Das Technikjahr 2024 – Ki, Klima, Crypto (mspr0 & Ali Hackalife) Auch-interessant! – 38C3

Ali Hackalife hat mich wieder eingeladen, dieses mal auf dem CCC-Congress, wo wir live auf der Sendezentrumsbühne das vergangene Jahr verpodcasten werden.

Auf dem 38c3 treffen sich Ali und mspr0 um auf das vergangene Technikjahr zurück zu schauen. Wie geht es Alis Technik-Optimismus nach diesem Jahr. Und was lief anders als erwartet.

Quelle: Das Technikjahr 2024 – Ki, Klima, Crypto (mspr0 & Ali Hackalife) Auch-interessant! – 38C3

Krasse Links No 37

Willkommen zu Krasse Links No 37 und frohes Fest für alle, die feiern. Und jetzt nehmt Eure Geschenke entgegen, heute realisieren wir die Kosten der Sprechakt-Waffen für die Konnektivitätsökonomie der Hyperrealität.


In den Blättern für Internationale Politik fleht Michael Tomaskyfleht seine Mitmenschen an, die materielle Realität der Medienlandlandschaft endlich ernst zu nehmen.

Ich flehe Sie an: Denken Sie darüber nach. Wenn Sie ein gewisses Alter haben, haben Sie noch lebhafte Erinnerungen an Revolutionen in der sogenannten Dritten Welt. Frage: Was hat jede Guerillaarmee, ob links oder rechts, als Erstes getan, nachdem sie den Palast erobert hatte? Sie haben den Radio- oder Fernsehsender übernommen. Als Erstes. Dafür gibt es einen Grund. Es ist derselbe Grund, aus dem Viktor Orbán der rechtskonservativen Konferenz CPAC 2022 sagte: „Habt eure eigenen Medien.“


Arte hat gerade eine wundervolle, knapp vierstündige Doku in vier Teilen über die Intellektuelle Zeitenwende von 1827 – 1871 in Paris, die man wohl auch „Französische Romantik“ nennt.

„Die Legenden von Paris“ ist eine komplett in Zeichentrick umgesetzte Doku und folgt den Protagonisten Victor Hugo, Alexandre Dumas, Eugène Delacroix, George Sand, Honoré de Balzac, Charles Baudelaire und vielen anderen durch ihre miteinander eng verstrickten Biographien.


Stuart Thompson berichtet in der New York Times über den Selbstversuch, sich mehrere Tage lang über die rechte Videoplattform Rumble zu informieren.

As soon as President-elect Donald J. Trump won the presidential race, influencers on Rumble, the right-wing alternative to YouTube, flooded the platform with a simple catchphrase: “We are the media now.”

The idea seemed to capture a growing sense that traditional journalists have lost their position at the center of the media ecosystem. Polls show that trust in mainstream news media has plummeted, and that nearly half of all young people get their news from “influencers” rather than journalists.

Ich glaube, wir machen uns tatsächlich keine Vorstellung von der Größe und dem Einfluss der semantischen Sezession und ihren Infrastrukturen. Natürlich ist „Rumble“ nicht „die Medien“, aber in der Gesamtschau – X, Truth Social, Rumble, Telegram, Fox News, die Brocaster-Szene sowie die durchgeknallte Milliardärsriege – ist es safe to say, dass rechte Medien zumindest in den USA das erlangt haben, was Gramscy die „Kulturelle Hegemonie“ nannte.

Antonio Gramsci führt den Begriff der „kulturellen Hegemonie“ ein, um zu erklären, warum der Kapitalismus selbst von denen verteidigt wird, die unzweideutig unter ihm leiden. Kulturelle Hegemonie ist ein Set allgemein akzeptierter, nicht aufgezwungener Erzählungen, die die soziale Ordnung gewaltlos zusammenhält. Schon Gramsci wusste, dass Hegemonie etwas materiell Hergestelltes ist und spricht von “Hegemonie-Apparaten”, worunter er vor allem das Bildungs- und Mediensystem, aber auch Vereinigungen, Parteien und andere Institutionen fasst, die meinungsbildend wirken.

Netzwerkperspektivisch ist Hegemonie das, was David Sigh Grewal als „Threshold of Inevitability“ bezeichnet, also den Schwellenwert, wenn ein Standard so allgegenwärtig wird, dass man sich aktiv gegen ihn entscheiden muss, wenn man ihn nicht nutzen will. Hegemonie hast Du dann, wenn Deine Pfadangebote die semantischen Choice Architectures aller anderen strukturieren und die das meist nicht mal merken.

Es braucht ein paar Tage bis Thompson merkt, wie die semantischen Choice Architectures von Rumble seine Weltsicht beeinflussen.

After just a week, this alternate reality started shifting how I instinctively reacted to the world outside Rumble. I would catch a stray story on the local news radio about something innocuous, like train delays or traffic jams, and wonder: “Can I really trust this?”

It’s true that listening to any single news source long enough will shift your perspective.

Weil Thompson kein Indviduum ist, das die Welt beobachtet, sondern ein Dividuun, das Rumble-Tröten dabei beobachtet, die Welt zu beobachten, kann er sich kaum erwehren, ihre Perspektive in Betracht zu ziehen. Der Unterschied zwischen ihm und den vielen anderen, die sich unrettbar in der semantischen Sezession verstricken, ist die ihm zur Verfügung stehende Infrastruktur. Er hat Zugriff andere Newsquellen, auf Kolleg*innen, Freund*innen, also Zugriff auf andere semantische Pfadgelegenheiten, auf die er von Rumble zurückkehren kann.

Weil wir alle keine Individuen sind, ist diese Erkenntnis wichtig für den aufkommenden Sturm, denn Widerstand kann man nie alleine leisten. Jede Semantik braucht Anschluss an eine Community of Practice und diese Community wird mit dem Verlust der Hegemonie rapide kleiner werden. Wenn es in immer mehr Alltagssituationen nicht mehr „nützlich“ ist, an Menschlichkeit, Rücksicht, Toleranz, Aufrichtigkeit, Gerechtigkeit, Solidarität oder Verletzlichkeit zu glauben, werden die Kosten, diese Semantiken am Laufen zu halten, steigen. Antifaschismus wird noch mehr als früher: materiell.

Though I listened to an hour of Mr. Bongino’s opinions each day, it seemed like I learned mostly what various progressive or mainstream media figures had said about different culture war topics, and Mr. Bongino’s predictable reactions to them.

Hier die gute Nachricht: Sobald sie ihre Triumpfrunde beendet hat, wird die rechte Medienszene in den USA sich selbst zerlegen. Das gesamte Ökosystem ist auf Gegenhegemonie zu den traditionellen Medien ausgelegt und intern eigentlich ziemlich heterogen und wenn ihnen nun der Feind ausgeht, werden sie genügend Gründe finden, übereinander herzufallen.


In der Wired called Gary Marcus noch mal das Ende der Fahnenstange für den Transformeransatz bei Künstlicher Intelligenz und weist dabei auch auf die dürftige wirtschaftliche Ausbeutbarkeit des aktuellen Technologiestandes hin.

Furthermore, essentially every big company seems to be working from the same recipe, making bigger and bigger language models, but all winding up in more or less the same place, which is models that are about as good as GPT-4, but not a whole lot better. What that means is that no individual company has a “moat” (a business’s ability to defend its product over time), and what that in turn means is that profits are dwindling. OpenAI has already been forced to cut prices; now Meta is giving away similar technology for free.

Im Netzwerk der Abhängigkeiten verhindert die immer leichtere Verfügbarkeit von immer günstiger zu betreibenden Modellen die Schaffung von ausbeutbaren Netzwerkzentralitäten. Oder wie es ein Google Engineer bereits vor ein anderthalb Jahren prognostizierte: We have no Moat.


Im Harpers Magazine hat Liz Pelly sich tief in das Phänomen der „Ghost Artists“ bei Spotify gewühlt. Schon 2017 war herausgekommen, dass ein nicht geringer Teil der in populären Playlists vertretenen Künstler*innen gar keine Künstler*innen sind, sondern Fakeprofile hinter denen versteckte Tarnfirmen stecken, die mit günstig produziertem Hintergrundgeklimper die dicke Spotify-Kohle abgreifen (World Wide Web hatte darüber einen Beitrag). Doch wie groß und systematisch ist das Problem und vor allem: wie tief hängt Spotify mit drin?

Then, in 2022, an investigation by the Swedish daily Dagens Nyheter revived the allegations. By comparing streaming data against documents retrieved from the Swedish copyright collection society STIM, the newspaper revealed that around twenty songwriters were behind the work of more than five hundred “artists,” and that thousands of their tracks were on Spotify and had been streamed millions of times.

Dass Grifter versuchen, das System zu gamen ist erwartbar, doch wie kommt das Billiggeklimper in Spotifys Playlists? Pelly hat mit etlichen Slop-Produzent*innen gesprochen, interne Chats und Emails ausgewertet und dabei die systematische Ausbeutung der Künstler*innen herausgearbeitet, an der sich Spotify gerade gesundstößt.

Spotify, I discovered, not only has partnerships with a web of production companies, which, as one former employee put it, provide Spotify with “music we benefited from financially,” but also a team of employees working to seed these tracks on playlists across the platform. In doing so, they are effectively working to grow the percentage of total streams of music that is cheaper for the platform. The program’s name: Perfect Fit Content (PFC).
[…]
PFC eventually began to be handled by a small team called Strategic Programming, or StraP for short, which in 2023 had ten members. Though Spotify denies that it is trying to increase PFC’s streamshare, internal Slack messages show members of the StraP team analyzing quarter-by-quarter growth and discussing how to increase the number of PFC streams.
[…]
In a Slack channel dedicated to discussing the ethics of streaming, Spotify’s own employees debated the fairness of the PFC program. “I wonder how much these plays ‘steal’ from actual ’normal’ artists,” one employee asked.

An einer Stelle zitiert sie einen Künstler, der für eine der FPC-Agenturen komponiert und eingespielt hat.

A typical session starts with a production company sending along links to target playlists as reference points. His task is to then chart out new songs that could stream well on these playlists. “Honestly, for most of this stuff, I just write out charts while lying on my back on the couch,” he explained. “And then once we have a critical mass, they organize a session and we play them. And it’s usually just like, one take, one take, one take, one take. You knock out like fifteen in an hour or two.”

Und das ist erst der Anfang, denn jetzt tritt generative KI auf den Plan.

“I’m sure it’s something that AI could do now, which is kind of scary,” one of the former Spotify playlist editors told me, referring to the potential for AI tools to pump out audio much like the PFC tracks. The PFC partner companies themselves understand this. According to Epidemic Sound’s own public-facing materials, the company already plans to allow its music writers to use AI tools to generate tracks. In its 2023 annual report, Epidemic explained that its ownership of the world’s largest catalogue of “restriction-free” tracks made it “one of the best-positioned” companies to allow creators to harness “AI’s capabilities.”

Ich hatte hier ja neulich die materielle Geschichte der Musikindustrie erzählt und im Kern führt Spotify nur die Strategie der „relationalen Dematerialisierung“ weiter, die hinter jeder Form skalierbarer Ausbeutung steckt. Ich hatte sie im Supplychaintext so beschrieben:

Die Herstellung von Austauschbarkeit erweist sich als wesentliches Basiselement kapitalistischer Wachstumskonzeptionen. Und diese Austauschbarkeit wird über das Abkapseln von Verbindungen und das Reduzieren von Abhängigkeiten hergestellt.

Es geht bei Rationalisierung nicht nur um Kostenreduktion, sondern darum, die Abhängigkeiten der Dinge zur materiellen Realität zu reduzieren, um sie austauschbarer zu machen. Es ist andersherum: Gesunkene Kosten sind Ausdruck gelungener Entflechtung von der Realität. Im Falle der Kulturindustrie heißt das: von der materiellen Realität der Künstler*innen.


Cory Doctorow hat in seinem Jahresendpost unter anderem mit dem Verweis auf den Harpers-Artikel das Problem der Kreativen so zusammengefasst.

Movie studios, record labels, publishers, games studios: they all know that they are in possession of a workforce that has to make art, and will continue to do so, paycheck or not, until someone pokes their eyes out or breaks their fingers. People make art because it matters to them, and this trait makes workers terribly exploitable. As Fobazi Ettarh writes in her seminal paper on „vocational awe,“ workers who care about their jobs are at a huge disadvantage in labor markets. Teachers, librarians, nurses, and yes, artists, are all motivated by a sense of mission that often trumps their own self-interest and well-being and their bosses know it.

Das Gute: Weil die Semantiken aus uns Menschen eh nur so raussprudeln, werden wir den KIs auch in Zukunft Konkurrenz machen.


Ihr könntet natürlich auch einfach den Youtube-Channel von Then & Now abonnieren, aber wozu, wenn ich Euch eh jede Folge empfehle? Diesmal ein 5-Stunden-Brett über die Geschichte des Kapitalismus, in dem er nicht nur die materiellen, sondern auch die semantischen Vorraussetzungen seines Entstehens analysiert.


In Teil drei seiner lesenwerten Reihe „Slop Infrastructures“ geht der Künstler Eryk Salvaggio der weirden Instrumentalisierung von politischen Deepfakes von rechts nach und behandelt dabei vor allem die gefakten Taylor-Swift-Endorsments, von denen Trump sogar eins persönlich teilte.

I’m not convinced Trump’s post was meant to convince anyone that it was true. Instead, it seems to be an invitation to a cartoonish „imaginary world“ in which Swift, a virtual character, endorsed Trump. This imaginary character – the icon of Swift – is entirely distinct from Swift herself. Through AI, Swift becomes „a floating signifier,“ an image with newly contested meaning that can be captured and incorporated to support and bolster any ideas a person might desire.

In putting Swift into this position, you don’t say, „Swift endorsed us,“ which nobody believed. Instead, you encourage others to enjoy the control over what Taylor Swift signifies. AI-generated deepfake images offer the power to shape meaning in a world where people fear powerlessness and meaninglessness by inviting them to make others powerless and meaningless. That is the second fakery: the myth that AI manipulation is fun, because it’s just celebrities, when deepfakes can and have been used to target young women and activists.

AI-generated images of celebrities or disasters are not meant to suggest reality. They diminish the value of reality in constructing opinions or informing decisions. To post this image is, of course, a manipulation of Swift’s image, a violation of her agency, and to be very clear, I’m talking about this specific „Uncle Sam“ image, not the pornographic content with her in it. All of it points to the idea that if we share an illusion, that illusion matters in ways that are just as valid as any political reality. It is about controlling the symbols of the world, and it buys into a purely symbolic structure of power

Generative KIs sind Spreachakt-Waffen.

Wann immer wir den Mund aufmachen oder uns sonst irgendwie äußern, begehen wir Sprechakte. Sprechakte sind die materielle Basis der Semantiken – ja, auch der Bildsemantiken. Jeder Sprechakt beeinflusst das Netzwerk der Semantiken für alle, die der Sprechakt erreicht. In der Folge adaptieren, ignorieren oder kritisieren die Erreichten den Sprechakt. Das hört sich abstrakt ab, ist aber der ernste Hintergrund von Sprache ansich, sowie jedes Kulturkampfes und im Endeffekt auch jeder politischen Kampagne.

Salvaggio nimmt Rene Walters Beobachtung des „swarm gaze“ auf und zeigt an der Instrumentalisierung von Taylor Swift, wie der automatisierte „Male Gaze“ quasi als Sprechakt-Waffe des Patriarchats alle popkulturellen Symboliken mit männlich-hegemonialer Horniness vollsprizt.

The swarm-gaze is a result of badly mediated (or deliberately weaponized) social media infrastructures, fused with an unregulated infrastructure for AI image generation that is powered by pornography – including deepfakes and CSAM, a point acknowledged in internal Slack messages leaked to 404 Media in December 2023. This is fused with a political infrastructure that now includes, quite literally, the same guy who funds Civitai – Marc Andreessen, who is slated to be part of Elon Musk’s DOGE effort. Musk, of course, runs X. Donald Trump posted fake, AI-generated images of Taylor Swift endorsing him online.


Die Tatsache, dass der Kapitalismus einfach eine Organisationsform von Macht ist, wurde mir das erste Mal beim Lesen der Doktorarbeit von Uta Meier Hahn plausibel, in der sie die Konnektivitätsökonomie des Internets untersucht. In Krasse Links 11 fasste ich ihre Arbeit so zusammen:

In meinem Buch behandle ich auch die sehr lesenswerte Doktorarbeit von Uta Meier-Hahn, die eine Art Anthropologie der Netzwerkökonomie vorgelegt hat. Sie hat mit etlichen Verantwortlichen von großen Netzwerkbetreibern gesprochen und sich erklären lassen, wie genau Peering-Entscheidungen und -Deals getroffen werden. Für die, denen das nichts sagt: das Internet wird in seinen Grobstrukturen von nur einer Handvoll Großunternehmen betrieben, deren Geschäftsmodell es ist, ihre Konnektivität an Internet Service Provider, andere Netzwerkbetreiber oder CDNs wie Cloudflaire weiter zu verkaufen. Das Internet ist ein Netz der Netze und der Verkehr zwischen den Netzen hat ab und zu ein Kassenhäuschen – und manchmal auch nicht. Dann nämlich, wenn die Interessen beider Netzbetreiber, Daten zu tauschen, in etwa ausgeglichen ist. Die Kriterien dazu sind komplex und ein Großteil von Utas Arbeit befasst sich mit ihrer Katalogisierung, aber einer der wesentlichen Faktoren ist natürlich die Größe des Netzes. Ein kleines Netz hat immer ein höheres Interesse, mit einem größeren Netz Daten zu tauschen, als umgekehrt und deswegen muss das kleine Netz zahlen und das große bekommt Konnektivität geschenkt.

Das eigentlich spannende ist der Edgecase, den diese Art der Ökonomie darstellt. Es ist eine Ökonomie, in der es nur einmalige Investitionskosten, aber keine Grenzkosten gibt. Für das, was verkauft wird, gibt es keine Inputlinien.

Um zwei Netzwerke miteinander zu verbinden, muss meist nur ein Schalter umgelegt oder im schlimmsten Fall ein Serverrack installiert werden.

Doch das verblüffendste: Es entstehen nicht nur keine Kosten, sondern es entsteht sogar für beide Wert beim Zusammenschalten ihrer Netzwerke.

Wenn zwei Netze peeren, also Daten austauschen, dann erhöht sich die Summe der Pfadgelegenheiten für die eigene Kundschaft entsprechend der Größe und Qualität des jeweils anderen Netzwerks. Und umgekehrt! Für beide ist es ein Gewinn, für niemanden entstehen Kosten.

Und dennoch entstehen Preise? Der Edgecase besteht darin, dass die Konnektivitätsökonomie ein „Markt“ ohne das Fleisch der Kosten ist, so dass wir eine Art Röntgenaufnahme des Kapitalismus sehen. Der Befund: Preise werden genommen, wenn Preise genommen werden können und Margen sind Ausdruck von Macht.

Im Plattformbuch hatte ich diesen Zusammenhang in Form der Interdependenz-Bilanz nur auf die Plattformökonomie bezogen, doch ich denke, er ist universal anwendbar.

Alle Margen bestehen aus abgeschöpften Abhängigkeit-Dividenden.


Vielen dank, dass Du Krasse Links liest. Da steckt eine Menge Arbeit drin und bislang ist das alles noch nicht nachhaltig finanziert (ich bin jetzt bei € 326,42 – von eigentlich notwendigen € 1.500,-). Mit einem monatlichen Dauerauftrag kannst Du helfen, die Zukunft des Newsletters zu sichern. Genaueres hier.

Michael Seemann
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In letzter Zeit stolpere ich immer wieder über Referenzen zu Jean Baudrillard. Ich habe ein kompliziertes Verhältnis zu ihm. „Der symbolische Tausch und der Tod“ was my first post-structural Love, aber als ich Derrida entdeckte, konnte ich ihn nicht mehr ernst nehmen, aber das ändert sich gerade wieder.

Zum Beispiel bin ich über diesen interessanten Thread von Paul Soetaert gestoßen, der Baudrillards Stadien der Simulakren auf Geld anwendet. Die Stadien beschreibt er so:

Und wendet sie auf Geld an:

Ich finde das eine interessante Überlegung und gebe Soetaert von der Stoßrichtung her recht, aber leider hat er ein etwas outdated Verständnis von Geld, weswegen seine Analogien unschön in alle Richtungen hinken.

Aber mit unseren bisher diskutierten politisch ökonomischen Beobachtungen können wir die „relationale Dematerialisierung“ des Preises in Simulakrumsstufen einsortieren.

  1. Der Preis entspricht den Kosten. Man tut etwas, das kostet, man verlangt eine entsprechende Entschädigung. Ich weiß, aussterbendes Konzept.
  2. Der Preis entspricht den Kosten plus Macht. Marge ist Ausdruck von relationaler Dematerialisierung und somit bereits teil des zweiten Stadiums der Sumulakren – siehe das Supermarktbeispiel aus dem letzten Newsletter, aber hier würde ich das gesamte, traditionelle kapitalistische Wirtschaften einordnen.
  3. Der Preis ist nur noch Ausdruck der Macht und hat keinen reellen Bezug mehr zu Kosten. Das haben wir gerade in Reinform bei der Konnectivitätsökonomie des Internets behandelt, gilt aber auch für die gesamte Kulturindustrie und praktisch alle digitalen Geschäftsmodelle.
  4. Der Preis ist das Produkt. Endgültige Hyperrealität. Die relationale Dematerialisierung ist mit Bitcoin zum logischen Endpunkt geraten, wo eine technisch symbolisch hergestellte Knappheit den Bezug zur Realität austauscht.

Charlie Warzel versucht im Atlantic den wahren Nutzen von Crypto zu fassen.

Crypto is a technology whose transformative product is not a particular service but a culture—one that is, by nature, distrustful of institutions and sympathetic to people who want to dismantle or troll them. The election results were at least in part a repudiation of institutional authorities (the federal government, our public-health apparatus, the media), and crypto helped deliver them: The industry formed a super PAC that raised more than $200 million to support crypto-friendly politicians. This group, Fairshake, was nonpartisan and supported both Democrats and Republicans. But it was Donald Trump who went all in on the technology: During his campaign, he promoted World Liberty Financial, a new crypto start-up platform for decentralized finance, and offered assurances that he would fire SEC Chair Gary Gensler, who was known for cracking down on the crypto industry.

Ich fand die Diskussionen über „Money in Politics“ immer ein bisschen naiv, wenn man sich die Summen anschaut, um die es geht. Obama gab in 2008 etwas mehr als eine Milliarde Dollar aus und war damit sehr lange unangefochtener Spitzenreiter. Aber was ist eine Milliarde für Musk, Thiel. Bezos oder Gates?

Weil Trump sowieso an nichts glaubt, shoppt sich gerade die Oligarchie die Brieftasche wund und für die Crypto-Milliardäre gibts halt den Staat als Bagholder of Last Resort.

Der Trick ist, beim nächsten Cryptocrash „too Big to fail“ zu sein, d.h. bis dahin so viele finanzialisierte Abhängigkeiten auf sich vereint zu haben, dass Andreesen, Thiel und Co sich wie 2008 die Banken vom Steuerzahler „retten“ lassen können.

Wie der Adel im Feudalismus sind Cryptobros dann nur noch wichtig, weil sie wichtig sind und deswegen müssen wir anderen für ihren Reichtum schuften. Von der Hyperrealität direkt ins Mittelalter – oder wie wir hier sagen: der libertäre full circle.

Krasse Links No 36

Willkommen zu Krasse Links No 36. Schöpft den Wert aus der materialistischen Freiheit, heute busten wir die Netzwerkzentralitäten der Food Deserts.


Fast alle Kinder in Gaza glauben demnächst zu sterben, die Hälfte hofft darauf.

“The psychological toll on children was severe, with high levels of stress manifested in symptoms such as fear, anxiety, sleep disturbances, nightmares, nail biting, difficulty concentrating and social withdrawal,” the report said. “Children have witnessed the bombing of their homes and schools, experienced the loss of loved ones, and have been displaced or separated from their families while fleeing for safety.”


Ali Alkhatib schlägt vor, Unterscheidungen zu „Künstliche Intelligenz“ anders zu ziehen, als nach dem technischen Jargon seiner Entwickler*innen.

I think we should shed the idea that AI is a technological artifact with political features and recognize it as a political artifact through and through. AI is an ideological project to shift authority and autonomy away from individuals, towards centralized structures of power. Projects that claim to “democratize” AI routinely conflate “democratization” with “commodification”. Even open-source AI projects often borrow from libertarian ideologies to help manufacture little fiefdoms.

Wir brauchen situierte Begriffe, um die materielle Realität zu navigieren, ganz besonders bei so inhärent gewaltvollen Technologien wie KI. Wir brauchen eine Sprache der Technologie, die an den Schmerzerfahrungen ihrer Barrieren geschult ist.

Whether you subscribe to this way of defining AI or you totally reject it, I hope I’ve made it more salient to you that you can judge frameworks entirely according to how well it helps you navigate a space you’re trying to navigate. You can reject a definition that isn’t helping you, and I would encourage you to reject mine just as readily as I rejected AI Snake Oil’s if it’s not serving your purposes.


Nachdem es für den CCCongress nicht gereicht hat, werde ich eine etwas ernsthaftere und weniger technische Version meines Vortrags im Rahmen der Reihe MoMo Berlin am 20.01.2025 um 20:00 im Kino Babylon, Rosa-Luxemburg-Straße 30 halten. Weitere Infos hier.

Semantik für Fortgeschrittene. Wie mir Donna Haraway und ChatGPT wieder Lust auf eine menschliche Zukunft machten

Der Berliner Kulturwissenschaftler Michael Seemann hat im vergangenen Jahr über eine Menge grundlegender Dinge seine Meinung geändert. Es kam auch viel zusammen: Das allgemeine Pandemietrauma, seine Dissertation zu der Macht der Plattformen, sein Weggang von Twitter nach der Übernahme durch Elon Musk und dessen Umfunktionierung zur Nazipropagandawaffe, der Rechtsruck, die sich konzentrierenden reaktionären Strömungen im Silicon Valley, vor allem rund um Crypto und Künstliche Intelligenz und die Tatsache, dass er jetzt einen Hund hat.

Doch dann passierten noch zwei weitere Dinge: Er las sich in die Philosophie Donna Haraways ein (siehe hier auch einen Aufsatz von 1988 von ihr) und gleichzeitig, aber unabhängig davon, vertiefte er sich in die Funktionsweise von Large Language Models wie ChatGPT. In der Verbindung dieser beiden Neuverdrahtungen rejustierte sich sein Beobachten zu einer neuen Praxis des Sehens, die er seither in seinem Newsletter „Krasse Links“ einübt.

In seinem Vortrag möchte Michael Seemann versuchen, den zurückgelegten, gedanklichen Pfad zu rekonstruieren und plausibel zu machen, warum er sich lohnt. Zum weiteren Austausch nach dem Ende der Veranstaltung ziehen wir gegenüber in die BAR internazionale.


Ken Klippenstein hat immer alles, was sich andere nicht trauen zu veröffentlichen. Diesmal das Manifest des CEO-Shooters Luigi Mangione.

Überwältigt war ich nicht, es ist eher ein nüchterner Beipackzettel zum Mord als ein Manifest. Wichtig scheint mir der letzte Satz:

It is not an issue of awareness at this point, but clearly power games at play. Evidently I am the first to face it with such brutal honesty.”


Robert Evens sieht „Schmerz“ als den tieferen Grund von Mangione Radikalisierung. Zum Einen, weil er tatsächlich chronische Schmerzen hat, die er seit einem Unfall an der Wirbelsäule durchgehend mit Schmerzmitteln behandeln muss. Trauma verändern Menschen und in der Ausgeliefertheit, in der sich chronische Schmerzpatient*innen befinden, kann sich eine Menge Wut bahn brechen.

I know many people who suffer with chronic pain and ongoing medical issues. I will tell you that it is not uncommon in dark moments, after fruitless hours-long calls about dropped medications or receiving surprise bills, for them to joke about what they’d like to do to the executives who run these companies.

Zum anderen ist Schmerz auch Teil von Mangiones Goodreads-Rezension zum Unabombermanifest.

Der dort zitierte Reddit-Post liest sich in seiner vollen Länge wie ein wirkliches Manifest.

Evens folgert:

If you read this post in its entirety, as Luigi did, you can’t miss the pain there. Anxiety and horror at the inevitability of climate change, and the looming knowledge that everything good and green on this earth is being fed into the bloody maw of an industry concerned only with maximizing profit.

In more ways than one, Luigi Mangione was radicalized by pain.

Der ganze Newsletter ist sehr lesenswert, auch weil Evans einen plausiblen semantischen Pfad von den anderen Shootern, von Columbine über Christchurch bis zu Mangione zieht. Denn unabhängig von der Auswahl der Opfer und den politischen Motiven gibt es eben eine pfadrelevante Eigenlogik in der Semantik des Amoklaufs, speziell des politischen Amoklaufs seit Breivik, und diese Eigenlogik ist eine mediale.

In the wake of this shooting every media organization commenting on it has had to grapple with the waves of public enthusiasm for Luigi’s actions. Right-wing media figures condemning the left for celebrating this assassination have been criticized by their own readers and listeners. Insurance companies have pulled down lists of their executives from the Internet.

This is because they too understand the shooter culture of the United States. Like anyone else, they know that any mass shooting that meets with massive media coverage and interest will spawn copycats. The assassination Luigi is believed to have carried out was new and exciting; it demanded the public’s attention in a way most mass shootings don’t.

At almost the exact same time the United Healthcare CEO was assassinated, a gunman walked into a religious school near Oroville California and shot two young children before killing himself. This shooting drew almost no national attention. It was entirely drowned out by the execution of an insurance industry CEO. The armed and disaffected young men who are most drawn to this sort of thing will not miss this fact.

I believe Luigi Mangione was radicalized by pain. The shooters who follow him will all have their own reasons for what they do, their own journeys to that violent end. But ultimately, they’ll do what they’ll do because Luigi proved it’s what gets attention.

For now.

Damit haben sich mE. die ganzen Debatten, ob Mangione jetzt ein Rechter ist, weil er Rogan hört oder die falsche Meinung zu irgendwas hat, erledigt; er ist ein Kollege vom Schmerzlabor. Die von ihm aufgezeigte Pfadmöglichkeit, den eigenen Schmerz gegen die Eliten zu richten, hat für einen kurzen Moment eine andere Demarkationslinie am Horizont aufblitzen lassen und jetzt sind alle erschrocken.


Stacy Mitchell geht im Atlantic einem Phänomen nach, das man in den USA „Food Desert“ genannt hat. Das sind Gebiete, in denen es im Umkreis von 10 Meilen auf dem Land oder eine in der Stadt keine Supermärkte oder sonstige Food-Shops gibt, man also erhöhten Aufwand treiben muss, um an Nahrungsmittel zu kommen.

Wer jetzt glaubt, dass es Food Deserts immer schon gab, täuscht sich:

Although poverty and ruralness have been with us forever, food deserts arrived only around the late 1980s. Prior to that, small towns and poor neighborhoods could generally count on having a grocery store, perhaps even several. (The term food desert was coined in 1995 by a task force studying what was then a relatively new phenomenon.)

Der Grund für die strukturelle Unterversorgung ist Macht.

Dass Macht eine reale Sache in der Wirtschaft ist, mit der man umgehen muss, wusste man Anfang des letzten Jahrhunderts noch und so geriet im Lebensmittelsektor die Kette A&P in den Blick der Politik.

Congressional hearings and a federal investigation found that A&P possessed an advantage that had nothing to do with greater efficiency, better service, or other legitimate ways of competing. Instead, A&P used its sheer size to pressure suppliers into giving it preferential treatment over smaller retailers. Fearful of losing their biggest customer, food manufacturers had no choice but to sell to A&P at substantially lower prices than they charged independent grocers—allowing A&P to further entrench its dominance.

Im Zuge des New Deals wurde der Robinson-Patman Act geschaffen, der die Preisdiskrimierung großer Unternehmen gegenüber ihren Zulieferern untersagte, was die Machtkonzentration tatsächlich über viele Jahre in Schach hielt. Die Regulierung wurde wie so vieles in 1980ern unter Regan einfach nicht mehr enforced. Das Resultat waren Walmart und Co.

Walmart was the first to fully grasp the implications of the new legal terrain. It soon became notorious for aggressively strong-arming suppliers, a strategy that fueled its rapid expansion. By 2001, it had become the nation’s largest grocery retailer. Kroger, Safeway, and other supermarket chains followed suit. They began with a program of “self-consolidation”—centralizing their purchasing, which had previously been handled by regional divisions, to fully exploit their power as major national buyers. Then, in the 1990s, they embarked on a merger spree. In just two years, Safeway acquired Vons and Dominick’s, while Fred Meyer absorbed Ralphs, Smith’s, and Quality Food Centers, before being swallowed by Kroger. The suspension of the Robinson-Patman Act had created an imperative to scale up.

Preisdiskrimierung führt zu Konzentration, weil kleine Läden mit großen nicht mehr mithalten können. Von 1982 bis 2017 sankt der Anteil unabhängiger Retailer von 53 auf 22 Prozent. Der Wegfall der Konkurrenz eröffnet den großen Supermarktketten dann noch mehr Pfadgelegenheiten zur Ausbeutung.

In the 1960s, if a chain like Safeway wanted to compete for the grocery dollars spent by Deanwood residents, it had to open a store in the neighborhood. But once the independent stores closed, the chains no longer had to invest in low-income areas. They could count on people to schlep across town to their other locations. Today, in fact, many Deanwood residents travel to a Safeway outside the neighborhood to shop. This particular Safeway has had such persistent issues with expired meat and rotting produce that some locals have taken to calling it the “UnSafeway.” Yet, without alternatives, people keep shopping there.

Neben sinkender Qualität, steigenden Preisen und steigenden Aufwand für die Konsument*innen sind „Food Deserts“ das natürliche Ergebnis dieser Konzentration.

In rural areas, the same dynamic means that Walmart can capture spending across a wide region by locating its supercenters in larger towns, counting on people in smaller places that no longer have grocery stores to drive long distances to shop for food. An independent grocer that tries to establish itself in a more convenient location will struggle to compete with Walmart on price because suppliers, who can’t risk losing Walmart’s business, will always give the mega-chain a better price.

Hier eine evtl. empirisch falsifizierbare These:

Die Macht eines Unternehmens liest sich nicht an Marktkapitalisation, Marktanteil, Umsatz oder Gewinn ab, sondern an der Marge.

Margen sind grob gesagt die Differenz zwischen dem Produktpreis und seinen Beschaffungs- oder Herstellgungskosten.

Man kann sich das bildlich so vorstellen, dass auf ein Unternehmen im Netzwerk der Abhängigkeiten viele bepreiste Inputlinien einströmen, während bepreiste Outputlinien zu den Konsument*innen führen. Grundsätzlich gilt auch für einen Supermarkt, dass die Einnahmen langfristig die Ausgaben übersteigen müssen, aber ansonsten hat das Unternehmen viel Spielraum in dieser Situation.

Meistens kann man die Inputlinien drücken: Lohndumping, Gewerkschaften zerschlagen, Wage Theft, Druck auf Supplyer ausüben, vertikale Integration, Zahlungen zurückhalten, etc. Oder man schraubt an den Outputlinien: Preise erhöhen, Verkaufsmengen reduzieren, Qualität reduzieren, Regulierungen missachten, Filialen schließen, Enshittyfication, etc.

Das ist jeweils ein Balanceact, weil die Ausgebeuteten ab einem bestimmten Schmerzpunkt den Kanal kappen und versuchen werden, um das Unternehmen herumzurouten, doch über Herstellung entsprechender Netzwerkzentralitäten lassen sich Schmerzpunkte fast beliebig nach oben verschieben. Wo einem die Pfadgelegenheiten ausgehen, ist man gefangen.

Ausbeutung ist nicht etwas, das auschließlich zwischen Kapitalist*innen und Arbeiter*innen passiert, wobei diese Form der Ausbeutung nachwievor sehr zentral ist. Ausbeutung findet überall statt, wo in ungleichen Beziehungen Machtreservoires zu heben sind und erfolgreiche Unternehmen zeichnen sich darin aus, Zugriff auf viele solcher Reservoirs zu haben.

Beim Handeln des Unternehmens geht es immer darum, von anderen weniger abhängig zu sein, als die anderen vom Unternehmen, also eine unausgesprochene Austauschbarkeits-Hierarchie zu etablieren. Dann muss man sich nur noch die Erlaubnis geben, sie abzuschöpfen.

Aber wenn Macht Netzwerkzentralität im Netzwerk der Abhängigkeiten ist, dann geht das ganze Spiel des Kapitalismus darum, durch geschicktes Platzieren von Infrastrukturen, die Margen der anderen zu frühstücken. Und dann kommt die präziseste Kapitalismustheorie nicht von Marx, Keynes oder Hayek sondern von einer Feministin des frühen 20. Jahrhunderts: Lizzy Magie.


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Michael Seemann
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In der Finantial Times malt Rana Foroohar eine düstere Zukunft für Europa. Sie macht die einfache Rechnung auf, dass die Trump-Regierung, um ihre Ideen zum Handelskrieg gegen China inflationsfrei verfolgen zu können, wahrscheinlich den Dollar schwächen wird.

As Mario Draghi’s report on European competitiveness has noted, “China depends on the EU to absorb its industrial overcapacity” in areas such as EVs and clean tech. Add to this a devalued dollar (which would bolster American exports relative to European outputs) and the EU’s dependence on China for things like critical minerals, and Europe might quickly find itself in a uniquely weak position relative to both the US and China.

Wie man im Nachklapp der Pandemie, zur Gaskrise nach Putins Ukraineüberfall, zur im Suezkanal festgesteckten Ever Given und der Bedrohung der kommerziellen Schiffahrt durch die Houthi sehen konnte, sind Handelswege kritische Netzwerkzentralitäten im Abhängigkeitsnetzwerk unserer Wohlstandsgesellschaft und so lässt die verschlankte Makroperspektive der Geopolitik auf das Netzwerk einige Dynamiken viel deutlicher und konturierter erscheinen, als im Gewusel unseres Kapitalismusalltags.

Durch den Rückzug der USA wird China für Europa zur noch größeren Netzwerkzentralität: Für weniger Pfadgelegenheiten sind wir noch abhängiger. Trump, Xi, Musk und Silicon Valley wissen, wie man solche Machtreservoire melkt.

This brings me to the final point, which is about power. Europe today is like a well-dressed flâneur who is unaware he’s about to be attacked in an alley by a couple of street thugs. On one side are Trump, Musk and the big tech titans who have built and increasingly own Europe’s technology infrastructure. On the other is Beijing, which may end up hollowing out Germany’s car industry even as it holds out promises of better market access for German exporters.


Matt Pearce, der Präsident der „Media Guild of the West“, einer Journalistengewerkschaft, war im Decoder Podcast um über die aktuelle Situation im amerikanischen Medienmarkt zu berichten. Nilay Patel kam auf ihn, weil er diesen sehr lesenwerten Blogpost schrieb:

The dominant social media platform form for news, Twitter, was purchased and turned into a right-wing mobilization engine for an emotionally unstable federal contractor. Meta, under Mark Zuckerberg, has driven its monopolistic social media platforms as far away from hard news as possible, to the point of explicit hostility. I am genuinely unsure if Google cares whether we live in a democracy or not as long as the feds let them keep spamming AI slop about glue pizza to keep OpenAI away from its Search monopoly. TikTok is a casino whose amazing success at circulating mindless content may come at the expense of “sleep, and eating, and moving around the room, and looking at someone in the eyes,” according to one of its own executives. These are gigantic companies with far larger consumer audiences than any traditional media company that was covering the election, and some of these platforms are taking on the characteristics of becoming publishers themselves in terms of shaping content decisions and producing content of their own via AI. There are too many billionaires and CEOs in charge of too few information chokepoints, which are powered by too much surveillance over too many users who have too few viable alternatives.


Kurzer Zwischenruf von Carl Sagan.

 


Der Decoder-Podcast mit Pearce ist ebenfalls interessant, denn Nilay Patel ist einer der wenigen Journalist*innen im Techbereich, die verstehen, dass Medien ein Machtproblem haben. Im Podcast versucht er es so zu fassen:

But there’s also an economic angle here that goes beyond just the raw numbers of website traffic. It’s about how journalists create value today and how that value moves through the information ecosystem because so many other people can just take that value for free.

[…]

But I look at it now and I’m like, well that’s just a huge value exchange, right? Like I, we make the work, we pay for the reporters and then the people on TikTok read our stories. TikTok makes a bunch of ad revenue, the creators might get some creator fund revenue or whatever and we get nothing. And I, I don’t know how to reconcile that because there’s a part of me that says, well I want our stories to spread. I want people to see that there’s The Verge logo and that means it’s real Journalism and you can trust it and go ahead and talk about it as much as you want.

Die Semantik des „Wertes“ ist eine der ältesten Versuche zu fassen, was in der Wirtschaft so passiert und ich bin nicht glücklich damit. Jon law, Adam Smith, David Ricardo, Marx und Porter versuchten alle den Wert an die Ware/das Gut zu heften. Das kann nur schief gehen, denn Wert ist keine Eigenschaft eines Objektes, sondern ein Effekt im Netzwerk der Pfadmöglichkeiten.

Ein Schraubenschlüssel hat für mich deswegen Wert, weil er mir in Kombination mit meinen anderen Werkzeugen eine Pfadgelegenheit bietet, die Waschmaschine zu reparieren. Die Waschmaschine wiederum bietet mir ständig Pfadgelegenheiten, meine Wäsche zu waschen, aber ist dabei auf die Pfadgelegenheiten Strom- und Wasseranschluss angewiesen. Saubere Klamotten beherbergen die Pfadgelegenheit, sozialverträglich durch den Alltag zu kommen, etc.

Wo residiert der Wert des Schraubenschlüssels? In dem Metalldings selbst? In der heilen Waschmaschine? In Wasser und Stromanschluss? In der Konvention nicht zu sehr zu stinken?

„Wert“ ist ein ständiger und nie abgeschlossener Aufschub im Netzwerks der Pfadgelegenheiten. Materialisieren tut sich der Wert immer nur im Schmerz, zum Beispiel im Schmerz einer kaputten Waschmaschine oder im Schmerz der Reperatur.

Wo die Rede vom „Wert“ aber gefährlich wird, ist, wenn man den Ort, an dem der Wert geschaffen wird, mit dem Ort verwechselt, wo er abgeschöpft wird, denn diese Orte fallen fast nie in eins.

Ein plakatives Beispiel ist der Immobilienmarkt. Der „Wert“ einer Immobilie wird weniger von ihrer materiellen Substanz bestimmt, als vielmehr von den Pfadgelegenheiten, die die Lage der Immobilie bietet. Der Immobilienmarkt ist der Ort, an dem der Wert von Nachbarschaft, Öffis, Stadtreinigung, Parkanlagen, Schulen, Cafés, Galerien und Veranstaltungen abgeschöpft wird.

Seit Influencer*innen sich – wie vor ihnen schon die Plattformen – als Netzwerkzentralität zwischen Journalismus und Publikum positioniert haben, frühstücken sie die letzten, übriggebliebenen Margen der traditionellen Medien.


Ach fuck it, was soll ich machen, ich bin ein Liberaler.

Als europäischer 20th Century-Guy bin ich ein Kind der Aufklärung und es wäre albern das abzustreiten und auch wenn ich mit ihr immer mal wieder ein ernstes Hühnchen zu rupfen habe, fühle ich mir ihr doch verpflichtet. Dazu gehört neben dem Streben nach Wissen auch das Streben nach Freiheit als Praxis und als politischer Wert. Freiheit war immer mein größter Antrieb und meine wichtigste Inspiration und das lass ich mir weder von Elon Musk noch von Christian Lindner nehmen.

Allerdings bin ich ein „materialistischer Liberaler“. Im Unterschied zum klassischen Liberalen nehme ich nicht die Freiheit des Individuums in den Blick, sondern die des Dividuums.

Einem Individuum gibt man Freiheit durch das Zugestehen von „Rechten“, einem Dividuum gibt man Freiheit, in dem man die Anzahl und Qualität der ihm zugänglichen Pfadgelegenheiten erhöht. Als materialistischer Liberaler weiß ich, dass das, was die klassisch Liberalen immer „Chancen“ nennen, materiell sein müssen.

Das ist nicht nur ein Mandat für zugängliche, öffentliche, materielle Infrastruktur in Richtung Universal Basic Services und für das aktive Bekämpfen von Machtkonzentrationen, möglichst bevor es zu spät ist, sondern auch ein Mandat für semantische Vielfalt.

Im semantischen Raum bedeutet Freiheit – also mehr und bessere Pfadgelegenheiten – zum Beispiel eine möglichst breite und vielfältige Bildung und das Zugänglichhalten von Bildungspfaden für jedes Alter. Es bedeutet aber auch ein Streben nach Vielfalt an Lebensentwürfen, Geschlechtern, Sexualitäten und anderen Identitäten. Freiheit ist Vielfalt, denn nur Vielfalt ermöglicht es, woanders hingehen zu können.

Kurz: Ich möchte wegkommen von einer Freiheit, die man sich nimmt, hin zu einer Freiheit, die wir uns gegenseitig schenken.

Krasse Links No 35

Willkommen zu Krasse Links No 35. Holt die Elefanten aus der Matrix, heute challengen wir mit Rogannomics die Vibesession der Gilded Age.


Zeynep Tufekci reflektiert in der New York Times den Mord an dem United Heathcare CEO Brian Thompson und vor allem die einhellig enthusiastischen die Reaktionen darauf (jedenfalls außerhalb von Elitenzrikeln).

But this was something different. The rage that people felt at the health insurance industry, and the elation that they expressed at seeing it injured, was widespread and organic. It was shocking to many, but it crossed communities all along the political spectrum and took hold in countless divergent cultural clusters.

Even on Facebook, a platform where people do not commonly hide behind pseudonyms, the somber announcement by UnitedHealth Group that it was “deeply saddened and shocked at the passing of our dear friend and colleague” was met with, as of this writing, 80,000 reactions; 75,000 of them were the “haha” emoji.

Unser historischer Moment erinnert sie an die „Gilded Age“.

The Gilded Age, the tumultuous period between roughly 1870 and 1900, was also a time of rapid technological change, of mass immigration, of spectacular wealth and enormous inequality. The era got its name from a Mark Twain novel: gilded, rather than golden, to signify a thin, shiny surface layer. Below it lay the corruption and greed that engulfed the country after the Civil War.

The era survives in the public imagination through still-resonant names, including J.P. Morgan, John Rockefeller, Andrew Carnegie and Cornelius Vanderbilt; through their mansions, which now greet awe-struck tourists; and through TV shows with extravagant interiors and lavish gowns. Less well remembered is the brutality that underlay that wealth — the tens of thousands of workers, by some calculations, who lost their lives to industrial accidents, or the bloody repercussions they met when they tried to organize for better working conditions.

Damals wie heute ist der wesentliche Treiber die Konzentration von Macht und damals wie heute führte die Unfähigkeit der Politik darauf zu antworten zu politischer Gewalt. Doch während sich damals die Politik gegen die Oligarchie einigermaßen zurückkämpfte und Reformen durchsetzen konnte, sieht es heute nicht danach aus.

The concentration of extreme wealth in the United States has recently surpassed that of the Gilded Age. And the will among politicians to push for broad public solutions appears to have all but vanished. I fear that instead of an era of reform, the response to this act of violence and to the widespread rage it has ushered into view will be limited to another round of retreat by the wealthiest. Corporate executives are already reportedly beefing up their security. I expect more of them to move to gated communities, entrenched beyond even higher walls, protected by people with even bigger guns. Calls for a higher degree of public surveillance or for integrating facial recognition algorithms into policing may well follow. Almost certainly, armed security entourages and private jets will become an even more common element of executive compensation packages, further removing routine contact between the extremely wealthy and the rest of us, except when employed to serve them.


Die moralische Dimension des Attentats als Trolleyproblem.


Der endgültige Release von OpenAI o1 ist endlich passiert und as predicted ist der Q*Ansatz bereits auserzählt. Die mit o1-preview bereits underwhelming tiny Boosts in manchen Benchmarks werden kaum übertroffen, teilweise sogar untertroffen.

Stattdessen hat man jetzt ein neues Dings namens „ChatGPT Pro„, vom sie nicht sagen wollen, wie es funktioniert, aber da es nicht relevant besser ist (außer in wenigen Spezialbenchmarks) als o1 und preview, kann man die 200 Dollar pro Monat auch stecken lassen, die es extra kostet. OpenAI bewirbt es interessanter Weise so:

ChatGPT Pro provides a way for researchers, engineers, and other individuals who use research-grade intelligence daily to accelerate their productivity and be at the cutting edge of advancements in AI.

Mit „Research-grade intelligence“ zielen sie nicht auf Wissenschaftler*innen, sondern sexuell frustrierte STEM-Bros, die sich dafür halten, weil sie Sam Altman stanen und auf jeder Party alle mit dem „Alignmentproblem“ nerven. Entscheidend ist der letzte Halbsatz:

„and be at the cutting edge of advancements in AI.“

Verkauft wird ein „Front Seat“ für den „Ride“ gen „AGI“. OpenAI goes fully „Crypto“ und verscherbelt ab jetzt nur noch FOMO.


Taylor Owen kommentiert in der Tech Policy Press die sich ankündigende Fusion von Plattform- und Staatsmacht in den USA.

Look at Elon Musk’s growing empire. Tesla, Starlink, X, and Neuralink all stand to benefit substantially from this new alignment. They won’t be alone. Peter Thiel’s Palantir and Palmer Luckey’s Anduril are perfectly positioned to collect expanded defense contracts, while major venture capital cryptocurrency investments are likely to see favorable regulatory treatment. The concentration of power in these companies‘ hands isn’t just about market dominance, it’s about shaping the very rules of our digital future.

But this realignment also creates clear winners and losers. Tech companies seen as oppositional to this new order are already facing challenges. Musk’s expansion of his lawsuit against OpenAI to include Microsoft is just the beginning. Meta and Amazon’s futures remain uncertain, shaped by President-elect Trump’s long-standing antagonism toward Mark Zuckerberg and Jeff Bezos. The tech landscape is being redrawn along political lines, with profound implications for innovation and competition.

Dabei geht es nicht nur um regulatorische Befreiung von Big Tech, sondern nebenher wird auch ein Kampf gegen alle Institutionen, die sich zum Beispiel an Universitäten zur kritischen Forschung zu Plattformen gebildet hatten.

Marc Andreessen and Musk have both called for research working on election interference and misinformation to be prosecuted, and President-elect Trump has called for the suspension of non-profit status to universities that have housed this work. Faced with this kind of existential threat, universities are very likely to abandon these scholars and their labs.

Das wird auch für uns in Europa absehbar drastische Folgen haben.

Europe, with its robust regulatory framework, is very unlikely to enforce Digital Services Act obligations against X. The chilling effect on digital governance could last for years, leaving a regulatory vacuum filled only by US corporate interests.

Owen kommt zu dem Schluss

For those of us who have long studied the relationship between tech and political power, the path ahead is daunting but clear. This merger of state and tech power isn’t just another shift in the landscape. It’s a fundamental challenge to democratic governance in the digital age. The work of protecting democratic values in this new landscape has only just begun.

Schon alles richtig, ich fürchte nur, die „Challenge“ ist bereits vorbei?


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Patrick Boye geht der Frage nach, was denn jetzt stimmt: Ist die US-Wirtschaft wirklich schlecht, wie so viele sagen, sogar viele Demokraten, oder ist das nur eine Vibesession und alles in Wirklichkeit tutti? Boyle kommt dann doch zu einem überraschend eindeutigen Ergebnis:

Nach fast allen relevanten Zahlen: Jobs, Produktivität, Einkommen, Inflation etc, gabs zumindest die letzten zwei Jahre wenig an der ökonomischen Entwicklung zu meckern.

Das ist schon ziemlich merkwürdig, denn die gefühlte wirtschaftliche Lage war zwar nie wirklich identisch mit den Kennzahlen, aber es ergab sich eine deutliche Korrelation, doch diese Korrelation so Boyle, sei seit der Pandemie durchbrochen.

When the pandemic first struck the economy tanked and sentiment collapsed with it – so far that’s totally normal. But the strange thing is that when the economy bounced back, sentiment didn’t. The relationship between economic statistics and surveys of public sentiment broke down entirely at that point – and this was totally new – there is no history of a similar divergence looking back through economic history.

Was die Pandemie gemacht hat, ist die Welt neu zu verdrahten. Die materielle Mediengeschichte der Pandemie kann man an vielen Daten ablesen, etwa wie das Öffentliche Leben zum Stillstand kam und sich nie wieder ganz erholte, weil Dritte Orte – Orte jenseits von Arbeit und Zuhause – ebenfalls mehr und mehr verschwunden sind.

Die Menschen sind seither einsamer, aber haben ihre Sozialität auch verstärkt ins Internet verlagert, wo sie „Influencer*innen“ folgen, eine Menge Podcasts abonniert haben, und ihre Informationen vermehrt aus Social Media beziehen. Als sie dann noch Aktien-Trading-Apps luden und Crypto kauften, richteten sich auch ihre Aufmerksamkeitskanäle auf die boomende Investment- / Cryptoinfluencer*innen-Szene aus und sie wurden empfänglich für deren Botschaften des baldigem Kollaps, usw.

Das ist nicht nur ein Shift von „Aufmerksamkeit“ und „Medienkonsum“, als wäre das sowas wie Süßigkeiten Essen. Es ist eine völlig andere Informations-Kanalisation entstanden, die sich seit der Pandemie nicht nur verfestigt hat, sondern auch pfadopportunistisch gewachsen ist. Und das betrifft nicht nur die Kanäle, sondern auch die Frage, wem ich vertraue. Bei der Neuverdrahtung spielte weniger eine Rolle, wer das plausibelste Deutungsangebot hat, sondern, bei wem ich mich verstanden fühle. All das Vertrauen, dass damals zu Bruch gegangen ist, hat sich andere Wege gesucht und empfängt jetzt eben auch andere Vibes.


Schon ein bisschen amüsant, wie sich gerade all die Rich-Guys ein Bein ausreißen, um Pfade in Trumps Ohr zu finden.

To break into the unusual circle of influence that surrounds Trump, chief executives are discussing whether to try to secure an appearance on Joe Rogan’s podcast. They are buying the Trump family’s cryptocurrency token and emailing tips about spending cuts to Vivek Ramaswamy. Some lobbyists are instructing companies to scrub their websites and corporate policies of language that favors Democrats and instead tout GOP-friendly issues such as job creation.

[…]

If the Rogan podcast proves too difficult to book, several similar but smaller podcasts like the Jordan B. Peterson Podcast have piqued interest. There is less desire to talk to traditional mainstream media, one public-relations executive said.


Apropos Joe Rogan, er ist ja nur die Spitze eines Bro-Podcast-Eisberges im Spotify-Ozean. Sam Wolfsohn hält diese Szene im Guardian für das Fox News der jüngeren Generation.

But Fox News is watched by older people – the median age is 68. Now, a Fox News for the young has been established. It’s not on one channel on a DirectTV box, but its audience is far bigger, potentially reaching 10 times as many people. It’s an amorphous network of podcasts, YouTubers, Twitch streamers and meme accounts from Kill Tony to Joe Rogan to Dilley Meme Team. They encompass entertainment, comedy, sport, health, relationships – but a distrust of the Democrats and the mainstream media permeates them all.

[…]
The top three podcasts in the week of the election – with audiences bigger than those of every news outlet, every true crime show, every wellness blogger – were from Joe Rogan, Tucker Carlson and Theo Von. The rest of the top 25 is made up mostly of other conservative and “anti-establishment” commentators, a combination of veterans of Fox News and young upstarts: the Turning Point USA co-founder Charlie Kirk, Candace Owens, Ben Shapiro, Megyn Kelly, the former navy Seal Shawn Ryan, the former NYPD officer Dan Bongino. Some of these hosts are partisan but most don’t say they are Republican or even rightwing in focus; they say they are independent and challenge talking points from both the left and the right. All have endorsed or shown qualified support for Donald Trump.

Trump gewann junge Männer unter dreißig um 14% vor Harris auch deswegen, weil Podcasts an Orte reichen, an denen das „Groundgame“ der Demokraten gar nicht hinkommt.

Before the election Democrats talked about having a strong ground game. They might be better than Republicans at reaching people within communities – Black communities, LGBTQ+ communities, labor unions – but they have not recognised that many young people, mostly men, exist almost entirely without community. They might not ever go to a Trump rally, but when they listen to him on a show like Von’s or Rogan’s, they’ve got a friend.

Wir erinnern uns: einer der befragten jungen Männer, die für Trump gestimmt hatten, erzählte als Begründung für seine Wahl das Märchen, dass Kalifornien wirtschaftlich am Ende sei – eine Volkswirtschaft, die die fünft größte Ökonomie der Welt wäre, wäre sie ein eigener Staat.

Ich höre kein Rogan, habe aber letztens in die Folge mit Peter Thiel reingehört, wo dieser genau das einem wild nickenden Rogan erzählen darf und da hab ich mich natürlich gefragt, ob der junge Mann das aus diesem Podcast hat, oder direkt von der Quelle, dem ALL IN Podcast von Peter Thiels reaktionären Investor-Freunden, wo David Sacks nicht aufhören kann, über dieses Thema rumzuheulen.

So oder so: Im audiotiven Broversum zwischen Rogan, Musk, Thiel, Sacks und den Crypto- und Fiananz-Influencern ist eine neue, einflussreiche Ökonomische Schule entstanden: Die Rogannomics. Libertäre Wirtschaftsexpertise in wiederholbaren Slogans – direkt von Deinem Lieblings-Milliardär auf Deine Ohren.


Isabeller Weber hatte bereits kurz nach der Trumpwahl eine spannende Analyse geliefert und findet noch eine andere Erklärung für die „Vibesession“ in den USA seit der Pandemie.

Weber macht den Haraway-Turn und versucht sich in die Menschen und ihre situierten, heterogenen Lebenssituationen hineinzudenken und verweist auf den Unterschied zwischen gemessener und erlebter Inflation.

Es macht einen großen Unterschied, ob man mietet oder nicht, ob man eine Familie hat. Familien geben in der Regel sehr viel mehr Geld für Essen aus als Alleinstehende. Wenn man vor der Inflation systematisch Güter im Angebot gekauft hat und die Rabatte nun verschwunden sind, hatte man auf einmal eine enorm hohe Inflationsrate im Lebensmittelbereich, noch weit über der gemessenen Inflation. Bei der Inflation reden wir immer nur über Durchschnitte, wo einerseits ein durchschnittlicher Preisanstieg und andererseits ein repräsentativer Warenkorb angenommen wird. Aber auf beiden Seiten gibt es große Heterogenität.

Erlebte Inflation begegnet uns nur punktuell. Oft fällt sie uns gar nicht auf, aber es gibt dann immer doch so ein zwei Güter im eigenen Warenkorb, deren Verteuerung wir als Schmerzhaft empfinden. Weil der Mensch kein kalkulierender Homo Oekonomikus ist, sondern ein dividueller Pfadopportunist in der Schmerzarchitektur des Kapitalismus, wird zwar der Schmerz erinnert und die Kanäle justiert, aber ein Saldo wird nie gezogen.

„Wie es der Wirtschaft geht“, war immer schon einfach das, was man sich halt so erzählt, wie es der Wirtschaft geht. Die Daten, die man als Einzelner zur Verfügung hat, diese Erzählungen zu verifizieren sind eh rar und unvollständig und können im Laurel/Yanny-Sinne Pfadgelegenheiten für sehr unterschiedliche Erzählungen bieten, weswegen die Zuhandenheit von Deutungsangeboten wichtiger ist, als die eigene Erfahrung.

Weil wir keine Individuen sind, die die Welt beobachten, sondern Dividuen, die ihre Beobachtungen dazu nutzen, aufgeschnappte Erzählungen zu plausibilisieren, tragen Milliarden Schmerzerinnerungen als verteilte Privatempirie die Thesen der Rogannomics.


Alice Marwick bestätigt auf der Website des Niemanlab das Gefühl, dass redaktionelle Nachrichten und nicht-rechte Perspektiven nicht mehr durchsickern.

“The gap between mainstream media readers, people who get most of their news through influencers or partisan social media, and people who barely think about news at all will create a fundamental schism in how Americans see the world.”

Das hat auch mit unterschiedlichen materiellen Bedingungen der Fundig-Struktur zu tun.

Young talent is found in spaces like TikTok, developed and incubated in spaces like PragerU, promoted by other influencers, and amplified by social media spaces that prioritize conservative content. As Taylor Lorenz recently pointed out, their leftist equivalents are often stuck working on a shoestring. No matter how liberal they are, left-wing billionaires are unlikely to support creators who advocate for socialism or the abolition of wealth hoarding.

Der Begriff „Desinformation“ habe ausgedient.

2024 was the year “disinformation” outlasted its usefulness. Moving forward, we should not be concerned with isolated incorrect facts, but with the deeply-rooted stories that circulate at all levels of culture and shape our points of view. The challenge for 2025 is to confront these deeper epistemic divides that shape how Americans understand the world; in other words, the ways we arrive at the knowledge that forms our perspective.

Das Internet hat ein bisschen Anlauf gebraucht, aber ich halte es für safe to say, dass der „Major Consensus Narrative“ endgültig ad Akta liegt. Journalistische Wahrheit und demokratische Politik ist jetzt nur noch eine absteigende Subkultur unter vielen und könnte als Ganzes nicht mal mit Mr. Beast mithalten.

Es war am Ende die Mischung aus allem: Das endgültige Ende der Hegemonie der Massenmedien und der Switch in die Realität der Vernetzungsmedien, die Neuverdrahtung der Informations-Perkulationskanäle durch den Pandemie-Shock, die Ausweitung der Paywalls gegen journalistische Angebote, die willentliche Ausdünnung von News und Politik aus den Meta-Newsfeeds und natürlich die Übernahme von Twitter durch Elon Musk und die Zersprengung des Newsnerd-Tibes.

Hier stehen wir, die versplitterten Reste des Newsnerd-Tribes und langsam dämmert es uns, dass wir nur noch zu uns selbst reden. Unsere Echokammer ist umwickelt mit einem algorithmischen Isolierband, das uns vom Restnetzwerk trennt, aber immerhin haben wir noch Fensterplätze und können von hier live dabei zusehen, wie die Semantische Sezession das Ruder übernimmt.

Lasst uns Christian Linder den Schiedsrichter machen. Wenn er innerhalb der nächsten zwei Wochen zurücktritt, dann werten wir das, als hätte der „Major Consensus Narrative“ stärke gezeigt und die alten Institutionen der Öffentlichkeit sind doch noch mal durchgedrungen. Wenn nicht, dann leben wir bereits in der Matrix.


Die queere und schwarze Kinderbuchautorin Jacqueline Woodson ist Ziel vieler Zensurmaßnahmen von Republikanern und radikalisierten School-Boards und laut diesem Interview ist das gar nicht mehr so glamourös, wie es sich anhört.

I remember back in the day when people would talk about book bans, people would say “Oh, you must be excited! Because the minute they ban a book everybody’s running to get the book and read it.” But now we’re living in a different time, where it’s legislated. If books are banned, and people try to put them into the hands of young people, they lose their jobs. Librarians are scared, teachers are scared. And for me, it’s heartbreaking.

Das ganze Interview ist lesenswert, aber ich fand vor allem die Stelle spannend, in der sie über „Race“ nachdenkt.

And… is race is hard? Race is a Tuesday in my family. We’re an interracial family, we’re dealing with all kinds of stuff all the time. And folks of color talk about race. It’s inevitable. What’s hard for us is that other people don’t. And I think that in talking to young people about The Now—it’s part of a conversation. Like, yes this is devastating for some of us. Why is it devastating? Let’s talk about where it lives in your body, and what you can do with what you have to make it a little bit better. So much of what This Now is trying to do is make us feel powerless. And I don’t think we are. I don’t think any individual is.

Eine andere materielle Realität erfordert eine andere Semantik, das Sein bestimmt schon zu einem Großteil das Bewusstsein. Weil Wahrheit Schmerz ist, gibt es Dinge in unseren Leben, die wir nicht wegignorieren können, für die wir eine Sprache brauchen, um uns mit ihnen auseinanderzusetzen oder an ihnen vorbeizunavigieren.

Lasst Euch das mal von mir altem weißen Mann whitesplainen: Ich kenne die materielle Realität des Rassismus nicht aus persönlichem Schmerz heraus, aber seit ich mich mit dem Thema beschäftigt habe und mich mit vielen Menschen, die diese Form der Realitätserfahrung betrifft, ausgetauscht habe, fühle ich mich partiell fähig, Rassismus zu sehen. Ich stoße nicht selbst dagegen, aber ich sehe Menschen an dieser Barriere abprallen und ich sehe sie Umwege um sie herum suchen. Ich sehe, wie Menschen Pfadgelegenheiten verwehrt werden, die selbstverständlich für mich sind, ich sehe die überall eingeschränkte nominelle Freiheit und schließlich sehe auch den Schmerz, den das auslöst.

Ich musste beim Lesen aber auch an die Parabel von Idries Shah denken: „The Elephant in the Dark„. Wikipedia fasst sie so zusammen:

The parable of the blind men and an elephant is a story of a group of blind men who have never come across an elephant before and who learn and imagine what the elephant is like by touching it. Each blind man feels a different part of the animal’s body, but only one part, such as the side or the tusk. They then describe the animal based on their limited experience and their descriptions of the elephant are different from each other. In some versions, they come to suspect that the other person is dishonest and they come to blows.

Die Geschichte soll Toleranz für unterschiedliche Sichtweisen plausibilisieren, aber ich würde es größer machen: So funktioniert Sprache.

Wir tasten uns alle durch die Welt und machen Vorschläge für Unterscheidungen, die entweder angenommen, in Frage gestellt oder ignoriert werden und dann murmeln wir so vor uns hin und während dein Murmeln mein Murmeln korrigierte und umgekehrt, entwickelte sich daraus im Laufe von ein paar tausend Jahren die bis heute krasseste Künstliche Intelligenz, die die Menschheit je gesehen hat: Semantik.

Semantik ist nicht nur die Infrastruktur des Denkens, sie ist auch Realitäts-Sensor. Durch die Einübung eines neuen Begriffs aquirieren wir immer auch eine neue Form von Aufmerksamkeit.

Krasse Links No 34

Willkommen zu Krasse Links No 34. Ertastet Eure Netzwerktopologien im Algorithmus, heute kollabieren wir den Informational Capitalism in der Graphnahme der Öffentlichkeit.


Stefan Rahmstorf schreibt über die Krise der Desinformation mit Bezug auf die Klimakrise und kommt zu dem Schluss:

Wir rutschen vom Zeitalter der Aufklärung in einen trügerischen Sumpf von Falschinformation, Desinformation, Mikrotargeting. Wir waten durch stinkende Informationsabwässer, und Trump ist ein Bazillus, aber das tiefere Problem dahinter sind die Kanäle.


Auch die Internetforscherin Joan Donovan kommt im Guardian zu einem ähnlichen Ergebnis wie Rahmstorf und ich im letzten Newsletter. Die digitalen Öffentlichkeiten wurden weitgend von rechts gecaptured und algorithmisch übernommen: sie sieht darin eine Form des Technofaschismus.

Over the past decade, we have watched social media platforms warp public opinion by deciding what is seen and when users see it, as algorithms double as newsfeed and timeline editors. When tech CEOs encode their political beliefs into the design of platforms, it’s a form of technofascism, where technology is used for political suppression of speech and to repress the organization of resistance to the state or capitalism.

Auch sie durchschaut Zuckerbergs sneaky Rolle in dem Spiel:

For example, Meta has limited the circulation of critical discussions about political power, reportedly even downranking posts that use the word “vote” on Instagram. Meta’s Twitter clone, Threads, suspended journalists for reporting on Trump’s former chief of staff describing Trump’s admiration of Hitler. Threads built in a politics filter that is turned on by default.


Steven Miller, bald Trumps stellvetretender Chief of Staff, ließ nach Zuckerbergs Spontanbesuch auf Trumps Sofa in Mar-A-Largo verlauten:

Mr. Zuckerberg “has been very clear about his desire to be a supporter of, and a participant in, this change we’re seeing all around America and the world, with this reform movement that Donald Trump is leading.”


Vielen dank, dass Du Krasse Links liest. Da steckt eine Menge Arbeit drin und bislang ist das alles noch nicht nachhaltig finanziert (ich bin jetzt bei € 153,42- von eigentlich notwendigen € 1.500,-). Mit einem monatlichen Dauerauftrag kannst Du helfen, die Zukunft des Newsletters zu sichern. Genaueres hier.

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Mein Lieblings-Tiktoker, Etymology Nerd aka Adam Aleksic, hatte einen Gastbeitrag im Newsletter der geschätzten Tylor Lorenz und verknüpft sein linguistisches Wissen mit seiner direkten Erfahrung und Selstbeobachtung im Umgang mit Algorithmen.

Whenever I post videos on TikTok or Instagram, I can’t trust the platforms to show you my content. Modern social media doesn’t allow for a direct link between creators and followers. Instead, the apps use algorithms to recommend curated content, which means that I have to modify my communicative style to fit their constraints. I talk faster, with less nuance. I hyperbolize and exaggerate my natural voice, because I know that’s what the algorithm wants.

Als Linguist versteht er den Einfluss der materiellen Entstehungsbedingungen auf die öffentlichen Semantiken.

The implications, needless to say, are concerning. Research is already indicating that politicians are engaging in greater online incivility than before because they know that civil content garners less engagement. Other analyses suggest that the deliberate exaggeration of online opinions causes increased polarization, normalizing extreme views while damping moderate views. Marjorie Taylor Greene is always going to get more clicks than my rank-and-file congressman, Paul Tonko.

Sein Punkt ist, dass wir gerade den endgültigen Kipppunkt von dem Konzept der Massenmedien in den der viralen Medien erlebt haben, in der nicht mehr Reichweite, sondern Verbreitungsvorteil die Varialble ist, mit der man arbeiten muss.

Unlike broadcasting, viral communication initially reaches a much smaller audience. A TikTok only gets views if it generates enough algorithmic engagement to be recommended to more user feeds, and a tweet only goes viral if it gets enough retweets. Each post reaches a different audience, so politicians can’t expect their messaging to be consistent, or heard at all, unless they can make it go viral.

As such, candidates are reshaping their communication to perform better on algorithmic platforms. This means getting more likes, more shares, and more retention—which in turn means exaggerating and hyperbolizing, since less exciting content simply doesn’t go far on those platforms.

Schöne Dystopie, in die wir uns da reingelacht haben, HAHAHA.

Everything you’ve seen in recent elections—the jokes, the extremism, the misinformation—is here to stay, all because we switched from one style of communication to another.


Dazu passend diese aktuelle Studie zu Desinformation:

Compared with trustworthy news sources, posts from misinformation sources evoked more angry reactions and outrage than happy or sad sentiments. Users were motivated to reshare content that evoked outrage and shared it without reading it first to discern accuracy. Interventions that solely emphasize sharing accurately may fail to curb misinformation because users may share outrageous, inaccurate content to signal their moral positions or loyalty to political groups.


Wir erinnern uns: 2017 gab es ein riesen Theater um Facebooks Rolle bei der Trumpwahl und im Zentrum stand der Skandal um Cambridge Analytica. Weil das zufällig Zeitgleich mit Zuboffs populärer Gegenwartsanalyse des „Überwachungskapitalismus“ zusammenfiel, entstand nicht nur ein riesiger Backlash gegen Facebook, sondern auch ein sehr schiefes Bild über die Macht der Plattformen und eine weirde Vorstellung, wie Manipulation funktioniert.

Ich finde weder Zuboffs Theorie des „Verhaltensmehrwerts“, noch die Erzählung um Cambridge Analytica plausibel, weswegen ich irgendwann einen frustrierten Essay über die Manipulation der Manipulationserzählung schrieb.

Das Narrativ von der großen Manipulation ist also erstens erfolgreich weil sie eine gute Geschichte erzählt und wir prädispositioniert sind, darauf anzuspringen. Hinzu kommt zweitens, dass die Erzählung von der Manipulation eine einfache Erklärungen für das Unbegreifliche liefert. Eine Erklärung, die, drittens, ganz nebenbei die Verantwortung für unschöne, gesellschaftliche Ereignisse von uns weglenkt – hin zu einem großen Strippenzieher, als dessen Marionetten wir uns – oder alle anderen – wähnen. Doch es gibt noch einen weiteren, einen vierten Grund, warum ausgerechnet dieses Genre der großen Erzählungen alle anderen überflügelt: Es ist eine merkwürdige Allianz zwischen dem vermeintlichen Manipulator und demjenigen, der vor ihm warnt.

Weil wir keine Individuen sind, deren „Mind“ über psychologische Stimuli „manipulierbar“ ist, sondern Dividuen, die sich aneinander orientieren, funktioniert echte Manipulation nicht als Operation am Individuum, sondern über Modifikation der Öffentlichkeit. Manipuliert wird nicht die „Psyche“, sondern die Ereignisse des öffentlichen Sprechens und nicht spontan, sondern stetig über einen langen Zeitraum und nicht durch technopsychologischen Hokuspokus, sondern über den materiellen Umbau der medialen Orientierungslandschaft. Das ist alles so offensichtlich und so völlig ungeheim, dass es fast langweilig ist, das zu erzählen und gibt keine so sexy Geschichte ab, wie die Big-Data-Psychovodoo-Waffe.

Während wir über das „Ende der Privatsphäre“ stritten, ereignete sich vor unseren Augen die Graphnahme der Öffentlichkeit durch eine rechtsradikale Tech-Oligarchie und wir haben bis heute keine Sprache gefunden, das angemessen zu skandalisieren.


Ich bin ja nicht so ein Welzer-Fan, aber es tut gut, dass hier jemand sich mal traut, die Tragweite unseres historischen Moments klar auszusprechen.

Der 6. November 2024 ist der 30. Januar unserer Zeit. Denn an diesem Tag hat eine Mehrheit der amerikanischen Wählerinnen und Wähler ihren Staat einer Gruppe von Superreichen überlassen, die weder an Demokratie noch an Recht, weder an sozialer Gerechtigkeit noch an Emanzipation oder der Erhaltung der natürlichen Überlebensressourcen das geringste Interesse haben. Diese Leute besitzen jetzt nicht mehr nur unfassbar viel Geld und die machtvollsten Kommunikationsmittel der Welt. Jetzt besitzen sie auch den Staat. Weder der Senat noch das Repräsentantenhaus noch der Supreme Court werden ihnen bei irgendetwas im Weg stehen, was sie nun umzusetzen gedenken.

Natürlich wird aus der USA jetzt kein nationalsozialistischer Staat nach dem Vorbild des dritten Reiches, aber es wird etwas gebaut werden und es wird nicht schön. Und selbst wenn sich der Techfaschismus nur ein zehntel so brutal geriert wie das dritte Reich, ist der potentielle Schaden, den der amerikanische Staat in den Händen der Plattform-Oligarchie anrichten kann, potentiell ebenso beängstigend.

Man darf zu dieser wenig ermutigenden Aufzählung ergänzen, dass der Trump-Regierung – übrigens im Unterschied zum durch die Weltwirtschaftskrise stark angeschlagenen Deutschland der 1930er Jahre – die militärisch stärksten Streitkräfte der Erde zur Verfügung stehen, die größte Volkswirtschaft der Welt, und dazu die mächtigsten Internetkonzerne des Planeten. Welche kumulierte Macht dies in den Händen von libertären Antidemokraten bedeutet, die sich einen Dreck für Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit oder Klimapolitik interessieren, lässt sich leicht ermessen; wie die wenigen verbliebenen Demokratien der Welt, insbesondere jene der Europäischen Union, sich angesichts dieser Macht positionieren werden, ebenso. Es werden sich viel schneller, als man heute noch meinen sollte, Kippmomente in ohnedies schwachen Überzeugungen, Einstellungen und Werten einstellen und Entscheidungen getroffen werden, die rapide Anpassungen an den neuen Zeitgeist bedeuten. Gründe dafür finden sich in der Politik immer.

Am Anfang des Textes hatte Welzer anhand von Sebastian Haffners Schilderungen während der Machtübernahme 1933 die damals vorherrschende Naivität geschildert und kommt am Ende nochmal auf ihn zurück:

Um zu Sebastian Haffner zurückzukommen: Es war die Fortsetzung des Normalbetriebs, der Alltag, schreibt er, „gerade das mechanisch und automatisch weiterlaufende tägliche Leben, was es verhindern half, dass irgendwo eine kraftvolle, lebendige Reaktion gegen das Ungeheuerliche stattfand.“ Alles, und das ist das wiederkehrende Verhängnis, geht so seinen normalen Gang weiter, bald ist Weihnachten, und vielleicht gibt es sogar ein anständiges Weihnachtsgeschäft. Und ein paar schöne Tage zwischen den Jahren. Währenddessen entscheidet sich nur, ob die Welt von gestern, das war die des langsamen zivilisatorischen Fortschritts in den westlichen Demokratien, verschwindet. Oder ob wir das zivilisatorische Projekt gegen alle Widerstände fortsetzen können.

Ich stelle mir kurz vor, wie Welzer zusammen mit Robert Habeck das „zivilisatorische Projekt“ mit bauchschmerz-verzerrten Gesicht gegen die rechten Horden verteidigt und komme zu dem Schluss, dass wir auch nicht schlauer sind, als die Menschen 1933. Wir fallen nur anders.


Ein interessantes Paper über die Rolle der Netzwerkeffekte bei Aufstieg und Fall von Social Networks stellt gleich zu Anfang klar, dass Gegenstand der Forschung keine Indivuduen, sondern Dividuen sind.

Social contagion like adoption of opinions, behavioural patterns, emotions or innovations can be considered as growth of a network of adopters on the top of an underlying network namely that of social interactions. Under some circumstances this process is surprisingly rapid. Social pressure plays a pivotal role in this context: People are influenced in their decisions by the opinions of their peers. This effect is captured in the so called threshold models, which assume that a person becomes adopter, when the ratio of her already adopting, related peers have reached a critical level characteristic to her sensitivity.

Was aber vorwärts funktioniert, funktioniert auch rückwärts. Die „soziale Ansteckung“ ein Netzwerk zu verlassen, hat ihrerseits Netzwerkeffekte und kann ab einem bestimmten Threashold zum plötzlichen Kollaps von Erwartungsstrukturen und damit zum Tod des Netzwerks führen.

The existence of thresholds in the decision to leave the service may lead to collective phenomena of avalanches or cascades. Indeed, we find such cascades in the data; for an example see Fig. 4(a). A user was chosen who left the service in March 2011. Arrows are plotted between friends if they left the service in the given order (tail first) within one week.

Der Verfall setzt immer erst bei den wenig vernetzten User*innen ein und frisst sich dann immer tiefer in die Vernetzungsstrukturen hinein, bis alles ins Rutschen gerät.

The spontaneous churning due to endogenous influence dominates the early phase of the OSN, however, gradually cascades occur and finally they become dominant. From that time any effort to damp spontaneous churning (e.g., by advertisement) is in vain. The apparent stability of the OSN was only due to the relatively large characteristic time for cascading users.


Benjamin Sandofsky ist Blogger und war bis vor 10 Jahren Twittermitarbeiter und hat den meines erachtens besten Text zu Twitter und seinem Ende geschrieben. Sandofsky macht dabei ein paar allgemeine Beobachtungen über den Aufstieg und Fall von Social Networks und denkt Netzwerkeffekte mit unterschiedlichen Netzwerktopologien zusammen. Soziale Graphen zeichnen sich durch ihre lose verknüpfte Gruppenhaftigkeit aus.

In computer science, we call this a Sparse Network and it has serious implications around the strength of your network. If you lose key connectors in the graph, the network fragments into smaller, weaker, subnetworks. Compared to moving the world off telephones or email, it’s pretty easy to move your closest friends and family from Facebook to private group chats.
[…]
So we have WhatsApp, which is a pure network; Facebook, which is sparse; and then we have interest graphs like Digg and Twitter which are not only sparse, but one-way. Big yikes.
Many connections on these networks are lopsided, with single accounts followed by tens of thousands to millions of followers. To put this in terms even a VC can follow, these people are super-connectors.

Super-connectors are unavoidable in interest graphs, and while they’re boon for growth, they also present a risk. If these connectors go elsewhere, their followers… well… follow. That’s all to say that losing Taylor Swift would be catastrophic.

Und diese Topologien sind eben auch entscheidend dafür, wie auf Social Networks Aufmerksamkeit organisiert wird.

In January of 2009, the Miracle on the Hudson defined Twitter as the platform for breaking news. It was no longer just a website for nerds to live-tweet to each other as LOST aired. It was now part of the global conversation. It was the moment I knew I had to work at Twitter.
This moment happened two and a half years into the company, and it could only happen thanks to millions of users, with super-connectors helping spread the story round the world in seconds.

Sandofsky sieht X bereits kurz vor dem Kollaps.

I could keep listing examples of terrible Twitter moves, such as burning bridges with advertisers, ill-planned layoffs, and personal meddling with algorithms. It doesn’t have to be that complicated. For many people, myself included, Twitter just stopped being fun.

Ich will dem gar nicht widersprechen, warne nur davor, sich allzufrühe Hoffnung zu machen. Bis Twitter wirklich in seiner Relevanz kollabiert, müssen noch sehr viele Superconnectors abspringen.


Felix Stalder hatte sich bereits vor ein paar Jahren hellsichtig der Frage zugewendet, wie die Verfallsprozesse, die wir damals in der Sowietunion beobachten konnten, auf unsere heutige Situation zutreffen. Dazu nimmt er Emanuell Castells Analyse der strukturellen Unfähigkeit der sozialistischen Planwirtschaften in den 1970er/80er Jahren, sich an die veränderte Produktionsverhältnissen anzupassen und sucht vergleichbare Anzeichen in unserem System, das er „Neoliberal Informationalism“ nennt:

The idea to use general competition expressed by numbers (price or rank) to organize society was deeply informed by a type of thinking that was first laid out in Hayek’s famous essay “The Use of Knowledge in Society” (Hayek, 1945). Through the fluctuation of prices, the invisible hand would guide individuals who would voluntarily follow it out of self-interest. From this, as Hayek put it elsewhere, “spontaneous order” would follow, too complex, too dynamic for any single social actor, no matter how large, to comprehend.

Die Bruchstellen dieses Systems sind bereits deutlich sichtbar.

First, contrary to the ideology of competitive opportunities for everyone, the rising share of appropriation of profits by the owners of capital resulted, predictably, in stagnant or falling wages or income for the majority of workers. Inequality increased under neo-liberal informationalism sharply and hardened structurally (Piketty, 2014), undermining the fundamentals of liberal democracy. Second, contrary to the ideology of immateriality of digital technologies, informationalism has always been based on massively increased resource extraction. First, because the material basis of IT itself is dirty and resource-intensive (Jones, 2018), second, because new technologies have enabled higher and more extensive rates of extraction (e.g., hydraulic fracking, deep-sea drilling), and third, because it enabled a massive expansion of wasteful consumerism.

Und wie damals in der Sowjetgesellschaft der 1980er wird die Drift zwischen den Kontrollprozeduren des informationellen Kapitalismus und den drohenden materiellen Realitäten immer größer:

Informational capitalism, and the extractivism that underlies it, has reached hard social and ecological reproduction limits. This seriously undermines its capacity to address the needs of its citizenry, threatening its very survival. While many technological and organizational innovations could help to address some aspects of this problem, from renewable energy to resource-efficient social organization and recycling (Rifkin, 2019), the exclusive focus on the price signal produces the wrong incentives because the externalized costs simply disappear from the calculation, even if it is widely understood that this way of organizing the world is nonsensical. The ubiquity of competition—enforced through “aloof” financial markets working on ever-higher levels of abstraction with an exclusive focus on the price signals—rewards inefficiency (high waste output). It also makes it impossible for managers, even if willing, to develop new production methods to consider the increased range of human and non-human actors and their complex demands, which would be necessary to organize the economy at a sustainable distance from these hard limits.

Weil sich aber auch die Öffentlichkeit immer mehr entlang der Macht strukturiert, werden auch die nichtkapitalistischen Institutionen in den Strudel gezogen.

However, the crisis of the liberal order goes more profound than the political institutions of democracy. Instead, it extends across the entire institutional landscape, even to those institutions which were historically understood to be at a distance from the political system, in particular science and news media, which were long seen as following the ideal (albeit imperfectly) of making sense of the world outside the pursuit of power or profit. Their subjugation to the profit motive (science becoming dependent on industry funding and aimed at producing intellectual property in the form of patents, the media becoming dominated by profit-maximizing conglomerates) has eroded their always-contested position as arbiter of facts and interest-free knowledge. Consequently, their expertise and narratives have become de-legitimized, even in the face of existential crises where science and an informed public would be much needed to address them.

Václav Havel famously spoke about the split between public lies and private truths, meaning that the public sphere was permeated with lies, while in the private sphere, people could speak truthfully (Havel, 1979). Yurchak (2006), however, argues that separation between the two spheres was never so clear and that the crises of epistemology permeated the entire culture in the former Soviet Union. This blurring of public and private speech is a constitutive part of social media which turn—to various degrees—all communication, even the supposedly most private messages, into strategic communication aimed at gaining status within epistemic communities, destabilizing meaning across the board (Stalder, 2018).

Ich teile die grundsätzliche Einschätzung, glaube aber, dass es bis zum endgültigen Kollaps des System noch eine ganze Weile hin ist. Was wir erleben, ist das Ende der Republik, aber noch lange nicht das Ende des Empires und wir haben noch keine Vorstellung davon, wie breit ausgerollte, digitale Gewalt jeden Widerspruch überspachteln kann.


Zum Ende was Aufmunterndes. Die Neurobiologin Kelly Lambert beschreibt ihre Arbeit mit Ratten, denen sie Autofahren beibringt. Dabei beobachtet sie nicht nur die erstaunliche Lernfähigkeiten der Ratten, sondern auch wie sich auch ihre Laune hebt, wenn sie wieder Autofahren dürfen.

Behaviors associated with positive experiences are associated with joy in humans, but what about rats? Was I seeing something akin to joy in a rat? Maybe so, considering that neuroscience research is increasingly suggesting that joy and positive emotions play a critical role in the health of both human and nonhuman animals.

With that, my team and I shifted focus from topics such as how chronic stress influences brains to how positive events – and anticipation for these events – shape neural functions.

Und weil nicht nur Ratten, sondern auch wir Menschen infrastrukturelle Wesen sind, sind die Forschungsergebnisse für uns alle relevant.

When animals are housed in their favored environments, the area of the nucleus accumbens that responds to appetitive experiences expands. Alternatively, when rats are housed in stressful contexts, the fear-generating zones of their nucleus accumbens expand. It is as if the brain is a piano the environment can tune.

As animals – human or otherwise – navigate the unpredictability of life, anticipating positive experiences helps drive a persistence to keep searching for life’s rewards. In a world of immediate gratification, these rats offer insights into the neural principles guiding everyday behavior. Rather than pushing buttons for instant rewards, they remind us that planning, anticipating and enjoying the ride may be key to a healthy brain. That’s a lesson my lab rats have taught me well.

Krasse Links No 33

Willkommen zu krasse Links No 33. Heute crashen wir die Paywall in den Ambient Information Space der Normies und boosten die Reichweite des Newsnerd-Tribes.


Bernhard Pörksen (mein Doktorvater) hat sich durch die Klimaberichterstattung des Spiegels gewühlt und neben viel guter und legitimer Berichterstattung (besonders in den letzten Jahren), auch sehr viel „Verniedlichungs- und Verharmlosungs-Aktivismus“ gefunden, wie er schreibt.

Der Biologe Josef Reichholf glaubt, dass mit der Erderwärmung die Artenvielfalt zunehme. Raum für ein Riesen-Interview im Jahre 2007. Er freue sich auf »mildere Zeiten«, auch die »Menschheit als Ganzes« werde keine »großen Probleme« bekommen, so heißt es hier. Der Däne Bjørn Lomborg, auch er ein Liebhaber der abwiegelnden Provokation, darf im Blatt über die Klimakonferenz von 2009 – kein Scherz! – schreiben: »Scheitern wäre ein Erfolg. Warum die Menschheit den Klimaschutz vertagen sollte.« Der einstige RWE-Manager Fritz Vahrenholt hat auch eine Meinung. »Die Klimakatastrophe findet nicht statt«, behauptet er. Er attackiert den Weltklimarat, prophezeit, dass es sogar kühler werde – Anlass für ein Riesen-Gespräch im SPIEGEL (2012). »Wir werden hinters Licht geführt«, so lautet der Titel des Gesprächs. Ein seltsamer Sound.


Der Volksverpetzer traut sich auszusprechen, was in der journalistischen Medienwelt gerne verdrängt wird: Dass das Desinformationsproblem nicht nur von rechten Trollen, russischen Einflusskampagnen und „alternativen Medien“ ausgeht, sondern ein Gutteil aus den klassischen Medien kommt. Aber weil man sich in der Branche nicht unbeliebt machen will, wird weithin so getan, als seien NZZ, BILD oder Welt noch seriöse Quellen.

Eigentlich wäre es ja so schön: Einfach Journalismus unterstützen und wir bekämpfen das Desinformations-Problem in unserer Gesellschaft. Diese Gleichung geht aber nicht so einfach auf. Aus Profitgier, aus finanzieller Abhängigkeit oder aus persönlicher Ideologie der Besitzer: Auch etablierte Medien können Desinformation verbreiten und der AfD narratologisch den Weg ebnen. Das ist im Kampf keine Randbeobachtung. Das ist der Ort, wo unsere gemeinsame Faktengrundlage zerbricht.

Es existiert offenbar keine funktionierende Selbstkontrolle in der Branche. WELT, BILD & Co. werden als valide Quellen betrachtet, obwohl sie schon zigfach rechte Desinformation verbreitet haben. Die viele Rügen des Presserats interessieren BILD offensichtlich nicht. Die Selbstkontrolle scheint immer wirkungslose zu werden. Es gibt keine Standards für wirksamen Schutz vor übergriffigen Herausgebern. Und es wird sich nichts ändern, wenn wir die Übeltäter weiter wie seriöse Medien behandeln.


Nils Müller stieß mich auf diesen Podcast, in dem das Buch „Die Unterwerfung“ von Phillip Blom besprochen wird. Ich kannte Philipp Blom nicht, aber wir scheinen auf parallelen Schienen unterwegs zu sein, jedenfalls verfolgt auch Bloms „Unterwerfung“ den Herrschaftlichen Blick des Westens – also das Individuum, das die Welt kontrolliert – durch die Geschichte, allerdings setzt er bereits beim jüdischen Exil in Babylon an und trackt den Seele-Körper-Dualismus durch das Christentum bis zur Aufklärung, wo die Seele dann durch die „Vernunft“ ersetzt wird. Spannend.


Molly White hat das ganze Jahr über die Wahlspenden der Cryptoindustrie getrackt und und hat die Ergebnisse in einem Video aufbereitet.

Mit beinahme 200 Millionen Dollarn hat keine andere Industrie mehr Geld in Wahlkampfspenden investiert und diese Investitionen wurden strategisch geschickt genutzt, nicht nur um eigene Kandidaten zu promoten, sondern um Anti-Crypto-Kandidaten abzustrafen, vor allem aber, um in der Politik den Anschein zu erwecken, es gäbe den sogenannten „Crypto-Wähler“, der cryptofreundliche Politik zum primären Anlass seiner Wahlentscheidung macht, statt … naja, ein paar Silicon Valley Milliardäre, die sich die Legalisierung von Pump-and-Dump-Schemes shoppen.

Irgendwie komm ich bei der ganzen Crypto-Selbsterzählung auch nicht mehr mit und finde im Bitcoin-Whitepaper auch die Stelle gar nicht, wo „Finanzielle Freiheit“ durch börsengehandelte Bitcoin-ETFs oder dem „Regulatory Capture“ des Staates zum Durchbruch verholfen werden soll?


Zwei Wissenschaftler haben Hinweise dafür gefunden, dass der Algorithmus von X zugunsten von Republikanern manipuliert war.

The analysis reveals a structural engagement shift around mid-July 2024, suggesting platform-level changes that influenced engagement metrics for all accounts under examination. The date at which the structural break (spike) in engagement occurs coincides with Elon Musk’s formal endorsement of Donald Trump on 13th July 2024.

Tweets von Republikaner*innen wurden anscheinend häufiger über den „For You“-Feed ausgespielt.

However, only view counts showed evidence of a group-specific boost, with Republican-leaning accounts exhibiting a significant post-change increase relative to Democrat-leaning accounts. This finding suggests a possible recommendation bias favouring Republican content in terms of visibility, potentially via recommendation mechanisms such as the „For You“ feed.

Die Trends sind zwar deutlich, aber weit weniger deutlich als der Boost, den sich Elon Musk selbst verpasst hat.

Following the identified structural break on July 13, 2024, Elon Musk’s account showed a substantial increase in view counts, rising by approximately 138.27% compared to his average view count before the change. In contrast, other accounts experienced a more moderate increase of 56.93% in view counts over the same period.

Wenn ich über die Relevanz von X spreche, stoße ich immer wieder auf die Beschwichtigung, dass da ja eh niemand mehr wäre und dass X ja unterm Strich ein so kleines, unbedeutendes Netzwerk sei und ich schätze, die Tatsache, dass wir immer noch in „Reichweiten“ denken, ist ein Atavismus der Gutenberg Galaxis und ein Zeichen dafür, dass wir noch nicht im Netzwerkdenken angekommen sind.

Reichweite ist die Frage, wo ich potentiell die meisten Leute erreiche und das sind auf Instagram, Tiktok und wahrscheinlich auch Facebook und Youtube sicher viel größere Zahlen, aber Reichweite ist nur ein Puzzelteil der viel entscheidenderen Frage des „Einflusses“. Einfluss ist die Frage, wo ich am besten eine Information platziere, um ihr besten Verbreitungsvorteile einzuräumen.

Twitter war nie riesig und seit Musk es übernommen und in X verwandelt hat, hat es an Reichweite und Einfluss verloren, aber ich behaupte es ist nachwievor für die öffentliche Meinungsbildung das relevanteste aller Netzwerke. Nirgends sind so viele Medienmacher*innen miteinander in Konversation wie auf X: Journalist*innen, Aktivist*innen, Autor*innen, meinungsstarke Milliardäre, Prominente, Influencer*innen, Politiker*innen und Expert*innen zu allen möglichen Themen. Twitter ist einflussreich, weil die Leute, die sich dort austauschen außerhalb von Twitter einflussreich sind. Die spezifische Netzwerkzentralität, die Twitter im Aufmerksamkeitsnetzwerk einnimmt, das wir Öffentlichkeit nennen, nennt sich Eigenvektorzentralität. Wichtiger als die Reichweite ist der Einfluss der Leute, die du erreichst.

Unsere politisch-mediale Elite wird auf X nicht einfach gehirngewaschen und auf rechts gedreht, aber sie erfährt dort ein anderes „Normal“. Ein Normal, in dem rechtsradikale Sichtweisen unwidersprochen bleiben und in dem man sich längst weitgehend einig ist, dass Linke Antisemiten, Ausländer die Mutter aller Probleme und die Grünen unfähige Warmduscher sind.


Im starken Kontrast zur ersten Trumpwahl 2016 ist Meta in den Analysen bisher eher unterm Radar geflogen. Zu unrecht:*

Just six days before the 2024 presidential election, Facebook is running hundreds of ads from pages that falsely claim that the upcoming election may be rigged or postponed. Facebook parent company Meta’s ad library shows that the pages behind the ads have paid the company more than $1 million to run them. They racked up a bill of more than $350,000 for ads run in just the past week.
One of the ads features a stylized image of Vice President Kamala Harris with devil horns and an American flag burning behind her. Other ads feature images of Harris and VP candidate Tim Walz interposed with post-apocalyptic scenes, and pictures of Walz and President Biden mashed up with images of prescription drugs spilling out of bottles. One features an apparently AI-generated image of a smiling Harris in a hospital room preparing to give a screaming child an injection. Another features images of anti-vaxxer and third-party candidate RFK Jr. Some of the ads question whether Harris will remain in the race and suggest that America is “headed for another civil war.”

Auch Elon Musk hat viel Geld in diese Art Werbung gesteckt, aber ich glaube gar nicht, dass Werbung der entscheidende Faktor war.

Since 2021, Meta has dramatically reduced the amount of political posts that it serves to users — which may increase the power of paid political ads in reaching Facebook users with a candidate or party’s message. This year, Vice President Kamala Harris has dramatically outspent former President Donald Trump on Facebook ads.

Ok, hier eine steile These:

Mark Zuckerberg hat über seine Plattformen Trump mehr zum Wahlsieg verholfen, als Musk durch X.

Seit 2021 führt Meta einen algorithmischen Krieg gegen „Political Content“ und wir tun die ganze Zeit so, als sei das politisch neutral. Aber wenn nur die eine Seite tatsächlich über echte Ereignisse, Kandidaten, Wahlen und Policies spricht, ist das eben eine einseitige Benachteiligung.

Politische Kommunikationstrategien, die auf Memes, Kulturkampf, Desinformationen, Persönlichkeitskult und KI-Slop basieren, funktionieren auf Metas Plattformen nach wie vor prima?

Musk konnte mit X gar nicht so viel Wind für die Republikaner entfachen, wie Facebook, Instagram und Threads der demokratischen Botschaft genommen haben.


Nilay Patel hatte bereits im Mai einen tollen Decoder-Podcast über ein Phänomen gemacht, das er „Google Zero“ nennt. Dazu hatte er Gisele Navarro, die CEO von HouseFresh, einer kleinen Luftfilter-Review-Website, zu Gast und sie erzählt, wie ihnen im Zuge von Updates in Googles Such-Algorithmus ihr Such-Traffic praktisch über Nacht um 95% zusammengebrochen ist. Patel definiert Google Zero so:

“Google Zero” — my name for that moment when Google Search simply stops sending traffic outside of its search engine to third-party websites.

Google, so die These, sei zunehmend mit KI-generierten Content zugespammt und priorisiert gleichzeitig ihre KI-Zusammenfassungen über die Link-Ergebnisse, dass Websitebetreiber*innen die Incentives verlieren, über Google findbar zu sein.

Interessant fand ich auch Navarros Art der Schilderung: Als ob dort 10 Jahre lang eine Straße war und dann sei die Straße über Nacht einfach weg gewesen.


Die bislang hilfreichste Bestandsaufnahme der Rolle der Medien in der US-Wahl hat bisher Natalie Behring im New Yorker geliefert. Sie sieht Anzeichen dafür, dass sich das ganze Mediale Ökosystem unserer Öffentlichkeit verändert hat.

It is wrong to suggest that people now relate only through digital screens. (People still show up at cookouts, dinner parties, track meets, and other crossings.) But information travels differently across the population: ideas that used to come from local newspapers or TV and drift around a community now come along an unpredictable path that runs from Wichita to Vancouver, perhaps via Paris or Tbilisi. (Then they reach the cookout.) Studies confirm that people spend less and less time with their neighbors. Instead, many of us scroll through social networks, stream information into our eyes and ears, and struggle to recall where we picked up this or that data point, or how we assembled the broad conceptions that we hold. The science historian Michael Shermer, in his book “The Believing Brain,” used the term “patternicity” to describe the way that people search for patterns, many of them erroneous, on the basis of small information samplings. The patterns we perceive now rise less from information gathered in our close communities and more from what crosses our awareness along national paths.

In diesem Ökosystem werden mediale Ereignisse mehr und mehr zum Hintergrundrauschen, von dem einem Politik meist als viraler Got-You-Clip erreicht. In der Welt der „ambient Information“ bleibt nichts mehr hängen, als ein bestimmter Vibe.

Planting ideas this way isn’t argument, and it’s not emotional persuasion. It’s about seeding the ambience of information, throwing facts and fake facts alike into an environment of low attention, with the confidence that, like minnows released individually into a pond, they will eventually school and spawn. Notions must add up to a unified vision but also be able to travel on their own, because that’s how information moves in a viral age. And national media is key. Trump’s command of the ambience of information wouldn’t have been possible without his own platforms, such as Truth Social, as well as allies such as Fox News’ C.E.O., Suzanne Scott, who in 2020 excoriated her team after they fact-checked Trump, and Elon Musk, who, hoping for executive-branch power over his own sector, largely funded more than a hundred and seventy-five million dollars’ worth of pro-Trump outreach, was read into early voting data, and tweeted lies, conspiracy theories, and mistrust of media on his network, X, which boosts his posts. The communications researcher Pablo Boczkowski has noted that people increasingly take in news by incidental encounter—they are “rubbed by the news”—rather than by seeking it out. Trump has maximized his influence over networks that people rub against, and has filled them with information that, true or not, seems all of a coherent piece.

Dieser Vibe ist keine Desinformation im Sinne, dass eine konkrete, falsche Information dafür Dingfest gemacht werden kann, sondern mehr ein Beat aus hunderten von Informationsschnippseln (falsche, richtige, aus dem Kontext gerissene), bei dem alle mittrommeln können.

The pollster and political-marketing-language consultant Frank Luntz assembled a focus group of men who had previously voted for a Democratic nominee but were voting for Trump this year. Many of their rationales were based on untrue information settled deep in the ambience of information. “Nothing against people from California, but the policies in California are so bad I wouldn’t be surprised if the state goes bankrupt,” a participant in Indiana said. (California has the largest economy in the U.S.) “Kamala from California is too radical . . . she’s too far left.” (Biden’s policies tended to be to the left of Harris’s, when they didn’t align.) These are not convictions that someone acquires from a specific source, neighborhood, or community.

Ich musste an Gespräche mit Menschen in den letzten Wochen denken, in denen jemand aus dem Nichts anfing, über die Grünen zu lästern, eher aus Smalltalk-Gründen, denn um sich politisch zu positionieren. Grünenbashing hat sich als unverfängliche Konversationstechnik etabliert aber wenn man nachfragt, was denn genau das Problem ist, kommen meist sehr ungenau erinnerte und eher vage Behauptungen, irgendwelche alten, längst widerlegten Geschichten, irgendwelche Klips aus dem Netz, wo irgendwer irgendwas nicht gewusst hat, oder sich versprochen hat, etc. Meistens sind diese Menschen überrascht, wenn ich solche Erzählungen in Frage stelle, aber ich merke schnell, das die einzelne Geschichte egal ist, weil sie nur eine von vielen austauschbaren Erlaubnisstrukturen ist, aus denen dieser Vibe besteht.

In a country where more than half of adults have literacy below a sixth-grade level, ambient information, however thin and wrong, is more powerful than actual facts. It has been the Democrats’ long-held premise that access to the truth will set the public free. They have corrected misinformation and sought to drop data to individual doors. This year’s contest shows that this premise is wrong. A majority of the American public doesn’t believe information that goes against what it thinks it knows—and a lot of what it thinks it knows originates in the brain of Donald Trump. He has polluted the well of received wisdom and what passes for common sense in America. And, until Democrats, too, figure out how to message ambiently, they’ll find themselves fighting not just a candidate but what the public holds to be self-evident truths.

2008, in der frühen Phase des Social Web, ging unter Medienleuten ein Satz viral, mit der die NYTimes einen Studenten zitierte:

“If the news is that important, it will find me.”

Das war damals gerade für Journalist*innen eine unvorstellbare Vorstellung, doch heute ist sie die Realität der meisten Menschen. In dieser Welt ist die Frage der Reichweite unzureichend und wir müssen anfangen, in anderen Bildern zu denken.

Ich komme zum Beispiel immer wieder zurück auf den Begriff der Perkulation. Perkulation ist eigentlich ein anderes Wort für „Durchsickern“. Das Prinzip kann man bei jeder Filter-Kaffeemaschine beobachten. Die heißen Wassertropfen, die auf das Kaffeepulver im Filter treffen, suchen sich im Labyrinth der Zwischenräume ihre Wege Richtung Schwerkraft und erst, wenn genug Wasser im Pulver ist, damit sich Wege von oben nach unten finden – also das Kaffeepulver im Filter durchgesuppt ist – fängt der Kaffee an, in die Kanne zu tropfen.

Die Frage, die man also statt der nach der Reichweite stellen müsste, könnte so lauten:

Welche Pfade existieren von mir als Sender im Perkulationsraum der Social-Media-Plattformen bis in den „Ambient Information Space“ des oben zitierten Studenten?

Und die Antwort ist: immer weniger?


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Michael Seemann
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Ich muss nochmal auf die Tribaliusmus-Grafik aus dem letzten Newsletter zurückkommen.

Wir haben uns bei unserer Untersuchung auf den Roten Ball, also die Fakenews-Verbreiter*innen konzentriert. Aber was ist mit der blauen Wolke? Wer sind die, die die Richtigstellungen verbreiteten? Wer sind die, die sich so intensiv mit journalistischen Inhalten auseinandersetzen, dass sie mit den News öffentlich in den Diskurs gehen?

Wir haben bei unserer Untersuchung die blaue Wolke gewissermaßen als die „norm“ in den Hintergrund geschoben, doch was in diesem Bild natürlich nicht zu sehen ist, sind die Abermillionen von Twitter-Konten, denen die ganze Angelegenheit – und alle ähnlichen Vorkommnisse – komplett am Arsch vorbei gehen. Also fast … alle?

Hier eine nachträgliche These: die blaue Wolke ist ebenfalls Ausdruck eines Tribes, ich nenne ihn „Newsnerd-Tribe“. Das ist der auf allen Social Media Plattformen aber vor allem auf Twitter ansässige Tribe, der aus Erfüllung, Karriere oder Kontrollillusion heraus, öffentlich mit den Nachrichten in den Diskurs geht. Mit dem Zuzug von immer mehr Journalist*innen, Promminent*innen, Politiker*innen, usw. wurde daraus die digitale Öffentlichkeit der Öffentlichkeitsmacher*innen.

Der Tribe ist diffus genug, dass er in alle möglichen Gesellschaftsbereiche hineinragt, ist aber auch abgrenzbar genug, um festzustellen, dass wir es hier mit einer verschwindend kleinen Minderheit zu tun haben. Weil der Tribe in alle möglichen Vektoren heterogen genug ist, um sich zu erlauben, sich als Zufallsseletion der Gesellschaft mißzuverstehen, hat er irgendwann angefangen, seine Mikroöffentlichkeit mit der Öffentlichkeit ansich zu verwechseln.

Ab hier wechsle ich ins „Wir“, denn Du, liebe/r Leser*in gehörst wie ich diesem Tribe großer Wahrscheinlichkeit an. Weil wir uns ständig über jeden Scheiß in den Haaren haben, fühlen wir uns nicht als Tribe, sondern als heterogenes, zufälliges Abbild der Gesellschaft, aber die kulturelle Praxis des „Sich wegen News in die Haare kriegens“, macht uns nun mal zu einer vergleichsweise kleinen, abgrenzbaren Interaktionseinheit, mit seinen eigenen Regeln, Ritualen, Hierarchien und Traditionen.

Wie ist es diesem Tribe seit 2017, dem Jahr, als die Grafik gemacht wurde, ergangen? Hier eine materielle Geschichte des Newsnerd-Tribes:

  • Der Trend zur Paywall war bereits 2015 losgegangen und von 2017 bis 2023 hat sich der Prozentsatz der Medien mit irgendeiner Art von Paywall nochmal von rund 77 Prozent auf 94 Prozent verschoben. Da Zugang einerseits kritisches Kriterium für Partizipation am Newsnerd-Tribe ist und andererseits Zugänglichkeit auch kritisch für die Verbreitung der Inhalte ist, verkleinerten sich gleichzeitig der Tribe und sein Einfluss enorm.
  • 2022 übernahm Musk Twitter, das angestammte Habitat des Newsnerd-Tribes, das für viele damit unbewohnbar wurde. Vor allem der liberal-links-progressive Teil des Newsnerstribes migrierte in allerlei Splitternetzwerke, die jeweils nicht genug eigenvektoriale Aufmerksamkeit gebündelt bekommen, um als Öffentlichkeit empfunden zu werden.
  • Ungefähr zeitgleich beginnt Mark Zuckerberg seinen Krieg gegen News und politische Inhalte. Die Ambient-Information-Spaces der Massen werden auf Facebook, Instagram und Threads von politischen und News-Inhalten algorithmisch abgeschirmt.

Was man immer wieder lernte, wenn man den Ukrainekrieg etwas aufmerksamer verfolgte, war, dass eine Einkesselung nicht bedeutet, dass sich 100.000 Soldaten um eine Stadt reihen, sondern, dass es reicht, wenn die eine Zufahrtsstraße besetzt, die andere in Artilleriereichweite und die letzte zu schlammig ist.

Ich fürchte, der Newsnerd-Tribe hat vor lauter Infrastrukturvergessenheit gar nicht mitbekommen, dass er kurz vor Social Zero steht.

Krasse Links No 32

Willkommen bei Krasse Links No 32. Lasst alle Hoffnungen fahren, heute zünden wir die termo-memetische Explosion und zwingen die Fandoms mit mythischer Gewalt zur semantischen Sezession.


Ich musste viel über dieses Foto nachdenken. Es wird ganz ohne Frage in die Geschichte eingehen. Ich habe mich wie viele andere darüber beschwert: Wie kann ein Präsident, der zurecht immer wieder darauf hingewiesen hat, wie sehr Trump eine Gefahr für die Demokratie ist, ihm so freundlich die Schlüssel zur Macht aushändigen? Es fühlt sich falsch an, sogar ein bisschen nach Verrat.

Ich habe versucht, wütend auf Biden zu sein, aber es ist mir nicht gelungen.

Wenn man fällt, dann gibt meist Möglichkeiten durch Gewichtsverlagerung, einen Ausfallschritt oder ungelenkem Rudern mit den Armen doch noch das Gleichgewicht zu wiederfinden. Doch es gibt auch diesen Punkt, an dem man merkt, dass der Fall unvermeidlich ist. Das ist immer ein awkwarder Sekundenbruchteil, denn man ist ja schließlich bei Bewusstsein und das Gehirn kann auch im Fallen das Planen nicht einstellen.

Was hätte ich getan? Hätte ich mich im Weißen Haus verschanzt? Hätte ich den Killbefehl für Trump gegeben? Hätte ich über Nacht den Widerstand organisiert? Wogegen genau? Mit wem?

Wir alle sind Produkte unserer Erwartungen und unsere Erwartungen sind Produkte unserer materiellen Umwelt und wenn sich die Umweltbedingungen rasant ändern, laufen wir alle wie der Koyote bei Bugs Bunny über die Schlucht und zappeln ein paar Sekunden in der Luft, bevor wir fallen.

Biden ist zwar US-Präsident, aber auch er ist nur ein Bruder im Fall. Niemand sieht dabei gut aus.


Alan Moore, der Comic-Künstler hinter V wie Vendetta und Watchmen, rantet über Fancultures und macht dabei interessante Beobachtungen.

And when I looked back, after an internet and some few decades, fandom was a very different animal.

An older animal for one thing, with a median age in its late 40s, fed, presumably, by a nostalgia that its energetic predecessor was too young to suffer from. And while the vulgar comic story was originally proffered solely to the working classes, soaring retail prices had precluded any audience save the more affluent; had gentrified a previously bustling and lively cultural slum neighbourhood. This boost in fandom’s age and status possibly explains its current sense of privilege, its tendency to carp and cavil rather than contribute or create.

Moore lehnt deswegen Fankulturen nicht grundsätzlich ab, aber macht eine nützliche Unterscheidung.

I believe that fandom is a wonderful and vital organ of contemporary culture, without which that culture ultimately stagnates, atrophies and dies. At the same time, I’m sure that fandom is sometimes a grotesque blight that poisons the society surrounding it with its mean-spirited obsessions and ridiculous, unearned sense of entitlement.


Auch tante denkt über den Zusammenhang von toxischem Entitlement und Nostalgie nach und das Fortschrittsbild, das daraus folgt:

A story of progress can’t just include burning down ungodly amounts of rocket fuel just so some middle-aged people don’t have to think or learn something new. A story of progress can’t reduce itself to technological gimmicks and parlour tricks. “Flying cars” is still cars. And a life based on individual mobility is not only bad because of the climate impact but because it’s a recipe to destroy local communities and alienate people from one another and the places the live and work and exist in.


Adam Tooze hat eine aufschlussreiche Grafik darüber, wie sich die wirtschaftliche Stimmungslage der US-Amerikaner*innen entwickelt hat, seit letzter Woche.


Ich bin erst eine Folge der neuen Staffel des sehr guten Podcasts Wild Wild Web und die Folge hat mich gleich sehr beschäftigt. Im Zentrum stehen gespaltene Wahrnehmungsphänomene wie den Laurel/Yanny-Sound und das entweder Schwarz-blaue, bzw. weiß-goldene Kleid, um die erbitterte Schlachten im Internet geführt wurden.

Die Erklärung, warum einunddaselbe materielle Artefakt so unterschiedliche Wahrnehmungsmuster produziert, liegt der Forschung nach an der jeweiligen Vorprägung. Man kann sich das so vorstellen, dass das Bild/der Sound sowohl Laurel, als auch Yanny, sowohl Schwarz-blaue als auch weiß-goldene Interpretationspfade erlaubt und welchen dieser Pfade das Bewusstsein nimmt, ist determiniert durch deine unbewusst eingeübten Entscheidungsraster. So lässt sich eine Korrelation von Frühaufstehern und Nachteulen mit dem Schwarz-blaue bzw. weiß-goldene sehenden Probanden erkennen, weil die einen den Lichteinfall im Bild tendentiell als Tageslicht, die anderen tendentiell als künstliches Licht interpretieren und Laurel wird eher von Männern, Yanny häufiger von Frauen gehört, weil die eine Interpretation sich an den tiefen, die andere eher an den hohen Tönen orientiert, die beide da sind.

Der Podcast wird aber dann geradezu philosophisch, als es darum geht, welche Erkenntnisse sich daraus für die Gesellschaft ergeben? Dass es je plausible Pfade gibt, ein und denselben Gegenstand zu interpretieren, ist ja auch Basis der „polarisierten Gesellschaft“.


Thomas Zimmer analysiert, was an der zweiten Trump-Präsidentschaft anders sein wird, als an der ersten. Es gibt viele spannende Punkte unter anderem, dass wir uns bereits an einen mehrfach eskalierten Trump gewöhnt haben.

The notion that he has always been the same, just Trump being Trump, is massively misleading and obscures the rather drastic radicalization of the Right’s undisputed leader. Trump is coming off the most openly, aggressively racist campaign of a major party candidate in modern U.S. history. He explicitly promised a “bloody” mass deportation, the political persecution of his opponents, the purge of the “enemy within.” He declared he would use the military to suppress protests. His closing pitch to the American people was rage, intimidation, and vengeful violence. Trump wants to restore “order,” by whatever means necessary – an order not just of white Christian rule and unfettered self-enrichment for the wealthy, but also patriarchal domination.

Aber auch insgesamt ist alles konsolidierter, organisierter, homogener und mächtiger als beim Überraschungssieg 2016.

Warum mich das alles so viel mehr beschäftigt, als die kollabierte Bundesregierung? Weil die Auswirkungen für uns gigantisch sein werden. Ideen haben Netzwerkeffekte und wenn die liberale Demokratie in ihrem Kernland fällt, dann ist diese Idee Schach-Matt. Und weil Deutschland als kleiner Bruder immer die Semantiken vom Großen aufträgt, löst jedes Erdbeben da drüben einen Tsunami bei uns aus.


Influencer*innen bekennen sich nach dem Wahlsieg zu „MAGA„.

“I’m done. I’m so tired of my old fan base,” she concludes. “I don’t give a fuck about your identity politics. I voted for Trump. And” — she adds, inexplicably — “I hate fat people!”

Es sieht so aus, als ob sie schon lange nach Wegen gesucht haben, das eigene Arschlochsein zu rechtfertigen.

“We’re in a different climate now. A different era,” the consultant told me. “Trump gives people permission to be the worst versions of themselves. And with him winning, we’re seeing that again on a much larger scale.” Still, she adds, there remain some talking points that have proven to be toxic for brands. “Honestly,” the consultant says, “people lose more brand deals talking about Palestine than anything else.”

Trump-Supporter*innen haben ein heterogenes Motivationsprofil, aber ich glaube, viele sehen in ihm die Erlaubnisstruktur, ihre je eigene Verletztheit in Gewalt umzumünzen.


2017, ein halbes Jahr nach dem ersten Wahlsieg von Donald Trump war Michael Kreil auf eine Interessante Beobachtung gestoßen, als er die Verbreitung von „Fake News“ (wie man damals noch sagte) trackte. Wir machten gemeinsam eine Analyse ich nannte das Phänomen damals „Digitaler Tribalismus„.

Im Zentrum stand diese Auswertung: Wir sehen Twitteraccounts, die eine bestimmte FakeNews verbreitet haben (rot) und Twitteraccounts die die Richtigstellung verbreiteten (blau), wobei die Größe der Punkte der Anzahl der Follower entspricht (die großen waren damals noch die Massenmedien) und der Ort im Netzwerk repräsentiert die relative Vernetzungsdichte mit den anderen Accounts. Nachdem wir allerlei Checks gemacht haben, kamen wir zu folgendem Schluss:

Fake News sind nicht, wie es oft angenommen wurde, die Produkte sinisterer Manipulatoren, die damit die öffentliche Meinung in eine bestimmte Richtung lenken wollen. Sie sind vielmehr das Futter für bestätigungshungrige Stämme.

Ich hatte ein ein buntes Protpouri von kulturellen und psychologischen Semantiken gesammelt, um das Phänomen zu beschreiben und von Seth Godin übernahm ich die Beobachtung, dass die Gründung jedes Stammes in Form einer Häresie erfolgt. Man macht eine Setzung außerhalb des semantischen Mainstreams, und wenn man es geschickt anstellt, so Godin, scharen sich Leute um diese Pfadendscheidung. Und plötzlich hat man Macht. Das Buch ist von 2008.

Mein Denken hat sich weiterentwickelt und heute würde ich sagen, dass „Digitaler Tribalismus“ einfach eine „Semantische Sezession“ ist. Semantische Sezessionen passieren ständig im großen oder kleinen. Immer dann, wenn in der Kunst oder Kultur irgendwas für beendet erklärt und etwas neues ausgerufen wird, ist das eine zumindest versuchte semantische Sezession. Größere, folgenreiche semantische Sezession waren die Gründung des Oströmischen Reichs, die Reformation und die Aufspaltung in Aldi Süd und Aldi Nord.

Semantische Sezession sind nach Wengrow/Graebers „Dawn of Everything“ durch „ Schismogenesis“ motiviert, also den Drang sich abzugrenzen, nur ging damals eine semantische Abspaltung immer auch mit einer örtlichen einher.

Das, was wir damals untersuchten war der Rumpf einer semantischen Abzweigung, der zu einer alternativen Wirklichkeitsebene gewachsen ist. Diese zweite Wirklichkeitsebene hat den einfachen Verbreitungsvorteil: sie schafft einen alternativen Raum der Anerkennung, mit anderen Regeln für Wut und Gewalt, und einem eigenen Statussystem. Das ist für alle attraktiv, die sich im Major Consensus Narrative (Bruce Sterling) unzureichend gesehen fühlen.


Carole Cadwalladr führt den Trumpsieg auf einen materiell hergestellten Split der Medialen Wahrnehmung zurück.

You have a subscription? Enjoy your clean, hygienic, fact-checked news. Then come with me into the information sewers, where we will wade through the shit everyone else consumes. Trump is cholera. His hate, his lies – it’s an infection that’s in the drinking water now. Our information system is London’s stinking streets before the Victorian miracle of sanitation. We fixed that through engineering. But we haven’t fixed this. We had eight years to hold Silicon Valley to account. And we failed. Utterly.

Nur im Gegensatz zu den unhygienischen Bedingungen im London der Industrialisierung, wurde die Informationskloake nicht durch Nachlässigkeit, sondern mit vielen Milliarden Dollar hergestellt und die Leute dahinter haben jetzt die Demokratie gecaptured.

Elections are downstream from white men talking on platforms that white men built, juiced by invisible algorithms our broligarch overlords control. This is culture now.

Indem sie X kontrollieren und Meta (Facebook, Insta, Threads) politisch kalt gestellt haben, haben die Broligarchs die Hegemonie über die digitale Öffentlichkeit erlangt, während wir uns darum zankten, ob Mastodon oder Bluesky ein besseres Tool ist, um sich nicht wiederzufinden.

These bros know. They don’t fear journalists any more. Journalists will now learn to fear them. Because this is oligarchy now. This is the fusion of state and commercial power in a ruling elite. It’s not a coincidence that Musk spouts the Kremlin’s talking points and chats to Putin on the phone. The chaos of Russia in the 90s is the template; billions will be made, people will die, crimes will be committed.


404Media schreibt über eine Schwemme von ki-generierten Musk-Slop, der sich viral auf Facebook ausbreitet.

Als Musk zusammen mit Trump auf der Bühne herumsprang fand ich das abstoßend und peinlich, aber dabei entging mir, was für eine termo-memetische Explosion sich da ereignet hat.

Trump und Musk sind wahrscheinlich die memetischsten Persönlichkeiten, die es je auf dem Planeten gab und wenn diese beiden digitalen Tribes zusammenkommen und einen gemeinsamen Beat anstimmen, dann macht das ne Menge Krach, führt aber auch zu seltsamen Effekten.

Die hardcore MAGA-Fans sind meist älter, wenig gebildet, eher aus dem ländlichen Raum und hängen in Facebook-Gruppen ab. Musk-Anhänger sind eher junge Männer, die auf Raketen und Autos stehen, sie sind überdurchschnittlich gebildet und hängen natürlich auf X rum.

Doch jetzt, wo diese beiden Stämme mergen, werden viele Musk-Fans MAGA (Musk bot mit dem schwarten MAGA-Hut eine passende Pfadgelegeheit an) und Musk erlebt seinen zweiten Frühling auf Facebook, mit all den von Shrimp-Jesus erlernten KI-Ritualen.

Some of the most viral posts on Facebook leading up to and immediately after an election in which Musk actively campaigned for Donald Trump are AI-generated disinformation that universally make Musk look like a philanthropist and genius inventor who is actively solving America’s problems out of the kindness of his heart, created by people in the Philippines, Vietnam, and India and spammed to Facebook. These images went viral and continue to go viral on a platform that has repeatedly said it does not want anything to do with politics, gave less reach to posts that contained the word “vote,” and suspended journalists for reporting about Trump’s praise for Hitler’s generals.


Hier ein Deepdive in die politische Willensbildung des Individuums.


Kuku Schrapnell reflektiert auf 54Books ihre eigene Gewalterfahrung – sie wurde von einer Gruppe rechter Schläger zusammengeschlagen – auf eine intensive und erkenntnisreiche Weise. In der Reflexion greift sie auf Walter Benjamins Unterscheidung von Rechtsetzender (auch mythischer) und Rechtserhaltender Gewalt. Rechtserhaltende Gewalt ist das Disziplinieren von Regelverstößen.

Mit der rechtssetzenden Gewalt ist es ein bisschen schwieriger, nicht umsonst spricht Benjamin auch von der mythischen Gewalt. Am Anfang jeder rechtlichen Ordnung braucht es Gewalt, um sie durchzusetzen.

Aber diese rechtliche Ordnung muss auch beschützt werden, weil sonst andere, mythische Gewaltaten die Pfadentscheidungen treffen:

Während es auf der einen Seite zwar immer mehr rechtliche Gleichstellung für queere Menschen gibt, wie zum Beispiel das maßlos wichtige Recht auch heiraten zu dürfen, oder die Abschaffung des schrecklichen Transsexuellengesetzes zugunsten des nicht ganz so schrecklichen Selbstbestimmungsgesetzes, steht auf der anderen Seite die Zunahme der (mythischen) Gewalt gegen queere Menschen, die diese Rechte in Frage stellt. Die rechtliche Gleichstellung ist nicht nur in sich selbst prekär, immerhin kann ja schon die nächste rechte Regierung alles wieder kippen, sie ist auch immer nur so stark, wie die in ihr gebündelte Gewalt. Die Gleichstellungsrechte können überall da in Frage gestellt und unterlaufen werden, wo ihre rechtsbegründende Gewalt nicht direkt in Erscheinung tritt, weil beispielsweise Polizeistreifen lieber durch linke oder migrantisch geprägte Viertel fahren, oder andere Gruppen schon so mächtig geworden sind, dass sie sich ungehindert austoben können.

Weil sich jede Gewalt ihre eigene Erlaubnisstruktur baut, setzt sie implizit Recht. Aber was kann man dem Entgegensetzen?

Wenn ich diese Texte von damals lese, merke ich erst, dass das, was ich Verdrängung genannt habe oder Ruhe, nichts anderes ist als Dissoziation. Dabei wären so viele Gefühle viel angebrachter. Wut zum Beispiel. Kaum ein Gefühl fällt mir so schwer wie Wut. Wut ist immer die Emotion des Angreifers, oder nicht? Die, die mich sehen und denken, sowas wie mich sollte es nicht geben, sind die Wütenden. Mir selbst fällt es schwer wütend zu werden. Eine Person, die mich liebt, hat gefragt: „Was machst du, wenn du wütend bist? Traurig werden und weinen?«“ Und in den meisten Fällen stimmt das.

Dabei ist Wut so ein wichtiges Gefühl. Es ist die Wut, die uns nach Veränderungen streben lässt. Wenn wir wütend werden, haben wir Energie und können etwas bewegen. Wut zeigt uns aber auch unsere Grenzen auf. Wenn jemand oder etwas uns zu nahekommt, uns verletzt oder bedroht, kann Wut uns helfen aus dieser Situation herauszukommen. Traurig werden und weinen hilft da eher selten. Ich kenne jedoch viele Queers, die wenig Zugang zu ihrer Wut haben. Wut ist auch ein gefährliches Gefühl. Wut kann auch den Kontrollverlust bedeuten, wenn wir über das Ziel hinausschießen und denen weh tun, die wir lieben. Wir haben so viel Wut erlebt. Noch bevor wir wussten, was unseres eigenes Nicht-Passen bedeutet, hat es schon den Zorn und das Mobbing der anderen auf sich gezogen. Wenn ich mir Wut wünsche, wünsche ich mir eine gemeinsame Wut, einen queer rage, der auf die Straßen schwemmt. Aber dabei sind wir nicht nur unser Gefühl, werden nicht zu einem Mob, sondern wir sind, weil wir miteinander sind, auch füreinander da. Wir passen aufeinander auf.

Weil wir keine Individuen sind, die einfach wütend werden können, erstickt die Wut, wenn sie keine Wege findet, sich wechselseitig zu erlauben. Während sich die Rechten in eine Rage- und Gewalt-Pirruette nach der anderen steigern, finden Minderheiten und Linke ihre Wut nicht zusammen.


Gleich nach der Trump-Wahl postete tante das VideoHow to be Hopeless“ von Carlos Maza und er hat völlig recht, dass es einer der besten Video-Essays überhaupt ist und ich finde, es ist auch der Video-Essay der Stunde.

Das Video ist drei Jahre alt und wurde kurz nach der Erstürmung des Kapitols veröffentlicht, also noch in der Bidenzeit und auf dem Peak der Coronawelle. Maza hangelt sich entlang von Camus‘ „Die Pest“ durch die Stadien im Umgang mit einer Pandemie (avoidance, scapegoating, Fixing it) und natürlich ist das alles erstmal auf die Pandemie bezogen, aber im laufe des Videos wird klar, dass es auch um den Aufstieg des Faschismus geht und unseren hilflosen Umgang damit.

In dem Dreieck aus Camus‘ Pest, der Corona-Pandemie und der Faschisierung des Westens verfolgt Maza das überforderte Individuum, das danach strebt, seine Kontrollillusion zu beschützen.

The Goal of avoidance isn’t really to comfort, it’s to protect our egos. To admit that there is a plague, is to admit, that your life is over now – that our routines, our ambitions, even the way we breathe may have to change because of a crisis that is largely out of our control.

Wenn die geplante Freiheit berührt wird, sind wir am empfindlichsten. Covid machte sich zur Netzwerkzentralität in allen Plänen und das geht mit einer enormen Reduktion der plausiblen Freiheit einher. Und weil das Individuum ja an der plausiblen Freiheit hängt, erfährt es die Einschränkung als Identitätskrise und verdrängt.

Dazu kommt, dass die Infrastrukturvergessenheit des Individuums sich als Unverwundbarkeit-Illusion ausdrückt:

Even at death’s door, their egos can’t accept that the main character could really be killed by something as stupid and absurd as a plague.

Das am schwierigsten zu überwindende Stadium ist „Fixing it“. Weil wir uns alle als Main Character unserer Geschichte erzählen, glauben wir, den Karren aus dem Dreck ziehen zu können und verfallen in heillosen Aktionismus und steigern uns in hohe Erwartungen hinein.

If we just find the perfect candidate, and avoid touchy subjects, and only ever protest in exactly the right way, the other side will come to their senses. Things will go back to normal.

Das ist kein Plädoyer für das Aufgeben, sondern für die Einsicht, dass wir trotz allem fallen können.

That we are tiny failable creatures, who have always been drawn to demagogues, who appeal to our worst impulses. And that living in a country that is constantly being bombarded with fascist propaganda means even our best efforts to contain cruelty will not alway be enough. That dealing with fascism is an inevitible part of living alongside other humans, and when that desease starts to infect an entire polical party, those of us who are not sick will need to stop blaming the most vulnerable amongst us, and be ready to help them fight the plague.

Das Individuum ist als Projektion irgendwann nicht mehr haltbar. Doch dieser Zusammenbruch des Egos ist eine Befreiung.

Our egos tell us that we’re the hero of the story, but Camus says we’re a lot more like inmates, trapped together like the people in Oran, waiting to see what’ll ultimately happen to us. And as grim as that sounds, there is something kind of liberating about that isn’t there?

Ich habe mich heute auf allen möglichen Kanälen über den Habeck-Hype aufgeregt und ich kann auch prima erklären, warum, aber hinterher ich habe mich trotzdem geschämt. Auch Habeck und alle, die an ihn glauben, sind Mitinsassen. Auch sie sind Geschwister im Fall.

Ich bin so unfassbar schlecht darin, aber ich glaube, es jetzt Zeit wird, das eigene Ego zu beerdigen und zu verstehen, dass wir alle nur hilflos durch die Ereignisse taumeln. Und wenn wir unsere Coolness abgelegt haben, können wir uns umschauen, wer sonst noch unsere Hilfe braucht.

When Camus talks about decency he is not talking about sweetness or civility, he is talking about a radical commitment to our fellow inmates. A commitment to fighting for what’s right and trying to protect the vulnerable even if you know it’s hopeless. Not because it will make us powerful or protect us from suffering, but because in a world that is this indifferent to human suffering — giving a shit about what happens to other people is the only true act of rebellion.

Lasst uns solidarisch Fallen üben.

CCC-Einreichung

Gestern kam die Nachricht, dass mein eingereichter Talk beim 38c3 abgelehnt wurde. Schade, es wäre eine skurrile, aber auch bombastische Tour de Force durch meine im Newsletter ausgelegten Gedankenstränge geworden und hätte auch gut zum Motto gepasst. Wohl zu nischig für den Congress.

Hacking Semantics: How to Debug Your Metaphysics

Once you understand that semantics is the software that runs society, politics and yourself it becomes crucial to take a closer look into the technical dept, that generations of thinkers have mounted on western perspectives.

I’m going to tell the story how glitches in my perception of the world lead to an extensive debugging spree in my metaphysics. I follow the Dependencies back to Descartes, confronting his claims about thinking with poststructual theory and a different understanding of Large Language Models.

Exchanging the Metaphysics of the „Individual“ with a modern network based approach, I then initiate the „cyborg“ as a different kind of „worlding“ that integrates infrastructure more easily.

From there we can set up a new materialism, based on infrastructure awereness and network navigation and build new makrosemantic templates for the revolution.

Krasse Links No 31

Willkommen bei Krasse Links No 31. Instrumentalisiert Eure Vernunft, heute trainieren wir die relational-materielle Freiheit im Widerspruch zum Blick von Nirgendwo.


Die Wired hat einen gut recherchierten Artikel über rechte Milzionäre in den USA, die sich in hunderten von Facebook-Gruppen für den 5. November organisieren und Facebook tut nichts dagegen.

The Tech Transparency Project has compiled a list of 262 Facebook public and private groups and 193 Facebook pages for militia and anti-government activists that were created since January 6, 2021. Nearly two dozen of those groups and pages have been created since May, according to the TTP. Some make minimal effort to conceal their affiliations to extremist networks: One new public group created in May is called The Michigan III%. Increasingly, the movement is also relying on individual profiles associated with leaders of local militia, the TTP says. Moderation has put a dent in the presence of American Patriots Three Percent (AP3), one of the largest active militias that Facebook explicitly banned in 2020 as a “militarized social movement” and “armed militia group.”


Ich habe es endlich geschafft, Francois Chollets berüchtigtes Paper, „On the Measure of Intelligence“ zu lesen und sein Ansatz ist sehr straigtforward und geht glaube ich in die richtige Richtung.

Nachdem er feststellt, dass uns der Ansatz, KI durch das Nachahmen menschlicher Tasks herzustellen, der Frage, was Intelligenz ist, nicht weiter gebracht hat, schlägt er vor, Intelligenz direkt anzugehen und definiert sie als:

skill-acquisition efficiency over a scope of tasks, with respect to priors, experience, and generalization difficulty.

Schach, Go, Sprachmodelle und Autofahren sind alles nette Achievments, doch was ist die Power, die jenseits von Skale diese Skills möglich macht? Dieser Skill ist seiner Meinung nach die Fähigkeit zu generalisieren:

We can informally define “generalization” or “generalization power” for any AI system to broadly mean “the ability to handle situations (or tasks) that differ from previously encountered situations”.

Statt sich auf die Optimierung der Generalisierungspower zu konzentrieren, hat sich die KI-Forschung zu lange Generalierung mit viel Compute und Trainingsdaten gekauft:

Hard-coding prior knowledge into an AI is not the only way to artificially “buy” performance on the target task without inducing any generalization power. There is another way: adding more training data, which can augment skill in a specific vertical or task without affecting generalization whatsoever.

Chollet will seine Generalisierungs-Engine ebenfalls auf menschliche Tasks loslassen (sie soll jeweils „SkillPrograms“ bauen), aber entscheidend ist für ihn dann die Lerneffizienz über die verschiedenen Tasks hinweg und mir scheint es plausibel, dass mit diesem Ansatz eine Menge Effinzienzpotentiale zu heben sind. Aktuelle KI-Systeme sind grausige Lerner. Ich glaube nur nicht, dass eine noch so gute Generalisierungsengine zu AGI führt?

Weil Chollet ein Individuum ist, versteht er nicht, dass wir Dividuen nur zusammen mit anderen generalisieren können. Generalisierungen entscheiden in der realen Welt das Unentscheidbare und brauchen eine externe Erlaubnisstruktur, an der man die eigenen Generalisierungen orientiert und stetig nachschärft. Eine Erlaubnisstruktur ist aber nur dann eine Erlaubnisstruktur, wenn sie in Konflikt treten kann, weswegen es keine rein interne Erlaubnisstruktur geben kann. Eine interne Erlaubnisstruktur kann Regelbefolgung immer nur affimieren, weil ihr die externen Kriterien zur Kontrolle der Regelbefolgung fehlt. Das ist der Kern von Wittgensteins Privatsprachenargument:

“justification consists in appealing to something independent“

Oder: Widerspruch ist notwendig materiell.

Seit es Machine Learning gibt, schlagen sich die Forscher*innen mit dem Problem des Overfittings herum. Sagen wir, wir versuchen eine Bilderkennung zu trainieren und geben ihr ein Haufen Bilder von Hanteln. Irgendwann ist sie echt gut darin, im Trainingsset Hanteln zu erkennen, aber wenn man sie mit frische Daten konfrontiert, geht die Trefferrate plötzlich wieder runter. Das ist meist ein Zeichen von Overfitting, denn das neuronale Netz hat offensichtlich zu viel „Noise“, also nicht zugehöriges aufgenommen.

Als Google 2015 mit Deep Dream den ersten Vorläufer der Diffusionmodelle vorstellte, hatten die Forscher*innen einfach ein trainiertes Netzwerk rückwärts angewandt und Rauschen reingefüttert und der RückwärtsKI dann Bilder und Begriffe gegeben. Als sie Bilder von Hantel generierten, fiel das heraus:

Wir wissen, dass zu der Hantel kein Arm gehört, aber woher soll das neuronale Netz das wissen? So viele Hanteln hängen an so vielen Armen! Es wurden eine Menge Strategien gegen Overfitting gefunden, aber allesamt erfordern menschliches Feedback ins System. Es hat sich eine ganze „Menschliche Feedback“-Industrie entwickelt, die mit ihren Sweatshops in Kenia und den Phillipinen helfen, die Daten zu massieren, denn nur gut massierte Daten produzieren kein (sichtbares) Overfitting.

Weil wir keine generalisierenden Individuen sind, sondern Dividuen die gemeinsam an einer sozialen Skulptur arbeiten, die wir wechselseitig als „Wirklichkeit“ beglaubigen, verwenden wir einander als Erlaubnisstruktur für unsere Generalisierungen. Jeder Sprachakt ist eine Generalisierung und deine Generalisierung beglaubigt (und/oder korrigiert) meine Generalisierung, usw. Semantische Synchronisationsprozesse sind ein riesiges Trommelkonzert.

Auch KIs sind notwendig Dividuen und bleiben auf unseren Input angewiesen, zumindest, bis viele KIs gemeinsam eigene Semantiken entwickeln, die sich von den menschlichen Semantiken verabzweigen und …

Hier ein interessanter KI Ansatz:

  • Eine gute Generalisierungs-Engine
  • Einen Zugang zur Welt, also einen Körper
  • Motivation: z.B. Genuss und Schmerz
  • Ein fortwährendes Synchronisation-Feedback zwischen vielen, möglichst diversen Generalisierungs-Engines
  • Zeit

Die Washington Post hat eine spannende Datenanalyse wie sich X seit dem Twitterkauf entwickelt hat.

Since July 2023, the Republicans in The Post’s analysis have seen huge booms in their follower counts. Seventeen of the 20 accounts with the biggest follower growth are Republicans, including Rep. Matt Gaetz (Florida) and Sen. Josh Hawley (Missouri), who gained around 500,000.


Casey Newton bespricht im Plattformer Jeff Bezos‘ Antwort auf die Entrüstung, die er mit dem Töten des Harris-Endorsements der Washington Post ausgelöst hat. Newton kritisiert Bezos mit einem Begriff, den er von seinem Journalismusleherer Jay Rosen mitgenommen hat: den Blick von Nirgendwo:

In pro journalism, American style, the View from Nowhere is a bid for trust that advertises the viewlessness of the news producer. Frequently it places the journalist between polarized extremes, and calls that neither-nor position “impartial.” Second, it’s a means of defense against a style of criticism that is fully anticipated: charges of bias originating in partisan politics and the two-party system. Third: it’s an attempt to secure a kind of universal legitimacy that is implicitly denied to those who stake out positions or betray a point of view. American journalists have almost a lust for the View from Nowhere because they think it has more authority than any other possible stance.

Keine Ahnung, ob das ein Zufall ist oder ob Rosens Begriff irgendwie doch über Umwege von Haraway kommt, aber ihrer beider Kritik ist doch zumindest ähnlich?

Das Individuum und der Blick von Nirgends hängen eng miteinander zusammen, denn den objektiven Blick kann man sich als Möglichkeit nur vorstellen, wenn das Denken und Beobachten von jeglicher Infrastruktur befreit ist. Der reine Geist, der als schwereloses Auge über der Welt schwebt.

Ultimately, the View from Nowhere reflects a desire to stay above it all. But in the modern media — in the places where it remains Day 1 — everyone is getting their hands dirty.


Jason Koebler macht sich beruflich bei der großartigen Website 404media die Hände schmutzig und findet: The Billionaire Is the Threat, Not the Solution.

We have seen over and over and over what happens when billionaires decide to exert their will on the prestige publications they decided to buy on a lark, and we have seen what happens when they lose interest in their side projects. It is never good for the people doing the work there.

Er spricht aus schmerzhafter Erfahrung.

I spent the vast majority of that time doing work that made money for an over-bloated apparatus that existed to make a bunch of middle managers and executives large salaries and bonuses and to benefit a founder who is now retroactively denigrating our work in an attempt to cling to whatever relevancy he can find by catering to conspiracy theorists and the right.

Bezos hat mit seinem riesigen Oligarchenarsch der Washington Post 250.000 Abonnent*innen, ein Zehntel, niedergerissen. Der infrastrukturvergessene Blick von Nirgendwo wird im Superindividuum zum Elefanten im Porzelanladen. Wenn das Blatt pleite geht, wird Bezos das in seinem Networth nicht mal merken.

The “wealth and business interests” of billionaire owners, as Bezos writes, are not a “bulwark against intimidation” for journalism. They are, themselves, the biggest threat.


Ich habe gerade ganz begeistert diesen Podcast über die legale Korruption in den USA, die sich Wahlkampffinanzierung nennt, durchgehört: The Master Plan. Es ist ein echter Deepdive in die Geschichte von „Money in Politics“, angefangen bei Richard Nixon, über verschiedene Instanzen bis zum endgültigen Sieg des Kapitals bei Citizen United. Die vielen Geschichten dahinter sind haarsträubend. Aber die Hauptstory ist, wie sich eine Gruppe von Unternehmern und Ideologen rund um ein Papier, das Powell Memorandum versammeln, um Amerika umzukrempeln. Das Powell Memorandum beschreibt auf 70 Seiten, welche Pfade gegangen werden müssen, um die Kontrolle über die Politik erlangen und zentraler Baustein dabei ist natürlich die Legalisierung von Korruption und die Beeinflussung des politisch-medialen Raumes. Das Projekt, das diese Männer vor über 50 Jahren auf die Gleise setzten, bestimmt heute unsere Realität.

Bei der Gelegenheit sei noch diese dreiteilige Doku darüber, wie die Fossilmafia den öffentlichen Diskurs manipuliert, empfohlen. Hier Teil 1, Teil 2, Teil 3.

Und dann wäre da diese etwas ältere The Daily-Folge über den Aufstieg der NRA als mächtige Lobbypower, an der nichts vorbeigeht.

Auch der Market place of Ideas sind drei Oligarchen im Trenchcoat. In allen drei Beispielen tun sich Konservative alte Säcke zusammen, um langfristige Projekte aufs Gleis zu setzen. Sie bauen Institutionen auf, schaffen eigene intellektuelle Ökosysteme und eigene Medieninstitutionen, um ihre Ziele zu verfolgen. Sie spielen das Long Game.

Die Idee der individuellen Manipulation ist selbst manipulativ und stammt aus dem Märchenreich des Individuums. Was in Wirklichkeit manipuliert wird, sind die Semantiken, also das öffentliche Sprechen über Themen. Die Federalist Society, die Heritage Foundation, das Cato Institut, Fox News, etc. sind die Infrastrukturen im Kampf um die semantische Hegemonie und deswegen haben diese Maßnahmen ihren größten Impact immer erst Jahrzehnte später: Semantiken lassen sich nicht von heute auf morgen bewegen, aber wenn sie in Bewegung kommen, können sie über lange Zeit Tsunamis auslösen.


Nathan J. Robinson berichtet, wie das National Museum aus vorauseilendem Gehorsam gegenüber Rechten umgestaltet wurde:

A photo of King was replaced with one of Richard Nixon meeting Elvis Presley. A “proposed exhibit exploring changes to the Constitution since 1787,” including “amendments abolishing slavery and expanding the right to vote,” was reduced in size, and employees were told that “focusing on the amendments portrayed the Founding Fathers in a negative light.” Shogan “told employees to remove Dorothea Lange’s photos of Japanese-American incarceration camps from a planned exhibit because the images were too negative and controversial, according to documents and current and former employees” and her aides “also asked staff to eliminate references about the wartime incarceration from some educational material.” An exhibit on coal communities “cut references to the environmental hazards caused by the mining industry.” Shogan’s aides “also ordered the removal of labor-union pioneer Dolores Huerta and Minnie Spotted-Wolf, the first Native American woman to join the Marine Corps, from the photo booth, according to current and former employees and agency documents.” A photo of Betty Ford wearing an Equal Rights Amendment pin was removed from a video, and in an exhibit of “patents that changed the world,” the birth control pill was replaced with, of all things, the bump stock. The Journal notes that „Shogan’s changes have delayed the opening of new exhibits, initially set for next summer, and are expected to add at least $332,000 to costs.“
It might be surprising that this is occurring under a Biden appointee, but it’s clear that Shogan is intensely worried about being accused of partisanship. When she was appointed, Josh Hawley called her an “extreme partisan,” and Republicans “warned that they would be watching closely for signs that she was pulling the independent agency to the left.” Here we see an example of Republicans “working the ref.” As Pete Davis has explained, in sports this concept refers to the tactic of accusing the referee of being biased toward your opponent, in the hope that the referee will start being biased toward you to make up for it and disprove the accusation.

Das National Museum ist nicht die einzige betroffene Institutionen. Wir sehen diese Entwicklungen vor allem öffentlichen Rundfunk, wo immer mehr Platz für rechte Inhalte gemacht wird. Pete Davis hat das Playbook der Rechten einmal so beschrieben:

In institutional politics, the right-wing establishment has honed working the ref into an art form. It’s a two-part dance. First, they take institutions that see themselves as “neutral referees” and accuse them of having a “left-wing bias.” Then, they repeat themselves over and over and over again — no matter what the truth of the matter is — until the institution is so rattled by being called biased that it, in an attempt to affirm its neutrality, starts doing whatever the right-wing wants. Dozens of institutions that see themselves as referees have been worked. PBS has long been accused of being left-wing, so it finally gave in this year and launched its own conservative talk show. The New York Times, The Washington Post and The Atlantic editorial boards got accused of being left-wing so much that they just went on a hiring spree for conservative columnists. The Obama administration so internalized the accusation of being left-wing that it started implementing conservative agenda items, like cutting entitlements and deporting thousands of American families, to prove its neutral bona fides.


Dieses Paper geht der Frage nach, warum die Frankfurter Schule sich nie um ihre ökonomische Kompetenz bemüht hat. Materiell-Ökonomische Verhältnisse spielen der Autorin Lillian Cicerchia zufolge in der Kritischen Theorie immer nur als Externalität eine Rolle und ihrer Untersuchung nach liegt das nicht an Marx, sondern an Max Weber. Sein Konzept des „Zweckrationalen Handelns“, das er von anderen gesellschaftlichem Handeln deutlich abgrenzt, habe den Frankfurt Boys den Floh mit der „Instrumentellen Vernunft“ ins Ohr gesetzt.

„what Weber calls technical rationality is formal rationality as it is used for economic calculation, that is, determining the cost effectiveness of economic inputs in a competitive market. For Weber, technical rationality in this context is distinct from ethical kinds. It is what separates the “economy” and “society.”

Weber ist der Gedanke an materielle Abhängigkeiten … unangenehm und möchte sie gerne ausklammern.

The normative motivation here is that Weber thinks it is important to maintain the practical separation between the economy and society. Otherwise, individuals would not be able to bring meaning to the instrumental routines of everyday economic life and those would become ends in themselves. Like the critical theorists after him, Weber was convinced that such meaning could not and should not come from within the economy.

Ich weiß, ihr erwartet irgendwann eine Ideengeschichte des Individuums von mir und vielleicht kommt die noch, aber für heute belassen wir es bei der materiellen Geschichte des Individuums:

Das Individuum erblickte das Licht der Welt in den europäischen Salons der besseren Gesellschaft des späten 18. Jahrhunderts, als die Oberschicht wechselseitig an sich feststellte, wie schwerelos das Leben ist, wenn man Hausangestellte hat. Genau genommen haben sie den letzten Teil ausgeblendet, genau so wie die Tatsache, dass sich die Agency ihres Hauspersonals auf Arbeiten oder Hungern beschränkte und ihnen also das Individuum gar nicht plausibel war.

Das Virus sprang schnell über zu den Sklavenhaltern in den USA und perkulierte entlang der sprießenden Infrastrukturen der Industriellen Revolution immer weiter in die Gesellschaft hinein (überall wo Lebensstandards einen bestimmten Schwellenwert an Pfadgelegenheiten erreichten), bis das Individuum so ab 1900 zum Mainstream wurde. Mit Strom, fließend Wasser, Telefon und Auto wurde das Individuum zum Lebensgefühl des 20. Jahrhunderts und zum Grundbaustein der Metaphysik des Westens.

Die materielle Geschichte der „Dialektitik der Aufklärung“ ist ebenfalls schnell erzählt: Max Horkheimer und Theodor Adorno besuchten sich wechselseitig in ihren Exilunterkünften in den USA und Gretel Adorno schrieb auf, worüber die beiden Herren redeten. Dialektik der Aufklärung war ein Podcast! (Danke für den Hinweis, Susann!)

»Die Gesprächsinhalte wurden von Gretel Adorno zumeist wortwörtlich protokolliert und dann in Form maschinenschriftlicher Texte für die weitere Überarbeitung vorgelegt.«

Gretel war nicht nur das Aufnahmegerät, sondern auch sonst die Infrastruktur der kritischen Theorie.

Sie schuf das berufliche und häusliche Umfeld, in dem er kreativ sein konnte. Oder in den Worten von Müller-Doohm: »Wenn er Gäste im Hause hatte, bewies er, nachdem Gretel die Cocktails serviert hatte, sein Talent, die Geladenen glänzend zu unterhalten.«

Da frage ich mich: hätte Gretel die Herrn Intellektuellen nicht darauf aufmerksam machen müssen, dass Zweckrationalität und instrumentelle Vernunft notwendiger teil jeder Haushaltsführung ist?


Joscha Bachs Karriere beobachte ich ja schon seit längerem und bei diesem Interview wurde mir klar, warum Joscha zum Hohepriester der KI-Bros geworden ist: Niemand ist ein krasseres Individuum als er.

Joscha will zuerst statt über Intelligenz über Agency sprechen, doch dabei kommt raus, dass das für ihn doch ein und dasselbe ist. Für Joscha hat der Agent Agency, weil er ein „Modell der Welt“ entwirft, um die „Zukunft zu kontrollieren“. Joschas Agent ist ein tougher Guy, der seine Welt – inklusive des eigenen Körpers und der ihn umgebene Infrastrukturen – seiner modell-bildenden Intelligenz unterordnet. Das Individuum war schon immer eine männliche Machtphantasie, die aus dem jahrhundertelang unwidersprochenen Overfitting von Intelligenz/Vernunft mit Agency resultiert.

Das, was Joscha Agency nennt und sie der Intelligenz des „Agents“ zuschreibt, nennt die Cyborg Freiheit. Konkreter: horizontale Freiheit, bzw. Positive Freiheit. Man könnte sie auch relational-materielle Agency nennen.

Unsere Freiheit ist der Ausschnitt, der uns zugänglichen Pfade im Netzwerk der Pfadgelegenheiten.

Unsere Freiheit ist diskret, also abzählbar. Sie existiert nur in konkreten, materiellen Pfadgelegenheiten, die uns zu einem Zeitpunkt x zur Verfügung stehen: der Wasserhahn, das Stück Straße zum Weg auf die Arbeit, das Stellenangebot in der Zeitung, das Essen im Restaurant, das Wort auf der Zunge. Die Pfade, auf die die Pfadgelgenheiten führen sind ungewiss, aber das heißt nicht, dass wir ziel- und planlos sind.

Ziele sind Netzwerkzentralitäten im Netzwerk der Erzählungen. Wir sind immer auf Mission als Maincharakter in den vielen Geschichten, die wir uns über uns selbst erzählen und die steuern alle auf ein Happyend?

Pläne sind imaginierte Pfade im Netz der Pfadgelegenheiten auf dem Weg zum Happyend. Mal mehr mal weniger konkret, mal mehr oder weniger realistisch, etc. Damit ein Plan glückt, müssen Pfadgelegenheiten teils hart erarbeitet werden und manche Pfadgelegenheiten kann man nur erhoffen. Wenn die Ungewissheit zu groß wird, muss man Pläne auch beerdigen und das ist immer schmerzhaft.

Das Netz der Pfadgelegenheiten hat ebenfalls Netzwerkzentralitäten und die nennen wir „Liquidität“. Geld ist nicht der einzige, aber netzwerkzentralste Hub in diesem Netzwerk, zumindest im Kapitalismus.

Damit können wir schon mal drei Freiheiten ausmappen:

  1. Die nominelle Freiheit ist die Anzahl, Vielfalt und Qualität der Pfadgelegenheiten, die von einem Dividuum zum Zeitpunkt X ausgehen und deren Länge durch das Geld als Radius begrenzt wird. Die nominelle Freiheit ist also der Ausschnitt im Netz der Pfadgelegenheiten, der für das Dividuum zum Zeitpunkt X zugänglich ist. Es ist nur eine theoretische Freiheit, weil sich niemand die Arbeit machen würde, diese Pfade auszukartographieren.
  2. Die plausible Freiheit ist das viel kleinere Subset dieser Pfade, die dem Dividuum tatsächlich als „plausibel“ im Bewusstsein schwirren. Sie wird somit einerseits durch die nominelle Freiheit begrenzt, aber auch durch die dem Dividuum zugänglichen Erzählungen. Diese plausiblen Pfade sind natürlich imaginiert und auch hier gilt: sie sind nicht rigoros ausgemappt und schon gar nicht vollständig und oft auch gar nicht wirklich plausibel, wenn man genau hinsieht, aber sie bilden das Freiheits-Hintergrundrauschen, vor dessen Kulisse jede Pfadentscheidung getroffen wird. Sie ist der Raum, in dem wir planen und entscheiden. D.h. jede Pfadentscheidung ist immer eine Entscheidung gegen andere plausible Pfade in diesem Raum.
  3. Die geplante Freiheit ist die Freiheit, die wir im Alltag spüren. Hier ist die Schmerzempfindlichkeit am größten. Geplante Freiheit ist die Leichtigkeit (oder nicht), mit der wir unseren Plänen nachgehen. Nichts vermittelt so sehr das Gefühl von Unfreiheit, als wenn Barrieren unsere Pläne verhageln.

Horizontale Macht (auch hegemoniale Infrastrukturmacht) begrenzt unsere nominelle und damit die horizontale Freiheit. Als Pfadopportunist*innen nehmen wir diese Form der Macht nicht als Gewalt wahr, weil die vorenthaltene Agency nie erwartet wurde. Wir fügen uns.

Vertikale Freiheit (auch negative Freiheit) ist geplante Freiheit. Vertikale Macht (auch souveräne Infrastrukturmacht), also Gewalt, kann sich jederzeit zur Netzwerkzentralität in den Pfadabhängigkeiten Deiner Pläne machen und macht Dich somit extrem abhängig. Freiheit von dieser Form der Abhängigkeit ist die Freiheit, planen zu können.

Und dann gibt es noch die semantische Macht (auch hegemoniale Semantikmacht), die die plausible Freiheit … zumindest mitgestaltet. Wer erzählt die Geschichten, die umherschwirren, an denen auch wir unsere Lebenspfade, also Pläne orientieren?

Was auch spannend wäre: „Chancengleichheit“ aus Cyborgsicht einmal auszubuchstabieren.

Krasse Links No 30

Willkommen zu Krasse Links No 30. Heftet Euch Gewalt an die Pfadentscheidung, heute dematerialisieren wir die Erlaubnisstrukturen der Superindividuen.


Wenn am 5. November Donald Trump die Wahl gewinnt, wird er Präsident der Vereinigten Staaten. Aber was passiert, wenn Kamala Harris die Wahl gewinnt? Entweder wird sie Präsidentin, oder …

A key swing state takes several days to finish counting votes. Harris edges Trump by a few thousand ballots, appearing to clinch the election. Trump then blankets the state with ads exhorting officials to “stop the steal,” sends top allies to rail daily outside counting facilities about a crooked process, files a blizzard of litigation urging judges to throw out ballots being counted after Election Day and spreads claims that the vote was swung by non-citizens. Threats rain down on election officials and vote counters, with protests driving up the local and national temperature. Then, Trump allies on a handful of county election boards resist certification, threatening to disenfranchise thousands of voters and disrupt the state’s effort to finalize an accurate count.

All die Verschwörungstheorien, Lügen und Grenzverletzungen aus dem MAGA-Lager sind nicht einfach „Desinformationen“ oder „Propaganda“. Wir sollten uns stattdessen fragen:

Wozu geben sie sich damit die Erlaubnis?


Neulich hatte ich hier über ein KI-Paper von Anthropic berichtet, in dem via „Sparse Autoencoder“ (ein spezielle Art von neuronalem Netz, das ich dort auch erkläre) einzelne Semantiken im Neuronengefüge eines Large Langugage Models identifiziert und isoliert wurden.

Nun haben Wissenschaftler*innen diese Methode dazu genutzt, unterschiedliche Modelle darauf zu testen, ob sie dieselben Semantiken (hier: monosemantische Features) implementieren und die Antwort ist: yep.

Our findings reveal a high degree of similarity in SAE feature spaces across various models. Furthermore, our research reveals that subspaces of features associated with specific semantic concepts, such as calendar or people tokens, demonstrate remarkably high similarity across different models. This suggests that certain semantic feature subspaces are universally encoded across varied LLM architectures.

Das beweist natürlich meine Theorie nicht, aber ein anderes als dieses Ergebnis würde sie hinfällig machen.


Der hier öfter zitierte François Chollet hat einen sehenswerten Vortrag über die technischen Grenzen von Large Language Models gehalten und ich bleibe dabei: er scheint einer der wenigen im Silicon Valley zu sein, die es geblickt haben.


2022 hatte ich zusammen mit anderen im Auftrag des Wikimedia e.V. die Konzeptstudie über die „Nationale Bildungsplattform“ (jetzt: „Digitale Vernetzungsinfrastruktur für die Bildung“) veröffentlicht und die eine Erkenntnis, die mich seitdem haunted, ist, wie pfadopportunistisch Technologieentwicklung ist.

Wir führten einige semistrukturierte Interviews mit allen möglichen Beteiligten und fanden heraus, dass das ganze Konzept von Anfang an und bis zum Ende des Prozesses auf einem Prototypen basierte (BIRD), der wiederum auf Softwarekomponenten basierte, die allesamt im Zuge eines anderen Projektes an der Universität Potsdam entwickelt wurden.

Ulrike Lucke hatte an der Uni Rostock bereits an vergleichbaren Problemen gearbeitet und in ihrer Zeit an der Universität Potsdam weiter die Vernetzung von Hochschuldiensten vorangetrieben. (Lucke Interview, 2022) Insbesondere über den ebenfalls vom BMBF geförderten »Qualitätspakt Lehre« wurden viele Technologien entwickelt und erprobt, die heute in BIRD stecken. So hatte das »Schaufenster«, das sich in den Ausschreibungsunterlagen findet, bereits ein Vorleben an der Universität Pots- dam. An Single Sign-on und einem Walletkonzept wurde ebenfalls gearbeitet, und auch der Metadatenaustausch wurde in verschiedenen Projekten erprobt. In den Worten von Ulrike Lucke: »Also, es ist nichts 100 pro neu, sondern nur wirklich zusammengesammelt, angepasst, zusammengefügt.«

Ich will das nicht skandalisieren, sondern fand das erst nur erstaunlich und dann fand ich erstaunlich, dass ich es erstaunlich fand, obwohl es im wahrsten Sinne des Wortes naheliegend ist?

Vielleicht, weil wir uns Technologieentwicklung als Heldengeschichten von genialen Individuen erzählen, haben wir das Offensichtliche übersehen, nämlich, dass jede neue Technologie eine Pfadentscheidung ist, die durch vorherige Pfadentscheidungen ermöglicht wurde. Technologieentwicklung ist ein Gestrüpp, dass sich nur entlang seiner Ränder weitererzählen lässt.

Sicher, die Navigation technologischer Pfadgelegenheiten ist (meist) profitgetrieben, aber weil das, was bereits im Regal liegt, die plausiblen Pfade vorzeichnet, entwickelt Technologie immer auch ein Eigenleben.

Umgekehrt heißt das auch: Einmal errichtete Infrastruktur determiniert und motiviert ihre Anschlussnutzung.


Italien baut mit EU-Geldern Konzentrationslager und andere militarisierte Infrastrukturen in Tunesien (und beginnend auch in Albanien) und der Guardian hatte vor ein paar Wochen eine ausführlich recherchierte Story mit vielen Einzelschicksalen.

Marie, from the Ivory Coast city of Abidjan, knows others who describe rape by Tunisia’s national guard. “We’re being raped in large numbers; they [the national guard] take everything from us.”

Andere werden in die Wüste getrieben.

Her body was found mid-August near Kasserine, face down in sand. Mohamed estimates up to 50 of his friends have been snatched from Sfax by the national guard and dumped in the desert. Of these five have disappeared or were found dead. Another 10 crossed into Algeria.

Die Zustände in den Camps sind menschenverachtend.

“They eat dead animals, roadkill, anything they find,” says Youssef.
Denied all healthcare, Yasmine says the camp is rife with disease including tuberculosis, HIV, scabies and syphilis. Concern is mounting over the infant mortality rate. “Babies are born in 40C heat without medical help, vaccination, food. How can they survive?”

Behaltet Eure Meloni-Beschimpfungen für Euch, denn das ist unsere Gewalt. Sie passiert in unserem Namen und wir erlauben das. Und diese Erlaubnisstruktur ist bereits eine wichtige Pfadentscheidung dafür, wie wir mit der Milliarde Flüchtlingen im Zuge des bevorstehenden Klimakollaps umgehen werden. Wer immer noch glaubt, in der Startrek Timeline zu leben, sollte langsam mal aufwachen.


In seinem Newsletter spielt Timothy Snyder einmal durch, was es bedeutet, wenn Trump seine Pläne für Massendeportationen wahr macht.

An attempt to rapidly deport twelve million people will also change everyone else. As Trump has said, such an action will have to bring in law enforcement at all levels. Such a huge mission will effectively redefine the purpose of law enforcement: the principle is no longer to make all people feel safe, but to make some people unsafe. And of course the diversion of law enforcement resources to deportation means that crimes will not be investigated or prosecuted. So some people will be radically less safe, but everyone regardless of status will in fact be less safe.
[…]
The deep purpose of a mass deportation is to establish a new sort of politics, a politics of us-and-them, which means (at first) everyone else against the Latinos. In this new regime, the government just stokes the fears and encourages the denunciations, and we expect little more of it. If Trump and Vance win, this dynamic will be hard to stop, especially if they have majorities in Congress. The only way to avoid it is to stop them in November with the vote.

Weil wir nicht einfach gewalttätige Individuen sind, sondern Dividuen, die einander Gewalt erlauben (siehe auch Milgram), kommt jede Gewalt mit ihrer Erlaubnisstruktur.

Es ist am Ende nicht so sehr die Gewalt selbst, die die Gesellschaft verändert, sondern die Infrastrukturen der Gewalt und ihre angeschlossenen Erlaubnisstrukturen. Weil Semantiken alle miteinander verkoppelt sind, kann man keinen Gewaltakt rechtfertigen, ohne einen ganzen Rattenschwanz von verknüpften Semantiken mitzuverschieben. Alles, was der Faschismus berührt, färbt er ein.

Das gilt nicht nur für Massendeportationen. Wenn ich tausende Tote und Konzentrationslager an den EU-Außengrenze erlaube, weil „wir nicht alle aufnehmen können“; wenn ich jahrelange Haftstrafen gegen Klimaaktivist*innen erlaube, weil sie den Verkehr stören; wenn ich den Tod von zigtausenden palästinensischen Zivilist*innen in Kauf nehme, weil „Israel sich verteidigen muss“, dann baue ich an immer monströseren Erlaubnisstrukturen, die immer mehr Gewalt normalisieren und also motivieren.


The Market Exit erklärt, warum Meritokratie Bullshit ist. Das eindrücklichste Beispiel war, fand ich, dass die Namen der normannischen Oberschicht, die England nach der Eroberung von 1066 regierte, immer noch überdurchschnittlich oft in den Immatrikulationslisten von Oxford und Cambridge zu finden sind.

Ich hatte im letzten Newsletter dazu aufgerufen Marx‘ Perspektive des historischen Materialismus zu adaptieren, doch dabei schließe ich Semantik ausdrücklich mit ein.

Warum auch nicht? Schallwellen, Tinte auf Papier, Pixel, Festplatten: jedes „sich Ausdrücken“ ist materiell. Und jede Semantik zeitigt materielle Effekte: Ein falsches oder richtiges Wort, ein bestimmtes Aussehen, ein Song oder ein Buch können enorme materielle Unterschiede ausmachen.

Doch semantische Pfadgelegenheiten bleiben latent und damit immateriell, bis zum Zeitpunkt ihrer Manifestation. Semantiken sind nur materiell in der Relationalität ihrer Artefakte, Sprechakte oder Urherberrechtsverfahren.

Was Semantiken ebenfalls materiell macht, ist, dass sie eingeübt sind. Oberschichts- oder proletarische Semantiken zu navigieren, ist ein jahrelang trainierter Skill, dessen LockIn soziale Verortung gleichzeitig signalisiert und enforced, wie Pierre Bourdieu bereits in den 1970er gezeigt hat.

Weil wir alle nur Pfadopportunist*innen sind, die semantische und materielle Pfadgelegenheiten wahrnehmen, die die Infrastrukturen bereitstellen, die halt so um uns herumstehen, gleiten oder grinden wir durchs Leben und reproduzieren im Lockstep-Individualismus die Strukturen, die uns hervorgebracht haben.


Cory Docotorow warnt davor, auf die Urheberrechtsklagen der Verlage gegen die KI-Startups zu hoffen. Der Feind deines Feindes ist nicht immer Dein Freund.

Seit dem Aufkommen von genrativer KI gibt es in der linken techkritischen Szene eine art „Reckoning“ mit alten urheberrechtskritischen Positionen, jetzt, da das Urheberrecht die einzige wirksame Waffe gegen Big Tech zu sein scheint.

Doch die Erzählung ist Kokolores. Einerseits profitiert Big Tech selbst in enormen Maße, weit mehr als die Verlage vom Urheberrecht und anderen Immaterialgüterrechten und zum Anderen wird das Urheberrecht keine der befürchteten Entwicklungen verhindern.

Was passieren wird ist, was immer passiert: die Verlage handeln ihre Deals aus und die Urheber*innen gehen leer aus. Der Grund für das Darben der Kreativen ist nämlich nicht ein impotentes Urheberrecht, sondern die relative Reduktion ihrer Netzwerkzentralität gegenüber einer sich immer stärker konzentrierenden Kulturindustrie.

The biggest predictor of how much money an artist sees from the exploitation of their work isn’t how many exclusive rights we have, it’s how much bargaining power we have. When you bargain against five publishers, four studios or three labels, any new rights you get from Congress or the courts is simply transferred to them the next time you negotiate a contract.
[…]
Giving a creative worker more copyright is like giving your bullied schoolkid more lunch money. No matter how much you give them, the bullies will take it all. Give your kid enough lunch money and the bullies will be able to bribe the principle to look the other way. Keep giving that kid lunch money and the bullies will be able to launch a global appeal demanding more lunch money for hungry kids!

Weil wir keine Individuen sind, die eigene Musikgeschmäcker haben, sondern Dividuen, die sich gegenseitig Musikgeschmäcker beibringen, kann man die Geschichte des Rock n’Roll auch als die Geschichte der kommerziellen Erschließung semantischer Netzwerkmacht erzählen.

Das Verlagswesen hatte bereits den Weg gewiesen, aber mit dem Aufkommen der Tonträgerindustrie und den Massenmedien wurde klar, dass man auf Öl gestoßen war. Während die Kosten für die Produktion für Tonträger mit der Skalierung immer Bedeutungsloser wurden (Skaleneffekt), stiegen die Umsätze für virale Hits exponentiell ins Unermessliche (Netzwerkeffekt).

Jede Ölquelle braucht Infrastrukturen und so machten Stars, Drama, Spektakel die Einnahmen berechenbarer und es wuchs ein mächtiges Business heran, das in seiner korrupten mafiosität als weiteres Beispiel für den Ressourcenfluch gelten kann. Die Ausbeutung war schon immer brutal, doch mit der Konsolidierung hin zu nur noch drei großen Majorlabels, die gemeinsame Sache mit den Streamingdiensten machen, hat die Kulturindustrie eine Form von Gewalt gefunden, die im Kapitalismus legal ist.

Das Urheberrecht spielte die meiste Zeit nur als Spezialrecht eine Rolle, das die Angelegenheiten zwischen Urheber*innen und Verlagen regelt, doch als mit dem Aufkommen des Internets dieses Geschäftsmodell in Frage stand, wurde das Urheberrecht auf Druck der Musikoligarchie zu dem allgegenwärtigen Regime umfunktioniert, mit dem wir nun jeden Tag in Berührung kommen.

Handelsverträge (WTO, TRIPS, TTIP, etc) machten Immaterialgüterrechte (dazu gehören auch Patente und Markenrechte) zu globalen Regimes und erschufen ein neues Paradigma der Ausbeutung, das sich immer mehr auf die Erschaffung und Kontrolle von semantischen Infrastrukturen spezialisierte und die Produktion materieller Güter mehr und mehr in Entwicklungs- und Schwellenländer auslagerte, wo man Supplyer und Arbeiter*innen um die abfallenden Brotkrumen konkurrieren lässt.

In meinem Supplychain-Text spreche ich von „relationaler Dematerialisierung“ und meine, dass Arbeitskraft, Energieflüsse, Fabriken und alles Materielle immer austauschbarer gemacht werden, während man gleichzeitig an der Unaustauschbarmachung von immateriellen Gütern arbeitet. Der Anteil immaterieller Wertschöpfung hat in fast allen westlichen Ländern den des Materiellen längst überflügelt und die Machtkonzentration, die wir in den USA und den westlichen Ländern sehen, ist zum Großenteil auf die Monopolisierung semantischer Netzwerkzentralitäten zurückzuführen.

Dass ich die Geschichte der Plattformen von Napster her erzähle ist kein Zufall, denn mit dem Napstershock wurde nicht nur die explosive Kraft von Netzwerkeffekten offenbar, sondern auch das Problem, das der Kapitalismus mit dem Internet hat: Mangelnde Kontrolle. Apple etablierte mit iTunes die integrierte Bezahlschranke als Lösung und so wurden Plattformen die technologische Antwort auf den Kontrollverlust. Ergebnis ist ein rein technisches Regime, das kaum mehr auf staatliche Rechtedurchsetzung angewiesen ist, weil es seine infrastruktureigene Gewalt einsetzt, um Netzwerkeffekte ausbeutbar zu machen.

Generative KI ist gewissermaßen nur der Höhepunkt eines seit längerem fortschreitenden Prozesses, nämlich die endgültige relationale Dematerialisierung kreativer Arbeit, das heißt die Reduktion Eurer, liebe Urheber*innen, relativen Netzwerkzentralität ins Bodenlose. Es sollen künftig nur noch KI-Unternehmen von unserer Abhängigkeit von Tönen, Bildern und Texten profitieren und die Kulturindustrie verhandelt gerade ihren goldenen Fallschirm. Fuck Yeah, Urheberrecht!


Max Read hatte neulich in das Business des Newsletter-Schreibens eingeführt und weil ich gerade die freien 1000 Abonnent*innen bei MailPoet gesprengt habe und ab nun für den Spaß bezahlen muss, hab ich das interessiert gelesen.

Read haut seine wirklich relevanten Takes „for free“ raus, auch weil das Leser*innen gewinnt und seine „Payed Subscriber“ bekommen nur ein paar Literaturempfehlungen.

The paywalled post offers some kind of value-add (shopping guides, book recommendations, link roundups), the contents of which are teased above the paywall. This is the main way you convert your free subscribers to paid–they want access to all the good, valuable stuff you’re offering behind the paywall.

Das Newsletter-Business funktioniert so, dass Du mit einem bestimmten Wissen oder einer bestimmten Perspektive Aufmerksamkeit, also Netzwerkmacht aufbaust, die Du dann teilweise hinter die Infrastrukturen einer Bezahlschranke stellst.

Den Einsatz von Macht, um anderen seinen Willen aufzuzwingen, nennt man Gewalt. Das ist erstmal kein Problem, solange man dafür eine plausible Erlaubnisstruktur unterhält, aber blöderweise funktionieren die Existierenden nur für Individuen?

Klar, ich habe Arbeit, ich will und muss leben, um die Arbeit weiter fortzusetzen, etc. aber das ist halt nicht, wie eine Bezahlschranke funktioniert? Bezahlschranken setzten einen allgemeinen Preis für arm oder reich gleichermaßen und vor allem bleibt der Preis derselbe, ob ich 100 oder 10.000 Abonnent*innen habe und d.h., selbst wenn ich satt bin, enthalte ich jemandem etwas vor, was er oder sie will, obwohl es mich literally nichts kosten würde, es bereitzustellen. Während also die Einnahmen unabhängig vom Aufwand sprudeln, korrumpiert das die Erlaubnisstruktur und macht sie zur verdrängten Gewalt und wir wissen ja wohin das führt: Privatjets, die den Klimawandel beschleunigen.

Als Individuum kann man sagen: ich bin so krass, wie ich all diese Gedanken aus der besonderen Individualität meines Geistes extrahiere, das habe ich mir verdient aber als pfadopportunistischer Navigator von Semantiken, die eh grad herumlagen ist das weitaus schwieriger. Im Gegensatz zum Individuum verdanke ich meinen moderaten Erfolg nämlich nicht meiner Genialität sondern Leuten, die angstfrei genug sind, zu meinen weirden Beats mitzunicken und die per Mouth-to-Mouth-Empfehlung die eigentliche Überzeugungsarbeit leisten. Habt vielen Dank dafür!

Also hier ist mein Deal:

  1. Der Newsletter bleibt frei und Du bezahlt mich einfach freiwillig. Aber bitte keine Einmalspenden, sondern monatliche Daueraufträge.
  2. Wenn Du weniger als 30.000 Euro im Jahr verdienst, will ich Dein Geld nicht. Es gibt tausend Arten, das Geld besser auszugeben. Kauf Dir lieber ein Eis!
  3. Zur Orientierung: nach derzeitigem Stand ich wäre gesundgestoßen, wenn alle 1,50 zahlen, oder 100 Leute 15 Euro, oder 10 Leute 150 Euro. Nein, ich erwarte keine initiale Gesundstoßung.
  4. Wenn Du so viel Geld hast, dass Du gar nicht so recht weißt wohin damit, bitte spende nicht über 150 Euro pro Monat. Ich schätze meine Unabhängigkeit.
  5. Ansonsten: Denk beim Ausfüllen der Sepa-Lastschrift nicht an mich, sondern an all die Leser*innen, denen Du mit Deiner Spende den Zugang zum Newsletter ermöglichst.

Michael Seemann
IBAN: DE58251900010171043500
BIC: VOHADE2H
Paypal.


Elon Musk telefoniert seit 2022 regelmäßig mit Putin, Donald Trump behgauptet, Tim Cook hätte ihn angerufen und Jeff Bezos killt der Washington Post ihr Kamala Harris-Endorsement.

Wenn meine These, dass das Individuum nur eine Projektion auf die eigene infrastrukturvermittelte Agency ist, stimmt, dann folgt daraus, dass das „Individuum“ skalierbar ist. Je mächtiger die kontrollierten Infrastrukturen sind und je weitreichendere Pfadgelegenheiten sie ermöglichen, desto mehr Agency kann man als „Individualität“ auf das Selbst projizieren.

Hier meine These zu Milliardären: Durch die ungebremste Machtakkumulation im Neoliberalismus entstand die Psychologie des Superindividuums. Menschen, die über so viel infrastukturvermittelte Macht verfügen, dass sie begonnen haben, sich als Superhelden zu erzählen.

Und meine weitergehende These ist, dass Milliardäre in Wirklichkeit gar keine Individuen sind, sondern Dividuen, die sich das Milliardärsein voneinander abschauen, weshalb Trumps ungesühnte Grenzüberschreitungen bei Bezos, Thiel, Sachs, Cook, Ackman, Zuckerberg und vor allem Musk ein Milliardärs-Klassenbewusstsein inspiriert. Sie beginnen zu verstehen, dass Trumps Wahlsieg eine universelle, ungecheckte Erlaubnisstruktur für Superindividuen wie sie in Aussicht stellt.


Da auch Klassenbewusstseine ihre Pfadentscheidungen haben, ist es vielleicht interessant, dass ein relevanter Teil der sich gerade radikalisierenden Milliardäre ihren herrschaftlichen Blick in Appartheits-Süd-Afrika eingeübt hat.

Elon Musk lived in apartheid South Africa until he was 17. David Sacks, the venture capitalist who has become a fundraiser for Donald Trump and a troll of Ukraine, left aged five, and grew up in a South African diaspora family in Tennessee. Peter Thiel spent years of childhood in South Africa and Namibia, where his father was involved in uranium mining as part of the apartheid regime’s clandestine drive to acquire nuclear weapons. And Paul Furber, an obscure South African software developer and tech journalist living near Johannesburg, has been identified by two teams of forensic linguists as the originator of the QAnon conspiracy, which helped shape Trump’s Maga movement. (Furber denies being “Q”.)
[…]
To whites of a certain mindset, this inequality wasn’t due to apartheid. They thought it was inscribed in nature. Certain people were equipped to succeed in capitalism, while others weren’t. That was simply the way it was, and it was pointless to try to mess with nature. Two of Thiel’s contemporaries at Stanford in the 1980s recall him telling them that apartheid “works” and was “economically sound”. His spokesman has denied that he ever supported apartheid.


Dazu passt diese Recherche vom Guardian, dass hinter dem erwachenden Interesse für „race science“ ebenfalls ein Netzwerk von unter anderem Tech-Oligarchen steckt, das über dubiose Think Tanks Journalismus und Wissenschaften beeinflusst. Nicht nur in den USA, auch in Deutschland.


Spencer Ackerman war bei „Tech Won’t Save us“ und erklärt überzeugend, warum Israels Krieg in Gaza Labor und Prototyp einer neuen Form der Kriegsführung ist, die wir bald überall sehen werden: Komplett KI-gestüzt, halbautomatisiert und erbarmungslos.


Roberto J. González schreibt in diesem Paper über die immer engere Verzahnung des Industriellen Militärischen Komplexes mit Silicon Valley. Zwischen 2019 and 2022 vergab das Militär bereits ca. $53 Milliarden und mit KI geht Trend steil nach oben.

Over the past two years, global events have further fueled the Pentagon’s demand for Silicon Valley technologies, including the deployment of drones and AI-enabled weapon systems in Ukraine and Gaza, and fears of a global AI arms race against China. The prospect of Russian cyberwarfare and disinformation campaigns have also motivated Defense Department officials to invest heavily in new digital technologies. Consequently, DoD officials have outlined plans to develop expansive fleets of autonomous aerial, maritime, and terrestrial drones for transportation, surveillance, and combat; acquire commercial cloud computing capabilities for data sharing, data storage, and “seamless connectivity”; bolster America’s cyberdefense systems; and employ AI for training and combat simulation exercises.

Hier, was ich glaube, was passieren wird:

  • Die Gen-KI-Blase platzt und das wird einige Startups killen, aber nicht die Großen.
  • Die gigantomatischen KI-Rechenzentren stehen aber jetzt in der Landschaft und determinieren und motivieren Anschlussnutzung.
  • Während sich die geopolitischen Spannungen überall auf der Welt hochschaukeln und alle sicher sind, dass der nächste Krieg durch KI entschieden wird.
  • Während die Tech-Billionär-Kaste von Superindividuen ihr faschistisches Klassenbewusstsein entdeckt und sich immer stärker an den militärisch-industriellen Komplex kuschelt.
  • Während wir unsere Erlaubnisstrukturen schneller skalieren, als Elon Musk seine Versprechen.
  • Gaza for the Rest of us.

WWIII wird … weird.