Ich halte mich für einen freiheitsliebenden Menschen. Ja, ich halte mich sogar für einen nahezu freiheitsfanatischen Menschen. Nur bin ich mir bewusst, dass es verschiedene Arten gibt, den Begriff „Freiheit“ zu verstehen.
Es ist immer leicht, den einen Begriff der Freiheit gegen den anderen zu verteidigen. Es ist immer leicht zu zeigen, dass dieser oder jener Begriff von Freiheit „richtiger“, „wahrer“, „ursprünglicher“ oder irgendwie „besser“ ist. Ich finde das nicht schlimm, sogar einen Vorzug des Begriffs, dass er sich so verschieden auslegen lässt. „Freiheit“ ist – so weit werden sich alle einigen können – auch immer ein Diskurs. Er ist lebendig und er bleibt es, so lange der Begriff keine endgültige Festschreibung widerfährt.
Aber, bei all den Verschiedenheiten des Freiheitsbegriffs, habe ich auch einen eigenen. Einen persönlichen. Vielleicht ist es sogar zu viel, dass ich sage, dass ich ihn habe. Er ist vielmehr dabei, sich ein wenig zu entwickeln. Oder nochmal anders: ich bin gerade dabei, ihn zu entdecken oder zu verstehen.
Vor einiger Zeit schrieb ich, dass Freiheit ein Gefühl sein. Also ein spezifisches Gefühl, eines, dass man tatsächlich fühlen kann, wie man Schmerz fühlen kann, Trauer oder Freude. Im Endeffekt kam ich darauf, durch eine Selbstbeobachtung. Ich merkte dieses Gefühl und ich merkte seine Korrelation zum Ereignis der Freiheit – oder das, was ich dafür hielt.
Ich spüre aber auch – und darum soll es mir hier gehen – auch das Gegenteil dessen, was ich für Freiheit halte. Ein dumpfes Grimmen in der Magengegend. Eine sich sofort einstellende Übellaunigkeit – oft weiß man nicht sofort woher und ja, auch Aggressivität. Eine böse, aggressive Grundstimmung. Schlimm.
Es ist schwierig, das Gefühl zu beschreiben. Aber darum geht es mir nicht. Ich finde interessanter, wann mich dieses Gefühl einnimmt. Ich bin nämlich darauf gestoßen, dass ich es immer genau dann fühle, wenn ich im Begriff bin, beurteilt zu werden. Wenn ich antrete – vor allem wenn ich antreten muss, um irgendwen davon zu überzeugen, dass ich diesen oder jenen Kriterien genüge. Kriterien – und das ist wichtig, die ich als Unsinnig empfinde.
Ich habe keine besondere Prüfungsangst, das nicht. Ich bin einigermaßen prüfungsangstfrei durch die Schule und die Universität gekommen und habe auch eigentlich – wo immer Anforderungen an mich gestellt wurden – bestanden.
Es gibt aber andere Fälle. Bei dem Prozedere, dem ich mich für das US-Visum unterwerfen musste – habe ich innerlich gekotzt. Dieses mit Prüfenden Blick gegängelt werden, ist ein sehr unangenehmes Ding, vor allem wenn man darauf angewiesen ist, zu bestehen.
Hier in den USA sind fast alle Clubs und sogar viele Kneipen – so fern sie auch nur etwas hip sind – mit Türstehern versehen. Ich hasse Türsteher. Ich hasse die Situation so abgrundtief, dass ich innerlich Gewaltphantasien entwickle. Ich hasse es, wenn mir andere Menschen vorschreiben können so oder so zu sein, dass ich mich anpassen muss und absurden Maßstäben genügen muss (schicke Schuhe), um irgendwo willkommen zu sein.
Insgesamt habe ich (unbewusst) immer mein Leben danach ausgerichtet, von anderen nicht beurteilt werden zu können. Ich bin zum Beispiel kein Wettkampftyp. Das kann man als „feige“ titulieren, wenn man mag. Aber insgesamt ist eine Strategie Beurteilungen, bei denen andere den Maßstab vorgeben, aus dem Weg zu gehen.
Das setzt sich fort. Ich kann mir nicht mehr vorstellen, in einer Firma zu arbeiten, denn sofort verliert man die Deutungshoheit über sein eigenes Tun. Jede Firma ist darauf erpicht, die „Leistungen“ ihrer Mitarbeiter vergleichbar zu machen. Jeder Mitarbeiter wird sofort zum Konkurrenten und die allgemeine Facetime der Firma zum Maßstab meiner eigenen Zeitaufwendungen. Ich will mich aber nicht mit anderen in Dingen messen, die mir nichts bedeuten.
Ich verweigere mich einem solchen Rattenrennen. Überhaupt „Leistung„. Eines der Lieblingswörter der FDP. Es ist für mich eines der unfreiheitlichsten Wörter überhaupt. „Leistung bringen“ bedeutet in meinem Verständnis: sein eigenes Tun einem (völlig beliebigen) Maßstab zu unterwerfen, den andere für einen definieren. Wenn es ein Gegenteil meines Verständnisses von Freiheit gäbe, wäre die FDP nahe dran.
Ich kann deswegen die Ängste der Datenschützer schon nachvollziehen. Nichts finde ich schlimmer, als Scoring-Unternehmen oder Profiling-Agenturen, die meinen, mich beurteilen zu können, anhand von Dingen, die kaufe, wo ich wohne, aus welchem Elternhaus ich komme und wie viel Geld ich zur Verfügung habe. Aber schlimmer finde ich die Unternehmen, (Vermieter und potentiellen Arbeitgeber), die auf diese Beurteilungen tatsächlich zurückgreifen und mein Leben zum Spielball dieser Daten machen. Ich habe nichts dagegen, dass Menschen Daten über mich sammeln, ich habe etwas dagegen, dass mich Menschen danach beurteilen dürfen. Eigentlich auch nichts dagegen dass sie das tun, sondern, dass ich mich von denen beurteilen lassen muss, weil ich irgendwo wohnen muss, einen Handyvertrag brauche und Geld verdienen muss. (Das ist der Skandal und das ist es, wogegen ich mich jederzeit aufzulehnen bereit bin und weswegen ich einen Kampf für das, was ich Plattformneutralität nenne, viel wichtiger und Erfolgversprechender finde, als jede Datenschutzanstrengung.)
Der Maßstab der anderen lauert vor allem aber auch im Web.
Mir ist nicht egal, wie viele Klicks Artikel von mir bekommen, aber ich versuche es, mir so egal wie möglich sein zu lassen. Denn wenn man sich einem Quotendiktat erst mal unterwirft, wird man aufhören, die Texte zu schreiben, die man schreiben will. Ich definiere Freiheit aber genau als das: tun zu können, was man wirklich tun will, aus innerster Überzeugung, nicht, um fremden Ansprüchen zu genügen.
Ähnlich geht es mir mit Twitter. Ich habe früh erfahren, dass Twitter vollgestopft mit kompetitiven Elementen ist. Ich bin schon aus so vielen Rankings und Charts rausgeflogen, dass ich sie nicht mehr zählen kann. Ist man in sowas aber erstmal drin: Follower, Listen, Favs – kann es passieren, dass man aufhört das zu twittern, was einem wichtig ist, nur um seinen Status nicht zu verlieren. Es ist anfangs reizvoll und streichelt natürlich das Ego igendwo als „relevant“ zu gelten und ich habe auch immer so lange dabei mitgespielt, wir ich irgendwo da oben vertreten war. Aber man darf das auf gar keinen Fall irgendwie ernst nehmen. Die Zeiten ändern sich und man wird irgendwann nicht mehr dort auftauchen. Wenn man verlernt, aus Lust an der Mitteilung zu twittern, hat man was falsch gemacht.
Auch die Erwartungen an Themen, Stile und Inhalte können einen gefangen nehmen. Ich twittere zum Beispiel ab und zu gerne Dinge, die ich selber für witzige Sprüche oder sowas halte. Ich hätte aber etwas dagegen, zum Sprüchekönig zu mutieren. Ich habe größten Respekt vor dem Humor und der Kreativität eines @diktator. Aber in dem Erwartungskorsett, der durch seine Follower vorgegeben ist, möchte ich nicht stecken. Ich versuche immer das ganze Spektrum von Twitter abzudecken, dass mir wichtig ist: Links sharen, aus meinem Leben berichten, meine Leidenschaften und Ansichten teilen, Diskutieren, Informationen erfragen, Provozieren, Unterhalten und hier und da was lustiges schreiben. Jeder einzelne Posten ist mir wichtiger, als mein „Image“ oder mein „Markenkern„. Und auf meine Followerzahl schaue ich wirklich nur zwei mal im Monat!
Ja, verdammt, es stecken auch Gefahren für die Freiheit in diesen Dingen. Ich war einmal kurz davor, einen Text darüber zu schreiben, wie man damit umgeht, dass man im Web schnell in solchen solchen Massenkommunikativen Prozessen steht. Das ist nämlich alles andere als leicht, damit umzugehen. Manche hat es ziemlich aus der Bahn geworfen. Ich will hier nur kurz auf Christian Spannagel eingehen, der irgendwann aus völliger Ich-Erschöpfung all seine Social Media Aktivitäten aufgab. Digitaler Selbstmord, wie man das ja heute nennt. Er brach zusammen, aber nicht weil er süchtig wurde nach neuen Follower oder Favs, sondern weil er die Hoheit über sein eigenes Kommunikationsverhalten verlor. Er beschreibt sein vormaliges „Ich“ als „Hub“; als jemand, der wie ein Relay Informationen filterte und weiterleitete. Das ist etwas, an dem man zerbrechen kann. Nicht an der Tätigkeit selbst, sondern an dem Erwartungsdruck, die ein solches Selbstbild vermittelt. Die Follower und Friends mutieren – zumindest im Kopf – zu enttäuschten Massen mit herunter gezogenen Mundwinkeln, wenn man seiner Aufgabe als „Hub“ nicht nachkommt. Ist natürlich Quatsch, aber wenn man erst angefangen hat, Erwartungen zu erfüllen, kann man sich da schnell rein steigern. Deswegen muss man immer Herr darüber bleiben, wann und wo und wie und mit wem man kommuniziert.
Manche Menschen werfen mir mein Kommunikationsverhalten vor. Ich sei arrogant, heißt es, weil ich nicht oder selten auf Replies reagiere. Vielleicht stimmt das. Vielleicht bin ich arrogant. Aber ich glaube, dass man eine gewisse Arroganz braucht, um sich im sozialen Netz nicht zu verschleißen. Es darf keine Automatismen geben, jede Kommunikation braucht eine Entscheidung. Mein Ideal ist es, immer und überall der Souverän meiner Kommunikation zu sein. Dass mich zum Beispiel per Twitter jeder zu allem anquatschen kann, heißt nicht, dass ich darauf dann auch reagieren muss. Ich reagiere, wenn ich Zeit und Lust dazu habe, nicht weil ich mich dazu verpflichtet fühle. Ich sträube mich auch dagegen, Regeln dafür aufzustellen. Regeln, denen ich mich danach selbst unterwerfen müsste. Die Unfreiheiten lauern an jeder Ecke.
Und dann gibt es noch das eigene Image. Man ist sehr schnell in dem definiert, was man tut. Man sagt dies und das und gilt sofort als Derjenige der. Ich liebe es deswegen Erwartungen zu brechen. Ich muss immer wieder die Ansprüche an mich „trollen“, ich muss immer wieder Menschen enttäuschen, überraschen und vor den Kopf stoßen. Immer wenn irgendwer ein bestimmtes Bild von mir hat, spüre ich den Wunsch es zu durchbrechen. Ich lasse keine Schublade für mich gelten. Menschen sind nicht so einfach gestrickt.
Rollen, Status, Image und die Erwartungen dritter sind die Feinde dessen, was ich als Freiheit verstehe. Die Marke „mspro“, sie möge brennen – in den buntesten Farben.
Man muss aber aufpassen. Wenn man anfängt, immer Ansprüchen nicht zu genügen, nur um Ansprüchen nicht zu genügen, wird man in der spiegelverkehrten Unfreiheit enden, der man entkommen wollte. Es kann erfrischend und hilfreich sein, bewusst Maßstäbe zu unterwandern und Erwartungen zu brechen. Wenn man es aber aus Prinzip tut, dann steckt man schnell in der selben Tretmühle, nur dass sie sich in die andere Richtung dreht. (Überhaupt sollte man nichts aus „Prinzip“ tun.)
Freiheit ist für mich, die Freiheit die Kriterien meiner Beurteilungen selbst aussuchen zu können. Deswegen mache ich fast alles, was ich tue, außerhalb der Wertung. Alles muss neu sein und ich hasse Redundanz. Wenn ich Dinge tue, die jemand schon vor mir getan hat, vergleiche ich mich mit dem anderen. Ich habe nie einen Sinn darin gesehen, Klassenbester zu sein. Klassenbester ist etwas völlig austauschbares. Sollen andere „gut“ sein, in dem, was sie tun, ich vergleiche mich nicht mit ihnen. Nur dann, wenn ich etwas Neues schaffe, eine neue Idee oder eine neue Art ein Problem zu betrachten fühle ich mich frei. Frei von der Wertung, weil es nichts gibt, dass man damit vergleichen könnte.
Das Neue ist für mich der Inbegriff und der Weg zur Freiheit, denn das Neue ist das einzige, zu dem es noch keine Maßstäbe gibt.
Walter Benjamin hat mal gesagt, dass das jedes große Werk sein eigenes Genre schafft. Es schafft also erst die Kategorie, die einen Vergleich zwischen zukünftigen Werken überhaupt ermöglicht. Doch niemals werden sie sich mit dem Initialwerk messen können. Mögen die kommenden Werke des Genres noch so gut sein, das genreschaffende Werk, wird immer außerhalb der Wertung laufen. Fuck you!
Wenn ich diesen, meinen Freiheitsbegriff in kantscher Vermessenheit zum Maßstab und Gesetz erheben dürfte, so würde ich die Vergleichbarkeit grundsätzlich abschaffen wollen. Ich würde das ganze Firma, Genre, Leistungdings einfach in die Tonne treten. Ich würde die Quantifizierung der Welt und er Menschen durchbrechen und die Menschen dazu erziehen, sich nicht mehr vergleichen zu wollen, sondern sich immer nur selber als Maßstab zu setzen.
Und wenn das alles nicht klappt, würde ich immerhin noch die Plattformneutralität einführen. Als Schutz gegen aufgezwungene Beurteilungen und für ein Grundrecht auf den Mittelfinger.