So auch Alvar Freude. So auch der Urheber des Videos, der in diesem Artikel kurz porträtiert wird.

Ich wurde aber auch von einigen – teilweise energisch – ermahnt, den Link heraus zu nehmen. Dass ich eine Verantwortung habe, gegenüber zum Beispiel Kindern, die bei mir lesen. Und natürlich ist auch der Vorwurf der Informationsgeilheit und des Voyeurismus hier nicht weit. Aber kann ich Verantwortung übernehmen für das, was andere sich angucken sollen oder nicht? Wer bin ich, dass ich Gatekeeper spielen soll/darf/muss. Vor allem heute, diesem Heute, dem ich unentwegt den Paradigmenwechsel andichte, dass es die Autonomie des Leser/Konsumenten stärkt und ihm alle Macht in die Hände spielt. Und – selbst wenn ich die Verantwortung über die Information meiner Follower annehmen sollte – welche Verantwortung wiegt stärker? Die der Schonung, oder die des Informierens?

Ich habe auf all das keine Antworten. Und ich bezweifle sogar, dass es welche gibt. Weder habe ich allgemeingültige noch auch nur persönliche, die einen irgendeinen Effekt haben. Einen Effekt auf den Kontrollverlust, der sich manchmal zu einer unbändigen Bestie geriert, die schreit und stinkt, die ungewaschen über all unsere Bedenken rollt und jede Ethik zur Theorie degradiert.

Ich habe nur Fragen. Hier eine Auswahl: Werden wir persönliche oder gesellschaftliche Kulturtechniken entwickeln mit solchen Informationen umzugehen, die weder ein Wegschauen, noch ein zwanghaftes Hinschauen sind? Werden wir vielleicht eines Tages verzweifelt kämpfen, um die Institution des Geheimnisses zurück zu erlangen, weil wir merken, dass wir mit der Wahrheit nicht umgehen können? (mir klingt Tocotronic im Ohr: „… wir brauchen dringend neue Lügen…„). Und nicht zu letzt: gibt es das? Eine gesellschaftliche oder gar Logisch-Positive Notwendigkeit des Geheimnisses und der Lüge? Und gibt es – oder sollte es geben – ein Recht auf Unwissenheit? Ein Recht verschont zu werden, von Informationen? Wie sollte man das selbst bestimmt regeln können? Sichwort: Informationsparadox.

Selten haben sich mir diese Fragen so sehr aufgedrängt wie heute. Selten hatte ich so sehr ein Gefühl der Dringlichkeit.