Netzgemeinde

Unter den vielen Ankackungen, die mein Artikel hervorruft, ist einer der wiederkehrendsten und inhaltsleersten der Verweis auf die Tatsache, dass es ja „keine fucking Netzgemeinde gibt, verdammt noch mal!“

Natürlich gibt es die Netzgemeinde. Es gibt eine Netzgemeinde, so wie es Deutschland gibt, so wie es den FC Bayern gibt, so wie es Ruderer gibt. Im Gegensatz dazu, was viele sich in ihrer Kindergartensoziologie zusammenreimen, braucht es dafür kein Stück Papier mit Amts-Stempel oder ne Mitgliedskarte. Und es spielt auch keine Rolle, ob die Netzgemeinde ausgedacht ist und auch nicht von wem. Alle Gemeinschaften, in denen sich nicht tatsächlich jeder persönlich kennt, sind ausgedachte Gemeinschaften, „imagined Communities“ nach Benedict Anderson – was der faktischen Wirkmächtigkeit ihrer Existenz aber keinen Abbruch tut.

Eine Gemeinschaft besteht nicht aus Menschen, sondern aus Kommunikationen, die ihre Anschlussfähigkeit unter anderem in der Unterscheidung von Selbst- und Fremdreferenz gewährleisten. Luhmann nennt diesen ständigen Prozess der Selbstkonstitution von Gemeinschaften auch „Autopoiesis„. Wann immer wir von den „Internetausdruckern“ reden, oder den Journalisten (gern auch Mainstream- oder Qualitätsjournalisten, etc), auch wenn wir davon reden, dass wir den Anschluss an die Youtubegreneration verloren haben, wann immer wir „wir“ sagen und uns adressieren – unter welchem Namen auch immer – konstituieren wir die Netzgemeinde. Und ja, auch das Aufschreien, Rumblöken und Kritisieren des Begriffs „Netzgemeinde“ konstitutiert eben diese.

Und als diese Netzgemeinde haben wir bereits eine ganze Handvoll Institutionen (Shitstorms, Digitale Gesellschaft, Nonmentions), Semantiken (#ausgründen, „Netzgemeinde“ Grumpyirgendwas und andere Meme), Narrative („Solidarität durch Vernetzung“, „böse Conentmafia ist böse“, „Netz vor Politik schützen“) und sonstige Strukturen ausgebildet. Ihr seid da im Einzelnen nicht mit einverstanden? Macht nichts, auch der Metadiskurs über die Narrative, Semantiken und Institutionen konstituiert die Netzgemeinde. Wir haben Diskurs und wir haben sogar Geschichte. Und in all dem wird die alles entscheidende Unterscheidung von Selbst- und Fremdreferenz immer implizit mitgeschleift und aktualisiert. Und schon wieder: Zack! Netzgemeinde!

Sascha Lobo weist außerdem darauf hin, dass sich die Netzgemeinde aus freiwilligen Hobbylobbyisten des freien Netzes rekrutiert. Das ist auch als Kritik zu verstehen, denn wir lobbyieren für etwas, was wir nur scheinbar objektiv für das Gute halten, was in Wirklichkeit aber unsere eigene Interessenlage widerspiegelt. Und da demographisch die Netzgemeinde dann doch überwiegend männlich, weiß und hetero ist, hat diese Lobby einen klaren Bias und es werden oft Aspekte unbewusst ausgeblendet. Die Kritik daran hat Miinaaa in ihrem om13-Vortrag sehr detailreich ausgearbeitet (obwohl sie leider auch erst behauptet, die Netzgemeinde gebe es nicht, um sie hinterher zu kritisieren) *. Einer der wesentlichsten und wichtigsten Kritikpunkte, dieser mitunter selbstgerechten und unreflektierten Lobby ist meines Erachtens ihr Glaube daran, keine Netzgemeinde zu sein, sondern „ganz normale Leute, die halt das Internet nutzen“. Wenn die Netzgemeinde wenigsten einsähe, dass sie Einfluss nimmt und dass dieser Einfluss auch noch überproportional groß ist und sie deswegen ein bisschen selbstkritischer auftreten würde, wäre bereits viel gewonnen.

Ich persönlich finde den Namen auch gerade wegen dieser provinzialistischen Konnotation besonders gut geeignet. Wie schon „Kleinbloggerdorf“, damals 2005, assoziiert man Leute, die auf Kissen gestützt aus dem Fenster lehnen und sich den neusten Klatsch und Tratsch der Woche zurufen. Die Netzgemeinde ist auf diese provinzielle Art verbohrt und wirkt oft ein bisschen dumm und gleichzeitig auch ein bisschen liebenswert. Sie ist Heimat und gehassliebte Familie, oder zumindest eine schlechte Simulation davon.

Wer bestimmt denn nun wer in der Netzgemeinde ist und wer nicht?

Niemand und alle und jeder für sich selbst. Man kann der Netzgemeinde zwar nicht per Deklaration entkommen oder beitreten. Aber man kann ihr den Rücken kehren, indem man die Diskurse an sich vorbei ziehen lässt. Man kann aufhören, sich mit dem ganzen Kram zu identifizieren – ja auch negativ zu identifizieren. Ich habe das gesehen, bei vielen schon, die erfolgreich „ausgestiegen“ sind. Das fällt erst gar nicht auf, sie Twittern immer weniger über die neuste Sau im Dorf, dann immer weniger generell, irgendwann sind sie weg und man muss sie anrufen, um mit ihnen ein Bier trinken zu gehen. Für mich ist so ein Ausstieg nicht ganz leicht, weil die Netzgemeinde einen nicht unwesentlichen Teil meiner heutigen Identität ausmacht. Ich bin, was ich bin, durch die Netzgemeinde. Ich weiß nur nicht, ob ich das noch sein will. Und ich bin mir durchaus bewusst, dass ich mit diesem Posting die Netzgemeinde nicht nur wieder kräftig mitkonstituiert habe, sondern mich auch wieder tiefer in ihre Eingeweide eingeschrieben habe. Aber ach.

* NACHTRAG: Frau Mina Dingens ergänzt hierzu:

„Ja, das war im Vortrag vielleicht nicht gut ausgedrückt: es sollte heißen, *die* Netzgemeinde(tm) gibt es nicht – siehe die x-verschiedenen Definitionen, jede_r versteht was anderes darunter (laut Wikipedia sind es alle, die online sind, laut (Selbst)Definition alle auf Twitter oder mit Blog oder mit netzpolitischem Engagement oder oder oder…). „Netzgemeinde“ als Synonym für „Netzelite“ hingegen – also die wenigen Menschen, die auf Grund von Blogs, Kolumnen, Twitter oder sonstigem mehr oder weniger Sichtbarkeit haben und/oder sich mit netzpolitischen Themen beschäftigen, und da meinen „für alle Nutzer_innen“ zu sprechen – habe ich dann versucht zu kritisieren.
Ich wollte das eh mal alles etwas länger und ausführlicher aufschreiben, vielleicht wäre es mal an der Zeit…“

* NACHTRAG 2: Mina hat jetzt noch mal ausführlich zum Thema gebloggt.

13 Gedanken zu „Netzgemeinde

  1. Dass die Netzgemeinde nur dadurch besteht, dass ein entsprechender Diskurs existiert, ist ein interessanter Gedanke. Das nimmt den Ganzen auch dieses gewisse Abstrakte, wie es beispielsweise von Ansgar Heveling in seinem legendären Rant gegen das „Raubkopierer“-Wesen Anfang letzten Jahres aufgebaut hat. Und das macht es zu etwas Ähnlichen wie einen Markt, der nur besteht, wenn Anbieter und Nachfrager zueinander finden.

  2. Ich kann diese Ansicht nicht teilen. Erstens wird immer wieder das Bild der „Gemeinde“, des Raumes aufgemacht wenn über die Netzgemeinde gesprochen wird. Dabei finde ich wird vergessen, das diese Gemeinde, wie jede Gemeinde einfach nur eine subjektiver Blick auf eine Gruppe wahllos zusammengewürfelter Personen ist. Der begriff an sich ist so aussagekräftig wie das Gepöbel über „die Berliner“ mit ihrer preußischen Unflätigkeit. (welche ja heutzutage zu 50% aus Schwaben bestehen, also nicht mehr sehr preußisch sind 🙂 ). Im endeffekt ist es ein Begriff um Klischees zu verfestigen und wer den Begriff ernsthaft in den Mund nimmt um damit die Menschen zu beschreiben, die das Internet als Kommunikationsmittel benutzen, kann sich zusätzlich auch noch der Gruppe, der Idioten anschließen.

  3. Lieber Michi, Du bist Teil der Netzgemeinde, ob Du willst oder nicht, und ganz ehrlich: Ich bin froh, dass Du dabei bist. Nicht, weil ich jede Deiner Ansichten teile, sondern gerade, weil wir häufig nicht einer Meinung sind.

    „Die Netzgemeinde“ als homogenes Ganzes gab es vielleicht ganz am Anfang, als ein paar tausend Studenten auch einigen hundert vernetzten Rechnern herumturnten, aber eine „Netzgemeinde“ im Sinne einer Gruppe Menschen, die „das Netz“ als Teil ihres Lebens und ihrer Persönlichkeit ansehen und bewusst an der Metadiskussion teilnehmen, wie dieses Netz gestaltet werden soll und wie es im Bezug auf das Analogleben zu sehen ist, gibt es ganz offenkundig. Vielleicht müsste man korrekterweise „netzpolitische Gemeinde“ sagen, aber das klingt auch schon recht hochtrabend.

    Teil der Netzgemeinde zu sein heißt nicht, mit allen einer Meinung zu sein. Wahrscheinlich ist es gerade für Leute wie Dich, die – gewollt oder nicht – eine Vorreiterrolle eingenommen haben, zwangsläufig so, dass sie ständig irgendwo anecken. Das ist nun einmal eine Eigenschaft neuer Ideen, und sind sie erst einmal ins allgemeine Narrativ übegegangen, ist es Aufgabe von Leuten wir Dir, wieder mit neuen Ideen zu kommen.

    Womit wir bei Deinem Ursprungsartikel wären. Die zweite Hälfte passt mir überhaupt nicht, aber ich lese sie dennoch, weil sie – wieder einmal – viele kluge Gedanken enthält. Der ersten Hälfte, in der Du die selbstgefällige Verlogenheit des FsA-Traditionsmarschs kritisierst, stimme ich zu. Mit dem gesamten Artikel scheinst Du richtig zu liegen, wenn ich mir die unter Schnappatmung geschrie(b)enen Kommentare ansehe.

  4. Es ist so unglaublich anstrengend wie ernst du dich nimmst. Wie ernst sich so viele aus dieser Netzgemeinde selber nehmen. Wie selbstverliebt soviele sind.Du zitierst dich selber! Das ist schon fast grotesk.

  5. Ich weiß natürlich nicht, was so an Kommentaren rausmoderiert wurde, aber zumindest unter denen die freigeschaltet sind finde ich sehr wenig ankackendes und viel konstruktiv-kritisches.

  6. Danke für diesen Post! Dem kann ich nur zustimmen und ich hoffe, dass du trotz des Frustes Teil der Netzgemeinde bleibst. Denn gerade deine Entwicklung macht mir Hoffnung und soziale Entwicklung geschieht innerhalb von Gruppen auch oft anhand von vorgelebtem Verhalten – aber ich denke, das dürfte dir auch klar sein.

    @Mirco: ich glaube, dass mensch sich erst Mal mit Soziologie beschäftigen sollte, um zu solch einem Text, der sich auf ihre Theorien beruft, auch richtig klugscheißen zu können. So wirkt dein Kommentar leider so, als hättest du den Text gar nicht gelesen.

  7. Naja, wenn du die Querfront-Argumentation des „ich marschiere auch mit Nazis“ oder das unreflektierte „Ich finde da nichts antisemitisches dran“ für Ok hälst.

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