Ich war am Montag im Landtag NRW zu den Tagen der Medienkompetenz eingeladen, mit dem Datenschutzbeauftragten des Landes Ulrich Lepper zu diskutieren. Es war eine nette Veranstaltung und Lepper ist ein sehr freundlicher Mensch. Ich hingegen war etwas krawallig drauf, was auch mal vorkommt. Und immer wenn ich in Datenschutzdiskussionen krawallig drauf bin, bringe ich eine Dichotomie ins Spiel, die die meisten Zuhörer erst verwirrt und dann erbost.
Ich sage, dass ich Datenschutzbedenken gegen den deutschen Staat durchaus verstehen kann und sogar teile – immerhin droht er mir mich mit Polizei, Gefängnissen und Gewaltmonopol zu disziplinieren – ich aber gegenüber amerikanischen Internetfirmen keinerlei Gefahrenpotential erkennen kann. Dann geht ein Raunen – manchmal ein Lachen rum. Es gibt ungläubige Nachfragen mit empörten Blicken. Und wenn ich dann noch einen draufsetzen will, erzähle ich, dass ich ja meine Daten lieber auf amerikanischen Servern liegen habe als auf Deutschen, denn da kämen deutsche Behörden schließlich schwieriger ran. Spätestens da wird die Wut beim ein oder anderen Zuhörer förmlich spürbar.
Ich finde meine Argumentation allerdings völlig nachvollziehbar und habe bislang kaum nennenswerte Gegenargumente zu hören bekommen. Das, was die Leute da so aufregt, scheint mehr ein anderer Trigger zu sein. Ein Trigger, der bei sich Links verstehenden Leuten (vor allem einer bestimmten Generation – ich komme darauf zurück) besonders heftig wirkt. Der Trigger ist der „amerikanische Konzern“ und er löst einen Blumenstrauß an multiplen Gefühlen der Abwehr aus. Die Tatsache, dass der „amerikanische Konzern“ in irgendeiner Hinsicht besser/sicherer/unschuldiger/ethischer oder so etwas sein kann, als ein deutsches Äquivalent kann nicht sein, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Eine solche Behauptung ist immer eine effektive Provokation!
Als Google seine Kampagne gegen das Leistungsschutzrecht gestartet hatte, fasste ich mir an den Kopf und dachte „Just Not Helping!“. Wenn Google als Google mit offenem Visier gegen die Position des guten, alten deutschen Qualitätsjournalismus (das Residuum des deutschen Bildungsbürgers!) antritt, dann kann es nur verlieren. Von links bis rechts schließen sich sofort die Reihen gegen den „amerikanischen Konzern„, der ja „nur seine eigenen Interessen verfolgt“ (Im Gegensatz natürlich zu den integren deutschen Verlagen, die nur die Demokratie retten wollen!). Und tatsächlich war haargenau diese Argumentation in ihrer einfältigen Schlichtheit von Spiegel Online bis FAZ über Süddeutsche nachlesbar. Was aber ebenfalls zum Ausdruck kam, war die bis ins groteske übersteigerte Bigotterie, die hier von den Verlagen betrieben wird (schön auseinander genommen von Stefan Niggemeier). Und da merkte ich: Vielleicht hat die Google-Kampagne ja doch etwas gutes. Vielleicht sollte man diesen Konflikt, der da im Untergrund die Debatte mitbestimmt mal herauskramen und in aller Offenheit darlegen.
Denn dieser Konflikt ist ein Stück weit ein Generationenkonflikt. Die, die da von Rechts aber vor allem von Links ihre reflexhaften Ressentiments ausleben, sind meist in einer Zeit politisiert worden, in der Antiamerikanismus mindestens zum guten Ton gehörte. Nicht, dass es immer wieder Handlungen der USA kritisierenswürdig gewesen seien, aber diese Antipathie in der Linken Szene ging sehr viel tiefer und war grundsätzlicher. Sie ging meist einher mit einer undifferenziert einseitigen Haltung zum Nahostkonflikt (Zionismus = Imperialismus) und einem grundsätzlichen, kulturpessimistischen Mißtrauen gegen die „Konsumgesellschaft“. Die Protagonisten dieser in ihrer Reinheit noch unverwässerten Linken sind meist in den 80er Jahren politisiert worden und sitzen heute längst an den politischen Fleischtöpfen.
Heute nennt man diese Art von Linkssein „Antiimp“ – für „antiiperialistisch“. Man nennt sie aber natürlich erst so, seitdem sich in den 90ern aus ihr heraus etwas abspaltete und gegen sie wendete: die Antideutschen. Die Antideutschen brachten den linken Diskurs in Aufruhr, indem sie den Antiimperialismus einer radikalen Ideologiekritik unterzog. Die Antideutschen gingen dabei ziemlich weit, von Rufen wie „Bomber Harris do it again!“ über „Deutschland Verrecke!“ bis hin zu einer ihrerseits wieder sehr einseitigen und unbedingten Israelsolidarität. Aber hinter der Provokation stand eine gültige Analyse: die Linke hatte es sich mit ihrem Antiamerikanismus zu leicht gemacht und war offen für antisemitisches Gedankengut.
Ebenfalls in den 90ern brach der Popdiskurs über die Linke Szene hinaus den kulturpessimistischen Grundton der „Konsumgesellschaftskritik“ auf. Mit affirmativen Gesten umarmte man Produkte der Massenproduktion, übte man Identitätskonzeptionen anhand von Kosumgewohnheiten und schloss so ins Herz, was längst zum Leben gehörte. Der Popdiskurs ist nicht im strengen Sinne links, hatte aber auch dort eine enorme Strahlkraft. Es lässt sich, denke ich, von dort eine Linie bis zur heute allgemein offen getzeigten Gaget-Begeisterung ziehen (woran im übrigen auch den CCC mit seinem „Spaß am Gerät“ nicht völlig unschuldig ist). Was ebenfalls ein Bereich ist, in dem die Linke heute oft zwischen den Stühlen sitzt. Emphatische, oft politische Smartphonenutzung und „amerikanische Konzerne Dooffinden“ geht meist nur mit schmerzhaften Selbstwidersprüchen zusammen.
Ich denke, es sind diese beiden Diskurse – die Antideutschen und der Popdiskurs – die einen Generationsbruch ausmachen, zwischen einer Linken die in den 80ern und einer Linken die in 90ern politisiert wurde. Das heißt nicht, dass die heute 30jährigen alles antideutsche Popper sind und es unter ihnen keine Antiimps gäbe. Aber das Linkssein ist einfach ein anderes, wenn man mit diesen Diskursen zumindest konfrontiert wurde. Und es ist eben dieser Bruch, den man in der Netzszene ausmachen kann, der in der aktuellen Diskussion zum Leistungsschutzrecht zum Ausdruck kommt.
Für mich ist es etwas völlig normales, dass ein Player in diesem Spiel wie Google hier seine Interessen vertritt. Und ich habe kein Problem damit, Seit an Seit mit dem Konzern gegen das Leistungsschutzrecht zu kämpfen, wenn unsere Interessen sich matchen. Ein Padeluun z.B. tut sich da wesentlich schwererer.
Hier, beim Leistungsschutzrecht, lässt sich die antiimperialistische Denke recht gut herausextrahieren, denn die altlinken Netzaktivisten distanzieren sich völlig ohne Not vom „amerikanischen Konzern“, dessen Interessen sie teilen. Der Datenschutzdiskurs ist da viel verstellter. Da ist nicht mehr zu trennen, was jetzt reines Ressentiment und was echte Besorgnis ist. Aber es besteht kein Zweifel, dass die altlinken Reflexe beim Datenschutz ebenfalls die Debatte bestimmen. Und ich finde das immer extrem anstrengend.
Ich glaube, wir sollten diese Debatte jetzt mal führen. Abseits der üblichen Linken Foren und Medien, hier in den Blogs der sogenannten Netzgemeinde sollten wir die Gretchenfrage stellen: wie stehst du eigentlich zu „amerikanischen Konzernen“? Wir sollten mal hervorkehren, wie das so ist mit dem eigenen Antiamerikanismus, wie das so ist, mit der an die Grenze zum Selbstwiderspruch gelebten Konsumkritik. Wir sollten mal anfangen Apple, Google, Microsoft und so weiter als das zu sehen, was sie sind: Unternehmen mit Gewinnabsichten, aber auch eine Ansammlung von Menschen mit bestimmten Werten und Vorstellungen für die Zukunft. Wir sollten mal auseinanderklamüsern, was Kritik ist und was Ressentiment, wem wir in Wirklichkeit vertrauen und welche Gründe wir dafür haben.