Marcel Weiß hat mal eindrucksvoll zusammen gestellt, warum er glaubt, dass Facebook in naher Zukunft das Internet ähnlich, wenn nicht noch viel mehr, dominieren wird, wie Google heute. Obwohl die Daten natürlich überwältigend sind und Marcel auch sehr richtig mit einigen Ideologemen aufräumt (man sollte sich Marcel zum Vorbild nehmen und vielleicht einmal in allen Bereichen so ehrlich sein und die bisher immer nur versprochene Überlegenheit offener und verteilter Konzepte kritisch hinterfragen. Die Realität sieht allzu oft ganz anders aus und so langsam kommt die Zeit, in der man das Warten auf deren Durchbruch einmal kurz beiseite legen sollte und darüber nachdenken, warum das eben doch nicht der Fall ist, woran das liegt und wie man das ändern kann – nur mal so.) will ich ihm hier widersprechen.
Anderseits ist da mit ihm wieder allzu stark der BWLer durchgegangen, für meinen Geschmack. Klar, die Kennzahlen sind beeindruckend und es scheint in der Tat so, als könne Facebooks Internetvorherrschaft nur noch durch einen Weltkrieg aufgehalten werden. Aber das gilt nur, wenn man davon ausgeht, dass das Spiel das selbe bleibt.
Ich kann hier so wenig klar begründen, was Facebook eines Tages das Leben schwer machen wird, wie ich die Zukunft vorher sagen kann. Ich weiß nur, dass es Neuerungen geben wird, mit denen wir nicht rechnen. Ein Tool, dass eine völlig neue Kommunikationsstruktur ermöglicht, eines, das die Netzwerkeffekte 1000 mal effektiver ausnutzt – irgend sowas wird es sein, etwas, was einen riesigen Impact haben wird, eben weil es etwas tut, von dem keiner wußte, dass es dafür ein Bedürfnis gibt. Etwa ein wenig so wie damals bei Twitter.
Auch wenn das nicht auf den ersten Blick offensichtlich ist: Twitter hat Facebook arg zugesetzt. Obwohl es in Sachen Useranzahl weit, weit hinter Facebook hinterher hinkt, ist es streckenweise kommunikativ viel mächtiger als Facebook. Der Kommentator Dominic hat das bei Marcel folgendermaßen ausgedrückt:
„Wenn etwas FB verlässt, z.B. weil es über Twitter verbreitet wurde, dann ist es ab diesem Zeitpunkt öffentlich sichtbar und entfaltet (erst dann) eine Wirkung. Eine Diskussion am internen Board einer Gruppe in FB kann 100000 Teilnehmer haben – sie wird ausserhalb – bzw „im Internet“ – trotzdem nicht wahrgenommen. Ein einzelner Tweet entfaltet instantan eine grössere Aussenwirkung, als diese 100k, hitzig disputierenden FB-Member.“
Das ist erst mal eine Behauptung, aber eine, der ich mich anschließe. Twitter ist öffentlicher als Facebook und deswegen schaffen es Twitternachrichten und keine Facebookstati regelmäßig in die News. Obwohl Facebook eine viel größere kritische Masse hat, ist diese Masse anscheinend vergleichsweise träge. Außer, dass die Nutzer sich als Statement schnell in der einen oder anderen Gruppe anmelden, passiert dort nicht viel interessantes oder relevantes. Es ist und bleibt ein Tool, das auf die Interaktion mit dem festen Kreis der Freunde ausgerichtet ist und verbleibt dort auch. Es funktioniert dafür auch gut, schafft aber das, was Clay Shirky den Cognitive Surplus nennt – trotz der gigantischen Masse viel weniger als beispielsweise Twitter.
Hier sind wir auch schon an dem Ort, wo meine persönliche Abneigung (oder sagen wir „mein Desinteresse“) an Social Networks herrührt:
1. Sie sind langweilig. Es passieren dort selten interessante Dinge. Hat man seinen Sammlertrieb befriedigt, und alle Freunde und Bekannte eingesammelt, sitzt man unruhig auf seinem Stuhl und fragt sich: „Und jetzt?“ Die Statusnachrichten sind egaler, die Links uninteressanter und der Impact überhaupt sehr begrenzt. (Letztes mag der Auslöser für die beiden anderen sein.) Udn hat jemand mal eine SINNVOLLE Facebookapplikation gesehen? Ich nicht.
2. Der „Lärm“ ist unerträglich. Jeden Tag werden neue Applikationen erfunden oder Subapplikationen eingebracht, die einen von neuem von der Seite annerven. Als ich noch bei Facebook war, war ich die ganze Zeit damit beschäftigt „Freunde“ auf unsichtbar zu stellen, Anfragen für Freundschaften, Termine, Fanpages und Gruppen abzuwehren und Applikationen zu blocken.
Seit mich Facebook wegen meiner Anmeldung unter Pseudonym verbannt hat, genieße ich die Ruhe – oder besser: den gezielt von mir zusammengestellte und präzise auf meine Bedürfnisse angepassten Twitterstream, voll mit Unterhaltung, spannenden Links und geistreichem Humor. (Meine Distributed Reality)
Das mag sich jetzt nach subjektivem Rumgemäkel anhören, das angesichts von 500 Millionen Nutzern vernachlässigbar ist. Ich glaube aber, das es eine grundlegende Schwäche des Konzepts ist, die zeigt, dass Facebook schon mal wenigstens als der Weisheit letzter (oder sogar zeitgenössischer) Schluss ausgeschlossen werden kann.
Und Facebook selber glaubt das auch: Seit dem unbestreitbaren Erfolg von Twitter versucht Facebook alles, sich die Konzepte des Twitterns einzuverleiben. Und zwar massiv. Das fing mit dem Ins-Zentrum-stellen des Friend-Newsstreams an, geht mit dem Likebutton weiter, der immer mehr in Richtung Retweetfunktion entwickelt wurde und lässt sich auch gut an so Sachen wie @replies festmachen. Schließlich und letztendlich ist es auch m.E. der eigentliche Grund für die umfangreichen und immer wieder voran gebrachten Privacy-veränderungen: nämlich die Publizität des Facebookcontents zu erhöhen, um die Relevanz des Contents zu pushen, um mit Twitter mithalten zu können.
Doch der Wurm sitzt tiefer: Markus Spath, der in seinem genialen Artikel über die Gegenwart und Zukunft von Social Media auch über Facebook räsonierte, riss den Wurm an, der im Grundkonzept des Social Networking sitzt. Deswegen muss ich hier mal eine längere Passage aus dem Text wiedergeben:
„ein weiterer von facebook ausgehender bremsklotz für die entwicklung des webs ist die grundannahme, dass jeder seinen sozialen graphen hat und den dann idealerweise von dienst zu dienst mit sich mitschleppt (was eben auf facebook zentralsiert geschieht).
schon die vorstellung ist schrecklich: man kann gehen wohin man will – und überall sind immer schon die gleichen leute da.
der ganze punkt am web aber ist, dass man nicht auf den handlungs- und denkkosmos seiner freunde beschränkt bleibt, sondern dass man sich interessengetrieben ausdifferenzieren kann. die eigenen freunde sind immer die besten und sie bleiben es auch, aber einerseits weiss man ohnehin, was man von ihnen erwarten kann (i.e. ich weiss wen ich fragen kann, was ich lesen oder hören oder mir anschauen soll, und wen ich besser nicht frage), und andererseits macht sie die tatsache der freundschaft nicht notwendigerweise in jedem bereich interessant.
(ich vermute mal der studentische background von facebook ist der grund, dass facebook das noch nicht erkannt hat. in der high school und im college hängt man halt mit seinen freunden ab und darüber hinaus interessiert einen wenig; es ist jedoch unverständlich, dass etwa google etwas noch viel blöderes glauben konnte, nämlich dass das adressbuch des email-accounts auch nur irgendwas bedeutet, geschweige denn ein indikator für globales interesse ist, wobei sich das wahrscheinlich daraus erklärt, dass das im googleverse zusammenfällt)
wir brauchen jedenfalls eine entkoppelung vom engen social graph der freunde und eigentlich auch vom halt mitgeschleppten social graph aus twitter, gmail und allen anderen sammelgraphen und bessere mechanismen für frei flottierende graphen, die sich konkret via der zirkulation von social objects ausdifferenzieren können. das ist jetzt sicher nicht das grösste problem, aber angesichts der tatsache, dass jeder zweite neue dienst als erste amtshandlung facebook connect anbietet und mehr als eine million seiten die social widgets integrieren, zumindest ein bedenkenswerter.“
Oder wie es mal ein Twitterer ausgedrückt hat:
[Link]
Ich weiß nicht, ob diese Schwächen jetzt wirklich relevant genug sind, dass sie Facebook das Genick brechen werden. Sie tun es bislang schließlich nicht, warum sollten sie es in Zukunft tun? Ein Grund könnte sein: Weil die Leute das Konzept „Freunde“ (bidirektionales Following) vor allem aus der realen Welt kennen und sie nur deswegen erst mal dankbar als gefällige Metapher akzeptieren. Langfristig werden sie aber tendenziell die Beschränktheit dieser Struktur erkennen und die Möglichkeiten verstehen, die andere Modelle bieten. Glaube ich.
(Gut, Okay, auch in diesem Feld hat sich Facebook schon bewegt: nämlich mit den Fanpages. Fanpages sind eine Followingstruktur und damit ebenso gut skalierbar wie Twitter. Jedoch ist das nur halbherzig, weil nur zusätzlich zu den Freunden und zweitens strategisch ungünstig benamt. Ich würde gerne Leuten follown, ohne mich als deren Fan bezeichnen zu lassen. Dazu sind sie schlecht vernetzt (Fanpages „follown“ sich in der Regel nicht gegenseitig) .Naja, aber es zeigt zumindest: Facebook schläft nicht.)
Wahrscheinlich wird nicht gerade Twitter Facebook den Todesstoß versetzen (die beiden Koexistieren bislang recht gut nebeneinander, obwohl Zuckerberg alles dran setzt, das zu ändern), aber bestimmt ein ganz neues Konzept, das noch besser und effektiver ist, als Twitter. Etwas was noch kommen wird. Ganz sicher!