Es ist irgendwie lustig, dass die vor kurzem aufflammende Diskussion um „Zensur“ auf Facebook (zb. Herr Urbach, Antje Schrupp), auf eine gewisse Art zurückschlägt. Und zwar in der Folgedebatte um das Leistungsschutzrechtsdebakel.
Sascha Lobo hat nämlich recht. Wir – also die aktiven Gegner des Leistungsschutzrechtes – sahen ziemlich scheiße aus. Wir schäumten und schrieben und tobten – doch schon einen Meter weiter war das nur noch als leises Zischen zu hören, wie eine Brausetablette im Wasserglas.
Dabei sprangen wir Anfang 2012 doch noch so formvollendet mit Hunderttausenden über den ACTA-Hai! Wir stoppten ein ausgewachsenes internationales fucking Handelsabkommen!
Blöderweise waren das aber gar nicht wir. Das waren die Kids, die Youtubegeneration. Wir – die netzpolitisch Dauerbewegten – waren da eher eine Randerscheinung. Klar, die „Digitale Gesellschaft“ ein Bündnis aus Piraten, Anons, Digiges und Hedonisten hat das ganze organisatorisch gewuppt. Aber mobilisiert haben andere.
Sascha beklagt, dass es in Sachen Leistungsschutzrecht nicht gelungen sei, diese jungen Leute abzuholen. Es gibt keine Vernetzung zu den Videobloggern, deren Reichweite alles in den Schatten stellt, was in Blogs und auf Twitter so zu finden ist. Insgesamt ist es nicht gelungen das Problem mit dem Leistungsschutzrecht meiner Mutter, meinem Vater – niemandem außerhalb unserer kleinen Filterbubble verständlich zu machen.
Während der ACTA-Proteste habe ich ein Experiment gemacht. Ich habe einen Artikel geschrieben über ACTA, der sich nicht an „uns“ richtet, sondern an alle anderen. Ich stellte den Text auf Facebook und verbloggte ihn hier und er fand rasenden Absatz zusammen fast 2000 Likes und 500 Tweets vereinte er auf sich, wurde massenhaft kopiert und sogar auf Flugblätter gedruckt.
Ich würde heute sagen, dass das Experiment ein Erfolg war, obwohl da sicher noch viel mehr gegangen wäre. Wenigstens gelang es mal einen Text außerhalb unserer Filterblase zu platzieren. Das ist selten. Aber auf Facebook gibt es Pages mit vielen Millionen Abonnenten, auch in deutscher Sprache. Youtube, Facebook, Tumbler. Ob wir es wollen oder nicht: Dort findet die Öffentlichkeit statt. Wenn man unsere größten Blogs – Netzpolitik, Fefe, Hastenichtgesehen – daneben stellt, befindet sich unsere Relevanz im gerade noch messbaren Bereich. Wenn Spiegel Online mal gerade nicht über uns berichtet, sind wir Scheinriesen, deren Wirken praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet.
Die digitale Welt dreht sich schnell und während wir diese Aussage immer dann für eine Binse halten, wenn wir sie auf die „die Anderen (TM)“ anwenden (Verlage und Kulturindustrie), merken wir nicht, wie wir selbst den Schuss nicht gehört haben. Wir predigen Blogs auf selbstgehosteten Webspaces laufen zu lassen, weil das eine gute Idee war, als wir 2005 das Netz für uns entdeckten. Wir merken gar nicht, wie wir Christoph Keese immer ähnlicher werden, wenn wir voller Entrüstung einen Bestandsschutz für den Google Reader fordern, als ob die Zukunft der Demokratie daran hinge.
Es wird Zeit, dass wir mal unsere eigene Narrativ-Mottenkiste entrümpeln. Und dazu gehört nun mal auch, Technologien zum Abschuss frei zu geben, die sich nicht durchgesetzt haben. Der Schritt zurück war noch nie einer in die Zukunft und ich sehe nicht, warum sich das ausgerechnet im Web geändert haben sollte.
Und dazu gehört auch Twitter. Auch wenn wir die ersten dort waren und dort immer noch eine gemütliche Nische bewohnen, ist Twitter nicht das, was wir glauben, was es ist. Twitter ist keine Brüllstube für Piraten oder Diskussionsplattform für Nerdbesserwissereien. Auf Twitter werden auch keine Links geshared oder News konsumiert. Auf Twitter ist man entweder Rockstar oder Fan. Die einen sagen „pups“ die anderen schreien virtuell die Bude voll. Das ist Twitter und alles andere – also wir – sind dort kaum wahrnehmbare Randphänomene. Wen interessieren da bitte fucking API-Zugriffsbeschränkungen?
„Netzgemeinde“ ist auch deswegen der richtige Begriff für uns, weil es das provinzielle und selbstbezogene dieser unserer Filterblase zum Ausdruck bringt. Wir sind ein kleines, verschlafenes Bergdorf, das nicht mal mitbekommen hat, dass die Dampfmaschine längst erfunden wurde.
Having rant that …
langweilt mich jeder, der in die „Zurück zur eigenen Infrastruktur“-Tröte pustet genau so, wie die Leute, die behaupten, dass die Facebook-Zensur keine solche sei, weil dafür irgendwo das Wort „Staat“ vorkommen muss. Facebook ist die derzeit wichtigste digitale Öffentlichkeit und deswegen ist es eben doch ein Eingriff in die Meinungsfreiheit, wenn Facebook bestimmen darf, was gesagt werden darf und was nicht.
Was tun? Ich sehe 4 Alternativen, mit diesem Zustand umzugehen:
1. Man glaubt weiterhin, dass sich Blogs/RSS/Atom dereinst durchsetzen werden. Man wirbt dafür, dass die Leute sich eigenen Webspace mieten, um mit ihrer WordPress-Installation ihre Inhalte selber zu kontrollieren.
Einwand: Ja nee, is klar. (siehe oben)
2. Man ignoriert die Menschenmassen auf Facebook und anderen geschlossenen Diensten und ist sich einfach selbst genug. „Wenn die anderen zu doof sind, das freie Web zu schätzen, ist das ja nicht mein Problem!“
Einwand: Verbitterung als verschrobene Tech-Elite und das Versinken in der politischen Bedeutungslosigkeit sind quasi vorprogrammiert. (Auch „Fefeisierung“ genannt.)
3. Man gibt den Kampf auf, kündigt seinen Webspace und bloggt einfach auf Facebook weiter. Freies Web, schmeies Schweb. War vielleicht doch alles ne doofe Utopie, die keiner braucht?
Einwand: Die Machtkonzentration der Konzerne über die öffentliche Meinungsbildung könnte schon bald unangenehme Ausmaße annehmen.
4. Man kämpft auf Facebook für Plattformneutralität. Wenn Facebook eine nicht offene, aber extrem populäre Inftrastruktur ist, dann machen wir sie eben zur offenen, populären Infrastruktur. Wir lobbyieren bei Facebook für die Öffnung der Plattform für Standards, etc. und kämpfen für Meinungsfreiheit und demokratische Prozesse.
Einwand: Hat ja schon bei Twitter und Google so super geklappt. NOT!
Fazit
Ganz ehrlich, ich bin derzeit etwas ratlos. Mir gefällt keine der aufgezeigten Alternativen. Ich würde gerne vorankommen, aber ich weiß nicht mehr wo das ist. Ich will nicht der schimpfende Alte sein, der seine Tech-Vision von vor 8 Jahren verteidigt. Ich will aber auch nicht der sein, der den Gedanken an das freie Web aufgibt. Ich würde auch kämpfen, aber wenn, dann nur nach vorn. Aber wo ist vorn? App.net? Ich weiß ja nicht.