Ein paar bange Gedanken zu Wikileaks

Eben diesen Artikel gelesen. Klar, Kontrollverlust, mal wieder. Und die immer dringendere Frage nach dem neuen Journalismus. Aber auch: wo ist die Grenze? Gibt es eine? Die Blätter (SPIEGEL, Guardian, NYTimes) ziehen sie explizit, auch Wikileaks ist etwas vorsichtig. Sie sagen aus Informantenschutz. Aber wer weiß das schon wirklich?

Die Frage ist: wie weit wird (und für demnächst: wie weit würde) Wikileaks wirklich gehen?

Wird Wikileaks die übrigen 15.000 Dokumente veröffentlichen? Wie brisant können Dokumente sein? Welche Dokumente sind angesichts der Afganistanprotokolle noch zu erwarten? Was wäre der US Geheimdienst bereit zu tun, um das zu verhindern?

Wir sind es gewohnt, fröhlich und krachend auf der Welle des Kontrollverlusts durch die Institutionen zu surfen (wir brauchen keinen Marsch). Massenmedien, Film und Musik-Produktion, Expertokratien und die Kommunikationshoheiten der großen Konzerne werden nieder gewalzt. Und mit einer demokratischen Selbstgerechtigkeit, die manchmal an den Neoliberalismus erinnert, wird dann auf deren eh verknöcherte Strukturen und ihrer in Zukunft fehlenden Legitimation verwiesen. Und die Welle rollt immer weiter und begräbt dabei immer neue „Eliten“ unter sich.

Und nun also das Militär, die Geheimdienste, ja: Regierungen. Die US-Regierung. Denen ist jetzt klar: Keine Information ist mehr sicher. Doch wie kann man all das noch tun, was man tat – was man meint auch weiterhin tuen zu müssen – wenn man fürchten muss, dass alles raus kommt?

So sehr ich diese ganze Entwicklung begrüße, stelle ich mir manchmal die bange Frage nach der Konterrevolution. Wie lange werden die Institutionen, die Eliten und andere Verantwortliche sich den Kontrollverlust noch bieten lassen? Wie lange werden sie zusehen wie ihnen ihre – bis dato immer noch beängstigend große – Macht aus den Fingern gleitet. Beschwören wir (oder das Internet als ganzes) nicht einen Dämon herauf, der irgendwann unkontrolliert um sich schlagen wird? Und zwar zuschlagen mit den immer noch grauenhaft schlagkräftigen Waffen des Geldes und all der politischen, militärischen, publizistischen, politischen Kraft der untergehenden Zentralismen, die all die Jahre den Ton angeben? (Und selbst wenn sie langfristig doch eh keine Chance haben werden (was ich glaube), würden doch schlimme Dinge passieren, würde Leid geschaffen, würde es definitiv Schluss mit lustig sein.) Wir, die wir auf Seiten dieser Welle stehen, sollten uns im klaren sein, wen wir uns hier zum Feind machen.

PS: Natürlich kann man bereits jetzt die zaghaften Schritte hin zur Konterrevolution beobachten: Netzsperren, Urheberrechtslobbyismus und überhaupt der von so vielen Institutionen voran getriebene Rückbau der Freiheiten im Internet. Jedoch sind das nur Wattebäusche gegenüber dem, was eine US-Regierung und ihre Dienste so in petto haben.

PPS: Okay, man braucht natürlich eine kleine verschwörungsrtheoretische Macke, um solche Gedanken zu hegen. In einem tatsächlich vorbildlich demokratischen Rechststaat wäre das natürlich alles kein Problem.

Wieso? ist doch alles prima! Politiker, Institutionen und Dienste freuen sich doch, wenn sie überflüssig werden. Die Geheimniskrämerei war eh immer ein Fremdkörper unseres freien Systems und wir sind froh, dass sie weg fällt.

Gibt es die Eliten, die ihren Status behalten wollen – notfalls gegen das System, oder gibt es sie nicht? Ich denke, jetzt ist die Zeit es heraus zu finden.

PPPS: Drauf geschissen!

Vortrag: Plattformneutralität oder die Befreiung des OSI-Layer 8

Eröffnungskeynote„. – *Schluck*

Ich, der ich noch nie einen Vortrag vor größerem Publikum gehalten hatte, sollte also kurzfristig die Eröffnungskeynote der SIGINT10 halten. Natürlich hab ich zugesagt. Man, war ich aufgeregt. (zudem die Koinzidenz, dass ein alter Freund, der in Köln wohnt, am Abend zuvor seinen eigenen Club eröffnet hat und ich bei ihm pennen wollte und so um etwa halb 6 erst in’s bett gekommen bin.)

Und so stand ich da und hab unter dem Titel „Plattformneutralität oder die Befreiung des OSI-Layer 8“ meine Idee der Plattformneutralität in einer für Nerds optimierten Variante vorgetragen. Etwas holperig zwar, aber ich denke, ich konnte zwischen all den „Ähhs“ und „Ähms“ ein wenig die Idee rüber bringen. Viel Spaß!


Via CCC.

500 Millionen und warum ich dennoch nicht an eine künftige Facebookdominanz im Internet glaube

Marcel Weiß hat mal eindrucksvoll zusammen gestellt, warum er glaubt, dass Facebook in naher Zukunft das Internet ähnlich, wenn nicht noch viel mehr, dominieren wird, wie Google heute. Obwohl die Daten natürlich überwältigend sind und Marcel auch sehr richtig mit einigen Ideologemen aufräumt (man sollte sich Marcel zum Vorbild nehmen und vielleicht einmal in allen Bereichen so ehrlich sein und die bisher immer nur versprochene Überlegenheit offener und verteilter Konzepte kritisch hinterfragen. Die Realität sieht allzu oft ganz anders aus und so langsam kommt die Zeit, in der man das Warten auf deren Durchbruch einmal kurz beiseite legen sollte und darüber nachdenken, warum das eben doch nicht der Fall ist, woran das liegt und wie man das ändern kann – nur mal so.) will ich ihm hier widersprechen.

Anderseits ist da mit ihm wieder allzu stark der BWLer durchgegangen, für meinen Geschmack. Klar, die Kennzahlen sind beeindruckend und es scheint in der Tat so, als könne Facebooks Internetvorherrschaft nur noch durch einen Weltkrieg aufgehalten werden. Aber das gilt nur, wenn man davon ausgeht, dass das Spiel das selbe bleibt.

Ich kann hier so wenig klar begründen, was Facebook eines Tages das Leben schwer machen wird, wie ich die Zukunft vorher sagen kann. Ich weiß nur, dass es Neuerungen geben wird, mit denen wir nicht rechnen. Ein Tool, dass eine völlig neue Kommunikationsstruktur ermöglicht, eines, das die Netzwerkeffekte 1000 mal effektiver ausnutzt – irgend sowas wird es sein, etwas, was einen riesigen Impact haben wird, eben weil es etwas tut, von dem keiner wußte, dass es dafür ein Bedürfnis gibt. Etwa ein wenig so wie damals bei Twitter.

Auch wenn das nicht auf den ersten Blick offensichtlich ist: Twitter hat Facebook arg zugesetzt. Obwohl es in Sachen Useranzahl weit, weit hinter Facebook hinterher hinkt, ist es streckenweise kommunikativ viel mächtiger als Facebook. Der Kommentator Dominic hat das bei Marcel folgendermaßen ausgedrückt:

„Wenn etwas FB verlässt, z.B. weil es über Twitter verbreitet wurde, dann ist es ab diesem Zeitpunkt öffentlich sichtbar und entfaltet (erst dann) eine Wirkung. Eine Diskussion am internen Board einer Gruppe in FB kann 100000 Teilnehmer haben – sie wird ausserhalb – bzw „im Internet“ – trotzdem nicht wahrgenommen. Ein einzelner Tweet entfaltet instantan eine grössere Aussenwirkung, als diese 100k, hitzig disputierenden FB-Member.“

Das ist erst mal eine Behauptung, aber eine, der ich mich anschließe. Twitter ist öffentlicher als Facebook und deswegen schaffen es Twitternachrichten und keine Facebookstati regelmäßig in die News. Obwohl Facebook eine viel größere kritische Masse hat, ist diese Masse anscheinend vergleichsweise träge. Außer, dass die Nutzer sich als Statement schnell in der einen oder anderen Gruppe anmelden, passiert dort nicht viel interessantes oder relevantes. Es ist und bleibt ein Tool, das auf die Interaktion mit dem festen Kreis der Freunde ausgerichtet ist und verbleibt dort auch. Es funktioniert dafür auch gut, schafft aber das, was Clay Shirky den Cognitive Surplus nennt – trotz der gigantischen Masse viel weniger als beispielsweise Twitter.

Hier sind wir auch schon an dem Ort, wo meine persönliche Abneigung (oder sagen wir „mein Desinteresse“) an Social Networks herrührt:

1. Sie sind langweilig. Es passieren dort selten interessante Dinge. Hat man seinen Sammlertrieb befriedigt, und alle Freunde und Bekannte eingesammelt, sitzt man unruhig auf seinem Stuhl und fragt sich: „Und jetzt?“ Die Statusnachrichten sind egaler, die Links uninteressanter und der Impact überhaupt sehr begrenzt. (Letztes mag der Auslöser für die beiden anderen sein.) Udn hat jemand mal eine SINNVOLLE Facebookapplikation gesehen? Ich nicht.

2. Der „Lärm“ ist unerträglich. Jeden Tag werden neue Applikationen erfunden oder Subapplikationen eingebracht, die einen von neuem von der Seite annerven. Als ich noch bei Facebook war, war ich die ganze Zeit damit beschäftigt „Freunde“ auf unsichtbar zu stellen, Anfragen für Freundschaften, Termine, Fanpages und Gruppen abzuwehren und Applikationen zu blocken.

Seit mich Facebook wegen meiner Anmeldung unter Pseudonym verbannt hat, genieße ich die Ruhe – oder besser: den gezielt von mir zusammengestellte und präzise auf meine Bedürfnisse angepassten Twitterstream, voll mit Unterhaltung, spannenden Links und geistreichem Humor. (Meine Distributed Reality)

Das mag sich jetzt nach subjektivem Rumgemäkel anhören, das angesichts von 500 Millionen Nutzern vernachlässigbar ist. Ich glaube aber, das es eine grundlegende Schwäche des Konzepts ist, die zeigt, dass Facebook schon mal wenigstens als der Weisheit letzter (oder sogar zeitgenössischer) Schluss ausgeschlossen werden kann.

Und Facebook selber glaubt das auch: Seit dem unbestreitbaren Erfolg von Twitter versucht Facebook alles, sich die Konzepte des Twitterns einzuverleiben. Und zwar massiv. Das fing mit dem Ins-Zentrum-stellen des Friend-Newsstreams an, geht mit dem Likebutton weiter, der immer mehr in Richtung Retweetfunktion entwickelt wurde und lässt sich auch gut an so Sachen wie @replies festmachen. Schließlich und letztendlich ist es auch m.E. der eigentliche Grund für die umfangreichen und immer wieder voran gebrachten Privacy-veränderungen: nämlich die Publizität des Facebookcontents zu erhöhen, um die Relevanz des Contents zu pushen, um mit Twitter mithalten zu können.

Doch der Wurm sitzt tiefer: Markus Spath, der in seinem genialen Artikel über die Gegenwart und Zukunft von Social Media auch über Facebook räsonierte, riss den Wurm an, der im Grundkonzept des Social Networking sitzt. Deswegen muss ich hier mal eine längere Passage aus dem Text wiedergeben:

„ein weiterer von facebook ausgehender bremsklotz für die entwicklung des webs ist die grundannahme, dass jeder seinen sozialen graphen hat und den dann idealerweise von dienst zu dienst mit sich mitschleppt (was eben auf facebook zentralsiert geschieht).

schon die vorstellung ist schrecklich: man kann gehen wohin man will – und überall sind immer schon die gleichen leute da.

der ganze punkt am web aber ist, dass man nicht auf den handlungs- und denkkosmos seiner freunde beschränkt bleibt, sondern dass man sich interessengetrieben ausdifferenzieren kann. die eigenen freunde sind immer die besten und sie bleiben es auch, aber einerseits weiss man ohnehin, was man von ihnen erwarten kann (i.e. ich weiss wen ich fragen kann, was ich lesen oder hören oder mir anschauen soll, und wen ich besser nicht frage), und andererseits macht sie die tatsache der freundschaft nicht notwendigerweise in jedem bereich interessant.
(ich vermute mal der studentische background von facebook ist der grund, dass facebook das noch nicht erkannt hat. in der high school und im college hängt man halt mit seinen freunden ab und darüber hinaus interessiert einen wenig; es ist jedoch unverständlich, dass etwa google etwas noch viel blöderes glauben konnte, nämlich dass das adressbuch des email-accounts auch nur irgendwas bedeutet, geschweige denn ein indikator für globales interesse ist, wobei sich das wahrscheinlich daraus erklärt, dass das im googleverse zusammenfällt)

wir brauchen jedenfalls eine entkoppelung vom engen social graph der freunde und eigentlich auch vom halt mitgeschleppten social graph aus twitter, gmail und allen anderen sammelgraphen und bessere mechanismen für frei flottierende graphen, die sich konkret via der zirkulation von social objects ausdifferenzieren können. das ist jetzt sicher nicht das grösste problem, aber angesichts der tatsache, dass jeder zweite neue dienst als erste amtshandlung facebook connect anbietet und mehr als eine million seiten die social widgets integrieren, zumindest ein bedenkenswerter.“

Oder wie es mal ein Twitterer ausgedrückt hat:
tweet
[Link]

Ich weiß nicht, ob diese Schwächen jetzt wirklich relevant genug sind, dass sie Facebook das Genick brechen werden. Sie tun es bislang schließlich nicht, warum sollten sie es in Zukunft tun? Ein Grund könnte sein: Weil die Leute das Konzept „Freunde“ (bidirektionales Following) vor allem aus der realen Welt kennen und sie nur deswegen erst mal dankbar als gefällige Metapher akzeptieren. Langfristig werden sie aber tendenziell die Beschränktheit dieser Struktur erkennen und die Möglichkeiten verstehen, die andere Modelle bieten. Glaube ich.
(Gut, Okay, auch in diesem Feld hat sich Facebook schon bewegt: nämlich mit den Fanpages. Fanpages sind eine Followingstruktur und damit ebenso gut skalierbar wie Twitter. Jedoch ist das nur halbherzig, weil nur zusätzlich zu den Freunden und zweitens strategisch ungünstig benamt. Ich würde gerne Leuten follown, ohne mich als deren Fan bezeichnen zu lassen. Dazu sind sie schlecht vernetzt (Fanpages „follown“ sich in der Regel nicht gegenseitig) .Naja, aber es zeigt zumindest: Facebook schläft nicht.)

Wahrscheinlich wird nicht gerade Twitter Facebook den Todesstoß versetzen (die beiden Koexistieren bislang recht gut nebeneinander, obwohl Zuckerberg alles dran setzt, das zu ändern), aber bestimmt ein ganz neues Konzept, das noch besser und effektiver ist, als Twitter. Etwas was noch kommen wird. Ganz sicher!

„Datenmißbrauch“

Und dann ist wieder Flattr in aller Munde. Und ich so: guck mal nach, was da bei mir so Sache ist, und ach: gar nicht so viel geflattrt diesen Monat (war ja im Urlaub und so), so dass 9,95 € pro Klick, ach du Scheiße! Also ich getwittert, dass hey, lasst mal gute Artikel rüber wachsen und Antje Schrupp gleich so: da haste! – und ich so: Uff!

Also, Antje Schrupp dröselt das Problem mit dem Datenschutz auf und streift dabei ganz nebenbei die tieferen Problemlagen dessen, wovor wir in Wirklichkeit Angst haben, wenn es um unsere Daten geht, so ganz ohne Scheuklappen der ideologischen Diskurse. Sowas wird ja viel zu wenig gemacht. Besonders von den meisten engagierten Datenschützern; mal inne zu halten und darüber nach zu denken, was denn die Probleme sind, in Wirklichkeit sind, was so ein Datenschutz oder eine Privacy denn in Wirklichkeit leisten können sollte und wo die Probleme liegen. Dafür muss man sich aber erst mal von dem Wortgeklingel lösen und die einzelnen Fälle anschauen, gerne auch aus der eigenen Biographie – und dann noch einmal nach denken. Antje Schrupp schafft das mal wieder mit Bravour und nimmt uns mit, in das Innere des Datenschutzes, dort wo die Informationsrädchen ineinander greifen und wo sich Machtgefüge an Wertekonstellationen reiben und wie das ganze dann das Soziale des Einzelnen bestimmt und beeinträchtigt – alles in Form persönlicher Anekdoten. Absolut lesenswert.

Leider übernimmt sie dann doch wieder etwas leichtfertig einen der Kampfbegriffe des Datenschutzes, ohne ihn hinreichend zu befragen, nämlich den des „Mißbrauchs“ von Daten. Ein gängiger Begriff in der Debatte und Antje definiert ihn dementsprechend seines Ursprunges gemäß als einen bestimmten Gebrauch der Daten „entgegen der Intention ihrer Urheberin„.

Ich finde das zu einfach und eigentlich müßte das Antje Schrupp auch selber aufgefallen sein. An einer anderen Stelle schreibt sie nämlich sehr richtig: „Fakten aber sprechen nicht für sich. Sie müssen immer interpretiert und in einen Kontext gestellt werden.“ „Fakten“ – in diesem Fall waren es „Worte“, im Allgemeinen sind es „Daten“ oder „Informationen“ – müssen interpretiert werden, das ist sehr richtig. Aber wie müssen sie Interpretiert werden? Etwa immer so, wie es der Urheber will oder zum Zeitpunkt des Schreibens wollte? Müssen sie immer „richtig“ interpretiert werden? Was ist „richtig“? Woher soll man den Willen des Urhebers kennen? Brauchen wir Mißverständnisverbote? Müssen wir jetzt alle die Grundlagen der Hermeneutik lernen und: ist die Hermeneutik eine Versicherung dagegen? Oder anders: Wäre Feminismus möglich, ohne dass man zum Beispiel die Begriffe des Patriarchats angreift? In dem man den Sexismus aufdeckt, der in Aussagen steckt, die der „Urheber“ vielleicht nicht intendiert hatte, die aber dennoch in seinen Worten steckt? Ist gesellschaftlicher Fortschritt möglich, wenn wir nicht Aussagen gegen sich selber wenden, wenn wir nicht tiefer analysieren, was jemand implizit meint, ohne es zu meinen – zum Beispiel welche Abmachungen man implizit signiert, wenn einen Begriff wie den des „Datenmißbrauchs“ verwendet?

Eric Fischer hat im Juni alle Geodaten von Bildern, die in einigen Städten aufgenommen wurden aus Flickr gezogen und diese Daten dann „mißbraucht“. Entgegen der Intention ihrer Urheber hat er geschaut, welche „Urheber“ über einen langen Zeitraum in einer Stadt fotografieren und welche nur mal so sporadisch. So konnte er zwei Gruppen identifizieren: Locals und Tourists. Die Orte der Fotos von Touristen färbte er rot, die Orte der Fotos von Locals blau und trug sie auf Karten ab. So manch einen schönen Ort habe ich dadurch in New York gefunden.


Map New York

(Eric Fischer cc via Spreeblick)

Ich könnte viele weitere wunderbare Beispiele nennen, in denen Daten entgegen ihrer ursprünglichen Intention zu etwas tollem „mißbraucht“ werden. Und selbst wenn es im Falle von Eric Fischer unstrittig ist, dass so etwas nur mit Mühe „Mißbrauch“ zu nennen ist, ist dieser Begriff im Fall von Google Streetview immer wieder im Gespräch, obwohl auch Google nur etwas vergleichbares tut.

Ich bezweifle, dass es einen „Mißbrauch“ von Daten geben kann, ich halte diesen Begriff sogar für weit gefährlicher, als das, was er vorgibt zu bezeichnen. Wenn wir erst anfangen Regeln aufzustellen, wie man Daten richtig zu verwenden und zu interpretieren hat, dann zentralisiert man eben das, was das Internet gerade erst verteilt und demokratisiert hat. Die Deutungsmacht. In der Tat, wir sind wieder mitten drin, in dem was ich „Kontrollverlust“ nenne: das Ende der Hoheit über die Daten und was sie aussagen. Dieses Ende der Kontrolle, das dem „Mißbrauch“ (manchmal nur in Form eines einfachen Mißverständnisses) Tür und Tor öffnet, gibt dem Nutzer alle Werkzeuge in die Hand, die Daten auf seine Weise, oft auf ganz ungeahnte Weise zu verarbeiten und zu interpretieren und ja, manchmal auch gegen den Autor selbst zu richten.

Ich will nicht leugnen, dass das Probleme mit sich bringt. Ich habe das immer wieder thematisiert. Aber den „Mißbrauch“ von Daten anzugehen ist der falsche Weg, einer der uns wieder zurück führt, in Zeiten, in denen Menschen an Schaltstellen sitzen, um zu definieren, wie man einen Text „richtig“ liest, wie man mit einer Software „richtig“ umgeht, wie man einen Datensatz „richtig“ zu interpretieren hat. (Kleine Reminiszenz an Frank Rieger: ist dies nicht der Kern dessen, was der CCC immer als „Hacken“ hoch hält? Das Verwenden von Dingen entgegen der Intention ihrer Erschaffer? Kämpft der CCC nicht auch die Freiheit die Dinge (und damit auch die Daten) gegen den Strich bürsten zu dürfen? Und jetzt will er allgemeine Regeln aufstellen, als wären nicht die Verbote das Problem, sondern dass es nur die „Kompetenz“ der Hacker selber gebraucht hätte, um die „richtigen“ Verbote aufzustellen? Hallo Selbstreflektion?)

Als ich mir an anderer Stelle über das Problem des Datenschutzes Gedanken gemacht habe, habe ich den „Mißbrauch“ und dessen positive Möglichkeit explizit mit bedacht. Ich glaube, das Problem liegt nochmals tiefer. Es liegt nicht in der Interpretation, sondern in dem darauf oft folgenden „Urteil“. Urteil meint hier mehr als nur die Meinungsbildung, sondern auch das darauf basierende Handeln. Wenn Antje Schrupp wegen ihrer Scheidungsparty den Job bei einem evangelischen Pressedienst nicht bekommt, dann ist das ein Urteil. Antje wurde als moralisch fragwürdige Person (im Wertesystem der evangelischen Kirche von damals) verurteilt und als Strafe der Karriereweg verbaut.

Ich denke mir dabei zweierlei: Einerseits finde ich es gut und richtig, dass Antje es nicht bereut, die Information, auf der dieses Urteil gefällt wurde, in Umlauf gebracht zu haben. Es gibt viel zu wenig Menschen, die sich das trauen, viel zu viele, die als Duckmäuser ihre Angewohnheiten und Besonderheiten vor der Welt verstecken und sich selbst öffentlich auf Mainstream bürsten und die dadurch denen, mit denen sie eigentlich solidarisch sein sollten – die, die so sind wie sie – einen Bärendienst erweisen. Sich einem Druck zu beugen, ist verwerflich, weil es diesen Druck reproduziert – und zwar für alle. (Das meine ich übrigens mit „Sklavenmoral“ – ich werde zu diesem Begriff, der übrigens von Nietzsche stammt, irgendwann noch mal aufdröseln, weil er viele – noch viel mehr Facetten hat, als hier aufscheinen und die aktueller sind als je.)

ANDERERSEITS, so wird mir immer wieder vorgehalten und ich habe das so zu akzeptieren, hat nicht jeder den Mut, die Stärke, die Macht und die Unabhängigkeit dazu. Es braucht ein gehöriges Maß an Privilegiertheit dazu, sich freizügig zu verhalten – das ist auch ungefähr die Grundaussage von Danah Boyd. Familie, Kinder, Angewiesenheit auf Lohn und andere Abhängigkeiten sind gesellschaftliche Realitäten – und wenn man nicht die FDP ist, muss man denen Rechnung tragen, wenn man ein „Mehr“ an Freiheit will – für alle will.

Und aus diesen Gedanken heraus, habe ich mir das Konzept der Plattformneutralität (Link wird aus bekannten Gründen irgendwann nach gereicht) ausgedacht. Man sollte die Menschen nicht daran hindern freizügig mit Informationen umzugehen. Diese Freizügigkeit wird die Gesellschaft zu einer besseren machen und tut es bereits. Man wird die Menschen aber auch nicht daran hindern, Urteile zu fällen. Deswegen muss man ihnen die Macht über einander aus den Händen nehmen. Jedenfalls so weit es geht.

Darüber hinaus, glaube ich auch daran, dass mit der Freizügigkeit eine neue Schwelle der Toleranz erreicht werden kann und wird. Diese Toleranz wird nie absolut sein und sie wird immer Probleme aufwerfen aber ich glaube tatsächlich an eine gewisse Aufklärung, eine gewisses Maß und eine gewisse Macht der Aufklärung. Ich glaube, dass mehr Wissen immer mehr Gelassenheit bringt – nicht umbedingt „Verstehen“, aber Gelassenheit. Denn Angst haben wir immer nur vor dem Unbekannten.

Die allgemeine Transaktionskostenparitätshypothese

Eben bin ich bei Wirres.net vorbeigesurft und seinen Artikel über das bezahlen von Journalismus kommentiert. Mich dabei an einen Artikel von Marcel Weiß erinnert und im folgenden eine These skizziert, die ich kurz mal aufschreiben will:

Also „Mentale Transaktionskosten“ ist das Wort von Marcel, das ich so toll fand und Diplix beschreibt das – ohne es zu nennen – so:

„die überlegung „mir ist das 50 cent oder 2 euro“ wert ist meiner meinung nach schon wieder viel zu kompliziert. ich glaube 50 klicks ohne diese überlegung, dafür mit weniger gesamtertrag, sind besser als 5 klicks die am ende eines „was-zahl-ich-jetzt“-prozesses stehen.“

Also nehmen wir doch einfach mal die „mentalen Transaktionskosten“ an und nehmen dazu „Zeitaufwendungen“ und die ganzen anderen nichtmonetären Aufwendungen, die mit der Abwicklung eines solchen Geschäfts einhergehen und bezeichnen sie als die allgemeinen Transaktionkosten für das Bezahlen einer Sache.

Und nehmen wir an, wir haben einen zweiten Wert, jedenfalls bei der Information, was die Weiterverbreitung angeht, die auch Transaktionskosten verursacht.

Tja, und seit dem Internet sind die Transaktionskosten für die Verbreitung von Information auf etwa 0 gesunken. Komischerweise will seit dem keiner außer Sascha Lobo mehr für Inhalte Geld bezahlen, obwohl auch er sich heftig und deutlich über die unverhältnismäßig hohen Transaktionskosten für den bezahlten Konsum beklagt.

Könnte es also sein, dass es sowas wie ein quasiökonomisches Gesetz gibt, das die allgemeinen Transaktionskosten der Verbreitung von Information sich paritätisch zu den Transkationskosten des Bezahlvorgangs verhalten müssen, damit überhaupt bezahlt wird?

Flattr jedenfalls zeigt, dass die Leute sogar völlig ungezwungen Geld in die Hand nehmen, wenn man die Transaktionskosten der Bezahlung auf die gleiche Höhe wie die der Verbreitung setzt (= 1 Klick).

Die Musikindustrie versucht es anders herum. Sie versucht die Transaktionskosten der Verbreitung künstlich zu erhöhen, um ihre hohen Transaktionskosten auf der Bezahlseite rechtfertigen zu dürfen.

Ich stelle das mal so als These in den Raum, unfertig, skizzenhaft. Vielleicht fällt euch ja was zu ein.

Ich bin wieder da

also dort drüben, im Internetz – bei Euch. Also jetzt wieder dauerhaft. Mit neuem Handy und einer Prepaidkarte. Fragt nicht, alles furchtbar teuer, alles furchtbar aufwändig. In den USA gibt’s die guten Handys fast alle nur mit Vertrag und es ist echt schwierig, was anderes zu finden. Evo und einige andere sind nicht GSM-fähig also gar nicht zu hause sinnvoll zu benutzen und und und. In Deutschland kommt man vielleicht nur über Umwege an unlocked Phones, hier so gut wie gar nicht. Ich hab es dann doch geschafft, mit viel Recherche und noch mehr Geld, ein Desire zu kaufen, dass hier – so weit ich das sehen kann – eigentlich gar nicht verkauft wird. Aus gutem Grund, denn es unterstützt das 3G Netz von hier gar nicht. Egal, ich hab wieder etwas, wenn auch auf Edge.

Nun also Android. Ich muss ja sagen, dass ich von Anfang an Sympathien für das Androidprojekt gehegt habe. Ich muss aber auch sagen, dass mich aus dieser Welt noch nichts überzeugt hat. Das Nexus One war das erste, wo meine Augenbrauen etwas hoch gingen, aber bei der tatsächlichen Benutzung hat es dann doch enttäuscht. Das Desire ist in vielerlei Hinsicht nun etwa baugleich, also werd ich mich dran gewöhnen müssen.

Ich will jetzt hier auch gar nicht groß herum lamentieren, von verzögerten Scrollgesten und leuchtschwachen Displays. Das wurde alles schon zu genüge getan. Meine vornehmlichsten Probleme sind erst mal Ersatz für all die Tools und Programme ran zu schaffen, mir einen Überblick darüber zu erklicken, was es überhaupt so tolles gibt und auch, welche Funktionen und Einstellungen von Android wichtig sind und wie man sie einsetzt. Das alles wird noch etwas dauern, denke ich. Aber dann bin ich auch mobil wieder voll Sendefähig.

Telefonsupport

Meine verzweifelten Versuche, doch noch irgendwie an ein iPhone 4 zu gelangen, haben keine Früchte getragen. Ich werde abwarten müssen, bis der nächste Schub iPhones auch in Kanada ankommt, oder so. Bis dahin brauche ich aber ein Telefon. Und zwar ein gutes!

Leider sieht so ziemlich alles auf dem Markt neben dem iPhone ziemlich mittelmäßig aus. Zum iPhone gibt es leider weder eine Alternative noch einen Weg. Deswegen bin ich grundsätzlich offen für die Androidwelt. Kann man dann ja wieder verkaufen oder so, sobald ich an das iPhone komme.

Hier wird ja gerade das Evo gefeiert. Toller Screen und so. Allerdings soll es Akkumäßig sogar das Nexus One unterbieten. Außerdem bekommt man hier in den USA fast gar nichts ohne Vertrag – das Evo jedenfalls nicht. Das Nexus One immerhin. Das Incredible scheint das selbe in grün zu sein, aber eben auch nur mit Vertrag.

Derzeit tendiere ich also zum Nexus One und hoffe es für unter 500$ zu bekommen. Das gibt’s aber eben auch nicht überall einfach zu kaufen. Ich könnte es über Google bestellen, sofern ich eine Kreditkarte hätte. HÄTTE!

Vermutlich werde ich mal gucken, was so bei Craigslist geht. Oder habt ihr ne Idee?

Dings

So, @_jrg, @bosch, @tristessedeluxe, @_peekaboo und Konsorten: da habt ihr!

* * *

Meine Flattrrevenue ist übrigens nicht so groß, wie der von Tim (uff), aber ich finde € 58,78 für mein bisschen Bloggerei hier voll okay. – Ich sag’s doch.

* * *

Endlich, endlich, endlich haben Max und ich es geschafft, mit Strom, Mikro, Zeit und Skype zusammen zu kommen und eine neue Folge „Wir müssen reden“ aufzunehmen. Eine nette Plauderei ist das geworden.

New York per Rad

Ich bin jetzt schon über einen Monat in New York. Irgendwie ist es hier spektakulär unspektakulär. Als ich das erste Mal vor drei Jahren hier war, hat mich das zwar alles sehr beeindruckt, aber den Wunsch hier zu wohnen hat es nicht geweckt. Eher im Gegenteil. Die Stadt ist unfassbar laut und eng. Überall ist es voll, überall wird gedrängelt. Einfach unfassbar viele Menschen auf engem Raum. In Berlin liebe ich ja diese Ausdehnung, wo jede Straße so breit ist, wie sie in NY sein müßte, aber eben dort nicht sein muss.

Aber es geht. Es ist nicht so schlimm, wie ich es mir vorgestellt habe. Man gewöhnt sich an die Enge und an die Lautstärke. Man nimmt nicht mehr wahr, dass alle 5 Minuten irgendwo eine Autoalarmanlage anspringt, Feuerwehr und Polizei herum trötend durch die Gegend rasen, der L-Train mit dem Lautstärkepegel eines Maschinengewehrs einfährt und jeder sowieso überall hupt und schreit.

Dennoch fehlt irgendwie der Thrill, dieses Gefühl der Zukunft und der Weltstädtehaftigkeit von der einige Freunde befallen wurden, als sie hier weilten. Ich sehe viel Verfall und viel Dreck. Etwa so wie in Berlin, da komme ich gut mit klar. Aber wo ist bitte die Avantgarde? Ich habe sie jedenfalls nicht gefunden. Ich habe hier nichts gesehen, was ich nicht auch schon aus Deutschland kenne und das meist schlechter. Coworking ist hier vor allem eins: teurer. Das stationäre Internet ist langsamer. Die Mobilfunkprovider sind sogar beschissener, langsamer und teurer.

Gut. Die Häuser sind hoch. Das ist ein krasses Gefühl, drüben in Manhattan. Diese vertikale Definition des Raumes ist etwas, was einen tatsächlich beeindrucken kann. Aber hey, das ist auch nur eine Kulisse, nichts nachhaltiges und irgendwie sogar ein Anachronismus. Dieser Hochhauswahn wirkt heutzutage irgendwie unzeitgemäß und – ja – albern. New York ist eine Old Media City – die meisten großen Networks und die New York Times und viele andere Zeitungen sind hier. Hier wurde Fernseh- und Printgeschichte geschrieben. Vielleicht ist New York die Stadt, die die alten Massenmedien am besten repräsentiert mit diesen hohen Häusern. Die Wolkenkratzer sind Symbole für Machtkonzentration und auch für diese Hybris, die daraus resultiert zu den wenigen, auserwählten Sendern zu gehören. Höhe ist gut, wenn man senden will. Höhe ist tödlich, wenn man empfangen will. New York – zumindest Manhattan – ist Broadcast City.

Ich will nicht all zu sehr lamentieren. Natürlich macht New York auch Spass. Mir fällt es aber immer ein bisschen schwer, offen zu sein. Ich mag kein Schickimickigedöns – ergo sind die meisten Clubs hier nichts für mich. Aufgrund von behördlichen Bestimmungen kann es sein, dass man nach dem 20 Dollar Eintritt dafür Wodka All-You-Can drink bekommt. Andere behördliche Absurditäten verbieten, dass man in Kneipen tanzen darf. Dafür braucht der Laden eine spezielle Lizenz. Alles hat Vor- und Nachteile. Ich muss wohl einfach die Nachteile in Kauf nehmen und mich auf die Suche nach den Vorteilen machen und sie genießen.

Da bin ich auch schon ein Stück weiter gekommen. Ich habe mir jetzt ein Fahrrad geliehen. Fahrradfahren in der Stadt ist für mich die freiste Form der Fortbewegung. In Berlin fahre ich immer Fahrrad und habe so die Stadt sehr schnell und gleichzeitig sehr intensiv kennen gelernt. Mate, der zwei Jahre in New York gelebt und gearbeitet hat, meinte gestern im Chat, man müsse die Stadt „ownen“. Ich glaube, genau das geht mit dem Fahrrad am besten: eine Stadt zu ownen.

Als ich vor 3 Jahren hier war, habe ich übrigens gar keine Fahrräder gesehen. Ich musste richtig danach suchen – also so zwei, drei Häuserblocks abgehen, bevor ich irgendwo mal ein Fahrrad gesehen habe. Das hat sich radikal geändert. Die New Yorker sind in meiner Abwesenheit totale Fahrradfreaks geworden. Überall heizen die rum, wie die wilden. Angeblich hat die Stadt das massiv gefördert. Hat überall Radwege gebaut und Werbekampagnen gefahren. Ich finde das super.

Jedenfalls fahren die hier alle mit diesen Fixies rum. Also Fahrräder, die keine Gangschaltung, sondern eine direkte Verdrahtung von Vorderzahnrad und Hinterzahnrad haben, nicht mal einen Leerlauf. Ich kannte diese Räder schon aus Berlin und hab mich schon darüber informiert. Mir schien das immer etwas albern, vor allem weil man außer „Fahrgefühl“ keinerlei Argumente dafür hört. Hier in Brooklyn hab ich aber etwas drauf geachtet und gemerkt: Die Dinger sehen halt so richtig stylish (sorry für den Ausdruck) aus. Das sind halt nur ein dünner Stahlrahmen mit Rädern dran, sonst nichts. Das wirkt in seiner Reduktion tatsächlich sehr filigran und macht optisch ne Menge her.

Jedenfalls hab ich mir jetzt eben auch so ein Ding geliehen. Schon sehr gewöhnungsbedürftig, man muss anfangs immer ganz schön rein treten und der fehlende Leerlauf ist am Anfang sehr schlimm. Aber irgendwann geht es. Natürlich ist das nervig ohne Gang die Williamsburg Bridge hoch (uff) und ohne Leerlauf runter zu fahren (die Pedalen ratteln mit) aber so dazwischen merkt man doch, dass diese Direktheit der Übersetzung dazu führt, dass man viel präziser fahren kann. Das hat schon was für sich, aber wiegt die Nachteile meines Erachtens nicht auf. Ich will schnell fahren auf freien strecken und mich an Aufstiegen nicht so sehr abmühen. Außerdem brauche ich breite Reifen, weil ich dauernd Bordsteine rauf und runter fahren will, ohne Angst haben zu müssen mir ne 8 einzufahren.

Also gestern der erste Ausflug mit dem Rad nach Manhattan. Die Straßen sind teilweise echt schlecht, man sollte wissen, welche man auf welcher Höhe zu meiden hat. Die Fahrradwege sind nicht überall und mir ist das aber auch zu blöd, die immer zu suchen. Fahrradfahren ist für mich schließlich vor allem die Freiheit überall fahren zu können. Dadurch, dass die Fahrradfahrer in New York noch recht neues Phänomen sind, muss man doppelt so sehr auf die Autos aufpassen. Rechts an einem Auto vorbei fahren, dass gerade im Begriff ist, rechts ab zu biegen, ist keine sehr gute Idee. Nach Fußgängern wird Ausschau gehalten, als Fahrradfahrer ist man aber irgendwie außerhalb der Wertung. Überhaupt ist der Verkehr in New York unfassbar chaotisch. Die Spuren sind oft nicht ganz klar und an Ampelzeichen wird sich auch eher nur orientiert. Ein riesiges Wirrwarr und so stehen an vielen Kreuzungen trotz funktionierender Ampelanlagen zusätzlich noch Verkehrspolizisten, die den Verkehr regeln. Aber auch die ignorieren einen als Fahrradfahrer, was durchaus ein Vorteil ist.

Jedenfalls bin ich Williamsburg Bridge rüber und dann bis Madison Square Garden, was essen, dann hoch zum Central Park. Krasse Bodybuilder auf Skateboards fuhren wie mobile Statuen an mir vorbei. Ich bin bis hoch zu dem großen See, der sinniger Weise vollkommen eingezäunt ist. Keine einzige Stelle zum dranrumfletzen, sehr schade. Auf dem Rückweg dann über den Timesquare gefahren. Das ist schon krass, autonomer Teil dieses Gewusels zu sein und unter den riesigen Displays durch zu radeln. Durch diese Menschenmassen und tausenden von gelben Taxis, vorbei an einem, der lautstark „Obama Condoms“ verkauft. Schon verrückt, diese Stadt.

Zum Abschließen des Rads habe ich übrigens so eine riesige Stahlkette, die ich immer mit mir rum schleppen muss. Die wiegt gut und gerne 5 Kilo oder so und sieht grotesk monströs aus. Die hat hier so ziemlich jeder, der was auf sein Radl gibt und mir wurde versichert, dass das der einzige effektive Schutz vor den Dieben sei. Ich glaube da nicht ganz so dran. In Deutschland habe ich so ein vergleichsweise kleines, kompaktes Komponentenschloss von Asus, dass irgendwie die zweit höchste Sicherheitsstufe hat, die es gibt. Das ist auch Voraussetzung für die meisten Fahrradversicherungen. Ich weiß das zwar nicht wirklich, würde aber fast wetten, dass das genau so gut – wenn nicht besser – ist, als das Stahlmonster. Ich glaube das, weil ich die amerikanische Ingenieurskunst schon an so vielen Stellen habe bewundern können: die Formel hier ist schlicht: „Mehr“. Egal ob Herd, Kühlschrank, Autos, Trucks, Stromleitungen, Häuser oder sonst was, hier wird alles einfach immer durch Skalierung geregelt. Wenn etwas ungenügend ist, wird einfach mehr von dem ungenügenden drauf gebappt, bis es genügt. Mein Verdacht ist, dass man die Diebe hier eben auch auf diese Weise mit Stahl erschlagen will. Statt mal in die Labore zu gehen und Materialforschung zu betreiben nimmt man einfach 5 Kilo Stahl und hofft, dass die Diebe beim 2ten oder dritten aufgeben.

Ach naja. Mir geht es eigentlich ganz gut. Bin hier grade in so einem Coworkingspace in Brooklyn, während ich das schreibe. Eine nette berlinlike Charmanz hat Brooklyn allemal. Die Leute sind nett und das Wetter ist super. Heimweh habe ich auch noch keines, aber in der Stadt meiner Träume bin ich wohl auch noch nicht. Ich weiß, ich muss der Stadt noch etwas Zeit geben, die hab ich ja jetzt. Und mit dem Fahrrad hab ich jetzt auch bessere Chancen dazu.

PS: ja, mein iPhone fehlt mir sehr. Hier ist jeder dauernd connected, außer mir. Echt, fast wie eine ganze Stadt voller Twitterer, die alle immer auf ihren Screen starren. Ich will endlich wieder mit starren! 😉

Wulff’s frohe Botschaft

Heute ist Gauck nicht zum Präsidenten gewählt worden. Ich glaube, er wäre der bessere Präsident gewesen, allerdings würde ich das in Gegenüberstellung zu Wulff im Zweifel auch von einer angematschten Tomate mit angeklebten Propellerhut behaupten.

Ich habe aber vor allem auf einen Wahlsieg von Gauck gehofft, weil ich hoffte, dass dies die ungeliebte Schwarz-Gelbe Koalition vom Platz fegen würde, wie ich hier und hier ja hoffnungsfroh äußerte. Das ist jetzt nicht der Fall gewesen – ich habe mich geirrt.

Die Koalition ist jetzt seit einigen Runden bereits angezählt, viele sehen und sahen sie bereits kurz vor ihrem Ende. Vor allem auch ich. Wir alle hofften, dass die Bundespräsidentenwahl dem Trauerspiel ein Ende machen würde, weil sie die implizite und seit Wochen schwelende Vertrauensfrage endlich deutlich auf das Tapet bringen würde. Wenn Gauck gewählt worden wäre, wäre Merkel am Ende gewesen, da bin ich immer noch sicher.

Und nun ist die Situation folgende: Ja, Merkel ist immer noch – zumindest konzeptionell – am Ende, das hat das alles gezeigt. Sie hat keine Vision, sie hat keine Leute, sie hat keinen Plan und keine Inspiration. Vor allem zeigt die Wahl auch, wie unglaublich saturiert die Regierung handelt und wie wenig Gespür sie für Stimmungen und vor allem für politische Integrität besitzt. Das alles hat nur einen Haken, denn seit heute wissen wir: sie kommt damit durch.

Das ist die wirkliche Botschaft dieses dann doch noch im dritten Wahlgang durch gepeitschten Präsidenten Wulff:

„Ja, wir sind zwar am Ende, aber das ist uns völlig egal. Seht her, da seht ihr es, wir haben gewonnen, gewonnen haben wir, wir haben uns wieder mal erfolgreich durch gemogelt. HAHA, ihr kriegt uns nicht klein, unser Raumschiff hier oben ist außerhalb eurer Reichweite. Wir kommen damit durch, wie wir bisher mit allem durch gekommen sind und diesmal wissen wir es noch viel deutlicher als zuvor, nämlich, wie doll wir auf eure Meinung scheißen können.“

Ja, das ist die Botschaft, die ich daraus lese und sie bedeutet nichts gutes. Sie bedeutet eine gewisse Dauerhaftigkeit dieses Statuses, dass man sich seitens der Regierung mit ihm angefreundet hat, jedenfalls irgendwie arrangiert hat. Dass man so noch lange weiter regieren zu denken pflegt und dass wir – das Volk, der Souverän – noch eine gewaltige Durststrecke vor uns haben könnten. So kohlschen Ausmaßes, oder so.