Die Strategie der Hamas

Ronen Steinke war beim Podcast Piratensender Powerplay, um über den Nahostkonflikt zu sprechen und obwohl ich beide sonst sehr schätze – also den Podcast mit Samira und Friedemann genau so wie die Texte von Steinke – muss ich sagen, dass ich etwas erstaunt war, wie unterkomplex die abgelieferte Analyse war.

Steinke übernimmt weitgehend das Framing der Israelischen Regierung, das ungefähr so lautet:

Israel wurde angegriffen und verteidigt sich nun gegen die Hamas, die zumindest auch als eine ordentliche Armee gelten kann. Die Hamasarmee aber ist feige und versteckt sich aus taktischen Gründen unter der Zivilbevölkerung, was die IDF vor ein Dilemma stellt, bei dem es nur schlechte Lösungen gibt. Da es für Israel aber um einen Existenzkampf geht, ist die bevorzugte schlechte Lösung eben das kollaterale Töten von tausenden unschuldigen Palästinensern. Aber sobald die Hamastruppen endlich besiegt sind … dann … naja, ab hier bricht das Framing ja meistens ab.

Zuerst: Es ist absolut verständlich, warum das die israelische Regierung so kommunizieren will, aber es ist eine offensichtliche Fehlanalyse der strategischen Situation und niemand tut sich einen Gefallen, es zu übernehmen. Auch Israel nicht.

Um sich zu vergegenwärtigen, wie schnell dieses Framing auseinanderfällt, muss man nur mal zwei Sekunden in die Hamas hineinversetzen und fragen:

Glaubt die Hamas, die IDF militärisch besiegen zu können? Sieht sich die Hamas als Armee überhaupt mit der IDF im Krieg? Noch allgemeiner: Ist der Feind der Hamas die IDF?

Wer hier eine der Fragen mit ja beantwortet, ist – sorry – nicht ganz bei Trost. Natürlich weiß die Hamas um ihre eigene militärische Unterlegenheit. Natürlich sieht sie sich nicht im Kampf mit der IDF in einem Sinne, wie sich zum Beispiel die ukrainischen mit den russischen Truppen sehen. Natürlich geht es der Hamas nicht darum, die IDF militärisch zu schlagen.

Das Ziel des Kampfes der Hamas ist nicht ein Sieg über die IDF. Das Ziel der Hamas ist ein Sieg über den Staat Israel. Und die IDF ist dabei ihr wichtigstes Werkzeug.

Und hier kommen wie zum Kern des Denkfehlers. Ronen Steinke bezeichnet Hamas’ Untertauchen in der Zivilbevölkerung als „Taktik“. Das ist schlicht falsch. Es nicht ihre Taktik, sondern ihre Strategie. Die Verwechselung von Taktik und Strategie wirkt wie eine Kleinigkeit, aber die Folgen dieses Missverständnisses sind immens.

Als Taktik funktionieren Zivilist*innen als Schutzschild eher leidlich und – um ehrlich zu sein, glaube ich schon lange nicht mehr, dass das bei der IDF noch irgendwelche Beißhemmungen auslöst.

Aber als Strategie funktioniert es wunderbar. Tausende, Zehntausende von Menschen sterben. Unschuldige, Frauen und Kinder. Und die Hamas weiß, dass jedes dieser Opfer Israel massiv schadet, seine Legitimität in der Welt angreift und seine Sicherheitslage gegenüber seinen Nachbarn drastisch reduziert. Bishin zu den allgemeinen Befürchtungen, dass der Krieg sich ausweitet, so dass Israel einen Mehrfrontenkrieg führen muss, was ein ganz anderer Schnack ist, als sich durch das überfüllte Flüchtlingslager zu manschen, das einmal der Gazastreifen war.

Die toten Zivilist*innen sind nicht etwas, was die Hamas in ihrem Kampf gegen die IDF hinnimmt, um sich selbst zu schützen (Taktik). Die Toten sind das Ziel (Strategie). Die Toten sind der Hebel, mit dem die Hamas glaubt, den eigentlichen Feind, nämlich den Staat Israel, endgültig von der Landkarte tilgen zu können. Und diese Strategie ist alles mögliche: zynisch, brutal, fanatisch, verbrecherisch, aber sie ist eines nicht: dumm.

Ich weiß nicht, ob die Hamas ihr strategisches Ziel erreichen wird. Aber derzeit sieht alles danach aus, als ob ihrer Strategie zumindest nichts im Wege steht. Netanyahu und die IDF spielen ihre Rollen makellos und die öffentliche Meinung im Rest der Welt scheint sich wie vorhergesehen mit jedem Toten in Gaza immer stärker gegen Israel zu wenden. Überall rumort es und die Spannungen und die Gewalt in der Region steigen kontinuierlich. Jeder taktische Gewinn Israels ist ein strategischer Gewinn der Hamas.

Nochmal: Wir wissen nicht, wie dieser Konflikt ausgeht. Aber derzeit könnte es nicht besser laufen für die Hamas.

Von all dem erfährt man in dem Interview im Piratensender leider gar nichts.

4 Gedanken zu „Die Strategie der Hamas

  1. @mspro Ah ja, weißt du noch dass ich damals gesagt habe dass ihre Verarbeitung vom Konflikt viel zu einseitig und eigentlich einfach auch dumm fand?

    Vielleicht kann man nicht anders wenn man in den etablierten Medien in Deutschland unterwegs ist aber ihrer Anspruch war es immer den Diskurs zu analysieren und schlauer und tiefgehender als anderen zu sein. Ich habe das geglaubt und fand es deswegen doppelt enttäuschend.

  2. Ich glaub eigentlich nicht, dass es gut läuft für die Hamas. Ja stimmt, die Welt mag Israel nicht, aber das ist auch nichts Neues. Die UN ist schon immer israelfeindlich. Und Israels Haupt-Allies USA und Deutschland rücken zwar bisschen ab, aber nur von Netanjahu, nicht von Israel. Sie werden ihre Politik nicht substanziell ändern. Ich halte vor allem die arabischen Staaten für wichtig. Ich glaube, die Hamas hatte gehofft, dass die mehr tun, aber sich da verkalkuliert. die haben zwar große Gesten und Worte, riskieren aber keinen Krieg oder ähnl. Ich glaube, dort, also intern in den arabischen Gesellschaften, werden gerade die entscheidenden Diskussionen geführt, nicht bei uns. ich kenn die nicht und kann die nicht beurteilen. Aber ich glaube, die Leute dort handeln das jetzt aus, zwischen Angst vor islamistischem Faschismus und der Verlockung. Also eigentlich so wie bei uns auch. die uninformierte westliche Pali-Soli-Jugend hingegen halte ich für weniger wichtig. Die hat keine skin in the Game und wird sich vermutlich bald schon wieder anderen Themen zuwendet, spätestens wenn ihre eigneten Gesellschaften von Rechtsaußen aufgerollt werden. Die Zukunft kennen wir nicht, aber ich glaube, aus Beliebtheit kommt es bei internationalen Machtverschiebungen nicht so an. Wer derzeit verliert, das ist jedenfalls nicht Israel, sondern die freiheitlichen, auf Ausgleich und zusammenleben fokussierten Teile in Israel und in Palästina. Machtpolitisch könnte Netanyahus Strategie aufgehen, so wie bei putin ja auch.

  3. Dafür, dass so viel Sendungsbedürfnis zu dem Thema hast (liegt dass an krassen Ruhrbarone Style Posts, die in deinem Feed siehst?), haust du etliche steile Thesen raus, ignorant angesichts der Perspektive der Menschen vor Ort. Das war schon krasse Links Nr. 2 eklatant (die Verallgemeinerungen zu dem Generationen Ding, meine Güte).

    „Bishin zu den allgemeinen Befürchtungen, dass der Krieg sich ausweitet, so dass Israel einen Mehrfrontenkrieg führen muss“

    Es IST schon ein Mehrfrontenkrieg. Hezbollah hat am Tag 2 schon den Norden Israels beschossen, da hat IDF noch nicht mal den Gazastreifen angegriffen. Etliche sind dort internally displaced, juckt aber keinen, weil es sind ja nur so ein paar Raketen

    „ das überfüllte Flüchtlingslager zu manschen, das einmal der Gazastreifen war.“
    Wie bitte? Der ganze Gazastreifen ein Flüchtlingslager? Klick dir dich einmal solche #thegazayoudontsee Videos an…

    „ den Nahostkonflikt“ – was ist eigentlich „der“ Nahostkonflikt? Da gibt es ja mehrere. Houthis in Jemen, Syrien, Iran mit allen irgendwie, …. Richtiger wäre, es den Israel-Palästina-Konflikt zu nennen

    „ Jeder taktische Gewinn Israels ist ein strategischer Gewinn der Hamas“ – jeder? Also auch wenn sie Geiseln befreien? Auch wenn sie Hamas Kämpfer töten, die gerade eine Rakete abgefeuert haben?

  4. Nochmal: Keine Ahnung, wie das ausgeht, aber festzusztellen, dass die arabische Welt die Füße still hält, ist definitiv zu früh. Die arabische Straße kocht und das WIRD Konsequenzen haben. Es ist nicht ganz klar, welche und wann, aber das wird sich entladen. Ich warte nur auf Netanyahus „Mission Accomplished“ Rede und hoffe, wir sind dann etwas weniger dumm als 2003.

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