Krasse Links No 29

Willkommen bei Krasse Links No 29. Leitet Eure Schärfe in den Schmerz, heute dekonstruieren wir die „False Norm“ in der Schwerelosigkeit der Realität.


Ein Video mit dem in Tränen ausbrechenden Meterologen John Morales ging kurz vor Miltons Impact in Florida viral.

Mein Doktorvater Bernhard Pörksen sagte mal zu mir: „Realität ist das, was noch da ist, wenn du nicht dran glaubst“, was ich auf Anhieb schlüssig fand. Aber wenn man das zu Ende denkt, bedeutet das: Realität ist Schmerz. Schwerkraft ist nicht „wahr“, weil Newtons Formeln stimmen, sondern weil hinfallen weh tut.

Schmerz ist auch der Antrieb für diesen Newsletter. Ich habe mir am Netzwerk den Kopf gestoßen und seitdem verarbeite ich diese Erfahrung zu einer anderen Sicht auf die Welt.

Der Klimawandel ist wie das Netzwerk ein Hyperobjekt, und meine These zu Hyperobjekten ist, dass sie Dimensionen von Realität sind, zu denen uns noch der passende Schmerz fehlt. Deswegen hat dieser Clip wahrscheinlich mehr zum allgemeinen Verständnis des Klimawandels beigetragen als der letzte IPCC-Bericht.


Ich gucke immer mehr Videos auf Instagram (lasst mich!) und einem, dem ich supergern folge, ist Adam Aleksic, aka etymologynerd.

In diesem Video beschreibt er das Phänomen, dass Jungennamen in den USA immer häufiger mit „n“ enden und dieser Trend zur Uniformität lässt sich paradoxer auf einen Abgrenzungswillen zurückführen. Es wurden ganz viele neue Namen kreiert, aber meist welche, die auf „n“ enden, weil das irgendwie „low key“ männlich wahrgenommen wird. Das führte zu mehr Männern mit „n“ am Namensende, was den Eindruck verstärkte, etc. Network effects all over again.

Jedenfalls nennt man das wohl „Lockstep Individualism“ und ich musste herzlich lachen, aber dann fragte ich mich: gibt es einen Individualismus, der nicht lockstep ist? Ist nicht jede Abgrenzungsgeste bereits im lockstep mit all den anderen Abgrenzungsprojekten? Ist lockstep-Abgrenzung nicht auch irgendwie unser Thing?


Apple hat ein Paper zu den „Reasoning“-Fähigkeiten von LLMs veröffentlicht und ich bin mir fast sicher, dass es diese Forschung war, die Apple dazu bewegte, sich aus der letzten Fundingrunde von OpenAI herauszuziehen.

Die Apple-Forscher*innen haben ein populäres Datenset mit Reasoning-, Logik und Mathe-Aufgaben zur Hand genommen und von den Fragen Templates gemacht, mit denen sie allerlei Variationen der ursprünglichen Fragen austesten konnten. Und das Ergebnis ist, dass man die Modelle mit kleinen Änderungen am Setting komplett aus dem Konzept bringen kann.

We show that, likely due to potential pattern matching and the fact that the training distribution of models included only necessary information for solving questions, adding seemingly relevant clauses to the question that do not impact the reasoning process required to solve it significantly drops the performance of all models.

Outsch.

Overall, we find that models tend to convert statements to operations without truly understanding their meaning. For instance, a common case we observe is that models interpret statements about “discount” as “multiplication”, regardless of the context.

OutschOutsch.

It may resemble sophisticated pattern matching more than true logical reasoning.

OutschOutschOutsch.

Neulich, unter meinem LinkedIn-Post zu dem „Dickicht der Bedeutung“-Text diskutierten Martin Linder und ich, wieso die LLMs so besonders gut darin zu sein scheinen, kulturwissenschaftliche Texte zu produzieren und Martin schrieb:

„ja, kulturwissenschaften beruhen ja geradezu auf dem genauen umgang mit unschärfen.“

Das schien es mir auf den Punkt zu bringen. Wir KuWis haben ja immer mit „Fuzzy Objects“ zu tun und daher gilt es, durch Genauigkeit in der Beschreibung Konturen in die Unschärfen zu bringen. Das ist unser Beitrag. Aber dann fiel mir auf, dass das, erstens für alle Wissenschaften und zweitens sogar jede menschliche Äußerung gilt: Wenn wir sprechen, wollen wir etwas ausdrücken, das heißt eine Unschärfe konturieren, um sie mitteilbar zu machen. Das ist immer ein schwieriges Unterfangen, weil die Stimmung, die Beziehung, die Gefühle, die Welt eben … unscharf sind, uns aber nur vereindeutigende Worte dafür zur Verfügung stehen.

Das erinnerte mich daran, dass Derrida immer wieder darauf hinwies, dass nur das Unentscheidbare überhaupt entschieden werden kann.

A decision can only come into being in a space that exceeds the calculable program that would destroy all responsibility by transforming it into a programmable effect of determinate causes.

Und dadurch kam ich drauf, dass es bei der LLM genau umgekehrt ist. Statt auf Unschärfen greift sie auf einen klar determinierten Datenraum zu und folgt ihm entlang der Majority Vote. Die LLM will nichts ausdrücken, sondern optimiert ihren Output auf statistisch gemessene Erwartbarkeiten.

Und um das Ergebnis glaubwürdiger zu machen, streut man beim Generieren des Textes über den „Temperature“-Wert noch Randomness hinzu. Die Erfahrung zeigt, dass wenn die LLM immer nur stur das wahrscheinlichste Wort ausspuckt, die Texte auf weirde weise eindimensional, langweilig und redundant werden. Wenn aber nach einem Zufallsprinzip auch mal das zweit- oder drittwahrscheinlichste Wort gewählt wird, dann wirken die Texte „lebendiger“ und „kreativer“ und tatsächlich auch nützlicher.

Temperature ersetzt also das, was sonst wir Menschen beim Sprechen beisteuern. Das wirkt dann zwar menschlich, aber diese „Lebendigkeit“ und „Kreativität“ sind per Zufall simuliert. Die menschlichen Abweichungen von den ausgetretenen Pfaden sind aber eben nicht random, sondern entstammen unseren Bemühungen, uns auszudrücken, also das Unentscheidbare zu entscheiden. Deswegen tun LLMs das Gegenteil, von dem, was wir tun: Sie machen Scharfes ungenau. Und das wäre doch auch eine wunderschöne Definition von Slop?

D.h. auch wenn OpenAI sich mit Reinforcement-Learning eine vollständige Datenbank aller Lösungspfade zu allen vorstellbaren entscheidbaren Fragen kreiert und o1 und ihre Nachfolger alle noch zu schaffenden Benchmarks nach oben klettern, wird das keine Intelligenz in die Maschine bimsen. So lange sich die KI nicht ausdrückt, und das ist Voraussetzungsreich: so lange sie nicht mit der Fuzzy Welt in Beziehung tritt und das Unentscheidbare entscheidet, um die Erfahrung anschlussfähig zu machen, kann sie immer nur das längst Entschiedene slopen.

Was die KI-Bros nicht verstehen, ist, dass sie mit den LLMs keine Intelligenz geschaffen haben, sondern ein Modell unserer gesellschaftlich-medialen Erwartungen. Und weil auf Spiegel besonders Narzisten reinfallen, hat sich das Silicon Valley mit „AGI“ eine für sie selbst optimierte intellektuelle Venusfalle gebaut. Irgendwann muss das mal von den Coen-Brothers inszeniert werden.


Nachdem Lewis Waller bereits sehr sehenswert Kant und Hegel durcherklärt hat, ist diesmal Karl Marx dran und ich kanns wieder sehr empfehlen.

Das ganze Netzwerkdenken hat mich Marx ein großes Stück näher gebracht und egal, was man von seinen konkreten Analysen hält, sollte sich jeder die Perspektive des historischen Materialismus aneignen. Marx war einer der wenigen, die aus der Infrastrukturvergessenheit des Individuums aufgewacht sind. Statt wie die liberalen Ökonomen mit „Märkten“ herum zu theoretisieren, schaute er hin und versuchte Genauigkeit in die Unschärfe des wirtschaftlichen Geschehens zu bringen.

Außerdem hat Marx bereits die Cyborg beschrieben:

„Das menschliche Wesen ist keine dem einzelnen Individuum innewohnende Abstraktion. Es ist seiner Wirklichkeit nach die Gesamtheit der gesellschaftlichen Verhältnisse.“


In seinem Newsletter hat Jonas Schaible eine interessante kleine Privatforschung zu medialer Berichterstattung und Umfrage von CDU und AfD gemacht.

Vor einer Weile habe ich hier eine kleine Analyse beschrieben, die ich aus Interesse versucht habe. Ich wollte wissen, ob man Muster findet, wenn man die Intensität der Berichterstattung über Migration mit dem Ausmaß vergleicht, in dem Menschen Migration als Problem empfinden.

Das Ergebnis: Die Problemwahrnehmung scheint nicht losgelöst zu sein von den realen Fluchtbewegungen, noch viel stärker aber scheint sie der Berichterstattung zu folgen.

Jetzt habe ich das ganze nochmal um Umfragewerte der Union und der AfD ergänzt und mir angeschaut, ob es Muster gibt.

Was sich zeigt: Sowohl AfD als auch Union steigen in Phasen, in denen Migration stärker als Problem wahrgenommen wird, und fallen, wenn das weniger so ist. Der Effekt ist allerdings wenig überraschend stärker für die AfD.

Aber zwischen der Menge an Zeitungsartikeln über Migration in den zwei Wochen vorher und den Umfragewerten gibt es bei der Union für 2023 und 2024 keinen erkennbaren Zusammenhang. Bei der AfD gibt es ihn sehr wohl.

Das stärkt erneut die Vermutung, die ihrerseits auf reichlich Forschung gründet: Wenn Migration großes Thema ist, dann hilft das der AfD. Der Union eher nicht.

Ich seh das so:

Weil wir keine Individuen sind, die die Welt beobachten, sondern Dividuen, die einander beobachten, wie sie die Welt beobachten, ist Öffentlichkeit ein Klangkörper, den wir alle miteinander bespielen. Öffentlichkeit ist in seiner Funktionsweise ein großes, diverses Trommelkonzert, wo alle möglichen Akteure Aufmerksamkeit auf sich und ihre Geschichten konzentrieren wollen – also einen Beat anstimmen, um andere zum Mitschwingen zu animieren.

Die Milliardäre haben sich in den letzten Jahren ihren Einfluss auf die großen Trommeln gesichert. In Deutschland können die Oligarchen per der Axel Springer Verlag einzelne Politiker*innen oder Policys auf Zuruf abschießen lassen, wie sie immer wieder demonstrieren. Politiker*innen versuchen schon gar keine gesellschaftsfreundliche Politik mehr zu machen, was nur dazu führt, dass sich die Frustspirale weiter Richtung AfD schraubt. In den USA sieht man diesen Mechanismus in einem späteren Stadium und mit Musks Twitterübernahme ist nun eine der größten Pauken in den Händen eines Rechtsextremen gefallen.

Wenn wir den Faschismus etwas entgegensetzen wollen, müssen wir Wege finden, wieder Laut zu sein. Die Linke ist aus dem Takt gekommen und ihre Trommeln sind kaputt oder nicht so geil und irgendwie trommelt gerade nur noch jeder nur noch für sich. Wir müssen einen neuen, attraktiven Beat anzuzetteln.


Dieser Aufsatz von Wissenschaftler*innen der Universität New York beschreibt den Effekt, den Social Media auf die Wahrnehmung sozialer Normen hat, mit dem lustigen Begriff „funhouse mirror factory“.

Research on social media has found that, while only 3 % of active accounts are toxic, they produce 33 % of all content [4]. Furthermore, 74 % of all online conflicts are started in just 1 % of communities [5], and 0.1 % of users shared 80 % of fake news [6,7].

Sie kommen zu dem Schluss:

False norms emerge, in part, because social media is dominated by a small number of extreme people who post only their most extreme opinions, and do so at a very high volume–often posting dozens of times more than others, while more moderate or neutral opinions are practically invisible online.

Ich teile diese Einschätzung, aber „False Norms“? Srsly? Wieso sollten die auf Social Media eingeübten Normen „fake“ sein? Sie sind nicht „fake“ im Kontext der Leute, die so sprechen. Diese Normen mögen weniger weit verbreitet sein, als Menschen auf Social Media denken, aber was da wächst, ist real und setzt bereits ganz materielle Gewalt in die Welt.

Indeed, 97 % of political posts from Twitter/X come from just 10 % of the most active users on social media, meaning that about 90 % of the population’s political opinions are being represented by less than 3 % of tweets online.

Manchmal bewundere ich all die Journalist*innen, Politiker*innen, die noch auf X geblieben sind. Man muss ein „echtes Individuum“ sein, um auf dieser Propagandatrommel trotzdem noch zum eigenen Beat zu tanzen.


Ta-Nehisi Coates ist gerade überall wegen seines neuen Buches „The Message“, in dem es unter anderem um Israel und Palästina geht, unterwegs und besonders hat mir das Gespräch mit Jon Stewart gefallen.

Aber auch das Gespräch mit Ezra Klein ist bemerkenswert, vor allem als Klein Coats fragt, was er denn einem Israeli sagen würde, der es politisch mit Aussöhnung versucht hat, vielleicht sogar in der Friedensbewegung war, aber angesichts der Intifadas und zuletzt dem 7. Oktober aufgegeben hat, an eine politische Lösung zu glauben, worauf Coats entgegnet:

„I can’t accept that the violence committed by the people who have less power somehow relieves you from the burden of forming a just society.“

Coates ist kein schwereloser Linker.


Ich habe mich entschlossen, die Verbrechen in Gaza „Genozid“ zu nennen. Natürlich könnte ich auch einfach ein paar Jahre warten, bis der ICJ entschieden hat, aber ich habe festgestellt, ich bin dafür nicht schwerelos genug.

Weil diese Entscheidung wahrscheinlich aus der deutschsprachigen Medienlandschaft heraus nicht so leicht nachvollziehbar ist, hier drei Videos, die mich dabei bestärkt haben.

Der Schmerz.

Das Argument.

Das Lachen der Täter.


Tomer Dotan-Dreyfus hat seinen Essay über die sich zuspitzende Meinungsvielfalt unter deutschen Juden, den er ursprünglich für die Böllstiftung geschrieben hatte, nun in Analyse und Kritik veröffentlicht und er ist sehr Lesenswert.

Der staatliche Schutz jüdischer Leben und jüdischen Lebens in Deutschland ist bedingt.

Wer in Deutschland eine Stimme bekommt, entscheidet die richtige Meinung, nicht die wissenschaftliche Expertise:

Es ist in Deutschland zudem verbreitet, dass Menschen, die jeglicher Expertise zu Antisemitismus oder internationalem Recht entbehren, sich häufig zu beiden Themen als »Expert*innen« äußern können, solange sie bei dem Fazit ankommen (oder von vornherein davon ausgehen), dass Israel kein internationales Recht breche und dass anderslautende Behauptungen antisemitisch seien. So kann etwa der kanadische Stand-up Comedian Daniel Ryan Spaulding als Experte gelten; der israelische Professor Omer Bartov jedoch, der buchstäblich eine lebenslange Expertise in Genozidforschung besitzt, wird zensiert.

Dotan-Dreyfus spürt aber auch Druck aus der jüdischen Gemeinde und führt das auf die Angst zurück, ein entziehen der Israelsolidarität könnte gleichzeitig ein Ende der Aussöhnung zwischen Deutschen und Juden bedeuten. Historisch ist das nicht unplausibel.

1950, nur fünf Jahre nach der Niederlage des Nazistaats und bloß ein Jahr, nachdem die Alliierten der BRD ihre Unabhängigkeit gegeben hatten, verabschiedete der Bundestag seine Empfehlung an die Länder, die Entnazifizierung offiziell zu beenden. Ein weiteres Jahr später kam es zu Artikel 131 des Grundgesetzes, der Nazibeamte, -lehrer und -richter entweder wieder in den Dienst nahm oder ihnen eine gute Rente zuwies. 1952 musste man zu dieser »Entnazifizierung« irgendein Gegengewicht schaffen, wenigstens zum Schein: Der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer schloss das berühmte Luxemburger Abkommen, besser bekannt als das Wiedergutmachungsabkommen, nach massiven Protesten von Holocaust-Überlebenden in Israel, an denen auch mein Großvater beteiligt war.

Dieses Abkommen hat nicht nur die Form der Wiedergutmachung festgesetzt, sondern auch ihren Adressaten: den Nationalstaat Israel. Dies zementierte den Ansatz, für den Deutschland bis heute steht und für den Deutschland von uns Jüdinnen*Juden Zusammenarbeit fordert: Den Jüdinnen*Juden wird ein Nationalstaat anderswo zugesichert, statt einer Entnazifizierung des hiesigen Nationalstaats. Und was ich nach Jahren in Deutschland endlich verstanden habe, ist, dass der staatliche Schutz für uns davon abhängt, dass wir mitspielen.

Ich kann diese Angst nachvollziehen und ich finde die Situation, in die der deutsche Staat jüdischen Menschen gebracht hat, unerträglich. Es muss deswegen Ziel der Palästina-solidarischen Bewegung sein, Antisemitismus in den eigenen Reihen sichtbar zu bekämpfen und jüdischen Menschen die Angst davor zu nehmen, nicht mehr mitzuspielen.

Booking, Lieferando, Airbnb, Amazon: Wie Plattformen die Wirtschaft (in Sachsen) verändern | MDR.DE

Ich war gestern in einer schönen Diskussionssendung zu Plattformen und wollte ein bisschen drauf aufmerksam machen, dass wir nicht nur darüber reden sollten, was wir an Plattformen gut oder schlecht finden, sondern über die Macht, die wir ihnen geben.

Ein Großteil aller Übernachtungen im Tourismus wird heute über Booking oder AirBnB gebucht. Lieferando ist allgegenwärtig und die in Dresden entstandene Dating-Plattform „Lovoo“ hat nicht nur viele schon zum ersten Kuss geführt, sondern gilt mit seiner filmreifen Story als damals erfolgreichstes Startup. Wie verändern Plattform-Unternehmen die wirtschaftliche Architektur von Sachsen? Was hat das für Folgen für den Tourismus, den Wohnungsmarkt, traditionelle Branchen und auch das Sozialversicherungssystem? Wie profitieren die Sachsen? Was ist der Segen und der Fluch der digitalen Ökonomie? Darüber sprechen wir bei Dienstags direkt.

Quelle: Booking, Lieferando, Airbnb, Amazon: Wie Plattformen die Wirtschaft (in Sachsen) verändern | MDR.DE

Schwerelose Linke

  • Schwerelose Linke fordern mehr Regulierung.
  • Schwerelose Linke glauben, dass der Kapitalismus durch ein überlegenes „Ressourcenallokationssystem“ überwunden werden kann.
  • Schwerelose Linke sehen im Nahostkonflikt eine „tragische Gewaltspirale“ zwischen zwei sich „radikalisierenden“ Seiten.
  • Schwerelose Linke verurteilen Greta Thunberg, weil sie auf einer Demo gegen einen gerade stattfindenden Genozid mit den falschen Leuten geredet hat.
  • Schwerelose Linke sorgen sich um die „Polarisierung der Gesellschaft“.
  • Schwerelose Linke reden mit der Polizei.
  • Schwerelose Linke finden, Neoliberalismus war eine „doofe Idee“.
  • Schwerelose Linke suchen nach einer „besseren Erzählung“.
  • Schwerelose Linke „debunken“ Deine „Desinformation“.
  • Schwerelose Linke sehen Reichtum als falschen Lebensstil.
  • Schwerelose Linke glauben an „Green Growth“.
  • Schwerelose Linke distanzieren sich von jeder Gewalt.
  • Schwerelose Linke fordern von den Muslimen in Deutschland eine klare Distanzierung vom Islamismus.
  • Schwerelose Linke verändern das System von innen.
  • Schwerelose Linke arbeiten an „Lösungen“.
  • Schwerelose Linke hoffen darauf, dass Star Trek wahr wird.
  • Schwerelose Linke glauben, dass die Ostdeutschen immer nur jammern.
  • Schwerelose Linke glauben, dass die Leute den Klimawandel noch nicht „verstanden“ haben.
  • Schwerelose Linke glauben, selbst niemals faschistisch sein zu können, weil sie dafür zu schlau und abgewogen sind.
  • Schwerelose Linke glauben, man müsse nur die AfD verbieten.
  • Schwerelose Linke finden die Klimakleber ja aber schon auch nervig.
  • Schwerelose Linke glauben an den „zwanglosen Zwang des besseren Arguments“.
  • Schwerelose Linke finden immer einen Kompromiss.
  • Schwerelose Linke wollen mit Putin verhandeln.
  • Schwerelose Linke betrachten das differenziert.
  • Schwerelose Linke bohren dicke Bretter.
  • Schwerelose Linke distanzieren sich.
  • Schwerelose Linke mögen Netanyahu nicht, aber was soll Israel denn machen?
  • Schwerelose Linke sehen überall Putin am Werk.
  • Schwerelose Linke fordern vom globalen Süden mehr „Solidarität mit der Ukraine“.
  • Schwerelose Linke verurteilen die Gewalt „auf allen Seiten“.
  • Schwerelose Linke beteuern, dass wir „Migration brauchen“ wegen der „Wirtschaft“.
  • Schwerelose Linke „tone policen“ Opfer von Gewalt.
  • Schwerelose Linke haben eine Petition gestartet.
  • Schwerelose Linke verurteilen Dich, wenn Du nicht wählen gehst.
  • Schwerelose Linke setzen sich für die Menschenrechte von Milliardären ein.
  • Schwerelose Linke verurteilen den „Terrorangriff“.
  • Schwerelose Linke schauen auf die Statistik und sagen: so schlimm ist es doch gar nicht.
  • Schwerelose Linke finden, es gibt gar kein „Palästinensissches Volk“, denn es ist ja so, dass das Osmanische Reich damals …
  • Schwerelose Linke haben eine Powerpoint-Präsentation gebaut, mit der sie Kapitalist*innen für eine Vermögenssteuer überzeugen wollen.
  • Schwerelose Linke fordern moralisch bessere Opfer.
  • Schwerelose Linke haben noch ein Argument gefunden.

Krasse Links No 28

Willkommen zu Krasse Links No 28. Und nun tut Euren Memestocks infrastrukturelle Gewalt an, heute manifestiert der Ape die Choice Architecture im Dividuum.


Die Idee, man könne sich Dinge, die man will, einfach manifestieren, ist im Internet weit verbreitet und ich glaube, zu verstehen warum.

Hier wie „Manifestieren“ funktioniert:

  1. Wünsch Dir etwas und glaube daran, dass das Wünschen hilft.
  2. Halte die Augen offen, für die Pfadgelegenheit, die Dir „das Schicksal“ bereitstellt.
  3. Gewinn!

Das funktioniert manchmal, weil der zweite Punkt halt auch ohne den ersten Punkt ein guter Ratschlag ist und man kann durchaus argumentieren, dass Punkt eins die Motivation für Punkt zwei erhöht?

„Manifestieren ist Bullshit“ ist deswegen kein hinreichend gutes Gegenargument, aber ich finde, Hannah Jones hier hat ein besseres:

„If you beliefe in manifestation you should be legally required to explain it to a homeless person and make eye contact the whole time.“

Bei genauerer Betrachtung ist die Wahrscheinlichkeit, dass Manifestieren bei Dir funktioniert, direkt proportional zu Deiner Privilegiertheit, also der Summe der Infrastrukturen, die dir Pfadgelegenheiten zuschustern. Manifestieren ist in seiner performativen Infrastrukturverdrängung gewissermaßen nur eine zugespitzte Karrikatur des Individuums.


Für das Magazin „Human“ habe ich meine Theorie zu LLMs und Semantik aufgeschrieben und auch auf CTRL-Verlust gepostet (auch auf englisch).

Dass Sprache ein Regelsystem ist, zweifelt auf der orthographischen und grammatikalischen Ebene niemand an und die LLM zeigt eben, dass das auch für Bedeutungen und auch für alle Konzepte, Logiken, Methoden und Theorien gilt. Egal ob Grammatik, Algebra, Multistakeholder-Analyse oder Gedichtinterpretation: Alles das sind regelgeleitete Denkschablonen, Strukturen des Richtigen Sagens oder Fabriken wahrscheinlicher Sätze.

Wie schon Derrida sagte: Wir sprechen nicht, wir werden gesprochen. Das bedeutet nicht, dass man nicht auch neue Pfade finden kann, aber eben immer nur an den Rändern des bereits Gedachten und Gesagten. So wie die Nordpolexpiditionen erst machbar wurden, als die Infrastrukturen es erlaubten, so sind auch neue Gedankengänge nur als Verlängerung oder Abzweigung bereits existierender Routen denkbar. Es gibt kein Punkt außerhalb des Netzwerks.

Der Text selbst ist ein gutes Beispiel: Er basiert offensichtlich auf einer poststrukturalistischen Infrastruktur, aber wäre auch ohne Donna Haraway nicht denkbar. Mit ihrem „situierten Wissen“ stellte sie den Poststrukturalismus vom Kopf auf die Füße und ermöglicht, die richtige Perspektive aufs Netzwerk zu finden. Wenn Bedeutung stetiger Aufschub, aber dabei stets situiert ist, dann passiert Schreiben, Sprechen, Denken immer an einem ganz bestimmten Punkt eines ganz spezifischen Kontextes. An diesem je spezifischen „Hier und Jetzt“ gibt es immer nur eine überschaubare Zahl an plausiblen Pfadgelegenheiten, von denen man sich von einer zur nächsten stürzt. Wenn man dann die Zeit anstellt, bewegt sich der Punkt durchs Netzwerk und wird zur Linie, bzw. ein Pfad oder eine Route. Fertig ist die LLM, bzw. Sprechen und Denken.

Die Individuen sind ›dividuell‹ geworden, und die Massen Stichproben, Daten, Märkte oder ›Banken‹.“ Schreibt Gilles Deleuze im „Postskriptum zu den Kontrollgesellschaften“ bereits Anfang der 1990er und verabschiedet damit Foucaults „Disziplinargesellschaft„, die sich noch auf die Zurichtung des Individuums und der Organisation von Masse konzentrierte. Aus dem Unteilbaren (lat. individuus) wird etwas per se Teilbares (lat. dividuus).

Das Navigieren in der Semantik – Schreiben, Sprechen, Denken – ist ein dividueller Akt. Man beobachtet nicht die Welt, sondern man beobachtet einander, wie man die Welt beobachtet. „Dividuell“ bedeutet also, sich selbst als Teil des Netzwerkes zu imaginieren, das Sprache, Denken und Öffentlichkeit und Infrastrukturen hervorbringt.


Die Berliner Zeitung hatte letztes Jahr ein Portrait des Künstlers Martin Binder, der „Hostile Architecture“ oder wie sie auch genannt wird, „Anti-Homeless-Architekture“, thematisiert.

In seinen Videos zeigt Binder Metallpyramiden vor dem Berliner Ostbahnhof mit Spitzen, die es verhindern sollen, dass sich jemand hinsetzt. Er zeigt Sitzbänke am Alexanderplatz, die so abgerundet sind, dass längeres Sitzen unangenehm wird. Vor wenigen Wochen postete er ein Video von einer neonfarbenen, abgespacten Lichtinstallation im S-Bahnhof Savignyplatz.

„Dieses Objekt wurde unter einer Brücke platziert, die häufig zum Schlafen genutzt wurde, da sie einen trockenen und relativ geschützten Raum bietet“, schreibt Binder auf Englisch unter das Video. Das Licht sei installiert worden, um Menschen zu vertreiben, die draußen schlafen müssen. „Die 200.000 Euro, die es gekostet hat, hätten in die Bereitstellung tatsächlicher Alternativen für die Menschen gesteckt werden können.“

Infrastruktur ist nicht immer da, um Pfadgelegenheiten bereitzustellen, manchmal ist Infrastruktur extra so gebaut, dass sie manchen Pfadgelegenheiten nimmt. Das ist eine Form von Gewalt und wie verroht unsere Semantiken sind, sieht man daran, dass Designer*innen, die sich sowas ausdenken oder Politiker*innen, die sowas anordnen, mit Wohlstand und Ansehen versorgt werden, statt sie auf eine Stufe mit Nazischlägern zu stellen.


James Jani hat in einem einstündigen Videoessay die verrückte Geschichte hinter dem Memestock-Desaster rund um Bed Bath and Beyond (BBBY) dokumentiert.

Kurz zusammengefasst: Eine hardcore auf ein börsennotiertes Unternehmen eingeschworene Online-Community, die anhand von selbst perpetuierten Erzählungen koordinierte Finanzentscheidungen trifft, driftet immer weiter in einen sektenhaften Wahn ab. Soweit, so Game Stop. Doch all das ging bei BBBY auch nach dem endgültigen Bankrott des Unternehmens weiter und sogar heute hoffen überraschend viele darauf, dass ihre längst vaporisierten Aktien noch gerettet werden.

Ihre Erzählung besteht aus zwei Teilen:

  1. Märkte sind Effizient, weil sie Informationen verarbeiten und wenn man über eine unverarbeitete Information verfügt, dann kann man den Markt schlagen.
  2. Die unverarbeitete Information. Die ist ziemlich beliebig und ändert sich ständig, stützt sich aber auf die Annahme, dass es ein Superindividuum mit geheimen Spezialwissen gibt, ein Mann namens Ryan Cohen, der das Unternehmen mit einem noch zu enthüllenden „Move“ retten wird und damit auch ihr Geld.

Behauptung Nummer zwei zu debunken ist leicht, aber an Behauptung eins glauben nachwievor fast alle? Sie glauben daran, weil sie sich den „Markt“ als Informationssystem vorstellen, in dem derjenige gewinnt, der die besseren Informationen hat. Das ist ernstmal die Erzählung der Neoklassik, aber plausibel wird sie durch Phänomene wie „Insiderhandel“ und die Tatsache, dass manche in dem Spiel besser sind, als andere. Die müssen also über bessere Informationen oder mehr Intelligenz verfügen, sonst könnte ja jeder kommen!

Aber weil wir eben keine Individuen sind, die die Welt beobachten, sondern Dividuen, die einander beim Beobachten der Welt beobachten, ist der Finanzmarkt kein Informationssystem, sondern eine Séance. Ein paar tausend Trader beschwören Geschichten von Unternehmen und in einer wochentäglichen Zeremonie murmeln sie sich in einen ekstatischen Zustand, um ihre Geschichten vom „Markt“ (TM) segnen zu lassen. Sicher: die Realität trommelt über die Nachrichten immer wieder dazwischen und beeinflusst den Beat (schlägt auf die Stimmung der Trader und zwingt sie nicht kompletten Quatsch zu erzählen), aber eben auch nicht immer, wie man beim anhaltenden KI-Boom beobachten kann.

Die Trommeln bei dieser Séance – das muss man immer wieder betonen – sind unterschiedlich groß. Warren Buffet hat kein besseres Wissen oder eine überlegene Intelligenz, er hat einfach eine ziemlich große Pauke. Er kann damit den Beat enorm beeinflussen und alle anderen versuchen Finanz-Oligarchen wie Buffet hinterher zu trommeln. Die meisten wetten auf die Geschichten, die sich die Finanz-Oligarchen auf dem Golfplatz erzählen.

„Apes“ – so nennen sich sowohl die Meme-Stock-Irren, wie auch die Crypto-Irren – glauben offiziell an das „Indivuduum“, seine Intelligenz, an Warren Buffet und an die „effizienten Märkte“ als Aggregation „verteilter Intelligenz“. Sie hängen sogar meist einer besonders libertären Semantik an, die eine groteske Überhöhung des Individuums und seine ungezügelten „Freiheit“ in den Mittelpunkt von allem stellt.

Doch ihre dividuellen Handlungen verraten, dass sie längst wissen, wie der Hase wirklich läuft. Sie vernetzten sich, sie erschaffen gemeinsame Geschichten, Werte, Sprüche, Gags und Durchhalteparolen. Ganz. Besonders. Viele. Durchhalteparolen. Würden sie einmal ernst nehmen, was sie tun, statt den Bullshit, den sie glauben, wären sie nur einen Schritt davon entfernt, es zu raffen.


In Fast Company veröffentlichte Marietje Schaake einen Auszug aus ihrem BuchThe Tech Coup„, in dem sie die immer stärkere Abhängigkeit der USA aber auch anderer Staaten durch die Tech-Unternehmen beschreibt.

Google, Maxar, Microsoft, and SpaceX and Clearview have few, if any, legal mandates according to international law. They are private, not public, actors. The rules that surround companies cover reporting revenue, accounting costs, and filing taxes—not when or how they should act in military confrontations. Yet companies like these exude sovereign power in new ways. They have monopolies on key insights and data analytics and make decisions about affairs that were once the exclusive domain of states, while these companies are not subject to comparable checks and balances. Moreover, companies that operate at a global scale often chafe against geographic borders. Even when governments want to exert control over such companies, which happens far less frequently than it should, they face a variety of constraints.

Im Cyberspace sind die Plattformunternehmen nicht nur Akteure, sondern sind, bzw. besitzen das Schlachtfeld. Ein Befund, dem ich bereits in die „Die Macht der Plattformen“ ausführlich Raum gegeben habe, aber die Lage hat sich seit 2021 enorm zugespitzt.

By reserving room for flexibility and opening the door to private companies in cyberwar, democracies have ceded both their sovereignty and their commitment to the rule of law. From building platforms for conducting elections, to curating public access to information in app stores, to interfering in the front lines of war to decide who does and doesn’t get internet access, these companies and their leaders share or have even overtaken the responsibilities of the democratic state.

Yet there are no elections for consumers to share thoughts on corporate policy; CEOs cannot be voted in (or out) by the public; C-SPAN doesn’t cover these companies’ internal deliberative processes. The decisions that they make in the public interest are locked behind the fortress of private-sector protections. And unless democracies begin to claw back their power from such companies, they will continue to experience the erosion of their sovereign power.

Und jetzt kommt KI dazu. What could possibly go wrong?


Gabriel Yoran schreibt bei Krautreporter seine immer lesenswerte Kolumne von der „Verkrempelung der Welt“, quasi eine Dokureihe über Glitches in der spätkapitalistischen Matrix. In seiner vorletzten Kolumne geht er der Frage nach, warum es in anderen Ländern oft so überlegene Produkte gibt, die man in Deutschen Supermarktregalen nirgends finden kann und mutmaßt:

Meine unangenehme Vermutung ist die: Unternehmen machen Produkte gerade so gut, wie es die Akzeptanzkultur in der jeweiligen Produktkategorie im jeweiligen Absatzmarkt erfordert.

In der Erzählung vom effizienten Markt müsste ein besseres Produkt zum vergleichbaren oder gar besseren Preis sich „am Markt durchsetzen“, doch weil „der Markt“ drei Oligarchen im Trenchcoat sind, ist es nun mal ihre erstaunlich sichtbare Hand, die das Sortiment bestimmt.

Wenn wir unter „Markt“ all die Orte und die Situationen summieren, in denen wir mit Kaufgelegenheiten in Berührung kommen, dann besteht „der Markt“ erstmal aus all den materiellen Infrastrukturen, die diese Begegnung ermöglichen. Von Verteilcentern, Lieferketten, Logistikunternehmen, Zwischenkäufer, Werbung und PR-Agenturen, etc. Schon hier entwickeln sich die ersten Netzwerkzentralitäten und spitzen das Angebot ihrer Interessenlage entsprechend zu.

Das Interface dieses „Marktes“, also das, womit wir tatsächlich interagieren: die optimierten Standorte der Discounter, die optimierten Supermarktregale, und die optimierten Dark Patterns des Amazon Such-Algorithmus kann man mit Cas Sunstein et.al. „Choice Architectures“ nennen. Weil die Leute, die „den Markt“ tatsächlich betreiben, den ganzen Bullshit vom nutzenmaximierenden Homo Oekonomicus eh nie geglaubt haben, werden diese Architekturen immer schon auf dividuelle Pfadopportunist*innen optimiert.

Probiert mal eine wild wachsende Tomate und ihr werdet überrascht sein, wie intensiv und köstlich Tomaten eigentlich schmecken. Wenn man sich durch diese „rote Pille“ aus der Matrix erwecken lässt, erscheint hinter dem Schleier der Choice Architectures eine Maschine, die darauf konfiguriert ist, uns möglichst billig bei Laune zu halten.


Man muss Scott Galloway nicht mögen, aber manchmal plaudert er ganz unterhaltsam Wahrheiten über den Kapitalismus aus.

„The biggest myth in marketing is that choice is a good thing. Choice is a tax. Consumers don’t want more choice, they wanna be more confident in the choices presented.“

Temu, Shine, Ali Express und Co sind der nächste Schritt: auch die „Choice Architectures“ sind am verschwinden, die KI übernimmt.


Die hoch geschätzte Eva von Redecker hat in einem Essay für den Guardian ihre Gedanken zu den Wahlen in Ostdeutschland aufgeschrieben und beschreibt unter anderem ein bekanntes Routingproblem.

The core remedy that the AfD promises is control in another realm: an entitlement to treat racialised others like disposable objects. They promote white supremacy and ethnic homogeneity. At least some of the AfD sympathisers I have been in conversation with argue, in stark contrast to the party’s economic neoliberalism, that they would like to see the state crack down on the super-rich and address social inequality. But they consider this so unlikely, so out of reach, that another demonstration of sovereignty takes precedence: Germany for the Germans.

Ich will AfD-Wähler*innen nicht verteidigen, aber wenn die Route Richtung gerechte Gesellschaft so unplausibel geworden ist, wie es derzeit aussieht und der Rest der Parteienlandschaft nur ein zynisches „Weiterso“ propagiert, ist es zumindest eine unglückliche Fügung, dass die AfD derzeit das Monopol auf Notausgang hat.


David Remnick war bei Ezra Klein und beschreibt die Situation im Westjordanland so:

„The last time you were in the West Bank, when you go to it, when you drive around it. Just visually, what do you see if you were taken by someone on a 20 minute trip from Jerusalem to one of the more established, bigger settlements outside the green line in the West Bank, and you were inclined to believe it, you might think, well, what’s so bad here. But if you take a much more varied ride. And you go to Janine and to Nablus and you go to the outskirts, villages of Ramallah, and you see how. There is an architecture of isolation and oppression that has been building and building and building over the decades in the West Bank.“

Visuell wird man meist mit solch einer Karte konfrontiert, aber die ist halt hoch irreführend.
(Karte via BBC von 2020)

Die Draufsicht aufs Westjordanland ist irreführend, weil die einzig gültige Weise auf ein Netzwerk zu schauen ist, aus einem Punkt im Netzwerk heraus zu schauen. Es geht nicht um die Quadratmeter, die die israelischen Siedlungen einnehmen, es geht um die Netzwerkzentralitäten, die sie schaffen. Es geht um Mauern, gesperrte Straßen und Checkpoints. Es geht um Flaschenhälse, die Routen und damit horizontale Freiheit für Palästinenser verunmöglichen. Es geht um infrastrukturelle Gewalt.

Ich werde manchmal in Diskussionen gefragt, warum ich die Palästinenser immer als Opfer hinstelle und ob ich ihnen gar keine Agency zugestehe. Doch doch, ich gestehe ihnen Agency zu, aber tut das Israel?

Wenn Agency die Summe der Pfadgelegenheiten ist, die Dir Deine Infrastruktur zur Verfügung stellt, dann ist die „architecture of isolation and oppression“ im Westjordanland und der halbautomatisierte (und mittlerweile kaputtgebombte) Hühnerkäfig Gaza eine „Choice Architecture“ mit nur zwei plausiblen Routen: In Unfreiheit leben oder im Aufstand sterben.


Joe Pinsker hat vor längerer Zeit im Atlantic das Buch von Krishnendu Ray: The Ethnic Restaurateur besprochen, indem dieser unter anderem der Frage nachgeht, warum bestimmte Einwanderergruppen in den USA unterschiedlich hoch- oder niedrigpreisige Restaurants hervorgebracht haben. In den USA galt Italienisch lange Zeit als Billigessen, während die teuren Restaurants vor allem französische Küche servierten. Das hat sich inzwischen angeglichen, aber immer noch gilt chinesische Küche als billig und Japanische als hochpreisig.

This hierarchy, which privileges paninis over tortas, is almost completely shaped by a simple rule: The more capital or military power a nation wields and the richer its emigrants are, the more likely its cuisine will command high menu prices.

Wert und Preis sind Semantiken, die von allerlei geteilten Wertvorstellungen beeinflusst sind und so ist es auch nicht überraschend, dass die Agency Hierarchie aus dem letzten Newsletter sich auch in den Restaurantpreisen reflektiert. Als Teil des Semantikraums bilden die Preise Gestirnskonstellationen, in der sich der Wert des einen Dings, am Wert des anderen Dings orientiert. Es ist ein Netz aus Erwartungen und auch hier bestimmt die größe der Trommel den Beat.

Freakonomics hatte einmal eine Folge zur Matratzenbubble. Mitte der 2010er sprossen überall im Land die Matratzen-Stores aus den Boden und alle Podcasts waren mit Matratzenwerbung zugequasselt und die einfache Erklärung ist, dass man mit Matratzen 50 bis 100 Protent oder sogar mehr Marge machen konnte und wahrscheinlich immer noch kann?

Völlig egal wie geil die verbaute Technologie ist, die Dinger zu produzieren ist spottbillig, aber in den Erzählungen der Kundschaft kann man für guten Schlaf halt einfach nicht genug Geld ausgeben! Und so kostet einunddieselbe Matratze manchmal von 200 bis 1000 Dollar je nachdem unter welchem „Brand“ sie firmiert.

Oligarchen bestimmen die Preise natürlich nicht beliebig. Bei unterschiedlichen Produkten ist es unterschiedlich schwierig, solche Erzählungen aufs Gleis zu trommeln, egal wieviel Geld man in PR und Marketing steckt.

Außerdem gibt es durchaus einen regulierenden Faktor: Die beiden Netzwerke der Preise und Werte sind zwar eng verwoben und beeinflussen sich wechselseitig, aber sie sind durch unterschiedliche Schmerzen an der Realität geeicht.

  • Das Netzwerk der Werte setzt alle Dinge ins Verhältnis zum Schmerz ihres Fehlens, das heißt zu den Netzwerkzentralitäten im Abhängigkeitsgefüge unserer Pläne (Nutzwert).
  • Das Netzwerk des Preises setzt alles ins Geld-Verhältnis, also am Ende des Tages zum Schmerz der verlorenen Lebenszeit, die man auf der Arbeit verbracht hat (Tauschwert).

Kapitalismus ist eine Schmerzarchitektur, die Dich ständig vor die Frage stellt, welchen der beiden Schmerzen Du eher auszuhalten bereit bist.


Ich liebte diesen Gag, aber wenn man einmal das Indivuduum aus der Gleichung gestrichen hat, dann ist das nicht mehr lustig, sondern eine ziemlich akkurate Darstellung der Ideologie in ihrer ganzen inhärenten Blödheit.

Aber ich seh schon. Ihr seid noch nicht überzeugt. Mit Dividuum, Pfadopportunist, Navigator, Surfer, Trommer mögt ihr Euch nicht so identifizieren?

Wie wäre es mit „Cyborg“?

Also Cyborg im Donna Harawayschen Sinne: Cyborgs sind defizitäre, bedürftige Wesen, die auf ihre Infrastrukturen angewiesen sind, um und zu überleben. Und nur weil die Cyborg kein Individuum ist, heißt das nicht, dass sie ohne Agency wäre. Die Agency des Cyborgs speist sich nicht aus ihrer „Vernunft“ oder wie es heute heißt, „Intelligenz“, sondern aus den materiellen und semantischen Infrastrukturen, die ihr zur Verfügung stehen.

Die Cyborg lebt in den Infrastrukturen und ist die Infrastruktur. Sie arbeitet an den Infrastrukturen, baut sie, betreibt sie, hält sie in Stand. Als höfliche Pfadopportunistin navigiert sie die Schmerzarchitektur zwischen Arbeit und Konsum und versucht mittels der ihr zugänglichen Infrastrukturen ihre Geschichte weiterzuerzählen. Diese Geschichte ist ein Pfad im Netzwerk, der von der Vergangenheit bis ins Jetzt und durch Pläne, Ziele und Projekte bis in die Zukunft weitererzählt wird.

Die Cyborg ist Dividualistin. Sie beobachtet nicht die Welt, sondern beobachtet wie andere die Welt beobachten. Sie surft auf diesen Beobachtungen, Worten, Bildern, Gesten und Geschichten und sortiert sich in ihnen ein. Gleichzeitig sendet jede ihrer Bezugnahmen einen Impuls durchs semantische Netzwerk, weil sie ja ihrerseits beim Schreiben, Sprechen, Denken beobachtet wird.

Es kann sich nur noch um Minuten handeln, bis die Cyborg begreift, dass sie die Infrastruktur ist und den Laden übernimmt.

Die Kunst des Netzwerkens (4) | DO | 03 10 2024 | 9:05 – oe1.ORF.at

Für dieses sehr empfehlenswerte Radiofeature wurde ich ausführlich zur Macht der Plattformen befragt.

Mit Ende der 1990er Jahre verlagern sich soziale Netze in den digitalen Raum. Mit dem Start des Web 2.0 etablieren sich ab den frühen 2000er Jahren digitale Plattformen, die immer mehr zum Ort des öffentlichen und privaten Austausches werden. Es entsteht eine Art Parallelgesellschaft im digitalen Raum – eine Plattformgesellschaft. Aber nicht nur soziale Netzwerke ersetzen schrittweise die persönliche Interaktion, das Face-to-Face Gespräch. Auch Dienstleister setzen auf das Plattformmodell.

Quelle: Die Kunst des Netzwerkens (4) | DO | 03 10 2024 | 9:05 – oe1.ORF.at

Krasse Links No 27.

Willkommen bei Krasse Links No 27. Sorry, dieser Sommer hat es in sich, diesmal hat mich Covid niedergestreckt, aber nun reitet Eure Pfadgelegenheiten gegen die Infrastrukturen der Verdrängung, heute zersplittern wir unsere Reasoningfähigkeiten im Schmerzlabor.


Der Pageranschlag war ein Terrorakt. Terror ist nicht der Gewaltakt ansich, Terror ist die Angst, die er verbreitet. Und auf dieser Skala war dieser Anschlag off the charts. Stellt Euch das für Euch selbst vor, denn ja, auch Libanesen sind von Smartphones, Laptops und sonstigen batteriebetriebenen Devices abhängig, so wie wir. Stellt Euch vor, dass Ihr keinem Euerer Geräte mehr trauen könnt, dass all Eure Infrastruktur potentiell tötlich ist. Aber vielleicht braucht Ihr es Euch auch gar nicht vorstellen, denn wahrscheinlich wird es nicht lange dauern, bis diese Form des Terrors hier ankommt?


Das neue LLM OpenAi o1 hat 0,2 % besser als das nächst beste Modell, Claude 3.5, in der ARC-Bechmark abgeschnitten. Das ist … nicht überragend. Auch:

It took 70 hours on the 400 public tasks compared to only 30 minutes for GPT-4o and Claude 3.5 Sonnet.

Dennoch feiern die KI-Bros o1 als Durchbruch. Hinter o1 steckt das bereits vor Monaten hier besprochene Projekt Q*, und es ist nur auf den ersten Blick beachtlich. o1 kann jetzt die „R“s in „Strawberry“ zählen (meistens), aber wenn man nachschaut was es dafür machen muss, wird klar, dass das nirgendwo hin skaliert.

Die technischen Neuerungen von o1 bestehen aus drei Ebenen:

  1. Das Modell „reasoned“ erstmal ein paar Sekunden im Hintergrund, ohne das man einsehen kann, welchen Text es da produziert. Der User bekommt dann nur die Zusammenfassung des im Hintergrund erstellten „Reasoning“-Textes zu sehen.
  2. Dieses „Reasoning“ passiert durch „Chain of Thought„. Das Modell teilt das Problem in einzelne Schritte auf und löst sie dann „Step by Step“, ein Verhalten, das man auch vorher anweisen konnte und oft viel effektiver ist, als einfache Prompts.
  3. Doch der entscheidende Faktor ist, dass das Modell mit allerlei zusätzlichen „künstlichen“ Trainingsdaten gefinetuned wurde, die mit etlichen (vllt. Millionen) genau solchen automatisch generierten „Step by Step“-Antwort-Beispielen trainiert wurden.

Um das zu erklären, müssen wir uns ein paar Dinge ins Gedächtnis rufen:

LLMs sind automatisierte Semantik-Navigatoren, die durch Majority Vote plausible Pfade im Semantikraum finden. Der Semantikraum ist ein riesiges tausendimensionales Netzwerk, das alle Beziehungsweisen aller Begriffen zueinander gespeichert hat und damit implizit auch, wie man von einem Ort im Netzwerk zum anderen kommt (also sprechen oder denken kann). Die Erkenntnis war: Wenn man die Transformer-Architektur mit unfassbar vielen Texten füttert, kann sie dieses Netzwerk der Bedeutungen teilweise (es fehlen natürlich etliche Dimensionen) synthetisieren und darin einen Chatbot erstaunlich elegante Pfade laufen lassen.

OpenAi hatte damit eine Zeit lang gute Resultate, war aber bereits mit GPT-4 auf einem Plateau gestrandet, auf dem sich inzwischen auch alle anderen Wettbewerber eingefunden haben. Seitdem gibt es immer nur graduelle Verbesserungen und den meisten Fortschritt macht man in Sachen Model-Size (was gut ist, weil weniger Ressourcenintensiv). Und seitdem suchen sie nach Wegen, den Hype hochzuhalten und Q* sollte einer dieser Wege sein. (Der andere ist weiteres Scaling, aber das lass ich hier raus.)

Und hier kommt die Ideologie ins Spiel. Weil Silicon Valley Nerds glauben, dass Intelligenz eine hierarchische Linie von der Amöbe zu ihnen selbst ist und weil LLMs oft erstaunlich konsistent und kompetent mit Inputs umgehen können, schreiben sie ihnen „Reasoningfähigkeiten“ zu und suchen nach Wegen diese Reasoningfähigkeiten an ihren eigenen vorbeizuskalieren, also „AGI“ herzustellen. Ihr wisst schon, dieses Beast, das uns alle in Büroklammern verwandeln soll.

Ihre These ist, dass die LLMs die Welt über die eingespeisten Dokumente (Texte, Bilder, Videos) kennenlernen, so wie sich Fledermäuse über reflektierende Schallwellen im Raum orientieren. Die „Realitätsreflexionen“ der Trainingsdaten erlauben den LLMs dann ein internes „World Model“ zu generalisieren. Diese Kompetenzen entstünden als sogenannte „emergent Abilities“, also als plötzlich, ab einem bestimmten Skalierungsgrad der Modelle auftauchende, neue Fähigkeiten der LLMs.

Enter ARC-Benchmark. Der Google Forscher Francois Chollet hatte der Gegenthese, nämlich LLMs seien nur „stochastische Papageien“ seien, neue Nahrung gegeben, als er mit anderen die ARC-Benchmark konstruierte, die von Menschen zwar einfach, aber von LLMs gar nicht gelöst werden kann, weil ihnen bei den Rätseln die vielen Trainingsdaten einfach nicht weiterhelfen. LLMs, so Chollets resultierende These, merken sich einfach unfassbar viele Lösungspfade und können sie dann bei Bedarf als „emulated reasoning templates“, also semantische „Programme“ reproduzieren.

In Krasse Links 25 verwies ich auf eine Studie, die nachgewiesen hat, dass das sogenannte „In Context Learning„, das oft als Beispiel der „emergent Abilities“ der LLMs herhalten muss, eigentlich antrainiertes Verhalten ist. „In Context Learning“ ist die Fähigkeit von LLMs durch Beispiele im Prompt semantische Operationen nachzuahmen, und es stellte sich heraus, dass die Beispiel-Antworten des „Instruction Tunings“ eine entscheidende Rolle spielen, also genau jene Fine-Tuningphase, in der auch o1 aufgemozt wurde. Statt eines aus den Daten aufsteigenden Weltgeistes, sehen wir also auch hier gebrute-forcte Memorisierung. Und genau diesen Mechanismus haben sie jetzt für o1 mit viel zusätzlicher Rechenzeit geleveraged.

Mit o1 will OpenAi den Pfad gehen, den Deepmind im letzten Jahrzehnt mit AlphaGo vorgelegt hat. AlphaGo wurde in zwei Phasen trainiert: erst lernte es aus etlichen dokumentierten, menschlichen Go-Partien, aber im zweiten Schritt ließ man das System einfach so lange gegen sich selbst spielen, bis seine Fähigkeiten die menschlicher Spieler überstieg. Ein Ansatz, der sich „Reinforment Learning“ nennt und weil sich libertäre Nerds die Welt nun mal wie ein riesiges Go-Spiel vorstellen, glauben sie jetzt, dass man auf demselben Wege den LLMs ihre „Reasoning“-Fähigkeiten auf übermenschliches Niveau leveln kann.

Das „Reinforcement Learning“ besteht in diesem Fall aus GPTs, die für einen großen Haufen Fragen Millionen unterschiedliche Antworten generieren, alles „Chain of Thought“ versteht sich und die Ergebnisse nach Richtigkeit diskrimieren. Weil dann immer nur die richtigen Antworten beim Fine-Tuning an das System zurückgefüttert werden, wird das Modell immer besser darin, richtige Antworten zu reproduzieren.

Der Haken bei dem Ansatz ist halt nur, dass die Welt gar kein Go-Spiel ist und sich der Nutzen entscheidbarer Fragen auf wenige Bereiche beschränkt: Zählen, Rechnen, Logik, Kreuzworträtsel, Tests und andere Benchmarks fallen mir ein. Und in der Tat schneidet o1 in vielen Benchmarks nun deutlich besser ab, aber der daraus gewonnene reallife Nutzen scheint mir vergleichsweise marginal zu sein? Vor allem, da man sich auf den Output ja immer noch nicht verlassen kann und je komplizierter die gestellten Fragen werden, desto schwerer wird es sein, die falschen von den richtigen Antworten zu unterscheiden.

Um einmal zu verdeutlichen, was da genau passiert: es werden für alle möglichen Logik-, Zähl-, Mathe- und Rätsel-Beispielen Millionen, vllt Milliarden Semantikpfade im „tree sort“-Verfahren erkundet, um sich eine nach und nach vollständigere Bibliothek aller „richtigen“ Antwortpfade zu völlig egalen Fragen anzulegen. LLMs haben halt ein genauso großes Gedächtnis, wie Silicon Valley Geld hat, und das scheint auszureichen, einfach alle Lösungspfade durchzuprobieren und sich die richtigen einzuprägen. Und wenn man jetzt bedenkt, dass der dadurch erreichte Nutzen ein erweiterter, aber unzuverlässiger Taschenrechner ist, kommen mir die unfassbaren Ressourcen, die dafür gerade bewegt werden, immer bekloppter vor.


Aaron Ross Powell macht einen lesenswerten Versuch, das aus der KI stammende Konzept des „Model Collapse“ auf die rechte Ideologien anzuwenden. Model Collapse beschreibt die abnehmende Qualität des Outputs von Transformermodellen, wenn sie mit zu viel von ihrem eigenen Output trainiert werden.

Powell glaubt ähnliche Effekte bei ideologischen Gruppen zu sehen, wenn sie zu sehr „high on their own supply“ sind, also ihrem eigenen Bullshit zu sehr vertrauen. Ein Beispiel, das er anführt, ist das rechte Online-Magazin Quillette, das sich so lange abstruse Karrikaturen linker Theorie selbst erzählt hat, bis es nur noch gegen Strohpuppen kämpfte.

In other words, the “Quillette Effect” is an example of an ideological community tricking itself into believing it has learned about ideas outside of its tribe, when in fact it’s just flattering and reinforcing ideas internal to its tribe.

Und dieser Effekt ist derzeit vor allem auf X zu sehen:

Further, because so much of the online right is concentrated on Twitter, people who are active on Twitter come to view the ideas internal to the online right as closer to the mainstream than they in fact are, and so get dragged to the right, often unintentionally. This means that the “training data” of very online ideologues looks increasingly uniform and is just restatements of very online right-wing perspectives, and data outside of that perspective is treated with growing suspicion because it is mistakenly believed to be fringe, and so not worth taking seriously.

Da ist schon was dran, aber ich fürchte, es ist etwas komplizierter:

Unsere Ideologien sind mehrschichtige Bauwerke aus übereinander gestapelten Narrativen. Bei genauerer Betrachtungen ergeben sich auch auf dieser semantischen Markoebene Netzwerkstrukturen, bauen Narrative aufeinander auf, referenzieren sich, beziehen sich, unterscheiden sich untereinander. Jede Astgabelung ist eine semantische Pfadentscheidung, an die sich wieder andere semantische und ja, auch soziale Abhängigkeiten knüpfen. Und jede Pfadentscheidung determiniert die Möglichkeiten, Geschichten weiterzuerzählen. Quillette konnte seine Erzählungen nicht mehr an die Realität angleichen, weil grundlegende Pfadentscheidungen verhinderten (zB. It’s all „cultural Marxism“!), sich auf die tatsächlichen Texte einzulassen.

Auch semantische Infrastrukturen haben Netzwerkeffekte: Jede Sprache wird nützlicher, je mehr Leute sie Sprechen und je weiter verbreitet die eigenen Geschichten sind, desto einfacher kann man sich mit anderen verbinden. Das ist auch das, was Harari in seinem neuen Buch zu erklären versucht.

Die Netzwerkeffekte semantischer Pfadentscheidungen haben wie alle Netzwerkeffekte lokale Maxima, von denen ich manche als „Digitale Tribes“ beschrieben habe. Tribes versammeln sich um eine vom Mainstream abweichende Pfadentscheidung („Häresie“) und schaffen dadurch Kohäsion und einen unabhängigen Erzählstamm, der dann unter dem eigenen Regime weitererzählt werden kann.

Wichtig ist zu verstehen, dass sich der Erfolg narrativer Pfadentscheidungen nicht durch „Realitätsnähe“, sondern letztlich durch soziale Anschlussfähigkeit erklärt. „Realitätsnähe“ kann der Adaption manchmal helfen und manchmal im Weg stehen, wie man daran sehen kann, dass in Deutschland gerade „Klimakatastrophe“ gegen „Ausländer sind das Problem!“ verliert.

Nein, uns wird kein „Modell Collapse“ der Rechten retten.


Deb Chachra ist Ingenieur-Professorin und so denkt sie viel über Infrastrukturen nach und auch wenn ich von TED-Talks nur selten etwas halte, bitte ich Euch, diese 13 Minuten zu investieren.

Chachra kommt aus Kanada, aber ihre Familie stammt aus Indien und sie reflektiert in dem Talk den wesentlichen Unterschied zwischen sich und ihren Großeltern.

The difference between my life and theirs is not so much that I have a bank account, how much I get paid, is a lot more to do with where I am. Because my individual agency, my ability to do things in the world is really underpinned by these shared infrastructural networks.

Infrastrukturen sind das, was Deine „Agency“ überhaupt ermöglicht und damit auch Deine Fähigkeit, Dich als Individuum zu erleben. Doch vertrakter weise sind Infrastrukturen per se kollektivistisch:

So our infrastructural systems connect us to each other, but they also connect us to the land around us. And this is now true really on a global scale, right? So if we think about the internet, we think about mobile phones, we think about particularly sort of shipping and transportation, aviation. These are now planetary networks. And our infrastructural systems also connect us to our past and to our future, because the networks that we live in today are the physical manifestation of the values and choices that were made by people who came before us, right? It’s like, what are those networks going to be? How will we use them? Who would benefit from them? And of course, who would be harmed by them?

Es gilt nicht nur: „Ich denke, also sind wir!“, sondern auch „Ich handle, also sind wir!“

Chachra schlägt ein „Infrastructual Citizenship“ vor, eine bewusste Verantwortungsübernahme für die Netzwerke, die wir bauen, pflegen und in denen wir eingebunden sind.

So I think of this as infrastructural citizenship, the idea that we have a relationship to each other, actually, we have a responsibility to each other that has nothing to do with what it says on our passport, but it has everything to do with the fact that we are like physical, living beings that are located somewhere on the planet.


Ishay Landa (immer diese israelische Historiker!), dessen Buch „Der Lehrling und sein Zauberer“, in dem er die Geburts des Faschismus aus den semantischen Eingeweiden des Liberalismus beschreibt und das ich seit zwei Jahren hier rumliegen habe, aber noch immer nicht geschafft habe zu lesen, hat der WOZ ein lesenswertes Interview gegeben.

Individualismus wird gewöhnlich als Quintessenz des Liberalismus angesehen, während Bewegungen wie der Faschismus als antiindividualistisch gelten. Der Faschismus, so wird gemeinhin angenommen, wolle das Individuum in der uniformen Masse aufgehen lassen. Von dieser falschen Gegenüberstellung muss man sich aber verabschieden, weil sie sowohl den Liberalismus als auch den Faschismus nicht zu fassen kriegt. Ich unterscheide in meinem Buch zwischen zwei Formen des Individualismus: einem horizontalen und einem vertikalen. Bei Ersterem wird das Recht und das Verdienst eines jeden Menschen betont, jeder als Individuum anerkannt. Das hat egalitäre Konsequenzen, die urdemokratisch und mit sozialistischen Vorstellungen verwandt sind. Es entspricht aber nicht der Vorstellung der meisten Liberalen. Bei ihnen gelten eigentlich nicht alle als Individuen. Dieser Status ist nur wenigen vorbehalten, nämlich jenen, die besonders begabt und erfolgreich sind. Das ist ein vertikales Verständnis des Individualismus, der nur für jene gilt, die besonders talentiert sind, sei dies angeboren oder biologisch begründet.

Okay, hier ist mein Deal: Ich habe aufgehört, ans Individuum zu glauben. Ja, es gibt Akteure, die Dinge anstoßen, aber wir alle navigieren nur innerhalb vordefinierter Strukturen. Wir können nur navigieren, weil uns zu jedem Zeitpunkt immer nur so und so viele Optionen zur Verfügung stehen, unsere Geschichte weiterzuerzählen. Wir sind also Opportunisten und alles was wir tun, ist mit den uns zur Verfügung stehenden semantischen Schablonen nach Pfadgelegenheiten Ausschau zu halten, um auf ihnen durchs Leben reiten.

Diese Gelegenheiten werden wiederum von Infrastrukturen bereitgestellt, materielle wie semantische und weil wir uns nun mal im Kapitalismus bewegen, ist eine besonders netzwerkzentrale Infrastruktur das Geld. Zugang zu dieser Ressource ermöglicht Zugang zu vielen anderen Ressourcen und damit Pfadgelegenheiten. Aber Eigentum/Geld/Preise sind nur ein Abstraktionslayer, den wir als Zugangsregime über einen Großteil unserer Infrastrukturen gelegt haben. Im Alltag erleben wir Normalos Geld deswegen als den entscheidenden Flaschenhals, der unsere individuelle Navigationsfähigkeit ermöglicht und begrenzt und damit das absteckt, was Lea Ypi neulich „horizontale Freiheit“ nannte.

Was Landa hier beschreibt, stelle ich mir konkret so vor: Leute, die vergleichsweise viele Pfadgelegenheiten vor sich zu haben gewohnt sind, also wir Mittelstandskids aus dem Westen, haben uns eingeredet, bzw, einreden lassen, dass wir Individuen sind. Das Framework des „Individuums“ erlaubt es uns auszublenden, dass sich unsere Freiheit aus den vielfältigen materiellen und semantischen Infrastrukturen speist, die unsere Vorfahren und andere Menschen um uns herum gebaut haben, bzw. bauen und maintainen. Statt also unsere Eingebundenheit in diese Strukturen anzuerkennen, reden wir uns seitdem ein, wir hätten unseren „Wohlstand“ „erarbeitet“ und wenn wir es materiell zu etwas gebracht haben, schließen wir daraus, dass wir besonders „intelligent“ sein müssen und damit auch individueller als andere Menschen.

Und dann schauen wir auf andere Menschen, deren Infrastrukturen ihnen deutlich weniger Pfadgelegenheiten bieten und unser Individualismus-Framing deutet diese mangelnde Agency dann als verminderte, oder gar abwesende Individualität, also ein Mangel an Intelligenz und/oder Zugehörigkeit zu einer „rückständigen Kultur“. Das ist der materielle Kern dessen, was Judith Buttler mit „Abjectification“ meint und es ist die Rutschbahn vom Liberalismus zum Faschismus, auf der gerade der gesamte Westen gleitet. Huiiii!


Im ND findet sich ein lesenswertes Stück über den derzeitigen Rechtsruck, der hier als gesellschaftsweiter Anti-Links-Ruck gedeutet wird.

Für diesen Modus sei entscheidend, dass der gesellschaftlichen Mitte beziehungsweise den «normalen Leuten» ein Bedrohungsszenario vorgesetzt werde. Der links-grüne Gegner, so das skizzierte Szenario, schlage nicht nur falsche oder gefährliche Politik vor, sondern sei eine «Bedrohung der eigenen Identität», er verachte die «normalen», «hart arbeitenden» Menschen und wolle sie übervorteilen. Man müsse sich also zur Wehr setzen. Ob es um geschlechtersensible Sprache, das Bürgergeld oder Migrationsfragen ginge: «Allen drei genannten Themenfeldern gemeinsam ist das Narrativ, wonach den Menschen aus der vermeintlich normalen Mitte von links-grüner Seite etwas weggenommen werde, sodass sie in ihren Rechten beschnitten würden und nicht mehr sagen dürften, was sie denken. Grüne und Linke werden so kurzerhand als Antidemokrat:innen dargestellt, die die Demokratie mittels Denkverboten und Gesetzen einschränken», so Mullis. Wirtschaftsliberale Parteien argumentieren im Übrigen inzwischen weithin ähnlich.

Das alles stimmt. Aber die Linke hat aber auch geblinzelt?

Man sagt ja immer, die Linke sei gespalten, aber das stimmt einfach nicht mehr. Nach Corona, dann Ukraine und dann noch Gaza ist die gespaltene Linke noch mal zersplittert, geschreddert und dann zu Sand gemalen worden. Die Linke hat sich entlang ihrer orthogonalen Bruchlinien von Klima, Gender, Pazifismus, Marxismus und Postkolonialismus gehackt gelegt und es scheint, als gäbe es kaum eine gemeinsame Erzählung mehr, die sie wieder erwecken könnte.

Das mag jetzt hart klingen, aber ich glaube, dieser Schmerz ist notwendig. Schmerz deutet immer auf Realität, also auf Widersprüche, auf „semantische Dissonanzen“. Die gelernten Erzählungen passen einfach nicht mehr zum Beat der Realität (er spritzt einem z.B. täglich als Kinderblut ins Gesicht). Und im Gegensatz zur Rechten (Quillette), hält man das links nicht so gut aus.

Man muss wissen: Semantische Dissonanzen tun weh, semantische Pfadkorrekturen aber noch viel mehr! Man muss ja nicht nur in der Tiefe der eigenen Vorstellungswelt die Axt an der faulen Pfadentscheidung anlegen, sondern auch einen plausiblen Alternativ-Pfad finden und ihn mühsam erkunden. Dann muss man all die daran hängenden Pfadabhängigkeiten entflechtet und umorganisieren, insbesondere die Abhängigkeiten zur eigenen Identität! Eine Pfadkorrektur ist ein psychologisch wie emotional enorm aufwändiger Prozess. Hence Depressionen, „Phasen der Trauer“ und der riesige Incentive zur Verdrängung.

Meine These zur Linken ist die: sie sind einfach ist nicht so gut im Verdrängen. Natürlich verdrängt auch sie massiv, aber eben etwas weniger, was ausreicht, einen Deut mehr Schmerz zuzulassen. Im Idealfall gelingt es, diesen Surplus-Schmerz in neue, integrative Erzählungen zu übersetzen, die die Kraft haben, alle Leute, die denselben Schmerz spüren, zu versammeln, um sich gegen die jeweilige, herrschende Struktur aufzulehnen, seien es Sklavenhalter, der Adel, das Patriarchat, Kolonialismus oder Kapitalismus.

So funktioniert die Linke seit Jahrhunderten: als Labor des Schmerzes. Jedes Movement nimmt einen Schmerz auf, entwickelt dafür Erzählungen und kämpft neben notwendigen Veränderungen der materiellen und rechtlichen Infrastrukturen, für die Anerkennung dieser neuen Semantik. Und im Erfolgsfall, nach meist vielen, vielen Jahren, perkulieren diese neuen Semantiken, die ja eigentlich Schmerz-Rezeptoren sind, in die Gesellschaft, werden zur Infrastruktur, schaffen veränderte Identitätsgelegenheiten und Perspektiven.

Das ist nicht nichts! Ja klar, die Linken wollten auch immer den Kapitalismus zugunsten eines besseren Gesellschaftssystems überwinden, aber … naja, das kommt bestimmt noch.

Jedenfalls tun all diese Kämpfe entlang all dieser Schmerzen auch etwas anderes: sie supporten einander, sie lernen von einander, sie tauschen Geschichten und Semantiken aus und legitmieren einander. Alle wissen: sie Kämpfen immer auch dafür, weiter Kämpfen zu dürfen.

Weil Linke sich gegen Verdrängung stellen, sind sie meist nicht sonderlich beliebt, ganz besonders nicht bei der jeweils herrschenden Struktur und deswegen ist ihre Freiheit, neben der Freiheit der Unterprivilegierten, der „Canary in the Coal Mine“ für die vertikale Freiheit einer Gesellschaft. Und dieser Korridor zieht sich gerade in atemberaubenden Tempo zu.

Das ist das gefährliche an der Situation. Während die Linke als gesellschaftliches Realitätskorrektiv ausgeknockt ist, dreht der Rest der Gesellschaft komplett frei. Alle Parteien, außer den Linken und einigen Grünen, haben den Pfad der Realität komplett verlassen und perpetuieren gemeinsam und ohne jede gesellschaftliche Gegenwehr die politische Öffentlichkeit in eine ruinöse, populistisch-rassistische Abwärtspirale der Unmenschlichkeit, in der Jahrzehnte an Fortschritt in wenigen Wochen zerstört werden.

Was ich sagen wollte, liebe Linke, bei all der Wichtigkeit des Soul-Searchings, bitte beeilt Euch!

Krasse Links No 26

Willkommen bei Krasse Links No 26. Heute verprechen wir den Dipshits Sicherheitsgarantien in unserer Privatsprache und navigieren die Gen-Z an Männlichkeits-Zentralitäten vorbei.


Die französischen Behörden haben Pavel Durov, den Gründer und CEO von Telegram festgenommen und auch wenn noch nicht ganz klar ist, was ihm vorgeworfen wird, begrüße ich das. Telegram ist das Phantom unter den Social Media Plattformen. Es ist ohne frage reichweitenstark und relevant, aber wir wissen so gut wie nichts darüber und es entzieht sich wo es kann jeder Form von Kontrolle und Regulierung. Ich hoffe, wir werden in den nächsten Wochen sehr viel über das Netzwerk erfahren.


Carole Cadwalladr bringt im Guardian die Gefahr, die derzeit von den Social Mediaplattformen für die Demokratie ausgeht, auf den Punkt.

In Britain, the canary has sung. This summer we have witnessed something new and unprecedented. The billionaire owner of a tech platform publicly confronting an elected leader and using his platform to undermine his authority and incite violence. Britain’s 2024 summer riots were Elon Musk’s trial balloon.

He got away with it. And if you’re not terrified by both the extraordinary supranational power of that and the potential consequences, you should be. If Musk chooses to “predict” a civil war in the States, what will that look like? If he chooses to contest an election result? If he decides that democracy is over-rated? This isn’t sci-fi. It’s literally three months away.

Bemerkenswert ist auch ihre Beobachtung, dass die Plattformen für die Destabilisierung der Demokratien gar keine aktiv bösartige Rolle einnehmen müssen. Es reicht im Zweifel ja auch aus, die Hände hochzuwerfen?

All this has provided the perfect cover for the platforms to step back. Twitter, now X, has sacked at least half its trust and safety team. But then so has every tech company we know about. Thousands of workers previously employed to sniff out misinformation have been laid off by Meta, TikTok, Snap and Discord.

Just last week, Facebook killed off one of its last remaining transparency tools, CrowdTangle, a tool that was crucial in understanding what was happening online during the dark days before and after the 2020 inauguration. It did this despite the pleas of researchers and academics, just because it could.

Im Plattformbuch schrieb ich noch:

Sicherheit zu garantieren, war schon immer eine der wichtigsten geopolitischen Mechanismen in den internationalen Beziehungen. Auf Sicherheitsgarantien sind Weltordnungen gebaut. Und die Erkenntnis aus diesem Kapitel ist deswegen: Es kann keine Weltordnung mehr ohne die Macht der Plattformen geben.

Keine Ahnung, ehrlich, ob das so ist, aber Silicon Valley juckt es offensichtlich in den Fingern, das mal auszuprobieren?


Ein aufschlussreicher Bericht bei CNN über die „Inner Workings“ der Harris-Campaign. Das Pollster Team von Biden hatte „weird“ an Fokusgruppen getestet und der Harris-Campaign davon abgeraten:

Some of their suggestions included a focus on the future, and to lay off the “weird” talk.

Harris’ advisers listened. They considered the arguments. They decided to stick with what the crowds were chanting in the arenas.

Richtige Entscheidung. Umfragen geben vor zu messen, was die Öffentlichkeit so findet und verstehen nicht, das „die Öffentlichkeit“ ein gemeinsam belebter, semantischer Raum ist, in dem sich alle aneinander orientieren. Wer diesen Raum erfolgreich bespielen will, darf sich nicht (nur) an den Musikwünschen orientieren, sondern muss selbst den Beat vorgeben. Niemand hat das so (intuitiv) verstanden, wie Donald Trump, der sich 2016 einfach von Schlagzeile zu Schlagzeile ins weiße Haus getrommelt hat. Auch die Harris-Campaign hats gecheckt und schon nickt die vernünftige Hälfte der US-Bevölkerung bereits heftig zu ihrem Beat.


Das Plattformbuch war auch der Versuch, die Mechanik digitaler Geschäftsmodelle als Politische Ökonomie der Abhängigkeiten zu fassen.

Die grundlegende Erkenntnis war schließlich, dass die Plattform zwischen mir und sich selbst eine wechselseitige Abhängigkeitsbeziehung herstellt, die extrem ungleich organisiert ist: Die Plattform ist viel, viel weniger von mir abhängig (wohlgleich nicht unabhängig), als ich von der Plattform, weil meine Abhängigkeit von der Plattform den akkumulierten Abhängigkeiten zu den Menschen entspricht, mit denen ich dort interagiere (klingt kompliziert ist aber eigentlich ganz einfach). Diese Diskrepanz ist die Quelle der Plattformmacht und befähigt die Plattform unter anderem, die auf ihr versammelten Verbindungen ökonomisch auszubeuten.

Seit dem Buch arbeite ich weiter an diesem Framework, weil ich glaube, dass darin eine grundlegend andere Art steckt, über wirtschaftliche Zusammenhänge zu sprechen und nachzudenken. Diese andere Sprache stellt Abhängigkeiten in den Mittelpunkt und kann daraus ableiten, wie Akteure es schaffen, Macht zu organisieren, um Renten abzuschöpfen.

Deswegen war es ein kritisches Manöver, diese Sprache auf andere wirtschaftliche Zusammenhänge anzuwenden und letztes Jahr ist mir das beim Supply-Chain-Kapitalismus gelungen und daraus ist der Text „Materialität und Austauschbarkeit“ entstanden.

Wenn wir dieses einfache Framework auf die Zulieferketten anwenden, ergibt sich ein klares Bild: Um einen Nike-Schuh herzustellen, sind alle Akteure (das Leitunternehmen sowie alle Zulieferfirmen) wechselseitig voneinander abhängig. Jedoch gibt es Unterschiede: Jeder Einzelne der Zulieferer – egal ob er Stoffe, Plastik oder Kordeln herstellt – ist aus Sicht des Leitunternehmens recht einfach austauschbar (Balanceakt 2). Es gibt viele konkurrierende Unternehmen und selbst wenn es sie nicht gäbe: das Wissen um Stoffe, Plastik und Kordeln herzustellen ist schnell ins Werk gesetzt.

Das Leitunternehmen hingegen, Nike, betreut zwar nur die Marke und andere Rechte, aber diese Rechte sind dank internationaler Abkommen wie TRIPS und durch die WTO global geschützt (Balanceakt 4). Die Leitunternehmen kontrollieren daher monopolistisch den Zugang zur Wertschöpfung. Für die Zulieferer ergibt sich dadurch eine enorme Abhängigkeit, denn ohne den Zugang zu­ Nikes Verkaufsnetzwerk und seiner »Brand-Recognition« sind die Produktivitätskapazitäten der Zulieferer völlig nutzlos. Dadurch ist Nike der einzige Akteur in diesen wechselseitigen Beziehungen, der weniger von den anderen abhängig ist, als diese von ihm.

Beide, Plattformen und Supplychains verwenden „den Markt“, um eine Macht-Hierarchie zu etablieren. Plattformen eröffnen einen „propietären Markt“ (Staab 2020), der die Nutzenden einlocked und Leitunternehmen versetzen ihre Zulieferer in kompetitive Wettbewerbssituationen, um ihre Margen zu frühstücken.

KI ist ein Coup“ kann ebenfalls in diese Reihe gestellt werden, denn, das, was ich im Text versuche zu zeigen, ist dass KI in seiner Struktur darauf angelegt ist, Abhängigkeiten in einem Ausmaß zu Konzentrieren, das jede Demokratie sprengen würde.

Ich bin seitdem ein ganzes Stück weitergekommen. Erst letztens fiel mir auf, dass all die Beobachtungen über Strategien der Austauschbarmachung, die ich in den drei Texten untersuche, in Wirklichkeit Netzwerk-Shaping-Operationen sind. All die Plattformen, Leitunternehmen von Supplychains und KI-Start-Ups arbeiten daran, das Netzwerk der Abhängigkeiten so zu strukturieren, dass sie sich selbst unersetzbar, die anderen aber ersetzbar machen. Netzwerktheoretisch ausgedrückt, versucht jeder Akteur seine relative Netzwerkzentralität zu erhöhen (ich tippe auf Betwenness-Zentralität, aber die anderen Arten könnten auch relevant sein).

Denken wir uns Abhängigkeiten als beliebig komplexes Netzwerk, in das man mit unterschiedlichen Zoomstufen reinschauen kann. Auf der Ebene des Haushalts kennen wir uns alle aus. Wir können die Spülmaschine nicht anstellen, weil wir erst noch Essen machen müssen, was aber nicht geht, weil die Teller nicht abgespült sind. Abhängigkeiten sind vernetzt und vertrackt und einen Haushalt (Oikos) zu führen, bedeutet in erster Linie, materielle Abhängigkeiten zu managen.

Man kann sodann raus-zoomen und stellt fest, dass die Haushalte an allerlei Infrastrukturen gekoppelt sind. Straßen, Schulen, klar, aber eben auch Geschirrspülmittelhersteller und Obstplantagen. Das Netzwerk der Abhängigkeiten wird in kapitalistischen Ökonomien entlang allerlei privater aber auch öffentlicher Infrastrukturen organisiert und diese Infrastrukturen nehmen jeweils relativ netzwerkzentrale Stellungen im Abhängigkeitsnetzwerk ein, sind aber selbst wieder in ein Netz von Abhängigkeiten verstrickt, ect. Netzwerkzentralität ist im Netzwerk als Schmerz spürbar, z.B. wenn mal eine zentrale Infrastruktur ausfällt (wie Strom, Wasser, oder wenn die Lieblingseissorte ist im lokalen Supermarkt vergriffen), oder eben beim Bezahlen, denn Netzwerkzentralität ist auch die Macht, Preise zu nehmen.

Im Alltag erleben wir Netzwerkzentralität als Attraktivität und schwierige „Bypassbarkeit“. Wenn ich eine andere Eissorte genauso gerne mag und sie im Supermarkt gegenüber bekomme, ist der Schmerz vertretbar und wenn der Nachbar Strom hat, kann ich ein Kabel rüber legen. Zentralität drückt also einerseits die netzwerkweite Relevanz eines Ressourcenzugangs aus (wie viele andere Knoten sind davon abhängig?), andererseits aber auch seine Subsitutierbarkeit (wie leicht kann der Zugang durch einen anderen ersetzt werden?).

Ich habe einiges davon hier im Newsletter entwickelt und einiges steht noch in meinen Notizen. Ein Buch ist noch zu früh, aber ich denke an ein wissenschaftliches Paper. Ich bin leider in diesen Feldern wenig orientiert und kaum vernetzt, deswegen die Frage an meine klugen Leser*innen:

Kennt ihr ein wissenschaftliches Journal, das international einigermaßen rezipiert und angesehen ist, aber trotzdem crazy enough wäre, diese Theorie bei sich abzudrucken? (englischsprachig, gerne links-heterodox, kapitalismuskritisch, etc., aber bitte auch nicht zuu fringe?)


Beim Hören von „Haken Dran“ nennt Gavin bei der Vorstellung von Jan Skudlarek (den ich vorher nicht kannte) dessen Dissertationstitel: „Relationale Intentionalität“ und weil ich das so spannend fand, hab ich statt den Podcast zu hören, seine Diss ganz begeistert gelesen.

Skudlarek will zunächst rausfinden, wie man gut über Gruppenhandlungen reden kann und stellt dabei fest, dass unser aufs Individuum zugeschnittenes Vokabular daran scheitert und dabei entdeckt er, dass Handlungen eigentlich gar nicht individualistisch denkbar sind.

Ausgehend von Wittgensteins Argument der Unmöglichkeit einer Privatsprache („Alleine kann man keinen Regeln folgen – subjektiv-private Regeln sind keine Regeln“) dekonstruiert er mit Franz Kannetzky die Cartesianische Meditation von Decartes (Ihr wisst schon: „Ich denke, also bin ich“) und kommt zu dem Schluss:

Denn erst, wenn man die Handlungsmuster, die eine Gemeinschaft bereitstellt, berücksichtigt, kann man individuelle Handlungen adäquat verstehen; vor dem Hintergrund, dass sie notwendigerweise Aktualisierungen bestimmter sozialer Schemata sind; nur in diesem Sinne kann die „individuelle“ Intentionalität (die, wie deutlich wird, im Kern dialogische, gemeinschaftliche Intentionalität ist), über die ein einzelner Akteur Auskunft gibt, bedeutsam sein.

Ich kann nur „Ich denke“, sagen (oder denken), weil ich in der Interaktion mit meiner Umwelt und anderen Sprechenden gelernt habe, was „denken“ und was „ich“ ist und wie man Sätze konstruiert. Der Einsatz von Sprache verweist immer schon auf ein „Wir“. Sie bettet uns in ein Geflecht der Bedeutungen ein, das eben nicht in unseren Köpfen, sondern zwischen ihnen residiert.

Willkommen im Poststrukturalismus! Wir haben hier noch genügend Platz für analytische Philosophen, komm rein, nimm dir nen Keks, fühl dich wie zu hause und erzähl mal: Wie fühlt man sich, nachdem man mal eben 400 Jahre Philosophiegeschichte in Frage gestellt hat?

Aus dem Verschwinden der „Trennwand“ zwischen individueller Intentionalität und kollektiver Intentionalität folgt, dass man nicht mehr das eine verwenden kann, um das andere zu beschreiben. Auch der methodologische Individualismus als Bewältigungsstrategie sozialphilosophischer Probleme fällt weg – ihm wird die Grundlage entzogen. In der Konsequenz des Privathandlungsarguments verschwindet zudem der cartesianische Geist- Welt-Dualismus, weil der Geist als ausschließlicher Ort intentionaler Unterscheidungskriterien wegfällt; an seiner Stelle entsteht das Bewusstsein von Intentionalität als Versatzstück gemeinsamer sozialer Praxen.

Aber der eigentlich spannende Teil kommt erst noch, denn was da in Trümmern liegt, muss neu aufgebaut werden und dafür iteriert Skudlarek verschiedene Denker*innen durch und landet schließlich bei Andy Clark und David Chalmers Idee des „aktiven Externalismus“. Die beiden versuchen zu zeigen, dass Denken nicht an den eigenen Schädelwänden endet, sondern dass schon die Verwendung eines einfachen Notizblocks als Denk-Externalisierung gedacht werden muss und sprechen in Folge von „Akteur-Umwelt-Kopplungen“.

Damit im Gepäck macht sich Skudlarek auf die Suche nach „Akteur-Akteur-Kopplungen“, auf die er situativ zwar stößt (etwa zwei Leute, die gemeinsam eine Couch durchs Treppenhaus hiefen), doch für wirklich stabile Akteur-Akteur-Kopplung fehlt es seiner Meinung nach am dauerhaft „verlässlichen Zugang“ der Akteure zueinander und da möchte ich rufen: aber dafür gibts doch die Sprache?

Also, hier mein Vorschlag:

Das was Du suchst, ist Sprache. Sprache ist jener zuverlässige, externe Zugang zum Denken anderer Menschen. Die einzelnen Sprechenden mögen Feierabend machen, die Sprache tut das nicht. Sie steht 24/7 zur Verfügung und ihre inhärenten Regeln sind durch Millionen Menschen in tausenden Generationen entwickelt worden, und diese künstliche Intelligenz zapfst Du an, wann immer Du den Mund aufmachst. Wenn du Sprache hast, bist Du nie allein: „Ich denke, also sind wir!“

Das kann man noch viel breiter denken. Luhmann sprach von Semantik als „Bedeutungsvorrat der Gesellschaft“. Und seit den LLMs wissen wir, dass wir uns Semantik als riesiges tausendimensionales Netzwerk von Bedeutungs-Vektoren vorstellen können. Es finden sich alle Sprachen, Umgangsformen, Kulturelle Praktiken, Malstile, Männlichkeitskonzeptionen, sowie allerlei makrosemantische Strukturen wie Narrative, Theorien, Sichtweisen, aber auch Omas Kuchenrezept, die typische Handbewegung der Jungs auf dem Schulhof und das Verwenden von Notizbüchern darin.

Und diese Struktur ist, ja, etwas externes, aber auch etwas, das wir jeden Tag in etlichen „Sprachakten“ beglaubigen und reaktualisieren. Wir sind Teil davon. Aber hier müssen wir mit Haraway wieder mehr in Richtung Privatsprache gehen und eingestehen, dass wir nur jeweils einen engen Ausschnitt davon bewohnen. Aber auch den kann man sich als zerklüftete Landschaft mit unendlich vielen wahrscheinlichen und weniger wahrscheinlichen Straßen vorstellen, in der es Schleichwege, Irrwege und breit befahrene Highways gibt, die sich aber dennoch als Irrwege herausstellen können.

Und jetzt kann man, wenn man will, die Intention wieder reinlassen, aber nicht mehr als eine aus sich selbst heraus sprechende Stimme, die sagt „ich will“, sondern als Navigator, Surfer, oder Trommler.

Navigator, weil wir zu jedem Zeitpunkt immer an einem konkreten semantischen Ort im Raum stehen, wann immer wir handeln. Das heißt, wenn wir irgendwo hinwollen (etwas sagen oder denken), müssen wir Schritt für Schritt von dort nach da hin-navigieren und unsere Fähigkeit zu Sprechdenken besteht, wie bei der LLM, vor allem aus allerlei gemerkten Weganweisungen.

Man kann das auch Surfen, wenn man etwas firmer mit einer bestimmten Semantik ist. Dann verknüpft man die vorbeifliegenden Sinn-Ereignisse wie Wellen, auf denen man reitet. (yeah!)

Und zuletzt drücken wir auf „Play“ und nehmen die Zeit mit dazu und dann beginnt sich dieses Netzwerk langsam aber stetig auf uns zuzubewegen. Semantiken verschieben sich, verwandeln sich, werden größer oder kleiner, zentraler, peripherer, mutieren, streuen, sterben, etc. Und wir sehen immer neue Ereignisse eintreffen, die immer neue Narrative aufs Gleis setzen. Die Narrative wiederholen sich, referenzieren sich, zitieren sich und in stetiger Wiederholung und Bekräftigung werden sie erwartbar und strukturieren wie ein Beat unsere Zeit und geben uns Orientierung nach vorn.

Jedenfalls glaube ich nicht, dass es eine neue „Theorie der Intention“ braucht. Es braucht eine neue Sprache zur Beschreibung des jeweiligen Eingebettetseins und des Sich-Bewegens im semantischen Raum.


Alle reden über Tim Walz und ich kann nachfühlen wieso. Seine Rede auf dem Demokratenkongress war gut, aber wenn ihr wirklich eine historisch gute Rede sehen wollt, guckt Euch lieber Michelle Obama an. Bei Tim Walz geht es weniger um Talent (das er ohne Frage hat), als um Sichtbarkeit. Er ist gewissermaßen der identitätspolitische DEI-Pick, aber ein sehr effektiver, denn alte, weiße Männer mit gewissem Hinterwäldler-Charme, die dennoch anständig sind, ist genau das, was fehlte?

Nicht, dass es nicht genügend anständige Männer gibt (wobei, wahrscheinlich weniger als man denkt?), aber ihre Sichtbarkeit ist … übersichtlich? Und wenn es sie gibt, dann sind sie meist nicht sehr anschlussfähig. Barack Obama fällt zum Beispiel nicht nur wegen seiner Hautfarbe für viele mittelamerikanische, weiße Männer als Rolemodel aus, sondern auch, weil er verdammt gut aussieht, gebildet ist und extrem eloquent ist. Viele finden Obama toll, ich in vielerlei Hinsicht auch, aber ich verstehe, dass sich viele nicht mit ihm identifizieren können. (Und das ist auch der Denkfehler derjenigen, die ausgerechnet in Robert Habeck den deutschen Tim Walz ausmachen. Nein, Habeck ist eher der deutsche Obama minus Pigmente. Er wird immer nur Bildungsbürger*innen wie Euch (und mich) ansprechen.)

Tim Walz ist dagegen wie viele sind. Er ist ein nicht besonders gut aussehender, betont unintellektuell auftretender, weißer Typ, der Dich null irritieren würde, wenn er bei Hornbach an dir vorbeigeht. Donald Trump füllt Stadien mit Leuten wie Walz und genau deswegen fühlt es sich so an, als füllte Walz ein identitätspolitisches Vakuum, dessen Leerstelle erst mit seiner Präsenz spürbar wurde.

Man muss sich den weißen, mittelamerikanischen Durchschnittstyp wie alle Menschen als Navigatoren ihrer Identität vorstellen. Sie leben wie wir in ihrer angestammten Semantik und blicken daraus auf die Welt und aus dieser Perspektive gibt es nur eine handvoll plausible Pfade vorwärts und erschreckend viele führen zu Trump.

Und daher fungiert Tim Walz als strategische Identitätsressource, die im Herzen der MAGA-Kultur einen Fluchtweg aufmacht. Aber wie alle Ressourcen muss auch ein Rolemodel individuell erschlossen, d.h. in diesem Fall imaginiert werden. Imaginieren bedeutet, eigene plausible Pfade zu finden, von dem Ort an dem man ist, zu einem Ort, der Näher an Tim Walz ist. Doch selbst wenn der Pfad dahin vorstellbar ist, stellt sich die Frage der Kosten, denn Pfade können unterschiedlich lang und mühsam sein: Wie stark muss ich mich ändern, um mehr wie Tim Walz zu sein? Wie viele von meinen Gewohnheiten bin ich bereit zu opfern? Wie viel bin ich bereit, dazuzulernen? Identität ist Arbeit!

Die semantischen Pfade sind vom mittelständischen, weißen männlichen Amerikaner zu jemandem wie Trump und seinen Jüngern sehr viel kürzer, als zu jemandem wie Hillary Clinton oder Barack Obama. Aber Tim Walz ist noch viel näher als Trump und als Vance sowieso. Tim Walz macht nicht nur neue Pfade zur Anständigkeit plausibel, er macht „Wokeness“ für viele überhaupt erst affordable.


Max Read identifiziert einen Schlag öffentlicher (Podcast/Influencer)-Dudes, die in letzter Zeit erfolgreich prominente, rechtsradikale Politiker wie Trump und Vance interviewen als „Dipshits“. Er umschreibt sie so: „who like “edgy,” trollish, hedonistic, attention-seeking personalities“ und da fiel mir ein, dass Joko und Klaas eigentlich auch ganz gute männliche Rolemodels sind.

Liest man Reads Taxonomie, fällt auf, wie kurz und plausibel der Weg vom „Prank“-Commedian zum rechten Dipshit ist. Der Shitstorm, der Joko und Klaas 2012 wegen der als Prank inszenierten sexuellen Belästigung ereilte, hätte sie leicht in diese Richtung kippen können.

Sie haben sich dagegen entschieden, haben einen anderen Pfad gesucht und sind deswegen, wer sie heute sind. Sie sind nicht perfekt und es gibt etliches zu kritisieren (keep it coming!), aber für junge Männer sind sie als sichtbarer, plausibler Pfad vom Proto-Dipshit zu einem reflektierten Männlichkeitsentwurf semantisch wertvoll.


Charlie Warzel erklärt die Affinität der Rechten zu KI-generiertem Slop:

That these tools should end up as the medium of choice for Trump’s political movement makes sense, too. It stands to reason that a politician who, for many years, has spun an unending series of lies into a patchwork alternate reality would gravitate toward a technology that allows one to, with a brief prompt, rewrite history so that it flatters him. Just as it seems obvious that Trump’s devoted followers—an extremely online group that has so fully embraced conspiracy theorizing and election denial that some of its members stormed the Capitol building—would delight in the bespoke memes and crude depictions of AI art. The MAGA movement has spent nine years building a coalition of conspiratorial hyper-partisans dedicated to creating a fictional information universe to cocoon themselves in. Now they can illustrate it.

Ein Grund, warum mich die Pfade zur nicht-toxischen Männlichkeit gerade so interessieren, ist, weil wir einen wichtigen Kampf um die Köpfe der Jungs führen müssen. Alle Siege, die wir heute gegen die Boomer- und GenX-Faschos erringen, könnten durch eine Faschisierung der Generation Z wieder zunichte gemacht werden.

Nun wissen wir, dass diese Generation sehr verwirrt und gespalten ist und gerade männliche Jugendliche immer mehr nach rechts kippen und das ist nicht verwunderlich, denn es liegen für sie so viele öffentliche Dipshit-Pfade aus wie noch nie?

Dipshitterei ist heute ein dezentrales multilevel Marketing-Geschäftsmodell und der Laden brummt. Dabei ist es egal, ob man Steroide, Crypto, Pickup- oder Lebensratgeber, oder Hass verkauft, Hauptsache man ist erfolgreich beim Ausbeuten der Jungs, die einen deswegen anhimmeln. Das ist nicht nur anschlussfähig nach rechts, das ist rechts.

Und deswegen erfüllt es mich mit Hoffnung, dass die rechte Blase voll auf Gen-KI abfährt. Denn wenn sie sich jetzt im Spiegelkabinett ihrer eigenen klischeetriefenden Imagination verliert, wird sie das nur weiter in Richtung „weirdness“ treiben und die Pfade dahin werden immer länger und unattraktiver.

Krasse Links No 25.

Willkommen bei Krasse Links No 25. Sorry, war letzte Woche krank, aber jetzt migriert Eure Publikumsjoker aus Happyland, heute vereinfachen wir die Zusammenhänge bis zur Kenntlichkeit.


Im letzten Newsletter hatte ich darauf hingewiesen, dass man etwas gegen die Macht der Milliardäre machen sollte, bevor es zu spät ist und das einfachste, was man sofort jetzt machen kann (ja, noch vor dem weiterlesen), ist diese Petition zu unterschreiben.

Einführung einer Vermögenssteuer zur Finanzierung des ökologischen und sozialen Wandels


Btw, ein wirklich toller Name für die Tech-Milliardäre ist Broligarchs. Den Begriff benutzt Brooke Harrington in ihrem tollen Stück über die durchgeknallte Silicon Valley Elite im Atlantic.

This mindset comes through in a 1997 book that Thiel has listed among his favorites of all time: The Sovereign Individual, by James Dale Davidson and William Rees-Mogg. The text unironically likens the ultrarich to “the gods in Greek myth,” and assures readers that they deserve no less than world domination: “Commanding vastly greater resources and beyond the reach of many forms of compulsion, the Sovereign Individual will redesign governments and reconfigure economies.” In describing why he included the book, Thiel said that it offered a “prophecy” of “a future that doesn’t include the powerful states that rule over us today.” Thiel has famously argued that freedom and democracy are incompatible.

Harrington führt dieses Mindset auf das Selbstverständnis der „Unverwundbarkeit“ zurück, das Menschen mit derart großem Ressourcenzugriff zwangsläufig ereilt. Sie können ihre rechtslibertären Politexperimente an der Gesellschaft nur deshalb durchführen, weil sie sich auf deren Funktionieren nicht mehr angewiesen fühlen.

And if the nation becomes a crumbling ruin, with cratering health and education levels, or roads and bridges falling to pieces, then what of it? In the short term, broligarchs can adapt to local anarchy as the ultrarich of Brazil and Mexico have done, using helicopters to commute a few blocks to work or to ferry their children to school, high above the crime-ridden streets where their fellow citizens must struggle to survive as best they can. In the long term, when their adaptations cease to protect them, they can retreat to luxury underground bunkers—complete with bowling alleys!—or even to outer space.

Eventuell sollte man „Reichtum“ endlich als psychisches Krankheitsbild anerkennen und allein zum Schutz der Betroffnen Maßnahmen zur Heilung veranlassen?


Ganz ehrlich? Ich weiß nicht mehr, was ich zu X und zu Musk noch sagen soll?

Mein Plattformbuch beginnt mit der Feststellung, dass die Tatsache, dass Plattformen viel Macht haben, ein absoluter Gemeinplatz geworden ist. Damit meinte ich nicht nur die Forschung. Jedes Provinz-Feuilleton und der Tagesschau ihre Mutter nervte jahrelang mit großen Aufmachern vor den Gefahren, die von der Macht der Plattformgiganten ausgingen.

Und irgendwie bin ich deswegen davon ausgegangen, dass, wenn so eine Plattform in die Hände von … sagen wir, einem durchgeknallten Rechtsradikalen … fällt, alle – wirklich alle – die Gefahr der Situation erkennen und gesellschaftsweit dazu mobilisieren, die Plattform in Scharen zu verlassen?

Das hat sich … nur zum Teil bestätigt, einem nach wie vor viel, viel zu geringen Teil. Und ich weiß ehrlich gesagt nicht, auf welches Ereignis die verbleibenden User noch warten? Ist der im Ansatz bereits gelungene Versuch einen Rassenkrieg in Europa anzufachen noch nicht genug?

Wer sich immer noch einredet, dass er/sie durch seine Präsenz auf X irgendwas zum Positiven bewegen kann, betreibt olympische Verdrängungsleistung. Jeder, der dort schreibt und liest, macht sich zum Teil des Problems. X mag als soziales Netzwerk an Bedeutung verlieren, aber es ist nachwievor die größte und mächtigste Nazipropagandawaffe, die es je gab. Unsere einzige Chance ist, sie irrelevant zu machen.

Wer elaboriertere Argumente braucht, darf sich gerne durch diese Links klicken.

Ich bin fertig mit dem Thema.


Es gibt etliche Regalmeter, die versuchen den überall aufpoppenden Rechtsradikalismus zu erklären und an den elaborierten Theorien wird hier und da etwas dran sein, aber manchmal beschleicht mich das Gefühl, dass wir die Sache komplizierter machen als sie ist?

Jedenfalls schafft es James Risen im Intercept praktisch die gesamte Politik des MAGA/Trump-Movements auf schlichten Rassismus zurückzuführen. Konkreter meint er die Angst der weißen amerikanischen Mehrheitsgesellschaft vor der sich abzeichnenden demographischen Verschiebung.

Dominated by Trump, the Republican Party adheres to policies designed both to maintain white political power and increase the white percentage of the nation’s population.

Once you understand that it is all about white power — especially white male power — the Trump-Republican agenda begins to make sense.

In der Tat:

  • Pro-Natalism (mehr weiße Babys)
  • Anti-Immigration, pro Deportation (gegen braune Babys)
  • Abtreibungsverbot (für mehr weiße Babys)
  • Anti-LGBTQ (mehr LGBTQ = weniger weiße Babys)
  • Pro Putin (Verteidiger des weißen Christentums)
  • Pro Israel (Vorposten gegen die Islamische Welt)

Und irgendwas sagt mir, dass das in Deutschland auch nicht so viel anders ist?


Wenn es Euch so geht wie mir, fragt ihr Euch nachwievor täglich, warum Kamala Harris‘ „weird“ so viel besser funktioniert als Joe Bidens „Democracy is on the ballot“. Ist letzteres nicht die viel größere Bedrohung?

Es gibt viele kluge Explainer, warum „weird“ funktioniert (zum Beispiel den von Jonas Schaible, dessen Newsletter sowieso in jede Inbox gehört), aber mir scheint, dass die oben gestellte Frage bereits eine Antworten enthält: „Gefahr für die Demokratie“ ist einfach eine Hausnummer zu groß?

Tupoka Ogette hatte vor einigen Jahren den Begriff „Happyland“ im Bezug auf Rassismus geprägt (Danke Susann für die Inspiration).

Fragt man die Bewohner*innen Happylands, wie es denn so um Rassismus steht in dieser Welt, wird er*sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sagen, dass das kein großes Thema mehr ist. Mehr noch, Happyländer*innen sind überzeugte Nicht-Rassisten. Nichts läge ihnen ferner, als jemanden bewusst auszugrenzen. Jedenfalls ist das nicht Teil ihres Selbstverständnisses. Sie halten sich für offen und tolerant. Das liegt daran, dass nicht nur das Wort, sondern auch die Gedanken daran aus Happyland verbannt wurden.

Die gute Nachricht ist, dass wir gar nicht in Deutschland, Frankreich oder den USA leben, sondern alle gemeinsam in Happyland, wo alles schön und fluffig ist. Und Happyland kann gar nicht durch Rassismus bedroht sein, denn den gibt es in Happyland ja nicht. Entsprechend entlädt sich die Wut der Happylandbewohner*innen nur selten gegen Rassist*innen, sondern meist gegen Menschen, die ihre Rassismuserfahrungen öffentlich machen, diese Miesepeter!

Etwas ganz ähnliches sieht man in der Kriminalisierung des Klimaaktivismus, denn es ist ja längst wissenschaftlich erwiesen, dass Happyland weder vom Klimawandel betroffen ist noch dazu beiträgt.

Meine These wäre also: „Democracy is on the ballot“ passt genauso wenig in den Happyland-Briefkasten, wie Rassismuserfahrungen oder Klimaklebstoff. Waaas? UNSERE superduper Demokratie bedroht? Ihr spinnt doch!

Aber „weirde“ Leute passen da eben auch nicht hin? Mit denen wollen wir jedenfalls nichts zu tun haben!


Google wurde erstmals von einem Gericht als Monopol verurteilt und das wird Silicon Valley im Mark erschüttern. Es gibt dazu viel zu sagen (vielleicht ein andermal mehr), aber ich finde hier vor allem die Preissetzungsmechanismen spannend.

Googles Preisschraube setzt bei den Werbekund*innen an, die ihre Anzeigen über einen intransparentes, automatisiertes Versteigerungsverfahren buchen. Aus dem Urteil:

Google can affect the final price paid for an ad through so-called “pricing knobs” or “pricing mechanisms.” Id. at 779, 783. Google has used three primary pricing knobs to influence prices: (1) squashing, (2) format pricing, and (3) randomized generalized second-price auction.

Die „Knöpfe“ sind nicht direkt Preissetzend, aber erhöhen künstlich den Wettbewerbsdruck um die gebuchten Keywords, was dann wiederum den Endpreis erhöht. Aus Sicht der Werbekund*innen ist das natürlich null nachvollziehbar.


Alistair Barr rantet im Wallstreet Journal lesenswert über die Legacy von Silivon Valley:

Streaming is now just as expensive and confusing as cable. Ubers cost as much as taxis. And the cloud is no longer cheap.

Ich seh das so: Ab etwa 2010 fing das Silicon Valley an, das Plattformgeschäftsmodell wirklich zu verstehen. Welche Dynamiken Netzwerkeffekte entfalten, wie Graphnahmen funktionieren, welche strategische Rolle Skalierung spielt, und wie und welche Leute man zum Bezahlen bekommt und wie man dann langsam per Enshittyfication an den „Pricing Nobs“ dreht, um den Druck auf der Cashflow-Pipline beliebig zu erhöhen.

Am Ende war es ein gesellschaftsweiter Enkeltrick: „Cut out the Middlemen“, hieß es, also ersetze etablierte Infrastrukturen durch diese „shiny new“ Infrastrukturen, die viel, viel zentralisierter sind und uns durch ihren ungleich stärken LockIn immer abhängiger gemacht haben, während wir die Alternativen haben verrotten lassen. Und jetzt werden wir halt ausgequetscht.


Large Language Models sind scheißekomplexe Systeme und es hat mich sehr viel Zeit und Anstrengung gekostet auch nur eine grobe Vorstellung davon zu bekommen, wie sie funktionieren. Auf der anderen Seite gibt es immer wieder super praktische Explainer und dieser hier ist deswegen bemerkenswert, weil man da einfach direkt mit rumspielen kann.


Ein in der KI-Diskussion immer wieder auftauchender Begriff ist der der „Emergent Abilities“ und jetzt hat ein Paper wahrscheinlich die Nuss geknackt, was dahintersteckt.

Kurz zusammengefasst beziehen sich Emergent Abilities auf die Beobachtung, dass LLMs ab einer bestimmten Skalierung neue, vorher nicht gekannte Fähigkeiten zeigen, etwa „In Context Learning“, „Step-by-step reasoning“ und die Fähigkeit, bestimmte Benchmarks zu erreichen. Der Begriff stammt aus einem Google-Paper, wurde aber kurz danach von anderen Forscher*innen als Mirage bezeichnet und seitdem geht die Diskussion.

Zusammen mit den „Scaling Laws“ stehen die „ermergent Abilities“ im Zentrum der Debatte, in wie weit LLMs fähig sind zu „denken“, oder ob sie eben doch nur stochsatische Papageien sind. Ich positionierte mich neulich ja (endlich) auf der Papageien-Seite und fand die Beschreibung der „Reasoningfähigkeiten“ als semantische „Programme“ plausibel, die Francois Chollet aufgebracht hat. Aber wie genau funktioniert das?

Dieses Paper kommt der Auflösung des Rätsels m.E. ein ganzes Stück weit näher (danke Julian). Um ihren Ansatz zu verstehen muss man wissen, dass es neben dem Basistraining der LLMs, bei dem ihnen die riesigen Textkorpora eingeprügelt werden, noch weitere Schritte des Trainings gibt, die man „Fine-Tuning“ nennt. Grob gesprochen erhalten die Modelle im Basistraining ihr Wissen und ihre Sprachfähigkeiten und im Fine-Tuning bekommen sie beigebracht, sich auf eine bestimmte Art zu verhalten, z.B. ein hilfreicher Chatbot zu sein.

Ein wichtiger Teil des Fine-Tuning ist wiederum das Instruction-Tuning, das ist, wo die Modelle beigebracht bekommen, wie man gut auf Prompts reagiert und entsprechend bestehen die Trainingsdaten aus etlichen Prompt-Antwort-Beispielen.

Die (experimentell unterfütterte) These der Forscher*innen ist nun, dass es diese Instruction-Tuning-Beispiele sind, auf die die LLMs als „semantische Programme“ zurückfallen, wenn sie „In Context Learning“ (ICL) praktizieren.

We propose that instruction-tuning enables models to map instructions to the form required for ICL, thus allowing instruction-tuned models to solve tasks using some implicit form of ICL. Importantly, during this process, models could be directly making use of the same underlying mechanism that makes ICL possible, just in a different way than when the model explicitly makes use of ICL from examples provided in the prompt. We call this use of ICL ‘implicit’ in-context learning. Performing such a mapping would be relatively straightforward for a very large model, especially given that this task format aligns closely with the training process carried out during instruction-tuning.

Ich weiß, das ist alles furchtbar kompliziert und verwirrend und der „stochastische Papagei“ erklärt dabei herzlich wenig, deswegen hier die kürzeste LLM-Erklärung, die mir bisher eingefallen ist:

LLMs funktionieren wie der Publikumsjoker bei Wer wird Millionär: Es gibt immer einen Satz, der vervollständigt werden muss, und die Mehrheitsentscheidung des Publikums bestimmt wie.

Und der Grund, warum LLMs funktionieren, ist derselbe, warum der Zuschauerjoker überraschend oft funktioniert. Das Publikum teilt eine gemeinsame Landkarte des Wissens, aber jede einzelne Person hat einen leicht anderen Ausschnitt. Die meisten Teile überschneiden sich, doch der eine kennt sich eher im Gartenbau aus, die andere in der Philosophie, der nächste in Technik und wieder eine andere ist viel gereist. Einzeln haben sie große Wissenslücken, aber gemeinsam decken sie ziemlich viel Territorium ab und wo sich ihr Wissen überschneidet, akkumuliert sich eine hohe Treffsicherheit.

Bei LLMs besteht das Publikum aus den Millionen Trainings-Texten und die Mehrheitsentscheidung passiert als Wahrscheinlichkeitsrechnung, aber das grobe Prinzip ist tatsächlich dasselbe.

Nun kann man das Ergebnis des Publikumsjokers erheblich verbessern, indem man das Publikum von 10 auf 100 vergrößert, wahrscheinlich auch noch, wenn man weiter auf 1000 skaliert, aber ein Publikum von einer Millionen wird nur homöopathisch besser sein als die Tausend. Kurz: Wir stoßen – wie bei den LLMs – auf „deminishing Returns“ und die Idee, dass ein Milliardenpublikumsjoker eine Superintelligenz triggert, wirkt ziemlich abwegig?


Die Leute bei OpenAI haben eine Methode gefunden, wie man Watermarks in LLM-generierte Texte integrieren kann, also die Texte so produzieren kann, dass man sie als LLM-Output automatisiert erkennen kann.

ChatGPT is powered by an AI system that predicts what word or word fragment, known as a token, should come next in a sentence. The anticheating tool under discussion at OpenAI would slightly change how the tokens are selected. Those changes would leave a pattern called a watermark.

The watermarks would be unnoticeable to the human eye but could be found with OpenAI’s detection technology. The detector provides a score of how likely the entire document or a portion of it was written by ChatGPT.

The watermarks are 99.9% effective when enough new text is created by ChatGPT, according to the internal documents.

Natürlich weigert sich OpenAI die Methode auszurollen. Den Grund dafür brachte Ethan Mollick schon vor einem Jahr auf den Punkt:

„Much of the value of AI use comes from people not knowing you are using it.“

Hey EU, ich hätte da eine Idee für eine Regulierung?


Die KI-Blase ist immer noch nicht geplatzt, obwohl praktisch alle nicht gehirngewaschenen Menschen „Bullshit“ gecalled haben und es macht Sinn sich zu fragen, wieso?

Ein offensichtlicher Grund scheint zu sein, dass Silicon Valley einfach die Alternativen fehlen. Das Plattformgeschäftsmodell hat grob von 2008 bis 2018 immer neue lukrative StartUps produziert, ist aber spätestens mit der fraglichen Wirtschaftlichkeit von WeWork, Uber und AirBnB outgefizzelt. Und seitdem rudern sie: Crypto, Metaverse und nun eben generative KI. Platzt KI, steht Silicon Valley ziemlich nackt da. Brian Merchant:

That’s what makes this such a wild moment. Because *despite all that* big tech has absolutely convinced itself that generative AI is the future, and thus far they’re apparently unwilling to listen to anyone else—even, so far, the money!—who pretty clearly thinks otherwise. Maybe they just don’t have any other viable ideas as to what to hype next if generative AI doesn’t pan out. Maybe they consider the sunk costs too high to jump ship. Maybe they’re genuinely worried that if they don’t crack the code and make an AI that can reliably do all the stuff they’ve promised AI can do someday, a competitor will. Maybe they’re seeing something most of us aren’t seeing. Who knows.

Nun ist das Plattformgeschäftsmodell für die Techfirmen nach wie vor unfassbar lukrativ und füllt zuverlässig ihre Geldspeicher.

The largest tech companies in the world are also the richest. Apple increase; Amazon, Microsoft and the parent companies of Google and Facebook now collectively sit on a little more than $570 billion in cash, short-term and long-term investments. That is more than double the collective pile of the next five richest nonfinancial companies on the S&P 500 index, according to data from S&P Global Market Intelligence.

Was sollen sie sonst mit dem Cash tun? Sinnvolle Produkte bauen? In ETFs anlegen? Den Welthunger besiegen?

Dazu kommt noch das viele Geld von Saudi Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Die Washington Post hat einen sehr lesenswerten Artikel dazu:

Microsoft last month announced a $1.5 billion investment in G42, the United Arab Emirates’ flagship tech firm, which also has an agreement to use AI language models from Sam Altman’s OpenAI. Prominent venture capital firm Andreessen Horowitz is in talks to raise $40 billion from Saudi Arabia for a dedicated AI fund.

Mit ihren fast 2 Billionen („Trillions“ im Englischen) verfügbaren Reserven haben sich die beiden Öl-Dikaturen zu den größten nicht-US-basierten Finanziers Silicon Valleys im Allgemeinen und generativer KI im besonderen gemausert und es wird immer schwieriger, sich daran zu erinnern, dass Menschenrechte – zumindest in der Öffentlichkeitsarbeit der Tech-Konzerne – einmal eine Rolle spielten.

Some tech entrepreneurs and venture firms once shunned Middle Eastern funding, driven by concern for human rights abuses, the region’s ties to China and industry disdain for what were once considered lucrative, but unsophisticated, investments, deemed “dumb money,” from oil states. The 2018 killing of Saudi journalist and Washington Post contributor Jamal Khashoggi caused some firms to explicitly step away from the country’s cash.

But Middle Eastern money has become the most powerful geopolitical force in the tech industry virtually overnight. “The Khashoggi era is over,” said a prominent venture capitalist.

Der eigentliche Twist der Story besteht aber darin, dass auch Washington seine Finger im Spiel hat. Generative KI ist derzeit das Hauptargument, mit dem die USA China aus dem neuen Technologie-Mekkah „outcrowden“ will:

Given the state of technology competition with China, “it’s going to be hard to coexist in both systems,” officials told their UAE counterparts, according to a senior administration official. ‘Look, you’re going to have to choose if you want to access that technology.‘

Before Microsoft invested in G42, the Biden administration won assurances the UAE company would divest from Chinese firms, remove Chinese technology from its data centers and would work to prevent advanced capabilities from leaking to China.

Nicht nur Silicon Valley ist davon abhängig, den KI-Hype aufrecht zu halten, sondern auch die Biden-Administration. Künstliche Intelligenz ist derzeit der wichtigste Motor westlich-geopolitischer Korruption.


John Oliver hat einen Beitrag über die Zustände im Westjordanland gemacht und international anerkannte Mainstream-Commedians und ihre gut recherchierten Beiträge sind meine letzte Hoffnung gegen die deutsche Staatsraison.


Das Israelische Magazin +972Mag, das bereits einige der KI-Programme, mit denen der Massenmord in Gaza durchgeführt wird, enttarnt hat, berichtet über die Nutzung kommerzieller Cloud-Infrastrukturen durch das israelische Militär.

But the “most important” advantage that the cloud companies provided, Dembinsky said, was their advanced capabilities in artificial intelligence. “The crazy wealth of services, big data and AI — we’ve already reached a point where our systems really need it,” she said with a smile. Working with these companies, she added, has granted the military “very significant operational effectiveness” in the Gaza Strip.

Gaza wird mit einer Intensität und Lückenlosigkeit überwacht, die wahrscheinlich einzigartig ist auf der Welt und das braucht einfach ne Menge Computerpower?

Military sources emphasized to +972 and Local Call that the scope of intelligence collected from the surveillance of all Palestinian residents of Gaza is so large that it cannot be stored on military servers alone. In particular, according to intelligence sources, much more extensive storage capabilities and processing power were needed to keep billions of audio files (as opposed to just textual information or metadata), which compelled the army to turn to the cloud services offered by tech companies.

Und alle sind mit dabei: Google, Amazon, Microsoft. Die Cloud ist jetzt eine Kriegswaffe und eventuell liegt dein Facebook-Profilbild auf demselben Server wie die Zielkoordinaten eines palästinensischen Krankenhauses.


Das betrifft auch Social Media. Der EFF veröffentlichte einen Appell an die Tech-Unternehmen, Israels staatlicher „Cyber Unit“ keinen präferierten Zugang mehr für Moderationsanfragen mehr zur Verfügung zu stellen, mit dem sie sehr erfolgreich Jagd auf Pro-Palästinensische Meinungsäußerungen macht.

This is not new. The Cyber Unit has long boasted that its takedown requests result in high compliance rates of up to 90 percent across all social media platforms. They have unfairly targeted Palestinian rights activists, news organizations, and civil society; one such incident prompted Meta’s Oversight Board to recommend that the company “Formalize a transparent process on how it receives and responds to all government requests for content removal, and ensure that they are included in transparency reporting.”


Nirgends sieht man die Verschmelzung von Silicon Valley mit dem Industriell-Militärischen Komplex schneller voranschreiten, als im Gravitationsfeld von Palantir.

Palantir Technologies Inc. (NYSE: PLTR) and Microsoft Corporation (NASDAQ: MSFT) announce today a significant advancement in their partnership to bring some of the most sophisticated and secure cloud, AI and analytics capabilities to the U.S. Defense and Intelligence Community. This is a first-of-its-kind, integrated suite of technology that will allow critical national security missions to operationalize Microsoft’s best-in-class large language models (LLMs) via Azure OpenAI Service within Palantir’s AI Platforms (AIP) in Microsoft’s government and classified cloud environments.

I keep telling you: Gaza ist nur der Testfall.

Krasse Links No 24.

Willkommen bei Krasse Links No 24. Stachelt Eure Weirdness durch den Algo, heute zertrommeln wir die Schwerlosigkeit der Macht.


Die Financial Times berichtet, dass die Techbranche alleine dieses Jahr über hundert Milliarden Dollar in KI-Infrastruktur investiert.

Microsoft, Alphabet, Amazon and Meta all revealed massive increases in spending in the first six months of 2024 — totalling $106bn — in their latest quarterly earnings reports, as their leaders brushed off stock market jitters to pledge further investment hikes over the next 18 months.

Und das ist erst der Anfang.

Analysts at Dell’Oro Group now expect as much as $1tn could be channelled into infrastructure such as data centres within five years, even though the companies have so far failed to convince investors that their customers are prepared to spend big on AI products and services.


Edward Zitron, der schlecht gelaunte Silicon Valley Insider, nahm die Nachricht, dass OpenAI auf dem Weg ist, dieses Jahr 5 Milliarden Dollar Miese zu machen, zum Anlass einen seiner ellenlangen Blogposts (mit ehrlich gesagt extrem viel Redundanz) zu schreiben und dem Unternehmen den Untergang vorherzusagen. Er gibt OpenAI höchstens ein bis zwei Jahre, bevor es unter der einen oder anderen unerfüllbaren Erwartung zerbricht. Um dem zu entgehen, muss OpenAI mindestens ein paar dieser Dinge schaffen:

  • OpenAI’s only real options are to reduce costs or the price of its offerings. It has not succeeded in reducing costs so far, and reducing prices would only increase costs..
  • To progress to the next models of GPT, OpenAI’s core product, the company would have to find new functionality
  • OpenAI is inherently limited by GPT’s transformer-based architecture, which does not actually automate things, and as a result may only be able to do „more“ and „faster,“ which does not significantly change the product, at least not in such a way that would make it as valuable as it needs to be.
  • OpenAI’s only other option is to invent an entirely new kind of technology, and be able to productize and monetize said technology, something that the company has not yet been able to do.

Zitron und andere trommeln seit Monaten diesen Beat, ich ja auch seit einiger Zeit, und seit Wallstreet und Massenmedien eingestiegen sind, ist er eigentlich kaum mehr überhörbar und wird durch immer mehr Indizien gedeckt, und ja, die Tech-Werte wackeln schon, aber das oben erwähnte 100 Milliardenloch wird trotzdem weitergeschaufelt?

Meine Vermutung: Man kann dem „Markt“ gerade beim Denken zuschauen. Und weil er Informationen ganz zufällig so langsam verarbeitet, wie ein sich enorm überschätzt habender Tech-Oligarch, der getrieben von der allzumenschlichen „Sunk Cost“-Fallacy immer noch auf ein Wunder hofft, braucht er halt ein bisschen?


Max Read stellt die sehr berechtigte Frage: „Why is Bitcoin even a campaign issue in 2024?“ und seine Betrachtungen sind lesenswert. Denn tatsächlich sollten sich auch die Cryptokritiker eingestehen, dass die These, die erhöhten Leitzinsen würden Crypto den Gar ausmachen, nicht aufgegangen ist. Irgendwie haben es die Crypto-Bros geschafft, Bitcoin in die Welt der Schwerkraft zu transferieren, auch wenn die Stimmung nun eine ganz andere ist, als zu „Web3“-Zeiten:

The residual, streamlined, post-FTX, post-web3 crypto culture is interesting. It’s mostly divested itself of the pretense of non-speculative utility that served as a cover for the web3 bubble; you don’t really hear many start-ups pitching blockchain solutions anymore. What’s left is a core group of ideologically and financially committed young men, a mix of hustlers and marks (almost everyone in this scene is both at once), who buy deeply into crypto’s promise of financial independence, if not always the full anarcho-capitalist program that spawned the tech.

Bitcoin ist jetzt jetzt zwar kein Tool mehr, um irgendein Problem zu lösen, aber ein „anerkanntes“ spekulatives Anlageobjekt und hat damit eine zweite Gruppe von Trommlern akquiriert, die in ihren Beat einstimmen:

This base is joined in the current crypto coalition by a collection of somewhat more pragmatic, often institutional investors–think Larry Fink of the immense investment management firm BlackRock–who have less of an ideological commitment and simply like crypto (and especially Bitcoin) as a speculative “non-correlated” asset.

Es ist vielleicht ein historischer Zufall, dass just in dem Moment, in dem das ganze Crypto-Scheme zusammenbrach, die SEC die Freigabe von Bitcoin-ETFs bekanntgab. Die Riesenpauken von Jericho Wallstreet machen eine Menge her. Für Wallstreet ist Bitcoin zwar nur ein „uncorrelated asset“, dass sie zum „Hedgen“ (also zum Risikoausgleich) von strukturierten Portfolios verwenden können. Sie geben nicht mal mehr vor, dass ein Bezug zur materiellen Realität in ihren Modellen eine Rolle spielt. „Number Go UP“ plus ein bisschen Zahlenwoodoo reicht vollkommen.

Crypto ist angetreten den Finanzmarkt zu ersetzen, und hat ihn stattdessen als zynische Clownveranstaltung enttarnt. Das wäre alles furchtbar lustig, aber leider bestimmen diese Clowns unsere materielle Realität und lenken die Ressourcenströme, die unsere Zukunft bauen.


Threads hat die 200 Millionen Usermarke durchbrochen und das ist ein guter Take:

Zumindest, wenn man das irreführende Wort „Monopol“ mit „hoher Netzerwerkzentralität“ tauscht und dazu versteht, dass das kein Ausrutscher ist, sondern dass Kapitalismus immer so funktioniert.

Mir wurde übrigens auch klar, warum Threads so schlecht darin ist, trotz dieser User-Zahlen öffentliche Relevanz zu erzeugen. Der Threads-Algorithmus arbeitet dezidiert a-rhytmisch und zerlegt jeden Beat in zusammenhangslose Soundfetzen.


Alle reden davon, dass die Kamala Harris-Kamapagne das Wort „weird“ als effektive Waffe gegen Trump/Vance entdeckt hat und alle lieben es. Die Argumentation geht so, dass Trump und Vance sich kaum gegen den Vorwurf wehren können, schließlich ist er so vage, dass man ihn nicht widerlegen kann und die Beteuerung, man wäre gar nicht „weird“ klingt wie eine Bestätigung der These.

Ich will das Manöver auch gar nicht auf taktischer Ebene kritisieren. Es sieht so aus, als würde der Ausdruck tatsächlich gut auf Trump und Vance im aktuellen, kulturell-politischen Moment passen und könnte einen mehrheitsfähigen Beat gegen den Faschismus anstimmen.

Ich will aber auf strategische Untiefen hindeuten, in die man sich mit der Rede von der „weirdness“ begibt. Denn „weird“ bleibt eine Ausgrenzungsgeste des Andersartigen und passt damit grundsätzlich auf alle (noch) nicht-etablierten Semantiken. Mit „weird“ wird kein Problem beschrieben, sondern eine Abweichung konstatiert und diszipliniert und deswegen fällt es mir schwer, dabei einzustimmen.

Let’s face it: ich bin weird. Dieser Newsletter hier ist weird. Ihr alle seid „weird“ weil ihr das hier lest.

Im Gegenzug schreibe ich den Newsletter nur deswegen, weil mir die Welt „weird“ geworden ist. Ich habe die Ungleichzeitigkeit zwischen materieller Realität und etablierten Erzählungen nicht mehr zusammenbekommen und meine weirdness ist nur die Spiegelung dieser Entfremdung.

Und auch wenn ihr der festen Meinung seid, dass ich hier eh nur quatsch erzähle und es kein Verlust wäre, wenn Leute wie ich einfach ausgegrenzt werden: die Gesellschaft braucht weirdness, um aus angestammten Semantiken auszubrechen und sich weiter zu entwickeln.


Das Schöne an dem Bild mit dem Beat ist ja, dass es auch die Öffentlichkeitsstruktur der AGI-Debatte gut erklärt. Da haben wir zum einen die Leute, die vor den existentiellen Gefahren vor AGI warnen (Longtermists) und dann gibt es die Leute, die meinen, man muss AGI mit allem was geht und gegen alle Bedenken durchdrücken (e/acc), aber wenn man ein bisschen in die Debatte reinhört, dann merkt man schnell: es ist derselbe Beat, nur phasenverschoben.

In diese Psydodebatte hat sich nun auch Vatlik Buterin eingeschaltet und ich kann nicht anders, als seinen Text zu empfehlen. Meine persönliche Theorie zu Buterin ist, dass er eigentlich zu intelligent und mitfühlend ist, um mit den Cryptobros rumzuhängen, aber irgendwie ist er in diese Strukturen materiell und semantisch zu sehr verstrickt, als dass er daraus ausbrechen kann und man merkt seinem Text an, wie sehr er sich müht, von diesem toxischen Startpunkt aus einen einen Weg in die Vernunft zu finden und dabei scheitert.

Der Text ist aber vor allem deswegen lesenswert, weil Buterin so intellektuell aufrichtig ist, nicht nur die apokalyptischen AGI-Szenarien auszumalen, sondern auch mal deren „utopische“ Gegenerzählung auszubuchstabieren:

It seems very hard to have a „friendly“ superintelligent-AI-dominated world where humans are anything other than pets.

Ich glaube ja nicht an AGI, aber wenn selbst die Tech-Bros mit nichts besserem kommen können, als einer Zukunft, in der wir all unsere materielle Handlungsmacht verlieren und als endgültig atomisierte und entkörperlichte „Individuen“ den Hitzetod der Gesellschaft im Metaverse feiern, zusammen mit unseren KI-Freund*innen, deren Haustiere wir eigentlich sind, dann liegt die Frage auf der Hand:

Kann ich das Extinction-Szenario noch mal sehen?


Lewis Waller hat in seinem empfehlenswerten Channel „then & now“ eine sehr überzeugende Historie und Kritik der Massenmedien und damit der medialen Öffentlichkeit vorgelegt.

Wie Euch vielleicht aufgefallen ist, ist es fast unmöglich, heute eine Fundamentalkritik der Medien auszusprechen, die weder in die Falle tappt, der rechten Semantik des Elitenbashings auf den Leim zu gehen, noch den weit schlimmeren Fehler begeht und die Elitenverbundenheit der Massenmedien leugnet.

Waller aber schafft das, indem er sich die Zeit nimmt, die Geschichte der Massenmedien von der Druckerpresse bis Jordan Peterson zu erzählen ohne dabei den Blick auf die politische Ökonomie der Branche zu verlieren.

Dabei kommt er zu dem sehr nachvollziehbaren Schluss, dass, ja, die Mainstreammedien Elitenmedien und Biased as Shit sind (aber eben anders als die rechten erzählen), aber die rechten „alternativen“ Medien eben auch Elitenmedien und noch viel biaseter as Shit sind. Ihr Trommeln dient nur einem Eliten-internen Machtkampf.


Andreas Knie, der Leiter der Forschungsgruppe Digitale Mobilität hat einen Gastbeitrag in der Frankfurther Rundschau über den Zustand der Bahn geschrieben und greift darin vor allem die Idee der Trennung von „Netz und Betrieb“ an. Im Gegensatz zu Straße und Auto, so Knie, müsse man Schiene und Bahn als operationale Einheit verstehen.

Die Eisenbahn dagegen funktioniert nur als integriertes System unter einer Leitung. Züge und Schienen sind ein geschlossenes, aufeinander abgestimmtes Gebäude: Trasse und Traktion ist eine Produktionseinheit.

Das Chaos bei der Bahn ist ein anschauliches Beispiel dafür, wie die eisenharte Durchsetzung der Ideologie des Marktes funktionierende Systeme an den Rand des Zusammenbruchs bringen kann.

Betrachten wir das ganze einmal mit der Brille der Ökonomie der Abhängigkeiten: Auf die Bahn sind viele Menschen angewiesen aber auf unterschiedliche Weise. Der eine pendelt beruflich zwischen München und Berlin, die andere besucht jeden Sonntag ihren Bruder in der Nachbarstadt und alle sind irgendwie ein bisschen davon abhängig, mehr oder weniger spontan an jeden Ort in Deutschland kommen zu können. Die Bahn hat damit eine enorm hohe Netzwerkzentralität im gesellschaftlichen Gesamtgefüge.

Der „Markt“ ist in dieser Theorie nur der Umstand, dass es mehre unabhängige Infrastrukturen zur Befriedigung einer bestimmten Abhängigkeit gibt, was die relative Netzwerkzentralität der Anbieter reduziert. Das ist nicht nichts und kann zu einer gewissen Preis- und Produktdisziplin führen, aber die Frage ist: trifft das auf den Bahn-Wettbewerb überhaupt zu?

Mehrere Bahnunternehmen, die auf einem „neutralen“ Netz operieren schaffen in den wenigsten Fällen alternative Verbindungen mit alternativen Preisen. Meist ist es so, dass Strecken aufgeteilt werden: Strecken in die ein kleinerer Anbieter reingeht, wird für die Bahn unwirtschaftlich und wird geschlossen, bzw. Ressorceninputs dahin werden reduziert.

Doch Abhängigkeiten sind immer relational zwischen zwei Akteuren und die Strecke München – Berlin subsituiert nun mal nicht die Regionalbahn in die Nachbarstadt und umgekehrt und so kommt es, dass durch den angeblichen „Wettbewerb“ gar keine Netzwerkzentralität reduziert, sondern nur umgeschichtet wird. Die Preise geben dann höchstens kurzfristig nach, aber sobald jedes Bahnunternehmen seine jeweiligen Strecken monopolisiert hat, muss Rendite erwirtschaftet werden. Gleichzeitig muss aber für den Betrieb der Bahn immer mehr organisatorische Apparate einbezogen werden, die das Gesamtsystem instabiler werden lassen.

Der Wettbewerb hat gigantische Zentrifugalkräfte entstehen lassen, die keiner mehr überblickt, die vermeintlichen Wettbewerbsvorteile sind nur zulasten der unteren Beschäftigtengruppen erreicht worden, während Overhead und beteiligte Anwaltskanzleien gut verdient haben. Es gibt komischerweise auch nur einen Fachkräftemangel bei Busfahrerinnen und Busfahrern, nicht bei Zweckverbänden. Innovationen kommen in diesem Wettbewerbsverfahren auch nicht vor, da nur die Kosten betrachtet werden und die Angebote für Jahrzehnte nicht verändert werden können, sonst drohen Klagen der Unterlegenen.

Knie schlägt Radikalmaßnahmen vor:

Es muss sofort notoperiert werden. Alles, was nicht zum Eisenbahngeschäft gehört, wird verkauft, die Länder geben den SPNV wieder zurück an eine neu gegründete „Deutsche Eisenbahn Gesellschaft“, die vom Eisenbahnbundesamt kontrolliert und überwacht wird. Hier können dann die Länder ihre Interessen einbringen, diese werden aber alleine einer bundesweiten Systemlogik unterstellt.


Der Chefkomentator der Financial Times, Martin Wolf, appelliert an die Milliardäre, Trump nicht zu unterstützen und sein Hauptargument besteht darin, sie darauf hinzuweisen, dass ihr Reichtum von eben jenem System abhängt, das sie durch ihre Trumpunterstützung angreifen.

The plutocrats who support Trump may remain safer than Berezovsky. But can they really be as free as they want? Yes, a further erosion of democracy might protect them from interference by the elected politicians they detest. But the men they put in power, in their stead, have a tendency to turn themselves into absolute rulers. Nobody can then be truly safe.

Der Verweis auf „Berezovsky“ bezieht sich auf eine Anekdote, die Wolf am Anfang erzählt.

In 1999, the late Boris Berezovsky had lunch with the editor and senior journalists of the FT. I had already met him in Moscow on several occasions. Berezovsky had just played a role in persuading those close to Boris Yeltsin to appoint Vladimir Putin, then head of the FSB, Russia’s security service (whom Berezovsky had known when Putin was deputy mayor of St Petersburg), to be prime minister and his successor as president. “Why”, I asked, “did you trust a former KGB agent with power?” I have long remembered his reply: “Russia”, he said, was “now a capitalist country. In capitalist countries, capitalists hold power.”

My jaw metaphorically dropped. Berezovsky was an intelligent, ruthless and cynical man, who had lived much of his life in the Soviet Union. He was also a Russian, who knew Russia’s brutal history. Yet he appeared to believe Marxist claptrap about where power would lie in supposedly “capitalist” Russia. Of course, he was wrong. Power lay in the hands of the man in the Kremlin, where it always had. Perhaps I am too harsh on him. Western leaders seem to think that sanctions on Russian oligarchs might influence Putin. I have no idea why.

Was Berezovsky damals noch nicht verstand und was Wolf bis heute nicht zu verstehen scheint, ist, dass es in Putins Russland keinen Unterschied zwischen Politik und Wirtschaft gibt. Das Oligarchensystem funktioniert kurzgesagt so, dass Du wirtschaftlich nicht gegen den Willen Putin existieren kannst, aber in der Politik mitreden darfst, wenn Du dem Chef „Gefallen“ tust.

Damit wird aber nur ungeniert vorgetragen, was auch im Westen hinter dem Vorhang passiert. Der ganze Witz an Donald Trump ist doch, dass er sich seinen Oligarchenstyle in den Jahrzehnten des unbehelligtem Betrügen und Belügen als „Geschäftsmann“ angewöhnt hat. Ab einer bestimmten wirtschaftlichen Macht sind Gesetze nur noch teuer verstellbare Hindernisse und Politik ein lästiges Ritual.

Der größte Trick, den der Teufel je gepulled hat, war uns weis zu machen, dass Ökonomie etwas von der Politik abgrenzbares ist. Das war die entscheidende, ideologische Pfadentscheidung, die im Neoliberalismus und von dort in der heutigen Oligarchie gipfelt. Die „Ökonomie“ dient als Wissensobjekt nicht der Erkenntnis, sondern der Verschleierung. Sie ist der ideologische Vorhang, der uns die Sicht auf essentielle Eigenschaften der Wirtschaft verwehrt:

  • Dass alles, was in der Privatwirtschaft passiert, von der materiellen, rechtlichen und semantischen Infrastruktur des Staates abhängig ist. Ohne Staat kein Eigentum, keine Sicherheit von Vermögen, keine Transportinfrastruktur, etc.
  • Dass all diese materiellen, semantischen und rechtlichen Infrastrukturen grundsätzlich änderbar sind.
  • Es fällt aus dem Blick, dass der Staat auch der stärkste wirtschaftlicher Akteur ist, der, sobald er Abhängigkeiten durch öffentliche Infrastrukturen bedient, das ganze Marktgeschehen komplett umstrukturieren kann.
  • Am deutlichsten grenzt dieser Blickwinkel den riesigen Anteil an Wertschöpfung aus, der in Form von Carearbeit in den Haushalten die Gesellschaft reproduziert.
  • Umgekehrt macht diese Trennung unsichtbar, dass Infrastrukturen politisch sind. Es ist nicht egal, wie ein Unternehmen geführt wird, wie die Infrastrukturen beschaffen sind und wie sie unsere Gesellschaft reproduzieren.
  • Und die Trennung macht unsichtbar, dass unsere Zukunft als Gesellschaft und als Menschheit von Projekten der Oligarchen gestaltet wird. Und habt ihr diesen Leuten in letzter Zeit mal zugehört?

Im Guardian hat George Monbiot einen Kommentar über den Vorschlag Brasiliens geschrieben, eine weltweite 2% Milliardärs-Vermögenssteuer einzuführen.

Radical? Not at all. According to calculations by Oxfam, the wealth of billionaires has been growing so fast in recent years that maintaining it at a constant level would have required an annual tax of 12.8%. Trillions, in other words: enough to address global problems long written off as intractable.

Monbiot hat viele Zahlen zusammengetragen, die, wenn man sie auf sich wirken lässt, ein Gefühl der einsetzenden Ohnmacht aufkommen lassen.

In the two years following the start of the pandemic, the world’s richest 1% captured 63% of economic growth. The collective fortune of billionaires rose by $2.7bn a day, while some of the world’s poorest became poorer still. Between 2020 and 2023, the five richest men on Earth doubled their wealth.

Und er macht klar, dass das alles direkt auf unsere Kosten geht:

Billionaire wealth impoverishes us all: astonishingly, each of them produces, on average, a million times more carbon dioxide than the average global citizen in the bottom 90%. Billionaires are a blight on the planet.

Ich sag jetzt mal etwas „weirdes“:

Wir müssen der Macht der Milliardäre eine Grenze setzen, bevor es zu spät ist!

Was meine ich mit zu spät? Auf dem Weg vom demokratischen Kapitalismus zum Neofeudalismus gibt es einen „Point of no Return“. Es ist der Punkt, an dem die Netzwerkzentralität der Milliardäre so unangreifbar geworden ist, dass wir ihre Macht mit demokratischen Institutionen nicht mehr eingrenzen könnten, selbst wenn wir wollten. Und dieser Punkt ist viel, viel früher, als der, an dem wir alle merken, dass wir nicht mehr frei sind.

„I think we are all either vaguely or painfully aware that, regardless of changes of government, our needs will be met only if they coincide with the demands of capital. If they run directly counter to those demands, however great and consistent our wishes might be, they scarcely stand a chance.“

Meine Vermutung: Der Zeitpunkt ist jetzt. Die Machtakkumulation beschleunigt sich immer weiter und führt bei einigen (Musk, Thiel, Ackman, Sachs, Mercer, ect) bereits zu einem erwachenden „Klassenbewusstsein“.

Wer die Serie „The Boys“ verfolgt, sieht diesen Prozess präzise im Charakter des Homelander verkörpert, den der eingeübte Blick von Oben in jene Schwerelosigkeit befördert, in der Menschen nur noch lästige zu managende Hindernisse sind. Es geht schon lange nicht mehr um Geld, sondern um die Aussicht auf unantastbare Macht.

Attac und Occupy Wallstreet sind ne Weile her und die Linke scheint unfähig, sich noch auf irgendwas zu einigen. Doch hier wäre doch die Gelegenheit, einmal mit einem breiten Bündnis, möglichst auch international vernetzt, die große Trommel zu rühren.

So here’s the test the G20 governments face: 3,000 versus 8 billion. Do their loyalties lie with 0.00004% of the world’s population, or with the rest? If your government seeks to block the Brazilian proposal, you will have your answer.

Wenn wir es schaffen würden, Hunderttausende auf die auf die Straße zu bringen, nur für diese Forderung und dadurch die bereits vorhandene, deutliche Mehrheit für eine Vermögenssteuer in einen unleugbaren Wunsch des Wahlvolkes verwandelten, dann könnte man den G20 Gipfel im November als Test verstehen: Leben wir noch in einer Demokratie, oder ist der Zug schon abgefahren?