Gestern war ich auf einer merkwürdigen Veranstaltung. Organisiert war sie vom SuMa e.V. was irgendwie ein Verein für oder gegen Suchmaschinen ist, so genau wurde mir das nicht klar.
Jedenfalls war da ein Pannel, auf dem viele Leute saßen, die ich kenne und schätze unter anderem Christoph Kappes, Linus Neumann und Christian Heller. Es sollte um Pseudonymität und Anonymität in Sozialen Netzwerken gehen, was nur zum Teil klappte. Zwar hat Christian Heller eine ausformulierte Meinung zur Pseudonymitätsdebatte aber die war Konstantin von Notz herzlich egal, weil er Christian – stellvertretend für die Spackeria – mal ordentlich die Meinung geigen wollte. Wegen Postprivacy und so. Neben dem üblichen Bla um die „menschliche Würde„, einem lustigen Tea-Party-Vergleich und dem obligatorischen Satz: „Wo kommen wir denn da hin!?!“ hat er aber auch etwas interessantes gesagt: er nannte Christian Heller einen „Realo“ unter den Spacken. Ich lachte hart.
Nun ist es nicht jedem gegeben einen tieferen Blick in die durchaus verwirrende Heterogenität der Spackeria geworfen zu haben – Christian ist in Wirklichkeit der radikalste und utopistischste Vertreter der Spackeria – aber alleine diese Kategorisierung ist aufschlussreich. Notz, der bei den Grünen ist, scheint unwillkürlich die Flügel seiner Partei auf alles draufzudenken, was ihm unterkommt. Und da Christian anscheinend durchaus Pseudonyme befürwortet, ist er ja vielleicht gar nicht so radikal wie die anderen. Oder?
So einfach ist das ja aber nicht. Dort Privatsphäre, da Öffentlichkeit, da Datenschutz, hier Spackeria, hier Identität, dort Anonymität, dort ist Fundi-Spacko, hier Realo-Spacko. Das Konzept der Dualität zieht sich durch den Begriffshorizont eines durchschnittlichen Politikers eben sehr konsequent. Aber eben nicht nur durch seinen.
Ich war jetzt das vergangene halbe Jahr in dem iG Collaboratoy – einem temporären Thinktank von Google – eingebunden. Es war die 4. Initiative, die sich mit „Privatheit und Öffentlichkeit“ beschäftigt. Es war toll, weil ich wirklich interessante Menschen kennen gelernt habe. Aber thematisch war es mehr so meh. Immer wieder verstiegen wir uns in Privatsphäre- und Datenschutzdiskussionen und selbst wenn wir uns bemühten, bekamen wir keine Debatte über Öffentlichkeit hin. Das größte Problem war dann auch die Grenze zwischen privat und öffentlich, Informationeller Selbstbestimmung und Fremdbestimmung, um Sphären, Rollen, Modelle und Deltas zu ziehen. Kurz: Am Ende bin ich zu der Einsicht gelangt, dass die ganze Begriffsdualität von Privatheit und Öffentlichkeit Mist ist und das Denken blockiert.
Das Internet tut so etwas. Oft. Es dekonstruiert die ganzen Begriffsoppositionen. Es zeigt, dass es alles viel komplexer ist, als das eine und sein Gegenüber. Es macht die Inkohärenzen in unseren Diskursen sichtbar.
Das selbe steckt auch hinter der öffentlichen Debatte über die Piraten. Die einen sagen, wenn die Piraten nicht links sind, dann sind sie rechts! Bov sagt, wenn die Piraten nicht links oder rechts sind, dann sind sie nur „Schweinesystemadministratoren“ (hihi). Wenn man das Programm der Piraten nicht in die gängigen Schemata einordnen kann, dann sind sie eben die neue FDP. Oder, oder, oder. Ich find es ja eigentlich nur noch lustig, wie unendlich hilflos die Dualdenkmenschen vor dem Phänomen Piraten stehen und von Strohhalm zu Strohhalm greifen.
Das Internet – ich behaupte das immer wieder – erhöht die Komplexität der Welt radikal. Für die Leute, die gelernt haben mit dieser Komplexität zu leben, sind die dualen Denkmodelle viel zu unterkomplex. Sie treffen nicht den Kern und gehen an der Sache auf sehr grundlegende Weise vorbei. Immer wenn die Komplexität aus dem Internet auf die Welt des alten Denkens in klaren Dualismen trifft, gibt es extreme Verständigungsprobleme.
Es ist ein bisschen so, wie mit Leuten zu reden, denen eine Dimension fehlt. Als würde man von einem zweidimensionalen Strichmännchen beschimpft, was man denn da mit dem blöden Kreis mache. Dann versucht man ihm das Konzept „Ball“ zu erklären und es sagt: „Pah, solche Kreise hatten wir 68 auch schon!“ Und dann sagst man ihm, dass ein Ball schon noch etwas ganz anderes sei und dass man ihm das jetzt nicht so einfach erklären könne. Es solle doch mal rüber kommen in die Welt mit der dritten Dimension und den Ball ausprobieren. Und dann macht es das vielleicht und findet den Ball immer noch nicht so gut. Der Kreis sei ja fürchterlich dick und bestimmt gefährlich!