Krasse Links No 43

Willkommen zu Krasse Links No 43. Fürchtet Euch nicht, wenn Krasnov die Wahrheit umkehrt, heute stürzen wir die NATO zugunsten des ultra-imperialistischen Data Colonialism.


Die Mutter eines der Opfer von Hanau, Sedat Gürbüz, wird von der CDU, SPD und FDP-Koalition der Stadt respektlos in einer Pressemitteilung angegriffen, nachdem sie die Stadt für ihren Umgang mit dem Terrorangriff kritisierte.

Darin heißt es, Gürbüz habe sich bei der Gedenkveranstaltung „mit schockierenden Äußerungen zu Wort gemeldet“. Tatsächlich hatte sie in ihrer Rede erklärt, dass „die Stadt Hanau die Verantwortung für den 19. Februar 2020“ trage und „schuldig“ sei. Der Täter habe zuvor Briefe geschrieben, die von der Stadt ignoriert worden seien. Zudem sei gegen die verschlossene Notausgangstür des Tatorts nichts unternommen worden.

Das Widerlichste: Jetzt soll wegen dem Eklat die Gedenkveranstaltung beendet werden.

Bei allem Verständnis für die Trauer“, verlangte der Vorsitzende der Hanauer FDP-Fraktion, Henrik Statz, „Respekt und Achtung gegenüber Bund, Land, Stadt sowie den anderen Opferfamilien“. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Pascal Reddig warf Gürbüz vor, die Gedenkveranstaltung genutzt zu haben, um „rückwärtsgewandt zu spalten und die schreckliche Tat zu instrumentalisieren“. Für die Zukunft stellte die Koalition klar, es werde derlei Gedenkveranstaltung in Hanau nicht mehr geben.

Unabhängig davon, ob man die Kritik von Frau Gürbüz teilt oder nicht, ist es erschreckend, wie man sich heute erlaubt, mit Kritik umzugehen. Der Trumpismus schlägt bereits überall um sich. Marxismus ist Verfassungsfeindlich, Klimaprotest ist Terrorismus, Friedrich Merz nennt Demonstrationen gegen Rechts „undemokratisch“, Menschen werden in einer Tour wegen unangenehmer Meinung zur Palästina-Frage gecancelt und ich frage mich: Gibt es niemand mehr, der noch die freie Gesellschaft verteidigt?


Für das Projekt Der Aufstieg der NSDAP/AfD haben die Leute von Data Journal die erschreckenden Parallelen zwischen den Ereignissen der Weimarer Republik und heute auf drastische Art in Szene gesetzt.

Die Parallelen zu Weimar sind in der Tat erschreckend, aber ich finde der geopolitische Kontext ist der wichtigste Unterschied zwischen damals und heute. Think Deutschland 1930, aber das Britische Königreich und Frankreich sind bereits an den Faschismus gefallen … während eine neue Eiszeit beginnt.

Sie befinden sich hier.


Kyiv Independent berichtet, dass der Ukraine in Verhandlungsgesprächen Seitens der USA mit Abschaltung der Starlink Support gedroht wird.

The United States has threatened to cut off Ukraine’s access to Starlink satellite internet terminals if Kyiv does not reach a deal with the U.S. regarding critical mineral resources, Reuters reported on Feb. 21, citing three sources familiar with the negotiations.

U.S. and Ukrainian officials are currently negotiating the terms of a revised minerals deal after President Volodymyr Zelensky refused to sign an initial proposal. U.S. President Donald Trump said earlier on Feb. 21 that the parties are „pretty close“ to an agreement.

Das ist jetzt, wie Politik funktioniert. Im Plattformbuch habe ich das „Politik des Flaschenhals“ genannt.

Ein Akteur mit Kontrolle über Verbindungen kann seine Macht dahingehend einsetzen, dass er implizit oder explizit damit droht, eine Verbindung zu kappen oder einzuschränken.

Ist es nicht schon ein Zeichen von Schwäche, wenn man explizit drohen muss?


Leonhard Dobusch kritisiert den Umgang des deutschsprachigen Journalismus mit Rene Benko.

Jahrelang berichtet die Wirtschaftspresse über „Benkos Signa-Holding“ oder einfach nur „Benkos Signa“. Regelmäßig findet sich dann zwar in einem Nebensatz der Hinweis, dass Benko „bei Signa (…) übrigens firmenrechtlich keine offizielle Funktion“ hat. Aber: keine Diskussion, warum das so ist. Keine Beleuchtung der Frage, welche Folgen damit für gesellschaftsrechtliche Haftungs- und Sorgfaltspflichten verbunden sind.
– Grotesk ist, dass niemand die Frage gestellt hat, warum es trotz dieser offensichtlichen, einheitlichen Leitung keine konsolidierte Bilanz, sondern nur eine überschaubar große Zahl an Einzelabschlüssen gegeben hat. Warum Benko zwar unumstrittener Signa-Chef war, formal aber nicht einmal in den Stiftungen etwas zu sagen hatte, die wesentliche Anteile zentraler Signa-Gesellschaften hielten?

[…]
Mag sein, dass es an Benko, dem begnadeten Gastgeber und Blender, lag, dass viele offensichtliche Fragen jahrelang ungestellt blieben und teilweise noch bleiben. Das wäre jene Lesart, bei der die Wirtschaftspresse noch am besten wegkommt. Weniger freundlich wäre die Lesart, dass Benko keine Ausnahme, sondern der Regelfall von Stiftungs- und Steuervermeidungskonstruktionen im Umfeld von Multimillionären und Milliardären ist. Wegschauen und wegducken wäre demnach eine in Österreich etablierte wirtschaftsjournalistische Praxis.

Ich frage mich wirklich was mit den Medien (der den Menschen?) falsch gedrahtet ist, dass sie immer wieder auf dieselbe Art von Schaumschläger reinfallen? Wir sollten das wirklich ablegen, wenn wir überleben wollen.


Gil Duran hatte bereits Anfang Februar die Paralellen zwischen DOGE und dem RAGE-Plan des Neoreactionary-Vordenkers Curtis Yarvin aufgezeigt. Ich wusste um die grundsätzliche Parallele, aber es gibt einen Yarvin-Text von 2022, den ich noch gar nicht kannte, wo die Parallelen nur konzeptionelle Fragen übersteigen. Die ganze Analyse ist Lesenswert, aber ich picke zur Veranschaulichung nur ein paar zitierte Yarvin-Ausschnitte raus.

We’ve got to risk a full power start—a full reboot of the USG. We can only do this by giving absolute sovereignty to a single organization—with roughly the powers that the Allied occupation authorities held in Japan and Germany in the fall of 1945. This level of centralized emergency power worked to refound a nation then, for them. So it should work now, for us.”
[…]
Trump himself will not be the brain …He will not be the CEO. He will be the chairman of the board—he will select the CEO (an experienced executive). This process, which obviously has to be televised, will be complete by his inauguration—at which the transition to the next regime will start immediately.
[…]
– The CEO he picks will run the executive branch without any interference from the Congress or courts, probably also taking over state and local governments. Most existing important institutions, public and private, will be shut down and replaced with new and efficient systems. Trump will be monitoring this CEO’s performance, again on TV, and can fire him if need be.
[…]
[H]e will throw it directly against the administrative state—not bothering with confirmed appointments, just using temporary appointments as needed. The job of this landing force is not to govern. It is to understand the government. It is to figure out what the Trump administration can actually do—when it assumes the full Constitutional powers given to the chief executive of the executive branch…


Annika Brockschmidt verpetzt im Volksverpetzer mal wieder die Wahrheit über die USA.

Eines sollte mittlerweile allen klar sein: Wer in Europa der Demokratie verpflichtet ist, und noch immer auf diese Trump-Regierung als Verbündete zählt, hat den Schuss – oder eher, die Schüsse – nicht gehört. Was Vance in München und in Washington geliefert hat, war die Beerdigung des transatlantischen Bündnisses – gekleidet in Doppelsprech, Gaslighting, und mehr oder weniger offene Drohungen. Auf CPAC spuckten die Wortführer der MAGA-Bewegung auf das Grab der transatlantischen Beziehungen, um ganz sicherzugehen, dass die Botschaft angekommen ist.

Es ist allerhöchste Zeit, dass Europa aufhört schlafzuwandeln. Die sicherheitspolitische Lage ist für Europa und Deutschland so brenzlig und gefährlich wie noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg. Es ist längst an der Zeit, das zu benennen – anstatt sich in Wunschdenken zu üben und die Augen vor der Realität zu verschließen.


Der Historiker Timothy Ash spricht es in diesem Podcast aus: Die NATO ist tod.

„I find it incredible to say this but I think NATO is dead. I mean Europe is on its own. It’s crystal clear, we cannot the US is no longer a Dependable Ally for Europe.“

Ich setze einen drauf: die NATO ist jetzt eine Falle. Trump wird die NATO nicht aufgeben, sondern sie als abusive Relationship gegen uns wenden. Strategische Ambiguität wird ihm erstmal viel bessere Dienste leisten als Austritt und weil ja immer irgendwas passiert, wird Trump auf die Idee kommen, wegen irgendwas Article 5 zu callen. Und dann will ich sehen, wie sich Kanzler Merz gegen Trump stellt.


Festzustellen, dass man den amerikanischen/westlichen Imperialismus ablehnt, versetzt einen in die heikle Lage, auch all die anderen Imperialismen in der Welt navigieren zu müssen und viele tappen dann in Putins oder Xis Falle und fangen an zum Beispiel den russischen oder chinesischen Imperialismus zu leugnen.

Die etwas Beleseneren sprechen lieber von den Vorteilen einer „Multipolaren Weltordnung“, im Kampf gegen den Imperialismus. Das „Gleichgewicht der Mächte“ hält sich in Check, etc. Aber die Multipolare Weltordnung ist eben unter kapitalistischen Bedingungen ein Multipolarer Imperialismus, wie Promise Li vor zwei Jahren im Spectre Journal schrieb.

What characterizes this new multipolar order and the nature of intercapitalist competition? As a whole, this emerging multipolar world of bourgeois states does not create better conditions to challenge global imperialism, but merely preserves and even heightens these capitalist dynamics.

Das liegt daran, dass die hegemoniale kapitalistische Struktur nur den Besitzer wechselt, anstatt in Frage gestellt zu werden.

The decline of US imperial power and the rise of multiple “poles” on the global stage only reshuffles which states are mediating the existing global relations of production, without reorganizing the latter or fundamentally empowering independent movements in each region.

Rather than seeing multipolarity as opening up space for revolutionary struggles against imperialism, I contend that contemporary multipolarity functions as a new stage of the global imperialist system, a departure from unipolar US hegemony without neatly falling back into the traditional mode of interimperialist rivalry as described in Vladimir Lenin’s and Nikolai Bukharin’s comments on the last century.

Statt der Mächte, die sich in Check halten, erhält man einen “ultra-imperialism”, der zwischen Kriegen und Auseinandersetzungen immer auch Ebenen der ausbeuterischen Kooperation zwischen den Imperien herstellt.

A Marxist theory of imperialism today must thus not overstate the dynamic of interimperialist rivalry without endorsing a perspective that capitalist states are now entering a stage of peaceful coexistence enabled by financial interdependence, or what Karl Kautsky called “ultra-imperialism.” This deeper intertwining of state and capital enables new and more complex dynamics between ruling elites. Even as value transfer from peripheries to core remains intact, we can now witness multiple geographies of interimperial relations, with different cycles and layers of collaboration and competition between different sectors of the ruling class. Now joined by an often invisible class of institutional investors, state elites draw from more sophisticated technologies of repression and control across geopolitical blocs, leading to an uneven development of global authoritarianisms to counter independent and popular movements. This widespread erosion of political democracy, as it takes diverse forms, is thus a central policy of imperialism today.

Der Text ist von 2023 und alles ist bereits viel plumper gekommen, als im Text beschrieben. Unabhängig davon, ob Trump nun „Krasnov“ ist oder nicht, sehe ich Russland und die USA längst im selben Team.

Wenn man die Wahl Trumps nicht geopolitisch, sondern im Sinne einer Systemkonkurrenz von Oligarchie und Demokratie denkt, hat Putin gewonnen und sein System installiert. Das bedeutet nicht, dass jetzt alle dieselben Interessen haben, aber sie haben jetzt einen gemeinsamen Broligarchen-Layer, auf dem man so von Bro zu Bro die Welt als Beute aufteilen kann.


Nick Couldry und Ulises A. Mejias verkünden mit Blick auf DOGE die Ankunft des „Datenkolonialismus“ im Land seines Ursprungs.

Elon Musk’s radical intervention in the US government through the Department of Government Efficiency (DOGE) has been called an “AI coup,” a “national heist,” and a “power grab.” Various experts are concerned that it is unconstitutional. But beyond its legal ramifications, the parts of it that involve getting access to government data fit well within the playbook of what we call data colonialism.

Ich bin kein Fan des „Data“-Geredes (meist geht es um Verbindungen, nicht Daten), aber manchmal stimmt es eben doch.

In neoliberalism, citizens become consumers; in data colonialism, citizens become subjects. If the difference is not apparent, think of how government data, down to their DNA, is used to control the Uyghur population in China. In this version of colonialism, what’s being appropriated is not land but human life through access to data.

Die Autoren verweisen mit Blick auf das rücksichtslose Data-Scaping für KI-Zecke darauf hin, dass die Erlaubnisstruktur der kolonialistischen Landnahmen immer schon auf „intelligentere“ Nutzungsformen von Ressourcen verwies.

Historical colonialism’s doctrine of terra nullius was designed precisely to rewrite the law of new ‘colonies’ simply by the act of seizing the land, with the excuse that no one smart was using it. Strip aside the faux democratic narrative, and that’s Musk’s playbook, too.

[…]

The new alliance between Musk and President Donald Trump’s government might seem shocking, seen from the perspective of recent liberal capitalism. But it makes absolute sense within colonial history where lawless individuals and corporations (from the Spanish conquistador Hernán Cortés in Mexico to the British East India Company) worked in ever-closer alliances with states to produce a mature colonialism that combined corporate and sovereign power.

Was wir gerade auf allen Ebenen erleben, ist die Rückkehr des Westens zu seinen kolonialistischen Wurzeln, bzw. aufmerksamere Beobachter als ich es war, wussten schon lange, dass der Kolonialismus sich in Gestalt der Westlich-Kapitalistischen Hegemonie nur die Maske aufgehübscht hatte.


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Michael Seemann
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Die Kulturwissenschaftlerin Sylvia Sasse teilt in einem Interview in der Zeit die interessante Beobachtung, dass sich die Lügen von Trump/Vance/Musk/Putin und Co vom diffusen „Bullshit“ (es ist egal, was wahr ist) der 2010er Jahre immer mehr zu einer Strategie der Umkehrung der Wahrheit weiterentwickelt haben.

In dieser verkehrten Welt behauptet etwa Wladimir Putin, Russland sei eine Demokratie. US-Vizepräsident J. D. Vance sagt, er trete für Meinungsfreiheit ein. Trump versichert, er bekämpfe den Deep State. Und Alice Weidel betont, Hitler sei Kommunist gewesen. Dabei ist jeweils das genaue Gegenteil der Fall. Die verkehrte Welt der Populisten und Autokraten ist eine Erzählung von der Welt, in der alles um 180 Grad gedreht wird.

Das zeitigt teils wunderliche Effekte.

Wenn Putin etwa die Propaganda verbreiten lässt, dass ukrainische Flüchtlinge dauerhaft in die deutschen Sozialsysteme einwandern wollten, dann wird das von rechtspopulistischen Kreisen, die von Migrationsangst politisch profitieren wollen, weiterverbreitet. Die gleichen Kreise, allen voran die AfD, kooperieren jedoch mit Putin. Diese Verkehrung wird in der Migrationsdebatte kaum thematisiert: Russland war in den letzten Jahren ein Hauptverursacher von Migration. Sei es durch den Krieg in der Ukraine, durch die massive Repression im eigenen Land, durch das Schleusen von Geflüchteten über die belarussische Grenze in die EU oder die militärische Unterstützung des Assad-Regimes. Überhaupt sind Autokratien und religiöser Fundamentalismus Auslöser und nicht etwa Lösung für Migration.

Und vor allem haben die Legacy-Medien überhaupt kein Konzept, damit umzugehen und tragen die Lügen deswegen weiter.

Bestimmte journalistische Formate fallen nicht selten auf Verkehrungen ins Gegenteil hinein, weil sie daraus eine Nachricht machen. In manchen Newstickern wird etwa einfach wiedergegeben, was Vance oder Putin gesagt haben. Oder in Überschriften heißt es nur: „Vance kritisiert fehlende Meinungsfreiheit“ oder „Vance liest Europäern die Leviten“. Das finde ich fahrlässig. Denn Verkehrungen ins Gegenteil sorgen für Schwindel. Viele Menschen sind orientierungslos, weil es ihnen schwerfällt, gleichzeitig den Widerspruch zu erkennen zwischen einer Aussage, mit der sie sich identifizieren, und einer gegenteiligen Realität, über die nicht gleichzeitig ebenfalls berichtet wird.


Der Kanal Second Thought hat ein schönes Erklärstück darüber, wie die Rede von „der Wirtschaft“, die „wachsen“ müsse, immer nur dazu diente, von der im Kapitalismus produzierten Ungleichheit abzulenken.

Das Bruttoinlandprodukt als Gradmesser des Wohlstands einer Gesellschaft zu nehmen, lässt nicht nur die horrenden Ungleichheiten außer acht, dass also nur ein winziger Prozentsatz überhaupt merklich von dem Wachstum profitiert. Es ist auch ein weirdes Weltbild, in dem alles, wofür Du bezahlst als „Wunsch“ interpretiert und alles, was Du nicht bezahlst, als wertlos deklariert wird.

„To interpret that in the way GDP Works, assumes that any increase in how much money people spend can be interpreted as an improvement. In order to imagine that you need to delude yourself into thinking that people only spend money on things they want. To have total freedom to pay the price, they think, is fair for the things they buy and that anything of value can or should be able to be bought.“

Dass die „Growing the Pi“-Matrix aber so wirkungsvoll ist, liegt an dem psychologischen Effekt der Erzählung, wie der ehemaligen FED-Chef Henry Wallich in diesem Moneyqoute dargelegt:

Growth is a substitute for equality of income. So long there is growth there is hope, and that makes large income differentials tolerable“.

Der Gaslightning Industrielle Komplex weiß, was er tut.


Mit „Oligarchy & Authoritarianism“ kulminiert die Beschäftigung bei Then&Now mit Marx und der Geschichte des Kapitalismus in einer historischen und analytischen Kontextualisierung unseres politischen Moments.

Lewis Waller zeigt nicht nur anhand der historischen Konzentration von wirtschaftlicher Macht im 19. Jahrhundert auf, welche Probleme damit einhergehen, sondern auch, wie die wirtschaftliche Machtkonzentration immer auch eine Voraussetzung für faschistische Machtergreifungen war.


Dazu passt dieser Klassiker. Rules for Rulers basiert eigentlich auf dem Buch Dictators Handbook von Alastair Smith und Bruce Bueno de Mesquita, die ein verblüffend einfaches Manual der politischen Machtausübung vorgelegt haben.

In KI ist ein Coup hatte ich das Framework bereits verwendet; (ein Text, der auf ne weirde Art vorzeitig irgendwie obsolet geworden ist.)

Jedenfalls wird angenommen, dass Machthaber*innen an die Macht kommen wollen und dort bleiben wollen und dass sie aber, um das zu erreichen, auf andere Menschen angewiesen sind.

Die, auf die man angewiesen ist, kann man grob in drei Gruppen einteilen:

  • Das Nominelle Elektorat sind die, über die man herrscht, aber ohne, dass man wirklich von ihnen abhängig ist. In Putins Russland ist das so ziemlich jeder, in Deutschland zum Beispiel die Jugend oder Migrant*innen.
  • Das Tatsächliche Elektorat ist die deutlich kleinere Gruppe an Menschen, auf deren Zuspruch man wirklich angewiesen ist. In den USA sind das die Wähler*innen in den Swing-States, in Deutschland zum Beispiel die Renter*innen und in Russland die Eliten.
  • Die Gewinnende Koalition. Das sind Menschen, auf deren Zuspruch oder Mithilfe der Machthaber absolut angewiesen ist. Das können Parteifunktionäre sein, aber seien wir ehrlich: heute sind es in den USA und Deutschland genau wie in Russland vor allem Oligarchen.

Um die eigene Macht abzusichern, arbeitet jede Machthaber*in daran, seine Abhängigkeiten zu reduzieren und die Abhängigkeiten, ohne die sie nicht kann, abzusichern. Das funktioniert gewöhnlich dadurch, dass man das Nominelle Elektorat zugunsten der Gewinnenden Koaliton ausbeutet.

Und tatsächlich ist das ein Muster, das man überall beobachten kann, nicht nur in Russland und gerade USA. Auch in „intakten Demokratien“ passiert das auf die ein oder andere Art und Weise, aber eben meist verschämter durch die Abschaffung der Vermögenssteuer und dem Schaffen von immer mehr Steuer-Schlupflöchern. Dieses Prinzip ist aber auch gar nicht auf den Kapitalismus beschränkt, sondern ließ sich in den Sowjet-Regimes genau so beobachten, wie im Feudalismus.

Der Unterschied zwischen Demokratie und Autokratie ist den Autoren zufolge weniger eine Frage der Rechtskonstruktion, sondern der Verteilung von Abhängigkeiten, also Macht. Olaf Scholz und Putin wollen beide an der Macht bleiben, doch Scholz hat dafür einfach ein viel größeres Tatsächliches Elektorat und gewinnende Koaliton zu managen, als Putin.

Dass Machtkonzentration und Demokratie nicht so gut miteinander können, hat bereits der Ressourcenfluch gezeigt, der eigentlich Machtkonzentrations-Fluch heißen sollte, denn nichts anderes sehen wir in den USA und in Ansätzen bereits auch in Deutschland.

Wenn sich die materielle Macht in einer Gesellschaft so weit konzentriert, dass sich die Politik an ihr nicht mehr vorbeibewegen kann, ist es egal, was für ein tolles, aufgefeiltes Rechts- und Demokratiesystem wir haben. Wenn es so wenig Hügel einzunehmen gilt, um an die Macht zu kommen, ist jede Demokratie immer nur zwei Züge von einen Coup entfernt.

Krasse Links No 42

Willkommen zu Krasse Links No 42. Packt Euren Anarchokapitalismus in die Habermas-Engine, heute inszenieren wir den KI-Coup entlang der Agency der Wale.


Ben Miller schreibt lesenswert über die Bundestagswahl.

Olaf Scholz, Friedrich Merz, Robert Habeck. Have any three men ever presented a less inspiring electoral choice, or more perfectly reflected the exhaustion, stupidity, and delusion of a country’s political elite? Scholz, a grim-faced middle manager lacking in inspiration, skill, and distinction, implicated in a tax scandal that cost the state billions, never should have been Chancellor, and won election based on his opponents’ mistakes. Merz, an aging representative of West Germany’s unreconstructed 1980s business-oriented conservatives, is impulsive, short-tempered, and appears to believe he can single-handedly will the country back to the good old days in Bonn when men were men and Mercedes ran on diesel. Habeck, in his own quiet way the most contemptible of the three, is a costume-party intellectual obsessed with self-promotion, a self-proclaimed anti-racist whose most famous speech of the past four years characterized every Muslim migrant in Germany as a potential security threat guilty of antisemitism until proven innocent.

Von diesem trostlosen Ausgangspunkt aus geht es nur noch weiter in die Krise.

When Merz, three weeks before national elections, voted with that Nazi heiress and her party full of far-right extremists to arm Germany’s borders against asylum-seekers, muttering incoherently in parliament about entirely fictive “daily gang rapes” of German women by hordes of migrants like any other boomer uncle with a terminal case of Facebook Brain, the liberal German establishment gasped in horror. But for the past four years, they have been applauding precisely the same racist fever dreams, the same authoritarian crackdowns. To these liberals’ relief, the men without qualities will almost certainly form a government between them after these elections. Absent any plan to address them, Germany’s problems will grow worse: the rich richer, the poor poorer. A glimmer of hope emerges from a Left Party that seems to have found its backbone at the last possible moment. The Nazis are waiting in the wings.


Bei der Berliner Polizei schulen sie gerade auf „Internet Research Agency“ um und verbreiten offenbar selbstfälschte Fake News Propaganda.

Die Berliner Polizei hat am gestrigen Sonntag am Rande einer Demonstration gegen AfD und CDU in Berlin das Fahrzeug „Adenauer SRP+“ der Aktionskünstler:innen des Zentrums für politische Schönheit sichergestellt. Über die Maßnahme verbreitete die Polizei dann einen Tweet bei der Plattform X und eine Instagram-Story darüber, wie der Polizeifahrzeugen sehr ähnlich aussehende Bus der Künstlergruppe abgeschleppt wurde. Dabei retuschierte sie auf dem Fahrzeug die Aufschrift „Adenauer SRP+“.

Das manipulierte Pressebild der Polizei landete dann in der Berichterstattung von Tagesspiegel und t-online. Erst auf Hinweise aus sozialen Medien fügten sie einen Zusatz im Artikel hinzu, in dem es heißt, das Bild sei von der Polizei verändert worden.

Der Bus wird derweil mit allerlei willkürlichen bürokratischen Schikanen drangsaliert.

Auch ganz ohne AfD und BSW rücken wir politisch immer näher an Putins Russland ran?


Bei Correktiv haben sie einige unternehmerische Seilschaften in der CDU identifiziert, die mit verantwortlich sind, Friedrich Merz und die CDU zu einer Normalisierung der Zusammenarbeit mit der AfD zu drängen. Vorbild ist dabei die Kapitalo-Faschistische Machtergreifung in den USA.

„Seit Langem ist zu beobachten, wie die Ultrarechte die moderaten Konservativen verschlingt – genau das droht jetzt auch in Deutschland mit der CDU“, sagt der Politikwissenschaftler Claus Leggewie. Vor allem jüngere Funktionäre hielten sich nicht mehr an die moralische Richtschnur des „hohen C“. Animiert von marktradikalen Organisationen wie der INSM begünstigen sie eine Art Klassenkampf von rechts gegen die Schwächsten.

Egal, ob in Deutschland oder USA; es gibt eine unheilige Allianz zwischen (Fossil-)Oligarchie und Rechtsrextremismus, die das Ziel hat, die demokratische Ordnung zu beseitigen und einen kulturellen Rechtsschwung durchzuprügeln.

Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit, Antifaschismus und Antikapitalismus sind jetzt ein Kampf.


In Foreign Affairs arbeiten sich Steven Levitsky und Lucan A. Way durch alle möglichen Arten, wie Trump und Musk nun den Staat „Weaponizen“ können. Das schöne ist, dass sie sich dabei rigoros an Beispielen in der US-Vergangenheit oder anderer Staaten bedienen, um diese Schritte plausibel zu machen.

America is on the cusp of competitive authoritarianism. The Trump administration has already begun to weaponize state institutions and deploy them against opponents. The Constitution alone cannot save U.S. democracy. Even the best-designed constitutions have ambiguities and gaps that can be exploited for antidemocratic ends. After all, the same constitutional order that undergirds America’s contemporary liberal democracy permitted nearly a century of authoritarianism in the Jim Crow South, the mass internment of Japanese Americans, and McCarthyism. In 2025, the United States is governed nationally by a party with greater will and power to exploit constitutional and legal ambiguities for authoritarian ends than at any time in the past two centuries.

Levitsky und Way werden mit einer Menge recht behalten, dennoch halte ich die dort beschriebene Orbanisierung noch für den Best Case? Musk und die Techoligarchen sind nicht nur einfach korrupte Geschäftsmänner, denen es genügt, über allen zu stehen. Sie haben einen Plan, sie haben die Mittel und mit dem Longtermism eine unendlich skalierbare Erlaubnisstruktur.


Einen der besten Texte, die sich mit den faschistischen Merkmalen der neuen Trumpregierung beschäftigen, kann man bei Rainer Mühlhoff im Verfassungsblog lesen.

Im Zusammenspiel von Trumps autoritär-wahnsinniger Politik und der Aneignung der Bürokratie durch seinen Schergen Musk realisiert sich lehrbuchhaft ein Theorem des Nazi-Staatsrechtlers Carl Schmitt: „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand verfügt“ – wer also auf Ebene der Abläufe und Prozeduren Demokratie und Rechtsstaat aushebelt. Was bereits der NSDAP als Playbook galt, wird auch hier wieder herangezogen: Ziel der faschistischen Politik ist die Übernahme des Apparats, nicht eine bestimmte Politik innerhalb desselben.


Der Historiker Quinn Slobodian schreibt in den Blättern lesenswert von den historisch ideologischen Wurzeln des Anarchokapitalismus.

Die Hauptfigur im sezessionistischen Bündnis war Murray Rothbard. Er war 1926 in der Bronx zur Welt gekommen und hatte sich im Universum der neoliberalen Denkfabriken hochgearbeitet. Seit den 1950er Jahren war er Mitglied in der Mont Pèlerin Society. In seiner gesamten Laufbahn arbeitete er an der Entwicklung einer besonders radikalen Version des Libertarismus, die als „Anarchokapitalismus“ bezeichnet wird.[1] Er lehnte jede Art von Regierung ab, betrachtete Staaten als „organisiertes Banditentum“ und Steuern als „Diebstahl in gewaltigem Ausmaß“. In seiner idealen Welt sollte der Staat vollkommen beseitigt werden. Innere Sicherheit, Versorgungswirtschaft, Infrastruktur, Gesundheitswesen: Sämtliche Dienste sollten über den Markt angeboten werden, und ein Sicherheitsnetz für jene, die sie nicht bezahlen konnten, würde es nicht geben. Die Verfassungen sollten durch Verträge ersetzt werden, und die Menschen würden nicht länger Bürger eines Landes, sondern Klienten verschiedener Dienstleister sein. Das Gemeinwesen wäre eine Antirepublik, in der das Privateigentum und der wirtschaftliche Austausch jede Spur der Volkssouveränität auslöschen würden.


Gideon Rachman beschäftigt sich in der Financial Times mit dem zunehmend expansionistischen Kettenrasseln der Trump-Regierung.

His fascination with acquiring territory has startled even some of his supporters. But Trump’s expansionist ambitions are easier to understand, if seen as part of a global trend. The two other world leaders that he seems to view as genuine peers — Vladimir Putin and Xi Jinping — also see territorial expansion as a key national goal and part of their personal claim to greatness.

[…]
The world may be moving from an era where smaller countries could claim the protection of international law to one in which, as Thucydides put it, “the strong do what they can and the weak suffer what they must”.
[…]
Elon Musk, who is doing much of the crushing, has said that he thinks about the fate of the Roman empire every day and suggested that America might need a “modern-day Sulla” — a Roman dictator who murdered hundreds of his opponents, while reforming the state. You have been warned.

Es ist nicht leicht, sich mit neuen Realitäten anzufreunden, aber wenn wir nicht bald aus den untergehenden Kontinuitäten aufwachen, die Nato verloren geben und uns ganz schnell neue Bündnisse gegen den Internationalen Faschismus suchen, wird er uns auf die eine oder andere Art frühstücken.


Eryk Salvaggio findet in Techpolicy Press (wie ich), dass KI ein Coup ist. Was ich vor erschreckend kurzer Zeit als Möglichkeit an den Horizont zeichnete, spielt sich aber viel anfassbarer als je von mir gedacht in den Bundesbehörden der USA ab, wo Elon Musks Doge einen Großteil der Belegschaft mit KI-Bots ersetzen will.

AI then becomes a tool for replacing politics. The Trump administration frames generative AI as a remedy to „government waste.“ However, what it seeks to automate is not paperwork but democratic decision-making. Elon Musk and his Department of Government Efficiency (DOGE) are banking on a popular but false delusion that word prediction technologies make meaningful inferences about the world. They are using it to sidestep Congressional oversight of the budget, which is, Constitutionally, the allotment of resources to government programs through representative politics.

Das ist natürlich in sicherer Pfad in die Katastrophe, aber Politiker*innen und einem teil der Bevölkerung scheint man diese Vollidiotie verkaufen zu können.

To serve its purpose, any generative AI deployed here wouldn’t have to be good at making decisions or even showcase any new capacities at all. It merely has to be considered a plausible competitor to human decision-making long enough to dislodge the existing human decision-makers in civil service, workers who embody the institution’s values and mission. Once replaced, the human knowledge that produces the institution will be lost.

So wie generative KI sich nicht nur als Alternative zur Suche positioniert hat, sondern die klassische Suche auch mit KI-Slop unbrauchbar gemacht hat, so besteht der eigentliche Coup nicht in der KI, sondern in der Zerstörung des Wissens, das in den Köpfen der geschröpften Behörden lag. Was an Organisation übrig bleibt, residiert fortan in der Obskurität der LLM-Black Box, die nur durch die von Musk eingesetzten Priesterschaft der ScriptKiddies beschwörbar ist.

Seizing congressional oversight of government spending and programs enacted by statute and handing them to an automated system would be the first sign that the AI coup is complete. It would signal the transition from democratic governance to technocratic automatism, in which the engineers determine how to co-opt Congressional funding toward the goals of the executive branch. Refusing to share insight into the system’s outputs — deferring to a combination of security or even commercial concerns and myths of „black box“ neural networks — would shield it from any real scrutiny by Congress.

Salvaggio warnt:

AI achieves „efficiency“ by eradicating services. AI, like Big Data before it, can use convenience and efficiency to bolster claims to expand digital surveillance and strip away democratic processes while diminishing accountability.


Kyle Chayka sieht im New Yorker noch eine andere mögliche Strategie hinter dem KI-Coup.

Ultimately, though, Musk’s push for A.I. in government may be best understood as a marketing tactic for a technology that Silicon Valley sees as an investment too big to fail. A.I. is meant to be powerful enough to rule the world, so rule the world it must.

Eine Übernahme der US-Adminstration durch KI wäre nicht einfach ein ShowCase, es wäre die gewaltsamst mögliche Art, den Menschen ihre Produkte in den Rachen zu prügeln und sich dabei noch mit Steuergeldern gesund zu stoßen.


Im Wallstreet Journal fragt Tim Higgens sich, ob Musk „Too Big to Tame“ ist und stellt zumindest fest, dass die rechten Influencer nur wenig beunruhigt sind.

Conservatives in general have rallied to support Musk as unassailable, often suggesting that he is unimpeachable because of his wealth, estimated at around $400 billion. They note Musk personally campaigned for Trump on the commitment of helping slash the government.

“He’s so rich, he’s so removed from the potential financial influence of it,” Chris Sununu, the former Republican governor of New Hampshire, told CNN late last year

Influential podcaster Joe Rogan, an ally of Musk, said something similar this past week, dismissing concerns being raised about Musk’s intentions.

“He has $400 billion, I’m telling you, he’s not going to steal your money—that’s not what he’s doing,” Rogan said. “He’s a super genius that has been f—ed with, OK, and when you’ve been f—ed with by these nitwits that hide behind three-letter agencies, and you’re dealing with one of the smartest people alive and he helps Donald Trump get into office and he goes, ‘I want to find out what kind of corruption is really around.’”

Bro, der Typ ist ein Genie! Ein fucking reiches Genie, sag ich dir, Bro! What could possibly go wrong?


Mein Lieblingsgenre sind ja KI-Leute die beim Nachdenken über Agency accidentally Poststrukturalismus rausfinden.

Main Claim. We here address this puzzle by arguing that the attribution of agency to a system is fundamentally dependent on a choice of reference frame. That is, the agency of any system is relative in the sense that it depends on arbitrary commitments that we collectively call a reference frame. For example, one such commitment is whether the system is meaningfully pursuing a goal; depending on how we codify what counts as meaningful goal-pursuit, the system will either be understood as having agency or not. We support this main claim by illustrating that each of the four properties of agency are themselves relative to a choice of some reference object or commitment—that is, reaching a conclusion about whether a given system possesses each property requires an independent commitment whose choice is arbitrary. At present, our definitions, claims, and arguments are purely philosophical, though we note that a rigorous presentation of this perspective is a natural and fruitful direction for future work.

Sie definieren Agency als „an input-output system’s capacity to steer outcomes toward a goal“ und destillieren daraus vier Kriterien: ein Agent hat Agency, wenn „it has (1) a boundary, (2) is the source of its own actions, (3) has a goal, and (4) adaptively selects outputs based on inputs„.

Es macht Spaß zu lesen, wie sie durch jeden dieser Punkte steppen und daran scheitern, diese Fragen „objektiv“ zu beantworten, aber zur Anschauung hier der Abschnitt über die Zuordbarkeit von Handlungen:

For instance, a wall being knocked over by a wrecking ball could be understood as taking the action of being knocked over. However, the source of this action (and the corresponding potential energy) did not ultimately originate in the wall, but rather in the wrecking ball and its operator.

Und was ist mit dem Chef des Operators, der ihm den Befehl gab, die Mauer abreißen? Was ist mit der Kapitalist*in, gemäß deren Plänen die Wand abgerissen wird? Etc.

Kenton et al. (2023) recently develop a causal account that determines which entities in a causal model might be said to satisfy roughly this property. The difficulty, as Kenton et al. note, is that reaching a conclusion about the source of action in a causal model rests entirely on the choice of causal variables. In this way, identifying whether a given subsystem originates its own action depends on an independent, unrelated choice: the causal variables. Kenton et al. state directly: ”Note [discovering an agent in a causal model] is relative to a frame – a choice of variables that appear in our causal model” (p. 2, Kenton et al., 2023).

Je genauer man hinschaut, sind Grenzen immer nur behauptet, ist der Beweger immer schon bewegt, das Ziel niemals komplett das Eigene und Adaption immer wechselseitig. Dieses Paper ist eine anschauliche Dekonstruktion der Ideologie des Individuums, aber ohne zu merken.

Weil nicht sein kann, was nicht sein darf, suchen sie den Ausweg im „Reference Frame“:

What is a Reference Frame? An agent reference frame is a collection of these four commitments that allow us to determine whether a system has each of the four properties. That is, a frame must include (1) a boundary that decides what is internal to the agent and what is external; (2) a reference object such as a set of causal variables that allow for determination of whether the system is the cause of its action; (3) a principle for isolating whether the system is meaningfully pursuing a goal; and (4) a choice of what changes in behavior count as meaningful adaptation. There are many valid ways to formalise these components; a boundary could be a cut in a graph (Jiang, 2019) or a Markov blanket (Friston et al., 2009). A precise mathematical construction of reference frames is a natural next step for further research.

Doch was wäre mit der Befüllung der fehlenden Variablen mit weiteren Vorannahmen gewonnen, wenn die Begründung dieser Vorannahmen wiederum „Reference Frames“ erfordern? Sie verstehen noch nicht, dass es aus diesem ständigen Aufschub kein Entrinnen gibt.

Es scheint fast so, als wäre der Agent nie der Agent, sondern immer nur der „Agent plus Welt“ und als residiere die Agency nicht im Agenten, sondern … in seinen Beziehungen zur Welt? Doch das ist halt im „Reference Frame“ des Individuums schlicht nicht darstellbar.


Noch lustiger fand ich nur die Meldung, dass KI-Forscher*innen tatsächlich eine Habermas-Engine gebaut haben:

AI researchers have reportedly invented a machine that will do civil debate for us, so we don’t have to. Researchers from Google’s DeepMind and the University of Oxford have developed an AI system that can digest clashing opinions and come up with a compromise that helps everyone meet in the middle.

The system is nicknamed a “Habermas machine”, after the philosopher Jurgen Habermas, who argued that, provided you get the conditions for debate right, people will agree more than they disagree.

Das ist nicht nur eine gelungene Karikatur der KI-Ideologie sondern auch von Habermas‘ „zwanglosen Zwang des besseren Arguments“.

Als wäre es komplett beliebig, wer dort aus welcher Perspektive argumentiert, mit welchen Lebenserfahrungen, mit welchen Abhängigkeiten, mit welchem Vorwissen und welchem Schmerz. Und als käme es beim Debattieren überhaupt nicht auf den Prozess an, auf das Sich-aufeinander-Zubewegen, das „Sich-Berühren-Lassen“ und das gemeinsame Erschaffen von „Common Ground“.


Pankaj Mishra, er war hier schon mal Thema, hat im Guardian einen sehr bemerkenswerten Essay über Deutsche Erinnerungskultur geschrieben.

The Israeli philosopher Yeshayahu Leibowitz remarked many years after Eichmann was hanged that his “trial was a total failure; Eichmann really was a small and insignificant cog in a big machine. I think it was a conspiracy by Adenauer and Ben-Gurion to clear the name of the German people. In exchange they paid us billions.” Marwecki provides the belated evidence for this scandalous claim while describing the “exchange structure specific to German-Israeli relations”: moral absolution of an insufficiently denazified and still profoundly antisemitic Germany in return for cash and weapons.

Seitdem hat sich statt einer echten Aufarbeitung und Entnazifizierung ein Selbstbild des „bekehrten Deutschen“ etabliert, dessen Hinwendung zu Israel die Bekämpfung des Antisenitismus und Faschismus im eigenen Land ersetzt. Da kommt die Mär vom „importieten Antisemitismus“ gerade recht.

Yet “white Christian-background Germans” see themselves “as having reached their destination of redemption and re-democratisation”, according to Özyürek. The “general German social problem of antisemitism” is projected on to a minority of Middle Eastern immigrants, who are then further stigmatised as “the most unrepentant antisemites” in need of “additional education and disciplining”. To denounce Germany’s Muslim minority as “the major carriers of antisemitism”, as Özyürek points out, is to suppress the fact that nearly “90% of antisemitic crimes are committed by rightwing white Germans”.

Mit der Unterstützung des Genozids in Gaza durch umfangreiche Waffenlieferung hat Deutschland mal wieder „Full Circle“ den „Anfängen gewehrt“.

It always seemed implausible that a collective moral education could produce a stable, homogeneous attitude across the generations. There are too many other factors determining what is remembered and what is forgotten, and the German national subconscious is burdened by a century of secrecy, crimes and cover-ups. It should not surprise us then that, as völkisch-authoritarian racism surged at home, Germany yet again became complicit, through its unconditional solidarity with Netanyahu, Smotrich, Gallant and Ben-Gvir, in murderous ethnonationalism. As Günter Grass wrote in his 2002 novel Crabwalk: “History, or, to be more precise, the history we Germans have repeatedly mucked up, is a clogged toilet. We flush and flush, but the shit keeps rising.”


Beim SWR gibt ein spannendes Feature zu den Semantiken der Wale.

Youngblood erklärt, es gehe um drei wichtige Gesetze aus der Linguistik, die aber auch zunehmend bei der Kommunikation anderer Tiere beobachtet wurden. Im Wesentlichen beschreiben sie, wie Informationen in der Zeit komprimiert werden, also wie effektiv Informationen übermittelt werden. „Das Potenzgesetz beschreibt, wie verschiedene Arten von Tönen oder Phrasen in Bezug auf ihre Häufigkeit verteilt sind.“, so der Forscher.

Je häufiger ein Wort ist, desto kürzer ist es. Ein Gesetz, das universell für Sprachen gilt. Aus der Linguistik-Forschung weiß man, diese sehr spezifische Verteilung von Wörtern, erleichtert Menschen eine Sprache zu lernen. „Das nennt man das Gesetz der Potenz, und sie fanden das exakt gleiche Muster in den Phrasen des Gesangs der Buckelwale.“, erklärt Youngblood.

Die Forschenden gehen davon aus, dass diese linguistischen Erscheinungsformen aus genau diesem Grund auch bei Buckelwalen auftreten: damit die Kommunikation möglichst effizient und für den Nachwuchs leichter erlernbar ist.

Krasse Links No 41

Willkommen bei Krasse Links No 41. Sorry, die Welt hat mich geddost. Wenn sich die Ereignisse so überschlagen, schaffe ich es nicht, die Reflexionsebene herzustellen, die der Newsletter benötigt. Ich finde mich gerade erst wieder.

Aber jetzt schnallt die Matrix an die Erlaubnisstrukturen, heute verschanzen wir die Kapitalo-Faschistische Machtergreifung in den Tiefen des Milliardärs-Klassenbewusstseins.


Ich habe mich kurzfristig im Aktivismus verloren, war so wütend, dass ich ein Video gemacht habe, war auf drei Demos und im Social Media-Rausch und bin (Disclosure!) in die Linkspartei eingetreten.

Ich versuche gerade so viele Menschen wie möglich zu diesem politischen Moment aufzuwecken. Das hier ist nicht eine der „Krisen“ oder „Umbrüche“, die wir aus der KohlSchröderMerkel-Zeit kennen. Das hier ist Großeltern-Level-Shit. Und entsprechend müssen wir unsere Imaginationsfähigkeit erweitern, denn sonst hängen wir, wie Biden, Harris, Scholz und Habeck und all die Journalist*innen in den Frames und Kontinuitäten fest, die gerade vor unseren Augen kollabieren. Verdrängung ist menschlich, aber gerade ist sie unser Feind.

Da ich mir abgewöhnt habe, auf Individuen zu schauen (Was für ein Mensch ist Merz?), sondern stattdessen Erlaubnisstrukturen tracke, (also alle impliziten oder expliziten Rechtfertigungen und Normalisierungen von Normverletzungen und Gewalt), kam ich nicht umhin festzustellen, dass die Ausschläge für die USA letzte Woche „off the charts“ waren und seitdem warte ich auf den eintreffenden Erlaubnis-Tsunami.

Man muss Merz Wortbruch bereits vor diesem Hintergrund sehen. Das ist nicht Merz, der spricht, das ist ein Vibe. Die Lust an der Lüge, die wütende Transgression als Mittel männlicher Kontrollsucht, die Geste der Einschüchterung und Erpressung und das Feiern der Regellosigkeit als Insigne der Macht. Es ist der neue Vibe des Kapitalo-Faschismus, in dem alles erlaubt ist, solange Du reich oder rechtsextrem genug bist.

Merz hat den Vertrauensbruch nicht begangen, weil er einen Wutanfall hatte; lasst euch das nicht einreden. Er hat das gemacht, weil er dachte, dass er damit durchkommt.

Merz und Linnemann haben sich verkalkuliert. Weil sie und ihre Mitarbeiter*innen zu viel auf X rumhängen, haben sie den Eskalationsgrad der hiesigen Erlaubnislandschaft überschätzt. Mit diesem Widerstand haben sie nicht gerechnet. Noch sind wir hier nicht so weit.


Das Hauptproblem ist aber: Die Brandmauer ist restlos kollabiert, was jede denkbare, demokratische Koalition unter Merz unmöglich macht. Jeder Juniorpartner wäre durch die geschaffene Erlaubnisstruktur ständig erpressbar, wie ich in diesem eilig aufgenommenen Video erkläre.

Unsere einzige Chance ist es, die Brandmauer hinter Merz wieder aufzubauen. Aber ich fürchte, das Zeitfenster dafür hat sich dafür bereits wieder geschlossen?


Christian Stöcker hat auf Spiegel Online eine seiner wissenschaftlich untermauerten Kolumnen geschrieben und diesmal über den Drumbeat der Migration. Die ganze Kolumne ist lesens- und sharenswert, aber am härtesten knallte dieser Fakt:

„Bis Anfang 2023 lag die Anzahl der Menschen, die den Themenkomplex »Ausländer, Migration, Flüchtlinge« für das »wichtigste Problem in Deutschland« hielten, immer irgendwo zwischen neun und elf Prozent. Dann begannen Friedrich Merz (»kleine Paschas«, »Die lassen sich die Zähne machen« ) und Jens Spahn (»mit physischer Gewalt aufhalten«), das Thema intensiv zu bespielen. Am 27. September 2024 hielten 42 Prozent Migration für das wichtigste Problem.“

Öffentlichkeit ist nicht die „Summe aller Meinungen“, sondern ein Trommelkonzert, das man mit genügend Trommelpower auf seinen Beat zwingen kann.

Den Effekt auf die Wahrnehmung der Öffentlichkeit erklärt Stöcker über die kognitive Verzerrung der „Verfügbarkeitsheuristik“:

Die Strategie der Partei basiert auf einer kognitiven Verzerrung, der alle Menschen unterliegen, der Verfügbarkeitsheuristik: Wenn wir etwas häufiger hören oder lesen, es uns also leichter »verfügbar« ist, dann erscheint es uns auch wahrscheinlicher.

Mir scheint, „kognitive Verzerrungen“ spielen in der Individualpsychologie die Rolle, die „Externalitäten“ in der Markt-Theorie der VWL spielen. Es sind Anhäufungen eingeräumter „Ausnahmetatbestände“ der Theorie, die davon ablenken, dass die Theorie falsch und die Ausnahmen die Regeln sind.

Weil wir keine Individuen sind, die mit „kognitiven Verzerrungen“ ihres eigentlich „objektiv-rationalen“ Denkapparates kämpfen, sondern dividuelle Pfadopportunisten, die einander auf Deutungspfaden folgen, bleiben wir auf die Deutungsangebote angewiesen, die uns materiell, semantisch und sozial zugänglich sind.

Wir können uns den ganzen Tag „kritische Gedanken“ machen, aber wenn uns alternative Deutungspfadgelegenheiten gar nicht erst erreichen, dann sind wir dem, was uns im Fernsehen oder Whatsappgruppen erzählt wird, hilflos ausgeliefert.


Sebastian Weiermann beschäftigt sich im ND mit Habecks 10 Punkteplan für mehr Migrationskontrolle.

Auch die Grünen sind vom rechten Zeitgeist ergriffen und stärken ihn. Statt darüber zu sprechen, dass dieser Planet verbrennt oder dass es in diesem Jahr schon sieben Femizide gab, wie es sich für eine feministische Klimapartei gehören würde, arbeitet man sich am von der extremen Rechten gesetzten Thema Migration ab.

Wenn man versteht, wie Erlaubnisstrukturen funktionieren, dann ist es um so schmerzhafter zuzusehen, wie Habecks 10Punkte-Plan der Grausamkeiten dabei hilft, das „Migrationsnotstands“-Narrativ zu festigen. Und das nur zwei Tage nachdem wir mit 700.000 Menschen dagegen auf die Straße gingen.

Habeck glaubt eine aktuell relevante „Programmlücke“ zu schließen, aber das Signal ist für viele Leute eine weitere Erlaubnis vom „Notstand“ zu faseln: „Siehste! Sogar die Grünen geben jetzt zu, dass wir einen Migrationsnotstand haben! Alle Mittel sind recht!“.

Die Lüge vom „Migrationsnotstand“ ist so unfassbar toxisch. Sie zwingt alle Akteure in einen Überbietungswettbewerb der Grausamkeiten und Regellosigkeit. Es ist eine selbstfeedende Spirale, in der die Regierung der Opposition strukturell ausgeliefert ist. Die Opposition kann immer absurd illegale und menschenfeindliche Forderungen stellen und die Regierung wird an relevanten Abschiebequoten verlässlich scheitern. Und ganz egal, wie oft sich Scholz zum „Abschiebekanzler“ ausruft oder wieviele seiner Werte Habeck den Rechten in den Rachen wirft, am Ende nutzt das immer nur wieder der AfD.

Die politische Öffentlichkeit in diesem Land hat sich in eine rassistische Schreispirale hineingewütet und es wird Zeit, diesem Wahnsinn ein Ende zu bereiten.


Friedemann Karig und Samira El Ouassil haben in ihrem Podcast Priatensender Powerplay eine True-Crime-Sonderepisode über die Gaslightningkampagne der Fossillobby gegen Habecks Heizungsgesetz. Sie klamüsern im Detail heraus, wie Konzern-, Finanz- und Oligarchie-Macht gezielt Propaganda einsetzt, um den Klimadiskurs zu steuern. Ganz am Ende kommt auch Habeck zu Wort und seine Antwort auf diesen kriminellen Angriff auf die Demokratie sind … Bürgerräte.

Bekommt ihr da nicht auch Bock, den Habeck-Automaten nochmal aufzuziehen und ihn gegen dieselbe Wand laufen zu lassen?

Ich erzähl mir die Geschichte so: Als die Grünen so groß in den Bundestag einzogen (und zwischendrin in den Umfragen noch größer waren), jagte das einigen sehr mächtigen Menschen einen gehörigen Schrecken ein, die von Merkel bisher in Ruhe gelassen wurden. Nicht, dass die Ampel jetzt besonders radikal agiert hätte, aber neben den finanziellen Risiken hat alleine der Anspruch der Grünen, Technologien (Verbrennungsmotor, Ölheizung) und Industrien (Fossil) politisch zu beenden, die Fossil-Oligarchen von ihren Yachten geschüttelt. Da ging es nicht mehr nur um Geld, sondern um die „Gefahr des Öko-Kommunismus“, die das libertäre Selbst- und Weltbild der Oligarchie erschütterte. Seitdem mobilisieren sie zum Gegenangriff.

Ihre „Thinktanks“ und Netzwerke sind seit jeher im Klimaleugnungs- und Gaslighting-Business unterwegs und daher sahen sie in der sich überall Luft machenden Gewalt gegen die Letzte Generation eine Pfadgelegenheit. Sie erkannten, was auch Tadzio Müller sah, nämlich dass es sich beim dem Hass um die Aggression des Verdrängenden gegen den Boten handelt. Und d.h. dass man den Hass der „Arschlochgesellschaft“ entsprechend bespielen und ausweiten kann.

Über die großen Pauken von Springer, FDP und CDU (die AfD trommelt den Beat ja eh), wurde daraus eine umfassende und dezidierte Kampagne gegen die Grünen, gegen Habeck und das restliche Personal und vor allem gegen all ihre Projekte, nicht nur gegen das Heizungsgesetz.

Und diese Kampagne war so erfolgreich, dass die Leute sich seit Wochen mit „Habeck ist doof“ auf der Straße grüßen.


Der Volksverpetzer hat in einem Video noch mal zusammengesammelt, warum die aktuelle Migrations-Panik jeder faktischen Grundlage entbehrt.

Die Gemeinsamkeiten der Kampagnen von Trump/Musk auf der einen und CDU/FDP/AfD auf der anderen sind augenfällig: Alle setzen ihr Hauptaugenmerk auf einen eskalieren Migrations- und Kulturkampf, aber an zweiter Stelle steht bei allen auch ein radikaler Umbau des Staates und der Wirtschaftspolitik, die mit unterschiedlichen Rezepten Wohlstand von unten nach oben transferieren soll.

Durch den Lärm der Migrationsdebatte bekommen viele Wähler*innen diesen öffentlich geplanten Raubzug gar nicht mit und die, die es mitbekommen, hören nur irgendwas mit „Effizienz“, „Markt“ und „Unternehmerische Freiheit“, also 1a Semantiken, wie die Matrix ihnen stets versicherte.

Wir müssen deswegen die Kapitalo-Faschistische Machtübernahme in den USA als unsere letzte Chance begreifen. Das einzige, was die Welle noch aufhalten kann, ist, wenn es uns gelingt, die Geschehnisse in den USA als uns drohende Zukunft plausibel zu machen. Wir müssen versuchen, die freigesetzte Energie aus diesem Schock als Gelegenheit zur Schismogenesis zu nutzen, und eine „semantische Sezession“ von den USA vollziehen. Nur ein lautes, kollektives „Nein“ zu Trumps und Musks angestrebter Gesellschaftsvision, kann uns vor ihr retten.

Deswegen empfehle ich zum Kopfaufmachen einen Dreischritt:

  1. Lest genau nach, was in den USA unter Trump und Musk gerade passiert.
  2. Versteht, dass Merz in diesem Moment die Weichen stellt, mit AfD und FDP hier dasselbe zu tun.
  3. Demonstriert, als wäre es das letzte mal, dass ihr das dürft.

Im Januar hatte ich meinen Vortrag beim MoMo Berlin gehalten, in dem ich im Grunde versuche den gedanklichen Pfad zu rekonstruieren, den ich ja größtenteils in diesem Newsletter entwickelt habe. Das Video ist für Außenstehende sicher eine irritierende Wundertüte eklektischer Theoriefragmente, aber als Crashkurs für die hier verwendeten Semantiken, ist er hoffentlich nützlich.

(Die ersten 5 Minuten ist der Ton leider schlimm, danach ganz prima.)


Wer die letzte Woche USA-News geschwänzt hat, hat viel aufzuholen, aber gottseidank hat Annika Brockschmidt einen umfassenden Bericht über Musks Graphnahme des Staates geschrieben. Und auch darüber, dass die Medien den Plot verloren haben.

Wenn ein Staatsstreich in einem Land passiert, das zu Deutschlands wichtigsten Verbündeten zählt und das die größte Volkswirtschaft der Welt darstellt, sollte man meinen, dass das Schlagzeilen machen würde. In den Vereinigten Staaten von Amerika reißt seit Tagen ein nicht-gewählter Oligarch unermessliche Macht an sich, und deutsche Medien berichten weitgehend, als sei das alles “politics as usual”. Elon Musk, der reichste Mensch der Welt, ist einer von Präsident Trumps engsten Beratern – aber kein offizielles Regierungsmitglied.

Ich fürchte, bei diesem Thema können wir uns nicht mehr blind auf die Legacy-Medien verlassen, denn sie sind, wie die Politiker*innen in ihren deutsch-amerikanischen Frames und Kontinuitäten gefangen. Das äußert sich vor allem an einem Phänomen, das man in den USA schon länger „sane washing“ nennt, also das unaufgeforderte Bereitstellen von Erklärungen, warum das, was Musk und Trump tun, entweder ganz anders ist als Du denkst, oder irgendwie nicht so wichtig.

Wir haben einen Vorgeschmack davon bei der Berichterstattung über Musks Hitlergruß gesehen und wir sehen es auch in den kläglichen Versuchen, deutscher Medien und Politik, uns weiß zu machen, dass die Brandmauer noch existiert. Mit den explodierenden Erlaubnisstrukturen rund um Elon Musk explodierte auch das Gaslighting der Legacy-Medien und das Resultat ist eine Hypernormalization, also ein entleertes weitererzählen der Gegenwart aus Mangel an Alternativen. Hence die weirde Unaufgeregtheit unserer liberalen Eliten.

Für die USA hat das Techdirt sehr lesenswert aufgearbeitet und das Altpapier für Deutschland.

Das ist keine Verschwörung oder so. „Benefit of the doubt“ ist in der Realität halt immer „Benefit of the powerfull“. Man räumt demjenigen, von dessen Kooperation man abhängig ist, Kredit ein. Und dann mehr Kredit. Und dann noch mehr, usw. Bei Menschen ohne Macht, passiert meist das Gegenteil.

Lasst Euch nicht gaslighten. Diese Normalisierung ist bereits Teil der schleichenden Faschisierung und man muss sich ihr aktiv widersetzen.


Vielen dank, dass Du Krasse Links liest. Da steckt eine Menge Arbeit drin und bislang ist das alles noch nicht nachhaltig finanziert (ich hab nochmal nachgerechnet (hatte einige Einmalspenden für Dauerauftröge gehalten) und komme jetzt doch nur auf € 245,15 – von eigentlich notwendigen € 1.500,-). Mit einem monatlichen Dauerauftrag kannst Du helfen, die Zukunft des Newsletters zu sichern. Genaueres hier.

Michael Seemann
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Die Cybersecurity Expertin Violet Blue ordnet Musks Coup aus Blickwinkel der Threat Analyse ein:

In cybersecurity terms, DOGE is “insider threat,” APT (Advanced Persistent Threat), and domestic adversary combined. One that we can be sure has wildly varying levels of cybersecurity competency and security hygiene.

Musks ganzer Coup gleicht einem Hackerangriff. Durch die Besetzung der wichtigsten Computer und Behörden hat sich die „Root“-Rechte der materiellen Infrastruktur des Staates bemächtigt. Er kann jetzt jenseits von Recht und Gesetzen über Ausgaben bestimmen und all die Gesetze und Guardrails (die Budgetverfügung hat eigentlich der Congress) sind hinfällig.

Mittlerweile gibt es eine einstweilige Verfügung, dass die DOGE-Leute sich aus den Computersystemen des Treasury Departments nicht unautorisiert vergehen dürfen, aber ich zweifele, dass Musk diese Kontrolle wieder abgeben wird, wenn er sooo viele Möglichkeiten hat, nur so zu tun?


Henry Farrell und Abraham L. Newman haben sich bei Lawfare mit dem Kernstück von Musks Coup befasst, die Übernahme und Kontrolle der Zahlungsinfrastruktur des Staates, dem „Treasury Paymant System“ und weisen darauf hin, dass die USA diesen Zug im Grunde vorgemacht hat, als sie das internationale Bankeninformationssystem S.W.I.F.T. dafür einsetzte, Sanktionen gegen Iran und dann gegen Russland auf infrastruktureller Basis durchzusetzen.

We are highly familiar with such systems and how they can be used. Our academic research, and our recent book, “Underground Empire: How America Weaponized the World Economy,” explain how the U.S. quietly took control of similar technical systems that hold the world economy together and used them to exercise domination over allies and enemies alike. Now, Musk is seemingly doing to the U.S. government what the U.S. government once did to the rest of the world: refashioning the plumbing of the federal government into a political weapon against his adversaries.

Witzig manchmal, welche Umwege Erlaubnisstrukturen nehmen?

Ich bin erst kürzlich darauf gekommen, dass Staatsstreiche, genauso wie Landnahmen, in Wirklichkeit schon immer Graphnahmen waren, also das Erobern von Netzwerken durch Besetzung netzwerkzentraler Infrastrukturen.

Musk hat sich halt den Bauplan des Todessterns besorgt und die infrastrukturellen Flaschenhälse erkannt und in Beschlag genommen. Und alle liberalen Kommentator*innen schreien jetzt rum, dass das gegen die Regeln ist. Liberale können den Faschismus nicht verstehen, weil sie in ihrem Denken in Institutionen und Prozessen verfangen sind, und ihre Vorstellungskraft verloren haben, was nackte Gewalt alles bewirken kann.


Für diejenigen, die jetzt sagen, dass das kein Coup ist, weil Musk doch schon irgendwie Teil der Regierung ist, verweist Paul Krugman auf den Begriff des „Autogolpe“ oder des „Selbst-Coups“, die anderswo auf der Welt eine durchaus gängige und bekannte Praxis ist.

For what’s happening in America right now is an attempted autogolpe.

Latin American readers are surely familiar with the term. An autogolpe is literally a “self-coup” — when a legitimately elected leader uses his position to seize total control, eliminating legal and constitutional restraints on his power. Are Musk and Trump trying to pull off an autogolpe here? Of course they are. And they are doing so with, as far as I can tell, the full support of every Republican in the House and the Senate.


Eine spannende Analyse der übergeordneten Dynamik des Staatsstreichs kommt wie oft von Thomas Zimmer.

Es ist auffällig, dass je nachdem, wen man fragt, einfach Project 2025 umgesetzt wird, Musk die Staatsgewalt ansichreißt, den Techoligarchen gleichzeitig zum Crypto-KI-Ungetüm umrüsten, während MAGA seine Rache an „Wokistan“ nimmt. Der Witz ist: alles gleichzeitig wahr ist.

But the most plausible interpretation, I believe, is that it isn’t just one thing. The assault is coming from several directions. There are the reactionary elites mostly aligned with Heritage and Project 2025; there are the America First nativists; there are the techbro feudal barons. There is also, let’s not forget, Donald Trump as a slightly idiosyncratic factor, driven entirely by a sense of grievance, a desire for revenge, and his personal obsessions (tariffs, for instance; and the urge to install a politics of domination both domestically as well as on the world stage). All of these different factions of the Trumpist Right have been let loose on the government. Invoking the will of the president, they have declared themselves masters of the world. It is genuinely unclear how much coordination there is between them. Their actions add up to an often chaotic, but nevertheless comprehensive assault on the constitutional order. Less the execution of a single master plan – and more a MAGA feeding frenzy.

Trumps Regierungstechnik ist einfach alle ihre jeweiligen Projekte durchführen zu lassen, wie von der Kette gelassene Räuberbande, die ein Dorf überfällt.


Brooke Harrington – wir erinnern uns, sie erfand das Wort „Broligarchs“ – hat in den Blättern für Internationale Politik die Grundzüge dieser neuen Regierungsform scharf und deutlich konturiert.

Wenngleich einige von ihnen Trump zuvor wegen seiner Einwanderungs- oder Zollpolitik ablehnten, teilen die Broligarchen seine Politik der Straflosigkeit: die Vorstellung, dass einige Männer über dem Gesetz stehen sollten. Diese trotzige Ablehnung jeglicher Beschränkung und jeglicher Verpflichtung gegenüber den Gesellschaften, die sie reich gemacht haben, ist unter den Ultrareichen der Welt weit verbreitet, einer Gruppe, deren Praktiken und Normen ich seit fast zwei Jahrzehnten studiere.

Broligarchs sind motiviert, genau jene Form der Unangreifbarkeit für sich zu reklamieren, die Trump (und jetzt auch Musk) ihnen vorleben. Dabei greifen sie auf Superheldenerzählungen zurück.

Superhelden-Erzählungen scheinen auch viele von Musks exzentrischeren politischen Ansichten zu beeinflussen. So wird berichtet, er sei überzeugt, dass Superintelligente die Pflicht hätten, sich zu vermehren. Der Einfluss von Superhelden-Narrativen könnte auch erklären, warum Musk im September auf X einen Post weiterverbreitete, der behauptete, eine Republik hochrangiger Männer sei unserer derzeitigen Demokratie überlegen. Im November verglich er Matt Gaetz, Trumps damaliger Kandidat für das Amt des Justizministers, mit Judge Dredd, einer dystopischen Comicfigur, die befugt ist, summarische Hinrichtungen durchzuführen. Musk scheint dies als Kompliment gemeint zu haben.

Ein Topos, der immer wieder Heldengeschichten generiert, ist das beständige Verwechseln von Gewalt mit Intelligenz.

Unabhängig von ihrer Herkunft hat das Gefühl der Broligarchen, von Natur aus überlegen zu sein, viele von ihnen zu einer ähnlichen Einstellung zur Besteuerung geführt wie Trump. Im Jahr 2016 prahlte dieser als republikanischer Präsidentschaftskandidat damit, jahrelang keine Steuern gezahlt zu haben. „Das macht mich schlau“, brüstete er sich während des TV-Duells mit Hillary Clinton.

Ich schätze, das war der Gründungsmoment des Milliardärs-Klassenbewusstseins. Trump räumte brutal öffentlich mit der Illusion der „Gleichheit vor dem Gesetz“ auf und zeigte, dass einfach nur fucking viel reicher als alle anderen zu sein, nicht das Ende der Fahnenstange einer „Person of Means“ sein muss. Unbegrenzte Macht und ungenierte Korruption sind nur eine Präsidentschaft entfernt?

Dieses Virus sprang zu Musk, Thiel, Sacks, Bezos, Zuckerberg etc., verbreitet sich aber immer weiter und findet über Döpfner und seine Freunde auch in Deutschland ständig neue Oligarchen-Hosts.


John Ganz macht den Ausschnitt noch mal größer um unseren aktuellen Moment der Kapitalo-Faschistischen Machtergreifung einzuordnen und auch er diagnostiziert das Milliardärs-Klassenbewusstsein.

Very simply put, here’s what I believe happened: In the process of accumulating enormous wealth, the tech-oligarchs created the conditions for their loss of social power and, when they realized this, they got a big dose of class consciousness and turned furiously reactionary.

Auch Ganz‘ Analyse von Musks Idiotie kann ich nur feiern:

Musk’s total idiocy is structural: it goes back to the very origin of the Greek term idiotes, a person who cannot understand the shared political life of the city. These people cannot understand that their wealth and power are not their sovereign creations but the shared product of the wider state and society that supports and sustains them. Cryptocurrency is the perfect embodiment of this structural misrecognition: its advocates say it represents wealth outside of the state and society, but its notional value is wholly determined by its price in fiat money, created and sustained by the state.

Infrastrukturvergessenheit ist nicht nur Grundlage ihrer Ideologie, sondern auch ihre Schwachstelle. Ihre Arroganz macht sie blind für ihre Abhängigkeiten und deswegen werden sie früher oder später krachend scheitern. Erst dann gibt es wieder Raum für neue Erzählungen.

Update aus der taz-lab-Schmiede (3): Mit oder lieber ohne Elon? | taz.de

Vorgemerkt: Ich bin am 28.4. auch beim taz-lab dabei.

ch persönlich freue mich, dass wir auch digitalpolitisch gut aufgestellt sind. So hat etwa das Social Media-Watchblog zugesagt, Technosoziologe Jürgen Geuter (im Netz bekannt als tante), Forscherin Alice Rombach oder auch Plattform-Experte Michael Seemann.

Quelle: Update aus der taz-lab-Schmiede (3): Mit oder lieber ohne Elon? | taz.de

Repotting Communities

English [German Version]

So, you really, really want to leave X, but you can’t because there is this one community that exchanges the best baking recipes, discusses the latest news on the political situation in northern Kenya, because it’s where the most sophisticated discourse on data protection issues is conducted or the next action against patriarchy is planned.

I get it. What you are suffering from is called lock-in. For our purposes, it is enough to understand that there are others, who feel the same about you. People can’t leave X because you matter to them.

So it turns out that everyone wants to leave, but no one is leaving. You are unintentionally holding each other hostage to Elon Musk’s benefit. That has a name too: it’s called the “collective action problem”.

You need to understand: you can’t just leave, because you’re a plant. You need to repot yourself.

Here’s how it’s done:

Step 1: What is your community?

Communities on X are loosely connected networkes of people who gather around a topic, rather than a definable group. Try to define them anyway:

Questions you may ask yourself:

  • What topics does the community gather around?
  • How many people are likely to be part of the community (more like 50 or 1000, or even 10,000?)
  • What does the community feel towards staying on X?
  • Are some parts of the community already on other services? If so, where are most of them?

Be careful: a large community of more than 10,000 people will be difficult to handle and means a lot of work.

Step 2: Who are the key players in the community?

All communities have visible and less visible members. Create a top 10 of the most important accounts of that community.

The following criteria may play a role here:

  • Reach
  • Degree of interconnectedness with other community members
  • A special status
  • Reputation, thoughtleadership or being a rolemodel
  • Diversity

Caution: Pay attention to inclusion and diversity. If your top 10 only includes white men, you probably haven’t looked closely enough.

Step 3: Form gangs

Message all 10 accounts and convince them to help you move the community. You will be surprised how many appreciative responses you will get (as I said, almost everyone wants to leave). Some will also decline, sure, but that’s fine.

Important: at this step, you should not come across as moralizing or demanding:

  • Not: “The community has to move!”
  • Rather: “You are important to me, I value the community. Will you help me moving the community somewhere safe?”

Caution: One friendly request is enough. No elaborate persuasion. You don’t have to convince everyone. Two or three allies are enough for starters, but the more the better.

Step 4: Group chat

Open a private group chat (on X or somewhere else) with everyone who wants to join.

What you should work out together:

  • Where is the community moving to?
  • By when should the move be complete? (one to two weeks?)

Be careful: don’t specify everything from the outset. Stay open to your colleagues‘ suggestions. Make democratic decisions. You are now a gang.

Step 5: Organize

Goto Step 2: Each of you writes to 10 other community members who are important to you. Recruit whoever wants to join the effort, and let everyone else know: “From then on, we’ll only be there and there, join us!”

  • successful news in the chat.
  • Share an open document to coordinate and note the old and new handles so that everyone can find each other.

Step 6: Public

Only when you feel the majority of the most important tweeters are on board, you start the public campaign. Post a lot and make it clear that the show will be over soon on X and where to go instead.

Everyone retweets everyone.

Remember: many participants in the community are silent readers, they should get the memo too.

Step 7: Hospitality

Make sure that newcomers find their way around the new service and, above all, that they find each other and that the conversation gets rebooted.

Take care of each other. Leaving hurts.

No, it will never be like Twitter again. But now there is a chance for something new.

MoMo Berlin – Vortrag Michael Seeman 2025: Semantik für Fortgeschrittene / Donna Haraway und ChatGPT – YouTube

Mein Vortrag von Montag letzter Woche ist nun auf youtube. Der Ton ist am Anfang etwas schlimm, wird dann aber besser und das kleine zappelnde etwas oben rechts im Bild bin ich. 🙂

Der Berliner Kulturwissenschaftler Michael Seemann hat im Jahr 2024 über eine Menge grundlegender Dinge seine Meinung geändert. Es kam auch viel zusammen: Das allgemeine Pandemietrauma, seine Dissertation zu der Macht der Plattformen, sein Weggang von Twitter nach der Übernahme durch Elon Musk und dessen Umfunktionierung zur Propagandawaffe, der Rechtsruck, die sich konzentrierenden reaktionären Strömungen im Silicon Valley, vor allem rund um Crypto und Künstliche Intelligenz – die Tatsache, dass er jetzt er jetzt einen Hund hat.

Communities Umtopfen

Deutsch [English Version]

Du willst eigentlich gern von X weg, aber das geht nicht, weil da diese eine Community ist, die die besten Backrezepte tauscht, die neusten Nachrichten zur politischen Lage in Nord-Kenia diskutiert, wo der gepflegteste Diskurs über Datenschutzthemen geführt wird oder die nächste Aktion gegen das Patriarchat geplant wird.

I get it. Das woran Du leidest hat einen Namen: Es heißt LockIn. Für unsere Belange reicht es, wenn Du verstehst, dass es den anderen mit Dir ebenso geht. Leute gehen nicht von X weg, weil Du Ihnen wichtig bist.

So kommt es, dass alle weg wollen, aber niemand geht. Ihr haltet Euch gegenseitig als Elon Musks Geiseln. Auch das hat auch einen Namen, es nennt sich Collective Action Problem.

Du musst verstehen: Du kannst nicht einfach gehen, denn Du bist eine Pflanze. Du musst Euch umtopfen.

Hier wie das geht:

Schritt 1: Was ist Deine Community?

Communities auf X sind mehr lose vernetzte Leute, die sich um ein Thema scharen, als eine abgrenzbare Gruppe. Versuch sie zu definieren:

Fragen, die man sich stellen kann sind:

  • Um welche Themen schart sich die Community?
  • Wie viele Leute sind wohl teil der Community (eher 50 oder 1000, oder gar 10.000?)
  • Wie ist die Stimmung der Community zum Verbleib auf X?
  • Sind vllt teile der Community bereits auf anderen Diensten unterwegs? Wenn ja, wo sind die meisten?

Vorsicht: eine große Community > 10.000 Leute, wird schwer zu stemmen sein und bedeutet viel Arbeit.

Schritt 2: Wer sind die netzwerkzentralen Akteure der Community?

Alle Communities haben sichtbarere und weniger sichtbare Mitglieder. Erstelle eine Top 10 der wichtigen Accounts, die in dieser Community unterwegs sind.

Folgende Kriterien können dabei eine Rolle spielen:

  • Reichweite
  • Vernetzungsdichte mit anderen Community-Mitgliedern
  • Ein besonderer Status
  • Ansehen und Vorbildhaftigkeit
  • Diversität

Vorsicht: Achte auf Inklusion und Diversität. Wenn Deine Top10 nur weiße Männer enthält, hast Du wahrscheinlich nicht genau genug hingesehen.

Schritt 3: Bilde Banden

Schreib alle 10 Accounts an und überzeuge sie, Dir beim Umzug der Community zu helfen. Du wirst überrascht sein, wie viele positiv auf diesen Vorschlag reagieren (wie gesagt: fast alle wollen weg). Einige werden auch absagen, klar, aber das ist völlig OK.

Wichtig: bei diesem Schritt solltest Du besser in keinem moralischen oder fordernden Tonfall auftreten:

  • Nicht: „Die Community muss umziehen!“
  • Eher: „Du bist mir wichtig, die Community ist mir wichtig. Willst Du mir helfen, das was wir hier haben, woanders hin zu retten?“

Vorsicht: Einmal freundlich anfragen reicht. Keine aufwändigen Überredungsversuche. Du musst nicht alle überzeugen, es reichen am Anfang zwei bis drei Mitstreiter*innen, aber je mehr desto besser.

Schritt 4: Gruppenchat

Eröffne einen privaten Gruppenchat (gern auf X oder wo anders) mit allen, die mitmachen wollen.

Was Ihr gemeinsam klären solltet:

  • Wo zieht die Community hin?
  • Bis wann soll der Umzug komplett sein? (ein bis zwei Wochen?)

Vorsicht: gib nicht von vornherein alles vor. Bleib offen für die Vorschläge Deiner Mitstreiter*innen. Entscheidet demokratisch. Ihr seid jetzt eine Bande.

Schritt 5: Organisieren

Goto Schritt 2: Jede*r von Euch schreibt 10 weitere Teilnehmer*innen der Community an, die ihm/ihr wichtig sind. Rekrutiert wen ihr rekrutiert bekommt, allen anderen sagt ihr bescheid: „Ab dann und dann sind wir nur noch dort und dort, kommt mit!“

  • Erfolgsmedlungen in den Chat.
  • Teilt ein offenes Dokument, in dem Ihr die alten und neuen Handles vermerkt, damit sich alle wiederfinden.

Schritt 6: Öffentlichkeit

Erst wenn Ihr das Gefühl habt, einem Großteil der wichtigsten Leute bescheid gegeben zu haben, startet Ihr die öffentliche Kampagne. Postet viel und postet deutlich, dass hier auf X bald Schluss sein wird und wo es weiter geht.

Alle retweeten alle.

Bedenkt: Viele Teilnehmer*innen der Community sind stille Leser*innen, auch sie sollen das Memo bekommen.

Schritt 7: Gastfreundschaft

Sorgt dafür, dass die Neuankömmlinge sich auf dem neuen Dienst zurechtfinden und vor allem, dass sie ihre Kontakte wiederfinden und dass das Gespräch wieder in Gang kommt.

Kümmert Euch umeinander. Abschied tut weh.

Nein, es wird nie wieder so wie Twitter. Aber jetzt habt Ihr die Chance auf etwas neues.

fyyd: Natürliche Ausrede: 227 mit Michael Seemann über TikTok, Monopole und Netzwerkzentralität

Ich war wieder bei Chris von Natürliche Ausrede und habe mich getraut, ein paar Themen aus dem Newsletter zu behandeln.

Ein Gespräch über den Kniefall des Silicone Valley Industrial Complex vor Donald Trump über Monopoly und Monopole, warum ein “Ban” von TikTok auch einen Ban von Twitter / X nach sich ziehen müsste und warum wir uns in einer gesellschaftlichen Entwicklungsform befinden, in der ein Plutokrat wie Elon Musk seine enorme durch und in dieser Gesellschaft entstandene Infrastruktur zur persönlichen Diskurshoheit ausbeuten kann.

Quelle: fyyd: Natürliche Ausrede: 227 mit Michael Seemann über TikTok, Monopole und Netzwerkzentralität

Krasse Links No 40

Willkommen bei Krasse Links No 40. Unterwerft Euch dem Obskurantismus, heute streiten wir über Macht und Geld, während die männliche Gewalt die Genies dekolonialisiert.


Forbes berichtet, dass Mar-a-Largo zum Messeplatz von Militärtechnologie wird, wo Startups ihre Konferenzen, Finanzierungsrunden und Ausstellungen organisieren.

The property, once a destination for gaudy weddings and galas, and now a political hotbed, has become a favored location for venture capital funds hoping the appearance of proximity to the incoming president will bolster their fundraising efforts — or result in a chance meeting with someone who has his ear. “The energy that Mar-a-Lago and the new administration represents is that change is coming and change is needed,” Keegan told Forbes, adding that he had run into Trump while at the club. “When he walked out, I stood up and said, ‘Good luck, sir,’” Keegan explained. “He looked right at me and gave me the famous point, and said, ‘thank you very much.’”

Das geht einher mit einer zunehmenden Vernetzung und personellen Verquickung.

And this week, another firm, Balerion Space Ventures, is holding a one-day defense tech summit headlined by Tom Mueller, Elon Musk’s first employee at SpaceX, and Hamdullah Mohib, the former Afghanistan ambassador to the U.S. who now runs a space company in the United Arab Emirates. Cofounder Philip Scully, who has raised $60 million across two funds, and is now raising for Balerion’s third, said he expected potential administration officials to drop by. “We’re entering a period of time where it’s the golden era of hardware investing,” he said. Mar-a-Lago “is where everyone is right now.”

Der Wind hat sich gedreht und alle Vorbehalte, den Abstand zu den neuen Machthabern gewährleisteten, sind zusammengebrochen. Der Pfadopportunismus wird zur Unterwerfung.

That was a departure from the past, he said, when Marlinspike previously avoided opportunities to host events at Mar-a-Lago, available thanks to a limited partner who is a club member. “I didn’t want to upset you know, half of the potential limited partner universe,” he said. But since Trump was elected, he said the firm’s backers are “very favorable to the incoming administration.”

Die letzten Reste der Trennwand zwischen Politik und Wirtschaft werden begeistert abgerissen.

With a Mar-a-Lago member to sponsor their gatherings (initiation fees for new members can exceed $1 million), the Balerion and Marlinspike events were planned in a matter of weeks. “I love it, this is America, we’re a capitalist country,” Keegan said. “This is all about business.”


Jan-Werner Müller schreibt über den allgemeinen Trend zur Unterwerfung.

In the run-up to Trump 2.0, the speed with which former opponents of the once and future president are adapting to his re-election and displaying anticipatory obedience has been greater than anyone could have, well, anticipated. Prominent examples include Jeff Bezos, Mark Zuckerberg and congressional Democrats who seem to think that performing bipartisanship by loudly declaring their willingness to work with Trump might somehow be rewarded. But nobody likes to think of themselves as an opportunist; everyone wants to tell themselves (and the world) a story to justify their change of tune. As a character remarks in Jean Renoir’s movie La Règle du jeu – among other things, a profound study of the moral collapse of the French Third Republic – ‘there is something appalling on this earth, which is that everyone has their reasons.’

Zur genaueren Betrachtung pickt Müller sich den Historiker Niall Ferguson heraus, der zwar immer schon ein strammer Konservativer war, aber während der ersten Trump-Präsidentschaft auch ein lauter Gegner Trumps war und der nun … nunja, seine Meinung geändert hat.

In 2021, Ferguson described Trump as a ‘demagogue and would-be tyrant’. Last month he was dancing to ‘YMCA’ at Mar-a-Lago. A recent interview with the Times gives some insight into how Ferguson and others have learned to stop worrying and love the Donald.

Er ist ja nur eines von vielen Beispielen, aber wie es sich für einen öffentlichen Intellektuellen gehört, hat Ferguson die notwendigen semantischen Gymnastikübungen in der Time-Magazine abgeliefert, woraus Müller zitiert.

The storming of the US Capitol on 6 January 2021 is the biggest obstacle to any conversion to a pro-Trump position. Consequently, 6 January cannot have been what it seemed to be at the time (and was later confirmed to have been by Jack Smith’s report for the Justice Department). It was apparently not an insurrection aimed at keeping Trump in power; rather, according to Ferguson, ‘we were all treated to a theatrical event with an amateur cast that really one would be stretching the English language to call a coup or even an attempted coup.’

Ein Aspekt, an dem sich Müller bei Fergusons Rechtfertigung aufhängt, ist seine Beschreibung von Trump und vor allem auch Musk, als Genies, deren „Weitsicht“ man sich einfach zu fügen habe.

Pleading the genius exception in modern democracies is at least as old as Napoleon. Ferguson isn’t economical in his praise for Trump (‘What doesn’t kill him, makes him stronger’), but the greatest garlands are bestowed on Elon Musk, ‘the great colossal figure of our times … Elon’s ability to see not just around corners, but around galaxies, is truly dumbfounding.’ If someone can see around galaxies, it’s only fair that they should also see into all institutions of the state, in the name of achieving more ‘government efficiency’ – without petty concerns about conflicts of interest or old-fashioned worries about the accountability of unelected actors (‘unelected bureaucrats’ are a problem; unelected entrepreneurs are genius).

Wir alle haben gesehen, wie … herausgefordert diese „Genies“ sind, wenn wir ihnen direkt beim Problemelösen zuschauen konnten. Ferguson nutzt eine Erlaubnisstruktur, die sehr anschlussfähig im liberalen Lager ist: Weil wir gewohnt sind, den Einsatz von materieller Macht einfach auszublenden („Markt“, etc), erlauben wir uns öfter als uns lieb sein kann, Gewalt mit Intelligenz zu verwechseln.

Simple folks may think that Trump is ignorant, prejudiced, an agent of chaos etc. Smart observers see method in the madness. The ‘madman theory’, a term supposedly coined by Richard Nixon, really is a thing in the study of international relations: if you come across as unpredictable, or outright irrational, your foreign adversaries will treat you with caution or make concessions (whereas people on the inside also know that, if matters get out of hand, ‘the system’ will contain you).

Hier muss ich Müller allerdings widersprechen. Natürlich ist die „Madman“-Masche kein 5dimensionales Schach, aber einfach ein gut abgehangenes Pattern in vielen abusive Relationships?

Wer emotional instabil und unberechenbar ist, wer zu Tobsuchtsanfällen und Cholerik neigt, dessen Emotionen müssen von jenen, die von ihm abhängig sind, ständig gemanaged werden und in diesem Gemanaged-Werden liegt der Hebel, die Abhängigkeit der anderen auszunutzen. Wer unberechenbar ist, kann sich nicht nur mehr rausnehmen, er zwingst die anderen auch, ihm gegenüber ständig Konzessionen zu machen. Das ist zwar nicht sonderlich intelligent, aber als Form von Gewalt auch ziemlich effektiv?


Anne Applebaum schreibt im Atlantic über den Trend unter Populisten ihre Ideologien zunehmend auf esotherischen, okkultistischen oder sonstwie neo-spirituellen und verschwörungstheoretischen Erzählungen aufzubauen und zum Teil ihres Images zu machen. Sie steigt mit der TikTok-Überraschung in Rumänien ein, Călin Georgescu, der Wasser Bewusstsein zuschreibt, ein Freund von Alexander Dugin ist und allerlei Verschwörungstheorien verbreitet.

Sometimes he used pop-up subtitles, harsh lighting, fluorescent colors, and electronic music, calling for a “national renaissance” and criticizing the secret forces that have allegedly sought to harm Romanians. “The order to destroy our jobs came from the outside,” he says in one video. In another, he speaks of “subliminal messages” and thought control, his voice accompanied by images of a hand holding puppet strings. In the months leading up to the election, these videos amassed more than 1 million views.

Georgescu ist kein Einzelfall, Applebaum sieht diesen Trend überall: von Robert Kennedy, Tucker Carlson bis Sahra Wagenknecht, weswegen sie sich erlaubt, eines der Lieblingsspiele der Liberalen zu spielen: Die Negierung der Unterscheidung „Links“ und „Rechts“ in der politischen Landschaft.

The terms right-wing and left-wing come from the French Revolution, when the nobility, who sought to preserve the status quo, sat on the right side of the National Assembly, and the revolutionaries, who wanted democratic change, sat on the left. Those definitions began to fail us a decade ago, when a part of the right, in both Europe and North America, began advocating not caution and conservatism but the destruction of existing democratic institutions. In its new incarnation, the far right began to resemble the old far left. In some places, the two began to merge.

Die neuen Akteure formten mit ihrer Ablehnung von Wissenschaft, Rationalität und Vernunft stattdessen eine neue politische Strömung jenseits des Links-Rechts-Spekturms: den politischen Obskurantismus.

The philosophers of the Enlightenment, whose belief in the possibility of law-based democratic states gave us both the American and French Revolutions, railed against what they called obscurantism: darkness, obfuscation, irrationality. But the prophets of what we might now call the New Obscurantism offer exactly those things: magical solutions, an aura of spirituality, superstition, and the cultivation of fear. Among their number are health quacks and influencers who have developed political ambitions; fans of the quasi-religious QAnon movement and its Pizzagate-esque spin-offs; and members of various political parties, all over Europe, that are pro-Russia and anti-vaccine and, in some cases, promoters of mystical nationalism as well. Strange overlaps are everywhere. Both the left-wing German politician Sahra Wagenknecht and the right-wing Alternative for Germany party promote vaccine and climate-change skepticism, blood-and-soil nationalism, and withdrawal of German support for Ukraine.

Das kann man so sehen, aber dann lässt man außer acht, wer sonst noch so im Trump-Kabinett sitzt? Dreizehn davon sind Milliardäre? Darunter der reichste Mensch der Welt?

Und auch über Călin Georgescu schreibt Applebaum:

It is noteworthy that although Călin Georgescu claimed to have spent no money on this campaign, the Romanian government says someone illegally paid TikTok users hundreds of thousands of dollars to promote Georgescu and that unknown outsiders coordinated the activity of tens of thousands of fake accounts, including some impersonating state institutions, that supported him. Hackers, suspected to be Russian, carried out more than 85,000 cyberattacks on Romanian election infrastructure as well. On December 6, in response to the Romanian government’s findings about “aggressive” Russian attacks and violations of Romanian electoral law, Romania’s Constitutional Court canceled the election and annulled the results of the first round.

Bei genauerem Hinsehen ist die alte, französische Revolutions-Unterscheidung „who sought to preserve the status quo, sat on the right side of the National Assembly, and the revolutionaries, who wanted democratic change, sat on the left.“ immer noch ganz treffend? Applebaum schreibt:

Among the followers of this new political movement are some of the least wealthy Americans. Among its backers are some of the most wealthy. George O’Neill Jr., a Rockefeller heir who is a board member of The American Conservative magazine, turned up at Mar-a-Lago after the election; O’Neill, who was a close contact of Maria Butina, the Russian agent deported in 2019, has promoted Gabbard since at least 2017, donating to her presidential campaign in 2020, as well as to Kennedy’s in 2024. Elon Musk, the billionaire inventor who has used his social-media platform, X, to give an algorithmic boost to stories he surely knows are false, has managed to carve out a government role for himself. Are O’Neill, Musk, and the cryptocurrency dealers who have flocked to Trump in this for the money?

Nein, Geld ist es nicht. Hier eine andere Erzählung: Der strategische, partielle Frieden zwischen denen, die an der Wirklichkeit arbeiten (Journalist*innen, Wissenschaftler*innen und allen, die öffentlich nach Wahrheit streben) und denen, die die Infrastrukturen besitzen, war lange Zeit der Modus, in dem wir gelebt haben.

Dann kam, was kommen musste: Diejenigen, die an der Wirklichkeit arbeiteten, arbeiteten immer öfter gegen die Interessen der Infrastrukturbesitzenden, deckten Korruption und Skandale auf, enthüllten und skandalisierten ihre Briefkasten-Firmen-Systeme auf der ganzen Welt und etablierten auch noch diese schreckliche Erzählung von der Klimakrise, mit der sie wirklich gaaaar nichts zu tun haben!

Kurz: Der Deal passte den Infrastrukturbesitzenden nicht mehr wirklich in den Kram und gleichzeitig sahen sie in den Möglichkeiten von Social Media eine Pfadgelegenheit, die Matrix 2.0 zu installieren, Codename „Free Speech“ – wo nichts mehr wahr, aber alles möglich ist.

Die Wahrheit hat den Status Quo verraten! Ist es da ein Wunder, wenn die Rechten sich von ihr abwenden und sich formbareren semantischen Pfaden wie Verschwörungstheorien, Esotherik und Desinformation zuwenden?


Ein zentrales Element des kapitalistischen Gaslighning ist die Erzählung, dass es bei dem Spiel um Geld geht. (Profit/Gewinn, etc). Dabei wissen alle, die in dem Spiel erfolgreich sind, dass es in Wirklichkeit um Macht geht. Peter Thiel hat es in „Zero to One“ offen ausgesprochen: Es geht darum Monopole zu errichten, Konkurrenz ist für Loser.

Dieses Geheimnis ist so unfassbar schlecht gehütet, dass Teslas Aktienpreis seit der Trumpwahl um 69% gestiegen ist, ohne dass es relevante Tesla-News gab. Dieses Geheimnis ist so offen, dass es Frank Underwood in Folge 2 der ersten Staffel von House of Cards schön auf den Punkt darf.

„Choosing money over power is a mistake almost everyone makes. Money is the big mansion in Saratoga that starts falling apart after ten years. Power is that old stone building that stands for centuries. I cannot respect someone who does not see the difference.“

Wenn man genau hinschaut, sind Wirtschaft, Politik und Krieg sind nur drei unterschiedliche Spiele mit unterschiedlichen Regeln um dasselbe Ziel: Netzwerkzentralität im Abhängigkeitsnetzwerk.


Bei Rest of the World wird beschrieben, wie Düsseldorf durch die hier noch obskure chinesische App Xiaohongshu zum Internationalen Foody-Hotspot wurde.

Xiaohongshu has inspired a wave of travel by the Chinese diaspora in Europe to unexpected destinations like Düsseldorf, Germany, in their quest to find Chinese comfort food and regional specialties. Instagram might have suggested local restaurants in The Hague or a short trip to Amsterdam, but Xiaohongshu’s recommendations algorithm sent Shen and Liu about 250 kilometers away. They were more than happy to make the journey.
[…]
In late 2021, the “weekend trip to Düsseldorf” became a noticeable trend on Xiaohongshu. It was driven in part by Chinese diaspora users seeking local food options, as Covid-19 travel restrictions had made trips to China difficult. Given the platform’s relatively smaller pool of creators based in Western Europe, Xiaohongshu users across the continent — from Amsterdam to Warsaw — tend to see similar posts and trends. If they were to show interest in food or travel content while using the app in Europe, Düsseldorf, a long-standing hub of East Asian immigrants, would likely pop into their feed.

Aber weil Aufmerksamkeit Pfadgelegenheiten und Pfadgelegenheiten Infrastruktur machen, erfüllt sich die Prophezeihung mehr und mehr.

Thanks to Xiaohongshu users, demand for restaurants in Düsseldorf that cater to diaspora tastes has surged. Local Chinese restaurants have expanded their offerings in response, with many diversifying their menu options or opening new locations. DongWu Chinese Kitchen, a local Chongqing restaurant, opened its second branch in November 2022, across the road from one of Düsseldorf’s oldest ramen shops.


Im Republik-Magazin schreibt Elia Blülle einen ganz bemerkenswerten Essay über Männlichkeit, in der er seine eigene Sozialisation als Ausgangspunkt macht, um über männliche Gewalt zu schreiben.

Ich kann keine coolen Helden­geschichten erzählen, wie ich Fäuste eingefangen habe, weil ich auf der Strasse jemanden beschützt oder mich gewehrt hätte. Würde ich auch nie tun: Seit ich weiss, was ein gut platzierter Schlag auf den Kopf anrichten kann, habe ich fürchterliche Angst davor.

Diese Angst ist vielen Männern – mich eingeschlossen – peinlich.

Fürchten darf sich ein Mann vor dem Tod. Aber sicher nicht vor Männern. Im Beruf, in Vereinen, in Familien werden Männer ständig von anderen Männern verletzt und erniedrigt. Fast alle schweigen – wie immer bei Gewalt – aus Angst. Aus Angst vor Entmannung. Aus Angst, dass sie sich mit ihrer Scham, mit ihren Verletzungen noch verwundbarer machen.

Das Patriarchat ist wahrscheinlich einer der ältesten und tief verankertsten Teile der Matrix und Blülle ist an einem Ort in der Schweiz aufgewachsen, der sich noch sehr daran klammert. Blülle erzählt aber auch, wie er es schaffte, der Matrix zu entrinnen:

Ich habe mir lange eingeredet, meine Bildung, später die Stadt hätten mich davor bewahrt, wie andere in der Radikalisierung und den Drogen zu verschwinden. Wahrscheinlich ist das nicht nur falsch. Auch meine Eltern haben mich vor vielem beschützt. Vor allem aber meine späteren Partnerinnen, Freunde und Freundinnen, die mich zwangen, jene Frage zu stellen, die sich ein Mann nicht früh genug stellen kann: Wann hast du dich eigentlich verloren? Wieso scheust du dich vor der Wahrheit?

Weil wir keine Individuen sind, die sich einfach entschließen können, die Matrix zu verlassen, sondern Pfadopportunisten, die immer nur den plausiblen Pfaden folgen, die sie vor sich sehen, brauchen wir Infrastruktur, um der Matrix zu entfliehen.


Isabeller Weber hat zusammen mit Adam Tooze und Maurice Höfgen das Wirtschaftsmagazin Surplus gegründet und ich halte es für lesens uns unterstützenswert. Isabella Webers erster Text darin befasst sich mit den Pfadabhängigkeiten des heutigen globalen Kapitalismus vom Kolonialismus.

Je produktiver ein Land ist, desto mehr Dinge kann es wettbewerbsfähig produzieren und desto vielfältiger sind seine Exporte. Gleichzeitig gilt: Je produktiver ein Land von Anfang an ist, desto mehr Produktivität kann es entwickeln. Einfach ausgedrückt: Produktionskapazitäten schaffen Produktionskapazitäten. Ein Land, das bereits über eine wettbewerbsfähige Computerchip-, Auto- oder Smartphone-Industrie verfügt, bringt beispielsweise auch eher Unternehmen, die intelligente Autos entwickeln, hervor als ein Land, das lediglich landwirtschaftliche Güter exportiert.

Oder wie wir es hier formulieren: Infrastruktur wächst pfadopportunistisch.

Es ist wichtig, die Pfadabhängigkeit der Produktionskapazitäten zu verstehen: Denn sie deutet darauf hin, dass die Art und Weise, wie Länder in die globale Arbeitsteilung der ersten Globalisierung eingebunden wurden, einen Einfluss auf ihr gegenwärtiges und auch auf ihr zukünftiges Wachstum hat. Anstatt zu den Exporteuren hochwertiger Güter aufzuschließen, werden Länder, die einst als reine Rohstoffexporteure begannen, wahrscheinlich auch langfristig niedrige Produktionskapazitäten vorzuweisen haben. Ebenso ist zu erwarten, dass »frühe Industrialisierer« an der Spitze der globalen Hierarchie der Produktionskapazitäten bleiben. Natürlich ist diese Verteilung der Produktionskapazitäten nicht das Ergebnis des freien Spiels des Marktes. Die identifizierten Exportmuster spiegeln die Strukturen und Interessen von Imperien wider und ermöglichen es uns daher, die historischen Entwicklungsverläufe von Imperien in unsere Studie über die wirtschaftliche Entwicklung zu integrieren.

Weber kann ihre Beobachtung mit Daten belegen.

Um zu testen, ob die Produktionskapazitäten langfristig beständig bleiben, haben wir eine große neue Datenbank mit globalen Erzeugnis- und Warenexporten aus den Jahren 1897-1906 zusammengestellt. Für diesen Zeitraum sind die meisten kolonialen Handelsstatistiken verfügbar; wir verwenden eine Vielzahl von Primärquellen in fünf Sprachen.
[…]
Nach unserem besten Wissen ist diese Erhebung die bisher umfassendste Zählung der weltweiten Exporte in den Zeiten der ersten Globalisierung. Dies ermöglicht es uns, den langfristigen Wohlstand von Nationen auf eine Weise zu untersuchen, die mit BIP-Daten nicht möglich ist. Letztere sind für große Teile der Welt vor dem Zweiten Weltkrieg nur spärlich oder unzuverlässig verfügbar. Wir verwenden die Parameter Exportdiversifizierung, ökonomische Komplexität und Exportspezialisierung sowie den Anteil der verarbeitenden Industrie an den Gesamtexporten als wichtigste Indikatoren für die Stellung eines Landes in der globalen Produktionskapazitäten-Rangliste. Wir haben unsere historischen Daten in die Standard International Trade Classification umgewandelt. Dadurch können wir diese Indikatoren über ein Jahrhundert hinweg einheitlich messen und vergleichen.
[…]
Unsere ökonometrische Analyse bestätigt, dass der große Einfluss der Geschichte auf die heutigen Produktionskapazitäten statistisch signifikant ist sowie quantitativ groß und robust gegenüber der Kontrolle mit Variablen, die üblicherweise als wichtige Triebkräfte für Wachstum und Exportdiversifizierung gelten, wie beispielsweise wirtschaftliche Liberalisierung, Humankapital und die Qualität von Institutionen. Wir zeigen auch, dass unsere Ergebnisse nicht durch Persistenz in Bereichen wie Geografie oder Institutionen bestimmt werden.

Koloniale Pfadabhängigkeiten sind ein Teil der Erklärung, dass ehemalige Kolonien ökonomisch nicht vom Fleck wegkommen, aber sie erklärt nicht alles.

Allerdings gibt es eine Besonderheit: Während der Kolonialstatus um die Wende zum 20. Jahrhundert stark mit den Produktionskapazitäten korrelierte, so sind die Länder, die einst europäische Überseekolonien waren, an der Schwelle zum 21. Jahrhundert noch weiter zurückgefallen. Der lange Schatten der Kolonialisierung lässt sich nicht einfach durch die Pfadabhängigkeit der Produktionskapazitäten erfassen. Er muss eigenständig theoretisiert werden. Die Neuausrichtung der Erklärungen für langfristige Entwicklungsunterschiede auf rein ökonomische Faktoren und eine kumulative Dynamik ist ein erster, vorläufiger Schritt in diese Richtung.

Vielleicht wäre eine Frage, die man untersuchen könnte, inwiefern die heutigen, materiellen Abhängigkeitsverhältnisse zwischen den ehemaligen Kolonien und ihren ehemaligen Kolonialherrn strukturähnlich mit denen von früher sind? Meine etwas holzschnittartige These wäre, dass im „Dekolonialisierungsprozess“ die Abhängigkeitsbeziehung nur ihre rechtliche Form verändert hat und das Machtungleichgewicht in dieser Beziehung durch „den Markt“ vom Kolonialismusgeruch „reingewaschen“ wurde.