Vortrag: Über das Lesen im Digitalen

Wie angekündigt habe ich für das Literarische Colloquium Berlin einen Vortrag über das Lesen im digitalen Zeitalter gehalten. Hier die ausformulierte Rede.

Ich bin hier eingeladen als der Vertreter der digitalen Generation. Und als dieser habe ich zunächst eine gute Nachricht für Sie. Ich lese heute mehr denn je. Eigentlich mache ich fast gar nichts anderes mehr.

„Das sind doch gute Nachrichten für die Zukunft des Lesens!“ wird der eine oder andere sagen. Aber ich will Ihnen gleich etwas gestehen. Ich gehöre nicht der vielzitierten Generation der „digital Natives“ an. Deswegen kann und will ich meine Erfahrungen an dieser Stelle nicht als repräsentativ für eben jene Generation verstanden wissen. Was die digital Natives mögen, oder nicht mögen, finde ich zum teil selbst schwer verständlich, obwohl ich mir auch Mühe gebe, da Einblick zu finden.

Mein Blick ist also nicht der, eines mit dem Internet selbstverständlich Aufgewachsenen. Meine Perspektive ist vielmehr die, eines „digital Imigrants“, eines Zugezogenen, wie man in Berlin sagt. Meine Jugend spielte sich hauptsächlich analog ab. Ich kann von mir sagen, dass ich das Analoge und die analog geprägte Welt noch bewusst mitbekommen habe und erst mit der Zeit mehr und mehr in das Digitale emigrierte, aber dann doch recht vollständig emigrierte.

Als Jahrgang 77 spreche von mir lieber als Teil der „Achsengeneration“. Die Achsengeneration ist es, die beide Welten kennt. Es ist die Generation die vergleichen kann. Wir gehören zu den wenigen, die wirklich verstehen lernen mussten, was sich alles verändert hat, wir haben den Monolithen dieses Paradigmenwechsels vor Augen geführt bekommen wie keine andere Generation vor uns und erst recht nicht nach uns. Das versetzt uns in die Lage und die Verantwortung eines Scharniers zwischen den Welten, der digitalen und der analogen.

Ich werde in meinem Vortrag also versuchen, die Bruchlinie zwischen diesen Welten abzuschreiten, so wie sie mir passierte und wie sie sich für mich ausgewirkt hat. Vieles davon lässt sich wohl nicht verallgemeinern, aber eventuell schaffe ich es dabei Denkanstöße über das Wesen dieses Bruches zu geben.

Das Mentale Exoskelett

Als Kind habe eigentlich nicht besonders viel gelesen. Das Lesen für die Schule fand ich meist langweilig, die Texte interessierten mich wenig. Erst nach dem Abi wurde mein Lesehunger geweckt. Dann, als ich endlich ohne schlechtes Gewissen meine Lektüre selbst auswählen konnte. Und ich wählte vor allem Sachbücher.

Für mein Studium der Kulturwissenschaft war ich gezwungen, sehr viele Texte, sehr intensiv zu lesen. Ich lernte die Kritik, die Hermeneutik, die Dekonstruktion kennen. Lesen bekam für mich ganz neue Dimensionen. Mein Bücherregal wuchs und wuchs und wuchs. Denn im Gegensatz zu vielen meiner Kommilitonen kaufte ich mir einen Großteil der Literatur, die ich las. Nicht, weil ich viel Geld gehabt hätte oder gar einen Sammlertick. Vielmehr war es so, dass ich fühlte, dass das Wissen des Buches verloren geht, wenn es für mich nicht unmittelbar erreichbar bleibt. Lesen war für mich von Anfang an auch etwas materielles. Das geht mit einer bestimmten Vorstellung der Funktion des Lesens einher. Eine Vorstellung, die ich sicher schon damals hegte, die mir aber erst später bewusst wurde und die ich hier kurz erläutern möchte:

Wenn ich ein Buch lese, nehme ich zwar auch Wissen auf. Diese Wissensaufnahme ist bei mir aber nie von nachhaltiger Natur gewesen. Meist waren die Fakten, Sätze und Ideen von denen ich las bereits nach kurzer Zeit wieder vergessen. Dennoch kam mir das Lesen nicht unnütz vor, denn etwas zweiteres, viel wichtigeres geschah außerdem: Ich kartographierte. Wenn ich ein Buch lese, weiß ich auch viele Jahre später noch, welche Themen, Beispiele und Fakten sich in ihm versammeln. Und bereits nach kurzem Durchblättern kann ich auf dieses Wissen wieder zugreifen. Ich erstelle also quasi einen internalisierten Index des Buches. Deswegen war mir schon damals das Besitzen der Bücher so wichtig. Wenn ich zwar noch weiß, in welchem Buch ich welche Information finde, ich aber erst das Haus verlassen muss, um das Buch erst aufwändig in einer Bibliothek zu suchen, bringt mir das Gelesenhaben nur wenig. Es braucht eine gewisse Unmittelbarkeit in der Interaktion mit dem externen Wissen.

Versteht man den Nutzen des Lesen wie beschrieben, folgt daraus auch ein anderes Verhältnis von Leser und Gelesenem. Ich glaube nicht daran, dass es wirklich sinnvoll ist, Wissen in sich aufzunehmen. Ich will mich viel lieber mit ihm vernetzen. Meine Bildung endet nicht an meiner Schädeldecke sondern erstreckt sich auch auf mein Bücherregal. So wie sich das mentale Modell meines Körpers um mein Auto erweitert wenn ich es einparke, erweitert sich auch das mentale Modell meines Geistes, wenn ich unmittelbaren Zugriff auf externe Wissensressourcen habe. Ich nenne diesen Zustand mein „Mentales Exoskelett„.

Der Link

In der Nachabi-Zeit hatte ich ein SPIEGEL-Abo. Schnell stellte ich aber fest, dass mein Archivierungsbedürfnis mit dem Zustrom an Papier nicht mithalten konnte. Die Papierberge stapelten sich und im Gegensatz zu den Büchern wollte mir das Indizieren nicht so recht gelingen. Ich bestellte den Spiegel ab. Wie später auch die Süddeutsche und die c’t.

Im Netz lernte ich den Link kennen, die so genannte URL. Der Unified Resource Locator hielt in den meisten Fällen, was er versprach. Man sammelte URLs in seinen Bookmarks, später bei social Bookmark-Diensten. Mein Mentales Exoskelett wucherte nun unabhängig von den räumlichen Gegebenheiten meines Bücheregals im Internet weiter und weiter. Noch heute empfinde ich es als Körperverletzung minderer Güte, wenn einer der von mir erfassten Artikel depubliziert wird.

Lesenschreiben

Die echte Immigration ins Netz passiert aber nicht durch das Lesen. Sie passierte bei mir 2005, als ich selbst anfing in das Internet reinzuschreiben. Ich bin Blogger. Ich teile meine Gedanken und Ideen online mit allen anderen. Ich spinne ein Netz aus Artikeln, die hinter Links erreichbar sind und bleiben. Es sind Anknüpfungspunkte an mich selbst, die mich im Netz auch in meiner Abwesenheit repräsentieren. Sie sind ein Heim, eine Stätte, der Ort an dem ich mich einrichte.

Seit ich im Internet lebe, kann ich nicht mehr vom Lesen als eine in sich abgeschlossene Tätigkeit sprechen. Mein Lesen ist zu einem Lesenschreiben geworden. Jeder gelesene Text, der auf die eine oder andere Weise einen Unterschied macht, endet in einer Veröffentlichung. Das muss keine aufwändige Replik sein, aber schon ein kommentierter Link auf Twitter, manchmal ein Blogpost oder nur ein Eintrag in den Bookmarkdienst. Das Gelesene wird eingewoben in das Spinnennetz meines externalisierten Bewusstseins.

Wenn jemand einen meiner Artikel kommentiert, vibriert mein Smartphone. Mein Mentales Exoskelett bediene ich zum großen Teil über dieses Device hier. Es bindet mich mit einer ungeahnten Unmittelbarkeit ein, in die Mentalen Exoskelette der anderen und sie in meines. Man kann in gewissem Maße durchaus von einer Auflösung der Persönlichkeit sprechen, denn wenn man das Internet von heute auf morgen abschalten würde, wäre ich auf einen Schlag dumm wie Brot.

Bücher

Ich lese auch Bücher auf meinem Smartphone, neuerdings aber vor allem auf meinem Kindle. Aber es hat sich einiges verändert. Ich lese seltener Bücher und das hat nur in geringem Maße mit Faulheit zu tun. Bücher, das ist die schmerzhafte Erkenntnis, sind zum großen Teil inhaltlich und rhetorisch aufgeblasen. Es wird meistens eine These verhandelt, die auch in einen Blogpost gepasst hätte. Der Rest ist Redundanz und die Anhäufung von Anekdoten und Referenzen zur Untermauerung der These. Das Buch verdankt seinen Umfang meinst eher der Form (Wer würde schon ein Buch mit unter 100 Seiten kaufen?), nicht der inhaltlichen Notwendigkeit.

Das sieht man auch daran, dass das E-Book auch als Form neue Wege geht. Die E-Books, die nicht mehr über einen Verlag erstellt und vertrieben werden, sondern beispielsweise von Amazon, pendeln sich auf eine durchschnittliche Länge von 60 – 80 Seiten ein. Nicht ganz ein halbes Buch, aber doch deutlich länger als ein Hintergrundartikel in einer Zeitung. Das Internet kennt keine Platz- oder Druckökonomischen Notwendigkeiten. Hier sind alle Format- und Preisstrukturen denkbar.

Klar, hat sich auch meine Aufmerksamkeitsspanne verringert. Aber vor allem meine Geduld. Ich bin kritischer geworden, in welche Texte ich meine Zeit investiere. Die Parameter Gedruckt/Online, sowie Verlagsnamen taugen aber schon lange nicht mehr als Qualitätkriterien. Das Angebot zu lesender Texte ist viel reichhaltiger geworden, denn ich habe mich längst daran gewöhnt, auch englischsprachige Texte zu lesen. Die Hälfte meines Lesekonsums ist auf englisch und es wäre ein absurder Gedanke für mich, bei einem frisch erschienen Sachbuch auf die deutsche Übersetzung zu warten.

Öffentlichkeit

In meiner Tätigkeit als freier Publizist kommt es auch vor, dass ich angefragt werde, Texte für Zeitungen und Magazine im Print zu schreiben. Dafür gibt es dann immer vergleichsweise viel Geld und deswegen mache ich das durchaus gerne. Das Problem ist aber, dass ich, sobald der Text endlich erschienen ist (das dauert im Print ja auch immer …) nicht das Gefühl habe, dass er wirklich veröffentlicht ist.

Mein Begriff von Öffentlichkeit hat sich verändert. Öffentlich ist, was einen Link hat. Ein Text ist öffentlich, wenn jeder, der ihn gut findet, darauf hinweisen kann und jeder, der ihn schlecht findet ihn kommentieren und kritisieren kann. Öffentlich ist, was man vernetzen kann, mit dem eigenen mentalen Exoskelett, mit anderen Diskurse, mit den Diskursen des Anderen. Rein Gedrucktes ist immer nur das Privatvergügen einer eng abgrenzbaren Gruppe. Ich lege deswegen schon länger Wert darauf, dass meine Texte entweder auf den Webseiten der Magazine selbst veröffentlicht werden, oder mache es selbst.

Selbst wenn ich „nur gedrucktes“ lese, fühle ich mich bereits eingeengt, im Wissen, dass ich das Gelesene nicht öffentlich teilen und kommentieren kann. Ein unangenehmes Gefühl, dass mir allein dadurch die Freude am Text verleidet. Das Bewusstsein, Wissen jederzeit referenzieren zu können, wertet dieses Wissen auf.

Bücher zu Wissensgeflechten

Ich habe mal getwittert:

Ich bin heute anders informiert. Aktueller, punktueller, umfassender und genau so tief, wie ich es zulasse. Ich kann mich eigentlich nicht beklagen und würde das Heute ungern gegen das Gestern eintauschen. Als Teil der beschriebenen Achsengeneration sehe ich es aber auch als meine Aufgabe, hier eine Forderung zu formulieren:

Ich weiß um die intellektuellen Schätze, die in den Büchern gespeichert liegen, denn ich hatte eine Phase, in der ich einen Einblick erlangen konnte. Es ist hinderlich für mich und meine Generation, dass wir dieses Wissen nicht in die Wissensgeflechte einbinden können. Der Umgang mit gedruckten Wissen erfordert aus unserer Sicht einen Overhead an unnützen Transaktionskosten – und auch tatsächlichen Kosten. Wir wollen dieses Wissen aber, wir brauchen dieses Wissen.

Ich bin der Überzeugung, dass das Wissen, dass heute in den Büchern schlummert im Netz zu neuem Leben erwachen würde. Es steht der kommenden Generation zu und sie will es in den Infrastrukturen abrufen können, die sie für besser hält. Es muss digital sein und für alle zugänglich. Das kostet nicht allzuviel. Google hat das eine Zeitlang so nebenher gemacht: Bücher digitalisiert. Aber die Verlage liefen Sturm, das Projekt stockt, vor allem was deutschsprachige Bücher angeht. Auch das Gutenbergprojekt, dass gemeinfreie Texte zugänglich macht ist ein wichtiger und lobenswerter Schritt. Aber wir brauchen auch die Literatur der letzten 100 Jahre und die ist größtenteils noch mit dem Fluch des Urheberrechts belegt. Hier braucht es dringend eine Reform, denn es wäre schade, wenn die vielfältigen ineinander greifenden Gewebe von mentalen Exoskeletten, die wir langsam anfangen als „Wissensgesellschaft“ zu erkennen, einen blinden Fleck entwickeln, der den kommenden Generationen dieses reichhaltige Potential vorenthält.

Danke.

so dies und jenes

In letzter Zeit passiert nicht so viel bei mir, deswegen sind die „Was ich alles so gemacht habe“-Posts weniger geworden. Ich hoffe, das ändert sich bald. Aber für einen Post hier hat es die letzten Wochen dann doch gereicht:

1. Vor einigen Wochen habe ich eine sehr lange Rezension zu dem neuen Buch von Frank Schirrmacher Ego geschrieben. Obwohl ich darin sehr viel Arbeit investiert habe, habe ich die Rezension extra nicht für ein bestimmtes Medium, sondern mit Absicht für den ctrl-verlust verfasst, einfach um sehr ausführlich und sehr frei schreiben zu können. Wer sie noch nicht gelesen hat, sei sie hier empfohlen.

2. Vor noch viel längerer Zeit (letzten September) habe ich für das Magazin Max Jospeh einen Text über Übersetzung geschrieben. Die Vorgabe war, irgendwas mit Übersetzung/Vielstimmigkeit und Twitter zu schreiben. Meiner Meinung nach treffen sich diese beiden Phänomene im Mem, hier speziell im Twittermem. Also habe ich versucht, den guten alten Walter Benjamin für das Thema urbar zu machen. Für mich darüber hinaus auch eine Gelegenheit mal wieder einen Text auf twitkrit zu platzieren.

3. Vor ein paar Wochen hat mich Alexa Schaegner von politik-digital für ein Portrait interviewt. Das ist jetzt erschienen und ist sehr schmeichelhaft gut geworden. Seitdem spricht mich jeder an: „Du bist in Wolfsburg geboren? Wusste ich ja gar nicht!“. Doch, bin ich. So steht es auf meinem Perso. Aber seit meiner Geburt war ich nie wieder in Wolfsburg und kenne auch nur die Aussicht auf das VW-Werk aus dem ICE-Fenster.

4. Zuletzt eine Ankündigung. Am 12. April ab 14:00 findet die Veranstaltung „Kulturen des Lesens“ statt. Die Veranstaltung ist im LCB am Wannsee und es wird darum gehen, wie das Lesen sich für Autoren und Wissenschaftler verändert hat. Ich werde dort auch einen 20minütigen Vortrag über die Genese meines eigenen Leseverhaltens halten und danach mit dem Schriftsteller Thomas Hettche sprechen. Eintritt ist frei.

rp13: Why we fight (each other)

Passend zum aktuellen WMR verblogge ich mal meinen abgelehnten re:publica 13 Talk. Einerseits, weil es eine Blogparade dazu gibt, andererseits, weil morgen wieder Sonntag ist und ich sonst 5 Euro in den Ironbloggertopf werfen müsste:

Why we fight (each other)

Insbesondere seit letztem Jahr fällt auf: Aus den Shitstorms gegen Nestlé, Zensursula oder Jack Wolfskin ist endgültig ein dauerwährender Shitstorm der Internetszene gegen sich selbst geworden. Egal ob FeministInnen, PiratInnen, FlauschistInnen oder KlotürlobbyisInnen und auch ganz egal wie gering der Anlass ist: ein einziges Gezanke, Gezeter und Gepöbel durchzieht das Netz.

Doch woran liegt das? Ist es, weil das Netz kein Außerhalb mehr kennt? Ist es die Kommunikationsstruktur auf Twitter? Oder ist es vielleicht ein viel tieferliegender, grundsätzlicher Bruch, der sich durch das Internet und dessen exzessive Nutzung ereignet hat? Strebt die Gesellschaft nun ihrem Hitzetod durch Reibungswärme entgegen?

Ich habe im Laufe des letzten Jahres einige Theorien dazu gehört und mir auch ein paar eigene Gedanken dazu gemacht, die ich gerne vorstellen würde. Als Bonus gibt es noch einige Ideen und Strategien, wie man den Konfliktallbrand zumindest eingrenzen kann.

Ich habe vergessen wo vorn ist

Es ist irgendwie lustig, dass die vor kurzem aufflammende Diskussion um „Zensur“ auf Facebook (zb. Herr Urbach, Antje Schrupp), auf eine gewisse Art zurückschlägt. Und zwar in der Folgedebatte um das Leistungsschutzrechtsdebakel.

Sascha Lobo hat nämlich recht. Wir – also die aktiven Gegner des Leistungsschutzrechtes – sahen ziemlich scheiße aus. Wir schäumten und schrieben und tobten – doch schon einen Meter weiter war das nur noch als leises Zischen zu hören, wie eine Brausetablette im Wasserglas.

Dabei sprangen wir Anfang 2012 doch noch so formvollendet mit Hunderttausenden über den ACTA-Hai! Wir stoppten ein ausgewachsenes internationales fucking Handelsabkommen!

Blöderweise waren das aber gar nicht wir. Das waren die Kids, die Youtubegeneration. Wir – die netzpolitisch Dauerbewegten – waren da eher eine Randerscheinung. Klar, die „Digitale Gesellschaft“ ein Bündnis aus Piraten, Anons, Digiges und Hedonisten hat das ganze organisatorisch gewuppt. Aber mobilisiert haben andere.

Sascha beklagt, dass es in Sachen Leistungsschutzrecht nicht gelungen sei, diese jungen Leute abzuholen. Es gibt keine Vernetzung zu den Videobloggern, deren Reichweite alles in den Schatten stellt, was in Blogs und auf Twitter so zu finden ist. Insgesamt ist es nicht gelungen das Problem mit dem Leistungsschutzrecht meiner Mutter, meinem Vater – niemandem außerhalb unserer kleinen Filterbubble verständlich zu machen.

Während der ACTA-Proteste habe ich ein Experiment gemacht. Ich habe einen Artikel geschrieben über ACTA, der sich nicht an „uns“ richtet, sondern an alle anderen. Ich stellte den Text auf Facebook und verbloggte ihn hier und er fand rasenden Absatz zusammen fast 2000 Likes und 500 Tweets vereinte er auf sich, wurde massenhaft kopiert und sogar auf Flugblätter gedruckt.

Ich würde heute sagen, dass das Experiment ein Erfolg war, obwohl da sicher noch viel mehr gegangen wäre. Wenigstens gelang es mal einen Text außerhalb unserer Filterblase zu platzieren. Das ist selten. Aber auf Facebook gibt es Pages mit vielen Millionen Abonnenten, auch in deutscher Sprache. Youtube, Facebook, Tumbler. Ob wir es wollen oder nicht: Dort findet die Öffentlichkeit statt. Wenn man unsere größten Blogs – Netzpolitik, Fefe, Hastenichtgesehen – daneben stellt, befindet sich unsere Relevanz im gerade noch messbaren Bereich. Wenn Spiegel Online mal gerade nicht über uns berichtet, sind wir Scheinriesen, deren Wirken praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet.

Die digitale Welt dreht sich schnell und während wir diese Aussage immer dann für eine Binse halten, wenn wir sie auf die „die Anderen (TM)“ anwenden (Verlage und Kulturindustrie), merken wir nicht, wie wir selbst den Schuss nicht gehört haben. Wir predigen Blogs auf selbstgehosteten Webspaces laufen zu lassen, weil das eine gute Idee war, als wir 2005 das Netz für uns entdeckten. Wir merken gar nicht, wie wir Christoph Keese immer ähnlicher werden, wenn wir voller Entrüstung einen Bestandsschutz für den Google Reader fordern, als ob die Zukunft der Demokratie daran hinge.

Es wird Zeit, dass wir mal unsere eigene Narrativ-Mottenkiste entrümpeln. Und dazu gehört nun mal auch, Technologien zum Abschuss frei zu geben, die sich nicht durchgesetzt haben. Der Schritt zurück war noch nie einer in die Zukunft und ich sehe nicht, warum sich das ausgerechnet im Web geändert haben sollte.

Und dazu gehört auch Twitter. Auch wenn wir die ersten dort waren und dort immer noch eine gemütliche Nische bewohnen, ist Twitter nicht das, was wir glauben, was es ist. Twitter ist keine Brüllstube für Piraten oder Diskussionsplattform für Nerdbesserwissereien. Auf Twitter werden auch keine Links geshared oder News konsumiert. Auf Twitter ist man entweder Rockstar oder Fan. Die einen sagen „pups“ die anderen schreien virtuell die Bude voll. Das ist Twitter und alles andere – also wir – sind dort kaum wahrnehmbare Randphänomene. Wen interessieren da bitte fucking API-Zugriffsbeschränkungen?

„Netzgemeinde“ ist auch deswegen der richtige Begriff für uns, weil es das provinzielle und selbstbezogene dieser unserer Filterblase zum Ausdruck bringt. Wir sind ein kleines, verschlafenes Bergdorf, das nicht mal mitbekommen hat, dass die Dampfmaschine längst erfunden wurde.

Having rant that …

langweilt mich jeder, der in die „Zurück zur eigenen Infrastruktur“-Tröte pustet genau so, wie die Leute, die behaupten, dass die Facebook-Zensur keine solche sei, weil dafür irgendwo das Wort „Staat“ vorkommen muss. Facebook ist die derzeit wichtigste digitale Öffentlichkeit und deswegen ist es eben doch ein Eingriff in die Meinungsfreiheit, wenn Facebook bestimmen darf, was gesagt werden darf und was nicht.

Was tun? Ich sehe 4 Alternativen, mit diesem Zustand umzugehen:

1. Man glaubt weiterhin, dass sich Blogs/RSS/Atom dereinst durchsetzen werden. Man wirbt dafür, dass die Leute sich eigenen Webspace mieten, um mit ihrer WordPress-Installation ihre Inhalte selber zu kontrollieren.

Einwand: Ja nee, is klar. (siehe oben)

2. Man ignoriert die Menschenmassen auf Facebook und anderen geschlossenen Diensten und ist sich einfach selbst genug. „Wenn die anderen zu doof sind, das freie Web zu schätzen, ist das ja nicht mein Problem!“

Einwand: Verbitterung als verschrobene Tech-Elite und das Versinken in der politischen Bedeutungslosigkeit sind quasi vorprogrammiert. (Auch „Fefeisierung“ genannt.)

3. Man gibt den Kampf auf, kündigt seinen Webspace und bloggt einfach auf Facebook weiter. Freies Web, schmeies Schweb. War vielleicht doch alles ne doofe Utopie, die keiner braucht?

Einwand: Die Machtkonzentration der Konzerne über die öffentliche Meinungsbildung könnte schon bald unangenehme Ausmaße annehmen.

4. Man kämpft auf Facebook für Plattformneutralität. Wenn Facebook eine nicht offene, aber extrem populäre Inftrastruktur ist, dann machen wir sie eben zur offenen, populären Infrastruktur. Wir lobbyieren bei Facebook für die Öffnung der Plattform für Standards, etc. und kämpfen für Meinungsfreiheit und demokratische Prozesse.

Einwand: Hat ja schon bei Twitter und Google so super geklappt. NOT!

Fazit

Ganz ehrlich, ich bin derzeit etwas ratlos. Mir gefällt keine der aufgezeigten Alternativen. Ich würde gerne vorankommen, aber ich weiß nicht mehr wo das ist. Ich will nicht der schimpfende Alte sein, der seine Tech-Vision von vor 8 Jahren verteidigt. Ich will aber auch nicht der sein, der den Gedanken an das freie Web aufgibt. Ich würde auch kämpfen, aber wenn, dann nur nach vorn. Aber wo ist vorn? App.net? Ich weiß ja nicht.

Relaunch – kind of

Es war mal wieder Zeit für etwas Veränderung. Ich habe einfach das alte Standard-Theme mit dem neuen Standard-Theme (Twenty Eleven) ausgetauscht, ein Bild oben reingetan und schon sieht das alles viel schnuckeliger aus. Dadurch habe ich jetzt eine Menubar, die die Navigation doch sehr erleichtert. Was mir dann wiederum ermöglichte mal die ziemlich unübersichtlich gewordene Sidebar zu entrümpeln.

Der eigentliche Höhepunkt: Neben den bekannten Links zu meinem Twitterarchiv, „Wo ist mspro?“ und dem Impressum, gibt es nun noch eine neue Seite: Über mich.

Man muss sich das mal vorstellen: Leute (z.B. Journalisten!) beschwerten sich bei mir, dass es so schwer sei, Dinge über mich herauszufinden. Über mich! Dem Post-Privacy-Spacko vor dem Herrn!

Aber klar, es ist natürlich so, dass sich das Bild auch zerfasert, je mehr Daten man in’s Netz kippt. Und in der Tat gibt es eigentlich keine gute Anlaufstelle, wenn man sich mal allgemein über meine Person erkundigen will. (I’m looking at you, Wikipedia!)

Muss ich es also selbst tun. Ich hab hier mal alles versammelt, was Leute, die mein Schaffen eben nicht von Anfang an verfolgt haben, interessieren könnte. Leser, Hörer, Journalisten – und klar: auch Kunden. Denn davon kann man ja bekanntlich nie genug haben.

Feedback gerne hier in die Kommentare.

Im publizistischen Würgegriff

Am Freitag verabschiedete der Bundestag das Leistungsschutzrecht für Presseverleger. Ein Recht, das es allein aufgrund der Lobbyanstrengungen der Zeitungsverlage zuerst in den Koalitionsvertrag und jetzt in den Gesetzgebungsprozess geschafft hat. Die Zeitungsverlage haben damit klar gemacht, was für eine Macht sie immer noch über die Politik haben, die von wohlwollender Berichterstattung abhängiger ist, als von der Sinnhaftigkeit ihres eigenen Handelns.

Die Machtdemonstration, die die Verlage abgeliefert haben ist beängstigend und es vermutlich auch kein Zufall, dass kaum ein prominenter Spitzenpolitiker der Oppositionsparteien sich traute, an der Abstimmung teil zu nehmen. Nichts kann man vor einer anstehenden Bundestagswahl schließlich weniger gebrauchen, als eine Presselandschaft, die dem Wahlkampfpersonal nicht wohl gesonnen ist.

Dabei wird ein systemimmanentes Problem augenscheinlich. Was passiert eigentlich mit unserem politischen System, wenn es dort mal um die ureigensten Interessen der „unabhängigen“ Presse geht? Wer kontrolliert eigentlich die vierte Macht im Staate? Die Antwort ist erschütternd. Während beinahe alle Verbände, Aktivisten, Experten und Wissenschaftler kein gutes Haar an den Gesetzesentwürfen zum Leistungsschutzrecht ließen, ignorierte die Presse diese Stimmen eisern und hörte nicht auf, das Gegenteil zu verkünden. Und noch schlimmer als das journalistische Totalversagen: es gab nur wenige Politiker, die sich trauten, dieser interessengeleiteten Kampagne öffentlich zu widersprechen.

So dreist und effektiv dieser Mechanismus beim Leistungsschutzrecht auch gewirkt hat, er ist keinesfalls ohne Beispiel. Bei genauerer Betrachtung findet man viele Auswüchse dieser strukturellen Schwäche unseres Systems.

Wie kann es sein, dass wir über das Sterben von Verlagen jammern, die Zukunft des journalistischen Berufes bezweifeln und Leistungsschutzrechte für Presseverlage einführen, während wir letztes Jahr 7,5 Milliarden Euro in überflüssige analoge Sendestationen, Fußballlizenzen und das Musikantenstadl versenkten? Zum Vergleich: Man könnte mit diesem Geld jedem der 85.000 in Deutschland tätigen Journalisten 88.000 Euro in die Hand drücken. Dieses Jahr sogar noch mal sehr viel mehr. (Und das ist nicht nur eine rhetorische Rechnung. Ich bin überzeugt, dass bei dieser Verwendung wesentlich mehr unabhängiger Qualitätsjournalismus herausfallen würde, als bei der derzeitigen Verwendung.)

Es gibt keine andere Beizeichnung für das, was hier vor unser aller Augen passiert als „kompletter Wahnsinn“. Aber dieser Wahnsinn wird aus dem selben Grund kein politisches Thema werden, der schon den Verlagen ihr Leistungsschutzrecht gesichert hat: Kein Politiker kann es sich leisten von den öffentlich rechtlichen Medienhäusern als Feind wahrgenommen zu werden. Wer die Tagesschau gegen sich hat, wer nicht zu den Talkrunden eingeladen wird, wen die politischen Magazine von ARD und ZDF empfindlich angehen, der kann im politischen Deutschland keine Stimmen mehr gewinnen.

Die Abhängigkeit der Politiker vom Journalismus und die Ruchlosigkeit des Journalismus in eigener Sache sind nichts grundsätzlich neues. Es fällt aber heute anders ins Gewicht, weil der Medienwandel durch das Internet die Sache der Verlage und Anstalten immer neu auf den Verhandlungstisch der Politik spült. Und jedes Mal, wenn sich unsere publizistischen Institutionen um Maßnahmen gegen den Strukturwandel durch die Digitalisierung bemühen, wird diese Macht gegenüber den Politikern dreister ausgespielt und die Öffentlichkeit für ihre Zwecke eingespannt.

Was passiert, wenn sich Verlage und öffentlich Rechtliche einig werden, sah man 2009, als der 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag beschlossen wurde. Um den Verlagen weniger Konkurrenz zu machen, müssen die öffentlich Rechtlichen ihre gebührenfinanzierten Inhalte nach 7 Tagen wieder aus dem Netz nehmen. Wenn sich die Medien einig sind, dann traut sich kein Politiker dagegen was zu sagen. Verlieren tun wir, die Verbraucher. Doch niemand ist da, das öffentlich anzuprangern.

Verloren haben auch die Verbraucher bei den Novellen des Urheberrechts. Der zweite Korb von 2007 beinhaltete ein faktisches Verbot der Privatkopie. Diese kann nur noch angefertigt werden, wenn man sich dabei nicht über den Willen der Verlage hinwegsetzt. Die Massenabmahnungen und die Kriminalisierung der Verbraucher ist ebenfalls ein Ergebnis des Lobbyismus des Contentindustrie und der durch sie unter Druck gesetzten Politiker.

ACTA, das internationale Abkommen, das von Urheberrechtslobbyisten weltweit durch die Parlamente gepeitscht werden sollte, wurde nur knapp verhindert. Auch hier musste erst im Netz eine eindrückliche Gegenöffentlichkeit zu den Verlagen geschaffen werden, um politisch etwas zu bewirken. Verlage, die von alleine kritisch über Urheberrechtsverschärfungen berichten? No Way.

Institutionen werden alles dafür tun, die Probleme, für die sie geschaffen wurden, zu erhalten„, so eine Erkenntnis des amerikanischen Medienwissenschaftlers Clay Shirky. Zu diesem Zweck haben in der westlichen Welt die starken Institutionen der Massenmedien die Politik – und so die ganze Gesellschaft – für ihre Zwecke in Geiselhaft genommen. Die Knappheit von Information muss gewährleistet bleiben, koste es, was es wolle.

Es wird Zeit, dass wir ernsthaft darüber nachdenken, was für einen Journalismus wir für die Zukunft brauchen. Und wie wir 10 Milliarden Euro dafür sinnvoll einsetzen könnten. Wie wir Verbraucherrechte wieder stärken können und dabei einen möglichst freien Fluss von Informationen gewährleisten können. Und nicht zuletzt: Wie wir das Urheberrecht an die Möglichkeiten von heute anpassen können. Das alles ist nämlich keinesfalls unmöglich. Nur eines ist klar: wir werden es gegen den Willen der derzeitigen Herrscher über die Öffentlichkeit durchsetzen müssen. Gegen die Verlage, gegen die Öffentlich Rechtlichen, gegen die Rechteindustrie.

Die Frage ist nicht, ob wir uns guten Journalismus leisten können. Die Antwort wäre: wir können ihn 180-fach überfinanzieren, ohne zusätzlichen Kosten. Schon mit einem einzigen Prozent der Gebührengelder könnte in der heutigen Zeit eine Qualitätsrevolution im Journalismus passieren, deren Ergebnisse im Internet für alle zugänglich sein könnten. Wir brauchen nur Politiker, die sich trauen, gegen das Jammerkartell der Verlage und Anstalten die richtigen Weichen zu stellen.

Datenschutzverordnungskritik

Es sieht so aus, als ob mein Aufruf zur Datenschutzverordnungskritik gefruchtet hat. Vor allem Hauptspackerist @tante nahm meine Anregung auf, jeden Tag über einen Artikel der Datenschutzverordnung zu bloggen. Dafür hat er ein eigenes tumbler eingerichtet und es ist sehr lesenswert. Zuletzt nimmt er das „Recht auf Vergessen“ auseinander.

Das Recht auf Vergessenwerden ist konzeptionell kaputt. Wenn es ginge, dass ich als Datenquelle Daten verlässlich aus dem Internet entfernen können würde, gäb es die Filesharingproblematik nicht weil die Filmindustrie die Illegalen Kopien einfach löschen lassen würde. Funktioniert aber nicht. Das Internet ist eine Kopiermaschine.

Rechtsanwalt Thomas Stadler, der schon seit längerem die Datenschutzverordnung kritisierte, hat auch noch ein paar mal nachgelegt. Einerseits sieht er konkrete Probleme bei der Definition der IP Adresse als personen bezogenes Datum, anderseits stellt er sich vor allem gegen die von der Digitalen Gesellschaft vertretene Auffassung, dass die Datenschutzverordnung pauschal die Bürgerrechte stärken würde.

Um es deutlich zu sagen: Ein strenges Datenschutzregime beinhaltet immer auch eine Einschränkung der Kommunikationsfreiheiten. Es besteht also ein latentes Spannungsverhältnis zwischen dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung – als Grundlage des Datenschutzes – und der Meinungs- und Informationsfreiheit. Es ist also aus bürgerrechtlicher Sicht etwas kurzsichtig, sich nur auf einen grundrechtlichen Aspekt zu konzentrieren, ohne die Wechselwirkungen zu beachten.

Der schönste Rant gegen die Verordnung kommt übrigens von Peter Fleischer (vorsicht: Googlemitarbeiter), in dem er den EU-Datenschutz mit Don Quixote vergleicht:

The cynical realists will see that Europe’s innovation-inhibiting privacy laws will simply drive more Big Data and Internet innovation to move increasingly outside of Europe. Will we see companies choose to move their research arms elsewhere, for example, to the US or India or Singapore? Ask yourself whether US or European companies will turn out to be more hobbled by Europe’s rules? The answer is obvious: European companies will have to swallow these new rules entirely, while non-European companies can simply ring-fence their slower, less innovative operations in Europe. Companies may end up offering a series of slower, less-cutting-edge services in Europe, given the significant risks that cutting-edge data-services could be smacked with massive fines.

I say all this with sadness, as the world moves on. Who am I to deride Don Quixote’s dream? Who am I to celebrate the demise of his delusions?

Zuletzt, habe auch ich mir noch mal Gedanken zum derzeitigen Paradigmenwechsel beim Datenschutz gemacht, den ich vor allem ausgelöst durch die Herausforderungen des Kontrollverlust durch Big Data sehe.

Es war klar, dass der Datenschutz an einen Punkt kommen wird, an dem er von einem freiheitsermöglichenden Schutzrecht zu einem freiheitseinschränkenden Regime wird. Ich glaube, dieser Zeitpunkt ist jetzt.

Wenn der Datenschutz seine Vorstellungen von “Personenbezug” durchsetzt, erweitert er seine Kompetenzen auf beinahe Alles. Dann wird er entweder totalitär oder wird an dieser Stelle schlicht und ergreifend ebenso armselig scheitern, wie es die tragische Figur Thilo Weichert heute schon beinahe täglich vormacht.

Es freut mich, dass neben dem Lobbyismus-Alarmgeschrei auch eine inhaltliche Auseinandersetzung im Netz beginnt. Und ich bin mir sicher, dass auch LobbyPlag zu dieser Diskussion beitragen kann, wenn die Aufregung über das pure „Plagiieren“ abgeebbt ist.

Lobbyplag und wo ist die Spackeria?

Um es gleich zu sagen: ich finde das Projekt Lobbyplag großartig (hier der Blogpost von Gutjahr). OpenDataCity hat mal wieder ganze Arbeit geleistet. Dass Lobbyaktivitäten und deren Wirkmächtigkeit transparent gemacht werden, halte ich für eine gute Sache.

Und viele jubeln auch bei dem ersten Beispiel: der EU-Datenschutzreform. Das ist einerseits verständlich, denn wie ich gehört habe, sind die Lobbyaktivitäten in diesem Fall tatsächlich besonders hoch und wie Lobbyplag nun zeigt, stellenweise auch effektiv.

Nun brauche ich aber niemandem erklären, wie ich zum Datenschutz im Allgemeinen stehe und was ich über die Datenschutzreform im besonderen denke, habe ich stellenweise in dieser Sendung bei dradio.wissen erklärt. Kurz: ich glaube, dass die Datenschutzreform das Potential hat, die Freiheit im Netz einzuschränken. Und zwar schlimmer als es beispielsweise der Jugendschutzmedienstaatsvertrag je hätte können, gegen den wir damals so Sturm liefen.

Nun ist Datenschutz und dessen Kritik schon länger nicht mehr so meine Baustelle, was aber nicht heißt, dass ich das unwichtig fände. Ich schaffe es aber nicht, mich durch die endlosen juristischen Texte zu quälen oder durch den Bericht von Jan Phillipp Albrecht. Ich hab das zwar ansatzweise versucht und kenne einige Eckpunkte und bin auf einer abstrakten Ebene firm genug, einige mögliche Gefahren aufzuzeigen. Aber eigentlich müsste man sich wirklich ins Detail bewegen und Artikel für Artikel lesen und durchdenken, was das für die Webwirtschaft im einzelnen bedeuten kann. Welche Dienste müssten sich wie verändern, welche würden unmöglich werden, welche Geschäftsmodelle gehen ganz dabei drauf, etc? Vor allem aber: was würde das für neue Dienste und Geschäftsmodelle bedeuten? (Die Platzhirsche haben ja meist das Kapital die nötigen Ressourcen auf das „Problem“ draufzuschmeißen) Das ist viel Arbeit und sorry, das schaffe ich nicht.

Natürlich tut das auch sonst niemand da draussen. Die Leute interessiert das nicht wirklich, die hören „Datenschutz“ und glauben, das sei schon alles in ihrem Sinne. Deswegen fürchte ich auch, dass der Kampf da draußen jenseits der Öffentlichkeit geführt wird und zwar nur zwischen Datenschutzmaximalisten und Lobbyisten mit eigenen Interessen. Und ich fürchte, dass Lobbyplag nichts weiter bewirken wird, als die (zumindest nachvollziehbaren) Bemühungen der Weblobby, das Gesetz zu entschärfen in der Öffentlichkeit zu skandalisieren und zu delegitimieren.

Es gibt keine wirkliche öffentliche, kritische Beschäftigung mit der Datenschutzreform. Den Leuten ist nicht bewusst, was diese Reform für ihr Internet, das heißt zum Beispiel für all die Dienste, die sie täglich nutzen, bedeuten würde. Im Grunde bräuchte es eine Stimme der Vernunft, die sich in die Diskussion einmischt und die sich jenseits solcher Skandalisierungstendenzen kritisch mit der Reform und auch den Änderungsvorschlägen auseinandersetzt. Und zwar eine Instanz, der nicht allein deswegen nicht zugehört wird, weil sie eigene Interessen vertritt. Tja, eigentlich hatten wir eine solche unabhängige, zivilgesellschaftliche Instanz: die Spackeria.

Wenn die Spackeria jemals irgendeinen Sinn gehabt hätte, dann jetzt. Ich frage mich nur, was sie gerade macht. Wo bleibt die Kavallerie?

Open in Public Day 2013

Es ist ein Zufall gewesen, dass der Open in Public Day der Spackeria (oipd13) dieses Jahr mitten in eine große und wichtige Debatte über Sexismus fiel. Kein Zufall ist es hingegen, dass Post-Privacy häufig und gerne aus femistischer Sicht kritisiert wird. Post-Privacy, so das Argument, könne sich nur leisten, wer bereits privilegiert in der Gesellschaft sei, möglichst männlich, hetero, weiß, gebildet. (Aktuell ihdl zum OiPD13).

Die Kritik, die von anderen Seiten über den Open in Public Day geäußert wird, erregt sich vor allem an der Irrelevanz und Langweiligkeit der Ergebinisse. So etwa Frank Rieger, wenn er twittert:

Und in der Tat haben beide Kritiken ihren Punkt. Es ist richtig, was die feministische Kritik bemängelt: Für Frauen ist es sehr viel riskanter, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren, als für Männer. Und zweitens ist das Leben der meisten von uns tatsächlich – mit oder ohne Post-Privacy – extrem langweilig. Witziger Weise ist das aber nun genau das, was der oipd13 aufzeigen wollte:

Der “Open in Public Day” ist ein Zeichen gegen die digitale “German Angst”: Wir sind nicht perfekt. Wir sind langweilig. Wir veröffentlichen. Wir können alle gemeinsam ein Zeichen setzen für eine freiere, weil offenere Gesellschaft.

Das erste Erlebnis

Kurz nach dem Aufstehen fragte mich meine Freundin, ob ich sie nicht für den Open in Public Day fotografieren wolle. Sie stellte sich schlafend, ich machte das Foto und twitterte es. Zu bewundern hier.

Am Nachmittag bekam es dann unter anderem folgende Reaktion:

(Später dann per Link die Klarstellung, dass der Tweet sich auf mein Foto bezog.)

Entsetzen in ihrer Timeline. Interessant ist zudem, dass nicht etwa versucht worden ist, mich zur Ordnung zu rufen (es wurde explizit darauf verzichtet, mich zu „mention“), nicht mal meine Freundin (das vermeintliche „Opfer“) wurde überhaupt gefragt, unter welchen Umständen dieses Foto entstanden ist. Die Situation wurde einfach in eine sexistische Situation umgdeutet, ein Opfer herbeigeredet. Es steckt eine Menge normative Vorverurteilung in dieser Situation, viele unhinterfragte, vielleicht sexistische Vorannahmen: Frauen würden das ja nicht freiwillig tun, Typen sind so rücksichtslos ihre Freundin zu fotografieren, etc.

Das zweite Erlebnis

Meine Freundin war von dieser Entgleisung mindestens so genervt wie ich. Und als wir zu abend aßen (ich hatte was vom Thai geholt), sagte sie ein weiteres Mal: „mach mal ein Foto“ und fügte hinzu: „sag, du hättest es heimlich aufgenommen.“ Einfach ein bisschen rumzutrollen, dafür liebe ich sie. Ich tat, wie mir gesagt und heraus kam das hier.

Am nächsten Tag hatte das Foto dann auch Don Alphonso erreicht. Und er, als bekennender Fan meiner Lebensumstände, nahm es als Anlass mal wieder in der FAZ zu erwähnen, dass er ja Silberbesteck und Porzellan besäße. So weit, so albern und erwartbar.

Ich fand das bis dahin wirklich in erster Linie lustig. Auf eine kleine Koversation zum Artikel schaltete sich Don Alphonso allerdings ein und twitterte folgendes:

Nun weiß ich nicht, woran man Frauen bei Don Alphonso zuhause erkennt (Dirndl?), jedenfalls ist der Tweet – wie man es dreht und wendet – eine Beleidigung der widerwärtigsten und sexistischsten Sorte. Eine echte Offenbarung an Anstandslosigkeit.

Fazit

Der „Open in Public Day“ bringt nichts weiter als unseren Alltag an die Öffentlichkeit. Und ja, er ist langweilig und unspannend und sieht nicht immer vorteilhaft aus für uns.

Und er ist provokant! Es entzündet sich an diesen einfachen Dingen sehr schnell Widerspruch, intolerante Reflexe, vermeintliche und echte sexistische Entgleisungen, Verurteilungen und Beschimpfungen. Menschen meinen sich in das Leben anderer Leute einmischen zu müssen, es bewerten, verurteilen, niedermachen zu müssen. Und ja, ihdl hat recht, auch das hat der oipd13 gezeigt: das betrifft vor allem Frauen. Öffentlichkeit fördert die Intoleranz zu Tage, die unter der Oberfläche unserer getrennten Privatheiten schlummert.

Datenschützer dürfen sich an dieser Stelle bestätigt sehen: Seht ihr, so ist die Welt! Genau dafür braucht es Privatsphäre!. Meine Freundin und ich sagen aber: Lieber halten wir die intoleranten Entgleisungen da draußen aus und wissen dafür, mit wem wir es zu tun haben. Wir haben keine Lust, uns vor der Intoleranz unserer Mitmenschen zu verstecken.

Der Open in Public Day hat vieles von dem hochgespült, von dem wir immer fürchteten, dass es das gibt. Deswegen hat er sich gelohnt.

Nudeln mit mspro Folge II – mit @plomlompom

Es ist soweit, ich habe am Dienstag eine neue Folge von „Nudeln mit mspro“ aufgezeichnet. Diesmal mit dem großartigen @plomlompom. Am Ende hatten wir so viel Material gedreht, dass ich fast 2 Tage zum Schneiden brauchte. (Gut, ich bin auch nicht besonders gut darin). Jedenfalls hab ich die vielen hochphilosophischen Gespräche und die anspruchsvolle Kochanleitung auf knappe 15 Minuten runterdampfen können. Uff.

Alle Folgen „nudeln mit mspro“

(Außerdem bin ich damit wohl meiner Iron Blogger Bloggerpflicht nachgekommen. Bin da nämlich neu. Puh!)

PS: heute auch erschienen und erwähnenswert:
1. WMR57: mit @aprica.
2. Mein Text über die Grenzen des Hacktivismus auf Zeit Online.