
By Carlos Latuff.KingTut1982 at en.wikipedia [Public domain], from Wikimedia Commons
Es ist nicht leicht angesichts der Ereignisse in Tunesien und Agypten seine Stimme wiederzufinden. Es passiert dort etwas großes und etwas großartiges. Und das sage ich im vollen Bewusstsein über all die Probleme, die all das auslösen kann. Die Destabilisierung der ganzen Region ist nicht ganz ungefährlich. Nicht mal für uns. Aber wenn sich ein Volk sich gegen seine Tyrannen erhebt, hat es alle Rechtfertigung der Welt.
Ich versuche derzeit etwas Abstand zu finden. Ich versuche das Gegenteil dessen, was Richard Gutjahr macht (obwohl ich das, was er tut rückhaltlos unterstütze und ich Kritik daran kleinlich finde). Schon seit Tunesien und vor allem aber gerade steht mir das alles noch viel zu mächtig vor der Nase, als dass ich es richtig einordnen kann. Ich hege den Wunsch nach Übersicht. Nach der Vogelperspektive.
Natürlich habe ich aber schon über den Internet-oder-nicht-Revolutionsdiskurs nachgedacht und viel dazu gelesen. Aber ich brauchte etwas Zeit, sie in – zunächst vorsichtige, persönliche – Worte zu fassen. Nilzenburger fragte mich nach einem Text für dieses interessante Projekt und da habe ich meine Gedanken einfach mal aufgeschrieben:
Ich habe keine Ahnung, wie sehr das Internet bei den ganzen Aufständen, damals im Iran und jetzt in Tunesien und Ägypten eine Rolle spielte. Ob es eine Twitter- oder Facebookrevolution war oder ob diese Medien nur eben nur das sind: Medien. Dass all das auch mit Telefon, Fernseher, Flugblatt oder Hölenmalerei geschehen wäre. Oder ob das, was eh passiert wäre, mit den Internetdiensten einfach nur leicht anders geschehe.
Derweil gibt es aber doch noch einige andere, hinreichende Gründe, dem Internet einen nicht unwesentlichen Anteil an der Möglichkeit der Revolutionen zu geben. Nämlich die fast vernachlässigbare Rolle von Protestorganisationen bei diesen Revolutionen. Egal wo ich lese, oder höre. Überall berichten die Betroffenen und Reporter, dass es keine Oppositionspartei oder sonstige Organisation war, die diese Proteste initiierten. Man spricht immer nur wieder von jungen Leuten.
Die taz hat ein schönes Zitat des Chefredakteurs einer Tageszeitung:
„Unsere Jugendlichen rennen zehn Schritte voraus, und weder die Politik noch wir Journalisten kommen hinterher“
Das ist ein ganz wesentlicher Unterschied zu bisherigen Revolutionen. Wenn sich Proteste in irgendwelchen Untergrundorganisationen organisieren, dann braucht das Vorlauf, dann braucht das Struktur, regelmäßige Treffen, gewachsene soziale Bindungen, viel Vertrauen, viel Verschwiegenheit, Führung und all das. Und all das sind Schwachstellen, all das kann unterwandert werden, all das kann sabotiert oder gesprengt und in Gefängnisse geworfen werden.
Wenn sich im Internet die Massen aufschaukeln, dann bahnen sie sich ihren Kanal wie ein Fluss – nur eben in extrem kurzer Zeit. Dann organsisieren sich völlig Fremde in Sekunden schnelle an Ort X zu sein. Dann werden über Chats Plakatsprüche gebrainstormt, dann fließen die Vorbereitungen ohne Zentrum, ohne Führung dezentral einfach so hin. Es emergieren Ad-Hoc-Strukturen. Ich habe das erlebt und zwar zur Zensursulakampagne.
Revolutionen wie wir sie kannten waren geplant und wurden von langer hand vorbereitet. Die Revolutionäre von heute, wussten ein paar Tage vorher gar nicht, dass sie welche seien würden.
Mubarak hatte die Oppsitionellen im Griff. Er hatte auch all die Untergrundorganisationen im Griff. Er hätte jeden Murks von denen im Keim erstickt. Eine herkömmliche Revolution wäre wahrscheinlich gar nicht möglich gewesen. Man hätte sie nicht so schnell organsiert bekommen, wie man erwischt worden wäre. Aber niemand rechnete mit dem Internet statt Organisation.
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Natürlich ist das mittlerweile anders. Die Oppositionsparteien haben sich von ihrem Schreck erholt und marschieren und organsieren jetzt fleißig mit. Auch die Muslimbruderschaft. Was zur berechtigten Sorge einläd.
Im Iran fand ende der siebziger eine ähnliche Revolution statt. Es war eine ebenso progressive Revolution gegen einen ebenso despotischen Herrscher. Aber statt im Internet mussten sich die Protestler in den Moscheen organisieren, denn sie waren der letzte Zufluchtsort. Das machte es Khomeini hinterher leicht, die Revolution als „islamische Revolution“ umzudeuten und die nächste Diktatur auszurufen.
Dass die Revolution im Internet seinen Ausgang fand ist wichtig für die anschließende Deutungshoheit. Deswegen ist es sehr schlimm, dass Internet abgeklemmt wurde. Denn nun bleibt auch den Ägyptern oft nur als einziges soziales Netzwerk das Gebet.
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Deswegen ist das tollste an diesen Ereignissen auch die internationale Solidarität der Internetnutzer. Ja, die Internetnutzer – viel mehr und viel stärker als in der Bevölkerung und vor allem in den klassischen Medien, die selber nicht mehr verstehen, was da passiert.
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Und zu guter Letzt wird derzeit so enorm schnell und intensiv an alternativen Netzstrukturen gearbeitet, wie noch nie. Dass ein Land sich vom Internet trennte, hat es noch nie gegeben. Aber es wird sein gutes haben: im besten Fall wird es das auch nie wieder geben können.
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Und noch eine Bemerkung. Google engagiert sich in dieser Hinsicht und das sicherlich nicht mit dem Wohlwollen der eigenen Regierung. Und ich habe die wilde Vermutung, dass das auch mit dem Wechsel an der Spitze zu tun hat. Meine Prognose: Page wird Google politischer machen.
Über Googles Einstieg in die Weltpolitik habe ich schon mal was geschrieben. Aber damals wird Eric Schmidt die Entwicklung noch stark gebremst haben. Der ist viel zu viel Bussinessman, als das er sowas mitgemacht hätte. Ich bin mir sicher, wir werden noch viel politisches Engagement von Google sehen und von Twitter auch. Der nationale Rahmen wird langsam etwas zu eng für diese Konzerne.
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Natürlich sehe ich das alles unter der Perspektive des Kontrollverlustes, zu dem ich derzeit eine allgemeine Theorie zu entwickeln versuche. Auch wenn ich noch nicht so weit bin, ist klar: der Kontrollverlust ist etwas, das mit der technischen Evolution mitwächst und sich ebensoschnell auswächst – über unsere Köpfe hinweg. Das also von Jahr zu Jahr dramatischere Ausmaße annimmt. Wir sehen die ersten Vorläufer dieser Auswüchse.
Tendentiell kann man sagen, dass jede Art von Machtakkumulation gefährdet ist. Und je stärkeren Druck sie auf Informationssysteme ausüben müssen, desto stärker sind sie gefährdet. Der Kontrollverlust wird früher oder später alle Metastrukturen nivellieren, denn er ist genau das, was sich statt Organisation und Struktur einsetzen will.

