Deutschland ist schon immer ein Hort der Befindlichkeit. Ruhestörung ist hier eine Ordnungwidrigkeit. Wehe man mäht mittags den Rasen, oder hackt Holz. Wenn man einen Stinkefinger gezeigt bekommt, kann man zur Polizei rennen und den bösen Menschen wegen Nötigung anzeigen. Interviews werden hierzulande erst noch mal abgenickt und vorher oft noch bis zur Unbrauchbarkeit redigiert. Passend dazu das Abmahnwesen. Man kann Menschen kostenpflichtig zur Unterlassung auffordern, wenn man sich beleidigt oder in seinem Wettbewerb eigeschränkt fühlt. Kein Prozess, kein Richter, es braucht nur einen, der sich irgendwie fühlt. Im Zweifel muss halt der andere den Verdacht ausräumen.
Und gestört fühlen sie sich alle. Wer hierzuzlande wissentlich neben eine Disko zieht, kann sie rechtlich zwingen nur noch in Zimmerlautstärke Musik zu spielen. Es werden Petitionen gegen Windkraftfelder gesammelt und gegen das Asylantenheim, das einfach zu nah ist. In den Gärten der Provinz werden die peinlichsten und kindischsten Rechtsstreitigkeiten ausgetragen, wegen nichts. Weil es geht. Das deutsche Recht sieht tausend Möglichkeiten vor, sich gestört zu fühlen. Und sie werden gerne genutzt. Glaubt mir das, ich bin da aufgewachsen.
Aber mit Street View sind wir jetzt aber einen entscheidenden Schritt weiter. Streetview stieß nämlich nicht auf eine unserer vielen Befindlichkeitsrechtsnormen, sondern „nur“ auf unsere überkandidelten Datenschützer und ein Volk von Jammerlappen, Angsthasen und Berufsnölern, die es einfach gewohnt sind, dass für jede ihre Befindlichkeit auch ein Abwehrrecht existiert- völlig egal wie schwachsinnig es ist.
Und so gab Google klein bei und verpixelte aus Kulanz die Häuser der Spießbürger. Ein großer Fehler, wie ich finde, denn wie man sieht, hat das eine beinahe Unbenutzbarmachung des Dienstes zur Folge. Ich bin mir sicher, dass Google damit nicht gerechnet hat. Man hätte es Google auch sagen sollen: gibt man einem Deutschen eine Möglichkeit sich gestört zu fühlen, dann nutzen er sie.
Mit Googles Einknicken haben wir aber die nächste Stufe zur Befindlichkeitkratie genommen. Das Persönlichkeitsrecht soll so weit ausgedehnt werden, wie der einzelne es möchte. Die Hausfassade, in der man wohnt, soll jetzt auch mit zur Persönlichkeit und damit zur Privatsphäre gehören. Jedenfalls, wenn man das will. Die Hausfassade, die schon immer, zu jeder Zeit und nach jedem Verständnis gerade die Trennung zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen bewerkstelligt – mit einem klar definierten Innen und einem unzweifelhaften Außen – die soll jetzt auch Privatssphäre werden.
Aber Argumente sind hier nicht so gern geshen. Ennomane gibt den Ton vor. Man habe den Verpixelungswunsch der Leute zu respektieren „…aus welchen Gründen auch immer“ (das im Text mehrere Male emphatisch beschworen wird). Es braucht jetzt weder eine Rechts- noch eine sonstwie verargumentierte Norm. Man braucht sich gar nicht mehr einigen, wo die Grenze zwischen privat und öffentlich verläuft. Es reicht, wenn es die Leute nicht wollen. „Aus welchen Gründen auch immer!„. Das Gefühl siegt, es braucht jetzt keine Argumente mehr. Der Andere hat halt Rücksicht zu nehmen.
Ähnlich bei Thomas Pfeiffer. Auf die Frage, wie denn das Fotografieren einer Hausfassade die Ruhe stören würde, antwortet er:

Damit ist sie klar, die Marschrichtung in die Spießerrepublik: Es soll also niemand mehr begründen müssen, warum er sich gestört fühlt. Die Tatsache an sich reicht schon.
Nicht, dass das nicht heute technisch möglich wird. Hier ein Vorschlag:
Jeder kann seine Persönlichkeit/Privatheit und Ungestörtheitsbedürfnis einfach nach eigenem Gusto definieren. In einer Datenbank trägt jeder ab, wo er die Grenzen seiner Privatheit erfühlt. Der eine bei der Wohnung, der andere bei der Hausfassade, der nächste will den Bügersteig noch mit drin haben. Bei dem einen darf man sich nicht vor dem Haus unterhalten, der andere verbietet Hunden das Vorbeilaufen. Ein dritter möchte keine Schwulen Pärchen vor seinem Fenster. Jeder hat halt andere Kriterien, von was er sich gestört fühlt UND DAS HAT ER GEFÄLLIGST JA NICHT ZU BEGRÜNDEN!
Und wer bei der Befindlichkeitskratie nicht mitmacht und verpixelte Häuser fotografiert, ist ein Fanatiker, ein Totalitarist, ein Radikaler oder gar ein Terrorist. Aber das – da bin ich mir sicher – haben wir mit den Leuten gemeinsam, die zur Mittagszeit den Rasen mähen.